GesKR 2 2011 Das Bundesgericht konkretisiert den Begriff der öffentlichen Werbung im Sinne des KAG Entscheid des Bundesgerichts 2C_89/2010, 2C_106/2010 vom 10. Februar 2011 Inhaltsübersicht I. Vorbemerkung II. Sachverhalt III. Erwägungen 1. Vorbemerkung: Begriff der öffentlichen Werbung gemäss FINMA-Rundschreiben 2008/8 2. Auslegung von Art. 3 KAG durch das Bundesgericht 2.1 Begriff der Öffentlichkeit 2.2 Beurteilung der Öffentlichkeit der Werbung in casu a. Ausgangslage b. Begründung der Vorinstanz c. Begründung des Bundesgerichts IV. Erläuterungen 1. Aussagegehalt des Urteils 2. Offene Fragen und Unklarheiten 2.1 Allgemeines 2.2 Kumulativer Charakter des qualitativen und quantitativen Kriteriums? 2.3 Gibt es in quantitativer Hinsicht eine safe harbour rule? V. Bedeutung für die Praxis pflichtigen Aktivitäten auseinander. Im Vordergrund standen dabei die Entgegennahme von Publikumseinlagen gemäss BankG1 im Rahmen eines gruppenweisen Vorgehens, die Einsetzung eines Untersuchungsbeauftragten gemäss Art. 36 FINMAG2 und verfahrensrechtliche Fragen bezüglich der Untersuchungskosten. Die entsprechenden Erwägungen zu den erwähnten Themen haben wenig Bahnbrechendes zu Tage gefördert. Von besonderem Interesse sind indessen die bundesgerichtlichen Ausführungen zum Begriff der öffentlichen Werbung für kollektive Kapitalanlagen gemäss Art. 3 KAG3, dessen Auslegung durch die Eidgenössische Finanzmarktaufsichtsbehörde (FINMA) im Rahmen des Rundschreibens 2008/8 (öffentliche Werbung kollektive Kapitalanlagen) 4 Anlass zu Kritik gegeben hatte. Die FINMA hatte sich nach dem Inkrafttreten des KAG am 1. Januar 2007 im Rahmen ihres Rundschreibens 2008/8 auf den Standpunkt gestellt, öffentliche Werbung für kollektive Kapitalanlagen liege immer dann vor, wenn sich die Werbung nicht ausschliesslich an qualifizierte Anleger im Sinne der Legaldefinition in Art. 10 Abs. 3 KAG5 richte. Das hatte zur Folge, dass Kernsätze 1.Die Praxis der FINMA, wonach öffentliche Werbung im Rahmen des KAG immer dann vorliegt, wenn nicht ausschliesslich qualifizierte Anleger kontaktiert werden, ist durch Art. 3 KAG nicht gedeckt. 2.Selbst wenn nicht qualifizierte Anleger kontaktiert werden, liegt keine Öffentlichkeit vor, wenn sich die Werbung an einen eng umschriebenen Personenkreis richtet. I. Vorbemerkung Der nachfolgend besprochene Entscheid des Bundesgerichts 2C_89/2010, 2C_106/2010 vom 10. Februar 2011 setzt sich mit verschiedenen finanzmarktaufsichtsrechtlichen Fragen im Zusammenhang mit bewilligungs* Dr. iur., Rechtsanwalt, Associate bei Homburger AG, Zürich. 1 2 3 4 5 Bundesgesetz über die Banken und Sparkassen vom 8. November 1934 (BankG; SR 952.0). Bundesgesetz über die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht vom 22. Juni 2007 (FINMAG; SR 956.1). Bundesgesetz über die kollektiven Kapitalanlagen vom 23. Juni 2006 (KAG; SR 951.31). FINMA-Rundschreiben 2008/8 öffentliche Werbung kollektive Kapitalanlagen, Rn. 9 ff. online verfügbar unter: <http://www. finma.ch/d/regulierung/Documents/finma-rs-2008-08.pdf>. Gemäss Art. 10 Abs. 3 KAG gelten als qualifizierte Anleger beaufsichtigte Finanzintermediäre wie Banken, Effektenhändler und Fondsleitungen (lit. a), beaufsichtigte Versicherungseinrichtungen (lit. b), öffentlich-rechtliche Körperschaften und Vorsorgeeinrichtungen mit professioneller, Tresorerie (lit. c), Unternehmen mit professioneller Tresorerie (lit. d) und vermögende Privatpersonen (lit. e). Anlegerinnen und Anleger, die mit einem Finanzintermediär gemäss lit. a einen schriftlichen Vermögensverwaltungsvertrag abgeschlossen haben (lit. f). Als qualifizierte Anleger gelten gemäss Art. 10 Abs. 4 KAG i.V.m. Art. 6 Abs. 2 KKV schliesslich auch Anleger, die mit einem unabhängigen Vermögensverwalter einen schriftlichen Vermögensverwaltungsvertrag abgeschlossen haben, sofern – der Vermögensverwalter als Finanzintermediär dem Geldwäschereigesetz (Art. 2 Abs. 3 Bst. e GwG) unterstellt ist (lit. a); – der Vermögensverwalter den Verhaltensregeln einer Branchen- Entscheidbesprechungen 267 Simon Schären* GesKR 2 Entscheidbesprechungen 268 2011 Simon Schären – Das Bundesgericht konkretisiert den Begriff der öffentlichen Werbung im Sinne des KAG Werbung für kollektive Kapitalanlagen auch dann als «öffentlich» zu gelten hatte, wenn sie sich zwar nicht (ausschliesslich) an qualifizierte Anleger, aber immerhin an einen vorbestimmten oder zahlenmässig eng umschriebenen Kreis von Adressaten richtete. Diese extensive Auslegung des Begriffs der öffentlichen Werbung durch die FINMA ist in der Folge in der Lehre kritisiert und schliesslich durch das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 14. Dezember 2009 umgestossen worden. 6 Das Bundesgericht hatte am 10. Februar 2011 schliesslich Gelegenheit, diese Kontroverse (vermeintlich) endgültig zu klären. 7 Dabei handelte es sich übrigens seit dem Inkraftreten des KAG am 1. Januar 2007 erst um das zweite Bundesgerichtsurteil überhaupt, das sich mit Rechtsfragen zum KAG befasste. 8 Die nachfolgende Urteilsbesprechung konzentriert sich auf eine Analyse der Sachverhaltselemente und Erwägungen, die die öffentliche Werbung gemäss KAG betreffen. II. Sachverhalt Die Baumann-Gruppe unterhielt ein umfangreiches Vermittlernetz, in dessen Rahmen Anleger angeworben wurden. An diesen Aktivitäten waren Ambros Baumann, verschiedene von ihm gegründete Gesellschaften sowie 19 natürliche Personen im Einflussbereich von Ambros Baumann bzw. der Baumann-Gruppe beteiligt.9 Am 29. Oktober 2008 erliess die Eidgenössische Bankenkommission (EBK) eine Verfügung, in der sie unter anderem feststellte, dass X als Teil der BaumannGruppe gehandelt und in dieser Funktion gegen das Banken-, Börsen- und Kollektivanlagengesetz verstossen habe.10 Mit Blick auf das KAG stellte die EBK in ihrer Verfügung vom 29. Oktober 2008 fest, X habe ohne Bewilligung Anteile des Y-Fund öffentlich vertrieben.11 Beim Y-Fund handelte es sich um eine in der Schweiz nicht zum öffentlichen Vertrieb zugelassene kollektive Kapi- organisation untersteht, die von der FINMA als Mindeststandards anerkannt sind (lit. b) und – der Vermögensverwaltungsvertrag den anerkannten Richtlinien einer Branchenorganisation entspricht (lit. c). 6 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts B-7756/2008 vom 14. Dezember 2009, E. 8.1 ff. 7 Urteil des Bundesgerichts 2C_89/2010, 2C_106/2010 vom 10. Februar 2011. 8 Ein erstes Urteil erging am 5. November 2010 (2C_571/2009) und befasste sich insbesondere mit der Abgrenzung der kollektiven Kapitalanlage von der operativen Tätigkeit gemäss Art. 2 Abs. 2 lit. d KAG. Vgl. dazu Andreas Bohrer, «Mission Impossible» im Kollektivanlagenrecht. Die Abgrenzung von kollektiven Kapitalanlagen und operativen Gesellschaften. Besprechung des Urteils 2C_571/2009 des schweizerischen Bundesgerichts vom 5. November 2010, GesKR 1/2011, 76 ff. 9 Urteil des Bundesgerichts (Fn 7), Sachverhalt B.a. 10 Urteil des Bundesgerichts (Fn 7), Sachverhalt B.a. 11 Urteil des Bundesgerichts (Fn 7), E. 5.1. talanlage mit Sitz auf den Cayman Islands.12 Insgesamt hatten sich 14 Personen mit einem Investitionsvolumen von rund 6 Mio. CHF am Y-Fund beteiligt.13 Unter den Investoren befanden sich X, sein Sohn sowie Bekannte und Verwandte. Weiter beteiligten sich am Y-Fund auch eine Gesellschaft und zwei Drittpersonen ausserhalb der Verwandtschaft von X.14 Gegen die Verfügung der EBK erhob X Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Mit Urteil vom 14. Dezember 2009 hiess das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde teilweise gut und hielt fest, dass die Vermarktung von Anteilen am Y-Fund durch X keine öffentliche Werbung im Sinne des KAG darstelle.15 Gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts erhob die FINMA am 1. Februar 2010 Beschwerde beim Bundesgericht und machte geltend, die fraglichen Aktivitäten von X seien als öffentliche Werbung für eine kollektive Kapitalanlage zu betrachten. Zur Begründung führte die FINMA aus, dass im Rahmen des KAG (Art. 3 KAG) die Öffentlichkeit der Werbung nur noch dann zu verneinen sei, wenn ausschliesslich qualifizierte Anleger kontaktiert werden. III.Erwägungen 1. Vorbemerkung: Begriff der öffentlichen Werbung gemäss FINMA-Rundschreiben 2008/8 Der Begriff der öffentlichen Werbung ist im KAG in Art. 3 KAG geregelt.16 Danach gilt als öffentliche Werbung «jede Werbung, die sich an das Publikum richtet. Nicht als Werbung zu qualifizieren ist namentlich die von beaufsichtigten Finanzintermediären erstellte Publikation von Preisen, Kursen und Inventarwerten. Die Werbung gilt als nicht öffentlich, wenn sie sich ausschliesslich an qualifizierte Anleger gemäss Artikel 10 Absatz 3 richtet.» Die FINMA machte geltend, öffentliche Werbung im Sinne des Art. 3 KAG liege immer dann vor, wenn sich die Werbung nicht ausschliesslich an qualifizierte Anleger gemäss Art. 10 Abs. 3 KAG richte.17 In diesem 12 13 14 15 16 17 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, (Fn 6), Sachverhalt A. Urteil des Bundesgerichts (Fn 7), E. 5.3.3. Urteil des Bundesgerichts (Fn 7), E. 5.3.3. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (Fn 6), E. 8.1 ff. Vgl. zum Begriff der öffentlichen Werbung statt vieler René Bösch, Kommentar zu Art. 3 KAG, in Rolf Watter/Nedim Peter Vogt/René Bösch/François Rayroux/Christoph Winzeler (Hrsg.), Basler Kommentar zum Kollektivanlagengesetz, Basel/ Genf/München 2009; Beat D. Speck, Privatplatzierungen im schweizerischen Primärmarktkapitalmarktrecht, Diss. Luzern 2006 = SECA Schriftenreihe Bd. 14, Bern/Stuttgart/Wien, 2009, 79 ff. Urteil des Bundesgerichts (Fn 7), E. 5.1. Zusammenhang verwies sie auf das FINMA-Rundschreiben 2008/8, Rn. 9 ff., in dem die erwähnte Praxis wiedergegeben ist. Gestützt auf diese Auslegung waren bislang auch jene Werbehandlungen als öffentlich zu betrachten, die sich zwar nicht an qualifizierte Anleger richteten, jedoch bloss einen aufgrund einer besonderen Beziehung des Anlegers zum Emittenten oder zum Produkt vorbestimmten oder zahlenmässig begrenzten Anlegerkreis betrafen. Die Werbung für den Y-Fund richtete sich in casu zweifelsohne auch an Personen, die nicht die Eigenschaft von qualifizierten Anlegern aufwiesen.18 Daher kam die EBK bzw. die FINMA im Lichte ihres Rundschreibens folgerichtig zum Schluss, dass X für eine ausländische kollektive Kapitalanlage öffentlich geworben hatte. Da es sich beim Y-Fund um eine ausländische kollektive Kapitalanlage gemäss Art. 2 Abs. 4 i.V.m. Art. 119 KAG handelte, hätte für diese in der Schweiz oder von der Schweiz aus nur öffentlich geworben werden dürfen, wenn das Produkt im Sinne von Art. 120 KAG zuvor durch die FINMA genehmigt worden wäre. 2. Auslegung von Art. 3 KAG durch das Bundesgericht 2.1 Begriff der Öffentlichkeit Vor Bundesgericht war im Zusammenhang mit dem KAG einzig umstritten, ob die Werbehandlungen von X als öffentlich zu betrachten seien. Nicht im Einzelnen geprüft wurde demgegenüber, ob es sich bei den Aktivitäten von X rein begrifflich überhaupt um Werbung handelte, ob öffentlich oder nicht öffentlich.19 Ebenso wenig war die Frage kontrovers, ob der Y-Fund eine tatbestandsmässige ausländische kollektive Kapitalanlage i.S.v. Art. 119 KAG darstellte. Das Bundesgericht kam bei der Prüfung der Frage, ob Öffentlichkeit gegeben sei, zum Schluss, dass die Auslegung von Art. 3 KAG durch die FINMA zu extensiv sei. Massgebend waren dabei die nachfolgenden drei Argumente: • Zu beachten sei zunächst, dass das KAG den Anlegerschutz je nach Schutzbedürftigkeit der Anleger abstuft (teleologisches Argument). Daher gilt jede Werbung als nicht öffentlich, die sich ausschliesslich an qualifizierte Anleger richtet. 20 Entsprechend rechtfertige sich bei qualifizierten Anlegern eine Nach dem Gesagten besteht somit neben der Werbung, die sich an qualifizierte Anleger richtet und damit als «nicht öffentlich» gilt, im Rahmen des Begriffs «Publikum» ein zusätzlicher, beschränkter Raum für nicht öffentliche Werbung. Richtet sich die Werbung zwar nicht (ausschliesslich) an qualifizierte Anleger, aber immerhin an einen eng umschriebenen Personenkreis, d.h. nicht an ein «Publikum» im Sinne von Art. 3 Satz 1 KAG, liegt keine Öffentlichkeit vor. Wann ein «eng umschriebener Personenkreis» vorliegt, kann nach der Auffassung des Bundesgerichts im Sinne der neueren Lehre zum KAG sowie in Anlehnung an die frühere Praxis des Bundesgerichts und der EBK zum Begriff der öffentlichen Werbung bestimmt werden. Danach enthält der Öffentlichkeitsbegriff ein qualitatives und ein quantitatives Element:26 21 23 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (Fn 6), E. 8.4.5. Als Werbung qualifiziert jede Tätigkeit, die geeignet ist, auf eine kollektive Kapitalanlage direkt oder indirekt aufmerksam zu machen und diese anzubieten und zu vertreiben; vgl. dazu BSK KAG-Bösch (Fn 16), N 12 zu Art. 3, m.w.H. 20 Urteil des Bundesgerichts (Fn 7), E. 5.3.1. 2011 weniger weitgehende Aufsicht als im Verhältnis zu Publikumsanlegern. 21 • Weiter wies das Bundesgericht auf die Systematik und den Wortlaut von Art. 3 KAG hin. Dannach stellt der erste Satz von Art. 3 KAG die Grundregel dar («[a]ls öffentliche Werbung gilt jede Werbung, die sich an das Publikum richtet»), während Satz 2 und 3 Ausnahmen von dieser Grundregel darstellen – Satz 2 mit Blick auf den Begriff der Werbung und Satz 3 in Bezug auf das Kriterium der Öffentlichkeit. Ausgehend von der Auslegung der FINMA hätte der erste Satz von Art. 3 KAG gar keine Bedeutung mehr, da sich der Gesetzgeber schlicht mit der Feststellung hätte begnügen können, dass jede Werbung als öffentlich gelte, die sich nicht ausschliesslich an qualifizierte Anleger richtet. 22 • Schliesslich argumentierte das Bundesgericht auch mit der Entstehungsgeschichte von Art. 3 KAG. Während der bundesrätliche Entwurf zum KAG die explizite Einschränkung des Öffentlichkeitsbegriffs für qualifizierte Anleger noch nicht enthielt, 23 entschied sich das Parlament für eine Neufassung von Art. 3 KAG mit der erwähnten Einschränkung. 24 Dies geschah allerdings gerade in der Absicht, den Anwendungsbereich von Art. 3 KAG einzuschränken und nicht – im Sinne des FINMA-Rundschreibens 2008/8 – weiter auszudehnen. 25 22 18 19 GesKR 2 24 25 26 Urteil des Bundesgerichts (Fn 7), E. 5.3.1. Urteil des Bundesgerichts (Fn 7), E. 5.3.2. Art. 3 E-KAG gemäss bundesrätlichem Entwurf (BBl. Nr. 43 2005, 6507 ff.) lautete wie folgt: «Als öffentliche Werbung im Sinne dieses Gesetzes gilt jede Werbung, die sich nicht bloss an einen eng umschriebenen Kreis von Personen richtet» (Abs. 1). «Bei der Verwendung eines Werbemittels wird das Vorliegen öffentlicher Werbung vermutet» (Abs. 2). Urteil des Bundesgerichts (Fn 7), E. 5.3.2. Urteil des Bundesgerichts (Fn 7), E. 5.3.2. Urteil des Bundesgerichts (Fn 7), E. 5.3.2; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (Fn 6), E. 8.4.4. 269 Entscheidbesprechungen Simon Schären – Das Bundesgericht konkretisiert den Begriff der öffentlichen Werbung im Sinne des KAG GesKR 2 Entscheidbesprechungen 270 2011 Simon Schären – Das Bundesgericht konkretisiert den Begriff der öffentlichen Werbung im Sinne des KAG • Ein in qualitativer Hinsicht eng umschriebener Kreis von Adressaten liegt vor, wenn der beworbene Anleger zum Emittenten oder zum ihm angebotenen Produkt eine besondere Beziehung hat. 27 Dies kann zum Beispiel dann der Fall sein, wenn zwischen Anleger und Werbendem ein besonderes Vertrauensverhältnis besteht oder der Anleger mit den Eigenschaften des Produktes besonders vertraut ist. 28 Das quaitative Element ist auf den Schutzzweck des KAG und den je nach Schutzbedürftigkeit des Anlegers differenziert ausgestalteten Anlegerschutz zurückzuführen. 29 • In quantitativer Hinsicht eng umschrieben ist der Adressatenkreis dann, wenn er zahlenmässig klein ist. 30 Während nach der Praxis der EBK zum Begriff der öffentlichen Werbung gemäss Anlagefondsgesetz (AFG)31 eine Freigrenze von 20 Anlegern bestand, gibt es im Rahmen des KAG keine explizite Freigrenze mehr. 32 Weder das KAG, die KKV, noch das FINMA-Rundschreiben 2008/8 enthalten eine konkrete Zahl. Das Bundesgericht und die Vorinstanz wollten sich in dieser Hinsicht auch nicht festlegen und unterliessen jedwede abstrakten Konkretisierungen. 2.2Beurteilung der Öffentlichkeit der Werbung in casu «Die (…) Anleger in den M. Fund sind zum grossen Teil Verwandte oder Bekannte des Beschwerdeführers und seines Vaters. Sie stehen in einer besonderen Beziehung zum Beschwerdeführer, weshalb in qualitativer Hinsicht von einem eng begrenzten Personenkreis gesprochen werden kann (…). In zwei (mit einander verbundenen) Fällen fand ein eigentliches Informations- bzw. Beratungsgespräch mit einer ‚aussenstehenden’ Person bzw. Firma (G. und Herr K.) über die Anlagemöglichkeit in den M. Fund statt. Dieses Gespräch ergab sich indessen nach den unwiderlegten Aussagen des Beschwerdeführers eher zufällig, da die Firma G. mit ihrem ursprünglichen Investment nicht zufrieden gewesen sei und im Rahmen der Abklärungen betreffend eine Investition in die B.-Gruppe sich für den M. Fund zu interessieren begonnen habe. Herr K. sei über einen Freund oder Familienangehörigen, der bei der Firma G. arbeite, zum M. Fund gestossen. Ein Informationsgespräch gegenüber einem bzw. zwei Interessenten, reicht im Übrigen bereits in quantitativer Hinsicht nicht aus, um die Werbung als öffentlich bzw. ‹an das Publikum gerichtet› zu qualifizieren. Insofern ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer lediglich gegenüber einem in – qualitativer wie auch quantitativer Hinsicht – eng begrenzten Personenkreis Werbung betrieben hat. Das Kriterium der öffentlichen Werbung ist daher nicht erfüllt.» a. Ausgangslage c. Begründung des Bundesgerichts In casu ging es um den Vertrieb von Anteilen am YFund, einer auf den Cayman Islands domizilierten kollektiven Kapitalanlage, durch den Beschwerdeführer. Insgesamt hatten sich 14 Personen mit einem Investitionsvolumen von rund 6 Mio. CHF am Y-Fund beteiligt. 33 Unter den Investoren befanden sich X, sein Sohn sowie Bekannte und Verwandte. Weiter beteiligten sich am Y-Fund auch eine Gesellschaft und zwei Drittpersonen ausserhalb der Verwandtschaft von X. 34 Das Bundesgericht stützte die Position der Vorinstanz mit folgenden knappen Ausführungen 36: b. Begründung der Vorinstanz Die Vorinstanz verneinte die Frage, ob X öffentlich für den Y-Fund geworben hatte, wie folgt:35 27 28 29 30 31 32 33 34 35 BSK KAG-Bösch (Fn 16), N 6 ff. zu Art. 3; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (Fn 6), E. 8.4.4. BSK KAG-Bösch (Fn 16), N 6 ff. zu Art. 3; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (Fn 6), E. 8.4.4. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (Fn 6), E. 8.4.4. BSK KAG-Bösch (Fn 16), N 31 f. zu Art. 3 Aufgehobenes Bundesgesetz über die Anlagefonds vom 18. März 1994 (AFG; AS 1994, 2523 ff.). Speck (Fn 16), 88. Urteil des Bundesgerichts (Fn 7), E. 5.3.3; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (Fn 6), E. 8.4.5. Urteil des Bundesgerichts (Fn 7), E. 5.3.3; Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (Fn 6), E. 8.4.5. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (Fn 6), E. 8.4.5. «Wie die Vorinstanz verbindlich festgestellt hat, ist es ausserhalb der Verwandtschaft des Beschwerdeführers und seines Sohnes eher zufällig zu zwei Gesprächen über die Anlagemöglichkeit in den Y.________ Fund gekommen. Die anderen Investoren standen zum Beschwerdeführer über ihre familiären Verhältnisse in einer besonderen Beziehung, weshalb – wie das Bundesverwaltungsgericht zu Recht angenommen hat – aufgrund der konkreten Umstände in qualitativer Sicht insgesamt noch von einem begrenzten Personenkreis ausgegangen werden kann. Seine Feststellung, dass der Beschwerdeführer somit nicht gegen das KAG verstossen habe, verletzt deshalb – entgegen der Ansicht der Finanzmarktaufsicht – kein Bundesrecht.» IV.Erläuterungen 1. Aussagegehalt des Urteils Mit dem vorliegenden Urteil ist die Kontroverse, ob Werbung im Rahmen des KAG immer öffentlich sei, 36 Urteil des Bundesgerichts (Fn 7), E. 5.3.3. sofern nicht ausschliesslich qualifizierte Anleger kontaktiert werden, höchstrichterlich geklärt worden. Entgegen der Praxis der FINMA besteht nach der Auffassung des Bundesgerichts nebst der Werbung, die sich ausschliesslich an qualifizierte Anleger richtet, ein zusätzlicher Anwendungsbereich für nicht öffentliche Werbung, sofern nur ein in qualitativer bzw. quantitativer Hinsicht eng umschriebener Personenkreis kontaktiert wird. Konkretisierende Hinweise, wann ein in qualitativer bzw. quantitativer Hinsicht eng umschriebener Personenkreis vorliegt, lassen sich den Erwägungen indessen nicht entnehmen. Immerhin enthält das Bundesgerichtsurteil einen pauschalen Hinweis auf die neuere Lehre zu Art. 3 KAG und die Bemerkung, die Auslegung sei «wie bisher» vorzunehmen. 37 Mit dem Hinweis, die Auslegung des «eng umschriebenen Personenkreises» sei «wie bisher» vorzunehmen, dürfte die Auslegung des Begriffs der öffentlichen Werbung gemäss Art. 2 Abs. 2 AFG gemeint gewesen sein. 38 Damit dürfte das Bundesgericht zum Ausdruck gebracht haben, dass sich der Begriff der öffentlichen Werbung mit dem Inkrafttreten des KAG mit Blick auf das Kriterium der «Öffentlichkeit» materiell nicht wesentlich geändert hat. Dies muss umso mehr gelten, als sich der Ausnahmetatbestand für qualifizierte Anleger in Art. 3 Satz 3 KAG teilweise bereits unter der Geltung des AFG aus der Praxis der EBK ergab und insoweit im Rahmen des KAG bloss kodifiziert wurde. Als Beispiel sei der Abschluss eines schriftlichen Vermögensverwaltungsvertrages zwischen Anleger und Emittent erwähnt, was gemäss früherer Praxis der EBK zum AFG Grundlage eines besonderen Vertrauensverhältnisses (qualitatives Element) war. Dieser Tatbestand ist nun in Art. 10 Abs. 3, 4 KAG i.V.m. Art. 6 KKV kodifiziert worden. Danach qualifiziert ein Anleger, der mit dem Emittenten oder einem unabhängigen Vermögensverwalter einen schriftlichen Vermögensverwaltungsvertrag abgeschlossen hat, unter gewissen Voraussetzungen als qualifizierter Anleger. 39 GesKR 2 2011 2.2Kumulativer Charakter des qualitativen und quantitativen Kriteriums? Das Bundesgericht hält fest, dass der Begriff der Öffentlichkeit bzw. des eng umschriebenen Personenkreises «wie bisher» aufgrund eines qualitativen und quantitativen Kriteriums zu bestimmen sei, wobei auf die entsprechende Auslegung gemäss herrschender Lehre verwiesen wurde. Dabei gilt nach der herrschenden Lehre und der früheren bundesgerichtlichen Rechtsprechung im Rahmen des AFG, dass ein eng umschriebener Personenkreis nur vorliegt, wenn das qualitative und das quantitative Element kumulativ erfüllt sind.40 Die Werbung muss sich mit anderen Worten also an Anleger richten, die eine besondere Beziehung zum Produkt oder zum Emittenten haben, wobei dieser Anlegerkreis gleichzeitig auch zahlenmässig klein sein muss. Das Erfordernis der kumulativen Geltung ergab sich auch aus den Erwägungen der Vorinstanz.41 Im Gegensatz dazu findet sich in den bundesgerichtlichen Erwägungen erstaunlicherweise die Formulierung, wonach der Kreis der Beworbenen «entweder qualitativ (…) oder aber quantitativ (…) beschränkt sein» müsse.42 Diese Formulierung würde nach ihrem Wortlaut auf eine alternative Geltung des qualitativen und des quantitativen Elements hindeuten. Ob sich das Bundesgericht mit dieser Formulierung allerdings bewusst von der bisherigen Lehre und Praxis abwenden wollte, scheint indessen zweifelhaft und kann aus der erwähnten Erwägung wohl nicht mit Sicherheit abgeleitet werden. Verwirrlich ist in methodischer Hinsicht überdies, dass das Bundesgericht sich in Bezug auf das quantitative Kriterium nicht zu einer eindeutigen Subsumtion durchringt und im Egebnis einzig festhält, in casu könne «in qualitativer Hinsicht insgesamt noch von einem begrenzten Personenkreis ausgegangen werden.43» 2.3 Gibt es in quantitativer Hinsicht eine safe harbour rule? Obwohl die Erwägungen des Bundesgerichts prima vista eine abschliessende Klärung der Kontroverse um die Öffentlichkeit der Werbung gemäss KAG vermuten lassen, ergeben sich bei Lichte besehen dennoch einige Unklarheiten und offene Fragen, auf die nachfolgend eingegangen werden soll. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass das Bundesgericht bei nur 14 Beteiligten Anlegern auch das quantitative Kriterium implizit bejahte, scheint es zweifelhaft, ob bei den zwei Personen (eine Gesellschaft und eine natürliche Person), bei denen es zu einem Beratungsgespräch gekommen ist, das qualitative Kriterium erfüllt war. In diesen beiden Fällen gab es nämlich gerade keine besondere Beziehung der Anleger zum Emittenten oder zum Produkt. Dieser Widerspruch lässt sich aufgrund der bundesgerichtlichen Erwägungen nicht klären. 37 40 2. Offene Fragen und Unklarheiten 2.1 Allgemeines Urteil des Bundesgerichts (Fn 7), E. 5.3.3. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 AFG lautete: «Als öffentlich gilt ohne Rücksicht auf die Form jede Werbung, die sich nicht bloss an einen eng umschriebenen Kreis von Personen richtet.» 39 Vgl. dazu BSK KAG-Bösch (Fn 16), N 29 zu Art. 3 m.w.H. 38 Speck (Fn 16), 85 f., 97; BGE 107 Ib 358 ff., 365, E. 3.b/bb. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (Fn 6), E. 8.4.4. 42 Urteil des Bundesgerichts (Fn 7), E. 5.3.2 (Hervorhebungen hinzugefügt). 43 Urteil des Bundesgerichts (Fn 7), E. 5.3.2. 41 271 Entscheidbesprechungen Simon Schären – Das Bundesgericht konkretisiert den Begriff der öffentlichen Werbung im Sinne des KAG GesKR 2 Entscheidbesprechungen 272 2011 Simon Schären – Das Bundesgericht konkretisiert den Begriff der öffentlichen Werbung im Sinne des KAG Die Vorinstanz behalf sich im Zusammenhang mit den zwei Beratungsgesprächen mit dem Argument, ein Informationsgespräch gegenüber einem oder zwei Anlegern «reich[e] (…) bereits in quantitativer Hinsicht nicht aus, um als öffentlich bzw. an das Publikum gerichtet zu qualifizieren» 44. Diese Aussage wird man wohl so verstehen müssen, dass das qualitative Kriterium bei einer sehr geringen Zahl von Anlegern entbehrlich ist. Ein solches Verständnis des Öffentlichkeitsbegriffs kommt in die Nähe der inzwischen aufgegebenen Praxis der EBK, wonach Öffentlichkeit bei weniger als 20 Anlegern unabhängig vom Vorliegen des qualitativen Kriteriums verneint wurde (safe harbour rule).45 In diesem Sinne wird man wohl auch die – insoweit wiedersprüchlich anmutenden – bundesgerichtlichen Erwägungen verstehen müssen, die sich im Prinzip stark an die diesbezüglichen Erwägungen der Vorinstanz anlehnen. Abstrakte quantitative Anhaltspunkte, wo eine Grenze im beschriebenen Sinne anzusiedeln wäre, lassen sich weder dem Bundesgerichtsurteil noch dem Urteil der Vorinstanz entnehmen. In der Lehre ist diesbezüglich vereinzelt vorgeschlagen worden, die Zahl von 20 Anlegern solle nach wie vor als Richtschnur gelten.46 Seit die EBK ihre Praxis bezüglich der «20er-Regel» aufgegeben hat, ist indessen unklar, ob es im Rahmen des KAG eine safe harbour rule im beschriebenen Sinne gibt. Eine gelegentliche Konkretisierung durch die FINMA im Rahmen des FINMA-RS 2008/8 oder durch eine Kodifizierung von konkreten Anhaltspunkten in der KKV wäre mit Blick auf die Rechtssicherheit sicherlich zu begrüssen. In der Praxis wird sich die mit dem bundesgerichtlichen Urteil einhergehende Liberalisierung indessen kaum spürbar auswirken. In Ermangelung klarer kodifizierter Kriterien, wann von einem eng begrenzten Adressatenkreis auzugehen ist, sind insbesondere Privatplatzierungen von Anteilen an ausländischen kollektiven Kapitalanlagen praktisch nach wie vor nur denkbar, wenn ausschliesslich qualifizierte Anleger adressiert werden. Nur in diesen Konstellationen besteht nämlich letztlich die nötige Rechtssicherheit, dass keine öffentliche Werbung vorliegt. Schliesslich dürften sich gerade Privatplatzierungen von Anteilen an ausländischen kollektiven Kapitalanlagen in der Regel an Personen richten, die sich unter den Tatbestand des qualifizierten Anlegers gemäss Art. 10 Abs. 3 KAG subsumieren lassen. Dies muss umso mehr gelten, als der Begriff des qualifizierten Anlegers sehr weit gefasst ist und alle relevanten Konstellationen im Wesentlichen abdecken dürfte.47 Ein praktisches Bedürfnis für nicht öffentliche Werbung, die sich an nicht qualifizierte Anleger richtet, besteht daher wohl kaum. V. Bedeutung für die Praxis Der Begriff der öffentlichen Werbung ist in der Praxis von besonderer Relevanz für die Frage, ob ausländische kollektive Kapitalanlagen einer Genehmigungspflicht unterliegen oder genehmigungsfrei in der Schweiz oder von der Schweiz aus öffentlich vertrieben werden können (Art. 2 Abs. 4 i.V.m. Art. 120 Abs. 1 KAG). Abgrenzungsfragen stellen sich meist im Zusammenhang mit Privatplatzierungen von ausländischen kollektiven Kapitalanlagen, mitunter Hedge-Funds oder alternative Anlagen, bei denen eine Unterstellung unter das KAG vermieden werden soll. Mit dem vorliegenden Bundesgerichtsurteil hat sich der Spielraum für die Durchführung von Pivatplatzierungen theoretisch vergrössert, da sich ein zusätzlicher Anwendungsbereich für nicht öffentliche Werbung ergibt, die sich nicht zwingend an qualifizierte Anleger richten muss. 44 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (Fn 6), E. 8.4.5. Vgl. dazu Speck (Fn 16), 99 f. 46 BSK KAG-Bösch, (Fn 16), N 31 f. zu Art. 3. 45 47 Vgl. zum Begriff des qualifizierten Anlegers oben, Fn. 5.