Aktueller Kommentar Der Energieriese an der Seidenstraße 21. August 2007 Während Kasachstan längst in das Bewusstsein westlicher Entscheidungsträger vorgedrungen ist, bedurfte es offensichtlich eines Borat, um das größte Land Zentralasiens auch ins Licht der breiteren Öffentlichkeit zu rücken. Von seinem großen Nachbarn Russland wird Kasachstan aufgrund seiner Energieressourcen schon seit jeher als ernstzunehmender Partner wahrgenommen, auch wenn sich die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht immer rosig gestalteten: Ende des 19. Jahrhunderts verleibte sich das Russische Reich seinen kleineren Nachbarn im Süden ein und erklärte das Weideland der Nomaden ohne Rücksicht auf ihre jahrhundertealte Tradition kurzerhand zu Staatseigentum. Der Hungertod und die Auswanderung von rund drei Millionen Menschen in Folge der stalinistischen Zwangskollektivierung schufen auf tragische Weise Platz, um später ganze Völker in die kasachische Steppe zu verbannen. Gleichzeitig wurden während des zweiten Weltkriegs große Teile der sowjetischen Schwerindustrie hinter den Ural verlagert. Schon zu Zeiten der Sowjetunion spielte Kasachstan die Rolle des Rohstofflieferanten. Heute verfügt das Land nicht nur über 3,3% der weltweiten Öl- und 1,7% der Gasreserven. Noch mal jeweils knapp dieselbe Menge an Ressourcen von Öl und Gas, die zwar zur Zeit technisch noch nicht zu erschließen oder wirtschaftlich nicht nutzbar sind, zeugen vom gewaltigen Potential des kasachischen Energiesektors. Der steigende Ölpreis hat die ehemalige Sowjetrepublik auch gesamtwirtschaftlich auf die Überholspur geschickt: Der stetig ins Land rollende Petrodollar treibt neben den Exporteinnahmen mittlerweile auch Investitionen und Konsum in die Höhe, wodurch Kasachstan seit 2000 ein jährliches Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von rund 10% erzielt. Gleichzeitig beschert der anhaltende Aufwärtstrend dem Fiskus aus deutscher Sicht utopische Budgetüberschüsse, die dazu beitragen, die öffentliche Verschuldung unter 10% des BIP zu halten. Längst versuchen auch ausländische Investoren vom Wirtschaftsboom im Steppenland zu profitieren. Insgesamt flossen bis Ende 2006 32,5 Milliarden US-Dollar an ausländischen Direktinvestitionen ins Land, hinsichtlich des Pro-Kopf-Wertes hat Kasachstan innerhalb der GUS eine führende Position übernommen. Doch der Boom hat seinen Preis. Die hohen Kapitalzuflüsse heizen die Inflation an und setzen die kasachische Währung unter Aufwertungsdruck. Seit 2002 klettern die Preise unaufhaltsam in die Höhe und nähern sich langsam zweistelligen Inflationsraten an, der Wert des Tenge hat in den vergangenen fünf Jahren im Verhältnis zum US-Dollar um 20% zugenommen. Längst ist die so genannte Holländische Krankheit in Kasachstan kein Fremdwort mehr – das zunehmende Preisniveau und der steigende Tenge stellen eine Bedrohung für die Wettbewerbsfähigkeit der Volkswirtschaft dar und fordern das geldpolitische Fingerspitzengefühl der Zentralbank heraus. Um übermäßig hohen spekulativen Kapitalzuflüssen einen Dämpfer zu verpassen, hat sie im vergangenen Jahr allen Aufwertungstendenzen zum Trotz durch Devisenmarktinterventionen eine mehrmonatige Abwertung des Tenge herbeigeführt. Aktueller Kommentar Ernstzunehmende Schattenseiten hat noch ein zweiter Nebeneffekt des Aufschwungs: Immer mehr Kasachen finanzieren Konsumausgaben und Bauvorhaben über Kreditaufnahme, 2006 stieg die Kreditvergabe an den privaten Sektor im Vergleich zum Vorjahr um etwa 80%. Die dadurch erhöhte Verwundbarkeit des Bankensystems betrachtet der Internationale Währungsfonds als eines der größten Risiken für die Stabilität der kasachischen Wirtschaft. Gleichzeitig birgt die durch Kredite zusätzlich angeheizte Immobiliennachfrage die Gefahr einer Preisblase. Um das Kreditwachstum finanzieren zu können, haben sich die Banken stark im Ausland verschuldet. Ihre Refinanzierung ist dadurch zu einem hohen Grad abhängig von der Lage auf den internationalen Finanzmärkten. Im Bewusstsein dieser Risiken hat die Zentralbank bereits den Fuss auf die Bremse gesetzt: Verschärfte Vorschriften bezüglich der Fremdwährungsverschuldung der Banken sollen ihren Appetit auf ausländisches Kapital dämpfen. Gleichzeitig zielen andere Maßnahmen darauf, einer übermässigen Verschuldung des privaten Sektors vorzubeugen. Diese Reaktion der Zentralbank stellt einen Beweis für die Vorreiterrolle Kasachstans innerhalb der GUS im Bereich von Finanzaufsicht und Bankenregulierung. Aufholbedarf besteht noch für den lokalen Kapitalmarkt, der bislang mit der rasanten Entwicklung des Bankensektors nicht Schritt halten konnte: Starthilfe soll das Regional Financial Center leisten, das zur Zeit in Almaty mit dem ehrgeizigen Ziel aufgebaut wird, den Finanzsektor abseits des Bankensystems zu fördern und ausländischen Investoren den Zugang unter anderem über vereinfachte Visabedingungen und steuerliche Anreize schmackhaft zu machen. Auch bestehende Mängel an Transparenz werden schrittweise beseitigt, wie beispielsweise durch die Einführung des KazPrime-Index im März 2007. Ähnlich wie der Euribor in Frankfurt oder der MosPrime in Moskau erfasst er die Zinssätze auf dem lokalen Interbankenmarkt und trägt damit zur transparenteren Preisbildung von Anleihen und Hypothekenkrediten bei. Insgesamt bietet die umsichtige Finanzpolitik der kasachischen Regierung Anlass für Lob: In den seit 2001 bestehenden Stabilisierungsfond fließen anteilig Gewinne aus den Energieexporten, von denen auf diese Weise auch zukünftige Generationen profitieren können. Über diesen Weg kam bis Ende 2006 eine Summe von über 14 Milliarden US-Dollar zusammen, was einem Anteil von 18% des BIP entspricht. Der demographischen Entwicklung wird ebenfalls Rechnung getragen: Als eines der ersten Länder im postsowjetischen Raum begann Kasachstan bereits 1998 damit, sein Pensionssystem an die für die kommenden Dekaden prophezeite Bevölkerungsalterung anzupassen. Die Bilanz nach knapp zehn Jahren kann sich sehen lassen – bereits 8% des BIP wurden bis dato in privaten Pensionsfonds angespart. Darüber hinaus soll durch verschiedene staatliche Programme zur Entwicklung der Infrastruktur, Förderung neuer Industrien und Weiterführung der Privatisierung die Wirtschaft schrittweise diversifiziert und ihre Abhängigkeit vom Energiesektor gesenkt werden. Leider ist die Reformaktivität nicht in allen Bereichen ausschließlich positiv zu bewerten. Zwar hat sich die Qualität der Staatsführung laut Weltbank seit 2002 leicht verbessert, der Fortschritt ließ jedoch vor allem im vergangenen Jahr deutlich zu wünschen übrig. Die Tatsache, dass sich Präsident Nursultan Nasarbayev im Mai dieses Jahres vom Parlament die unbegrenzte Wiederwahl als Präsident einräumen ließ, könnte sich zwar positiv auf die politische Stabilität im Land auswirken, lässt jedoch bei manchen westlichen Beobachtern Kritik aufkommen. Angesichts dieser Entwicklungen bleibt der von Kasachstan für das Jahr 2009 angestrebte OSZE-Vorsitz international noch umstritten. Freie und faire Parlamentswahlen, die um zwei Jahre vorgezogen wurden und am heutigen Samstag stattfinden, könnten Kasachstan sicher eine weitere Tür zum Westen aufstoßen. Allerdings legt sich das ehemalige Transitland der Seidenstraße, das über Jahrhunderte hinweg als eine Verbindung zwischen Orient und Okzident fungierte, nicht auf eine eindeutige Position zwischen Ost und West fest: Zwar sind die OSZE-Ambitionen Kasachstans als Zeichen für eine Orientierung in Richtung Westen zu deuten, gleichzeitig spricht jedoch die Mitgliedschaft in der Shanghai Kooperation sowie in verschiedenen GUS-internen Organisationen ebenfalls eine deutliche Sprache. Umgekehrt ist zumindest das rein pragmatische Interesse eindeutiger: Investoren aus China, Europa und den USA partizipieren unter anderem über Direktinvestionen im Energiesektor am kasachischen Aufschwung. Seit kurzem eröffnen sich auch erste Möglichkeiten für Privatanleger. Der Einstieg auf dem Aktienmarkt ist über den Erwerb von Global Depository Receipts möglich, die überwiegend an der Londoner Börse gehandelt werden. Wem diese Art der individuellen Geldanlage zu riskant oder kompliziert ist, hat die Möglichkeit auf Aktienzertifikate auszuweichen, die mittlerweile von verschiedenen Banken angeboten werden. Gerade im Hinblick auf die bislang noch geringe Liquidität am kasachischen Aktienmarkt ist dabei jedoch zu beachten, dass Seite 2 von 3 Aktueller Kommentar es sich in Zeiten ungünstiger Marktkonditionen schwierig gestalten kann, einen Abnehmer für die Wertpapiere zu finden. Im Gegensatz zum Aktienkauf gestaltet sich der Erwerb von Anleihen als erheblich schwieriger: Für Eurobonds wird eine sehr hohe Mindestanlage gefordert, die für Privatanleger unter Umständen eine Hürde darstellt. Geringere Summen können jedoch indirekt über Investmentfonds mit Schwerpunkt auf Osteuropa investiert werden. Beitrag für die Börsen-Zeitung, 18. August 2007 ...mehr zum Research-Bereich Emerging Markets Thorsten Nestmann (+49) 69 910-31894 Evelyn Moser Aktuelle Kommentare - Archiv Seite 3 von 3