Literaturarbeit Burnout und Depression

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Psychologisches Institut
Philosophische Fakultät der Universität Zürich
Burnout und Depression Diagnose und Therapie im Vergleich
Literaturarbeit
vorgelegt von
Ivana Arcuri
am
Lehrstuhl der klinischen Psychologie, Psychotherapie und Psychoanalyse
Prof. Dr. Brigitte Boothe
Betreut durch Dr. phil. Hanspeter Mathys
Ivana Arcuri
Michelstr. 9
8049 Zürich
Tel. 076 514 84 35
[email protected]
Zürich, 4. Januar 2013
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis _______________________________________________________ II
Zusammenfassung _____________________________________________________ III
1
Einleitung ____________________________________________________________ 1
2
Definition und Symptomatik von Burnout und Depression _______________ 2
3
4
2.1
Burnout ________________________________________________________________ 3
2.2
Depression _____________________________________________________________ 7
2.3
Vergleich _______________________________________________________________ 9
Therapieformen von Burnout und Depression __________________________ 12
3.1
Burnout-Therapien _____________________________________________________ 12
3.2
Behandlung von Depression ____________________________________________ 14
3.3
Vergleich ______________________________________________________________ 15
Privatklinik Hohenegg ________________________________________________ 17
4.1
5
Ein Vergleich in der Praxis______________________________________________ 17
4.1.1
Burnout in der Privatklinik Hohenegg __________________________________ 17
4.1.2
Depression in der Privatklinik Hohenegg _______________________________ 19
Diskussion __________________________________________________________ 19
Literaturverzeichnis ______________________________________________________ 24
Selbstständigkeitserklärung ______________________________________________ 27
II
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
Zusammenfassung
Eine international gültige Definition für „Burnout“ fehlt weitgehend. Weder in der ICD-10
noch im DSM-IV wird es als eigenständige Störung aufgeführt. Dadurch erschwert sich in
der Praxis eine präzise Diagnose. Darüber hinaus lässt sich auch keine eindeutige Differenzialdiagnose durchführen, vor allem hinsichtlich der Abgrenzung zur Depression. Konsultiert
man die einschlägige Literatur, lässt sich zusammenfassend sagen, dass die Konstrukte Burnout und Depression gemeinsame Charakteristika aufweisen, jedoch nicht identisch sind. Es
wird vermutet, dass ein Burnout eine Entwicklungsphase der Depression ist, weil mit zunehmendem Schweregrad eines Burnouts das Risiko für das gleichzeitige Vorliegen einer Depression steigt. Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass ein Burnout nicht zwingend mit einer
Depression gleichzusetzen ist und daher in der Praxis unterschiedlich behandelt werden sollte. Trotzdem sind die Therapieangebote bei beiden Störungsbildern gleich, sieht man von den
individuellen Unterschieden der einzelnen Fallgeschichten ab. Da das Burnout-Konstrukt
selbst noch keinen Konsens in der Wissenschaft erlangen konnte, wird es auch schwierig, das
Phänomen von anderen abzugrenzen.
III
Literaturarbeit
1
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
Einleitung
Durch den sozialen Wandel verändern sich die Strukturformen unserer Gesellschaft kontinuierlich. Dies beeinflusst die sozialen Positionen, das soziale Milieu und die Lebensstile.
Gleichermassen gestaltet sich unsere Arbeitswelt um. Stellen werden gestrichen, der Leistungsdruck und die Qualifikationsanforderungen steigen. Immer mehr Arbeitskräfte sind
überfordert und gestresst, haben nicht genügend Freizeitausgleich und Erholung. Sie fühlen
sich „ausgebrannt“.
Bereits im Alten Testament lassen sich Eigenschaften von Burnout bei Elias, dem Propheten,
aufzeigen. Auch Goethe soll an einem Burnout gelitten haben. Shakespeare verwendete das
Verb „to burn out“ bereits Ende des 16. Jahrhundert. Literarische Romane wie „Die Buddenbrooks. Verfall einer Familie“ von Thomas Mann (1901) oder „ A Burn-Out Case“ von Graham Greene (1961) beschrieben dieses Phänomen in eindrucksvoller Weise anhand der jeweiligen Hauptfiguren (Burisch, 2010). Diese Beispiele verdeutlichen, dass Burnout keine Modediagnose ist. Zweifelsfrei haben die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen
eine negative Auswirkung auf unsere Psyche, doch entstand dieses Phänomen nicht in der
Postmoderne.
1974 erschien vom Psychoanalytiker Freudenberger die erste wissenschaftliche Publikation zu
diesem Thema. Er stellte fest, dass dieses Phänomen vor allem bei helfenden und sozialen
Berufen vorkam und nannte es „Burn-Out“. Der Grund für diese Störung war eine besonders
hohe Belastung, begleitet von einem übermässigen Engagement. Diese Faktoren führten letztendlich zu einer Erschöpfung. Danach folgte eine Flut von Publikationen, die bereits die
6‘000er Grenze überschritten hat (Rösing, 2011).
In der Zwischenzeit findet eine Ausweitung auf alle Berufe statt. Immer mehr Menschen wie
Prominente, Sportler oder Politiker sind davon betroffen. Am 13. Sept. 2012 schreibt die SVP
-Nationalrätin Natalie Rickli auf Facebook: „Burn out - nie hätte ich gedacht, dass mir das
passieren könnte.“ Dieses Beispiel zeigt die Brisanz dieses Themas auf. Burnout erfährt eine
weltweit mediale Aufmerksamkeit und ist mittlerweile das populärste Beschwerdebild geworden (Heim & Schulze, 2008). In unserer Leistungsgesellschaft hat das nicht nur medizinische,
sondern auch ökonomische Konsequenzen und sollte deshalb ernst genommen werden.
Bis heute fehlt jedoch eine einheitliche Definition für das Burnout-Syndrom. Weder in der
Internationalen Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) noch im Diagnostischen und Statistischen Manual Psychischer Störungen (DSM-IV) wird Burnout als eigenständiges Störungs1
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
bild aufgeführt. Somit bleibt diese Störung ein schwer abzugrenzendes Phänomen, unter anderem im Vergleich zur Depression. Dies kann zu Unsicherheiten im klinischen Alltag führen.
Gerade hier stellt sich oft die Frage, ob es sich um Burnout oder Depression handelt. Die richtige Diagnose zu stellen ist zentral, um anschliessend die geeignete Therapie anzuwenden.
Daraus lässt sich die spannende Frage ableiten, wie sich Burnout und Depression voneinander
abgrenzen. Wo liegen die Unterschiede hinsichtlich Symptomatik und Therapieform?
Die vorliegende Arbeit soll einen Einblick in das Störungsbild von Burnout und Depression
geben und deren Überschneidungen sowie Unterschiede näher aufzeigen. Als Erstes wird versucht, das Burnout-Syndrom zu definieren und die charakteristischen Symptome und Merkmale aufzuführen. Danach werden die Hintergründe der Depression vermittelt. Dabei wird
anhand der Internationalen Klassifikation psychischer Störungen gemäss WHO (Weltgesundheitsorganisation) die Depression definiert und ihre häufigsten Symptome dargestellt. In einem nächsten Schritt wird auf der Grundlage der Literatur diskutiert, inwiefern sich Burnout
und Depression unterscheiden. Im Fokus stehen hauptsächlich die Symptome, deren Verlauf
und die Diagnose. Im nächsten Abschnitt folgt ein Überblick über die Behandlungsmöglichkeiten von Burnout sowie Depression. Diese Therapieansätze werden schliesslich einander
gegenüber gestellt. Im weiteren Verlauf wird am Beispiel der Privatklinik Hohenegg die therapeutische Praxis illustriert. Im Fokus steht hier die unterschiedliche Handhabung dieser
zwei Störungen. Im Schlussteil werden die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst und
diskutiert.
2
Definition und Symptomatik von Burnout und
Depression
Das vorliegende Kapitel gibt einen Überblick über die Definition, die Symptomatik und den
Zusammenhang von Burnout und Depression. Das Unterkapitel Burnout zeigt die Vielfalt der
Definitionen, wie sie in der gegenwärtigen Burnout-Forschung anzutreffen sind, die Symptomatik sowie das gängigste Messinstrument von Burnout auf. Das nachfolgende Unterkapitel
gibt einen Einblick in die diagnostischen Kriterien einer Depression nach der ICD-10 sowie in
die unterschiedlichen Erscheinungsformen und die Symptomatik. Des Weiteren wird der Frage nach der Differenzialdiagnose der beiden Symptombilder nachgegangen und nach deren
Unterscheidung gesucht.
2
Literaturarbeit
2.1
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
Burnout
Aus dem Englischen übersetzt heisst „to burn out“ ausbrennen. Weitgehend fehlt eine einheitliche wissenschaftliche Definition. In der Literatur findet man eine Vielzahl von Definitionsversuchen, die jedoch bis dato nicht überzeugen konnten1 (Maslach, 1982b). Alle bisherigen
Versuche sind dabei entweder zu umfassend, zu spezifisch oder es sind Zustands- oder Prozessdefinitionen. Keiner der Autoren erhebt den Anspruch, dass die eigene Definition als Basis einer Burnout-Diagnostik oder für quantitative empirische Forschung dienen könnte. Burisch (2010) hat zur Kennzeichnung dieser Schwächen den Begriff der „randunscharfen Menge“ („fuzzy set“) vorgeschlagen, die der Aufgabe gleichkommt, die Grenzen einer grossen
Wolke beschreiben zu wollen.
Ein erster Schritt in Richtung einheitlicher Definition wurde im Jahr 2007 durch die Gründung des Vereins „Swiss Expert Network on Burnout“ (SEB) unternommen. Gründer des
Vereins ist eine Gruppe von Experten, die für die Schweiz eine allgemeingültige Definition
für Burnout formuliert hat. Sie lautet folgendermassen:
Burnout ist eine arbeitsbezogene Stressreaktion, die zu einem anhaltenden negativen Seelenzustand bei „normalen“ Individuen führt, die primär durch Erschöpfung gekennzeichnet ist,
begleitet von Unruhe und Anspannung („distress“), einem Gefühl reduzierter Effektivität, gesunkener Motivation und der Entwicklung von dysfunktionaler Einstellungen und Verhaltensweisen bei der Arbeit. Burnout ist auf der somatischen Ebene gekennzeichnet durch eine
Störung des neuroendokrinen Regulationsmechanismus, die sich in vegetativen Symptomen
äussern kann. Dieser psychische Zustand entwickelt sich allmählich und kann dem betroffenen
Menschen lange unbemerkt bleiben. Sie resultiert aus einer Fehlpassung von Arbeitsplatz und
Mitarbeiter in den sechs Bereichen: Arbeitsmenge, soziales Umfeld, Unterstützung, Werte,
Fairness und Kontrolle. Besteht ein Ungleichgewicht in einem oder mehreren dieser Bereiche,
reichen die Ressourcen des Individuums nicht mehr aus, um die Bedingungen am Arbeitsplatz
adäquat zu bewältigen. Durch ungünstige Bewältigungsstrategien, erhält sich das BurnoutSyndrom oft selbst aufrecht.
An dieser Definition fällt auf, dass sie bis zu einigen Ergänzungen identisch mit der Arbeitsdefinition von Schaufeli und Erzmann ist, die 1998 aus verschiedenen Ansätzen zusammengestellt wurde. Wie diese Autoren betonen, fasst die Arbeitsdefinition die allgemeine Symptomatik, die Voraussetzungen für die Entstehung von Burnout und der Bereich, auf den sich
der Begriff bezieht, zusammen. Für Burisch (2010) stellt die erwähnte Definition eine der
1
Für eine Zusammenstellung von Burnout-Definitionen von Rook (1998) siehe Rösing, 2011, S. 66-68.
3
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
umfassendsten dar, obwohl auch hier einige Vorbehalte gelten. Offen bleibt, ob das Kernsymptom der Erschöpfung für eine Diagnose ausreicht oder welche begleitenden Symptome
noch von Bedeutung sind.
Demzufolge wird die Symptomatik des Burnout-Syndroms in gleicher Weise vielfältig wie
unspezifisch angegeben, wie die vorherrschenden Definitionskriterien. Von Freudenberger
(1974) wird erstmals die Symptomatik von Burnout veröffentlicht. Nach ihm folgt eine umfangreiche Erweiterung der Symptome. Um das Ganze zu vereinheitlichen, stellte Burisch
(2010) aus der gesamten Burnout-Literatur alle erwähnten Symptome zusammen und kam auf
über 130 Symptome, die er in Ober- und Unterkategorien ordnete:
Tabelle 1: Burnout- Symptomatik nach Burisch (Kurzfassung)
1. Warnsymptome der Anfangsphase
a) Überhöhter Energieeinsatz
b) Erschöpfung
2. Reduziertes Engagement
a) für Klienten, Patienten etc.
b) für die anderen allgemein
c) für die Arbeit
d) erhöhte Ansprüche
3. Emotionale Reaktionen; Schuldzuweisung
a) Depression
b) Aggression
4. Abbau
a) der kognitiven Leistungsfähigkeit
b) der Motivation
c) der Kreativität
d) Entdifferenzierung
5. Verflachung
a) des emotionalen Lebens
b) des sozialen Lebens
c) des geistigen Lebens
6. Psychosomatische Reaktionen
7. Verzweiflung
Tabelle 1, gemäss Burisch (2010), S. 25f.
Die Tabelle 1 zeigt folgendes Gesamtbild: Der Beginn eines Burnouts entwickelt sich meistens schleichend und bildet sich oft über einen Zeitraum von Jahren. Am Anfang eines Burnout-Prozesses steht immer ein erhöhter Energieeinsatz. Dabei ist die Gefühlslage und nicht die
Arbeitsmenge zentral. Geschieht dieses Überengagement mit Lust und Liebe, dann resultiert
kein Burnout. War der Energieeinsatz jedoch zu hoch, lässt sich das anhand der Erschöpfungssymptome ablesen, wie z.B. Energiemangel, nicht abschalten können oder Unausge4
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
schlafenheit. Ein reduziertes emotionales, kognitives und verhaltensmässiges Engagement mit
Verlust von positiven Gefühlen gegenüber „Klienten oder Patienten“ macht sich zunehmend
breit, oft auch gegenüber anderen Menschen, wie Bekannten und Freunden („für andere allgemein“) und gegenüber der Arbeit selbst („für die Arbeit“). Wo früher freiwillig ein Übersoll
geleistet wurde, steht jetzt ein Rückzug im Vordergrund. Nun möchte man vor allem nehmen
„und wo das nicht geht, da nimmt man eben sich selbst zurück“ (ebd., S. 29). Das Gefühl
kommt auf, sich distanzieren zu wollen. Dabei kann sogar der Kontakt zur Familie leiden. Bei
wachsendem Druck kommt es zu emotionalen Reaktionen mit Schuldzuweisungen. Sieht der
Ausbrennende die Ursache seiner Probleme bei sich selbst, so reagiert er überwiegend depressiv. Gibt er die Schuld aber der Umwelt, stehen aggressive Ausbrüche im Vordergrund. Die
Reaktionsweisen treten wechselwirkend mit den Leistungsabfällen auf („Abbau der kognitiven Leistungsfähigkeit“), Motivation und Kreativität lassen nach und die Denkfähigkeit verflacht („Entdifferenzierung“). Es kommt zu einer generellen Verflachung des emotionalen,
sozialen und geistigen Lebens. Man ist an der Umwelt desinteressiert, was zu einem Teufelskreis führen kann. Psychosomatische Reaktionen zeigen sich parallel zu den Symptomen der
Anfangsphase wie Schlafstörungen, Schwächung des Immunsystems, Verspannungen und
Verdauungsbeschwerden. Essgewohnheiten können sich verändern. Der Genuss von Alkohol,
Tabak, Kaffee und/oder anderen Drogen nimmt zu. Die Endstufe des Burnout-Prozesses geht
mit „existentieller“ Verzweiflung einher, mit einem chronischen Gefühl der Hoffnungslosigkeit und Sinnlosigkeit bis hin zu Suizidgedanken, die teils auch ausgeführt werden (Burisch,
2010, S. 27-34).
Burisch (2010) betont, dass nicht zwingend alle Symptome vorhanden sein müssen, die Gliederung teilweise willkürlich erfolgt und dass die Reihenfolge nicht mit absoluter Gültigkeit
gemeint ist.
Wohlgemerkt stellt sich die Frage, wie man eine saubere Diagnose stellen kann. Angesichts
der Tatsache, dass ein einheitliches theoretisches Konzept für das Burnout-Syndrom fehlt,
existiert auch kein objektiver Parameter zur Diagnostik von Burnout. Gegenwärtig werden
lediglich Selbstbeurteilungsbögen eingesetzt. Der weltweit am häufigsten in Studien verwendete Fragebogen nennt sich Maslach Burnout Inventory (MBI) (Burisch, 2010; Rösing, 2011).
Maslach und Jackson (1986) heben 3 grundlegende Kernsymptome hervor:
1. Emotionale Erschöpfung
2. Depersonalisation/Zynismus
3. Reduzierte Leistungsfähigkeit/Ineffektivität
5
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
Aufgrund dieser Symptome leiten sie ihre Burnout-Definition ab: „Burnout ist ein Syndrom,
welches sich aus emotionaler Erschöpfung, Depersonalisation und reduzierter Leistungsfähigkeit zusammensetzt, das bei Individuen auftreten kann, die in irgendeiner Art und Weise mit
Menschen arbeiten.“ (ebd., S. 1). Die als Kernsymptom bezeichnete und am besten untersuchte Komponente ist die emotionale Erschöpfung. Sie bezieht sich auf das Gefühl, sowohl emotional als auch körperlich in Bezug auf sämtliche Ressourcen überfordert und entkräftet zu
sein. Die Betroffenen fühlen sich ausgelaugt. Depersonalisation beschreibt eine distanzierte,
kalte und gleichgültige Einstellung gegenüber den Patienten, Klienten und/oder der Arbeit.
Ein ausgeprägter Zynismus ist für diesen Aspekt des Burnouts sehr typisch. Sie ist ein Schutzfaktor in Folge zu hoher emotionaler Belastung. Maslach nennt als drittes Kernelement die
reduzierte Leistungsfähigkeit. Die Betroffenen fühlen sich ineffektiv, inkompetent und verlieren das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Das Gefühl des beruflichen Versagens hat eine
Einschränkung des Selbstwertgefühls und des Selbstvertrauens zur Folge (siehe letzte Fassung Maslach, Jackson & Leiter, 2001).
Eine erweiterte deutsche Fassung des MBI wurde von Büssing und Perrar (1992) erstellt, die
von Christina Maslach selbst autorisiert wurde. Im MBI-Manual wird betont, dass das MBI
weder als Diagnose noch als Indikator für eine Intervention verwendet werden soll. Trotzdem
liefert es Burnout-Cut-off-Werte, die anzeigen, ab welchem Score ein Mensch an schwerem,
mittlerem oder geringem Burnout leidet (Maslach, Jackson & Leiter, 1996). Das MBI ist somit kein diagnostisch gültiges Instrument für die medizinische Praxis, sondern ein Instrument
der Forschung, weil es keine validierte Norm für Cut-off-Werte gibt (Rösing, 2011).
Aus gutem Grund nehmen die beiden grossen medizinischen Klassifikationssysteme Burnout
nicht auf. Weder die aktuelle zehnte Auflage des International Statistical Classification of
Diseases and Related Health Problems (ICD-10) der Weltgesundheitsorganisation (WHO)
noch die jüngste (vierte) Ausgabe des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders
(DSM-IV) der American Psychiatric Assosiation (APA) führen Burnout als eigenständige
Diagnose auf. Lediglich die ICD-10 führt Burnout im Kapitel 21 mit der Überschrift „Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesen führen“ unter der Ziffer Z73 „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ als Faktor mit dem Diagnoseschlüssel Z73.0 „Ausgebranntsein, Burnout, Zustand der totalen Erschöpfung“ auf (WHO, 2011). Das Burnout-Syndrom hat damit einen
Krankheitswert, ist jedoch keine anerkannte somatische oder psychische Störung. Somit ist
Burnout beinahe alles und doch nichts, ein schwer zu fassendes und abzugrenzendes Phäno-
6
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
men, insbesondere zu Nachbarbegriffen wie der Depression (Burisch, 2010; Von Känel;
2008).
2.2
Depression
Depressionen gehören zu den weltweit schwerwiegendsten und häufigsten psychischen Störungen. Gemäss nationalen und internationalen Studien leiden jährlich schätzungsweise 2025% der Bevölkerung an einer diagnostizierbaren psychischen Störung. Darunter erkranken 57% der Betroffenen an einer Depression. Von der Kindheit bis ins hohe Alter kann diese Störung auftreten, wobei Frauen doppelt so häufig betroffen sind als Männer (Bundesamt für
Gesundheit, 2010). Im Jahr 2007 waren in der Schweiz 8% der Wohnbevölkerung mit der
Diagnose Depression in ärztlicher Behandlung. Somit ist die Depression die vierthäufigste
chronische Krankheit2 (Bundesamt für Statistik, 2007).
Depressives Leiden ist mit hohen psychischen, physischen, emotionalen und sozialen Beeinträchtigungen verbunden und verändert den ganzen Menschen in grundlegender Weise. Ohne
klinische Behandlung weist sie die Tendenz auf, zu rezidivieren oder einen chronischen Verlauf zu nehmen, der bis zum Suizid führen kann (Hell, 2012).
Depressionen können viele Ursachen und unterschiedliche Erscheinungsformen haben. Die
Ursachen reichen von genetischen, über psychologische Faktoren (negatives Selbstkonzept,
Pessimismus, Angst- und Zwangszustände usw.) bis hin zu psychischen Traumata. Daneben
können auch Substanzmissbrauch oder chronische Krankheiten (Stoffwechselstörungen,
Schmerzen; HIV usw.) eine Depression auslösen. Deshalb nennt man sie auch die Störung mit
den vielen Gesichtern (ebd.).
Der Begriff Depression leitet sich vom Lateinischen „deprimere“ ab und bedeutet „herunteroder niederdrücken“. Die umgangssprachliche Verwendung des Begriffs „depressiv“ hat
nichts mit der Depression im klinischen Sinne zu tun. Verbindliche Kriterien, ab wann eine
psychische Beeinträchtigung als Störung zu bezeichnen und ernst zu nehmen ist, gibt die
ICD-10 und das DSM-IV vor. Die Klassifizierung wird rein deskriptiv anhand der Symptomatik unter Berücksichtigung der Anamnese und deren Schweregrad, Dauer, Verlauf und Frequenz gestellt (ebd.).
Die WHO (2011) klassifiziert die Depression wie die Manie als affektive Störungen (Kapitel
V, F3). Affektive Störungen gehen mit einer Veränderung des Affekts, also der Stimmungs-
2
In der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe Störung und Erkrankung/Krankheit synonym verwendet.
7
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
und Gemütslage einher. In der ICD-10 wird die Depression als depressive Episode (F32) bezeichnet, die seit mindestens zwei Wochen andauert. Zusätzlich zu den Hauptsymptomen sollte mindestens ein Zusatzsymptom vorliegen. Tabelle 2 illustriert die Kriterien einer Diagnose
mit den häufigsten Symptomen einer Depression:
Tabelle 2: Depression nach den Kriterien des ICD-10
Die depressive Episode sollte mindestens zwei Wochen dauern und mindestens zwei der folgenden drei Hauptsymptome liegen vor:
1. Depressive Stimmung
2. Interessen- oder Freudeverlust an Aktivitäten
3. Verminderter Antrieb oder gesteigerte Ermüdbarkeit
Zusatzsymptome:
1. Verlust des Selbstvertrauens oder des Selbstwertgefühles
2. Ausgeprägte, unangemessene Selbstvorwürfe oder Schuldgefühle
3. Suizidgedanken oder suizidales Verhalten
4. Verminderte Denk- oder Konzentrationsvermögens, Unschlüssigkeit oder Unentschlossenheit
5. Schlafstörungen jeder Art
6. Appetitsverlust oder gesteigerter Appetit
Tabelle 2, gemäss WHO (2011), S.111.
Die depressive Episode wird aufgrund ihres Schweregrades unterteilt. Eine leichte depressive
Episode (F32.0) sollte mindestens zwei der Hauptsymptome sowie eines oder mehrere Zusatzsymptome bis zu einer Gesamtzahl aus Haupt- und Zusatzsymptomen von mindestens vier
oder fünf aufweisen. Normalerweise ist der betroffene Patient von den Symptomen beeinträchtigt, kann aber die meisten Aktivitäten fortsetzen. Bei einer mittelgradigen depressiven
Episode (F32.1) sind mindestens zwei der drei Hauptsymptome festzustellen. Zusammen mit
den Zusatzsymptomen zeigen sich gesamthaft mindestens sechs oder sieben Symptome. Die
gewohnten sozialen, häuslichen und beruflichen Aktivitäten sind nur unter grosser Anstrengung zu bewältigen. Eine schwere depressive Episode (F32.2/3) liegt vor, wenn alle drei
Hauptsymptome und mindestens fünf Zusatzsymptome vorhanden sind. Die beruflichen und
privaten Anforderungen können nicht mehr ausgeführt werden. Eine klinische Behandlung ist
notwendig. Alle Diagnosen setzen voraus, dass zusätzlich die allgemeinen Kriterien für eine
depressive Episode erfüllt sind (Hansch, 2011; WHO, 2011).
8
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
Weiter unterteilt die WHO eine Depression aufgrund ihres Verlaufes. Sind die depressiven
Episoden durch einen Wechsel zu einer manischen Episode gekennzeichnet, spricht man von
einer bipolaren affektiven Störung (F31). Wiederholt sich eine depressive Episode, dann nennt
man sie rezidivierende depressive Störung (F33). Konstant wiederkehrende Episoden von
Depression und Manie (Zyklothymia) oder nur Depression (Dysthymia), die über einen längeren Zeitraum auftreten, werden der Kategorie anhaltende affektive Störung (F34) zugeteilt
(WHO, 2011).
In der Regel ist eine Depression so individuell und vielfältig wie der Mensch selbst. Dies widerspiegelt sich auch in der Praxis. Im Zentrum jeder Depression steht die depressive Verstimmung. Einige Patienten berichten von Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit und
Verzweiflung. Wieder andere betonen eine emotionale Verflachung, die sich in Interessensverlust und Freudlosigkeit niederschlägt. Die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit verringert sich, wobei sich die Erschöpfbarkeit rasch erhöht. Manche berichten zusätzlich über
Angstzustände, die sich auf den kommenden Tag oder die Zukunft richten. Das Selbst leidet
darunter und häufig treten unangemessene Schuldgefühle auf. Typische körperliche Symptome wie Schlafstörungen, Appetit- und Gewichtsstörung treten zusätzlich hinzu. Diese werden
von den Patienten in den Vordergrund gestellt, so dass die eigentliche depressive Störung
nicht erkannt wird. Durch das depressive Leiden wird meistens die gesamte Lebensführung
beeinträchtigt, alltägliche Aufgaben werden nur mühsam erledigt, man fühlt sich antriebslos.
Dabei ziehen sich viele Betroffene sozial zurück und nicht selten kommen Suizidgedanken
auf, die auch vollzogen werden (Behrends-Krahnen, 2011; Hansch, 2011).
2.3
Vergleich
Vergleicht man die Burnout-Symptomatik von Burisch und die Symptome der Depression,
fällt auf, dass viele Gemeinsamkeiten bestehen, wie Energiemangel, Schuldgefühle, Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen, Verlust des Selbstwertgefühls und vieles mehr. Selbst
Schaufeli & Erzmann (1998) und Burisch (2010) kritisieren die Symptomliste von Burnout,
da beinahe alle Symptome aufgeführt werden und durch ein solch breites Konzept jegliche
Bedeutung verloren ginge. So verwundert es nicht, dass Burnout und Depression gleichgesetzt
werden. In der Literatur wird kontrovers über dieses Thema diskutiert. Verschiedene Ansichten und Erklärungsansätze werden angeboten. Zu einem Konsens ist man jedoch bis heute
nicht gekommen.
9
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
Viele Wissenschaftler und Mediziner benutzen das Indiz der Arbeit, um eine Abgrenzung
vorzunehmen. Burnout manifestiert sich durch die Erschöpfungssymptomatik im Berufsleben
und steht im Zusammenhang mit Arbeitsbelastung. Die Störung kann negativ ins Privatleben
übergehen. Dies ist jedoch nicht zwingend. Wird der Zusammenhang von Burnout und sozialer Unterstützung untersucht, kommt man sogar zu dem Schluss, dass soziale Unterstützung
einen Puffer gegen das Ausbrennen darstellen kann (vgl. Rösing, 2011, S. 82f.). Demnach gilt
Burnout generell als arbeitsbezogen, während Depression unabhängig vom Kontext entstehen
kann, also allumfassend ist. Depressive können einen Energieverlust sowohl im Beruf, wie
auch in der arbeitsfreien Zeit erleben (Glass et al., 1993; Heim & Schulze, 2008; Maslach et
al., 2001).
Eine Studie, die diese Annahme bestätigt, ist diejenige von Bakker et al. (2000). Die Autoren
wenden die equity-Theorie3 an, die besagt, dass Menschen nach Reziprozität in interpersonellen Beziehungen streben und eine wahrgenommene Ungleichheit zu Unbehagen und Stress
führt. Um die Trennbarkeit/Unterscheidung der beiden Konzepte zu untersuchen, befragten
die Autoren Lehrer über die wahrgenommene Reziprozität in zwei unterschiedlichen Bereichen. Dabei stellten sie fest, dass das Fehlen einer wahrgenommenen Reziprozität im Privatleben mit Depression, jedoch nicht mit Burnout zusammenhängt. Bestand ein wahrgenommenes Ungleichgewicht in der Beziehung mit einem Schüler, hängte dies mit Burnout und lediglich indirekt mit Depression zusammen. Diese Ergebnisse bestätigen ihre Hypothese, dass
Burnout arbeitsbezogen, während Depression jedoch kontextfrei ist.
Gemäss Brühlmann (2010) steht hier ein Ringen um ein Spezifikum im Vordergrund als eine
adäquate Abgrenzung. Burisch (2010) schränkt Burnout nicht auf die Arbeit ein. Er weist darauf hin, dass auch ausserhalb des Arbeitskontextes Burnout entstehen kann. Mittlerweile ist
auch im Privatleben bei (Ehe-)Partnern, Eltern oder auch bei Arbeitslosen das Burnout- Syndrom beobachtet worden (vgl. Burisch, 2010, S. 21-24).
Die deskriptive Diagnostik hilft nur ungenügend zur Unterscheidung. Schwierigkeiten treten
auch deshalb auf, weil Burnout keine offizielle Diagnose darstellt. Das Kernsymptom Erschöpfung beim Burnout ist ebenfalls ein Hauptsymptom depressiver Episoden (niedergeschlagene, gedrückte Stimmung, Freudlosigkeit, Interessensverlust, Antriebsminderung). Erschöpfung ist bei einer Depression häufig anzutreffen. Oft ist auch von „Erschöpfungsdepression“ die Rede. Die offiziellen Diagnosemanuale ICD-10 und DSM-IV führen diesen Begriff
jedoch nicht auf. Demzufolge ist die Erschöpfung für die Depression nicht universal, während
sie bei Burnout eine zentrale Bedeutung einnimmt (Kapfhammer, 2012; Von Känel, 2008).
3
Auch bekannt als Gleichgewichtstheorie oder Reziprozitäts-Theorie
10
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
Mit der klinischen Frage „Was würden Sie tun, wenn Sie nicht derart erschöpft wären?“ versucht man die Burnout-Erschöpfung von der depressiven Erschöpfung zu unterscheiden.
Burnout-Patienten antworten mit verschiedenen Ideen, Depressive nicht (Von Känel, 2008).
Nach Brühlmann (2010) werden durch diese Frage zwei Gruppen geschaffen, die eher den
Schweregrad der Störung und die Anpassungsbereitschaft im Explorationsgespräch darstellen,
als eine tatsächliche Trennung.
Der Hinweis, dass es sich beim Burnout um ein dreidimensionales Syndrom handelt (vgl. S.
5f.), ist ein ausschlaggebender Unterschied zwischen Depressiven und Ausgebrannten. Eine
Metaanalyse von Glass und McKnight (1996) zeigt, dass die Symptomatik von Burnout und
Depression eine gewisse gemeinsame Varianz aufweist. Forscher finden immer wieder eine
hohe Korrelation zwischen der Komponente „emotionale Erschöpfung“ und Depression. Die
Komponenten „Depersonalisation“ und „reduzierte Leistungsfähigkeit“ hängen mit Depression nicht zusammen. Zusammenfassend kommen die Autoren zu dem Schluss, dass Burnout
nicht einfach ein anderer Name für eine berufsbezogene Depression ist. Es handelt sich nicht
um zwei Begriffe, die den gleichen dysphorischen Zustand beschreiben, sondern lediglich um
eine Überlappung.
Die Konstruktvalidität des Burnout-Syndroms gegenüber Depression wurde in mehreren Studien untersucht und bestätigt. Somit ist die diskriminante Validität der jeweiligen Messinstrumente gegeben. Einigkeit besteht darin, dass es sich bei Burnout und Depression um zwei
eigenständige Konstrukte handelt (vgl. Bakker et al., 2000; Glass et al., 1993; Leiter & Durup,
1994; Maslach et al., 2001; Reime & Steiner, 2001).
Persönlichkeitsmerkmale werden auch zur Unterscheidung herangezogen. Brenninkmeyer et
al. (2001) versuchten anhand des Merkmals „Überlegenheit“ den Unterschied zwischen Burnout und Depression aufzuzeigen. Die Annahme, dass Menschen mit einem stark ausgeprägten
Burnout und geringem Gefühl von Überlegenheit vermehrt depressive Symptome aufweisen,
wurde durch die Ergebnisse bestätigt. Zudem korrelierte ein geringes Gefühl von Überlegenheit mit Depression, nicht aber mit Burnout. Folglich sind Burnout und Depression verwandte
Konstrukte, gewiss aber keine „eineiige Zwillinge“.
Die wohl bedeutendste Studie zu diesem Thema ist die finnische „Health 2000 Study“. Ahola
et al. (2005) fanden eine enge Assoziation zwischen berufsbezogenem Burnout und depressiver Störung. Die national repräsentative Stichprobe zeigte, dass 53% der Probanden mit
schwerem Burnout und 20% mit mildem Burnout gleichzeitig Symptome einer klinisch relevanten Depression aufwiesen, während jene ohne Burnout zu 7% an einer depressiven Störung litten. Offensichtlich steigt mit zunehmenden Schweregrad eines Burnouts das Risiko, an
11
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
einer Depression zu leiden. Ausserdem wird deutlich, dass es sich nicht um identische Konzepte handelt, da Burnout nicht zwingend mit einer depressiven Störung einhergeht. Die Hypothese, dass Burnout eine Phase in der Entwicklung einer Depression darstellt, wird durch
diese Befunde unterstützt und wird auch weitgehend von anderen Studien bezeugt (vgl. Bakker et al., 2000; Glass et al., 1993; Iacovides et al., 2003; Leiter & Durup, 1994). Die Autoren
weisen darauf hin, Burnout-Patienten nicht mit depressiven Patienten gleichzusetzen. Im klinischen Alltag sollte man immer beide Störungsbilder erfassen, um eine entsprechend notwendige Therapie einzuleiten (Ahola et al., 2005).
3
Therapieformen von Burnout und Depression
Im folgenden Kapitel wird das breite Therapieangebot von Burnout mit seinen Akzentuierungen und anschliessend die Behandlungsmöglichkeiten der Depression erläutert. Bei der Behandlung von Depression wird vorwiegend die evidenzbasierte S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie „ Unipolare Depression“ berücksichtigt. Diese wurde Ende 2009 von der
„Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde“ (DGPPN)
und anderen Vereinen publiziert. Danach folgt ein Vergleich der Therapieformen der beiden
Störungsbilder.
3.1
Burnout-Therapien
Aus empirischer Sicht ist zur Therapie eines Burnouts nicht viel bekannt. Es gibt wenige Studien, die systematisch die verschiedenen Behandlungen in ihrer Wirksamkeit, Stabilität und
Dauer miteinander vergleichen. Das Spektrum der Verfahren ist so breit gefächert, dass man
nahezu alle möglichen psychosozialen Interventionen findet, welche die westliche Kultur anbietet (Burisch, 2010; Rösing, 2011).
Der Aufbau einer neuen inneren und äusseren Work-Life-Balance ist in der Burnout-Therapie
ein zentrales Anliegen (Behrends-Krahnen, 2011; Brühlmann, 2010). Ab Beginn der Therapie
ist die berufliche Rehabilitation ein zentrales Thema. Schrittweise sollte die Erhaltung oder
Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit vorangetrieben werden. In erster Linie steht eine ausführliche Abklärung der aktuellen Umstände im Vordergrund. Dies beinhaltet eine genaue
Anamnese der Beschwerden, eine ärztliche Untersuchung und eine umfassende Analyse der
12
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
beruflichen, privaten sowie persönlichen Situation und Einstellung. Die sozialen Aspekte
werden mitberücksichtigt. Je nach Schweregrad und Dauer der Symptomatik, wie auch der
zugrunde liegenden psychiatrischen, psychosomatischen oder somatischen Beschwerden sollten unterschiedliche Massnahmen vorgeschlagen werden (Heim & Schulze, 2008; Kapfhammer, 2012).
Im Wesentlichen kann man die unüberschaubare Anzahl der Therapiestrategien grob in institutionelle Ansätze auf der einen Seite und individuelle Ansätze auf der anderen Seite einteilen.
Entscheidend für die Bewältigung von Burnout ist die Kombination der beiden Ansätze
(Maslach et al. 2001).
Die institutionellen Ansätze sind im weitesten Sinn Interventionen in der Organisation und am
Arbeitsplatz. Die Techniken des Stress-Management beziehen sich überwiegend auf die von
der Organisationspsychologie entwickelten Verfahren. Diese beinhalten das gesamte Spektrum der Möglichkeiten der Arbeitsplatz- und Arbeitsablaufgestaltung, des ManagementTrainings und der Organisationsentwicklung (Rösing, 2011). Konkret wäre z.B. die Durchführung von Supervisionen oder die Einführung von Arbeitszeitmodellen zu berücksichtigen
(Korczak et al., 2010). Hierzu sollten die Stressoren am Arbeitsplatz mit dem Patienten analysiert und Gespräche mit dem Vorgesetzten und evtl. der Personalabteilung rechtzeitig in Erwägung gezogen werden (Schulze & Heim, 2008; Von Känel, 2008).
Die individuelle Ebene setzt beim ausgebrannten Patienten an. Die Ansätze sind nicht Burnout-spezifisch und prinzipiell multimodal ausgerichtet. Die Interventionen zielen auf die Wiederherstellung der allgemeinen Funktionen ab, wie die Wahrnehmung, Gedanken, Gefühle
und das Verhalten des Patienten (Von Känel, 2008), sowie die individuelle Stressbewältigung
am Arbeitsplatz. Die meist verwendeten therapeutischen Interventionen sind kognitivverhaltenstherapeutische Ansätze, Selbst- und Stressmanagement, auf der Basis von Coaching
und Training, angereichert durch Entspannungstechniken wie Atem- oder Maltherapie, Meditation oder Yoga. Weiter werden Psychoedukation, Bewegung (Bergwandern, Schwimmen),
Biofeedback und Psychotherapie im Einzel- und/oder Gruppensetting angewendet. Bei den
Psychotherapie-Methoden überwiegen die kassenfähigen „Richtlinien-Verfahren“. In einigen
Fällen werden zur Unterstützung auch Medikamente, wie Antidepressiva, eigesetzt (Burisch,
2010; Rösing, 2011).
Aufgrund der komplexen, als dreidimensional definierten Struktur von Burnout kann eine
einzelne Therapie nicht den Königsweg darstellen. Diese Therapie sollte gleichzeitig sowohl
emotionale Erschöpfung, Depersonalisation als auch reduzierte Leistungsfähigkeit wirkungs-
13
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
voll behandeln, was unmöglich erscheint. Deshalb ist eine Kombination von verschiedenen
Verfahren am effektivsten (Rösing, 2011).
3.2
Behandlung von Depression
Depression ist heilbar und kann im Allgemeinen gut behandelt werden. Die allgemeinen Behandlungsziele zielen darauf ab, die Symptome der depressiven Störung zu lindern, um eine
letztlich vollständige Remission zu erzielen, die Suizidalität zu verringern, die berufliche und
psychosoziale Leistungsfähigkeit wiederherzustellen und das seelische Gleichgewicht wieder
zu erlangen. Die Wahl der geeigneten Therapie richtet sich nach klinischen Faktoren, wie dem
Schweregrad depressiver Symptomatik, dem Erkrankungsverlauf und den Wünschen der Patienten. Eine ausführliche Anamnese ist notwendig, um weitere Erkrankungen auszuschliessen.
Angesichts der unterschiedlichen Depressionsformen wird ein differenziertes Repertoire von
Behandlungsformen und –strategien angeboten. Zu den vier primären Behandlungsstrategien
gehören die aktiv-abwartende Begleitung („watchful waiting“), die psychopharmakologische
Methode, die psychotherapeutische Behandlung und die Kombinationstherapie. Zur Ergänzung werden auch z.B. Elektrokrampftherapie, Lichttherapie oder Wachtherapie, Sport- und
Bewegungstherapie bzw. Ergotherapie angeboten (DGPPN et al., 2009).
Die Mehrheit der depressiven Patienten wird von Hausärzten behandelt. Dabei werden bei
43,7% der Fälle ausschliesslich Antidepressiva verschrieben. Eine kombinierte Therapie mit
Antidepressiva und Psychotherapie erfolgt bei knapp einem Viertel (22,6%) und lediglich
8,5% erhalten eine reine Psychotherapie. Ambulante Behandlungen, finden häufiger statt als
stationäre Behandlungen (Schuler & Burla, 2012). Vor allem leichte bis mittelschwere Depressionen werden ambulant behandelt. Suizidal Gefährdete oder Fremdgefährdete, sozial
stark Belastete sowie Patient mit akuten schweren Depressionen benötigen jedoch eine stationäre Behandlung (DGPPN et al., 2009).
Bei einer leichten depressiven Episode kann mit der aktiven Behandlung abgewartet werden,
wenn man davon ausgeht, dass sich die Symptomatik von selbst zurückbildet. Falls nach zwei
Wochen keine Verbesserung festzustellen ist, sollte eine spezifische Therapie eingeleitet werden, wobei vom Einsatz von Antidepressiva abgeraten wird (ebd.).
Psychopharmakologische Behandlungen zeigen unterschiedliche Wirkung. Bei einer leichten
Depression wurde die Wirkung von Antidepressiva statistisch nicht nachgewiesen, da keine
Unterschiede zwischen Placebo und Antidepressiva zu finden sind. Somit profitieren sehr
wenige Patienten von einer solchen Behandlung. Insbesondere bei mittelgradigen und schwe14
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
ren depressiven Episoden wird eine Behandlung mit Antidepressiva indiziert. Der Wirkunterschied zwischen Antidepressiva und Placebo ist in dieser Gruppe ausgeprägter. Bei schwersten Formen profitieren diejenigen mit einer medikamentösen Behandlung bis zu 30% mehr
(ebd.).
Alle zugelassenen chemischen Antidepressiva besitzen eine ähnliche antidepressive Wirkung,
wie depressionsaufhellend, antriebssteigernd und angstlösend. Sie unterscheiden sich jedoch
bezüglich der Nebenwirkungs- und Interaktionsprofils. Darüber hinaus gibt es andere Substanzgruppen, z.B. die Phytopharmaka (Johanniskraut). Bei Beginn jeder medikamentösen
Behandlung sollte der Patient über die möglichen Nebenwirkungen sowie Sucht-, Toleranzentwicklung und Persönlichkeitsveränderung informiert werden. (DGPPN et al., 2009; Hell,
2012).
Ihre Wirkung in der Behandlung Depressiver wurde mehrfach verifiziert. Dabei zählt auch die
Qualität der therapeutischen Beziehung als entscheidender Faktor für den Therapieerfolg.
Diese Verfahren haben sich in der Praxis bewährt und es findet eine zunehmende Verbreitung
statt. Sowohl im ambulanten, teilstationären und stationären Bereich hat sich die Psychotherapie etabliert (DGPPN et al., 2009; Küchenhoff, 2012).
Vor allem psychoanalytische, interpersonelle und tiefenpsychologische Therapien sowie die
kognitive Verhaltenstherapie kommen vermehrt zur Anwendung. Seltener werden auch Paarund Familientherapie angeboten, da eine Depression in Zusammenhang mit partnerschaftlichen und familiären Konflikten auftreten kann oder dadurch erst entstanden ist (Hell, 2012).
Eine wichtige Rolle spielen die psychotherapeutischen Ansätze, wenn es sich um eine leichte
bis mittelschwere Depressionsform handelt. Bei akuten schweren Depressionen sollte eine
Kombinationsbehandlung mit Psychotherapie und psychopharmakologischer Therapie angeboten werden, wobei die beiden Therapien als gleichwertig angesehen werden. Denn die Psychotherapie hat nicht nur einen Einfluss auf die Stabilität des Behandlungserfolges, sondern
dient auch zur Prävention von Rückfällen, da depressive Störungen häufig rezidivieren.
3.3
Vergleich
Bei der Symptomliste von Burnout fällt auf, dass sie aus verschiedenen Störungsbilder stammen, dazu gehört die Anpassungsstörung, die Angststörung, das Müdigkeitssyndrom und vor
allem die Depression (Burisch, 2010; Rösing, 2011). Dementsprechend gibt es auch keine
Interventionen, die Burnout-spezifisch sind. Aus unterschiedlichen Therapierichtungen kom15
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
men methodische Elemente zum Einsatz. Deshalb kommen viele Therapien der Depression
auch bei einer Burnout-Behandlung vor. Die medikamentöse Therapie beim Burnout unterscheidet sich in keiner Weise vom Depressionsstandard. Auch die Psychotherapie differenziert sich inhaltlich und methodisch nicht von derjenigen einer Burnout- Behandlung (Brühlmann, 2010). Stressmanagement, Biofeedback, Bewegungstherapie oder jegliche Entspannungstherapien wie Meditation, Yoga oder Tai Chi kommen bei beiden Syndromen zum Einsatz.
Die allgemeinen Behandlungsziele der Depression entsprechen auch denjenigen des Burnouts:
die Symptome lindern, Suizidalität verringern, berufliche und psychosoziale Leistungsfähigkeit wiederherstellen und das seelische Gleichgewicht wieder erlangen. Bei der Therapie von
Burnout gibt es jedoch andere Akzentuierungen, nämlich das Stressmanagement und der Aufbau einer neuen inneren und äusseren Lebensbalance (Work-Life-Balance) (Brühlmann,
2010).
Bei der empirischen Evidenz des Therapieerfolges lassen sich gewaltige Unterschiede erkennen. Die Therapien der Depression wurden empirisch untersucht und haben sich als wirksam
erwiesen, bei Burnout-Therapien ist empirisch allerdings wenig bekannt. Evaluationsstudien
über die Effektivität sind nach wie vor selten (Schaufeli & Erzmann, 1998). Somit lässt sich
bei einer durchgeführten Behandlung depressiver Störungen eine hohe Erfolgsrate aufweisen,
während bei einer Burnout-Therapie eine solche Aussage nicht zulässig ist.
Die Burnout-Therapie ist individuell ausgerichtet, wie das Burnout selbst. Wichtig ist, dass
andere Störungen ausgeschlossen werden, da mit zunehmender Dauer und Schweregrad eines
Burnouts das Risiko einer depressiven Störung steigt. Sollte sich bei der Diagnose eine depressive Störung herausstellen, sollte man sie nicht als Burnout etikettieren. Nur durch eine
richtige Diagnose kann man eine zielgerichtete Therapie einleiten, die schlussendlich zur Genesung führt (Kapfhammer, 2012). Bleibt eine professionelle, spezifische Therapie aus, die
den Kern der Erkrankung und die damit verbundenen Ursachen behandelt, verstärken sich die
Beschwerden und es kann zu einer Chronifizierung der Störung kommen (Heim & Schulze,
2008).
Wie geht man im klinischen Alltag mit Depression und Burnout um? Welche Therapieansätze
werden angewandt? Diese Fragen behandelt das nächste Kapitel, worin am Beispiel der Privatklinik Hohenegg die konkrete Handhabung bei Burnout und Depression aufgezeigt wird.
16
Literaturarbeit
4
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
Privatklinik Hohenegg
Die Privatklinik Hohenegg besteht bereits seit 1912. Sie ist eine Spezialklinik für Psychiatrie,
Psychotherapie und Psychosomatik und liegt in Meilen am Zürichsee. Das medizinische Angebot bietet eine intensive stationäre Behandlung für Privat- und Halbprivat-Versicherte.
Seit 2007 gehört die Privatklinik zu „The Swiss Leading Hospitals“. Sie sind eine Vereinigung der besten Privatspitäler der Schweiz aus den Bereichen Akutmedizin, Rehabilitation
und Psychiatrie. Diese Privatkliniken und Spitäler zeichnen sich durch überdurchschnittliche
Qualität im medizinischen, pflegerischen und infrastrukturellen Bereich aus (Denzler, 2007).
4.1
Ein Vergleich in der Praxis
Die Klinik besitzt drei verschiedene Kompetenzzentren. Die „Depression und Angst“ geleitet
von Prof. Dr. med. Daniel Hell, das Zentrum „Burnout und Lebenskrise“ geführt durch Dr.
med. Toni Brühlmann und die „Psychosomatik“ mit Prof. Dr. med. Stefan Büchi. Weitere
Behandlungsschwerpunkte sind Zwänge, Posttraumatische Störung und Substanzenabhängigkeit. Die Therapieangebote umfassen die Psychotherapie, die Pharmakotherapie und die Spezialtherapien. Zu den Spezialtherapien gehören die Bewegungs-, Entspannungs-, Ergo-, Mal-,
Reit- und Physiotherapie sowie Achtsamkeitsmediation, Ernährungsberatung, Qi Gong, Shiatsu und verschiedene Sportaktivitäten.
4.1.1 Burnout in der Privatklinik Hohenegg
In der Behandlung von Burnout-Patienten verfügt die Privatklinik Hohenegg über viel Erfahrung. In den letzten sechs Jahren beobachteten sie eine Zunahme des Erschöpfungssyndroms.
Genaue Zahlen liegen nicht vor, da Burnout keine psychische Störung nach ICD-10 ist und
die Diagnose daher nicht statistisch erfasst wird. Die Teilnehmerliste bei den BurnoutGruppentherapien zeigt jedoch, dass die Teilnehmerzahl zwischen 2006 und 2011 um 30%
stieg (Apfel, 2012).
Gemäss Brühlmann ist Burnout „eine moderne Form von Lebenskrise, ein Ausgebrannt sein,
vor allem im Beruf, aber auch in Beziehungen oder in Bezug auf den Lebenssinn. Wenn es
eine gewisse Stärke und Zeitdauer erreicht, wird Burnout zu einer psychischen Krankheit“
17
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
(Brühlmann, 2006, S. 2). Somit ist für Brühlmann Burnout keine psychiatrische Krankheit,
sondern vielmehr deren Ursache und Entstehungsweise. Wenn die Beschwerden einer Burnout-Krise das Ausmass einer Krankheit annimmt, kann sie sich in alle Richtungen von psychischen Störungen entwickeln. Am häufigsten in die Form einer Depression (typischerweise
eine Erschöpfungsdepression), aber auch andere Störungsbilder wie Anpassungsstörungen,
Angststörungen, somatoforme Störungen oder Suchtprobleme treten auf (Privatklinik Hohenegg, 2010).
Die Warnzeichen von Burnout sind Überengagement, gefolgt von Müdigkeit, einer chronisch
gereizten Stimmung, was schlussendlich zu Selbstentfremdung führt. Chronifiziert sich das
Burnout-Syndrom, treten Konzentrationsmangel, Vergesslichkeit oder abnehmende Leistungsfähigkeit, sowie Persönlichkeitsverflachung mit emotionaler Leblosigkeit und sozialem
Rückzug auf (Brühlmann, 2006).
Die Burnout-Therapie in der Privatklinik verfolgt zwei Ziele: Einerseits die Verbesserung der
äusseren und andererseits die der inneren Lebensbalance. Bei der äusseren Lebensbalance
versucht man die einseitig gewordene Lebensführung konkret und praktisch zu erweitern. Bei
der inneren Lebensführung sollte das Repertoire an verfügbaren Grundhaltungen durch die
Management-, Lebens- und Verantwortungshaltung vergrössert werden. Diese Haltungen
werden in Gruppentherapien, im Seminar Lebensqualität, gefördert. Die körperorientierten
Ansätze haben ein grosses präventives Potential (Körperwahrnehmung, Entspannung, Sport).
Besteht ein Arbeitsproblem, bezieht die Klinik bei Bedarf den Arbeitgeber mit ein und unterstützt ein Coaching (Privatklinik Hohenegg, 2010).
Bei der Behandlung von Burnout steht die Psychotherapie im Vordergrund. Zuerst sollte der
Patient sein aktuelles Befinden als Burnout akzeptieren. Anschliessend wird nach der Ursache
geforscht. Dabei werden konkrete Veränderungen erarbeitet, um eine neue ausgleichende Balance aufzubauen. Dabei soll sich der Betroffene einer tiefgehenden Reflexion über Lebensstil
und Lebenssinn unterziehen. Eine Pharmakotherapie, in erster Linie Antidepressiva, wird häufig als Ergänzung indiziert (Brühlmann, 2006).
In der Privatklinik wird immer ein individuelles Behandlungsprogramm zusammengestellt.
Bei Burnout-Patienten umfasst es folgende Elemente: „Drei Psychotherapiegespräche pro
Woche, allenfalls unter Einbezug der Angehörigen; zwei spezifische Gruppentherapien zu den
Themen Burnout und Lebensqualität; eine Entspannungsgruppe (Jacobson oder autogenes
Training); körperorientierte Therapien (Bewegungstherapie, Entspannungsmassagen, Sportaktivitäten); kreative Therapien (Ergo- und Maltherapie)“ (Brühlmann, 2006, S. 3).
18
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
4.1.2 Depression in der Privatklinik Hohenegg
Die Diagnose Depression wird in der Klinik am meisten gestellt. 2005 notierte die Privatklinik 47.1% F3 -Diagnosen. 2006 waren es bereits 60% F3-Diagnosen, wobei die immer zahlreicheren Burnout-Syndrome auch darunter fallen (Brühlmann, 2007).
Die Depressionsbehandlung in der Privatklinik basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Die spezifischen Therapieakzente bei der Depression liegen in der „positiven empathischen
Beziehung und Coping“ und in der „Ich-Stützung, Ressourcenaktivierung“. Die Behandlung
der „positiven empathischen Beziehung und Coping“ geht von der aktuellen Notlage des Patienten aus und berücksichtigt die störungsbedingte Situation, in der sich der Hilfesuchende
befindet. Dabei wird günstiges anstatt dysfunktionales Coping gefördert. Grossen Wert wird
der „Ich-Stützung, Ressourcenakzentuierung“ zugeschrieben, weil Depressive oft ein besonders hohes Kontroll- und Beziehungsbedürfnis haben. Die Therapie sollte diese Bedürfnisse
beachten und damit gleichzeitig das Wohlbefinden und die Selbstakzeptanz fördern (Privatklinik Hohenegg, 2010).
Konkret bietet die Klinik „das psychotherapeutische Durcharbeiten vergangener traumatischer
Erlebnisse, die Analyse aktueller Belastungen und Konflikte, das Erarbeiten eines neuen
Blickwinkels hinsichtlich der aktuellen Lebenssituation und das Vermitteln einer neutralen
Aussensicht bezüglich dysfunktionaler Persönlichkeitszüge“ an (Krek, 2007, S. 5).
Nach ICD-10-Kriterien wird je nach Schweregrad der Symptome und der Beeinträchtigung
der Patienten durch die Symptome das Therapieprogramm individuell zusammengestellt. Als
Angebot bestehen spezifische psychotherapeutische Techniken (psychodynamisch, kognitivverhaltenstherapeutisch oder interpersonell), Gruppentherapie sowie biologische Behandlungen. Wenn nötig wird hierbei auch das soziale Umfeld einbezogen (Partner, Familie Arbeitgeber), ergänzt durch paramedizinische Spezialtherapien. Die Indikation für eine medikamentöse Behandlung erfolgt immer individuell. Besonders bei Depression ist die Achtsamkeitsmeditation geeignet. Nordic Walking und andere Sportaktivitäten werden ebenfalls als therapeutisches Hilfsmittel eingesetzt (Privatklinik Hohenegg, 2010).
5
Diskussion
Der Begriff „Burnout“ wurde erstmals 1974 wissenschaftlich operationalisiert. Seitdem wurde
dieses Phänomen vielfältig erforscht und international populär. Trotzdem ist Burnout in unse19
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
rer Kultur weit davon entfernt, eine legitime Belastungsstörung zu sein. Die Schätzungen der
durch psychische Störungen verursachten volkswirtschaftlichen Kosten liegen für die Schweiz
bei über 11 Milliarden Franken pro Jahr, wobei indirekte Kosten, z.B. durch Arbeitsabsenzen
und Frühpensionierungen, von grosser Bedeutung sind (Schuler & Burla, 2012). Weil Burnout mit reduzierter Arbeitsleistung, gesundheitlichen Problemen und erheblichem subjektivem
Leiden einhergeht, scheint auch diese Störung von erheblicher Prävalenz und Kostenrelevanz
zu sein, vor allem für die Krankenkassen und Versicherungen (Korczak et al., 2010).
Schaufeli und Erzmann haben 1998 in einer Monographie eine eindrückliche Gesamtdarstellung der Burnout-Forschung publiziert. Rösing (2011) bringt mit dem Titel „Ist die BurnoutForschung ausgebrannt?“ die ganze Problematik dieses empirischen Forschungsgebietes auf
den Punkt. Seit 1998 bis zum heutigen Zeitpunkt hat sich nicht viel verändert. Die BurnoutForschung ist nach wie vor nicht institutionalisiert. Es fehlt eine international gültige Definition. Die Theorie ist zu wenig fundiert, die Empirie zu schlicht und das Messinstrument ist zu
eng. Generell gibt es keine validen Diagnosekriterien und evaluierte Therapieansätze. Wie
kann unter diesen Umständen überhaupt eine Burnout-Forschung existieren?
In der Literatur besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass Burnout in den meisten Fällen ein
schleichend einsetzender und langwieriger, progressiver Prozess der Chronifizierung ist. Ein
sogenannter „Teufelskreischarakter“ von Burnout. Auch die Erschöpfung wird als Kardinalsymptom des Burnouts akzeptiert, wobei es alle menschlichen Dimensionen erfassen kann
(Burisch, 2010; Rösing, 2011). Im Zusammenhang mit der Symptomliste von Burnout mit
über 130 Symptomen verweist Burisch (2010) zu Recht darauf, dass keines der Symptome
Burnout-spezifisch ist, sondern vor allem bei der Depression vorkommen.
Die Frage nach einer sauberen Trennung beschäftigt die Burnout-Forscher bis heute. Eine
Abgrenzung der Ätiologie von Burnout und Depression anhand der gesellschaftlichen Entwicklung lässt sich nicht vornehmen. Der soziale Wandel stellt sowohl für Burnout wie auch
für Depression ein Risikofaktor dar (Brühlmann, 2010). Oftmals wird zur Abgrenzung die
Regel angewendet, dass Burnout arbeitsbezogen ist, während Depression alle Lebensbereiche
umfasst. Bakker et al. (2000) haben durch ihre Studie bewiesen, dass bei Burnout Arbeit und
bei Depression private Beziehungen die Ursache ist. Hier beginnen bereits die ersten Widersprüche: Viele Forscher zeigen auf, dass Burnout auch in anderen Lebensbereichen auftreten
kann, wie z.B. bei Arbeitslosen oder Eltern. Auch der soziale Rückzug kann bei Ausgebrannten erfolgen, sowohl von Freunden wie auch von der Familie. Diese Aspekte zeigen, dass eine
Durchdringung in mehrere Lebensbereiche stattfindet und deshalb nicht ausgeblendet werden
sollten.
20
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
Weitere Studien versuchen den Zusammenhang zwischen Burnout und Depression zu untersuchen. Die meisten betrachten Burnout und Depression dabei als zwei separate Phänomene
und Störungskonzepte, die aber gemeinsame Charakteristika aufweisen. Das Symptom der
Erschöpfung wird bei beiden Störungsbildern als Kernsymptom aufgeführt. Es lassen sich
hohe Korrelationen zwischen der Dimension emotionale Erschöpfung und Depression feststellen. Ahola et al. (2005) haben durch eine repräsentative Studie aufgezeigt, dass sich bei
zunehmendem Schweregrad von Burnout die Wahrscheinlichkeit erhöht, gleichzeitig an einer
klinisch relevanten Depression zu leiden. Diese Ergebnisse unterstützen frühere Untersuchungen. Einerseits wird Burnout als eine Phase in der Entwicklung einer Depression gesehen,
andererseits ist Burnout aber nicht zwingend mit einer depressiven Störung verbunden. Die
Autoren unterstreichen in ihrer Studie die klinische Relevanz von schwerem Burnout und
weisen darauf hin, dass man Burnout-Patienten nicht wie depressive Patienten behandeln sollte.
Die Aussagen der Studien über Burnout sind mit Vorsicht zu geniessen. Die meisten Studien
verwenden das MBI als Messinstrument, welches auf Selbstbeurteilung beruht. Bisher ist jedoch unklar, ob dieses Instrument ausreichend valide und reliabel ist, um Burnout zu diagnostizieren. Man hat sich stillschweigend darauf geeinigt, emotionale Erschöpfung, Depersonalisation und reduzierte Leistungsfähigkeit als Kernsymptome anzusehen sind, weil das MBI
diese drei Dimensionen erfasst. Anhand welcher eindeutiger Kriterien schweres Burnout von
Depression unterschieden wird, bleiben weitgehend unbeantwortet. Dies wären entscheidende
Hinweise, um die beiden Störungsbilder sauber zu trennen.
Zusätzlich werden überwiegend Querschnittstudien verwendet. Es lässt sich dadurch nicht
feststellen, ob jedes Burnout zu einer Depression führt oder nicht. Somit kann man auch nicht
sagen, dass Burnout eine Entwicklungsphase einer Depression ist. Sie kann, muss aber nicht.
Da Burnout häufig mit anderen assoziierten Störungen auftreten kann, wie die Anpassungsstörung, das Müdigkeitssyndrom, die somatoforme Störung oder die Angststörung, könnte
Burnout auch als Prädiktor für diese Störungen gelten.
Konkrete Burnout-Therapien werden nicht vorgeschlagen. Vielmehr ist es eine Bündelung der
bereits existierenden Therapieangebote. Über die Effektivität der Interventionen ist wenig
bekannt, im Gegensatz zu denjenigen bei der Depression. Grundsätzlich unterscheiden sich
die Behandlungen der beiden Störungsbilder nicht, ausser dass andere Akzentuierungen bei
Burnout bestehen.
Trotz aller Kenntnisse über den aktuellen Forschungsstand gibt es Wissenschaftler und Medi-
21
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
ziner, die Burnout und Depression gleichsetzen. Eine von diesen ist Isabella Heuser, die Direktorin der Klinik Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charité, Campus Benjamin
Franklin. 2011 äusserte sie sich im Interview mit „Psychologie Heute“ über das Thema Burnout und Depression. Sie vertritt die Meinung, dass Burnout eine berufsbezogene Form der
Depression sei. Weiter argumentiert sie, dass man nur deshalb die Diagnose Burnout stellt,
weil Depression in unserer Gesellschaft stigmatisiert ist. Die Diagnose Burnout hingegen wird
mit zuvor hohen Leistungen und grossem Engagement assoziiert und damit, dass diese Erschöpfung nur vorübergehend ist. Auch die Symptome sind dieselben, wenn man von den
individuellen Unterschieden der einzelnen Fallgeschichte absieht.
In der Praxis werden Burnout und Depression selten voneinander abgegrenzt oder gar als Synonyme verwendet (Von Känel, 2008). Das Problem liegt darin, dass das Burnout-Syndrom
keine eigenständige Diagnose darstellt und es daher im ärztlichen Ermessen liegt, wie Burnout diagnostiziert wird. Inzwischen hat es sich bei den Medizinern durchgesetzt, dass man
eine Burnout-Diagnose stellt und entsprechende Therapien einleitet, indem man jedoch auf
akzeptierte Nachbardiagnosen, wie Depression ausweicht. Denn Burnout ist nach wie vor
keine abrechnungsfähige Diagnose (Korczak et al., 2010).
Dieses Vorgehen wird ebenfalls am Beispiel der Privatklinik Hohenegg deutlich. Die Privatklinik führt keine Statistik über Burnout und doch hat sie zwei getrennte Kompetenzzentren
für Burnout und Depression. Betrachtet man die Behandlungen, unterscheiden sie sich jedoch
nicht wesentlich.
Burisch (2010) sieht das grundlegende Problem der Abgrenzung zur „normalen“ Depression
im Fehlen einer handhabbaren Definition sowie von validen Diagnosekriterien von Burnout.
Deshalb kommen die Forscher bei der Frage hinsichtlich der Unterscheidung zwischen Burnout und Depression zu keinem Konsens. Wie kann ein Phänomen von anderen abgegrenzt
werden, wenn das abzugrenzende Phänomen selbst eine „randunscharfe Menge“ ist?
Um diese und weitere Fragen zu beantworten, braucht es hochwertige und aussagekräftige
Studien. Dazu bedarf es einer einheitlich und international validen Definition des Burnouts
sowie einer standardisierten, international validen Burnout-Diagnostik und Differentialdiagnostik. Zudem sollte ein Fremdbeurteilungsinstrument für die Diagnose entwickelt werden.
All diese Faktoren würden zu mehr Verständnis führen und Aufschluss über die Differenz
zwischen Burnout und Depression geben, soweit es überhaupt eine gibt.
Hier stellt sich die grundsätzliche Frage, ob Burnout überhaupt diagnostiziert und behandelt
werden kann, angesichts der Tatsache, dass Burnout de facto keine Krankheit ist sondern
vielmehr ein Faktor, der den Gesundheitszustand beeinflusst. Selbst Freudenberger „Gründer22
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
vater“ der Burnout-Forschung intendierte nie, eine neue psychische Störungskategorie einzuführen (Kapfhammer, 2012).
Sehr wahrscheinlich handelt es sich bei Burnout tatsächlich nicht um eine Störung, sondern
vielmehr um einen Prozess, der mit der Zeit in eine psychische Störung mündet, sei es in eine
Anpassungsstörung, eine Angststörung oder eine Depression. Ein Phänomen, das dazu führt,
mit der Arbeit überfordert zu sein und sich selbst zu verlieren, mit dem Leben nicht mehr zu
Recht kommen.
Folglich wird auch die ganze Diskussion über arbeitsbezogenes Burnout überflüssig. Wenn
Burnout als eine Form oder als Vorläufer der Depression angesehen wird, könnte man wohl
sagen, dass Burnout durch Überforderung am Arbeitsplatz entsteht. Sobald die Symptome
alle Lebensbereiche durchdringen, wird es zu einer klinisch relevanten Depression oder zu
einer anderen psychischen Störung. Die Depression selbst ist bekanntlich kein homogenes
Störungsbild. Weshalb kann Burnout nicht einfach eines der vielen Gesichtern der Depression
sein?
Nach der Meinung der Verfasserin dieser Arbeit ist die Trennung zwischen Burnout und Depression nicht der entscheidende Punkt. Ob man es nun „Burnout“ oder „Arbeitsdepression“
nennt, der schwer zu fassende Begriff bleibt ein Phänomen mit hoher Praxisrelevanz. Burnout
hätte somit mehr Anspruch darauf, ernstgenommen zu werden. Eine Empfehlung wie ‚mach
doch mal Ferien!‘ genügt hier nicht (Rösing, 2011). Vielmehr sollte den Menschen, die in
diesem Teufelskreis stecken, professionelle Hilfe angeboten werden. Dabei bedarf es eines
geübten Therapeuten, der bei möglichem Burnout oder Depression der Ursache auf den Grund
geht. Damit ist nicht das Rezeptbüchlein gemeint, um Antidepressiva zu verschreiben, sondern vielmehr die geeignete individuelle Behandlung anzubieten.
23
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
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Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
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Kriterien für Forschung und Praxis (5., überarb. Aufl. nach ICD-10-GM 2011). Bern: Huber.
26
Literaturarbeit
Burnout und Depression - Diagnose und Therapie im Vergleich
Selbstständigkeitserklärung
Hiermit versichere ich, dass ich die vorgelegte Arbeit selbstständig und ohne unerlaubte
Hilfsmittel verfasst habe. Andere als die angegebenen Hilfsmittel habe ich nicht verwendet.
Zürich, 4. Januar 2013
Ivana Arcuri
08-722-118
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