öffnen - Gestalttherapie Groß

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Petra Franziska Schröder
Hedwig-Dohm-Straße 19,
D - 64521 Groß-Gerau
[email protected]
Psychotherapie und Suizid
Erlaubt oder fordert die Palliative Care eine andere
Vorgehensweise
Master Thesis zur Erlangung des akademischen Grades
Master of Advanced Studies „Palliative Care“/MAS
Eingereicht im Rahmen des
Internationalen Universitätslehrgangs
2011 – 2013
Palliative Care/MAS
an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt | Wien | Graz
IFF-Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung
Institut für Palliative Care und Organisationsethik
Gutachter: Mag. Dr. Erich Lehner
Groß-Gerau/Wien, 24. April 2013
„Ich bin nicht auf dieser Welt,
um deinen Erwartungen zu entsprechen –
und du bist nicht auf dieser Welt,
um meinen Erwartungen zu entsprechen.“
Fritz Perls (1976)
Danke für alles,
Oliver.
Danke Harald!
2
Zusammenfassung
Suizidalität im Bereich der Palliative Care und der professionelle Umgang
der Psychotherapie, hier speziell der Gestalttherapie, mit dieser Problematik
sind Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Es wird die Frage gestellt, ob die
Herangehensweise bei einer terminal erkrankten Person anders ist als bei
einer nicht terminal erkrankten Person.
An einem Praxisbeispiel wird zunächst aufgezeigt, wie gemeinsame Arbeit
verschiedener Professionen aus den Bereichen der Psychotherapie und der
Palliative Care gelingen kann. Gleichwohl wirft sie für die Beteiligten viele
ethische und rechtliche Fragen auf.
Zunächst
werden
Verbindungen
in
der
Problemstellung
und
den
Vorgehensweisen in der Psychotherapie im Allgemeinen, der Gestalttherapie
im Besonderen und der Palliative Care hergestellt. Es wird herausgearbeitet,
inwieweit die Professionen, die mit terminal erkrankten Menschen arbeiten,
mit dem Thema Suizidalität in Kontakt kommen. Die Rollen der
unterschiedlichen Berufsfelder werden beleuchtet.
Den Sichtweisen der psychotherapeutischen Professionen hinsichtlich
Suizidalität werden Stellungnahmen der Rechtswissenschaft ergänzend
gegenübergestellt.
Ein Zusammentragen von Überlegungen und Äußerungen der Palliative
Care Bewegung zum Umgang mit Suizidalität bei terminaler Krankheit soll
Aufschluss darüber geben, welche Rolle das Thema für die Helfenden
einnimmt und wie sie in ihrer Arbeit mit dieser Personengruppe vorgehen.
Im Folgenden werden Quellen aus dem Bereich der Ethik gesichtet.
Im
Abschlusskapitel
werden
die
Ergebnisse
der
Untersuchung
zusammengefasst und Schlussfolgerungen gezogen.
3
Gliederung
Zusammenfassung ...................................................................................... 3
1 Einleitung ................................................................................................ 5
1.1 Allgemeines..................................................................................................... 5
1.2 Persönliche Motivation und Relevanz der Themenwahl .................................. 6
1.3 Vorgehen und Methoden ................................................................................. 9
2 Praxisbeispiel ....................................................................................... 12
3 Gestalttherapie und Suizid .................................................................. 18
3.1 Der Ursprung der Gestalttherapie.................................................................. 18
3.2 Grundannahmen und Methoden der Gestalttherapie..................................... 22
3.3 Die Sicht der Gestalttherapie auf den suizidalen Menschen .......................... 30
3.4 Suizidabsicht und Krise ................................................................................. 32
3.5 Relevanz von Supervision ............................................................................. 33
4 Psychotherapie und Suizid.................................................................. 35
4.1 Suizidalität erkennen ..................................................................................... 35
4.2 Erhebung einer Diagnose am Beispiel der Depression.................................. 37
4.3 Die Aufgabe der Therapierenden .................................................................. 40
4.4 Die narzisstische Kränkung ........................................................................... 42
4.5 Juristische Grenzen in der Psychotherapie ................................................... 44
5 Palliative Care und Suizid .................................................................... 48
5.1 Die Verbindung von sterbenskrank und lebensmüde..................................... 48
5.2 Gutes Sterben und der anspruchsvolle Weg dahin........................................ 50
5.3 Suizidalität ansprechen und erkennen........................................................... 53
5.4 Wie sich die Pionierinnen der Hospizbewegung zum Suizid positionieren..... 54
6 Ethik und Suizid.................................................................................... 57
6.1 Ethos und Ethik ............................................................................................. 57
6.2 Suizidprophylaxe – Anmaßung oder Verpflichtung ........................................ 58
6.3 Das Spannungsfeld von Autonomie, Fremdbestimmung und sozialer
Verbundenheit ....................................................................................................... 60
6.4 Gesellschaftliche Bewertung von Auslösern suizidaler Handlungen .............. 63
7 Ergebnisse und Schlussfolgerungen ................................................. 66
Literaturverzeichnis ...................................................................................... 74
4
1
Einleitung
1.1 Allgemeines
In der Begleitung von unheilbar erkrankten Menschen mit vorhersehbar
begrenzter Lebenszeit fällt auf, dass diese sich häufig die Frage nach einem
selbst gewählten Todeszeitpunkt stellen. Die Aufgabe der Psychotherapie ist
hierbei, diese Menschen in ihrer Entscheidungsphase zu begleiten. Es gilt,
sie dabei zu unterstützen, alle Bereiche abzuwägen und insbesondere die
Bereiche mit ihnen zu beleuchten, die ihnen einen Lebenssinn geben
könnten. „Du hast die Freiheit, dich zu vernichten. Ich werde dich nicht
hindern, aber alles tun, damit du eine andere Perspektive erhältst.“
(Schneider 1990, 219).
Zur geschilderten Situation kommt hinzu, dass die Therapierenden
verpflichtet sind zu eruieren, ob die suizidale Person möglicherweise
psychisch krank und somit behandelbar ist. Diese Abklärung sollte
bestenfalls durch eine zweite fachärztliche Meinung untermauert werden.
Einige Fachpersonen sind der Meinung, dass Suizidalität an sich bereits eine
psychische Erkrankung darstellt. Das würde bedeuten, dass die betreffende
Person mit Suizidabsicht gegebenenfalls auch gegen ihren Willen zu
behandeln wäre. An diesem Punkt steht die Selbstbestimmung der
Erkrankten nicht mehr unbestreitbar im Vordergrund.
Hier werden die psychotherapeutisch Tätigen wie auch die anderen
Professionen eines behandelnden Teams mit einer Ambivalenz konfrontiert.
Einerseits besteht der Auftrag, den Erkrankten zu helfen, dazu würden
selbstverständlich auch die psychiatrische Abklärung und gegebenenfalls
Behandlung gehören. Andererseits entwickelt sich häufig bei den Helfenden
ein ausgeprägtes, hoch empathisches aber nicht sehr differenziertes Gefühl
des Verständnisses beziehungsweise Mitgefühls oder gar Mitleids für die
suizidale Person. Diese befindet sich offensichtlich am Lebensende und will
ihren Verfall nicht bis zum Ende miterleben. Hier kamen so manchen
Kolleginnen und Kollegen aus dem Palliative Care Kontext Sätze wie: “Das
5
ginge mir doch genau so.“ oder „Das wollte ich doch auch nicht mehr“ in den
Sinn.
Anstelle des eigentlichen beruflichen Zieles, erkrankten Menschen zu
Besserung beziehungsweise Gesundung zu verhelfen, tritt im palliativen
Kontext das Ziel der Linderung von Belastungen aller Art.
“Palliative care is an approach that improves the quality of life of patients and
their families facing the problem associated with life-threatening illness,
through the prevention and relief of suffering by means of early identification
and impeccable assessment and treatment of pain and other problems,
physical, psychosocial and spiritual.” (World Health Organisation 2013)
Der Schwerpunkt liegt auf der Patientenautonomie und die Unterstützung gilt
maßgeblich den Vorstellungen und Wünschen der Erkrankten.
Im Sinne des Palliative Care Verständnisses werden unheilbar erkrankte
Menschen nicht heilend, kurativ und rehabilitativ, sondern Lebensqualität
erhaltend und Symptome lindernd behandelt und umsorgt. Es stellt sich die
Frage, ob dieser Grundsatz beibehalten werden kann, wenn eine unheilbar
erkrankte Person bei akuter Suizidabsicht in die Psychiatrie eingewiesen
würde, um eine Suizidhandlung zu verhindern. Andersherum würde sich die
Frage stellen, ob psychotherapeutisch Tätige ihrer Aufgabe gerecht werden
können, wenn sie nicht alles Mögliche unternehmen, um einen Suizid zu
vermeiden.
1.2 Persönliche Motivation und Relevanz der Themenwahl
Das Thema Suizidalität beschäftigt mich bereits seit meiner ersten
Ausbildung im Bereich der Psychotherapie. Damals schon suchte ich nach
einer sicheren Handlungsanleitung, wie ich damit umzugehen hätte, wenn
ich bei einem Menschen Suizidalität erkennen würde.
6
Am Ende meiner Ausbildung fand ich mich mit einer eher formalen Anleitung
ab. Danach hätte ich dafür zu sorgen, dass eine suizidale Person freiwillig,
wenn erforderlich gegen ihren Willen, möglicherweise mit polizeilicher
Unterstützung, in der Psychiatrie untergebracht würde.
So startete ich in meine selbständige psychotherapeutische Arbeit mit der
Beklommenheit, in einem solchen Fall eine immens große Verantwortung zu
tragen. Es ginge um Leben und Tod und das würde gegebenenfalls von
meiner Vorgehensweise abhängen.
Ein sehr bedeutsamer Aspekt in meinem bisherigen Berufsleben, hier
allgemein im Feld der sozialen Arbeit, war und ist es, einen Schwerpunkt
darauf zu legen, die Autonomie der sich mir anvertrauenden Menschen zu
schützen und zu fördern. Somit würde eine Einweisung in die Psychiatrie
unter Zwang, die ich in die Wege zu leiten hätte, zu einer besonderen
Aufgabe, die meinen bisherigen Vorsätzen weitgehend widerspräche.
Hinzu
kommt,
dass
akute
Suizidalität
in
der
ambulanten
psychotherapeutischen Praxis selten vorkommt und somit ein geringes
Übungsfeld darstellt. Dieser Umstand könnte gewissermaßen sogar dazu
verleiten, diesem Thema den notwendigen Raum abzusprechen, in der
Hoffnung, dass es einem selbst in der täglichen Arbeit nicht begegnen möge.
Vor dem Erkennen von Suizidalität im ambulanten Setting kommt in den
meisten Fällen zunächst die Frage nach Suizidgedanken. Damit wird erst die
Tür für eine Aussprechbarkeit solcher Überlegungen geöffnet.
Für die psychotherapeutische Arbeit ist es verpflichtend notwendig, die
Frage nach Suizidgedanken zu Beginn einer Therapie abzuklären und
gegebenenfalls auch in der laufenden Therapie wiederholt zu eruieren. Weil
dies ein klar formulierter Auftrag an psychotherapeutisch Tätige ist,
überrascht es, dass in Schriften zur Suizidprävention unermüdlich darauf
hingewiesen wird, dass es ein Irrglaube sei, dass man mit dem Ansprechen
dieses Themas „schlafende Hunde“ wecken könne. Die Vermutung, dass
Professionelle dem Thema ausweichen, um sich auf diese Weise selbst zu
schützen, liegt nahe. Diese Tatsache beinhaltet zwei wichtige Aspekte.
7
Einerseits weichen Professionelle unreflektiert oder unbewusst dem Thema
aus, andererseits entziehen sie sich unbewusst der Verantwortung, da ihnen
die nötige Handlungssicherheit fehlt.
Die ambulante wie auch die stationäre psychische Betreuung in der
spezialisierten Palliativversorgung sterbenskranker Menschen und deren
Angehörigen entspricht im Allgemeinen nicht dem psychotherapeutischen
Setting. Gleichwohl scheint es selbsterklärend, dass gerade in diesem
Lebensbereich suizidale Gedanken nicht ungewöhnlich sind.
Anlass dafür, auch Sterbenskranken die Frage nach Suizidalität außerhalb
einer klassischen Psychotherapie zu stellen, könnte sein, dieser Person in
ihrer außergewöhnlichen Lebenssituation die Möglichkeit zu geben, ihre
Gedanken angeleitet zu beleuchten und somit nicht in ihren eigenen
Fantasien allein zu lassen.
Hierzu gehört es unweigerlich, sich auf die Ebene des Gegenübers
einzuschwingen, eine Ich-Du-Beziehung herzustellen (siehe Kapitel 3.2) und
diesem schwierigen Thema eine gewisse Normalität zu verleihen.
Meine praktische Erfahrung in der ambulanten Arbeit mit Menschen in der
Endphase ihrer Erkrankung hat gezeigt, dass meine Frage an die unheilbar
erkrankte Person, ob sie nach der Diagnose schon einmal daran gedacht
habe, sich das Leben zu nehmen, von den meisten Menschen bejaht wird.
Die Überlegung, sich das Leben zu nehmen oder sich dem weiteren
(Krankheits)Verlauf mit eigens erwartetem Leid zu stellen, drängt sich
nahezu jeder unheilbar erkrankten Person mit infauster Prognose auf. Sie
beinhaltet für viele Menschen eine gewisse Nachvollziehbarkeit.
Die Frage nach Suizidgedanken ist einerseits notwendig, um der
sterbenskranken
Person
die
Möglichkeit
zu
geben,
im
psychotherapeutischen Setting ihre ganz persönliche Antwort zu finden. Sie
ist aber auch notwendig, damit sich die betreffende Person gegebenenfalls
für das Sterben frei entscheiden kann.
8
Selbstbestimmung hat im Palliative Care einen ausgesprochen hohen
Stellenwert und gibt jedem Menschen grundsätzlich das Recht, das eigene
Leben zu einem selbst gewählten Zeitpunkt zu beenden. Eine unbestreitbare
Ausnahme besteht dann, wenn die Entscheidungsfähigkeit einer Person
beispielsweise durch eine schwere psychische Erkrankung eingeschränkt ist.
Trotz der Wahlfreiheit, die jedem Menschen zusteht, stellt sich die Realität so
dar, dass Angehörige wie Professionelle auf vollzogenen Suizid mit
Bestürzung, Scham und Schuldgefühlen reagieren. Immer bleibt die Frage
offen, ob tatsächlich alles erdenklich Mögliche getan wurde und der
suizidalen Person jede Möglichkeit eines Sinnes am Weiterleben ins
Sichtfeld gerückt wurde.
Diese Frage muss sich jede an der Versorgung beteiligte professionelle
Person verpflichtend stellen. Gleichwohl kann sie vielfach nicht abschließend
mit einem guten Gewissen beantwortet werden, weil es vermutlich ein
zutiefst menschlich verinnerlichtes Ziel ist, Leben zu schützen, statt es
vergehen zu lassen. Dies mag in besonderem Maße auf heilberufliche
Professionen zutreffen.
Das Ziel meiner Arbeit ist es, zu erweiterten Erkenntnissen zu gelangen, um
mehr Klarheit und Handlungssicherheit zu schaffen. Der aktuelle Standard
der Vorgehensweisen bei Suizidgefährdung im Palliative Care bedarf einer
zusätzlichen
Betrachtung der Vielschichtigkeit
der Patientinnen
und
Patienten und deren besonderer Anliegen.
1.3 Vorgehen und Methoden
Im Rahmen dieser Master Thesis setze ich mich mit den unterschiedlichen
Lehrmeinungen
Fachliteratur
in
der
bezüglich
psychotherapeutischen
der
Vorgehensweisen
und
bei
psychiatrischen
Suizidabsicht
im
Allgemeinen und Suizidalität im Zusammenhang mit Palliative Care
auseinander.
9
Hierzu ist es notwendig, sich sowohl mit den herrschenden Auffassungen der
Autorinnen und Autoren älterer Schulen als auch mit den aktuellen
Auseinandersetzungen in der Literatur zur Thematik Suizidalität zu
beschäftigen.
Hinsichtlich
der
Auseinandersetzung
mit
der
Ungewissheit,
ob
Suizidhandlungen ausschließlich im Zusammenhang mit psychischen
Erkrankungen zu sehen sind oder ob eine Entscheidung zum Suizid auch mit
absolut klarem Menschenverstand getroffen werden kann, liegt im Rahmen
dieser Master Thesis eine rein inhaltliche Fragestellung vor. Auf die
Erhebung von Zahlenangaben, Prävalenzraten, bzw. der Häufigkeit des
Auftretens von Suizidalität bei terminaler Erkrankung oder Depression habe
ich
weitgehend
verzichtet.
Meine
Auseinandersetzung
mit
der
Vorgehensweise in Krisensituationen von Suizidalität bezieht sich nicht auf
Häufungen, sondern auf die Frage, welches das bestmögliche und individuell
gerechtfertigte Vorgehen sein kann.
Eine detaillierte Literaturrecherche habe ich anhand von Büchern aus
Universitätsbibliotheken und aus eigenem Bestand, wissenschaftlicher
Journals aus den Internet Suchmaschinen PubMed, Medline und Google
Scholar sowie wissenschaftlicher Artikel aus Zeitschriften der betreffenden
Berufsverbände
durchgeführt.
Weitere
Informationen
erhielt
ich
in
themenvertiefenden kollegialen Gesprächen und durch Erfahrungsaustausch
mit meiner eigenen Berufsgruppe, berufsnahen Professionen wie auch dem
juristischen Themenfeld.
Für das Vorgehen, sein Leben eigenständig zu beenden, gibt es ein
umfangreiches Vokabular. Im verbalen Austausch mit Klientinnen und
Klienten benutze ich den Terminus „sich das Leben nehmen“.
„Selbsttötung ist eine, gegen das eigene Leben gerichtete Handlung mit
tödlichem Ausgang. Es ist nicht entscheidend, ob der Tod beabsichtigt wurde
oder nicht.“ (Hömmen 1989, 16) In der vorliegenden Master Thesis wird für
die Handlung der Selbsttötung der Begriff Suizid, aus dem Lateinischen sui
und caedere = sich töten (vgl. Dorsch 2009, 975), verwendet. Dieser ist
10
mittlerweile auch außerhalb der Fachwelt zu einem gängigen und allgemein
verständlichen Ausdruck geworden. Bezeichnungen wie zum Beispiel
Selbstmord oder Selbsttötung verleiten dazu, die Tat mit einer Straftat in
Verbindung zu bringen. Der Terminus Suizid hingegen distanziert sich von
gesellschaftlich eher unreflektierten Bewertungen.
Die internationalen Klassifikationen „International Classification of Diseases“
und „Diagnostic and Statistical Manuel of Mental Disorders“ haben den
Krankheitsbegriff mit dem der „Störung“, respektive „Disorder“, ersetzt.
Damit würde einem unscharfen Gebrauch der Bezeichnung der Erkrankung
sowie einer verstärkten Medizinalisierung entgegengewirkt. (vgl. Küchenhoff
2012, 13) Die Gestalttherapie versteht den Menschen immer in seinem
gegenwärtigen
Prozess.
Es
widerspricht
meinem
Ethos
als
Gestalttherapeutin, einen Prozess als psychische Störung zu beschreiben. In
der gestalttherapeutischen Lehre kann ein Kontakt gestört sein, jedoch nicht
ein Mensch. Obwohl auch der Begriff der psychischen Krankheit in der
Gestalttherapie nicht vorbehaltlos einzusetzen ist, erscheint er mir für diese
Arbeit angemessener. Einschränkend muss ich einräumen, dass das
Abrechnungssystem
der
deutschen
Krankenversicherungen
eine
Diagnosestellung im Sinne der Internationalen Klassifikation psychischer
Störungen verlangt und diese in dem Zusammenhang auch von den
gestalttherapeutisch Tätigen ausgeführt wird.
Herangezogene Aussagen der Nationalen Ethikkommission im Bereich
Humanmedizin der Schweiz NEK-CNE, Stellungnahme Nr.9/2005, die sich
grundsätzlich zwar auf die Beihilfe zum Suizid aber vergleichend auch auf
Suizide und Suizidversuche bezieht, werden in der vorliegenden Arbeit auf
die Suizidabsicht von Sterbenskranken übertragen. Die Entscheidung für das
Erbeten professioneller Beihilfe zum Suizid oder für den Suizid durch eigene
Handlung erlaubt einen Vergleich.
Im Kapitel 3.5 beziehen sich die Aussagen zu Zivil- und Strafrecht auf
deutsche Rechtsnormen und deutsche Rechtsprechung.
11
Es wird der Umgang mit Suizidalität in den Bereichen der Psychotherapie im
Allgemeinen und der Gestalttherapie im Speziellen beleuchtet. Dazu werden
zunächst
die
Gestalttherapie
und
ihr
Ursprung,
ihre
Positionen,
Anschauungen und Methoden abgebildet. Die Auswahl wurde auf die im
Praxisbeispiel angewendeten Methoden begrenzt. Gemeinsamkeiten und
Überschneidungen mit der Versorgung und Fürsorge in der Palliative Care
werden herausgestellt. In der Arbeit werden ausgehend von den einzelnen
Kapiteln immer wieder Bezüge zur Person aus dem Praxisbeispiel und zu
ihrer Situation hergestellt.
Eine religiöse Betrachtung der Thematik der Suizidalität würde unabdingbar
zusätzliche Aspekte in die Untersuchung einbringen. Darauf wird bei der
Abhandlung im Folgenden verzichtet.
2
Praxisbeispiel
Das Palliative Care Team, in dem ich arbeitete, erreichte der Anruf eines
Ehemannes, der um Unterstützung in der Betreuung seiner 34 Jahre alten
Ehefrau bat. Diese war an einer Amyotrophen Lateralsklerose (im
Folgenden: ALS) erkrankt und lag zum Zeitpunkt der Kontaktaufnahme im
Krankenhaus. Sie habe wiederholt den Wunsch geäußert, „in die Schweiz
gehen“ zu wollen, um dort Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen.
Als ich die Patientin zum ersten Mal besuchte, war ihre Mutter anwesend.
Unter vielen Tränen erzählte mir die Patientin, dass sie seit sechs Jahren
unter stetig wachsenden, massiven Einschränkungen leiden würde. Sie
sprach angestrengt, mit leiser Stimme und musste immer wieder husten.
Die Diagnose, die erst nach vielen ergebnislosen Untersuchungen gestellt
worden war, habe plötzlich ihr komplettes Leben auf den Kopf gestellt.
Zunächst habe sie alles versucht, sich dem fortschreitenden Prozess ihrer
Erkrankung immer wieder anzupassen. Sie habe ihre Arbeitszeit reduziert,
als sie in einem Versandlager gearbeitet und täglich viele Wege
zurückzulegen hatte. Irgendwann hätten ihr ihre Beine immer weniger
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gehorcht und so musste sie sich mithilfe eines Rollators fortbewegen. Später
habe sie dann im Rollstuhl gesessen und letztendlich ihren Job kündigen
müssen.
Eigentlich habe sie Kinder gewollt, doch die Angst, diese nicht groß ziehen
zu können, habe sie davon abgehalten. Auch ihr Mann konnte ihr
diesbezüglich keine Sicherheit geben. Er sei ja selbst sehr ratlos und
verunsichert gewesen. Die Unsicherheit des Ehemannes habe mit dem Auf
und Ab bis zur Diagnosestellung begonnen und bis zum heutigen Tag nicht
mehr aufgehört.
Nur eines sei für sie sicher gewesen: dass sie ihr Leben aktiv beenden
würde, bevor sie dazu nicht mehr selbständig in der Lage sei.
Zu dem Zeitpunkt, als ich die Patientin kennen lernte, beschäftigte sie sich
mit der Frage, ob sie eine Magensonde akzeptieren wolle, da sie sich bei der
Nahrungsaufnahme vermehrt verschluckte und zudem kaum mehr Appetit
hatte. Sie empfand es als entwürdigend, sich wie ein kleines Kind oder wie
eine alte Frau füttern zu lassen. Ihre Beine konnte sie nicht mehr aktiv und
ihre Arme nur noch eingeschränkt bewegen. Sie rauchte gern Zigaretten,
diese fielen ihr jedoch immer häufiger aus der Hand.
Sowohl ihre Mutter als auch ihr Ehemann hätten ihr versprochen, sie „in die
Schweiz zu bringen“, wenn sie ihren Zustand nicht mehr ertragen könne.
Beide bestätigten ohne Vorbehalt. Sie wusste allerdings nicht, wie dies
geschehen solle.
Von ärztlicher Seite konnte bestätigt werden, dass der Verlauf der Krankheit
unaufhaltsam sei. Eine vorbestehende und nicht reaktive psychische
Erkrankung wurde ausgeschlossen.
Die Psychologin der Klinik attestierte die volle Einsichtsfähigkeit der
Patientin. Sie sei leicht depressiv, was in diesem Stadium der Erkrankung
aber nicht ungewöhnlich, sondern eher nachvollziehbar sei. In ihrer
Entscheidungsfähigkeit sei sie nicht beeinträchtigt.
13
Mit
der
Patientin
vereinbarte
ich,
dass
sie
keine
überhasteten
Entscheidungen treffen müsse. Die häusliche Versorgung nach ihrem
Klinikaufenthalt konnte von dem Palliative Care Team zugesichert werden.
Dies sollte unter anderem die Voraussetzung schaffen, die Patientin und ihre
Angehörigen bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen und eventuelle,
noch nicht in Betracht gezogene Möglichkeiten zu beleuchten. Sie ließ sich
von mir versichern, dass ich sie in ihrer Autonomie absolut ernst nehmen
würde.
In den folgenden Gesprächen zeichnete sich ab, dass der Plan, in die
Schweiz zu gehen, zwar bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt der
Erkrankung gemacht aber nie konkretisiert wurde. Über den genauen
Hergang der Sterbehilfe für deutsche Staatsbürger in der Schweiz wussten
weder die Patientin noch die Angehörigen Näheres.
Die Entwicklung der progredienten Erkrankung war bereits so weit
fortgeschritten, dass die Sorge, bald nicht mehr in der Lage zu sein,
selbständig ihr Leben zu beenden, berechtigt schien.
Unabhängig
davon
besprachen
wir
verschiedene
Hilfsmöglichkeiten,
Veränderungen im häuslichen Umfeld und Möglichkeiten der Unterstützung
durch Ehrenamtliche. Dem ungeachtet blieb die Patientin sehr klar bei ihrer
Entscheidung.
Eine Patientenverfügung lag vor. Eine Vorsorgevollmacht hatte sie auf ihren
Ehemann ausgestellt.
Unsere Sitzungen fanden über elf Wochen bei ihr zu Hause statt. Der
Ehemann
wie
auch
die
Mutter,
die
sowohl
beratend
als
auch
haushaltstechnisch eine große Stütze für das Paar war, wurden immer
häufiger zu den Sitzungen eingeladen. Dies war notwendig, damit möglichst
alle Entscheidungen gemeinsam getragen werden konnten.
14
Bereits im Krankenhaus konnten wir zu einer ICH-DU-Haltung (siehe Kapitel
3.2) kommen, die einer Hinwendung zum anderen Menschen auf gleicher
Ebene entspricht. Die Gestalttherapie sieht in dieser Haltung eine
Voraussetzung dafür, dass die Patientin die Expertin ihrer eigenen
Lebensgestaltung bleibt. Dies war für die Patientin äußerst wichtig, weil sie
einerseits die Harmonie in ihrer Familie suchte und sich das Verständnis
ihres Ehemannes und ihrer Mutter wünschte, gleichzeitig aber großen Wert
auf ihre Autonomie legte, die zusehends abnahm. Diese Abnahme der
Autonomie war der Hauptgrund dafür, ihr Leben beenden zu wollen. Wenn
sie die Maßnahme der Lebensbeendigung nicht mehr selbst vollziehen
konnte, würde sie in eine Abhängigkeit geraten.
Zusätzlich lag mein Auftrag in der Beratung zur Patientenverfügung für die
Umsetzung der Wünsche der Patientin. Aus der Idee, „in die Schweiz zu
fahren“, wuchs eine Bereitschaft, selbst aktiv zu werden. In die bereits
vorhandene Patientenverfügung wurde nachgetragen, dass im Falle eines
Suizids der Patientin nicht gegen ihren Willen zum Weiterleben verholfen
werden dürfe. Somit blieb die Möglichkeit bestehen, das Palliative Care
Team zu Hilfe zu rufen, wenn das Sterben diese Unterstützung notwendig
machen würde. Dies war wichtig für die Patientin wie auch für die
Angehörigen.
Gemessen an den Beschreibungen der präsuizidalen Phasen nach
Pöldinger (siehe Kapitel 3.3) befand sich die Patientin während der
überwiegenden Zeit unserer therapeutischen Arbeit in der Entschlussphase.
Ihre Entscheidung, ihr Leben zu beenden, hat sie in den Sitzungen nie in
Frage gestellt. Alles, was sie sich erarbeitete, diente dazu, noch unerledigte
Dinge abzuschließen. Die Gestalttherapie beschreibt Abschnitte der
Ausweglosigkeit einer suizidalen Person (siehe Kapitel 3.3). Innerhalb derer
pendelte die Patientin.
Psychotherapeutisch boten sich viele Ansatzpunkte, mit der Patientin zu
arbeiten. Ihr fester Entschluss, ihr Leben zu beenden solange sie selbst dazu
in der Lage war, drängte sich jedoch immer wieder in den Vordergrund. Die
Therapie fand in dem Spannungsfeld statt, dass einerseits vorbestehende
15
Schwierigkeiten im Leben der Patientin zum positiven gewendet werden
konnten, andererseits das größte Problem, nämlich die Erkrankung, nicht
gelöst werden konnte.
Durch die Begegnung auf gleicher Augenhöhe entstand eine Basis, auf der
viele Fragen, Ängste, Verletzungen, Kränkungen und Wut reflektiert werden
konnten. Diese waren sowohl bei der Patientin als auch den Angehörigen,
die sie aus dem Leben gehen lassen sollten, vorhanden.
Bei der Patientin waren deutliche Aggressionshemmungen zu spüren. Sie
sprach darüber, dass sie sich dem Fortschreiten ihrer Erkrankung machtlos
ausgeliefert und von ihren Freunden, die sich in den letzten Jahren von ihr
abkehrten, verlassen fühle. Zudem müsse sie sich von den Eltern
zunehmend wie ein kleines Kind versorgen lassen. Ihre Gefühle konnte sie
aber mit den Geschehnissen und den beteiligten Personen nicht in
Verbindung bringen und redete darüber mit einer nicht nachvollziehbaren
Gleichgültigkeit. Es schien als stünde eine unüberwindliche Barriere vor ihr.
Sie richtete ihre Aggression gegen sich selbst indem sie eine stoische Ruhe
ausstrahlte, die Erkrankung als gottgegeben hin nahm und sich gleichzeitig
jeglichen Ärger auf Gott verbot. Es schien, als sei dies ihre vermeintliche
Umgangsstrategie. Der Zugang zu ihrer Umwelt war von einer großen
Ambivalenz geprägt. Ihrer Mutter fühlte sie sich einerseits zu Dank
verpflichtet, andererseits war sie ihrer überdrüssig. Sie stieß sie oft weinend
zurück, um gleich darauf in kindlicher Regression die körperliche Nähe zu
suchen. Den Hass auf die eigene Unzulänglichkeit zeigte sie nur selten
offen. Ihre Freunde schonte sie, indem sie sich selbst Glauben machte, dass
sie in ihrem Zustand für die anderen Menschen nicht zumutbar sei. Nach
außen repräsentierte sie ein stilles Leiden und vermittelte, dass alle Schuld
auf ihren Schultern läge. Auch Neid zu formulieren, gestand sie sich nicht zu.
Ebenso wenig stellte sie die in der Palliative Care oft gehörte Frage: „Warum
ich?“. Wenn man sie auf ihr häufiges Weinen ansprach, konnte sie keinen
Grund dafür finden. Sie wollte nur, dass es aufhört.
16
Die Basis meiner psychotherapeutischen Arbeit waren Awareness (siehe
Kapitel 3.2) und die Paradoxie der Veränderung (siehe Kapitel 3.2). Durch
das uneingeschränkte Annehmen ihrer Person konnte sie die Erfahrung
machen, dass sie so sein durfte, wie sie ist. Verhaltensweisen und Gesten,
wie der traurige Gesichtsausdruck und ihre herunter hängenden Schultern
beim Erzählen von unerfüllten Wünschen, die sie in den Sitzungen zeigte,
forderte ich sie auf zu wiederholen und zu verstärken. Dies wirkte
erlebnisaktivierend, wodurch sie sich ihren Gefühlen nähern konnte.
Ihrem Ärger über ihre Erkrankung gab ich Raum, indem ich diesen für sie
stellvertretend ausdrückte. Ich gab ihr beispielhaft Möglichkeiten, ihre
Gefühle zuzulassen und sie auszudrücken. Ihr Verhalten spiegelte ich,
indem ich ihr sagte, dass ich bei der Schilderung der liebevollen Fürsorge
durch ihren Ehemann und ihre Mutter ihren ärgerlichen Gesichtsausdruck
sehe und sie gleichzeitig sagen höre, dass sie glücklich sei, von ihren Eltern
umsorgt zu werden. Ich fragte, wie sie es schaffe, Ärger und Glück
gleichzeitig zu empfinden. Um mögliche Introjekte (siehe Kapitel 3.2) in ihr
anzusprechen, fragte ich sie, ob sie dieses Verhalten von früher kenne und
ob ihr andere Situationen dazu einfallen. Die Patientin hatte Schuldgefühle
gegenüber ihrer Mutter und sah bei sich die Pflicht, Dank zu zeigen und ihre
Enttäuschung über ihr Leben vor der Mutter zu verbergen. Dies stellt eine
zurück gehaltene Aggression beziehungsweise Aggressionshemmung (siehe
Kapitel 3.2) dar. Der Patientin fielen weitere Beispiele im Zusammenhang mit
der elterlichen Ehescheidung in ihrer frühen Kindheit ein. Sie glaubte
damals, ihre Mutter schonen und trösten zu müssen. Es waren Situationen
wie heute, da sie ihre Mutter stabilisieren musste, obwohl sie selbst sehr
hilflos war. Ihre eigene Verzweiflung verbot sie sich. In extremen
Belastungssituationen zog sie sich in die Retroflexion (siehe Kapitel 3.2)
zurück und riss sich die Haut um ihre Fingernägel ab bis die Finger bluteten.
In unseren Sitzungen konnte sie Angebote nutzen, um auszuprobieren, was
passieren würde, wenn sie nicht mehr die liebe Tochter ist. Auf der
Kontaktkurve (siehe Kapitel 3.2) erlebte die Patientin wiederholt eine
Kontaktunterbrechung durch Retroflexion. Die offene Gestalt, ihre Wünsche
nach eigener Anerkennung, drängte danach geschlossen zu werden.
17
Parallel dazu stand dauerhaft der gefasste Entschluss, ihr Leben zu
beenden. Die Patientin erarbeitete in unseren Sitzungen Strategien und
leichtere Umgangsformen mit schwierigen Situationen. Einige bisher diffuse
und unausgesprochene Differenzen mit ihrer Mutter konnten Gestalt
annehmen. Im Nachhinein half ihr dies dabei, sich gefestigter aus dem
Leben zu verabschieden.
Die Patientin suizidierte sich mit einer Überdosis an Schlafmitteln. Als
Mitarbeiterin des ambulanten Palliative Care Teams erfuhr ich drei Tage
nach unserer letzten Zusammenkunft von ihrem Tod.
3
Gestalttherapie und Suizid
3.1 Der Ursprung der Gestalttherapie
Begründer und Begründerin der Gestalttherapie sind Fritz Perls (geboren
1893 als Friedrich Salomon Perls in Berlin; gestorben 1970 in Chicago),
Laura Perls (geboren 1905 als Lore Posner in Pforzheim; gestorben 1990
ebenda) und Paul Goodman (geboren 1911 in New York; gestorben 1972
ebenda) (vgl. Blankertz und Doubrawa 2005, 201; 212; 130 und 134).
Die ersten Ansätze der Gestalttherapie wurden in den 1930er und 1940er
Jahren, während des Nationalsozialismus von Lore und Fritz Perls im
südafrikanischen Exil entwickelt. Beide hatten ihren beruflichen Ursprung in
der Psychoanalyse, von der sie sich durch Reformierung der Freudschen
Therapievorstellungen distanzieren wollten (vgl. Doubrawa 2003, 13f). Fritz
und Laura Perls „[…] haben den ‚sicheren‘ Platz der Psychoanalytiker hinter
der Couch aufgegeben und sich vor den Klienten gesetzt“ (Doubrawa 2003,
14). Ende der 1940er Jahre siedelten sie nach New York um, wo sie dem
Schriftsteller und späteren Gestalttherapeuten Paul Goodman begegneten
(vgl. Doubrawa 2003, 14).
18
Doubrawa beschreibt die Zeit Ende der 1960er Jahre, in der die
Gestalttherapie bekannt wurde, als eine Zeit der psychologischen,
spirituellen und politischen Aufbruchbewegung, des „Human Potential
Movement“ in Kalifornien. Hier entstand unter anderem die Idee, dass in den
Menschen noch nicht genutztes Entwicklungspotential stecke, welches ihnen
zu mehr Lebensqualität, Ausgeglichenheit und Kreativität verhelfen sollte
(vgl. ebd.).
Die Autonomie jedes einzelnen Menschen wurde in den Vordergrund
gerückt, entsprechend zur Ära der 68er Bewegung für Selbstbestimmung
und Befreiung.
Die Gestalttherapie versteht sich als erlebnisaktivierende Psychotherapie,
die vordergründig hermeneutisch und phänomenologisch vorgeht. Sie ist ein
Psychotherapieverfahren aus der humanistischen Psychologie.
Der Begriff Hermeneutik kommt aus dem Griechischen und bedeutet
ursprünglich Kunst der Auslegung. Später erlangt der Begriff eine
philosophische und historische Deutung, die Lehre des Verstehens und
Auslegens (vgl. Dorsch 2009, 422).
Der Begriff Phaenomenon stammt aus dem Lateinischen und bedeutet die
Lehre von den Erscheinungen (vgl. Dorsch 2009, 747).
Die Phänomenologie bezieht sich immer auf die Wahrnehmung der
betreffenden Person. Das, was ein Mensch wahrnimmt, ist auch dann wahr,
wenn es nicht mit einem tatsächlichen Vorkommnis übereinstimmt. „Wahr ist,
was wir wahr „nehmen“ (Blankertz und Doubrawa 2003, 221). Das
phänomenologische Vorgehen findet in der Gestalttherapie Anwendung,
indem bearbeitet wird, wie etwas erlebt wurde und nicht was erlebt wurde.
Laura und Fritz Perls, die beide ehemals psychoanalytisch tätig waren,
entwickelten die Gestalttherapie nachdem sie ihre eigenen Erkenntnisse aus
der Gestaltpsychologie nicht mehr mit denen der Psychoanalyse in
Verbindung bringen konnten beziehungsweise wollten.
19
Fritz Perls beschäftigte sich mit der Unterdrückung von Lebensenergie, die
er Aggression nannte. Er sah das Leben immer in Verbindung mit aktiver
Umgestaltung und Veränderung. Den dafür notwendigen aktiven Einsatz von
Lebensenergie nannte er Aggression (siehe Kapitel 3.2) (vgl. Blankertz und
Douberawa, 119).
Die Gestalttherapie hat ihre eigenen Grundannahmen, durch die sie sich klar
von anderen psychotherapeutischen Vorgehensweisen abgrenzt. Sie ist aber
auch ein tiefenpsychologisch begründetes Verfahren, deren Begründer und
Begründerin ihren Ursprung in der Psychoanalyse haben, weshalb sich
ebenso Analogien zu dieser erkennen lassen.
„Psychoanalyse und Gestalt erweisen sich als Therapiesysteme, die die
Ganzheit des Menschen im Blick zu behalten und Störungen sinnhaft
zu verstehen versuchen. […] Im Zentrum der therapeutischen Arbeit
stehen […] der Glaube daran, dass vielfältige Erfahrungen in uns
gespeichert und reaktualisierbar sind, und die Vorstellung eines
differenzierten
psychischen
Geschehens,
das
vielfältige
Symbolisierungs- und Ausdrucksmöglichkeiten enthält […]“ (Baulig
2001, 250).
Eine
präzise
Differenzierung
beziehungsweise
Abgrenzung
zur
Psychoanalyse ist nicht immer scharf durchzuführen. So schreibt Bocian
(2000, 14), „[…] daß [sic] scheinbar gestalttypische Begriffe und Konzepte,
wie Ganzheit, Hier-und-Jetzt, Wachstum, Kontakt und Awareness sich schon
bei den analytischen Freigeistern finden lassen.“ Zudem entstand die
Gestalttherapie chronologisch nach der Psychoanalyse. Man könnte sagen,
dass die Gestalttherapie von der Psychoanalyse abstammt beziehungsweise
aus ihr erwachsen ist. Gleichwohl will sie sich klar und eigenständig
positionieren.
„Zwar
besteht
ein
Verwandtschaftsverhältnis
zwischen
Psychonanalyse und Gestalttherapie. Doch das Kind hat laufen gelernt“
(Baulig
2001,
259).
Die
Gestalttherapie
befasst
sich
mit
nicht
angemessenem Verhalten, welches sich darin zeigt, dass eine Person nicht
das erreicht, was sie erreichen will beziehungsweise dass sie mit dem
20
Erreichten nicht zufrieden ist. Dies deutet auf einen gestörten Kontakt mit der
Umwelt hin (vgl. Blankertz und Doubeawa, 119).
Eine grobe Einteilung von psychotherapeutischen Verfahren könnte in
folgender Unterscheidung gelingen:
Eine ätiologische Herangehensweise ist in der Psychoanalyse nach Sigmund
Freud zu finden, die sich vordergründig mit der Ursache und Entstehung von
Krankheiten beschäftigt.
Die lerntheoretische Herangehensweise in der Verhaltenstherapie nach John
Broadus Watson stützt sich auf die Kognition der zu behandelnden Person.
Als
hermeneutisch,
phänomenologische
Vorgehensweise,
die
erlebnisaktivierend eingesetzt wird, sieht sich die Gestalttherapie nach Fritz
und Laura Perls.
Freuds eigene Definition ist in Dorschs Psychologischem Wörterbuch (2009,
788) wie folgt nachzulesen: „Psychoanalyse ist der Name (1) eines
Verfahrens zur Untersuchung seelischer Vorgänge, welche sonst kaum
zugänglich sind; (2) einer Behandlungsmethode neurotischer Störungen, die
sich auf diese Untersuchung gründet; (3) einer Reihe von psychologischen
auf solchen Wegen gewonnenen Einsichten, die allmählich zu einer neuen
wissenschaftlichen Disziplin zusammenwachsen.“ Weiter heißt es in Dorsch
(2009, 788), dass Siegmund Freud und Josef Breuer Ende des 19.
Jahrhunderts das Verfahren der ‚Seelenzergliederung‘ zum Heilen seelischer
Krankheiten entwickelt haben.
Die
Verhaltenstherapie
vertrat
nach
Jaeggi
(1997,
99)
eine
der
Hauptrichtungen der Psychotherapie und ist in den 1960er Jahren
entstanden. Sie gründete auf die von dem Psychologen Hans Jürgen
Eysenck formulierte These, dass das Symptom selbst die Neurose sei.
Damit wollte man sich von bisherigen tiefenpsychologischen Spekulationen
über das was unter und hinter den Symptomen stecken könnte distanzieren.
Man beschäftigte sich ausschließlich mit dem gestörten Verhalten, welches
als
falsch
gelerntes
Verhalten
angesehen
wurde.
Auch
die
21
Verhaltenstherapie entwickelt sich als Reaktion auf die Psychoanalyse (vgl.
Dorsch 2009, 1066).
3.2 Grundannahmen und Methoden der Gestalttherapie
Ein bedeutender Lehrsatz der Gestalttherapie ist die paradoxe Theorie der
Veränderung nach Arnold Beisser. Der Gestalttherapeut war als junger Mann
an Poiliomyelitis erkrankt und nahezu vollständig gelähmt. An seiner
Geschichte, die erzählt wie er mit der radikalen Veränderung durch die
Erkrankung in seinem eigenen Leben zurecht kam, zeigt er beispielhaft wie
Veränderung auf dem Boden der Akzeptanz der aktuellen Situation gelingen
kann.
„Veränderung geschieht, wenn jemand wird, was er ist, nicht wenn er
versucht zu werden, was er nicht ist. […] Der Gestalttherapeut
verweigert die Rolle des ‚Veränderers‘, weil seine Strategie darin
besteht, den Klienten zu ermutigen, ja sogar darauf zu bestehen, daß
[sic] er sein möge, wie und was er ist. […] Vielmehr entsteht
Veränderung, wenn der Klient – zumindest für einen Moment –
aufgibt, anders werden zu wollen, und stattdessen versucht zu sein,
was er ist. Dies beruht auf der Prämisse, daß [sic] man festen Boden
unter den Füßen braucht, um einen Schritt vorwärts zu machen, und
daß [sic] es schwierig oder gar unmöglich ist, sich ohne diesen Boden
fortzubewegen.“ (Beisser 2005, 139)
Beisser greift in seiner Geschichte und der darin entwickelten paradoxen
Theorie der Veränderung beständige, unbewusste Vorgänge in Menschen
auf, die nach der Erfüllung ihrer Anliegen, die in der Zukunft liegen, streben.
Die Annahme dessen, was jetzt ist, ist der Boden auf dem Veränderung
geschehen kann. Sie muss der erste Schritt sein, um dann im zweiten Schritt
das Vorhandene zu verändern oder anzupassen.
22
Bezogen auf die Patientin mit ALS aus dem Praxisbeispiel würde Beisser
deren Entschluss, ihr Leben zu beenden, als Streben nach etwas, dass in
der Zukunft liegt, betrachten. Eine Veränderung ihrer Situation kann
demnach erst dann geschehen, wenn die Patientin bereit ist, ihre jetzige
Situation anzunehmen.
Eine der entscheidenden Grundannahmen der Gestalttherapie ist die
Gestaltbildung im Figur-Grund-Prozess. Danach kann sich eine Figur klar vor
einem blassen Hintergrund herausheben, sie kann diffus sein oder es
können mehrere Figuren um die Aufmerksamkeit konkurrieren. Die
Differenzierung
in
Figur
und
Grund
bedeutet
zwischen
dem
zu
unterscheiden, was ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt und dem, was
indifferent, eventuell unbewusst, im Hintergrund bleibt.
Der
Begriff
Gestalt
wird
international
verwendet
und
in
der
Gestaltpsychologie mit Ganzheit gleichgesetzt. Die Gestalt ist eine
Vordergrunderscheinung, die sich vom übrigen Hintergrund abgrenzt (vgl.
Hartmann-Kottek 2008, 8). Auch wird eine beirrende oder widersprüchliche
Verhaltensweise oder eine mit Beharrlichkeit durchgesetzte Überzeugung,
die aus ihrem Kontext heraus sticht als Gestalt begriffen. Sie tritt nach dem
Figur-Grund-Prinzip nach vorn. Sie löst sich aus dem Kontext heraus und
wird zu einer konkreten Figur, das heißt eine Gestalt wird prägnant.
Suizidgedanken, die sich als offene Gestalten immer wieder in den
Vordergrund schieben und sich folglich als Figur vom Grund abheben,
drängen danach geschlossen zu werden. Versucht die betreffende Person
jene Gedanken in den Hintergrund zu schieben oder zu verdrängen, werden
sie sich wiederholt als Figur in den Vordergrund drängen.
Die Prägnanztendenz besagt, dass Menschen eine Neigung dazu haben,
Gestalten zu schließen. Mit dem Wort Prägnanztendenz meint die
Gestaltpsychologie,
dass
die
menschliche
Wahrnehmung
zur
Vervollständigung neigt. So fügt sich eine nur durch Punkte abgebildete
Figur in unserer Wahrnehmung beispielsweise zu einer Linie oder zu einem
Kreis zusammen und schließt sich auf diese Weise (vgl. Leitmeier 2010,
145f).
23
Für die Gestalttherapie ist es unumgänglich, den Menschen, die in die
Therapie kommen, auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Diese Art der
Begegnung heißt in der Gestalttherapie Ich-Du-Haltung und wird von Dreitzel
(2004, 24) folgendermaßen beschrieben:
„Die Konzentration auf die direkte Interaktion von Therapeut und Klient in
einer Ich-Du-Beziehung, also einer Beziehung, in der der Patient nicht nur
als ‚Symptomträger‘ wahrgenommen wird und in der der Therapeut sich in
selektiver Authentizität selbst mit einbringt.“
Die Ich-Du-Haltung ist eine absolut bedeutsame Grundhaltung in der
Gestalttherapie. Gestalttherapeutisch Tätige würden es als unangemessen
empfinden, ein weißes Blatt bleiben zu wollen. Das würde übersetzt
bedeuten aus dem Kontakt zu gehen (siehe Kapitel 3.2, Kontaktkurve). Im
Kontakt erhält die Klientin und der Klient die Möglichkeit, die eigenen Anteile
in Augenschein zu nehmen, zu überprüfen und möglicherweise sogar zu
verändern beziehungsweise an die aktuelle Lebenssituation anzupassen.
Auf einer horizontalen Ich-Du-Ebene begegnen sich Therapeutin und
Therapeut und Klientin und Klient, um etwas über sich zu lernen. „In der
vertikalen Beziehung bleibt das Ich des Therapeuten privat und versteckt
und fördert […] Abhängigkeit und Übertragung“ (Simkin 2000, 84f). Im
prozessualen gestalttherapeutischen Geschehen dient die aktuelle Situation
als Medium für den Kontakt. Die Gestalttherapie geht davon aus, dass der
Kontakt in einer ebenbürtigen Begegnung Blockaden aktualisiert und somit
zu einer Figur werden lässt. Diese gelangen in das Gewahrsein der Klientin
und des Klienten und können dann bearbeitet werden.
Die gestalttherapeutische Ich-Du-Haltung geht auf das Werk „Ich und Du“
des österreichisch-israelischen, jüdischen Religionsphilosophen des 20sten
Jahrhunderts Martin Buber zurück. Heute kennzeichnet das Ich-Du in der
Gestalttherapie eine menschliche Haltung, in der sich Klientin und Klient und
Therapeutin und Therapeut gleichwertig begegnen (vgl. Blankertz und
Doubrawa 2005, 41).
24
Die Gestalttherapie hat sich durch Fritz Perls abweichend zum Umgang mit
Aggression und Aggressionshemmung positioniert. Im Psychologischen
Wörterbuch (Dorsch 2009, 15) ist die Aggression eine Verhaltensweise, die
mit der Absicht ausgeführt wird, ein Individuum direkt oder indirekt zu
schädigen.
Perls hat den Inhalt des Aggressionsbegriffs umgedeutet, wodurch ein
Unterschied zur Umgangssprache entstanden ist. Nach Blankertz und
Doubrawa (2005, 11) besteht in der Gestalttherapie das Wesen der
Aggression darin, dass sie nicht nach zweckloser Entladung sucht, sondern
danach, zielgerichtet eingesetzt zu werden. Erst ihre Unterdrückung führt zu
Destruktivität. „Aggression wird als natürliche Lebensäußerung verstanden,
als Zugehen auf die Welt und als Zugreifen und gegebenenfalls auch
Zerstören (wie beispielsweise beim Kauen von Nahrung)“ (Gremmler-Fuhr
2001, 371). Hat die betreffende Person die Erwartung, dass ihre
Aggressivität negative Zuwendung zur Folge haben würde, wird sie
möglicherweise ihre Aggression zurückhalten oder gegen ihr eigenes Selbst
zurückwenden.
Ersteres
wäre
im
gestalttherapeutischen
Sinn
die
Auswirkung einer Introjektion, zweiteres beschreibt eine Retroflexion.
Ein Zurückhalten oder das Zurückwenden von Aggressivität gegen den
eigenen Organismus kann sich in Form von Grübeln oder einer
Denkhemmung wie auch in der übertriebenen Fürsorge um sich selbst
beziehungsweise übertriebenen Eigenbefriedigung aber auch Selbstquälerei
oder Selbstschädigung äußern (vgl. Gremmler-Fuhr 2001, 371).
Die Bildung der Grenze zwischen Organismus und Umweltfeld während
eines Kontaktprozesses kann sich auf unterschiedliche Arten vollziehen, die
in der Gestalttherapie mit Kontaktfunktionen beschrieben werden.
Eine
Kontaktfunktion
hebt
sich
in
ihrer
Bedeutung
von
der
Kontaktunterbrechung oder der Kontaktstörung ab. Die Funktion ist eine
neutrale Bezeichnung, während eine Unterbrechung oder Störung darauf
hinweisen, dass es auch einen richtigen beziehungsweise normalen Kontakt
geben müsste. Würde eine Gestalttherapeutin oder ein Gestalttherapeut
25
feststellen, dass die Klientin oder der Klient den Kontakt unterbricht, läge die
Vermutung nahe, dass die betreffende Person sich in einem anderen
Kontaktvorgang befindet als dem, den die Therapeutin oder der Therapeut
gerade fokussiert. Die vermeintlich kontaktunterbrechende Person, die
Klientin oder der Klient, wäre dann immer noch in Kontakt mit ihrem
bisherigen Thema (vgl. Gremmler-Fuhr 2001, 366). Einige der klassischen
Kontaktfunktionen der Gestalttherapie, die in der therapeutischen Arbeit mit
Menschen mit Suizidgedanken häufiger vorkommen, sind die Introjektion,
Projektion und Retroflexion. Sie werden im Folgenden am Beispiel von
Suizidgedanken beschrieben.
Introjektion ist die ungeprüfte Aufnahme oder Verarbeitung von Fremdem.
Der Gegenpol ist das Ablehnen von allem, was spontan als fremd erlebt
wird. Dies drückt sich wiederum in berechtigtem oder unberechtigtem
Misstrauen gegenüber Fremdem aus (vgl. Gremmler-Fuhr 2001, 369). Ein
Mensch mit Suizidgedanken hat möglicherweise das Introjekt, das man sich
nicht suizidieren darf. Er setzt damit voraus, dass kein anderer Mensch seine
Ideen und Fantasien verstehen könnte. Möglicherweise verbietet er sich die
Gedanken daran, die sich ihm jedoch immer wieder aufdrängen.
Die Projektion ist durch die Verlagerung der eigenen Grenze nach innen
gekennzeichnet,
wodurch
dem
Organismus
zugehörige
Elemente
ausgegrenzt und als der Umwelt zugehörig erlebt und somit auf diese
projiziert werden. Durch die Verschiebung der Grenze weit in den
Organismus hinein wird dieser als stark reduziert gegenüber der Umwelt
erlebt. Bei der Projektion wird das, was im Organismus im Verlauf des
Kontaktprozesses entsteht, für etwas gehalten, das real außerhalb des
Organismus existiert (vgl. Gremmler-Fuhr 2001, 370). Eine Projektion dient
gegebenenfalls als Erklärungsversuch, das Unfassbare fassbar zu machen.
Der Mensch, der einen Ausweg aus der Krise darin sieht, sein Leben zu
beenden, projiziert in die ihn betreuenden Menschen, dass sie sich
wünschten, er wäre nicht mehr da, damit er ihnen nicht mehr zur Last fallen
würde. Weil Suizid für den betroffenen Menschen ein Tabu ist, gesteht er
sich den Gedanken nicht ein und spielt ihn den anderen zu.
26
Die Retroflexion ist gekennzeichnet durch deutliche Abgrenzung und
Widerstand nach außen. Impulse und beabsichtigte Aktivitäten, die auf die
Umwelt gerichtet sind und darauf abzielen, die Grenzen zur Umwelt zu
überschreiten, werden zurück gehalten und stattdessen auf den eigenen
Organismus gerichtet. Der Gegenpol ist das ungehemmte und unkontrollierte
Ausleben der Impulse, was je nach situativer Gegebenheit konstruktiv oder
destruktiv sein kann (vgl. Gremmler-Fuhr 2001, 370f). Eine Retroflexion
könnte offenbar werden, wenn eine auf Unterstützung angewiesene Person
angebotene Hilfe zurückweist, obwohl für sie dadurch Nachteile entstehen.
Ursprünglicher Ärger über wahrgenommene Ungerechtigkeit und Eifersucht
gegenüber den Helfenden werden nicht an der Grenze zur anderen Person
ausgetragen, sondern zurückgewendet gegen das eigene Selbst. Ein Motiv
hierfür könnte wiederum ein Introjekt aus der Vergangenheit sein.
Auf dem Weg vom Erkennen eines Bedürfnisses bis zu dessen Befriedigung
ist Awareness, was wache Bewusstheit bedeutet, notwendig, um zwischen
dem eigenen Organismus und der Umwelt zu unterscheiden, damit Raum für
Kontakt, Erfahrung und Entwicklung entstehen kann. Diese wache
Bewusstheit findet auf zwei Ebenen statt. Auf der Ebene der äußeren
Bewusstheit besteht der Kontakt zur Situation, zu dem, was außerhalb des
eigenen Organismus geschieht. Auf der Ebene der inneren Bewusstheit
besteht Kontakt zu dem, was im eigenen Organismus vorgeht. Dieser
Prozess kann nur im Hier und Jetzt stattfinden. In der Vermeidung mit dem
direkten Kontakt weicht ein Individuum auf so genannte Zwischenzonen aus.
Diese
können
aus
Fantasien,
Befürchtungen,
Gedanken
und
Wunschträumen bestehen und befinden sich außerhalb des Hier und Jetzt.
In den Zwischenzonen verliert sich der Kontakt zu den eigenen
Bedürfnissen. Diese treten erst wieder in der wachen Bewusstheit, der
Awareness, in den Vordergrund. Ist ein Kontakt blockiert, interessiert
vordergründig wie er blockiert ist und nicht warum. Wird Awareness, die
wache Bewusstheit im Hier und Jetzt, zugelassen, kann ein Bedürfnis
spürbar werden, sich vom Grund abheben und zur Figur werden.
Wahrzunehmen was da ist, statt daran zu denken was sein könnte, bedeutet
zuzulassen was gegenwärtig ist (Vollkontakt). Die Phase der Assimilation
27
entspricht
der
Integration
des
vom
Organismus
Aufgenommenen
beziehungsweise der Verdauung. Das bedeutet anzunehmen was gut ist und
auszuscheiden was schlecht ist. Eine neue Gestalt kann prägnant werden,
d.h. sie tritt als Figur in den Vordergrund (Figur-Grund-Prinzip). Der
Kontaktzyklus kann von neuem beginnen (vgl. Dinslage 1995, 28f).
Am Beispiel einer Person mit Suizidgedanken, die sich immer wieder als
Möglichkeit einer Problemlösung aufdrängen, werden diese aus Sorge vor
Unverständnis nie einer anderen Person mitgeteilt und besprochen. Die
quälenden aber vielleicht auch Hoffnung versprechenden Suizidgedanken
fordern die Reflexion mit einem Gegenüber. Das könnte möglicherweise
dazu führen, eine Entscheidung gegen oder für eine Suizidhandlung zu
treffen. In diesem Fall bliebe die betreffende Person vor der Ebene der
Kontaktnahme stecken. Der Prozess des Kontaktzyklus wäre blockiert. Diese
offene Gestalt drängt nach Schließung und schiebt sich somit unaufhörlich in
den Vordergrund. Das Leiden dieser Person wird nachvollziehbar und
verlangt nach dem Ansprechen der Thematik Suizidalität. Womöglich besteht
ein spürbares Bestreben der Familie oder des Behandlungsteams das
Thema Suizidalität nicht anzusprechen, aus Angst, die betroffene Person
dadurch vielleicht erst auf diese Idee zu bringen. Mit diesem Auftrag der
anderen könnte die Person mit Suizidgedanken in die Kontaktnahme gehen.
Sie würde dann ihre eigene Bedürfnisbefriedigung dem Bedürfnis der
anderen
hintanstellen.
Suizidgedanken.
Der
Es
herrschte
Kontaktvollzug
Stillschweigen
im
Sinne
über
der
ihre
eigenen
Bedürfnisbefriedigung müsste scheitern. Die eigentliche Gestalt, hier das
Aussprechen
von
Suizidgedanken,
bleibt
offen
und
verlangt
nach
Schließung, indem sie sich erneut vom Grund abhebt.
28
Der Kontaktprozess veranschaulicht an der Kontaktkurve:
Kontaktvollzug
Kontaktnahme
Vorkontakt
Assimilation
Nachkontakt
Im Vorkontakt hebt sich eine Figur, hier beispielhaft Suizidgedanken,
gegenüber einem Hintergrund allmählich hervor. Ins Bewusstsein tritt
zunächst die diffuse Existenz eines Bedürfnisses.
In der Phase der Kontaktnahme klärt sich die Frage nach der Art des
Verlangens, beispielsweise sich einer Person anzuvertrauen, und die
Umgebung wird auf Befriedigungsmöglichkeiten hin geprüft.
Im Vollkontakt, zu dem es im vorangegangenen Beispiel nicht kommt, da die
betreffende Person ihrem Introjekt folgt, welches „Darüber spricht man nicht.“
heißen könnte, kommt es zum Austausch zwischen dem eigenen
Organismus und der Umwelt.
Die Phase der Assimilation entspricht der Integration des vom Organismus
Aufgenommenen beziehungsweise der Verdauung dessen. Wäre es im
Beispiel dazu gekommen, könnte das die Aussprache von quälenden
Gedanken sein.
Im Nachkontakt wird die Figur, das nun erfüllte Bedürfnis, wieder los
gelassen. Die Person aus dem Beispiel könnte nach dem Gespräch zum
Beispiel Erleichterung oder Unverständnis der anderen spüren. Der
29
Nachkontakt ist der Wechsel vom Kontakterlebnis zur Rückbesinnung des
Organismus auf sich selbst.
„Werden Kontaktaufnahme oder Kontaktvollzug wie in dem Beispiel
vermieden, entsteht eine unvollendete Gestalt, die nach einer Schließung
drängt“ (Hutterer-Krisch 2001, 757). Diese offenen Gestalten in Form von
unerwünschten Gefühlen, vermiedenen äußeren Konflikten oder peinlichen
Wünschen lassen sich nicht auf Dauer verdrängen, sondern schieben sich
immer wieder in den Vordergrund (vgl. Hutterer-Krisch 2001, 757).
3.3 Die Sicht der Gestalttherapie auf den suizidalen Menschen
Das innere Befinden einer suizidalen Person wird laut Schneider (1990, 218)
vordergründig von zwei Fragen gelenkt. „Werde ich ernst genommen?“ und
„Werde ich angenommen?“
Die Anzeichen, die einer Suizidabsicht nahezu immer vorausgehen, wurden
von dem österreichischen Psychiater Walter Pöldinger wie auch von der
Gestalttherapeutin Kristine Schneider ähnlich beschrieben.
Die suizidale Person leidet nach Pöldinger unter einer starken Einengung.
Die sogenannte Präsuizidalität hat er in drei Phasen unterteilt.
-
Erwägungsphase:
Suizid wird als Problemlösung in Betracht gezogen.
Die Distanzierungsfähigkeit ist erhalten.
-
Ambivalenzphase:
Es
findet
ein
innerer
Kampf
zwischen
Ablehnung
und
Befürwortung des Suizids statt.
30
In dieser Phase werden häufig Andeutungen, Drohungen, Appelle
ausgesprochen.
-
Entschlussphase:
Die Distanzierungsfähigkeit ist aufgehoben.
Die Suizidvorbereitung findet statt.
Eine innere Ruhe, die sogenannte „Ruhe vor dem Sturm“, tritt ein.
(vgl. Meise und Sulzenbacher 2006)
Das präsuizidale Syndrom „[…] besteht aus Einengung, Aggressionsumkehr
und Suizidphantasien, die zwar nicht zwingend zum Suizid führen, aber
nahezu jeder Suizidhandlung vorausgehen“ (Plein 2003, 5).
Schneider (1990, 218f) beschreibt die Ausweglosigkeit, mit der sich eine
suizidale
Person
konfrontiert
sieht,
aus
gestalttherapeutischer
Sicht
folgendermaßen:
-
Erlebte Ohnmacht, ohne Gestaltungskraft.
-
Einengung durch Verluste und Schicksalsschläge, diese könnten
in der Depression inszeniert sein.
Das Selbstwertgefühl ist zerstört. Die Person ist vereinsamt. Beziehungen
werden als wertlos angesehen.
-
Die Person befindet sich im Zustand implodierter Aggression,
angefüllt mit schwelender, unausgedrückter Wut.
-
Flucht in eine Fantasiewelt visionärer Leidensfreiheit im Tod und
Verselbständigung und Verfestigung der Isolation von der
Lebenswelt.
„Einen ausweglosen Menschen kann man nur und ausschließlich bei seiner
Ausweglosigkeit erreichen, sonst zunächst nirgends. Trost für einen
31
Trostlosen ist Spott“ (Hutterer-Krisch 2001, 839: zit. nach Dörner, Plog 1990,
333).
3.4 Suizidabsicht und Krise
„Krise [gr. krisis: Entscheidung, Sichtung] ist der entscheidende Punkt oder
auch Abschnitt im Verlauf einer Krankheit, i. w. S. jede Auseinandersetzung“
(Dorsch Psychologisches Wörterbuch 2009, 553).
Das Außerordentliche an einer suizidalen Krise ist, dass es für die
Betroffenen keine Vorbereitung darauf gibt. Wolfersdorf und Etzersdorfer
(2011, 80) beschreiben die Krise als einen Zustand, wie er von Betroffenen
nach einer unverhofft gestellten Diagnose häufig erlebt wird. Sie sei eine
Situation
der
eine
überraschende,
belastende
Erfahrung
oder
ein
lebensveränderndes, nicht zu bewältigendes Ereignis zugrunde liegt. „Krisen
können in Situationen entstehen, bei denen die Versorgung von außen
ausfällt, die Fähigkeit zur Selbstversorgung aber noch nicht entwickelt ist“
(Schigutt, Schigutt zit. in Hutterer-Krisch 2001, 840). Perls zieht einen
Vergleich zwischen einem Baby, dass nach Durchtrennung der Nabelschnur
die Eigenversorgung mit Sauerstoff plötzlich selbst durchführen muss. Dies
kann akut als eine lebensbedrohliche Krise empfunden werden. Sobald die
Atmung möglich ist und sich die Fähigkeit dazu etabliert hat ist sie
überwunden (vgl. Schigutt, Schigutt in Hutterer-Krisch 2001, 840). „Bei einer
Krise handelt es sich um eine Situation, in der ein suizidaler Mensch eine
Lebensveränderung nicht adäquat bewältigen kann“ (Ahrens und Freyberger
2002, 426). So fragt Spiegel-Rösing (1992, 146): „[…] kann […] das Wissen
um mein Sterben nicht viele der mir vorher zur Verfügung stehenden
Bewältigungsmöglichkeiten überfordern oder angesichts der physischen
Realität der Krankheit
(Schwäche, Verstümmelung,
Funktionsverlust)
entmachten?“
Eine Krise ist immer ein Zustand, der so niemals vorher erlebt oder dessen
Umgang präventiv eingeübt werden konnte. Sie ist der Wendepunkt einer
32
Entwicklung und ein Ort der Entscheidung. Sie beinhaltet also auch die
Möglichkeit eines Neuanfangs.
Um im Kontakt mit einer Person mit Suizidabsicht zu bleiben, ist es
notwendig, diesem Menschen im Gestaltsinn in der Ich-Du-Haltung auf
horizontaler Ebene zu begegnen. Die Therapierenden bringen sich in
selektiver Authentizität ein. Mit den Worten von Ruth Cohn ausgedrückt
bedeutet das: „Nicht alles, was echt ist, will ich sagen, doch was ich sage,
soll echt sein […]“ (Cohn 1979 zit. nach Pfaff 2002, 40). Wenn sich die
Therapierenden
vordergründig
auf
die
Verhinderung
eines
Suizids
konzentrieren, verlieren sie den Kontakt zu dem Menschen. Sie gehen aus
dem Kontakt mit der betroffenen Person und sind sich möglicherweise ihrer
Gegenübertragung (siehe Kapitel 3.5) nicht bewusst beziehungsweise sind
verhindert diese wahrzunehmen. Bei der Patientin aus dem Praxisbeispiel
wird deutlich, dass die Arbeit einseitig und außerhalb des Kontakts
stattgefunden hätte, wenn das Ziel der therapeutischen Arbeit vorrangig
gewesen wäre, den Suizid zu verhindern.
3.5 Relevanz von Supervision
In der Beziehung zu Sterbenden im psychotherapeutischen Setting erleben
Therapierende tiefgehenden Kontakt zu ihren eigenen Verlustängsten und
ihrer Sterblichkeit (vgl. Lehner 2011, 171). Dies braucht notwendigerweise
eine regelmäßige supervisorisch begleitete Reflexion, um eigene Anteile zu
erkennen
und
diese
nicht
ungefiltert
in
den
Übertragungs-
und
Gegenübertragungsprozess fließen zu lassen.
Dass psychotherapeutisch Tätige sich und ihre Arbeit regelmäßig mit
fachlicher Unterstützung reflektieren und analysieren ist unabdingbar, um
sich Übertragungen und Gegenübertragungen bewusst zu machen. In der
Übertragung besteht bei Betroffenen eine starke Tendenz dazu, die
therapierende
Person
mit
dem
gleichgeschlechtlichen
Elternteil
zu
identifizieren. In der Gegenübertragung kann es dann vorkommen, dass die
therapierende Person die Rolle des Elternteils annimmt und wiederum die
33
betroffene Person mit dem Kind identifiziert. Dies würde die Objektivität
beziehungsweise Neutralität in der psychotherapeutischen Arbeit massiv
beeinträchtigen (vgl. Blankerz und Doubrawa 2005, 277).
Am Beispiel von Suizidalität im palliativen Kontext könnte durch das
Annehmen der Rolle eines Elternteils die Neutralität der Therapierenden
eingeschränkt werden. Das könnte zu einer Übernahme von Verantwortung
für die erkrankte Person führen und diese damit eventuell in ihrer Autonomie
begrenzen.
Auch ein unbewusstes Ausweichen vor dem Thema Suizidalität, indem die
behandelnde Person es beispielsweise nicht anspricht, führt unreflektiert zu
einer Gegenübertragung. Nach Hutterer-Krisch (2001, 852) differenziert die
Gestalttherapie zwei Möglichkeiten der Gegenübertragung. Sie kann
Ausdruck eigener zu bearbeitenden Schwierigkeiten oder Anteilen der
psychotherapeutisch Tätigen sein oder eine angemessene emotionale und
bewusste Resonanz auf die Klientin oder den Klienten. Im ersteren Fall
müssen Therapierende ihre Reaktionen beachten und reflektieren, das heißt
in
Supervision,
Intervision
oder
Eigentherapie
bearbeiten,
um
den
psychotherapeutischen Prozess nicht zu behindern.
Die Gegenübertragung ist mit dem gestalttherapeutischen Konzept der
Projektion in Verbindung zu bringen. Projektion in diesem Kontext besagt,
dass die therapierende Person ihr Gegenüber nicht unvoreingenommen
wahrnimmt, sondern das eigene Empfinden oder Erleben in die betroffene
Person hinein interpretiert beziehungsweise auf sie projiziert. Für den Verlauf
der Gestalttherapie ist therapeutisches Gewahrsein, ohne das Gegenüber zu
bewerten unerlässlich, um Offenheit für einen Ich-Du-Dialog, der auf Martin
Buber zurückführt, zu bewahren (vgl. Blankerz und Doubrawa 2005, 277).
34
4
Psychotherapie und Suizid
4.1 Suizidalität erkennen
Für einen professionellen Umgang mit suizidgefährdeten Personen ist es
notwendig, die am häufigsten vorkommenden Umstände zu kennen, die
Menschen zu dem Entschluss bringen können, über ihr Lebensende selbst
zu bestimmen. Um Suizidalität erkennen zu können, müssen diese
Anzeichen frühzeitig wahrgenommen werden. Differentialdiagnostisch ist
eine Suizidabsicht aufgrund einer gezogenen Bilanz von einer Entscheidung
aufgrund einer krankhaften Unzurechnungsfähigkeit wie beispielsweise einer
Psychose
abzugrenzen.
Bilanzierung
Auch
eine
Entscheidung
aufgrund
einer
ist genau zu hinterfragen. Es kann notwendig sein, sehr
kurzfristig Maßnahmen zur Abwendung einer Suizidhandlung zu ergreifen.
Fleming et. al. (2000) kamen in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass die
Entscheidung für einen Suizid in hohem Maße mit Autonomieverlust,
schwindender
Kontrolle
über
körperliche
Funktionen
und
sozialer
Zurückgezogenheit einhergeht.
„Da menschliches Leben weder in uneingeschränkter Autonomie noch
in völliger Abhängigkeit sinnvoll denkbar und möglich ist, ist für die
meisten Menschen in nahezu allen Lebensepochen ein spürbares
Schwanken zwischen diesen beiden Polen charakteristisch“ (Wedler
2001, 169).
Zur Verdeutlichung stellt Wedler (2001, 169) die Psychodynamik des
Antagonismus von Autonomie- und Abhängigkeitstendenzen als ein Pendeln
zwischen Unabhängigkeit und Geborgenheit in Form eines Kreislaufs dar.
Zunächst fordert die Sehnsucht nach Autonomie eine Ablösung. Diese macht
Angst und ruft wiederum eine Sehnsucht nach Geborgenheit hervor.
Geborgenheit erfordert Abhängigkeit. Diese erzeugt Wut und ruft wiederum
Sehnsucht nach Autonomie hervor. Umstellungen und Veränderungen in
einem Leben, wie eine schwere Erkrankung, die in absehbarer Zeit zum
Tode führen wird, liegen partiell außerhalb der Kontrolle der erkrankten
35
Person. Eine Akzeptanz dieses Zustandes beziehungsweise das Zulassen
der Nichtkontrollierbarkeit der eigenen Situation hat zur Voraussetzung, dass
beim Durchlaufen des oben beschriebenen lebenslangen Kreislaufes
zwischen Unabhängigkeits- und Abhängigkeitswünschen eine innere Freiheit
gewonnen werden konnte, durch die beide Tendenzen annehmbar werden.
Der Begriff der Freiheit beansprucht das Zulassen einer Ablösung, die
grundsätzlich mit Angst verbunden ist. Daran wird deutlich, dass der
Kreislauf nicht endlich ist.
Zur Verdeutlichung und Abgrenzung von psychischen Beeinträchtigungen
und psychotischen Zuständen ist eine Aufschlüsselung von Begrifflichkeiten
notwendig. Die Bezeichnung Psychose wird in den psychiatrischen
Klassifikationen der International Classification of Diseases, aktuell ICD-10,
und dem Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, aktuell DSMIV, nicht mehr genannt. Mit dem Begriff der Störung (ICD-10), respektive
Disorder (DSM-IV) ergänzend der jeweiligen Benennung der Kategorie,
wurde der Begriff Psychose verlassen. Als Gegenpart zu den Psychosen
zählten die Neurosen zu den psychogenen Leiden. Die Neurosen wurden als
Ergebnis einer hinderlichen Lebensgeschichte oder von psychischen
Konflikten betrachtet, die von den Betroffenen unbewusst abgewehrt werden
müssen. Psychosen wurden als organisch verursacht (exogene Psychosen)
oder als Folge eines nicht zu identifizierenden biologischen Prozesses
(endogene Psychosen) verstanden. Sie betrafen die gesamte Person wie
auch ihr Verhältnis zur Außen- und Mitwelt und waren oft durch den Verlust
der Realitätsprüfung gekennzeichnet. Ob psychische Konflikte die Ursache
für psychotisches Leiden sein können, wurde lange kontrovers diskutiert (vgl.
Küchenhoff 2012, 12f). Sowohl neurotische als auch psychotische
Symptome, die zu einer Suizidabsicht führen oder beitragen, benötigen eine
Behandlung.
Eine Suizidabsicht, die nicht Ausdruck oder Symptom einer psychischen
Erkrankung
ist
oder
im
symptomfreien
Intervall
einer
chronischen,
psychischen Krankheit auftritt, muss gesondert beurteilt werden. Es ist zu
unterscheiden, ob die Suizidabsicht in direktem Zusammenhang mit der
36
psychischen
Erkrankung
Lebenssituation
ist
steht
(vgl.
oder
Nationale
Folge
des
Leidens
Ethikkommission
im
an
der
Bereich
Humanmedizin 2005, 71).
Im vorangehenden Praxisbeispiel der Patientin mit ALS ist die unheilbare
und fortschreitende Erkrankung die vordergründige Ursache für das Leiden,
das zur Suizidabsicht führt. Das Leiden zog Autonomieverlust, schwindende
Kontrolle über körperliche Funktionen und soziale Zurückgezogenheit nach
sich. Dennoch lag auch ein Leiden in Form von mangelnder Kompetenz im
Umgang
mit
Frustrationen
vor,
welches
die
Erarbeitung
von
Copingstrategien erforderte.
4.2 Erhebung einer Diagnose am Beispiel der Depression
Die
Depression
ist
eine
psychische
Erkrankung,
die
im
psychotherapeutischen Setting die Aufmerksamkeit der Therapierenden
wecken muss. Insbesondere im Zusammenhang mit möglicher Suizidalität ist
nicht nur eine Abklärung eventueller psychischer Krankheiten notwendig
sondern auch deren Schweregrad. Nur auf dieser Grundlage kann die
Depression als starker Einflussfaktor für eine Entscheidung zu einer
Suizidhandlung gewertet werden. Bezugnehmend auf das Praxisbeispiel der
ALS-Patientin ist es notwendig, deren freie geistige Entscheidungsfähigkeit
zu prüfen und abzuklären, ob möglicherweise eine psychische Erkrankung
vorliegt und in welchem Ausmaß die freie Entscheidungsfähigkeit der
Patientin davon beeinträchtigt ist.
„Suizidgefährdung ist keine Krankheit eigener Art. Sie ist Ausdruck
einer Lebenskrise. Sie kann aus einer als ausweglos erlebten […]
Situation erwachsen. Sie kann aber auch Begleitsymptom einer
psychischen Krankheit sein“ (Finzen 1997, 62).
Suizidalität
wird
Zusammenhang
sehr häufig mit
gebracht.
In
der
einer depressiven Erkrankung in
Tat
sind
Suizidgedanken
und
Suizidhandlungen bei schwerer Depression häufig (vgl. Krollner und Krollner,
37
2013, F32.2). Lebensmüdigkeit kann somit als ein Anzeichen einer schweren
Depression gelten. Chochinov et. al. (1995) fanden in ihrer Studie heraus,
dass der Sterbewunsch bei terminal Erkrankten in engem Zusammenhang
mit einer depressiven Symptomatik steht. 58,8 Prozent der untersuchten 200
sterbenskranken Personen, die einen deutlichen Wunsch vorzeitig zu
sterben aufwiesen, erfüllten die Kriterien einer Major Depression.
„Die Häufigkeit depressiver Syndrome ist bei Personen mit schweren
körperlichen Erkrankungen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung
um circa das Zwei- bis Vierfache erhöht. Depressive Störungen sind
sehr häufig mit Angstsyndromen vergesellschaftet. Es kann schwierig
sein, eine manifeste depressive Erkrankung von einer tiefen Trauer
des Patienten angesichts des drohenden Verlusts von Gesundheit
und Leben abzugrenzen“ (Klaschik 2010, 39).
„Abhängig von Anzahl und Schwere der Symptome ist eine depressive
Episode als leicht, mittelgradig oder schwer zu bezeichnen“ (Krollner;
Krollner 2013, F32.0 – 32.9). Sowohl beim Studium der wissenschaftlichen
Literatur als auch im kollegialen Austausch in der Palliative Care fällt auf,
dass diagnostische Leitlinien teilweise ignoriert werden und eine Unterteilung
der Erkrankung Depression in leichte, mittelgradige und schwere depressive
Episode ohne oder mit psychotischen Symptomen unterlassen wird (vgl.
Krollner
und
Krollner,
2013,
F32.0
-
32.9).
Eine
gewissenhafte
Behandlungsplanung für die suizidale Person erfordert unerlässlich eine
präzise
Diagnosestellung.
So
entspricht
es
den
klassischen
Behandlungsregeln, eine leichte Depression psychotherapeutisch, eine
mittelgradige Depression psychotherapeutisch und eventuell begleitend
pharmakologisch sowie eine schwere Depression psychotherapeutisch und
pharmakologisch zu behandeln (vgl. Rose und Waltering 2012).
“The term ‚depressed‘ is so ubiquitous in colloquial expression that its
specific clinical meaning, as a diagnostic term identifying a discrete and
treatable syndrome is often blurred” (Chochinov, Lander, Wilson 2009, 39).
38
Die Definition des Begriffes Depression ist durch den häufigen Gebrauch in
der Alltagssprache sehr unscharf geworden. Leider konnte im Laufe der Zeit
nicht verhindert werden, dass die ursprüngliche Bedeutung verwässert
wurde. Traurige oder auch nur ansatzweise gedrückte Stimmungen wurden
als depressiv bezeichnet, was der tatsächlichen Diagnose Depression
beziehungsweise depressive Verstimmung als affektive Störung nicht
gerecht wird.
Möglicherweise muss dem wie auch der Umbenennung der Diagnose der
hysterischen Persönlichkeitsstörung in histrionische Persönlichkeitsstörung
(vgl. Krollner und Krollner 2013, F 60.4) entgegengetreten werden, um
wieder Klarheit herzustellen.
Andererseits werden depressive Symptome bis hin zur Major Depression
häufig als der terminalen Erkrankung zugehörig beziehungsweise als
normale Reaktion darauf eingestuft (vgl. Chochinov, Lander, Wilson 2009,
61).
Symptome
werden
wahrgenommen
und
der
Krankheit
Depression
zugeordnet, ohne konkret zu prüfen, ob und wenn ja welche Form einer
Depression vorliegt. Demgegenüber werden depressive Symptome einer
Grunderkrankung zugeordnet, ohne deren eigenständigen Krankheitswert
abzuwägen. So besteht neben der Schwierigkeit, dass depressive
Erkrankungen häufig nicht korrekt erfasst werden, da sie nicht als Krankheit
sondern als gewöhnliche Reaktion auf die nachvollziehbar hoffnungslose
Situation angesehen werden, das Problem der Abgrenzung zu den
Symptomen
der
körperlichen
Erkrankung,
respektive
der
Differenzialdiagnose. Insbesondere bei palliativ erkrankten Menschen ist das
Stellen der Diagnose Depression mit Schwierigkeiten verbunden.
So beschreibt die International Classification of Diseases, ICD-10, (vgl.
Krollner und Krollner 2013, F32.0 – 32.9) für die Diagnose einer Depression
unter anderem somatische Symptome wie z. B. ausgeprägte Müdigkeit,
Schlafprobleme,
deutliche
psychomotorische
Hemmung,
Agitiertheit,
Appetitverlust, Gewichtsverlust und Libidoverlust.
39
Die oben genannten somatischen Symptome sind häufig ebenso Folge einer
schweren körperlichen Erkrankung beziehungsweise deren Therapie, was
die
zweifelsfreie
Zuordnung
der
Symptome
zur
somatischen
oder
psychischen Krankheit erschwert oder unmöglich macht (vgl. Keller 2011,
1079).
„Auch wenn es nicht immer möglich ist, Symptome zweifelsfrei der
somatischen oder der psychischen Erkrankung zuzuordnen, sollte
berücksichtigt werden, dass sie sich gegenseitig beeinflussen,
potenzieren oder maskieren können“ (Keller 2011, 1079).
Um Fehldiagnosen und den damit verbundenen falschen Therapieansatz zu
umgehen, fordert Keller (2011, 1079) dazu auf, depressive Symptome von
Symptomen die durch die körperliche Erkrankung oder deren Therapie
bedingt sind, abzugrenzen. Dies gelingt oft erst durch bessere Kenntnis der
Betroffenen über einen längeren Beobachtungszeitraum. Keller empfiehlt bei
Schwerkranken kognitive Einschränkungen stärker zu gewichten und nicht
zu vernachlässigen, dass körperliche Krankheitszeichen wie zum Beispiel
Schmerzen depressive Verstimmungen auslösen oder verstärken können.
Umgekehrt
können
körperliche
Schmerzen
durch
eine
depressive
Symptomatik gesteigert werden.
4.3 Die Aufgabe der Therapierenden
Für psychotherapeutisch Tätige ist es wichtig, den Umfang ihrer Aufgaben
ebenso wie die Begrenzung ihres Tätigkeitsfeldes zu kennen. Um nicht
einem Irrglauben zu erliegen, die gesunde therapierende Person sei der
suizidalen Person überlegen, ist hervorzuheben, dass eine Begegnung
zwischen Professionellen und einer Person mit suizidalen Fantasien
unbedingt auf gleicher Ebene erfolgen soll. Sie ist als Expertin ihrer eigenen
Situation zu sehen.
Breitbart et. al. (2009, 403) erklären den Nutzen der Psychotherapie für
Menschen
mit
einer
Schmerzproblematik
mit
der
Bereitstellung
40
professioneller und empathischer Unterstützung sowie Kontinuität in der
Beziehungsgestaltung. In der Psychoedukation werden Kenntnisse über die
Erkrankung vermittelt, die Möglichkeiten des Einsatzes von individuellen
Ressourcen im Umgang mit der Erkrankung diskutiert und schließlich der
Anpassungsprozess begleitet. Sie empfehlen die Anwendung supportiver
Kurzzeittherapien mit dem Fokus auf die durch die körperliche Erkrankung
ausgelöste Krise. Auch Lehner (2011, 171) beschreibt eine positive
Auswirkung
auf
Sterbenskranken
das
Befinden
durch
die
und
auf
die
kontinuierliche
Selbstregulation
Verfügbarkeit
bei
sicherer
Bindungspersonen.
Dorrmann (2009, 16) sieht es für die psychotherapeutische Arbeit mit
suizidalen Menschen als eine Voraussetzung, dass die Therapierenden sich
weitgehend
selbst
mit
den
eigenen
Ängsten
vor
dem
Tod
auseinandergesetzt haben. Er beschreibt es als unerlässlich, dass die
Therapierenden für sich selbst reflektieren, wie es um ihren eigenen
Lebensmut steht und ob sie möglicherweise selbst Tendenzen haben ihr
Leben zu beenden. Sie sollten weniger Angst im Umgang mit der Thematik
haben als ihre Klientel. Die Therapierenden sollten sicher sein, dass es für
sie keinen Grund gäbe, sich das Leben zu nehmen. Mit der Ausstrahlung
dieser Sicherheit würden sie die suizidale Person in ihrer Entscheidung für
einen Suizid zumindest verunsichern. Dorrmann selbst gibt an, mit dieser
Meinung in Fachkreisen häufig auf Widerstand zu stoßen. Die Situation von
terminal Erkrankten, die
weitere Therapien und lebensverlängernde
Maßnahmen ablehnen, sieht er als einen Sonderfall.
Ein Ablehnen von medizinischen Behandlungen und lebensverlängernden
Therapien ist vom Suizid abzugrenzen. Ersteres ist ein passiver Verzicht auf
Lebensverlängerung durch medizinische Maßnahmen, während ein Suizid
eine aktive Handlung gegen das Weiterleben darstellt. Zum Suizid in der
Lebensphase einer terminalen Erkrankung äußert sich Dorrmann in seiner
Arbeit nicht.
Haltenhof (2004, 245) formuliert das Ziel psychotherapeutischer Maßnahmen
bei suizidalen Personen folgendermaßen: „Ziel der Intervention ist nicht die
41
Verhinderung des Suizids um jeden Preis, sondern die Wiederherstellung
der Entscheidungsfreiheit durch Aufhebung innerer und äußerer Zwänge.“
Zunächst soll das psychotherapeutische Gespräch zum Ziel haben, die
betroffene Person zu verstehen und damit zu deren Entlastung beizutragen.
Eine diagnostische Einschätzung, ob möglicherweise eine psychische
Erkrankung vorliegt, ist grundsätzlicher Bestandteil jeder Psychotherapie und
letztendlich jeder Therapiesitzung. Finzen (1997, 8) empfiehlt für den
Umgang mit suizidgefährdeten Menschen eine sorgfältige Diagnostik, eine
individuell auf die Persönlichkeit, die Symptome und die Belastbarkeit
abgestimmte Therapie, Offenheit und Empathie in der Psychotherapie und
die Reflexion der eigenen Emotionen bei der Behandlung von Personen, die
ihrem Leben verzweifelt und hoffnungslos gegenüberstehen. Dabei sollte
eine Psychopathologisierung von Menschen mit Suizidabsichten unbedingt
vermieden werden.
Eine
Ansammlung
von
psychotherapeutischen
Maßnahmen,
Interventionsmöglichkeiten und Techniken könnte nach Dorrmann (2009,
141) dazu verleiten, einen therapeutischen Aktionismus aufzubauen, der
dazu führen würde, die Macht der therapeutischen Interventionen zu
überschätzen. Ein reflektierter Einsatz therapeutischer Mittel, der die
persönlichen Bedingungen einer suizidalen Person beachtet und wertschätzt
und ein Prinzip der minimalen therapeutischen Intervention seien von hoher
Bedeutung, um Betroffene in ihrer Individualität wahrzunehmen und sie nicht
mit dem eigenen Erfolgsdruck zu konfrontieren.
4.4 Die narzisstische Kränkung
Jeder Mensch hat seine natürlichen narzisstischen Persönlichkeitsanteile
und ein Bestreben, sein persönliches Bedürfnis nach Anerkennung zu
erfüllen.
Hartmann
(2006,
3)
setzt
den
Narzissmusbegriff
mit
Überheblichkeit, starkem Geltungsbedürfnis und überhöhter Ich-Bezogenheit
gleich. Das lässt darauf schließen, dass eine sterbenskranke Person die
42
Befriedigung
ihrer
natürlichen
narzisstischen
und
selbstbezogenen
Bedürfnisse nicht bewerkstelligen kann.
Das Selbst unterliegt fortwährend einer intrapsychischen Bewertung. Das
narzisstische Regulationssystem bemüht sich um Ausgleich zwischen
Zustimmung und Entwertung des Selbst. Je weiter die Idealvorstellungen
vom realen Zustand des eigenen Selbst entfernt sind, desto größer ist das
Gefühl
der
eigenen
Entwertung,
was
eine
narzisstische
Kränkung
verursacht. Die tödliche Krankheit führt zu Kontrollverlust durch die
Entfernung des Menschen von der Realisierung seines Zukunftsentwurfes.
Seine Lebensbilanz muss in Bezug auf seine aktuellen Möglichkeiten der
Selbstverwirklichung neu angepasst werden (vgl. Rudolf 2008, 64). Laut
Henseler (2000, 58) ist Suizid eine aktive Vorwegnahme einer massiv
gefürchteten Gefahr wie dem Kontrollverlust bei rasch fortschreitender und
zum Tode führender Erkrankung.
Ein Beispiel für Kontrollverlust und die Angst von schwerkranken Menschen,
den Zeitpunkt zu verpassen zu dem sie noch selbst in der Lage sind, ihrem
Leben ein Ende zu setzen, zeigt sich bei der beschriebenen ALS-Patientin.
Die für diese Situation möglicherweise höchste Form narzisstischer
Kränkung droht mit der Beendigung jeglicher Selbstbestimmung und dem
Zwang, ein nicht mehr gewolltes Leben weiter leben zu müssen. Die
Suizidalität ist nach Henseler (2000, 11) die Labilisierung des narzisstischen
Regulationssystems und die Suizidhandlung der krisenhafte Versuch, das
gefährdete Selbstwertgefühl zu retten. Menschen in einer suizidalen Krise
fantasieren den Tod häufig als harmonischen Zustand, der die Möglichkeit
verspricht, aus einer als unerträglich empfundenen Situation zu fliehen (vgl.
Plein 2003, 6).
Die narzisstische Kränkung spielt in der Psychotherapie sowohl auf der Seite
der
Betroffenen als auch auf der Seite der Therapierenden eine
maßgebliche Rolle und braucht unerlässlich eine bewusste Betrachtung.
Psychotherapeutisch Tätige haben eine Tendenz, die Ursache eines
Therapieausgangs auf sich selbst zu beziehen. Der Suizid einer sich in
43
Behandlung befindenden Person stellt die narzisstischen Strukturen von
Therapierenden vor eine besondere Herausforderung. Eine Suizidäußerung
oder Suizidabsicht kann als therapeutischer Misserfolg gewertet werden und
beinhaltet somit eine klassische Kränkungssituation (vgl. Kind 2005, 155f).
Dass das therapeutische Wirken als Mittel zur Behandlung auch schädlich
sein kann, ist nicht zu bestreiten. Daraus folgt, dass die narzisstischen
Anteile der Therapierenden eine Reflexion benötigen. Eine für suizidale
Menschen spürbare narzisstische Kränkbarkeit der Therapierenden könnte
Betroffene unter Druck setzen, die therapierende Person zu schonen und vor
ihr die belastenden Probleme zurück zu halten (vgl. Kind 2005, 193f; siehe
S. 56? Studie von Fegg et. al.).
4.5 Juristische Grenzen in der Psychotherapie
Für die psychotherapeutische Arbeit mit Menschen mit Suizidabsicht ist es
notwendig, rechtswissenschaftliche Aspekte einzubeziehen.
Die psychotherapeutisch Tätigen werden nicht umhin kommen, sich mit der
Freiverantwortlichkeit
Wortbestandteile
des
einer
im
Handlung
auseinander
bundesdeutschen
zu
setzen.
Rechtswesen
Die
geläufigen
Begriffes freiverantwortlich verdeutlichen den Sinn des Ausdruckes. Eine
Person ist frei, die Verantwortung für ihr Tun zu übernehmen. Bei
bestehender Unsicherheit darüber, ob eine Person mit Suizidabsicht in der
Lage ist freiverantwortlich für sich zu entscheiden, besteht grundsätzlich die
Möglichkeit, eine Ärztin oder einen Arzt für eine Einschätzung hinzu zu
ziehen. Im Weiteren ist zu klären, ob eine mögliche psychische Erkrankung
eine freie Entscheidung zulässt oder verhindert beziehungsweise ob die
psychische Erkrankung ein auslösender aber therapierbarer Faktor für diese
Absicht ist.
Das Praxisbeispiel der ALS-Patientin veranschaulicht, dass neben der Frage
nach der Freiverantwortlichkeit im juristischen Sinne die Frage relevant ist,
ob einer terminal erkrankten Person gegen ihren Willen eine ärztliche
44
Untersuchung zugemutet
werden darf. Wenn für die Klärung der
Freiverantwortlichkeit eine ärztliche Untersuchung eingeleitet werden soll,
muss die betroffene Person zustimmen. Für eine ärztliche Konsultation ist
gleichfalls
eine
freiverantwortlich
zu
treffende
Entscheidung
von
Patientenseite notwendig.
Die Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin NEK-CNE (2005,
56f) setzt sich in ihrer Stellungnahme Nr.9/2005 mit der Suizidbeihilfe
auseinander. Sie befasst sich mit der Frage des freien Willens. Dies wird im
bundesdeutschen Sprachgebrauch als „Freiverantwortlichkeit“ bezeichnet.
Wenn der Verdacht auf eine psychische Erkrankung besteht, rät die
Kommission zu einer psychiatrischen Beurteilung mit dem Ziel, eine
psychische Erkrankung als Ursache des Todeswunsches zu erkennen oder
auszuschließen. Gropp (1996, 25) bezieht sich mit der folgenden Aussage
über
die
Freiverantwortlichkeit
auf
der
Grundlage
eines
Verantwortungsprinzips auf die Rechtswissenschaftler Roxin und Bottke.
„Vertreten insbesondere von Roxin und Bottke, geht diese Meinung
von der Freiverantwortlichkeit als Regelzustand aus, der negativ nur
ausnahmsweise entfalle. Die Verantwortungslehre untersucht folglich
nicht, ob der Suizident freiverantwortlich handelt, sondern sie geht
davon immer bereits dann aus, wenn keine gegenteiligen Anzeichen
vorliegen“ (Gropp 1996, 25).
Im Weiteren macht Gropp (1996, 20) die Einschränkung, dass eine
Freiverantwortlichkeit dann nicht besteht, wenn die suizidale Person noch ein
Kind ist oder wegen einer krankhaften seelischen Störung, tiefgreifenden
Bewusstseinsstörung, Schwachsinn oder schweren anderen seelischen
Abartigkeit unfähig ist, die Problematik des Suizids zu erkennen und
dementsprechend zu handeln. Dorrmann (2009, 137) bezieht sich mit seiner
Auslegung
der
(Bundesmisnisterium
Freiverantwortlichkeit
der
Justiz
2013).
auf
den
Demnach
§
20
StGB
wird
von
einem
freiverantwortlichen Entschluss ausgegangen, wenn keine der von Gropp
genannten Merkmale vorliegen. Er verweist einschränkend darauf, dass
45
diese Anzeichen weit gefasst sind, wodurch eine Abgrenzung von
neurotischen Entwicklungen erschwert ist.
Um Missverständnisse abzuwenden, werden die von Gropp und Dorrmann
genannten
Merkmale,
die
eine
Freiverantwortlichkeit
verhindern,
im
Folgenden definiert.
Eine krankhafte seelische Störung wurde früher als krankhafte Störung der
Geistestätigkeit bezeichnet (vgl. Rosenau und Schreiber 2009, 85). Nach
Otto ist die krankhafte seelische Störung als eine psychische Störung
anzusehen, die auf organische Ursachen, wie sie eine Hirnverletzung
darstellen würde, zurückzuführen ist. Ebenso fällt eine exogene Psychose,
verursacht zum Beispiel durch Alkoholabusus oder eine endogene Psychose
wie zum Beispiel die Schizophrenie unter diese Beschreibung (vgl. Otto
2004, 213).
Die Bezeichnung Schwachsinn wird heute wegen ihrer diskriminierenden
Aussage nicht mehr verwendet. In der Internationalen Klassifikation
psychischer
Störungen
fällt
Schwachsinn
unter
Intelligenzminderung,
beschrieben im Kapitel F 7 (vgl. Krollner und Krollner 2013).
Nach der Aussage von Schreiber (2003, 7) ist mit schwerer anderer
seelischer Abartigkeit der Bereich psychischer Abweichungen von einer
zugrunde gelegten Normalität gemeint, die nicht auf nachweisbaren
organischen Defekten beruhen.
Wenn akute Suizidgefahr bei einer freiverantwortlich handelnden Person
besteht, verlangt nach Wolfslast (1985, 167) weder das deutsche Zivilrecht
noch das deutsche Strafrecht ein Einschreiten, um den Suizid zu verhindern.
Ist jedoch eine Person nicht imstande den Entschluss und seine Tragweite
bewusst zu erfassen, so müssen psychotherapeutisch Tätige den Suizid
nach allen Möglichkeiten versuchen zu verhindern (vgl. Wolfslast 1985, 167).
Obige Ausführungen sind vergleichbar mit der von Birnbacher (1990, 412)
vertretenen Lehrmeinung zum schwachen Paternalismus, der ein Eingreifen
46
mit Zwangsmitteln nur dann erlaubt, wenn die Einsichtsfähigkeit der
suizidalen Person nicht gegeben ist (siehe Kapitel 6.3).
Eine Entscheidung gegen den Willen suizidaler Personen trotz vorhandener
Freiverantwortlichkeit käme dem sogenannten starken Paternalismus gleich
und würde die Autonomie der Betroffenen untergraben.
„Das heißt für ambulant arbeitende Psychotherapeuten, daß [sic] sie
auch bei akut suizidalen Patienten keine Maßnahmen zur Verhinderung
des Suizids einleiten müssen, wenn deren Entschluß [sic] reiflich
überlegt und auf einer freien Willensentscheidung beruht“ (Dorrmann
2009, 136).
Aufgrund akuter Suizidalität erfüllt ein terminal erkrankter Mensch somit
keineswegs die Voraussetzungen für eine stationäre Einweisung in eine
Psychiatrie, wenn nicht die Einengung des Bewusstseins der betroffenen
Person, welche eine freie Entscheidung verhindern würde, vorliegt.
Klare Behandlungsvorgaben erfordern einheitliche Vorgehensweisen, die der
Individualität der Betroffenen nicht immer gerecht werden.
„Jeder, der mit einem drohenden Suizid konfrontiert wird, muß [sic], will
er nicht die annähernd totale Sicherheit, die fast immer nur durch
unverhältnismäßige Maßnahmen zu erreichen wäre, auf ‚Glück‘
vertrauen, auf sein eigenes und auf das des Gefährdeten“ (Wolfslast
1985, 167).
Baltz (2010, 18) erachtet die unterlassene Verhinderung eines Suizids als
nicht
strafwürdig,
wenn
feststeht,
dass
es
sich
dabei
um
einen
freiverantwortlichen und endgültigen Entschluss gehandelt hat, und davon
auszugehen ist, dass die lebensmüde Person mit ihrer Rettung nicht
einverstanden ist. Eine Hilfeleistung ist grundsätzlich solange zu erbringen
wie ein freiverantwortliches Handeln des suizidalen Menschen angezweifelt
werden kann.
47
5
Palliative Care und Suizid
5.1 Die Verbindung von sterbenskrank und lebensmüde
Menschen
in
einer
palliativen
Situation
treten
in
einen
neuen
Lebensabschnitt, der den Betroffenen einen völlig neuen Blick in die Zukunft
abverlangt. Das führt häufiger als landläufig vermutet zu Resignation und
Lebensmüdigkeit.
Fann
et.
al.
(2008)
fanden
in
ihrer
Studie
zu
Suizidhäufigkeit bei Krebserkrankten heraus, dass diese Gruppe in den USA
im Vergleich zur allgemeinen Bevölkerung eine nahezu verdoppelte
Suizidrate aufweist. Die Suizidrate war dabei in den ersten fünf Jahren nach
Diagnosestellung am höchsten.
Im palliativen Kontext ist es notwendig, dass die Helfenden auf das
Erkennen und den Umgang mit suizidalen Gedanken vorbereitet sind. Dieser
Aspekt erweitert das Aufgabenfeld der an der Versorgung beteiligten
Personen.
Die
folgenden
Aussagen
zeigen
die
multiprofessionelle
Beteiligung und Mitwirkung an dieser Thematik, denn jede helfende Person
steht in der Versorgung der Betroffenen mit deren eventuellen lebensmüden
Gedanken in Kontakt. Dieser besteht entweder darin, der betreffenden
Person hinsichtlich dieses Themas mit Interesse zu begegnen oder ihrem
Thema, möglicherweise unbewusst, aus dem Weg zu gehen. Beide
Reaktionen konfrontieren die schwerkranke Person mit einer Resonanz.
Braun (2012, 28) vertritt in seiner Arbeit über das Lindern von Leiden am
Lebensende die Auffassung, dass Angst vor Autonomieverlust, vor dem
Verlust sozialer Beziehungen, vor Verletzung und Leiden, vor Verlust und
Schuld, Trennungsangst, Angst vor dem Tod und dem Jenseits die
Palliativpatienten quälen.
Alle von Braun genannten Leiden stehen in engem Zusammenhang mit der
letzten Lebensphase im terminalen Krankheitsstadium. Die Helfenden haben
die Aufgabe, den erkrankten Menschen derart zu unterstützen, dass das
Leiden so gering wie möglich ist. Es ist auch ihre Aufgabe zu erkennen,
wann ihre Hilfsangebote nicht mehr mit der Autonomie der Sterbenskranken
48
in Einklang stehen. Die kranke Person in ihrer individuellen Lebenslage ist
anzuerkennen und wertzuschätzen, ohne sie in Frage zu stellen oder eigene
Bedürfnisse nach Harmonie und Heilung vorn anzustellen. Breitbart et. al.
(2009, 103ff) zählen Depression, Hoffnungslosigkeit, Schmerzen, kognitive
Einschränkungen
und
mangelhafte
soziale
Unterstützung
zu
den
Risikofaktoren für Suizidgedanken und Suizidabsichten.
“Suizidgedanken
sind
der
klinischen
Erfahrung
nach
nicht
ungewöhnlich und stellen vor allem in terminalen Erkrankungsstadien
häufig ein Mittel oder eine Art Ventil im Sinne eines letzten möglichen
Auswegs dar, der Bedrohung durch die Erkrankung und deren
Fortschreiten zu entgehen und nicht von ihr überwältigt zu werden“
(Breitbart und Mehnert 2006, 106).
„Schwere Krankheit wird von Suizidgedanken begleitet, insbesondere dann,
wenn die Diagnose mitgeteilt wird, die Krankheit sich verschlimmert,
eingreifende therapeutische Maßnahmen bevorstehen und wenn schließlich
Ärzte von ‚austherapiert‘ sprechen“ (Klie und Student 2007, 107). Klie und
Student (2007, 107) kommen zu der Auffassung, dass die Empathie der
Helfenden sie davon abhält, die notwendige Unterstützung für die erkrankte
Person mit lebensmüden Gedanken zu leisten, weil sie sich mitfühlend und
mitleidend in deren Situation hinein versetzen. Die Autoren betonen dass es
hilfreich ist bei den Betroffenen das Thema Suizidalität in jeder Lebenskrise
anzusprechen.
Um
verbleibender
Unsicherheit
in
den
Teams
entgegenzutreten, stellen sie sogar eine konkrete Handlungsanweisung für
diese Fragestellung zur Verfügung. „Wenn wir also bei schwer kranken
Menschen – nicht zuletzt in der letzten Lebensphase – Suizidgedanken
finden, ist dies in keiner Weise erstaunlich. […] Sie gehören gerade in der
letzten Lebensphase dazu“ (Klie und Student 2007, 108).
Völkel beschreibt, dass durch Empathie im Gespräch mit der betroffenen
Person in der Akutsituation wie auch in der präventiven Phase der
Suizidalität Nähe hergestellt und Angst aufgelöst werden kann. Sie schildert
auch, dass die Helfenden selbst in einer psychisch stabilen Position sein
müssen und keine Angst vor dem Thema des Suizids haben dürfen (vgl.
49
Völkel 2012, 267f). „Suizidale Äußerungen müssen ‚Aktives Zuhören‘
auslösen“ (Völkel 2012, 267).
5.2 Gutes Sterben und der anspruchsvolle Weg dahin
Der Begriff Palliative Care wird häufig mit der Ermöglichung eines Sterbens
ohne Leid in Verbindung gebracht. Die Vorstellungen über die Bedeutung
von gutem Sterben gehen bei Betroffenen und Helfenden auseinander.
„Normative Vorstellungen über einen ‚idealen‘ ‚d. h. sanften,
friedvollen Tod können im Rahmen der Palliative Care zu Belastungen
für Betroffene und Fachkräfte führen. Für sich betrachtet bildet die
Einsicht, dass das gute Sterben nicht für alle Menschen dasselbe
bedeutet, ein Korrektiv für diese Idealbildungen“ (Heller, B. 2007,
433).
„Tod und Sterben werden oft als sehr eng verbunden und fast identisch in
ihrer Bedeutung angesehen. Erstaunlicherweise erzählen uns Patienten, sie
hätten keine Angst vor dem Tod, wohl aber vor dem Sterben“ (Braun 2012,
28).
„Ausgang
jeder
hospizlichen
und
palliativen
Arbeit
ist
die
Aufmerksamkeit für die Betroffenen, eine einfühlende Compathie
(Mitleidenschaft), die es ermöglicht, aus der Perspektive der
Betroffenen zu denken, zu fühlen und Versorgung mit ihnen und in
ihrem Sinne zu entwickeln“ (Heller, A. 2007, 191).
Es hat sich eine Leitidee des guten Sterbens herausgebildet, an der sich
Professionelle in der Palliative Care orientieren. Ein Konzept für gutes
Sterben ist jedoch nicht generalisierbar, sondern es ist abhängig von
Biografie, Kultur, Lebenseinstellung, Verlusterfahrung, Schmerzen und
Jenseitsglauben, um nur einige Aspekte zu nennen (vgl. Heller, B. 2007).
Heller, A. (2007, 198) schreibt, dass für die an der Versorgung beteiligten
Professionellen verschiedener Berufe und die freiwillig Helfenden die
50
Aufgabe darin bestehe, mit und für die zu ver- und umsorgenden Menschen
eine adäquate, individuelle Betreuung, eine Lebensqualität bis zuletzt zu
entwickeln ist.
Dieser Anspruch könnte sowohl Behandelnde als auch Patientinnen und
Patienten unter Erfolgsdruck setzen. Möglicherweise verspürt eine aufgrund
ihrer Erkrankung lebensmüde Person bei ihrer Bilanzierung zusätzlich eine
Unzulänglichkeit, die Lebensqualität bis zuletzt nicht wahrnehmen zu
können. Dies würde sie zusätzlich belasten. Bei einer depressiven Person
wäre das zumindest naheliegend.
Beyer (2008, 32) schreibt in ihrer Arbeit, dass das betreuende Personal
aufgefordert ist, Individualität zu organisieren, optimale Schmerztherapie und
Symptomkontrolle
zu
leisten,
mit
den
Sterbenskranken
und
deren
Angehörigen zu kooperieren und sie in den Krankheitsverlauf, die
Behandlungsmethoden
und
Entscheidungen
mittels
interdisziplinärer
Aufklärungsgespräche einzubeziehen sowie Begleitung und Unterstützung
der Angehörigen beziehungsweise der nahen Personen zu gewährleisten.
Es könnte einerseits der Eindruck entstehen, man müsse nur gut genug sein
damit die sterbenskranke Person Lebensqualität bis zuletzt verspürt. Ebenso
könnte
es
zu
einer
übersteigerten
Selbstüberzeugung
und
Allmachtsfantasien kommen, die den Behandelnden quasi die Macht über
den Lebenswillen der kranken Menschen zuspricht. Eink und Haltenhof
(2006, 19) bezeichnen eine Haltung, die vermittelt, dass Suizidhandlungen
mit professioneller Kompetenz immer verhindert werden können, als
Allmachtsfalle.
Der
Umkehrschluss
würde
bedeuten,
dass
die
Therapierenden einen Fehler begangen haben beziehungsweise die Schuld
tragen, wenn sich eine Person trotz Therapie suizidiert.
Klie und Student (2007, 104) beschreiben eine beispielhafte Situation, in der
der behandelnde Palliativmediziner auf einer AIDS Station entsetzt ist, als er
entdeckte, dass ein Patient große Mengen Beruhigungsmittel versteckt hatte.
„Mein Entsetzen rührte vor allem daher, […] dass dieser junge Mann
ernsthafte Zweifel daran hatte, dass wir Helfenden ihm den zugesicherten
51
Beistand am Lebensende geben könnten. In meinem Gekränktsein war ich
zunächst gar nicht in der Lage, das Problem (mein Problem) offen
anzusprechen“ (Klie und Student 2007, 104f). Das Thema Suizid spielt
gerade bei Sterbenden eine große Rolle. So gibt es wahrscheinlich kaum
einen längeren Sterbeprozess ohne Suizidgedanken (Mühlum; Student J.-C.;
Student U. 2007, 75). Borasio (2012, 167) verdeutlicht am Beispiel eines
Patienten, der unter stärksten Schmerzen litt, die gelindert werden konnten,
wie er die Behandelnden, in diesem Fall die Ärzteschaft, vor Schwierigkeiten
verschonen wollte. „Der Patient war sehr zufrieden, bedankte sich bei allen,
ging nach Hause und nahm sich das Leben“ (Borasio 2012, 167).
Sterbenskranke, die eigentlich gerne über ihren Suizidwunsch sprechen
möchten und denen vielleicht eine Alternative aufgezeigt werden könnte, tun
dies teilweise nicht. Möglicherweise haben sie Angst, psychiatrisiert oder
zwangseingeliefert zu werden oder sie wollen ihre Behandelnden vor
Schwierigkeiten schützen (vgl. Borasio 2012, 170). Fegg et. al. (2005, 158)
zeigen in ihrer Studie über persönliche Werte und Lebensqualität, dass
Betroffene in der Palliative Care verglichen mit gesunden Erwachsenen unter
anderem verstärkt Wert auf Nächstenliebe legen. “Patients receiving
palliative care appear to seek preservation and enhancement of the welfare
of friends, relatives, and all people.” (Fegg et. al. 2005, 158) „Eine
Suizidentscheidung angesichts schwerster Erkrankung und einer begrenzten
Lebenserwartung
kann
im
Einzelfall
aus
psychiatrischer
Sicht
freiverantwortlich sein und sollte dann auch respektiert werden.“ (Borasio
2012, 168) Die Situation von Sterbenskranken zeichnet sich unter anderem
dadurch
aus,
dass
ihr
Leben,
das
zum
Zeitpunkt
vorhandener
Suizidgedanken an einem Punkt ist, an dem nicht mehr damit zu rechnen ist,
dass es sich zu einer verbesserten Lage wenden wird. Die meisten
Menschen mit Suizidgedanken lehnen nicht das Leben an sich ab, sondern
das Leben so wie es gerade ist. (vgl. Haltenhof 2004, 245) An einem
weiteren Beispiel zeigt Borasio (2012, 170) auf, wie ein Patient, der den
Wunsch nach Lebensverkürzung äußerte, von seinem behandelnden Arzt
wegen Selbstgefährdung in die Psychiatrie eingewiesen wurde, wo er die
letzten beiden Wochen seines Lebens auf der geschlossenen Abteilung
verbringen musste, ehe er dort verstarb.
52
5.3 Suizidalität ansprechen und erkennen
Sollte man Suizidalität zuerst ansprechen, um sie im Folgenden zu erkennen
oder sollte man sie erst ansprechen, wenn man sie erkannt hat?
„Es ist ein hartnäckiges Vorurteil, dass man durch das Sprechen über
Suizidalität jemanden erst auf den Gedanken bringen könnte,
gewissermaßen ‚schlafende Hunde‘ wecken könnte. Sprechen ist der
‚Königsweg‘, und wir haben auch keinen anderen. Zweitens können in
vielen Situationen dieses Gespräch, und damit die Beziehung, auch
bereits entlastend und unmittelbar hilfreich sein, in manchen Fällen bis
hin zur Auflösung der unmittelbaren Suizidalität“ (Etzersdorfer 2012,
133).
Obwohl sich Müller-Busch (2007, 313) in seiner Arbeit auf die Studie von
Chochinov et. al. (1995) bezieht, nach der 44,5 Prozent der sterbenskranken
Menschen sich gelegentlich einen baldigen Tod wünschen und 8,5 Prozent
sich intensiv mit Suizidgedanken beschäftigen, kommt er zu dem Ergebnis,
dass Suizidgedanken von Sterbenskranken selten geäußert werden. Eine
Begründung für diese Diskrepanz könnte seine Aussage sein, dass die
Beachtung, das Erkennen und der Umgang mit Suizidalität in der
Palliativbetreuung ein häufiges Tabuthema ist. Trotzdem kommt er zu der
Ansicht, dass die meisten Menschen ihre Suizidabsicht im Rahmen einer
guten Palliativbetreuung zurücknehmen. Müller-Busch (2007, 313) empfiehlt
auf Verhaltensweisen zu achten, die auf Suizidabsichten hinweisen.
Keller (2011, 1081) stellt fest, dass viele Betroffene in der palliativen
Versorgung zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Erkrankung Suizidgedanken
haben.
Jenen
misst
sie
die
Funktion
der
einem
Kontrollverlust
entgegenzusetzenden Selbstbestimmung bei. „Immer sollte jedoch die
aktuelle Suizidgefährdung eruiert werden und gegebenenfalls in unklaren
Fällen und insbesondere bei manifester Suizidalität ein Psychiater
zugezogen
werden“
(Keller
2011,
1081).
Unbestreitbar
bleibt
die
Aufforderung von Keller, stets die aktuelle Suizidgefährdung zu eruieren. Die
von ihr empfohlene Konsequenz aus dem möglichen Ergebnis einer
53
manifesten Suizidalität ist in der Situation einer ambulanten Betreuung
fraglich. Der Aufforderung Kellers steht konträr die Aussage Birnbachers
(1990, 417) gegenüber, die eine Anwendung von Zwang nur dann als
gerechtfertigt erachtet, wenn greifbare Hoffnung existiert, die Fähigkeit einer
befriedigenden Lebensführung wiederzuerlangen.
Stiefel und Voltz (2007, 492) weisen auf die Bedeutung der Suizidfantasien
in Bezug auf die Autonomie einer terminal erkrankten Person hin. Ihre
Empfehlung, offen über Suizidfantasien zu sprechen, um das Risiko eines
Suizids zu verringern, geht an die ärztliche Berufsgruppe. Für eine
Einweisung in eine psychiatrische Klinik sehen sie keine Indikation. Die
Nationale Ethikkommission im Bereich Humanmedizin (2005, 50f) vertritt die
Ansicht, dass die Fürsorgepflicht für suizidale, unheilbar erkrankte Menschen
die Pflicht einschließt, die Suizidabsicht einer suizidalen, urteilsfähigen
Person zum einen mit ihr zu besprechen und ihr zum anderen alternative
hilfreiche Optionen anzubieten wie zum Beispiel die Behandlung einer
bestehenden
Angstproblematik
oder
eine
verbesserte
schmerztherapeutische Behandlung mit dem Ziel einer Erhöhung der
Lebensqualität. Dies muss unter Einbeziehung der Bewertung und der
Sichtweise der erkrankten Person auf die eigene Situation geschehen. Sie
soll
sich
unter
bestmöglichen
Bedingungen
selbst
bestimmen
und
herausfinden, was sie will.
5.4 Wie sich die Pionierinnen der Hospizbewegung zum Suizid
positionieren
Jemand, der den Tod herbei sehne, solle vor allem nicht verurteilt werden.
Bei der Frage nach Suizid durch Verweigerung der medikamentösen
Behandlung bejaht Kübler-Ross das Recht zur Bestimmung über den
eigenen Körper. Allerdings macht er die Einschränkung, dass die Person
geistig zurechnungsfähig sein müsse. Psychotische Personen begingen
Suizid aus anderen Gründen als nicht psychotisch Erkrankte. Hinsichtlich der
Frage nach den Phasen der Trauer, des Verlustes und des Abschieds vor
54
dem Tod differenziert Kübler-Ross zwischen Personen mit einer chronischen
Depression, die den Betroffenen viel Zeit einräume die Beendigung des
eigenen Lebens zu planen und psychotischen Personen, die spontanen
Impulsen folgten (vgl. Kübler-Ross 1982, 58-62). In gleicher Weise bekräftigt
Saunders (1993, 120) die These, dass eine psychische Erkrankung wie zum
Beispiel die Depression nicht in allen Abstufungen eine frei verantwortliche
Entscheidung zum Suizid verhindert. Im Gegenteil stellt Saunders sogar die
Wohlüberlegtheit
über
einen
längeren
Zeitraum
als
Zeichen
einer
verlässlichen Entscheidung heraus.
Häufig gibt es Situationen mit für die keine klaren Kriterien festgelegt werden
können, ob bei einem Menschen ein Suizidrisiko besteht. Um dieser
Unsicherheit zu begegnen, rät Dorrmann (2009, 40) Professionellen zu einer
Sensibilisierung für indirekte Äußerungen und versteckte Hinweise und gibt
Beispiele für solche Anzeichen.
„Ich falle jedem zur Last. – Ich mache das nicht mehr mit. – Meine
Lage wird sich nie bessern. – Ich möchte, daß [sic] das alles aufhört. –
Ich schaffe das nicht mehr. – Manchmal habe ich Gedanken, das ist
eine richtige Sünde. – Wenn ich mal nicht mehr (da) bin. – Die werden
schon noch sehen. – Die am Friedhof sind manchmal zu beneiden. –
Mein ganzes Leben ist sinnlos gewesen. – Manchmal möchte ich nur
noch schlafen. – Vielleicht sehen wir uns nicht mehr. – Ich danke für
Ihr Bemühen und die Geduld, Sie haben wirklich alles versucht. –
Leben Sie wohl. (statt Auf Wiedersehen) – Man kann sich doch auch
nicht so einfach davon stehlen. – Ich hasse dieses Leben. – Wenn ich
meinen Glauben nicht hätte, hätte ich schon längst aufgegeben. –
…dann ist es schon zu spät. – Es gibt auch noch einen anderen Weg.
– Ich will einfach Ruhe haben, nichts mehr hören und sehen“
(Dorrmann 2009, 40).
Dorrmann (2009, 41) weist darauf hin, dass es für die Beurteilung des
Suizidrisikos immer nur eine subjektive Einschätzung gibt.
55
Auch Kübler-Ross (1982, 55) unternimmt den Versuch, das Risiko einer
Suizidhandlung anhand von Kriterien zu bewerten und teilt Menschen mit
Suizidgedanken in fünf Gruppen.
1. Menschen mit dem starken Bedürfnis alle und alles zu beherrschen.
2. Menschen, denen gefühllos mitgeteilt wurde, dass sie eine bösartige,
für weitere Behandlungen zu weit fortgeschrittene Krankheit haben.
3. Menschen, denen man zu viel Hoffnung mit einer unrealistischen
Prognose gemacht hat und die dann den passiven Tod sterben.
4. Menschen, die nicht ausreichende medizinische, seelische und
geistliche Hilfe in ihrer Krise erhalten.
5. Menschen mit Suizidneigung, die nicht religiös sind, sondern den
Sterbeprozess lieber abkürzen als nutzlos empfundenes Leid zu
ertragen.
Neben einer Richtschnur zur Vorgehensweise im Kontakt mit Menschen, die
sich in einer Krise befinden, ist es unerlässlich für die Helfenden
Unterstützungsmöglichkeiten zu schaffen. Diese sollen vorbeugend dafür
sorgen, dass Mitglieder der helfenden Berufe nicht durch fehlende
Handhabbarkeit der Krisen der anderen selbst in eine Krise geraten.
Saunders (1993, 119f) beantwortet die Frage nach der Vorgehensweise bei
der
Konfrontation
mit
Suizidgedanken
mit
der
Wichtigkeit
eines
interdisziplinären Teams, welches die Helfenden in der Gruppe unterstützt.
Weiter hebt sie hervor, dass die Helfenden womöglich die Diskussion mit
den Teammitgliedern brauchen, um mit dem Gesagten zurecht zu kommen.
Der erkrankten Person würde es oft schon reichen, dass die Beziehung
durch ihre Offenheit keinen Bruch erleidet.
Es kommt vor, dass Menschen sich trotz größter Anstrengungen des
versorgenden Teams dafür entscheiden, ihr Leben selbst zu beenden oder
von ihren suizidalen Gedanken nicht lassen können. Es bleibt offensichtlich
ein wesentlicher Teil vorhanden, der die Autonomie und Individualität der
56
Betroffenen schützt und nicht von den Helfenden zu beeinflussen ist. „Man
kann einer anderen Person nicht vermitteln, welchen Sinn es hat, die letzte,
verbleibende Zeit aus-zu-leben“ (Saunders 1993, 120).
6
Ethik und Suizid
6.1 Ethos und Ethik
Ethos und Ethik unterscheiden sich und bedingen sich gleichzeitig.
Monteverde (2007, 521) beschreibt den Ethos der Palliative Care als die
Identifikationsgrundlage der Palliative Care und die Philosophie des auf
Palliation bezogenen Betreuungskonzeptes. Die Ethik konzentriert sich auf
moralische Probleme, die durch das Ethos selbst generiert werden sowie auf
konkrete Fragestellungen der interdisziplinären ethischen Entscheidungsfindung.
Von Beauchamp und Childress (vgl. 2009, 99-287) stammen die folgenden
vier Prinzipien der Medizinethik, die entsprechend auf die Psychotherapie
anwendbar sind: Respekt vor der Autonomie, Non-Malefizienz, Benefizienz
und Gerechtigkeit.
Die folgende Erläuterung dieser Prinzipien auf die Suizidalität angewendet ist
an Bormuth, Marckmann, Wiesing (2004, 31-33) angelehnt.
1. Das Prinzip des Respekts vor der Autonomie verlangt die Beachtung
der Wünsche, Ziele und Wertvorstellungen der Betroffenen. Dies
beinhaltet für die Betroffenen, frei zu sein von manipulativer
Einflussnahme durch die Behandelnden und die Förderung ihrer
Fähigkeit zur Selbstbestimmung. Das Ergebnis ist das informierte
Einverständnis der Betroffenen, „informed consent“.
2. Das Prinzip Non-Malefizienz steht in Konkurrenz zum Prinzip der
Benefizienz. Jede therapeutische Maßnahme beinhaltet auch ein
Schadensrisiko. Es geht um das Abwägen der Relation von Nutzen
und Risiko.
57
3. Das Prinzip der Benefizienz fordert von den Behandelnden Wohltun,
indem Schäden verhindert oder beseitigt werden und das Wohl der
betroffenen Person hin zu Gesundheit und Lebensqualität gefördert
wird.
4. Das Prinzip der Gerechtigkeit spielt bei der Ressourcenverteilung eine
bedeutende Rolle. Es behandelt die Frage, wer bei welchen
Problemen in welchem Ausmaß unterstützt wird.
Heller und Reitinger (2010, 743) stellen ergänzend fest, dass sich das
menschliche
Leben
im
Spannungsfeld
von
Autonomie
und
Fremdbestimmung bewegt und Autonomie kein unumschränkter Wert ist.
Das zeigt sich deutlich in den Situationen, in denen Menschen aufgrund von
Krankheit, Alter und Schwäche auf andere angewiesen sind.
6.2 Suizidprophylaxe – Anmaßung oder Verpflichtung
Das Recht oder die Pflicht, einen Suizid zu verhindern, beinhaltet
widersprüchliche wie auch sich ergänzende Aspekte, ohne dabei von der
terminalen Situation beeinflusst zu sein.
Der Bilanzsuizid wird nach Peters (2000, 80) als überlegte Selbsttötung einer
psychisch gesunder Personen gesehen. „Die rationale und affektive Freiheit
eines solchen Entschlusses wird von vielen bestritten“ (Peters 2000, 80).
Manuela Völkel (2012, 265) sieht in den Begriffen „Freitod“ und „Bilanzsuizid“
einen
Euphemismus,
der
den
Menschen
eine
„Schein-Autonomie“
vortäuscht. Das würde dazu führen, dass weitere Anstrengungen zur
Suizidprävention als nicht erforderlich erscheinen. Völkel bezieht sich mit
obiger Aussage auf Suizide bei alten Menschen. Überträgt man ihre
Feststellung auf Menschen aller Altersgruppen, entsteht ein Konflikt zu der
Definition des Bilanzsuizides von Eink und Haltenhof (2006, 22). Sie
beschreiben den Bilanzsuizid als eine Selbsttötung, die bei voller und
umfassender
Entscheidungsfähigkeit
durchgeführt
wird
und
eine
Willensentscheidung als Ergebnis einer Abwägung von Pro und Kontra ist.
58
Eine grundsätzliche Frage stellt Dorrmann (2009, 134). „Wer gibt uns
eigentlich das Recht, Suizidprävention zu betreiben oder gar andere am
Suizid zu hindern?“ Damit stellt er die angenommene Selbstverständlichkeit
helfender Berufe in Frage, dass Hilfe mit dem Erhalt von Leben
gleichzusetzen wäre. Die Vorstellung davon, wie Leiden zu lindern sind,
kann unter dem Aspekt der Suizidabsicht einen Bedeutungswechsel
erfordern. Trotz aller zum Einsatz gebrachten Mittel und Möglichkeiten, dem
Menschen mit Suizidgedanken wieder zum Lebenswillen zu verhelfen, kann
es letztlich die wahre Hilfe sein, diesen Menschen nicht aus einer
Selbstverständlichkeit heraus kurieren zu wollen, sondern seine individuelle
Situation anzunehmen. Paradoxerweise entstehen daraus wiederum zwei
Möglichkeiten eines Auswegs aus der Leidenssituation. Die Person mit
Suizidgedanken kann sich frei und unterstützt fühlen ihre Entscheidung
gegen das Leben zu treffen. Sie kann sich auch auf dem Boden des
Verstehens und der Geborgenheit neu dazu entschließen dem Weiterleben
zu begegnen. Letztendlich kann sich natürlich auch beides in genannter
Reihenfolge zutragen.
„Psychisch Kranke sollen sowohl das Recht auf Fürsorge und Behandlung
wie auch bei Urteilsfähigkeit das Recht, über ihr Lebensende zu
entscheiden, in Anspruch nehmen können“ (Nationale Ethikkommission im
Bereich Humanmedizin 2005, 57). Fürsorge und Autonomie ergänzen sich,
wenn Menschen in ihren Krisensituationen angemessen unterstützt werden.
„Dem Prinzip der Autonomie steht das Prinzip der Fürsorge gegenüber. […]
Ziel der Fürsorge ist dabei nicht, die Autonomie des Patienten zu ersetzen,
sondern den Patienten in seiner Selbstbestimmung zu unterstützen“ (Duttge
et. al. 2006, 124).
Es ist zu unterscheiden zwischen einer Entscheidung unter Berücksichtigung
verbleibender Therapieoptionen bei fortgeschrittener Erkrankung und einem
Hilferuf aus akuter Verzweiflung, weil ein Mensch unter aktuellen Umständen
keinen Sinn zum Weiterleben mehr erkennt. Eine weitere Variante kommt
hinzu, wenn die suizidale Person ein psychisches Leiden hat, das ihre
selbstbestimmte Entscheidung einschränken könnte. Analog ist die Frage zu
59
stellen, wie weit Gesunde in ihren Entscheidungen immer frei sind und ob
absolute Selbstbestimmung nicht eine Illusion ist. Die Selbstbestimmung hat
ihre Wurzeln im Erkennen und der kritischen Bewertung der Gründe für das
eigene Tun sowie der daraus resultierenden Konsequenzen. Das Eingreifen
in beziehungsweise das Verhindern eines Suizids um jeden Preis ist nur
dann gerechtfertigt, wenn eine begründete Hoffnung besteht, dass die
Ursachen für die Suizidhandlung nach der Rettung behoben werden können
(vgl. Duttge et. al. 2006, 124).
6.3 Das Spannungsfeld von Autonomie, Fremdbestimmung und
sozialer Verbundenheit
Autonomie wird häufig in Abgrenzung zu Fremdbestimmung behandelt,
ohne dabei den einzelnen Menschen in seinem sozialen Kontext zu
begreifen. Der Paternalismus in seiner starken und schwachen Version
unterscheidet, wie stark ein Mensch in die Entscheidungsautonomie einer
anderen Person eingreifen darf beziehungsweise wie viel Autonomie einem
Menschen zugestanden werden soll oder wie viel Fremdbestimmung die
betreffende Person benötigt. Autonomie und Fremdbestimmung kann es
nicht ohne das Eingebundensein der Menschen in ihren jeweiligen sozialen
Kontext geben.
„Unterschieden werden kann zwischen einem ‚starken‘ Paternalismus,
welcher sich auf Entscheidungen für einwilligungsfähige Personen bezieht
und einem ‚schwachen‘ Paternalismus, bei dem über das Wohl nicht
einwilligungsfähiger
Personen
entschieden
wird“
(Deutsches
Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften 2013). „Charakteristisch
für den Paternalismus in allen seinen Varianten ist, daß [sic] die Interessen,
in deren Namen er eine Zwangsintervention rechtfertigt, die Interessen des
Betroffenen selbst sein müssen“ (Birnbacher 1990, 416).
Der starke Paternalismus rechtfertigt das Verhindern eines Suizids, wenn die
betroffene Person ihren langfristigen Interessen zuwiderhandelt (vgl.
Dorrmann 2009, 134). Birnbacher (1990, 411) nennt die bewusste
60
Entscheidung einer terminal erkrankten Person, das Leben zu beenden
bevor die Erkrankung so weit fortgeschritten ist, dass eine freie
Willensentscheidung nicht mehr möglich ist beziehungsweise der körperliche
Zustand eine Selbsttötungshandlung nicht mehr zulässt, eine Erhebung
menschlicher Rationalität und Autonomie über den physischen Verfall der
Natur. In diesem Fall ist die körperliche Erkrankung der Auslöser für den
Suizidwunsch, nicht aber der Suizidwunsch Auslöser für die Erkrankung.
Sowohl in der Gestalttherapie als auch in der Palliative Care steht der starke
Paternalismus
in
Behandlungskonzept.
grobem
Er
ist
Widerspruch
weder
mit
der
zum
ursprünglichen
Ich-Du-Haltung in
der
Gestalttherapie noch mit der zu schützenden, zu fördernden und zu
respektierenden Patientenautonomie in der Palliative Care in Vereinbarung
zu bringen. Während hier die Selbstbestimmung eines der höchsten Güter
darstellt, beansprucht der starke Paternalismus das Wohl der betroffenen
Personen besser einschätzen zu können als sie es selbst könnten. Der
starke Paternalismus beruht auf der Meinung, dass jeder Mensch, der eine
Suizidhandlung begeht, unter einer psychischen Beeinträchtigung leidet. So
schreibt Birnbacher (2004, 197), dass gelegentlich die These vertreten
werde, dass als Täter jeder Suizident krank wäre und darum für sein
Handeln nicht verantwortlich sein könne.
Nimmt man diese Sichtweise als gegeben, müsste eine andere befähigte
Person für den suizidalen Menschen die Verantwortung übernehmen. Dies
hätte für die Helfenden zur Folge, dass sie sich immer in der Verantwortung
für die in Behandlung stehenden Menschen sehen müssen und diese
Belastung nie an die betroffene Person selbst abgeben oder besser noch bei
ihr belassen können.
Birnbacher (2004, 198) verweist darauf, dass selbst eine gut gemeinte
Zwangsverhinderung die Autonomie der betroffenen Person gravierend
einschränkt und deshalb immer bedenklich ist. Selbst dann, wenn eine
Suizidhandlung aus subjektiver Sicht als rational und aus objektiver Sicht als
irrational erachtet wird, ist ein Eingreifen mit Zwangsmitteln zwar
nachvollziehbar aber kaum zu rechtfertigen. Eine Ausnahme muss dann
61
zulässig sein, wenn davon auszugehen ist, dass die suizidale Person die
Zwangsverhinderung des Suizids nach kurzer Frist gutheißen wird.
Letztere Aussage von Birnbacher beschreibt den schwachen Paternalismus,
der davon ausgeht, dass die Einsichtsfähigkeit der betroffenen Person zum
Handlungszeitpunkt nicht gegeben ist, so dass für ihr Wohl und gegen ihren
derzeitigen Willen durch eine fremde Person entschieden werden muss.
Menschen, die mit der Unheilbarkeit ihrer Erkrankung konfrontiert werden,
müssen sich mit Verlusten ihrer Zukunft und ihrer Unversehrtheit
auseinandersetzen. Pohlmeier (1983, 96) nennt dieses Verlusterlebnis als
den häufigsten Anlass für Suizidhandlungen. Dies hat seinen Grund in der
Ambivalenz zwischen Leben und Sterben. Möglicherweise sucht die
betreffende Person einen Ausweg aus der derzeitigen Situation. Das muss
nicht bedeuten, dass sie mit dem Leben abgeschlossen hat (vgl. Pohlmeier
1983, 96). Pohlmeier (1983, 95f) stellt fest, dass in der suizidalen Krise die
Ausweglosigkeit als solche erlebt wird und dass andere Auswege nicht
gesehen
werden,
obwohl
es
sie
gäbe.
Ein
Suizid,
der
als
Problemlösungsverhalten angewendet wird, kann auch ein Versuch zu leben
sein. „Nicht selten wirkt der Suizidversuch als kathartisches Ereignis, das zu
vorübergehender Beruhigung und Entspannung führt […]“ (Finzen 1997, 85).
Einen weiteren Aspekt bringt Walser (2010, 33) ein. Sie verbindet Autonomie
als verzweifelte Angst vor Schwäche, Verletzlichkeit und Angewiesenheit auf
andere in unserer westlichen Kultur mit Abhängigkeit. Diese Abhängigkeit
setzt sie mit Fremdbestimmtheit gleich. Dies wirkt besonders auf Menschen
in der verletzlichen Situation einer terminalen Erkrankung beängstigend. Die
Vorstellung von Fremdbestimmung lässt Betroffene befürchten, dass
Entscheidungen nicht abhängig von den Wünschen und Bedürfnissen der
Erkrankten
getroffen
werden,
sondern
möglicherweise
nach
den
Bedürfnissen der anderen. Das aufeinander angewiesen sein beschreibt sie
als eine Bedingung des Menschseins, die sich nicht verdrängen lässt.
Walser vertritt die Auffassung, dass hinter der Hervorhebung der Bedeutung
des Autonomiebegriffs die Absicht steht, die Angst vor der Abhängigkeit zu
verbannen.
62
Den oben beschriebenen Prinzipien der Medizinethik von Beauchamp und
Childress, die sich vorrangig mit den Fragen beschäftigen was getan oder
gelassen werden soll, stellen Heller und Reitinger (2010, 743) die Fragen
gegenüber wer jemand ist und wie sie oder er behandelt werden will.
Letztere Fragen stellen die angesprochene Person in den Vordergrund und
gehen davon aus, dass alles Handeln und jedes Verhalten einer Person
immer in Beziehung zu anderen Menschen stattfindet. Sie beschreiben
Stärke, Gesundheit, Durchsetzungsfähigkeit, Unabhängigkeit und rationale
Orientiertheit als Voraussetzung für autonome Entscheidungen. Dagegen
führt die Erfahrung von Schwäche, Krankheit, Verunsicherung und
Abhängigkeit bei vielen Menschen dazu, sich wertlos zu fühlen und zu
glauben für andere eine Belastung darzustellen. Betroffene fühlen sich
aufgefordert, eigene Ansprüche zurückzuhalten und möglicherweise auch
bereit zu sein aus dem Leben zu treten, wenn die Last für die anderen
spürbar zu groß wird (vgl. Heller und Reitinger 2010, 743). Heimerl und
Wegleitner
(2010,
690)
beschreiben
die
Sicherung
autonomer
Entscheidungen, hier durch Patientenverfügungen, als ein Bild der Autarkie
statt der Autonomie. Die Selbstbestimmung ist immer auch in einem
Beziehungskontext zu sehen. Das widerspricht einer Interpretation, die die
Fürsorge und Mitmenschlichkeit vernachlässigt.
6.4 Gesellschaftliche Bewertung von Auslösern suizidaler Handlungen
Die unterschiedlichen Anlässe für die Durchführung eines Suizids erfahren
unwillkürlich eine gesellschaftliche Bewertung. Ebenso könnte die Bewertung
einer suizidalen Person für die gesellschaftliche Akzeptanz eine Rolle
spielen.
Améry beschreibt (1976, 14) das Beispiel einer Hausgehilfin, die sich aus
unerfüllter Liebe zu einem Medienstar aus dem Fenster stürzte. Die
gesellschaftliche
Bewertung
beziehungsweise
Assoziation
zu
einer
Hausgehilfin spiegelt sich höchstwahrscheinlich in geringer Bildung der
Betroffenen wider. Der Anlass für den Suizid würde vermutlich als
63
unverhältnismäßig eingeschätzt werden. Die Vermutung liegt nahe, dass
diese Person nach einer Rettung wieder glücklich werden würde.
In ähnlicher Weise findet eine Bewertung der Person und der Situation des
vielerorts bekannten deutschen Fußballspielers Robert Enke statt, der 2009
erfolgreich seinen Suizid durchführte. Er war dem Anschein nach ein
beruflich sehr erfolgreicher junger Mann mit Familie, der vermeintlich die
besten Voraussetzungen gehabt hätte, von seiner Depression, mit der er
sich bereits in psychotherapeutischer Behandlung befand, respektive seiner
Suizidalität geheilt zu werden.
In einem anderen Beispiel beschreibt Amèry (1976, 15) einen Umstand, den
wohl die meisten Menschen nachvollziehen können. Ein Schüler von
Sigmund Freud erschoss sich in hohem Alter, weil er an einem inoperablen
Prostatakrebs litt und zudem seine Lebensgefährtin verloren hatte. Er konnte
auf ein erfülltes Leben zurückblicken, aber die Zukunft schien nur noch
Schmerz und Einsamkeit zu bringen. Auch Sigmund Freud selbst, der an
einem Gaumenkarzinom erkrankt war und dessen Lieblingshund ihn im
Endstadium bereits wegen seines üblen Geruches ablehnte, bat seinen
Leibarzt darum seinem Leben ein Ende zu setzen.
Auch hier scheint ein Common Sense beziehungsweise eine Volkes
Meinung zu bestehen, dass Freuds Schüler wie auch Freud selbst sich
einerseits diesen Schritt wohl überlegt haben, andererseits der Blick in die
Zukunft eines jeden der beiden ein unzumutbares Dasein verheißen hätte.
In den Perspektiven, die das Leben nach erfolgreicher Suizidverhinderung
vorhält,
liegt
offensichtlich
ein
wesentlicher
wie
auch
allgemein
nachvollziehbarer Aspekt bezüglich der Bewertung einer suizidalen Situation.
In diesem Sinne beschreibt Birnbacher (1990, 416) sowohl die Verpflichtung,
einen Suizid aus Liebeskummer bei einem jugendlichen Menschen zu
verhindern wie auch die Verpflichtung, einen Suizid bei einer terminal
erkrankten Person zuzulassen. Dörner et. al. (2012, 315) heben die bisher
getroffenen Betrachtungsweisen auf eine sachliche Ebene. „Sich […] töten
[…] ist […] die endgültige Art, eine Ausweglosigkeit auszudrücken, ein
64
Lebensproblem zu lösen und daher immer auch eine Lösungsmöglichkeit
jeder Krise.“ Pohlmeier (1983, 129) lenkt den Blick zusätzlich auf die
Situation, die entsteht, wenn der Erfolg einer Suizidhandlung verhindert
wurde und der betroffene Mensch gegen seinen Willen weiter lebt. „Nach
dem Wiederaufwachen von Selbstmordpatienten entsteht bei allen die bange
Frage wie es weitergehen soll und ob die ganze Mühe wirklich zum Nutzen
und Glück des Betroffenen aufgewendet wurde“ (Pohlmeier 1983, 129).
Die häufig vertretene These, dass Suizidale immer krank seien und deshalb
für ihr Tun keine Verantwortung tragen können und quasi vor ihrem eigenen
Tun geschützt werden müssten, benötigt unbedingt eine verfeinerte
Betrachtung. Im Besonderen muss differenziert werden zwischen der
Betrachtung im klinischen Setting und der in der ambulanten Versorgung
(vgl. Birnbacher 2004, 197). „Eindeutige Beispiele für wohlerwogene Suizide
sind die von terminal Kranken, die sich der qualvollen Endphase der
Krankheit durch Suizid entziehen wollen“ (Birnbacher 2004, 197). In diesem
Fall ist zwar die Erkrankung ein Beweggrund für den Selbsttötungswunsch,
dieser aber keine Bedingung für einen kranken oder gestörten Willen der
betroffenen Personen (vgl. Birnbacher 2004, 197).
Eine große Herausforderung besteht unzweifelhaft darin, den freien,
unbeeinflussten Willen bei psychisch erkrankten Menschen zu ergründen
und sie gleichzeitig nicht in ihrer Autonomie zu begrenzen. Immer stellt sich
die Frage, ob es einen absolut uneingeschränkten Willen gibt.
Dass es keine allgemeingültige Antwort auf die Frage gibt, ob ein Suizid
unbeeinflusst und aus freiem Willen wohl erwogen und durchdacht ist,
bestärken Dörner et. al. (2012, 327) mit ihrer Feststellung: „Jede Selbst- oder
Fremdtötung hat einen Freiheitsanteil, aber keine ist ganz frei. […] kein
Mensch
würde
freiwillig
sich
oder
andere
töten,
wenn
seine
Lebensbedingungen zur Tatzeit ihm gemäß wären.“
65
7
Ergebnisse und Schlussfolgerungen
Die öffentliche Bewertung und Akzeptanz von Suizidhandlungen ist von
verschiedenen Faktoren abhängig.
Es gibt Suizidhandlungen, deren Gründe von der Allgemeinheit besser
nachvollzogen werden können und die Mitglieder unserer Gesellschaft
emotional mehr berühren als andere. Attribute einer suizidalen Person, die
größeres Mitgefühl oder Mitleid bei anderen Menschen auslösen sind
Jugendlichkeit, Gesundheit und familiäres Eingebundensein. Weniger
Mitgefühl lösen Alter, Krankheit und Einsamkeit aus. In den Perspektiven, die
ein Leben vorhält, liegt ein wesentlicher Aspekt der Nachvollziehbarkeit und
damit der gesellschaftlichen Bewertung.
Die Rechtswissenschaft setzt bei allen erwachsenen Menschen zunächst
grundsätzlich voraus, dass sie in der Lage sind, Verantwortung für das
eigene Tun zu übernehmen. Sie macht Ausnahmen, die jeweils einer
besonderen Begründung bedürfen. Eine endogene oder exogene Psychose
sowie eine schwere Intelligenzminderung bei einer suizidalen Person werden
als Gründe dafür angeführt, dass eine Freiverantwortlichkeit nicht bestehen
kann.
Die
Anzeichen
für
dieses
Nicht-Vorhandensein
der
freien
Willensentscheidung müssen jeweils individuell beurteilt werden. Besteht
eine solche Freiverantwortlichkeit, fordert weder das deutsche Zivilrecht
noch das Strafrecht die Verhinderung eines Suizids und sieht keine
Pönalisierung für die Unterlassung der Verhinderung vor.
Die Meinungen zum bilanzierten Suizid in der ethischen Auseinandersetzung
sind geteilt. So gehen Eink und Haltenhof (2006, 22) bei einem Bilanzsuizid
davon aus, dass der in voller und umfassender Entscheidungsfähigkeit
ausgeführt wurde. Auch Peters setzt für den Bilanzsuizid psychische
Gesundheit voraus, macht jedoch die Einschränkung, dass die rationale und
affektive
Freiheit
einer
solchen
Entscheidung
bestritten
wird.
Als
Euphemismus beschreibt Völkel den Bilanzsuizid und fürchtet, dass die
beschönigende Beschreibung von Autonomie zur Unterlassung weiterer
Suizidprävention führen könnte.
66
Der starke Paternalismus, der den Behandelnden die Kompetenz zur
Beurteilung der Situation einer suizidalen Person zuspricht und den
Betroffenen die freie Entscheidung abspricht, ist nicht vereinbar mit dem
Behandlungskonzept der Palliative Care und der Ich-Du-Haltung der
Gestalttherapie
als
Demgegenüber
steht
ein
der
humanistisches
schwache
Psychotherapieverfahren.
Paternalismus,
der
die
Handlungskompetenz der Helfenden auf die Situationen begrenzt, in denen
ein Mensch nicht in der Lage ist, die Verantwortung für seine Entscheidung
und sein Tun zu tragen.
Viele Autoren befassen sich mit dem Spannungsfeld zwischen Autonomie
und Fürsorge.
Heimerl und Wegleitner sehen die Selbstbestimmung in einem permanenten
Beziehungskontext, das widerspricht einer Vernachlässigung von Fürsorge
und Mitmenschlichkeit. Heller und Reitinger gehen davon aus, dass alles
Handeln und jedes Verhalten einer Person immer in Beziehung zu anderen
Menschen stattfindet. Es wird jedoch vor der Gefahr gewarnt, dass die
gesellschaftliche Einschätzung von lebenswertem Leben sich auf die
Kriterien von Leistungsfähigkeit stützt. Walser verweist auf die Angst vor
Abhängigkeit, die mit der Hervorhebung des Autonomiebegriffs in den
Hintergrund gedrängt wird. Die Nationale Ethikkommission im Bereich
Humanmedizin fordert sowohl das Recht auf Fürsorge und Behandlung wie
auch bei Urteilsfähigkeit das Recht, über das eigene Lebensende zu
entscheiden. Duttge sieht in der angemessenen Unterstützung für Menschen
in Krisensituationen eine gegenseitige Ergänzung von Fürsorge und
Autonomie. Die Fürsorge soll nicht die Autonomie ersetzen, sondern den
Menschen in seiner Selbstbestimmung unterstützen.
Der Autonomiebegriff bei Beauchamp und Childress verlangt die Beachtung
der Wünsche, Ziele und Wertvorstellungen der Betroffenen und die
Förderung zur Selbstbestimmung ohne manipulative Einflussnahme durch
die Behandelnden.
67
In Ergänzung zur ethisch orientierten Literatur, beschäftigen sich die
psychotherapeutisch orientierten Quellen mit den Fragen nach den
intrapsychischen Hintergründen der Suizidentscheidung.
In den herangezogenen Studien und Aussagen von Wedler, Fleming,
Chochinov et. al. besteht Einigkeit darin, dass die am häufigsten
vorkommenden Anlässe für Suizidabsicht bei terminal erkrankten Menschen
Autonomieverlust, schwindende Kontrolle und Depression sind. Bei einem
Vergleich der Kriterien für die Diagnosestellung einer Depression nach der
International Classification of Diseases wird deutlich, dass die körperlichen
Symptome, die bei einer Depression auftreten, denen bei einer terminalen
Erkrankung ähneln. Die Lebensmüdigkeit an sich kann bereits Symptom
einer Depression sein. Eine klare Abgrenzung wird als schwierig angesehen.
Klaschik weist darauf hin, dass eine tiefe Trauer in Anbetracht des
bevorstehenden
Verlustes
von
Gesundheit
und
Leben
eine
klare
Diagnosestellung erschwert.
Breitbart, Lehner et. al. heben die professionelle und empathische
Unterstützung sowie Kontinuität in der Beziehungsgestaltung hervor, die
Psychotherapie einer sterbenskranken Person mit Suizidabsicht anbietet. Mit
dem Ziel einer Anpassung an die veränderten Lebensumstände werden im
Krankheitsprozess
psychoedukativ
Kenntnisse
über
die
Erkrankung
vermittelt und der Einsatz eigener Ressourcen erarbeitet.
Das bevorstehende Ende der Selbstbestimmung und der Verlust der
Kontrolle führen zu Entwertung der eigenen Person durch das narzisstische
Regulationssystem. Das Selbst der terminal erkrankten Personen erfährt
eine narzisstische Kränkung. Henseler formuliert die Suizidhandlung als
krisenhaften Versuch, das labile narzisstische Regulationssystem zu retten.
Eine klassische Kränkungssituation auf der Seite der Therapierenden
beschreibt
Kind.
Wird
die
Suizidhandlung
einer
in
Psychotherapie
befindlichen Person als Misserfolg gewertet, könnte das auf die zu
behandelnde Person Druck ausüben und sie dazu veranlassen die
Therapierenden zu schonen.
68
Konsens besteht bezüglich der Quellen darin, dass in der Psychotherapie bei
einer Person mit Suizidabsicht Entlastung, die Wiederherstellung von
Entscheidungsfreiheit und ebenso die Behandlung von neurotischen und
psychotischen Symptomen angestrebt werden.
Die Gestalttherapie arbeitet mit dem Thema der Suizidalität nach der
Beschreibung von Simkin auf der horizontalen Ich-Du-Ebene. Auf dieser
Ebene begegnen sich Therapeutinnen und Therapeuten und Klientinnen und
Klienten, um beide etwas über sich zu lernen. Die Basis bildet die Paradoxie
der Veränderung nach Beisser. Danach kann Veränderung auf dem Boden
der Akzeptanz der aktuellen Situation gelingen. Das Fundament jeder
gestalttherapeutischen Begegnung ist der Kontakt. Die Differenzierung in
Figur und Grund bedeutet zwischen dem zu unterscheiden, was ins Zentrum
der Aufmerksamkeit rückt und dem, was indifferent, eventuell unbewusst, im
Hintergrund bleibt.
Die Auseinandersetzung mit dem inneren Befinden einer suizidalen Person
verbindet Schneider mit zwei Fragen. „Werde ich ernst genommen?“ und
„Werde
ich
angenommen?“
Schneiders
Beschreibung
von
der
Ausweglosigkeit, in der sich eine suizidale Person befindet, ist vergleichbar
mit der Situation eines terminal erkrankten Menschen. Sie führt erlebte
Ohnmacht, verlorene Gestaltungskraft, Einengung durch Verluste, zerstörtes
Selbstwertgefühl, Vereinsamung, unterdrückte Wut bis hin zur Flucht in
visionäre Leidensfreiheit im Tod an.
Schigutt und Schigutt beschreiben die Krise als Situation, in der die
gewohnte Versorgung nicht mehr vorhanden und die Fähigkeit, die Existenz
aus eigenen Kräften zu bewältigen, noch nicht verfügbar ist. Somit kann die
Krise als Wendepunkt einer Entwicklung betrachtet werden und ein Ort der
Entscheidung und eines Neuanfangs sein.
Die Therapierenden konzentrieren sich nicht vordergründig auf die
Suizidverhinderung. Dies würde im gestalttherapeutischen Sinne den
Kontakt zu der betroffenen Person unterbrechen oder gar nicht erst zustande
kommen lassen. Die therapierende Person würde in der Gegenübertragung
69
arbeiten. Heller nennt es die einfühlende Compathie, die es ermöglicht, aus
der Perspektive der Betroffenen her zu denken, zu fühlen und die
Versorgung mit ihnen in ihrem Sinne zu entwickeln.
Bei den mehr an Palliative Care orientierten Arbeiten wird deutlich, dass alle
an der Palliative Care beteiligten Personen mit dem Thema Suizidalität in
Kontakt kommen. Der Kontakt kann offen im Gespräch stattfinden oder
unbewusst in der Kontaktvermeidung liegen. Es ist notwendig, den terminal
Erkrankten einen Gesprächsraum zu eröffnen. Deshalb ist es eine
Voraussetzung, dass die an der Versorgung Beteiligten das Thema
Suizidalität aus ihrer eigenen Perspektive reflektieren. Borasio zeigt an
Beispielen aus seiner Berufspraxis, dass Betroffene ihre Suizidfantasien
nicht ansprechen, um einerseits das behandelnde Personal zu schonen und
andererseits, um der Gefahr, in ihrer letzten Lebensphase psychiatrisiert zu
werden, zu entgehen. Durch ihr Nichtansprechen entgeht ihnen die Chance,
mit Hilfe der Behandelnden eine eventuell mögliche Alternative zu
entwickeln.
Müller-Busch beschreibt das Erkennen und den Umgang mit Suizidalität in
der Palliativbetreuung als häufiges Tabuthema. Etzersdorfer appelliert an die
Helfenden, Suizidalität in jeder Lebenskrise anzusprechen. Auch Völkel weist
darauf hin, dass suizidale Äußerungen aktives Zuhören auslösen müssen.
Eink und Haltenhof warnen vor der Allmachtsfalle, die glauben macht, dass
die Helfenden mit professioneller Kompetenz eine Suizidhandlung immer
verhindern könnten. Auch der Anspruch, Lebensqualität für die Betroffenen
bis zum Schluss aufrecht erhalten zu können, setzt sowohl den
Professionellen als auch die kranken Menschen, die möglicherweise keine
Lebensqualität mehr wahrnehmen, unter Erfolgsdruck.
Suizidgedanken in terminalen Erkrankungsstadien sehen Breitbart und
Mehnert als letzte Möglichkeit, der Bedrohung und Überwältigung durch die
fortschreitende Erkrankung zu entgehen und daher als nicht ungewöhnlich.
Auch Klie, Student, Keller et. al. bekräftigen, dass es kaum einen längeren
Sterbeprozess ohne Suizidgedanken gibt und dass ein Zusammenhang von
70
Suizidgedanken und schwerer Krankheit besteht, insbesondere nach
Mitteilung der Diagnose, wenn eine Verschlimmerung der Krankheit
eingetreten ist, entscheidende therapeutische Maßnahmen bevorstehen oder
wenn keine mehr möglich sind.
Kübler-Ross und Saunders als Pionierinnen der Hospizbewegung machen
die Einschränkung, dass für eine Bilanzierung, die zur Entscheidung für
einen Suizid führt, die geistige Zurechnungsfähigkeit vorausgesetzt wird. Im
Weiteren stellen sie die These auf, dass eine psychische Erkrankung nicht in
allen Abstufungen eine frei verantwortliche Entscheidung für einen Suizid
verhindert. Sie nennen als Beispiel eine Depression die den Betroffenen viel
Zeit einräume. Dies führe zu Wohlüberlegtheit über einen längeren Zeitraum
und sei als Zeichen einer verlässlichen Entscheidung zu sehen.
Eine freiverantwortliche Entscheidung zum Suizid ist nach Auffassung
Borasios
angesichts
schwerster
Erkrankung
und
begrenzter
Lebenserwartung möglich und sollte von den Helfenden respektiert werden.
Keller plädiert in unklaren Fällen bei manifester Suizidalität für das
Hinzuziehen einer Psychiaterin oder eines Psychiaters. Birnbacher erachtet
eine Anwendung von Zwang nur dann als gerechtfertigt, wenn greifbare
Hoffnung existiert, die Fähigkeit, ein befriedigendes Leben zu führen,
wiederzuerlangen.
Die Gesamtschau der gesichteten Literatur zeigt, dass radikale Forderungen
und Positionen fehlen.
Alle Quellen zeigen eine differenzierte Herangehensweise an das Problem
der
Autonomie
im
Spannungsfeld
zwischen
Selbstbestimmung
und
Fürsorge.
Duttge und Birnbacher können stellvertretend für die Ergebnisse der
vorgelegten Arbeit genannt werden.
Das Eingreifen in einen Suizid beziehungsweise das Verhindern eines
Suizids um jeden Preis ist nach Duttge et. al. nur dann gerechtfertigt, wenn
71
eine begründete Hoffnung dazu besteht, dass die Ursachen für die
Suizidhandlung nach der Rettung behoben werden können.
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82
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Ehrenwörtliche Erklärung
Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende wissenschaftliche Arbeit
„Psychotherapie und Suizid“ selbstständig angefertigt und die mit ihr
unmittelbar verbundenen Tätigkeiten selbst erbracht habe. Ich erkläre weiter,
dass ich keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Alle
aus gedruckten, ungedruckten oder dem Internet im Wortlaut oder im
wesentlichen Inhalt übernommenen Formulierungen und Konzepte sind
gemäß den Regeln für wissenschaftliche Arbeiten zitiert und durch Fußnoten
bzw. durch andere genaue Quellenangaben gekennzeichnet.
Die während des Arbeitsvorganges gewährte Unterstützung einschließlich
signifikanter Betreuungshinweise ist vollständig angegeben.
Die wissenschaftliche Arbeit ist noch keiner anderen Prüfungsbehörde
vorgelegt worden. Diese Arbeit wurde in gedruckter und elektronischer Form
abgegeben. Ich bestätige, dass der Inhalt der digitalen Version vollständig
mit dem der gedruckten Version übereinstimmt.
Ich bin mir bewusst, dass eine falsche Erklärung rechtliche Folgen haben
wird.
Unterschrift
Ort, Datum
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