Psychische Erkrankung(en)

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Postpartale Psychose,
Infantizid und Neonatizid
Thomas Stompe
Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie,
Medizinische Universität Wien
Ablauf der Präsentation
(1) Postpartale psychische Erkrankungen –
Erscheinungsformen und Ursachen
(2) Wochenbettpsychosen
(3) Zeitliche Lokalisation der Kindstötungen psychotischer
Mütter und Einführung der Differenzierung zwischen
(zumeist nicht psychotisch bedingten) Neonatizid und
psychotisch bedingten Infantizid in den ersten
Lebensmonaten des Neugeborenen.
(4) Psychosoziale Besonderheiten und Tatabläufe der
beiden Gruppen
(5) Zusammenfassung und Resümee
Erscheinungsformen postpartaler
psychischer Erkrankungen
Baby-Blues
Postpartale
Depression
Postpartale
Manie
Postpartale
Panikstörung
Postpartale
Zwangsstörung
80% der Mütter. Leichte Verstimmungen auf Grund der hormonellen
Veränderungen, Beginn 24 bis 48 Stunden nach der Entbindung; in
der Regel nicht länger als zwei Wochen; Weinen, Reizbarkeit;
Erschöpfung; Schlafproblem; Besorgtheit; überemotionale
Reaktionen; Affektlabilität
Erscheinungsformen postpartaler
psychischer Erkrankungen
Baby-Blues
Depression
Postpartale
Manie
Postpartale
Panikstörung
Postpartale
Zwangsstörung
Steigert sich langsam und stetig über einen Zeitraum von acht und
mehr Wochen; Häufiges Weinen, starke Konzentrationsstörungen,
Niedergeschlagenheit, Bedrückung; Mangelnde Energie;
Interesselosigkeit; Reizbarkeit; Appetitstörungen, erhöhtes
Schlafbedürfnis oder Durchschlafstörungen
Erscheinungsformen postpartaler
psychischer Erkrankungen
Baby-Blues
Depression
Manie
Panikstörung
Zwangsstörung
Meist in den ersten Tagen nach der Geburt; Ruhelosigkeit,
Rededrang; Tätigkeitsdrang; plötzliche Stimmungsumschwünge;
seltener gehobene oder euphorische Stimmung, häufiger
Gereiztheit, leichte Erregbarkeit; mangelndes Urteilsvermögen,
unlogische Schlüsse, manchmal verzerrte Wahrnehmung,
Krankheitsuneinsichtigkeit.
Erscheinungsformen postpartaler
psychischer Erkrankungen
Baby-Blues
Postpartale
Depression
Postpartale
Manie
Postpartale
Panikstörung
Postpartale
Zwangsstörung
Kurzdauernde (5 bis 20 Minuten) Angstzustände mit körperlichen
Symptomen wie Kurzatmigkeit, Beklemmungsgefühlen, Schmerzen
im Brustbereich, Schwindel, Parästhesien in Händen und Füßen,
Zittern, Schweißausbrüchen, Gefühl des Kontrollverlusts oder
sterben zu müssen.
Erscheinungsformen postpartaler
psychischer Erkrankungen
Baby-Blues
Postpartale
Depression
Postpartale
Manie
Postpartale
Panikstörung
Postpartale
Zwangsstörung
In den ersten Wochen nach der Geburt zwanghaft sich
aufdrängende Gedanken, dem Neugeborenen etwas anzutun;
unwillkürlich sich aufdrängende Bilder. Zumeist bei Frauen mit
einem rigiden Bild einer positiven Mutterrolle mit Verdrängung der
negativen Aspekte, die auf diese Weise wieder ans Bewusstsein
drängen. Im Gegensatz zur Wochenbettpsychose Distanz zu diesen
Gedanken und Impulsen.
Ursachen für die Entwicklung postpartaler
psychischer Störungen
Biologische
(1) Körperliche Veränderungen
(2) Hormonelle Veränderungen
Psychische
(1) Lebensstil
(2) Psychische Probleme in der Vergangenheit
(3) Nicht verarbeitete Verluste oder unmittelbare
Belastungen
(4) Kindheitserfahrungen
Soziale
(1)
(2)
(3)
(4)
(5)
Beziehungsveränderungen nach der Geburt
Qualität der Ehe und Partnerschaft
Stabilität des sozialen Netzes
Qualität der Mutter-Kind Beziehung
Verhältnis zu bereits vorhandenen Kindern
Phänomenologie der Wochenbettpsychosen
 Die Würzburger Gruppe um Beckmann und Stöber
konnten in mehreren Untersuchungen nachweisen, dass
Wochenbettpsychosen zu 80% die Phänomenologie und
Verlaufsgestalt einer zykloiden Psychose aufweisen.
Zykloide Psychosen entsprechen im ICD-10 einer akut
polymorphen Psychose mit schizophrenen Symptomen.
 15% waren als psychotische Depression zu klassifizieren.
 5% waren bereits vor der Schwangerschaft an einer
schubhaft verlaufenden schizophrenen Psychose
erkrankt.
Zykloide Psychosen im Wochenbett

Sie zeichnen sich durch eine episodischen Verlauf mit kompletten
Remissionen aus.

In 70% durchlaufen die Betroffenen nur eine Episode.

Sie können bipolar sein, das klinische Bild ist zumeist sehr bunt.

Es können drei Formen (Angst-Glücks-Psychose, Verwirrtheitspsychose,
Motilitätspsychose) unterschieden werden.

Charakteristisch wahnhafte Angst, dass das Kind ein Dämon sein könnte
oder Angst, dass es von finsteren Mächten entführt werden könnte etc.

Häufig hereditäre Belastung, die einen zusätzlichen Beitrag zur
Pathogenese der postpartalen Psychosen leistet.

Mutter kann nicht mehr die Bedürfnisse des Kindes adäquat
einschätzen.
Angst-Glücks-Psychose
 Die Angst-Glücks-Psychose ist am Angstpol durch Angst
ausgezeichnet, die mit Misstrauen, Eigenbeziehungen,
hypochondrische Ideen und nicht selten auch mit
Sinnestäuschungen und manchmal auch mit
Beeinflussungserlebnissen einhergeht.
 Am Glückspol bietet sie ekstatische Verstimmungen und
Glücksideen, zu denen sich Beziehungsideen und
Sinnestäuschungen gesellen können.
Verwirrtheitsychose
•
•
•
•
Die Verwirrtheitspsychose geht in der erregten Phase mit einer
Inkohärenz des Denkens, in der gehemmten Phase mit einer
Hemmung des Denkens einher.
Bei geringen Graden der Denkerregung kommt es nur zu einer
„Inkohärenz der Themenwahl“. Mit der Denkerregung ist ein
Rededrang, mit der Denkhemmung eine Sprachverarmung bis
zum Mutismus verbunden.
An abnormen Inhalten kommen in der Erregung vorwiegend
Personenverkennungen, dazu häufig Beziehungsideen und
Sinnestäuschungen, vor allem akustischer Natur vor.
In der gehemmten Phase treten bei Ratlosigkeit viele
Beziehungs- und Bedeutungsideen auf, seltener
Halluzinationen.
Motilitätsychose
•
•
•
Die Motilitätspsychose ist in ihrem erregten Pol
ausgezeichnet durch eine Bewegungsunruhe, die sich
vorwiegend aus Expressiv- und Reaktivbewegungen
aufbaut.
Am gehemmten Pol sind ebenfalls Expressiv- und
Reaktivbewegungen betroffen, in schweren Fällen kommt
es zu einem Stupor (Bewegungsstarre).
In leichteren Fällen erkennt man die Störung trotz der
noch ablaufenden Willkürbewegungen an der Starre der
Haltung und Mimik.
Infantizid
In der Kriminologie werden 6 Fallgruppen von Infantizid
unterschieden:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
Neonatizid
Erweiterter Suizid
Infantizid und psychotische Erkrankung
Zielgerichtete Tötung
Misshandlung
Vernachlässigung
Neonatizid
 Als Neonatizid werden Fälle bezeichnet, bei
denen die Mutter ihr Kind während oder
unmittelbar nach der Geburt getötet hat.
 Fast immer handelt es sich um ungewollte
Schwangerschaften, bei denen die Geburt
überraschend begann.
 Es finden sich große Unterschiede, in welcher
Weise die Schwangerschaft abgewehrt wird.
Die „abgewehrte“ Schwangerschaft
Das phänomenologische Spektrum der abgewehrten
Schwangerschaft reicht von:
(1) den aus der subjektiven Gewissheit, nicht schwanger zu sein,
heraus abgewehrten Zuschreibungen durch die anderen,
(2) über die durch die ungefähre Ahnung, schwanger sein zu
können, bestimmte Abwehr von Denk- und Erfahrungsmöglichkeiten sich selbst und anderen gegenüber,
(3) bis hin zur manipulativ abgewehrten Fremdwahrnehmung der
Schwangerschaft.
Psychische Erkrankung(en) der
Täterinnen beim Neonatizid (%)
Pedsönlichkeitsstörung
5,4
Persönlichkeitsakzentuierung
5,4
PTSD
1,1
Bipolare Störung
1,1
3,3
Depression
Drogenkonsum
6,5
Kombinierte Störungen
8,7
68,5
keine
0
10
20
30
40
50
60
70
nach Höynck et al. 2015
80
Zeitliche Lokalisation der Kindstötungen im 1. LJ durch
psychotische Mütter (%)
1. Tag
4,8
66,7
2. Tag-3.Monat
4.-6. Monat
14,3
7.-9. Monat
4,8
10.-12. Monat
4,8
0
10
20
30
40
50
60
70
nach Höynck et al. 2015
80
Geschlecht, Staatsangehörigkeit und
Frühgeborenenrate der Opfer Neonatizid vs.
Psychose (%)
60
57,6
49,7
50,3
50
42,4
40
30
20
8
9,7
10
7
3
0
männlich
weiblich
ausländisch
frühgeboren
nach Höynck et al. 2015
Opfer Wunschkind - Neonatizid vs.
Psychose (%)
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
100
55,5
27,3
12,1
0
0
0
ja
nein
unklar
9,1
k.A.
nach Höynck et al. 2015
Geschwister der Opfer (%)
60
51
51,6
50
40
30
28
24,2
18,3
20
14,4
10,4
10
2,1
0
Vollgeschwister
Halbgeschwister
Voll- und
Halbgeschwister
erstes Kind
nach Höynck et al. 2015
Täter-Opfer-Verhältnis (%)
100
92
100
90
80
70
60
50
40
30
20
10
1
4
3
0
Biologische Mutter
Biologischer Vater
Sonstige Person
unbekannt
nach Höynck et al. 2015
Alter der Täterin zum Tatzeitpunkt (%)
70
62,5
60
50
43,5
37,5
40
30
18,5
20,7
20
16,3
10
1,1
0
Unter 18 Jahre
18-20 Jahre
21-29 Jahre
30-40 Jahre
Über 40 Jahre
nach Höynck et al. 2015
Lebensverhältnisse der Täterin in der
eigenen Kindheit (%)
50
Biologische Eltern
59,8
16,7
Biologische Mutter
12
Biol. Mutter + neuer
Partner
13
Heim
3,3
25
Wechselnd
10,9
K.A.
1,1
0
10
20
30
40
50
60
nach Höynck et al. 2015
70
Misshandlungserfahrungen der Täterin
in der eigenen Kindheit (%)
4,1
beides
1
8,2
körperliche Gewalt
10,9
sexueller Missbrauch
3,3
87,7
84,8
keine
0
20
40
60
80
nach Höynck et al. 2015
100
Schulabschlüsse der Täterinnen im Vergleich mit
Absolventen des Jahres 1999 und der Bevölkerung im
Jahr 1999
Täterinnen
Ohne Hauptschulabschluss
6,5%
Absolventen
1999
Bevölkerung
1999
8,9%
7,5%
25,7%
48,7%
40,2%
25,7%
25,2%
18,1%
--
--
20,8%
Niedriger Bildungsabschluss
25,0%
33,3%
Mittlerer Bildungsabschluss
48,9%
25,0%
Hoher Bildungsabschluss
14,2%
8,3%
Ausländischer Bildungsabschluss
5,4%
12,5%
nach Höynck et al. 2015
Beschäftigungsstatus der Täterinnen
zum Tatzeitpunkt (%)
54,2
Ohne Erwerbstätigkeit
31,5
29,2
Mutterschutz
4,3
16,7
Erwerbstätig
37
Schulbesuch
25
unklar
2,2
0
10
20
30
40
50
nach Höynck et al. 2015
60
Familienstand der Täterinnen zum
Tatzeitpunkt (%)
29,2
ledig
75
50
verheiratet
14,1
12,5
verheiratet/getrennt
3,3
4,2
6,5
geschieden
unklar
1,1
0
10
20
30
40
50
60
70
nach Höynck et al. 2015
80
Biologische Kinder der Täterinnen zum
Tatzeitpunkt (%)
fünf oder mehr Kinder
4,6
3-4 Kinder
10,9
33,3
1-2 Kinder
35,9
66,7
keine weiteren Kinder
48,9
0
10
20
30
40
50
60
70
nach Höynck et al. 2015
80
Wochentag der Tatbegehung (%)
9,1
Montag
Dienstag
12,1
18,2
8
Mittwoch
8,5
Donnerstag
12,1
15,2
11,1
6,1
6
Freitag
Samstag
21,2
9
Sonntag
12,1
18,2
K.A.
33,2
0
5
10
15
20
25
30
nach Höynck et al. 2015
35
Uhrzeit der Tatbegehung (%)
15,2
15,1
00:00-03:59
04:00-07:59
15,2
9
08:00-11:59
18,2
12,6
12:00-15:59
12,2
9
15,2
16:00-19:59
8,5
18,2
20:00-23:59
10,1
6,1
K.A.
0
5
35,7
10
15
20
25
30
35
nach Höynck et al. 2015
40
Tötungsart (%)
3
Vergiften
Nichtversorgen
10,6
Ersticken
36,4
23,6
6,1
Erwürgen
Erstechen
11,1
18,2
3
Vernachlässigung
1
stumpfe Gewalt
12,1
3,5
aus dem Fenster werfen
6,1
2
6,1
unklar
0
5
37,7
10
15
20
25
30
35
nach Höynck et al. 2015
40
Kindsväter - Neonatizid
 Nur 14,4% waren verheiratet
 31,7% hatten weitere biologische Kinder
 51% lebten mit der Kindsmutter zusammen
 14,1% waren noch in Ausbildung, genauso viele waren
arbeitslos
 Die meisten hatten keine Kenntnis von der Tat
nach Höynck et al. 2015
Zusammenfassung

Neonatizide werden zumeist von Frauen begangen, die ihre
(unerwünschte) Schwangerschaft verheimlicht oder verdrängt haben.
Es handelt sich häufig um psychisch unauffällige, aber eher unreife
Personen, die sich oft in prekären sozialen Situationen befinden. Die
Kinder werden erstickt, liegengelassen und nicht versorgt.

Psychotische Mütter begehen einen Filizid zumeist in den ersten vier
Lebensmonaten des Kindes. Sie sind psychisch hochgradig auffällig, im
Durchschnitt älter als die Mütter, die einen Neonatizid begehen und
stammen aus besseren sozialen Verhältnissen. Hoher Anteil an
Wunschkindern, wahnhafte Ängste um das Kind, das unter Umständen
mit brutalen Methoden getötet wird.
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