Geo-Biomagnetismus Vom magnetischen Bakterium zur Brieftaube M ICHAEL W INKLHOFER Zahlreiche Organismen nutzen das Erdmagnetfeld zur Orientierung. Die physikalischen Mechanismen ihrer biologischen Magnetfeld-Sensorik stellen eine Herausforderung für die Sinnesphysiologie dar. Erst seit kurzem gelingt es, magnetische Sinneszellen in Tieren zu identifizieren. iele Organismen nutzen das Magnetfeld der Erde, um sich zu orientieren. Ihre Reihe reicht von einfachen Bakterien (Abbildung 1) bis hin zu Zugvögeln, die ihr Ziel über enorme Distanzen hinweg finden können. Doch wie nehmen sie das Erdmagnetfeld wahr? Das untersucht die Biophysik der Magnetfeldwahrnehmung (Magnetoperzeption). Im Zentrum dieser Forschung stehen drei zentrale Fragen: 1. Wie ist eine magnetische Sinneszelle beschaffen? 2. Wie wird das Magnetfeld in den Organismus eingekoppelt (Rezeption)? 3. Wie wird die aufgenommene magnetische Energie in ein Nervensignal gewandelt (Transduktion)? Wie weit die Forschung diese Fragen auf dem heutigen Wissensstand beantworten kann, möchte ich im Folgenden vorstellen. V INTERNET Frühe Experimente an Brieftauben | Seit etwa einem halben Jahrhundert liefern VerhaltensexGeophysikalisches Observatorium der Universität perimente wichtige AnhaltsMünchen punkte zur Funktionsweise obsfur.geophysik.uni-muenchen.de des biologischen Kompasses. Anfang der 1950er-Jahre zeigOnline-Tutorial zur Magnetosphäre (englisch) ten erstmals Versuche an www.phy6.org/Education Brieftauben, dass das natürInklination des Erdmagnetfeldes liche Erdmagnetfeld bei ihwww.geomag.bgs.ac.uk/navigation.html rer Orientierung eine Rolle spielt: Ein kleiner Stabmagnet, der am Nacken der Vögel befestigt war, beeinträchtigte ihr Heimfindevermögen deutlich. Brieftauben aus der Kontrollgruppe, denen ein gleich schwerer, aber unmagneti120 | Phys. Unserer Zeit | 35. Jahrgang 2004 Nr. 3 | DOI:10.1002/piuz.200401039 Abb. 1 Elektronenmikroskopisches Bild eines „magnetotaktischen“ Bakteriums: Die schwarzen Körper sind eingelagerte ferrimagnetische Kristalle aus Magnetit, die Magnetosome. Das Magnetobacterium bavaricum ist das stammesgeschichtlich älteste Magnetbakterium und wurde bislang nur in oberbayerischen Seen gefunden. (Bild: Dr. Marianne Hanzlik.) scher Messingzylinder im Nacken saß, erbrachten dagegen die gewohnten Orientierungsleistungen. Außerdem hing es von den Wetterbedingungen ab, ob die Heimkehrleistungen der beiden Gruppen unterschiedlich ausfielen. Während bei Sonnenschein alle Tauben zu ihrem Schlag zurückkehrten, schafften das unter bedecktem Himmel nur die Tiere der Kontrollgruppe. Testete man hingegen beide Gruppen ohne Zusatzlast unter bedecktem Himmel, schnitten sie gleich gut ab. Daraus lässt sich der wichtige Schluss ziehen, dass die Tiere sowohl die Sonne als auch das Erdmagnetfeld zur Orientierung verwenden. Fällt einer der beiden Richtungsweiser aus, können sie auf den anderen zurückgreifen. Das Erdmagnetfeld als globales Referenzsystem Diese frühen Experimente vermochten jedoch nicht zu klären, welche Art von Orientierungsinformation die Tiere aus dem Magnetfeld gewinnen. Das globale Erdmagnetfeld entspricht in guter Näherung dem Feld eines magnetischen Dipols im Erdmittelpunkt, dessen Achse um 11° gegenüber der Rotationsachse verkippt ist (Abbildung 2a) [1]. Das lokale Erdmagnetfeld B wird durch die drei kartesischen Komponenten Bx, By, Bz beschrieben, die zum Beispiel in Richtung des Nordens (x), Ostens (y) und des Erdmittelpunkts © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim GEO -BIOMAGNE TISMUS ABB. 2 (z) orientiert sein können (Abbildung 2b). Im Zusammenhang mit der Navigation eignet sich allerdings folgendes Koordinaten-Tripel besser zur Beschreibung des lokalen Magnetfeldes (Abbildung 2b): 1. Die Missweisung oder Deklination D: Das ist der Winkel, um den geographisch Nord von magnetisch Nord abweicht. Nach magnetisch Nord zeigt die Horizontalkomponente H. Diese ist die Projektion von B auf eine Ebene, die sich tangential an die Erdoberfläche anschmiegt. 2. Die Inklination I: Das ist der Neigungswinkel der Feldlinien gegen die Horizontalkomponente. 3. Die dritte Koordinate ist die Totalintensität F: Sie beschreibt die Magnetfeldstärke des Erdmagnetfeldes, das in unseren Breiten knapp 50 µT stark ist. Abbildung 2 c zeigt den globalen Verlauf der Inklination, um regionale Einflüsse bereinigt. Die rote Konturlinie stellt den geomagnetischen Äquator (I = 0°) dar. Die durchgezogenen Linien sind Isolinien positiver Inklination: Auf ihnen tauchen die Feldlinien ins Erdinnere ab. Die gestrichelte Linien zeigen dagegen die negativen Isoklinen an, also die austretenden Feldlinien. Zwischen benachbarten Isoklinen ändert sich die Inklination um 15°. Der Betrag der Inklination nimmt vom geomagnetischen Äquator zu den Polen hin zu. Die Isoklinen verlaufen grob parallel zu den Breitenkreisen. In hohen südlichen Breiten treten großräumige Anomalien auf, deren Ursachen im tiefen Erdinnern zu suchen sind. Generell kann man als Regel festhalten, dass in mittleren und hohen Breiten die Vertikalkomponente Bz des Magnetfeldes überwiegt, am Äquator hingegen die Nordkomponente Bx. Zusätzlich zu den systematischen, großräumigen Variationen gibt es auch lokale magnetische Anomalien. Sie sind durch die geologischen Besonderheiten einer Gegend bedingt (Abbildung 3). Basaltkuppen etwa haben in der Regel sehr ausgeprägte lokale Anomalien und sind auf einer „magnetischen Höhenlinienkarte“ leicht identifizierbar. Tiere haben damit nicht nur die Möglichkeit, ihr Ziel wie Seefahrer mit Hilfe der Deklination D anzupeilen und dann auf einem Kurs mit gleich bleibendem Winkel bezüglich magnetisch Nord nach Hause zu fliegen, sondern sich auch an lokalen Magnetfeldanomalien entlang zu tasten. Aufgrund des Tagesgangs der ionosphärischen Stromsysteme (in etwa 100 – 400 km Höhe) unterliegt das lokale Magnetfeld auch tageszeitlichen Variationen (Abbildung 4). Diese sind von geringer Amplitude (10 – 20 nT), doch vergleichbar mit den regionalen Variationen des Magnetfeldes (5 nT pro km nordwärts). Deshalb kann der Tagesgang eine Ortsverschiebung um mehrere Kilometer vortäuschen. © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim | | S PE Z I A L : B I O M AG N E T I S M U S DA S E R D M AG N E T F E L D Nord H D Bx Ost By I F B Bz V z(„Erdmittelpunkt“) a) Das globale Erdmagnetfeld entspricht in guter Näherung einem magnetischen Dipol. b) Lokales Erdmagnetfeld B: geometrischer Zusammenhang zwischen den drei kartesischen Komponenten Bx, By, Bz und dem Tripel Deklination D, Inklination I und Magnetfeldstärke F (und der Horizontalkomponente H). Die magnetische Fata Morgana Magnetische Stürme können nicht nur technische Navigationssysteme beeinträchtigen, sondern auch navigierende Tiere. Sie sind oft die Folge einer Sonnenfleck-Eruption, bei der mehrere Milliarden Tonnen magnetisierten Plasmas in den interplanetaren Raum hinaus geschleudert werden [2]. So entdeckte der Physiker Henry L. Yeagley bei der Auswertung von Brieftaubenrennen in den USA der 1940er-Jahre eine umgekehrte Korrelation von Sonnenflecken-Häufigkeit und Heimfinde-Geschwindigkeit beziehungsweise Orientierungsvermögen. Die Sonnenflecken-Häufigkeit als Maß der Sonnenaktivität beeinflusst zunächst die Stärke des Sonnenwindes. Dieser kontinuierliche Fluss geladener Teilchen, der je nach Sonnenaktivität mit Geschwindigkeiten von 400 – 1000 km/s der Erde entgegenströmt, wird durch das Erdmagnetfeld großenteils abgeschirmt und entlang der Magnetopause in etwa zehn Erdradien Entfernung umgelenkt. Nach heftigen solaren Ausbrüchen wie dem vom 28. Oktober 2003 kann die Schockwelle der solaren Partikelstrahlung die Magnetopause um ein paar Erdradien näher an die Erde heranschieben, wodurch die Horizontalintensität (Bx, By) plötzlich einbricht (Abbildung 4 rechts). Durch anschließende Verformung der nachtseitigen Magnetfeldlinien wird Plasma aus der Plasmaschicht in Richtung Erde beschleunigt und in die Hochatmosphäre injiziert, wo es Polarlichter anregt. Dabei heizt es das kühle Plasma der Ionosphäre auf. Diese dehnt sich aus, und die Abnahme ihrer Dichte macht sie für RaNr. 3 35. Jahrgang. 2004 | | Abb. 2 c Globaler Verlauf der Inklination. Phys. Unserer Zeit | 121 diowellen durchlässig. Der zeitweilige Verlust der Radiowellen-Reflexionsschicht beeinträchtigt nicht nur den Funkverkehr, sondern lässt auch in der Hochatmosphäre natürlich entstehende Radiowellen in untere Atmosphärenschichten durchdringen. Da der Flug von Tauben und Zugvögeln nachweislich durch Radiowellen und Radar beeinträchtigt wird, kann die beobachtete Fehlorientierung der Brieftauben ebenso gut auch solchen Radiowellen-Ausbrüchen zugeschrieben werden. Tatsächlich zeigten in den 1970erAbb. 3 Magnetische Anomalienkarte eines Jahren neue Experimente, 12 × 16 km2 großen Gebiets in der Oberpfalz, dass die Abflugrichtungen gemessen in einer Flughöhe von 50 m. von Brieftauben umso weiter Die Anomalie der Totalintensität F reicht von von der normalen Richtung +100 nT (rot) bis –100 nT (blau). (Bild: Dr. Jean Pohl) abwichen, je stärker das Magnetfeld während eines magnetischen Sturmes gestört war. Bei der maximalen Sturmintensität von 500 nT wurde eine Abweichung von 40° in der Abflugrichtung beobachtet, obwohl die Deklination um höchstens 2° gestört war. Eine derartige Verstärkung der Missweisung ist mit einer reinen Kompassorientierung nicht vereinbar. Benutzen Brieftauben dagegen lokale Feldanomalien als Höhenlinienkarte, würde ihnen ein magnetischer Sturm eine andere Position auf der Karte vorspiegeln: Das angepeilte Ziel würde sich in eine magnetische Fata Morgana verwandeln. Ein bemerkenswertes Ergebnis dieser Analysen war ferner, dass selbst kleinste Feldänderungen von 10 – 20 nT, die gerade dem Tagesgang entsprechen, schon bemerkbare Abweichungen in den Abflugrichtungen zeitigten. Vor einem Hintergrund von F = 45 000 nT entspricht das einer Feldempfindlichkeit von weniger als einem Promille. Interessanterweise wurden die Beobachtungen an sonnigen Tagen gemacht. Sie scheinen damit in Widerspruch zu den Ergebnissen aus frühen Versuchen zu stehen, bei denen die Tiere trotz kleiner Stabmagneten im Nacken die richtige Richtung auffanden. Es ist jedoch möglich, dass mit der damaligen Methode magnetische Bedingungen geschaffen wurden, die keine natürliche Entsprechung hatten und so die Tauben nur irritierten. Offensichtlich ignorierten die Tauben dann einfach ihren magnetischen Sinneskanal und verließen sich stattdessen auf optische Anhaltspunkte wie den Sonnenstand und Landmarken. Während eines magnetischen Sturms liegen die Feldvariationen jedoch im Bereich der natürlichen lokalen oder regionalen Variationen. Folglich können die Tiere eine echte 122 | Phys. Unserer Zeit | 35. Jahrgang 2004 Nr. 3 | Anomalie kaum von einer solchen Störung unterschieden. Also liegt es nahe, dass sie auf diese magnetische Fata Morgana leichter hereinfallen. Verhaltensversuche unter Laborfeldern Vor gut dreißig Jahren setzte das Ornithologen-Ehepaar Wiltschko [3] aus Frankfurt am Main einen Meilenstein: Sie machten Verhaltensexperimente an zugunruhigen Rotkehlchen unter kontrollierten Magnetfeldbedingungen. Mit einer paarweisen Anordnung von Helmholtzspulen variierten sie systematisch Richtung und Polarität der Magnetfeldlinien im Käfig und notierten die jeweilige Abflugrichtung (Abbildung 5). War das Magnetfeld im Käfig um 90° von Nord nach Ost gedreht, änderten sich die Orientierungstendenzen der Vögel entsprechend um 90° im Uhrzeigersinn. Änderte sich nur die Inklination von +66° nach –66°, um die Verhältnisse auf gleichem magnetischen Breitengrad auf der Südhalbkugel zu simulieren, änderte sich die Abflugrichtung entsprechend nach Norden. Im entscheidenden Experiment wurde nur die Polarität des Magnetfeldes umgepolt. Hier wählten die Vögel dieselbe Richtung wie zuvor unter normalen Bedingungen (nach Süden). Folglich spielt die Polarität des Feldes keine Rolle bei der Richtungsfindung. Der innere Kompass des Rotkehlchens ist axial: Er kann nur die Achse Pol-Äquator anzeigen, ohne den Nord- und den Südpol unterscheiden zu können. Damit scheint er auf einem anderen Prinzip zu beruhen als der technische, polare Magnetkompass. In Kombination mit dem Gleichgewichtsorgan kann der innere Kompass noch viel mehr leisten, denn so kann das Vogelgehirn den Neigungswinkel der Feldlinien zur Horizontalen bestimmen (Inklination). Die Inklination ist aber eine monotone Funktion von der geomagnetischen Breite und zeigt somit auch die Distanz zum geomagnetischen Äquator an (Abbildung 2c). Dieses Prinzip des Inklinationskompasses ist mittlerweile auch bei einer Reihe anderer Zugvögel bestätigt wor- ABB. 4 | TAG E S G A N G D E S M AG N E T F E L DS © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim GEO -BIOMAGNE TISMUS ABB. 5 | | S PE Z I A L : B I O M AG N E T I S M U S W I LT S C H KO -V E R S U C H B2 H –V B3 –V –H I B0 g V V g g g B1 H den. In einer weiteren Versuchsserie wiesen die Wiltschkos nach, dass der Arbeitsbereich dieses Kompasses auf ein Intensitätsfenster abgestimmt ist: Rotkehlchen zeigten sich weitgehend desorientiert in einem künstlichen Magnetfeld, dessen Totalintensität geringer als 34 µT oder stärker als 68 µT war und somit außerhalb der natürlichen Feldvariation lag. Durch Eingewöhnung war dieses Intensitätsfenster auf einen Bereich von 14 µT bis 81 µT erweiterbar, nicht jedoch darüber hinaus. –H Verhaltensversuche an zugunruhigen Rotkehlchen nach [3]. a) Normale Situation in Frankfurt; b) unter umgekehrter Horizontalkomponente; c) unter umgekehrter Vertikalkomponente, was die gleiche geomagnetische Breite auf Südhalbkugel simuliert; d) unter umgepolten Gesamtfeld B. Die Abflugrichtung der Vögel minimiert offenbar immer den Winkel zwischen der Feldachse und dem Schwerkraftvektor g. ert und sich so über Tausende von Generationen abspielt [4]. Es ist damit also genügend Zeit zur Anpassung gegeben. Es gibt bislang auch keine paläontologischen Hinweise für erhöhtes Artensterben während eines Polaritätswechsels. Ein gewisser Anpassungsdruck kann aber dennoch von einer Magnetfeldumkehr ausgehen, und zwar von den Phasen, in denen die Feldstärke während des Wechsels sehr schwach wird, also auf 10 % oder weniger des derzeitigen Wertes abfällt. Davon wären der axiale und der polare Kompass gleichermaßen betroffen. Evolutionsdruck durch Feldumkehrungen? Hier drängt sich nun die Frage auf, ob der Inklinationskompass ein Produkt des Evolutionsdrucks ist, der von geomagnetischen Polaritätswechseln herrühren könnte. Das Erdmagnetfeld dreht sich in unregelmäßigen Abständen um; fünf solcher Polaritätswechsel sind in geologischen Ablagerungen der letzten 2 Millionen Jahre dokumentiert; der letzte fand vor 780 000 Jahren statt (Abbildung 6). Der Inklinationskompass würde einen spontanen Polaritätswechsel nicht registrieren, die Zugvögel zögen weiterhin äquatorwärts. Paläomagnetische Arbeiten und Computersimulationen zum Geodynamo weisen allerdings darauf hin, dass eine Feldumkehr ein paar Tausend Jahre dau- Nicht nur Vögel Magnetisches Orientierungsverhalten ist nicht auf Vögel beschränkt, sondern ein weit verbreitetes Phänomen im Tierreich. Es wurde über alle wichtigen Tiergruppen hinweg experimentell an verschiedensten Arten nachgewiesen: Weichtiere, Krustentiere, Insekten, Fische, Lurche, Reptilien,Vögel und Säuger. Da viele Arten nur durch jährliche Migration ihren Fortbestand sichern können, sind sie auf ein verlässliches Referenzsystem angewiesen. Insbesondere Meeresbewohner können bei ihren langen Zügen nicht auf die Kontinuität von Meeresströmungen setzen. Während eines El-Niño-Jahres würden zum Beispiel Buckelwale fehlgeleitet, wenn sie sich während ihrer Wanderung von den Kalbgründen vor Ecuador zu den Futtergebieten im Südlichen Ozean auf die gewohnten Strömungsverhältnisse vor der südamerikanischen Küste verließen. Ob Massenstrandungen von Walen andererseits magnetische Ursachen haben, ist nicht bekannt. Wahrscheinlicher ist es, dass sie durch technische Schallquellen fehlgeleitet werden. Derzeit versucht ein japanisches Forscherteam die Faktoren herauszufinden, welche die Orientierung von Walen beeinflussen. Dazu werden an den Tieren Sensoren befestigt, die Parameter wie Druck, Temperatur, Lichteinfall Tagesgang des Magnetfeldes, gemessen am Observatorium in Fürstenfeldbruck bei München. Die Komponenten sind jeweils auf den Wert von Mitternacht bezogen. Links der Feldverlauf an einem „magnetisch ruhigen“ Tag (29.9.2003), rechts während des magnetischen Sturms vom 29.10.2003. Beachte die unterschiedliche Skalierung der Relativen Veränderung. © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Nr. 3 35. Jahrgang. 2004 | | Phys. Unserer Zeit | 123 sowie Magnetfeld messen und beim Luftholen der Tiere an einen Satelliten senden sollen. Physikalische Mechanismen Abb. 6 Richtungswechsel des Erdmagnetfelds. Globale Polaritätszeitskala der letzten fünf Millionen Jahre (wie Sedimente von oben nach unten älter werdend). Die heutige Polarität ist schwarz eingefärbt, die inverse Polarität weiß. Bei ihr weist magnetisch Nord (aus heutiger Sicht) nach geographisch Süd. 124 | Die im Tierreich weit verbreitete Fähigkeit, das Magnetfeld wahrzunehmen, wirft eine wichtige Frage auf: Liegt den dafür zuständigen Sinneszellen ein gemeinsamer Bauplan zugrunde? Und falls ja, kommt dann jeweils der gleiche physikalische Mechanismus bei der Einkopplung des Magnetfeldes zum Tragen? Materie hat zahlreiche Möglichkeiten zur Wechselwirkung mit Magnetfeldern. Im Fall der Magnetfeldwahrnehmung kann man jedoch solche Mechanismen von vorneherein ausschließen, die erst bei höheren Feldstärken (etwa Diamagnetismus) oder tiefen Temperaturen (zum Beispiel Supraleitung) wirksam werden. Die drei plausibelsten Effekte sind jeweils an bestimmte physiologische oder biochemische Voraussetzungen geknüpft, mit ihnen wollen wir uns im Folgenden beschäftigen. Eine Möglichkeit sind elektrodynamische Effekte. Hierunter fallen die elektromagnetischen Erscheinungen, welche nur von der Relativbewegung zweier Bezugssysteme zueinander abhängen. Gemäß Induktionsgesetz erregen zeitlich veränderliche Magnetfelder eine elektrische Spannung. Ein Tier, das sich durch das inhomogene Erdmagnetfeld bewegt, sieht in der Tat ein zeitlich veränderliches Magnetfeld. Bei typischen Fortbewegungsgeschwindigkeiten von etwa 1 bis 10 m/s sind hier allerdings nur elektrische Feldstärken im µV/cm-Bereich zu erwarten. Das reicht bei weitem nicht, um etwa das elektrische Potential von Nervenzellen zu beeinflussen. Diese müssten mit einem Aktionspotential von etwa 30 mV getriggert werden, um einen Nervenimpuls auszulösen. Dennoch ist elektromagnetische Induktion ein plausibler Rezeptionsmechanismus für die Klasse der Knorpelfische (Haie, Rochen). Sie besitzen in ihrer Schnauze elektrische Organe, die über leitende Kanäle, die Lorenzinischen Ampullen, mit Hautporen verbunden sind: Diese können tatsächlich noch elektrische Spannungsgradienten der Größenordnung 0,01 µV/cm registrieren [5]. Auch eine Magnetfeldempfindlichkeit ist für diese stammesgeschichtlich alte Gruppe von Fischen nachgewiesen. Magnetfeldrezeption ist auch mit einem anderen elektrodynamischem Effekt möglich: Eine elektrische Ladung, die sich quer zur Magnetfeldrichtung bewegt, erfährt durch die Lorentz-Kraft eine Ablenkung. Im Organismus gibt es verschiedene Stromsysteme, die auf diese Weise beeinflusst werden könnten. So würde sich in einer Strom führenden Nervenfaser im Magnetfeld ein Biegemoment ausbilden. Abschätzungen zeigen aber, dass die aus der Ablenkung im Erdmagnetfeld resultierende Kraft nicht ausreicht, um eine merkliche Biegung nach sich zu ziehen. Dennoch könnte die dabei entstehende, geringe mechanische Spannung einen Effekt in der Nervenmembran verursachen. In jeder Zellmembran finden sich so genannte mechanosensitive Membranproteine. Unter mechani- Phys. Unserer Zeit | 35. Jahrgang 2004 Nr. 3 | scher Spannung verformen sich diese und machen so die Membran für bestimmte Ionen durchlässig: Das kann einen Nervenimpuls einleiten. Der Vorteil dieses Effektes wäre, dass er keine zusätzlichen hochspezialisierten Sinneszellen erfordert. Darüber hinaus würde der ganze Körper das Magnetfeld aufnehmen, so dass er selbst schwächste Signale durch Vielfachregistrierung aus dem Hintergrundrauschen herausfiltern könnte. Biochemischer Kompass Eine andere Möglichkeit der Magnetfeldrezeption ist an magnetfeldabhängige (photo-)chemische Reaktionen gebunden. Sie wird als biochemischer Kompass bezeichnet [6]. Er funktioniert so: Ein Makromolekül M wie das Sehpigment Rhodopsin, das durch Absorption eines Photons in einen angeregten Zustand M* übergeführt wird, gibt ein Elektron an ein Elektronen-Akzeptormolekül A ab. Dadurch entsteht ein äußerst kurzlebiges, Spin-korreliertes Radikal-Paar M– + A+. Gewöhnlich zerfällt das Biradikal durch Rekombination in die Ausgangsmoleküle M + A. Wenn allerdings ein Magnetfeld auf das Bi-Radikal einwirkt, wird mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch ein Reaktionsweg eingeschlagen, der chemisch abweichende Produkte hervorbringt. Die Reaktionsrate hängt dabei von der Feldstärke ab. Zudem ist dieser Prozess anisotrop, hängt also von der Orientierung des Magnetfeldes ab. Da bei diesem Mechanismus die Polarität des Feldes keine Rolle spielt, ist er in Einklang mit dem Inklinationskompass von Singvögeln. Die Magnetfeldrezeption würde dann auf der Netzhaut stattfinden, so dass die Tiere das Magnetfeld gleichsam sehen könnten: In ihrem Gesichtsfeld würden Helligkeits- oder Farbmuster erscheinen, die das sich ändernde Magnetfeld modulieren würde. Dieser Rezeptormechanismus würde auf quantenmechanischen Effekten basieren, und das schafft allerdings ein Problem: Wegen der Heisenbergschen Unschärferelation müsste das Bi-Radikal mindestens 100 Nanosekunden lang stabil sein, um mit dem schwachen Erdmagnetfeld wechselwirken zu können. Gleichwohl gibt es verhaltensbiologische Argumente für den biochemischen Kompass [7]. So zeigten Experimente an Molchen, dass deren Orientierung am Magnetfeld nur unter blauem Licht, nicht aber unter grünem oder rotem Licht funktioniert. Dagegen waren Brillenvögel, eine australische Zugvogelart, bei ähnlichen Versuchen nur unter rotem Licht desorientiert, während sie unter blauem oder grünem Licht gute Orientierung zeigen. Ob solche Resultate nun dafür sprechen, dass diese Tiere das Magnetfeld nur in Kombination mit Licht eines bestimmten Wellenlängenbereiches wahrnehmen können oder ob sie das Versuchslicht einfach nur irritierte, ist allerdings unklar. Biogener Ferrimagnetismus Die letzte Kategorie von Magneto-Rezeptionsmechanismen setzt biogenes ferrimagnetisches Material voraus. Besondere Bedeutung kommt hierbei dem ferrimagnetischen Mineral Magnetit (Fe3O4) zu. Es tritt nicht nur als anorganische © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim GEO -BIOMAGNE TISMUS Bildung in Gesteinen auf, sondern wurde mittlerweile auch als biogenes Produkt in zahlreichen Organismen und sogar in inneren Organen des Menschen nachgewiesen [8]. Obwohl Magnetit einen starken Magnetismus hat, ist die Konzentration im Gewebe so gering (10–9 bis 10–7 g Magnetit pro g Gewebe), dass der magnetische Nachweis nur mit höchstempfindlichen Magnetfeldsensoren wie SQUIDs (Superconducting Quantum Interference Device) erfolgen kann. Es ist noch ungeklärt, wie Organismen Magnetit produzieren. Es gibt Hinweise, dass Magnetit aus der dreiwertigen Vorstufe (FeOOH)8(FeOH2PO4) umkristallisiert, die chemisch und kristallographisch dem Mineral Ferrihydrit (5Fe2O3 · 9H2O) ähnelt. Diese Vorstufe bildet den bis zu 7 nm großen Kern des Eisenspeicherproteins Ferritin. Der Körper speichert überschüssiges Eisen in dieser Form – doch sind die Prozesse, die es in Magnetit umwandeln könnten, nicht bekannt. Es dauerte recht lange, bis die Funktion des Magnetits als biologische Kompassnadel entdeckt wurde. Während seiner Doktorarbeit stieß der Mikrobiologe Richard Blakemore auf Bakterien, die beharrlich in Richtung des Magnetfeldes schwammen [9]. Diese magnetotaktischen Bakterien unterscheiden sich von anderen Bakterien dadurch, dass sie in ihrem Zellkörper winzige, etwa 40 nm bis 100 nm große Einkristalle aus Magnetit aufbauen. Diese Magnetosome sind jeweils von einer Membran umhüllt und in der Zelle meist in Form einer oder mehrerer linearer Ketten aneinander gereiht (Abbildung 1). Die Kristalle einer Kette sind einheitlich polarisiert, so dass das gesamte magnetische Moment der Kette gleich der Summe der Momente der einzelnen Kristalle ist. Die Kette wird daher wie eine Kompassnadel in Erdfeldrichtung eingeregelt. Da die Kette im Zellkörper fixiert ist, dreht sie auch diesen in Feldrichtung ein. Dies ermöglicht es den magnetotaktischen Bakterien, geradlinig zu schwimmen, was die Nahrungssuche und die Flucht vor Zonen zu hoher Sauerstoffkonzentration effizienter macht. Magnetotaktische Bakterien leben an der Grenzfläche zwischen aeroben und anaeroben Bedingungen und können mit Hilfe des Erdmagnetfeldes die Balance zwischen beiden Milieus besonders gut halten. Man hat inzwischen magnetische Bakterien in den verschiedensten Lebensräumen gefunden: in den obersten Zentimetern von See- und Tiefseesedimenten, in Lagunen, im Brackwasser und sogar in Böden. Ihr universales Vorkommen belegt den Vorteil, den sie aus der Magnetotaxis ziehen. Die verblüffende Entdeckung Blakemores war für den Biomagnetismus von großer Tragweite und gab Anregungen zu neuen Hypothesen über den magnetischen Orientierungssinn von Tieren. Theoretischen Überlegungen zufolge genügen ein paar Dutzend Sinneszellen mit jeweils einer Magnetosomenkette, um ein Tier mit einem empfindlichen Magnetsinn auszustatten. Interessanterweise wäre die hierfür erforderliche Magnetitmenge so gering, dass sie mit gewöhnlichen SQUID-Magnetometern gar nicht nachweisbar © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim | S PE Z I A L : B I O M AG N E T I S M U S wäre. Demnach wäre bei den oben erwähnten Untersuchungen an Geweben das rein an der Magnetorezeption beteiligte Material gar nicht aufgefallen. Das heißt aber auch, dass ein magnetisches Signal, das man während einer solchen Messung einfängt, gar kein Argument für einen Magnetsinn liefert. Magnetit kann auch ein Abfallprodukt sein oder andere als magnetische Funktionen im Organismus haben: Neben der mechanischen Härte – Käferschnecken haben Magnetitzähne auf ihren Raspelzungen – zeichnen sich Magnetitkristalle auch durch eine hohe Dichte von etwa 5 g/cm3 aus und sind daher als „Schwerkraftgeber“ für das Gleichgewichtsorgan oder den Schweresinn vorteilhafter als Kalzit, das eine Dichte von 3 g/cm3 hat. Tatsächlich fand man in Krebsen, denen Magnetit im Futter angeboten wurde, diesen anstelle von Kalzit im Gleichgewichtsorgan. Es ist damit offensichtlich, dass die Suche nach einem Magnetit-basierten Magnetsinn extrem spezifisch gestaltet werden muss. Nach der Euphorie in den 1980er-Jahren, als M AG N E T S I N N D E R B R I E F TAU B E | Magnetithaltige Nervenendigungen im Schnabel der Brieftaube [11]. Das große lichtmikroskopische Bild zeigt einen behandelten Längsschnitt (10 µm dick), fladenförmige Gebilde mit hoher Eisenkonzentration sind blau eingefärbt. A) Oberschnabelhaut von unten: Im Oberschnabel wurden Gebiete mit auffallend hohen Eisenkonzentrationen an sechs verschiedenen Stellen identifiziert (weiße Punkte). B) Detailansicht eines Fladens oder Clusters, er enthält zwanzig 1–2 µm große eisenhaltige Kügelchen. C) Transmissions-elektronenmikroskopische Aufnahme an einem unbehandelten Dünnschnitt (0,1 µm dick): Die zuvor im Lichtmikroskop blau erscheinenden Cluster stellen sich als deutlich abgegrenzte opake Bereiche dar (Hellfeldaufnahme). D) Die 100000fache Vergrößerung zeigt in der Dunkelfeldaufnahme etwa 2–5 nm große Streupunkte (weiß), die einzelnen Magnetikristalle. Maßstabsbalken: 50 µm (großes Bild), 200 µm (A), 19 µm (B), 1 µm (C), 0,2 µm (D). Nr. 3 35. Jahrgang. 2004 | | Phys. Unserer Zeit | 125 man glaubte, den Magnetsinn mit SQUID-Magnetometern erfasst zu haben, ging man Mitte der 1990er-Jahre das Magnetitproblem mit neuen Methoden an [10 -11]. Man hatte schließlich zuvor die gesuchten Magnetitkristalle höchstens in magnetischen Extrakten von säurebehandelten Gewebeproben gesehen. Mit dieser Methode kann man nicht erkennen, wie die Kristalle in situ angeordnet und mit dem Sinnesapparat verkoppelt sind. Die Frage nach dem Transduktionsmechanismus – also wie das aufgenommene Magnetfeld in einen Nervenreiz umgewandelt wird – ließ sich bestenfalls hypothetisch beantworten. Identifizierung magnetischer Sinneszellen In den späten 1990er-Jahren gelang es einem neuseeländischen Forscherteam mit elektrophysiologischen Versuchen den Magnetsinn der Forelle zu lokalisieren [10]. Bei solchen Versuchen werden feine Elektroden in einzelne Nervenfasern gespießt und die Spannungsimpulse aufgezeichnet. Dabei schaltete das Team ein zusätzliches, schwaches Magnetfeld an oder aus und konnte so die Nervenfaser isolieren, die magnetfeldabhängie Reize führte: Es ist der Nerv, der Sinnesreize aus dem Riechfeld in der Schnauze transportiert. Mittels konfokaler 3D-Lasermikroskopie suchten die Forscher dann das Riechfeld ab und stießen dabei auf eine Zelle, die eine Hand voll Eisen reicher Kristalle enthielt. Mit einer Kombination aus atomarer und magnetischer Kraftmikroskopie konnten die Kristalle abgebildet und magnetisch charakterisiert werden. Die Kristalle waren permanentmagnetisch und hatten ähnlich starke Koerzitivkräfte ABB. 7 | M AG N E TO R E Z E P TO R- M O D E L L E Modelle für einen Magnetorezeptor auf der Grundlage eines oder mehrerer Cluster von Magnetitkristallen. Rechts: Ein im Nullfeld kugelförmiger Cluster verformt sich im Magnetfeld in ein gestrecktes Rotationsellipsoid, dessen Längsachse die Magnetfeldachse anzeigt. Die Stärke der Verformung ist ein Maß für die Magnetfeldstärke, sie ist unabhängig von der Polarität des Feldes. Links: Eine Gruppe von Clustern regelt sich in Magnetfeldrichtung ein und kann dadurch ein Biegemoment auf die Membran der Nervenendigung ausüben. 126 | Phys. Unserer Zeit | 35. Jahrgang 2004 Nr. 3 | wie Magnetosome (25 mT). Auch in ihrer Korngröße ähnelten sie den bakteriellen Magnetosomen; allerdings waren sie nicht in Form einer Kette angeordnet, sondern bildeten eher einen ungeordneten Haufen. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die Transduktion auf dem Drehmomentmechanismus basiert wie im Beispiel der Magnetosomenkette in Bakterien. Wenngleich der physikalische Mechanismus der Transduktion noch nicht geklärt werden konnte, so handelt es sich bei der aufgespürten Zelle dennoch um den ersten echten Kandidaten für magnetische Sinneszellen in einem Knochenfisch. Zur gleichen Zeit verfolgten wir eine völlig andere Strategie, um magnetische Sinneszellen in der Brieftaube zu lokalisieren [11]. Auch hier war ein Anhaltspunkt erforderlich, in welchem Sinnesfeld zu suchen ist. Dieser kam von früheren elektrophysiologischen Experimenten an anderen Vögeln: Sie wiesen darauf hin, dass sich der Magnetsinn im Schnabel verbirgt und mit dem selben Nerv verbunden ist, der auch Tastreize weiterleitet. Wurde dieser ophthalmische Nerv nun anästhesiert, zeigten sich unsere Brieftauben nicht mehr in der Lage, das Magnetfeld wahrzunehmen. Nach diesem Befund fertigten wir Serienschnitte vom Taubenschnabel an und behandelten sie mit Reagenzien für den spezifischen Nachweis von Eisen. Die Abbildung in „Magnetsinn der Brieftaube“ auf Seite 125 zeigt einen Schnitt einer Nervenendigung, bei dem eine besonders intensive Berliner-Blau-Färbung aufgetreten ist. Im Transmissions-Elektronenmikroskop stellt sich jeder der blauen Punkte nun als etwa 1 µm großer Cluster von Magnetit-Teilchen dar. Eine genaue Auswertung der Korngrößen zeigt, dass die Kristalle nur wenige Nanometer groß sind und damit ein tausendfach kleineres Kornvolumen als die bakteriellen Magnetite haben. Derart winzige Magnetitkristalle können bei Raum- oder Körpertemperatur keine stabile Magnetisierung ausbilden, da sie unablässig von thermischen Schwingungen umgepolt werden. Die Magnetite in der Taube verhalten sich damit nicht wie mikroskopische Kompassnadeln und können nicht in das Feld eingedreht werden. Trotz sorgfältigster Suche fanden wir keine größeren „Magnetosome“ in den Schnitten. Andererseits entdeckten wir in der Schnabelhaut mehrere Areale mit Gruppen von Magnetit-Clustern. Wir fanden diese Areale bei zwölf Tieren immer an den gleichen sechs Stellen: Diese Reproduzierbarkeit und das ausschließliche Auftreten der MagnetitCluster in den Endigungen sensorischer Nerven lässt uns von einer physiologischen Funktion dieser Magnetit-Einschlüsse ausgehen. Superparamagnetismus als Rezeptorgrundlage Es stellt sich also die Frage, ob sich die im Taubenschnabel beobachteten Magnetit-Cluster physikalisch als Magnetfeldsensoren eignen. Selbst wenn ein solches Cluster kein permanentes magnetisches Moment tragen kann, weil es sofort durch thermische Schwingungen zerstört würde, so © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim GEO -BIOMAGNE TISMUS nimmt es im Erdmagnetfeld eine induzierte Magnetisierung in Feldrichtung an. Die magnetische Suszeptibilität ist dabei unerwartet groß: Das ist ein seit 1930 bekanntes Phänomen, das 1959 zutreffend Superparamagnetismus getauft wurde. Die bekannteste Form superparamagnetischer TeilchenAgglomerate sind magnetische Suspensionen (Ferrofluide). Sie sind flüssig und zugleich magnetisch und werden in den unterschiedlichsten technischen Bereichen eingesetzt [12]. Ein kugelförmiges Tröpfchen aus einem solchen Ferrofluid verformt sich im Magnetfeld: Es dehnt sich längs der Feldachse aus und zieht sich quer dazu zusammen (Abbildung 7 rechts). Dabei hängt der Grad der Verformung von der Magnetfeldstärke ab und wird durch die Oberflächenspannung des Ferrofluidtröpfchens begrenzt. Übertragen auf die superparamagnetischen Cluster in der Brieftaube bedeutet das: Die vom äußeren Magnetfeld hervorgerufene Verformung kann ihr Organismus benutzen, um die Achsenrichtung der Feldlinien abzulesen und die Feldstärke zu messen [13]. Da die Verformung nicht von der Polarität des Feldes abhängt, ist das Modell auch mit der Funktion des Inklinationskompasses im Einklang. Außerdem sind freie Nervenendigungen, welche die Cluster enthalten, gleichzeitig hoch empfindliche mechanische Sinneszellen des Tastsinns. Deshalb kann man davon ausgehen, dass vom Magnetfeld induzierte Verformungen von innen genauso registriert werden können wie mechanische Verformungen von außen. Ob die Verformung im Magnetfeld groß genug ist, um registriert werden zu können, hängt von zwei Parametern ab: den elastischen Eigenschaften der Matrix zwischen den Magnetitkristallen sowie deren Volumenkonzentration. Hierzu planen wir gerade mikromechanische und magnetische Experimente. Wirft man einen genaueren Blick auf Abbildung A in „Magnetsinn der Brieftaube“, so stellt man fest, dass die Cluster in Gruppen von etwa 10 bis 20 Einheiten vorliegen. Die Cluster werden also magnetisch wechselwirken: Sie werden sich in Form einer linearen Kette parallel zur Feldrichtung auszurichten suchen. Hieraus ergibt sich ein weiterer Transduktionsmechanismus (Abbildung 7 links): Das Biegemoment in der Nervenmembran variiert als Funktion der Achsenrichtung des Feldes. So können die mechanischen Sinneszellen es registrieren, weil die Öffnung oder Schließung mechanosensitiver Membranproteine das elektrische Potential der Nervenzelle ändert. Welcher Transduktionsmechanismus nun tatsächlich realisiert ist, lässt sich allerdings noch nicht sagen. Die Forschung am Magnetsinn hat gerade erst begonnen. © 2004 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim | S PE Z I A L : B I O M AG N E T I S M U S Zusammenfassung Die Fähigkeit, das Erdmagnetfeld wahrzunehmen und sich an ihm zu orientieren, ist im Tierreich weit verbreitet. Durch welche physikalischen Mechanismen magnetische Sinnesreize in Nervensignale umgesetzt werden, ist jedoch weitgehend ungeklärt. Bei magnetotaktischen Bakterien üben zum Beispiel biogene ferrimagnetische Kristalle als mikroskopische Kompassnadeln ein Drehmoment auf die Zelle aus. Magnetit findet sich im Gewebe zahlreicher Tiere. Doch erst bei zwei Arten, der Brieftaube und der Regenbogenforelle, konnten auch entsprechende Sinneszellen gefunden werden. Diese unterscheiden sich allerdings in ihren magnetischen Eigenschaften fundamental voneinander. Die Identifizierung der physikalischen Mechanismen des Geo-Biomagnetismus bleibt eine Herausforderung für Biophysik und Sinnesphysiologie. Stichworte Geo-Biomagnetismus, Biophysik, Sinnesphysiologie, Orientierung am Erdmagnetfeld, Inklinationskompass, biochemischer Kompass, Brieftaube, Rotkehlchen,Wiltschko-Versuch, magnetotaktisches Bakterium, Magnetobacterium bavaricum, Forelle, biogene ferrimagnetische Kristalle, Magnetit, Magnetorezeptor. Literatur [1] [2] [3] [4] [5] [6] [7] [8] [9] [10] [11] [12] [13] V. Haak et al., Physik in unserer Zeit 2003, 32 (3), 218. K. Schlegel, Physik in unserer Zeit 2000, 31 (5), 222. W. Wiltschko und R. Wiltschko, Science 1972, 176 (4030), 62. R. S. Coe et al., Phil. Trans. R. Soc. Lond. 2000, 358 (1768), 1141. A. J. Kalmijn, Nature 1966, 212, 1232. T. Ritz et al., Biophys. J. 2000, 78, 707. J. B. Phillips und S. C. Borland, Nature 1992, 359, 142. J. L. Kirschvink et al., Proc. Acad. Sci. USA 1992, 89, 7683. R. P. Blakemore, Science 1975, 190 (4212), 377. M. M. Walker et al., Nature 1997, 390, 371. M. Hanzlik et al., Biometals 2000, 13, 325. S. Odenbach, Physik in unserer Zeit 2001, 32 (3), 122. V. P. Shcherbakov und M. Winklhofer, Europ. J. Biophys. 1999, 28, 280. Der Autor Michael Winklhofer, geb. 1967, Geophysikstudium in München, 1998 dort Promotion in Geophysik. Anschließend Postdoc an der Vanderbilt University in Nashville, Tennessee, danach Forschungs- und Lehrtätigkeit am Southampton Oceanography Centre. Derzeit als wissenschaftlicher Assistent an der LMU München, Sektion Geophysik. Anschrift Dr. Michael Winklhofer, Department für Geound Umweltwissenschaften, Sektion Geophysik, Ludwig-Maximilians-Universität München, Theresienstr. 41, D-80333 München. [email protected] Nr. 3 35. Jahrgang. 2004 | | Phys. Unserer Zeit | 127