Hilfe zum Sterben, Recht & Praxis Aktuelle Entwicklungen Emden, den 28.11.2012 Einwilligungsfähigkeit aus ärztlicher Sicht Dr. med. Hinderikus Klugkist Ltd. Oberarzt Neurologische Klinik Emden Stufenschema zur Ermittlung des Patientenwillens 1. Aktuell erklärter Wille des aufgeklärten und einwilligungsfähigen Patienten (immer vorrangig, wenn vorhanden). wenn nicht gegeben 2. Vorausverfügter Wille, durch schriftliche Patientenverfügung erklärt (fortwirkend und verbindlich, sofern auf die Situation anwendbar) wenn nicht vorhanden 3. Behandlungswünsche / mutmaßlicher Wille (aus früheren Äußerungen / Wertvorstellungen zu ermitteln, „substituted judgement“ stammt aus dem britschen Landrecht, von der amerikanischen Medizinethik wiederentdeckt, um Patientenautonomie bei Einwilligungsunfähigen zu respektieren) wenn nicht möglich 4. Entscheidung zum Wohl des Patienten (medizinisch indizierte Maßnahme durchführen) 2 Einwilligungsfähigkeit (oft synonym: Selbstbestimmungsfähigkeit) Oft unklare Bedeutungen der Begrifflichkeiten: „bei klarem Verstand“ (?) „im Vollbesitz der geistigen Kräfte“ (?) „Geschäftsfähigkeit“ (Rechtsbegriff) „Urteils- und Entscheidungsfähigkeit“ (?) „Einwilligungsfähigkeit“ (Rechtsbegriff) „Selbstbestimmungsfähigkeit“ (medizinethischer Begriff) 3 Einwilligungsfähigkeit 4 Einwilligungsfähigkeit Einwilligungsfähigkeit ist ein rechtlicher (§) Begriff, der die Fähigkeit eines Betroffenen beschreibt, in die Verletzung eines ihm zuzurechnenden Rechtsguts (z.B. körperliche Unversehrtheit) einzuwilligen bzw. diese abzulehnen (z.B. ärztliche Behandlung). Diese Fähigkeit ist Voraussetzung einer wirksamen Einwilligung Erst durch die wirksame Einwilligung wird ein nach den Grundsätzen der medizinischen Heilkunst korrekt durchgeführter Eingriff (z.B. Operation, medikamentöse Therapie) rechtmäßig. „Einwilligungsfähig ist, wer Art, Bedeutung und Tragweite (Risiken) der ärztlichen Maßnahme erfassen kann“ (BGH NJW 1972, 335. OHG Hamm 1997) 5 Einwilligungsfähigkeit § Einwilligungsfähigkeit ist nicht mit Geschäftsfähigkeit gleichzusetzen. Sie kann je nach Art des Eingriffs auch bei Geschäftsunfähigen (z.B. Minderjährigen) gegeben sein. Entscheidend ist die Fähigkeit, die Komplexität (Natur und Erforderlichkeit des Eingriffs, Risiken) eines „Eingriffes“ zu erfassen. Daraus folgt, dass der nicht Einwilligungsfähige die Rechtfertigungswirkung nicht hervorrufen kann. Das bedeutet für den Arzt, er darf die Behandlung nicht durchführen, auch wenn der Betroffene zugestimmt haben sollte. Daraus kann sich die Erfordernis des Bestellens eines Betreuers entsprechend § 1901 BGB ergeben. 6 Einwilligungsfähigkeit / Patientenverfügung „Auf frühere Willensbekundungen kommt es nur an, wenn … er einwilligungsunfähig ist. Dann ist die frühere Willensbekundung ein Mittel, den Willen des Patienten festzustellen“ (Bundesärztekammer und Zentrale Ethikkommission) Nach § 1901a Abs. 1 Satz 1 BGB ist eine Patientenverfügung eine „schriftliche Festlegung des einwilligungsfähigen Volljährigen für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit, ob er in bestimmte … ärztliche Eingriffe einwilligt oder untersagt“ Andere Willensbekundungen (z.B. mündliche Erklärungen) sind keine Patientenverfügung im Sinne des Gesetzes. 7 Patientenverfügung / Realitätscheck Die Verbreitung von Patientenverfügungen in der Bevölkerung liegt nicht über 20 %. Offenbar sind Patientenverfügungen nur ein Instrument für bestimmte Persönlichkeiten in bestimmten gesundheitlichen Situationen. Deutlich mehr Patienten können sich mit Vorsorgevollmachten anfreunden. Viele Patientenverfügungen drücken nicht das aus, was die Patienten wirklich wollen, sind nicht passgenau. Die Art und Weise wie Verfügungen im Muster vorformuliert sind, und ob darin eher Einwilligung oder Ablehnung von Behandlung als Normalfall dargestellt wird, beeinflusst den Inhalt einer persönlichen Patientenverfügung erheblich. Selbst wenn gute Patientenverfügungen existieren, sind sie oftmals nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Fagerlin u.a. Hastings Cent Rep 2004;34:30-42 Winter u.a. J. Palliat. Med. 2010;13(5):1-5 Kressel u.a. J. Gen Intern. Med. 2007;22(7):1007-110 8 Einwilligungsfähigkeit/ Patientenverfügung Bei der Abfassung einer Patientenverfügung, als dem Dokument des zeitlich nicht begrenzten Patientenwillens, muss/sollte sicher Einwilligungsfähigkeit in all jene Maßnahmen gegeben sein, für die eine Willensentscheidung getroffen und dauerhaft festgelegt wird. Eine ärztliche Aufklärung ist im Patientenverfügungsgesetz (gültig ab 01.09.2009) nicht vorgesehen! (Ein konkurrierender Gesetzentwurf enthielt die Notwendigkeit einer Vorab-Beratung, sofern der erklärte Patientenwille auch für einen Behandlungsabbruch bei heilbaren Krankheiten gelten sollte. Dieser Entwurf hat sich jedoch nicht durchgesetzt) 9 Einwilligungsfähigkeit / Aufklärung Der behandelnde Arzt ist verpflichtet, den Patienten (oder dessen Vertreter, Betreuer) über die Behandlung, Risiken und Alternativen aufzuklären und dessen Entscheidung herbeizuführen. („Arzt und Vertreter haben stets den Willen des Patienten zu achten. Der aktuelle Wille des einwilligungsfähigen Patienten hat immer Vorrang.“ (Empfehlungen der Bundesärztekammer (BÄK) und Zentralen Ethikkommission (ZE)) Besteht die Gefahr, dass der Patient bei der Maßnahme stirbt, oder einen schweren lang anhaltenden und erheblichen Schaden erleidet, ist eine vormundschaftliche Genehmigung (§ 1904 BGB) einzuholen (heißt konkret?). 10 Aufklärung / Patientenrechtegesetz § 630e BGB (Januar 2013) Aufklärungspflichten des Arztes: -…“ sämtliche für die Einwilligung wesentliche Umstände … (Art, Umfang, Risiken, Notwendigkeit, Dringlichkeit, Erfolgsaussichten, Alternativen, Unterlassung)“, -„rechtzeitig, … verständlich“ -„Fachkenntnisse und Erfahrung verfügen, …“ -Nach § 630d Abs. 1 Satz 2 ist derjenige aufzuklären, dessen Einwilligung erforderlich ist (z.B. Betreuer) -Dokumentation in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang -(mindestens 10 Jahre Aufbewahrungspflicht) 11 Rechtliche Aspekte der Kommunikation Arzt/Patient Verhaltensanweisungen: „… dem Patienten deutlich erläutern und sich vergewissern, dass die Erläuterung verstanden wurde“ Sicherheitsberatung: „… erneute Kontaktierung falls Patient Nachuntersuchungstermine versäumt“ Wirtschaftliche Beratung: „… Eigenanteil, Kostenerstattung, Selbstbehalt u.a. können Beratungspflicht des Arztes auslösen“ Therapeutische Beratung: „… ein Mangel in der therapeutischen Beratung (gebotene Maßnahmen, Risiken, Dringlichkeit, Alternativen) ist ein Behandlungsfehler, der zum Ersatz des dadurch entstandenen Gesundheitsschadens verpflichtet“ 12 Rechtliche Aspekte der Kommunikation Arzt/Patient Reden allein reicht nicht, der Patient muss die Botschaft auch verstehen! Kommunikationsmängel sind gefährlich. Für Arzt und Patient! 13 Auswirkungen der Aufklärung auf den Patienten Aufklärung kann sowohl zu vermehrten Ängsten mit entsprechenden negativen Symptomen (Schlaflosigkeit, Grübeln, vermehrte Medikamentennebenwirkungen u.a.) führen (Simes und Tattersall 1986, Cairns 1985). Andere Autoren konnten einen derartigen Zusammenhang nicht herstellen. (Lamb, Green und Heron 1994). Weder das paternalistische Argument (Risikoaufklärung ist generell abzulehnen), noch die Gegenposition, dass möglichst viel Information sich positiv auswirken würde, ist in wissenschaftlichen Studien durchgehend haltbar. Diese Diskrepanz kann am überzeugendsten dadurch erklärt werden, dass neben rationalen Aspekten weitere Faktoren (individuelle Vorerfahrungen, ethische Einstellung, kulturelle Aspekte u.a.) Einfluss auf das Verständnis von Patientenautonomie und Aufklärungspraxis haben. 14 Akzeptierte ethische Prinzipien ärztlichen Handelns Das Prinzip des Wohltuns Das Prinzip der Schadensvermeidung Das Prinzip der Patientenautonomie Das Prinzip der Gerechtigkeit (Eid des Hippokrates, Genfer Deklaration des Weltärztebundes) Ethisch verantwortliches Handeln bemüht sich um eine nutzbringende Therapie mit einem individuell angepassten Therapieziel anzubieten, welches mit einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit erreicht werden kann. Lateinisches Motto: „salus aegroti suprema lex esto“ Zu deutsch: Das Wohl des Kranken sei oberste Richtschnur 15 Individuelles Therapieziel Gemeinsamer Entscheidungsprozess (shared decision making) Arzt: Fachliche Beurteilung Potentieller Schaden Individueller Nutzen Indikation Patient: Individuelle Wertvorstellungen (Patientenverfügung) Gemeinsamer Entscheidungsfindungsprozess „shared decision making“ 16 Individuelles Therapieziel Gemeinsamer Entscheidungsprozess/informed consent Anpassung im Verlauf: (z.B. Beendigung einer Chemotherapie und Wechsel auf rein palliative Zielsetzung bei fortschreitender Karzinomerkrankung) Voraussetzung: Einwilligung des entscheidungsfähigen und aufgeklärten Patienten. Erst dann kann von einem informed consent ausgegangen werden ___________________________________________ Gesellschaftlicher Grundkonsens: Gerechtigkeit? Diskriminierung? Unangemessen viele Ressourcen? ___________________________________________ 17 Freier Wille - eine Illusion? Freier Wille oder Willensfreiheit: Keine allgemein anerkannte Definition Im weitesten Sinne: die menschliche Fähigkeit, sich unter gegebenen Bedingungen für oder gegen etwas zu entscheiden. Philosophische Position: Bedingte Willensfreiheit: Der Wille ist frei, wenn die Person ihren Willen nach ihren persönlichen Motiven gebildet hat und tun kann was sie will (Handlungsfreiheit). Welcher der konkurrierenden Wünsche sich herausbildet, hängt von Persönlichkeit und Umwelteinflüssen ab, d.h.: in einer konkret gegebenen Situation gibt es für die Position nur eine Möglichkeit sich zu entscheiden. Aufgrund der Komplexität der Willensbildung ist die Entscheidung nicht vorhersehbar, aber objektiv steht im Vorhinein fest, welcher Wille gefasst wird (Determinismus). Da dieser Wille aber den Neigungen der Person entspricht wird doch von Freiheit und eigenem Willen gesprochen. „Der Mensch kann tun was er will, aber er kann nicht wollen, was er will“ (Schopenhauer) 18 Freier Wille - eine Illusion? Philosophische Position Unbedingte Willensfreiheit: Das Wollen ist durch absolut nichts bedingt. Nur dann kann sich der Mensch in derselben konkreten Situation sowohl für das Eine als auch das Andere entscheiden. Sobald es eine Verbindung zwischen den Motiven und dem Willen gibt ist er nicht mehr unbedingt frei, gleichgültig wie komplex diese Abhängigkeit auch sein mag. Ein derart wirklich freier Wille wäre aber rein zufällig. Dafür steht dieser wirklich freie Wille nicht mehr im Einklang mit den Wünschen und Motiven der Person. Einige Philosophen (Derk Pereboom u.a.) halten das Konzept des Determinismus und des Freien Willens für unvereinbar (Inkompatibilismus). Wenn der Determinismus zutrifft, ist der freie Wille im inkompatibilistischen Sinn lediglich eine Illusion, die das Gehirn hervorbringt. (Vertreter des Kompatibilismus: u.a. Thomas Hobbs) 19 Freier Wille - eine Illusion? Naturwissenschaftliche Positionen Biologie: Genetische Studien haben viele spezifische genetische Faktoren identifiziert, die die Persönlichkeit eines Individuums beeinflussen (z.B. beim Down-Syndrom) und unterschiedlich starker Penetranz der Faktoren . Immer handelt es sich um ein Wechselspiel zwischen Natur (genetische Determination) und Prägung (Bedingungen: Umwelteinflüsse, Sozialisation) 20 Freier Wille - eine Illusion? Naturwissenschaftliche Positionen Physik: Seit der Quantenmechanik ist bekannt, dass es nicht mehr möglich ist, den Ablauf eines Vorgangs hinsichtlich aller messbarer Größen vorherzusagen, auch bei Kenntnis aller Variablen. Damit ist das Naturgeschehen nicht vollständig determiniert, sondern unterliegt partiell dem Zufall. 21 Freier Wille - eine Illusion? Medizinische Position: Das Libet-Experiment (1980): Die unbewusste Gehirnaktivität (Bereitschaftspotential, EEG), die dazu führte, dass eine Person ihr Handgelenk willkürlich bewegte, setzte 350 ms vor dem Moment ein, in dem sich diese Person bewusst dazu entschloss (Absicht), bis zur definitiven Motorik vergingen dann nochmals 200 ms. 22 Freier Wille - eine Illusion? Medizinische Position: In Experimenten von Haggard und Eimer aus 1999 konnte bestätigt werden, dass das Bereitschaftspotential der bewussten Entscheidung vorausgeht. In aktuellen PET- und fMRT-Untersuchungen konnte bestätigt werden, dass die „Entscheidungsbildung“ im Gehirn bereits unbewusst erfolgt war, bevor sich der Proband dieser Entscheidung bewusst wurde. 23 Freier Wille - eine Illusion? Medizinische Position: Nach dem gegenwärtigen Erklärungsmodell der Hirnforschung über die Steuerung der Willkürmotorik haben die originären Antriebe für unser Verhalten einen subcorticalen Ursprung– sie entstehen im limbischen Bewertungs- und Gedächtnissystem. Dieses aktiviert die Basalganglien und das Kleinhirn, die wiederum die kortikalen Prozesse in Gang setzen. Dann erst setzt die Empfindung ein, etwas zu wollen. Damit stimmt überein, dass bei Willkürbewegungen zuerst in den Basalganglien und im Kleinhirn Aktivität auftritt und erst danach in der Großhirnrinde. Freier Wille ist eine Illusion und reines Epiphänomen korticaler und subcorticaler Prozesse (Gerhard Roth, Wolf Singer u.a.). Kontroverse Auffassungen: Niels Birnbaumer, Benjamin Libet (Veto-Konzept), u.a. 24 Freier Wille - eine Illusion? Traurigkeit kann Entfernungen größer und Berge höher erscheinen lassen. Baumeister 2009 Wenn bereits die Wahrnehmung durch emotionale Prozesse geprägt ist, kann dies für den Willen nicht folgenlos bleiben. „Das limbische System (eine Funktionseinheit des Gehirns, die der Verarbeitung von Emotionen und Triebverhalten dient) hat bei Entscheidungen das erste und das letzte Wort“ G. Roth, Aus Sicht des Gehirns, 2003 Insbesondere die Amygdala, die phylogenetisch mit alten Verhaltensmechanismen wie Flucht und Angst verbunden ist, reguliert das Verhalten sehr schnell, da von einem adäquaten Verhalten eventuell das Leben abhängen kann. 25 Freier Wille - eine Illusion? „When you are about to be eaten, fractions of seconds count, you need to jump immediately and worry about free will later“ JL Price, Journal of Comparative Neurology 2005;493: 132-139 Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral Bert Brecht/K. Weill: Die Dreigroschenoper 26 Voraussetzungen für die Annahme einer Selbstbestimmungsfähigkeit Patient: 1. Informationsverständnis 2. Urteilsvermögen 3. Einsicht in Bestehen einer somatischen oder psychischen Störung 4. Einsicht einer potentiellen Behandlungsmöglichkeit 5. Fähigkeit eine Entscheidung zu treffen und zum Ausdruck zu bringen J. Vollmann: Beiträge zur klinischen Ethik, Kohlhammer 2008 Nervenarzt 2012.83;25-30 27 Informationsverständnis und Urteilsvermögen Aufklärungsgespräch inhaltlich verstanden? Patient sollte in der Lage sein, mit eigenen Worten die gegebene Information zu wiederholen (ansonsten wird nur die Gedächtnisleistung, nicht aber das Verständnis überprüft). Individueller Beurteilungsprozess: Bewertung der medizinischen Information hinsichtlich eigener Präferenzen in Bezug auf Lebensplanung und Werteorientierung. Eigenständiges Abwägen der Vor- und Nachteile im Hinblick auf Konsequenzen und Alternativen 28 Somatische oder psychische Störung Ein selbstbestimmungfähiger Patient ist in der Lage, zu erkennen, dass bei ihm eine somatische oder psychische Störung vorliegt, es besteht Krankheits- und Behandlungseinsicht. Bei der Prüfung dieser Einsichts- und Selbstbestimmungsfähigkeit geht es darum, dass eine persönliche Einsicht in die Betroffenheit von körperlicher oder seelischer Störung erkennbar sein muss. 29 Erhalt der Ausdrucksfähigkeit Bei verschiedenen Krankheitssituationen ist die Möglichkeit des Ausdrucks nicht gegeben, etwa bei einigen Formen des Schlaganfalles mit einhergehender Aphasie. Weitere Erkrankungen und Situationen mit eingeschränkter Ausdrucksfähigkeit sind u.a.: Schwere Antriebshemmung bei Depression Schizophrene Psychose Bewußtseinsstörung und Komata unterschiedlicher Ätiologie (Schädel-Hirn-Traumata, Enzephlitis, Epileptischer Anfall) Kommunikationshemmnis wg. Unkenntnis der Landessprache (Migrationshintergrund, Urlauber) 30 Selbstbestimmungsrechte versus Zwangsbehandlung In einem Urteil vom 23.03.2011 hat das Bundesverfassungsgericht zur Zulässigkeit von Zwangsbehandlungen psychisch kranker Menschen Stellung genommen: („eine medizinisch indizierte Behandlung ist gegen den natürlichen Willen des Patienten nicht zulässig“)und den § 6 Abs. 1 des rheinland-pfälzischen Maßregelvollzugsgesetz als verfassungswidrig erklärt. (Einige Gerichte haben daraufhin bereits Zwangsbehandlungen untersagt!) Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) fordert Gesetzgeber auf, das rechtliche Vakuum, zu lösen, da Heilbehandlung sogar dringend geboten sein kann, um unmittelbare Selbst- und Fremdgefährdung abzuwehren. In diesem Sinne liegt dem Bundestag eine Petition vor: (Betreuungsrecht-Medikamentöse Akutbehandlung psychisch kranker Menschen vom 27.08.2012) 31 Natürlicher Wille Der natürliche Wille ist ein Rechtsbegriff §, der die tatsächlichen Absichten, Wünsche, Wertungen und Handlungsintentionen eines Menschen umfasst, auch wenn dieser sich in einem die freie Willensentscheidung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet, d.h. in der Regel geschäftsuntüchtig ist und findet vorwiegend im Betreuungsrecht Anwendung. Der Begriff ist ein terminus technicus des deutschen Rechts und stammt ursprünglich vom Philosophen Georg Friedrich Wilhelm Hegel (im Sinne eines naturgegebenen, niederen Willens,Trieb, Begierde) Das können z.B. bei schwer Dementen Lautäußerungen oder Bewegungen wie Kopfschütteln sein. Ein Betreuer darf nicht gegen den freien Willen eines Volljährigen bestellt werden, wohl aber gegen seinen natürlichen Willen (falls dies in seinem wohlverstandenen Interesse liegt). 32 Selbstbestimmungsrechte versus Zwangsbehandlung Niedersächsisches Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für Psychisch Kranke (NDpsychKG vom 16. Juni 1997). § 21 Ärztliche Behandlung: „… Eine untergebrachte Person erhält nach den Regeln der ärztlichen Kunst gebotene Heilbehandlung. Diese bedarf der Einwilligung der untergebrachten Person. Ist die untergebrachte Person nicht fähig Grund, Bedeutung und Tragweite der Behandlung einzusehen … ist die Einwilligung des Personensorgeberechtigten … einzuholen. Ist eine Einwilligung … nicht erteilt, so hat die untergebrachte Person eine Heilbehandlung zu dulden, wenn diese notwendig ist, diejenige Krankheit zu heilen oder zu lindern, wegen derer sie untergebracht ist oder die Gesundheit anderer zu schützen.“ 33 Selbstbestimmungsrechte versus Zwangsbehandlung Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts: Voraussetzungen, nach denen Zwangsbehandlungen zulässig sein können: Krankheitsbedingte Unfähigkeit des Patienten, die 1. Schwere seiner Erkrankung und 2. Notwendigkeiten von Behandlungsmöglichkeiten einzusehen, 3. Unfähigkeit gemäß solcher Einsicht zu handeln. Ferner: - Behandlung muss erfolgversprechend sein - Eine weniger eingreifende Behandlung ist nicht möglich - Vorheriger Versuch, die Zustimmung des Untergebrachten zu erhalten - Eingriff muss bezüglich der Dauer und Art der Medikation etc. „eng“ umschrieben sein - Die Behandlung muss mehr Nutzen als Schaden haben 34 Selbstbestimmungsrechte versus Zwangsbehandlung Weitere formelle Voraussetzungen des BVG: Eine vorherige Ankündigung muss ausreichend Zeit für die Einholung von Rechtsschutz lassen. Die Anordnung und Überwachung muss durch einen Arzt erfolgen. Die Zwangsbehandlung muss dokumentiert werden. Vor der Anordnung muss eine Überprüfung der Zwangsbehandlung durch eine unabhängige Stelle (z.B. Betreuer, Gericht, Ombudsmann etc.) mit gesicherter Unabhängigkeit von der Unterbringungseinrichtung erfolgen. Dies alles muss mit einer klaren gesetzlichen Grundlage geregelt sein 35 Informed consent (aufgeklärte Zustimmung) / Resumee Die Mehrzahl der Patienten möchte vom Arzt über die Erkrankung und die geplante Behandlung aufgeklärt werden, wobei interindividuelle Unterschiede hinsichtlich des Ausmaßes der Aufklärung bestehen. Aus ärztlicher Sicht leidet das Aufklärungsgespräch unter Zeitmangel, Unverständlichkeit und zu wenig Möglichkeiten für den Kranken, selbst Fragen zu stellen. Die Patientenzufriedenheit hängt nicht von der Menge der vermittelten Informationen ab, sondern wird durch die Qualität der Arzt-PatientenBeziehung, die Art und Weise der Informationsvermittlung und durch die Gefährlichkeit der Erkrankung beeinflusst. Das Informationsverständnis des Patienten korreliert mit Faktoren wie: Alter, Bildung, Art und Weise der Informationsvermittlung, KommunikationsQualität. Jochen Vollmann, 2008 36 Informed consent (aufgeklärte Zustimmung) / Resumee Freiheit ist nur in dem Reich der Träume Schiller, Antritt des neuen Jahrhunderts Des Menschen Wille, das ist sein Glück Schiller, Wallensteins Lager Des Menschen Wille ist sein Himmelsreich Sprichwort Lateinisches Motto: „salus aegroti suprema lex esto“ Zu deutsch: Das Wohl des Kranken sei oberste Richtschnur Heute vielleicht: „voluntas aegroti suprema lex esto“ Der Wille des Kranken sei oberste Richtschnur (?) 37