Schulmaterial des Theaters - Theaterjugendring München

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Victoria
und ihr
Husar
materialmappe
Inhaltsverzeichnis
Besetzung ............................................................................................................................. 2
Handlung............................................................................................................................... 3
Schlaglicht: Japan und Russland nach dem Ersten Weltkrieg ............................................. 4
Der Komponist: Paul Abraham ............................................................................................ 5
Die Librettisten: Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda ................................................. 7
Alfred Grünwald .................................................................................................................. 7
Fritz Löhner-Beda ............................................................................................................... 8
Schlaglicht: Das Buchenwald-Lied .................................................................................... 10
Das Werk ............................................................................................................................. 11
Entstehung und Uraufführung in Budapest........................................................................ 11
Adaption für den deutschen Markt .................................................................................... 12
Erfolg in Deutschland ........................................................................................................ 13
Zum Weiterarbeiten: Kritik ................................................................................................. 13
Zum Weiterlesen: Kritiken der ersten Aufführungen .......................................................... 14
Die Fassung ........................................................................................................................ 15
Zum Weiterarbeiten: Urfassung – Fassung nach… – Unsere Fassung ............................ 15
Zum Weiterlesen: Neue Operette. Von frivol bis Fußball .................................................. 17
Genre Operette ................................................................................................................... 22
Ein Kurzportrait: Von der Muse geküsst... ......................................................................... 22
Zum Weiterlesen: Zur Aktualität der Operette der Zwischenkriegszeit .............................. 23
Theaterknigge ..................................................................................................................... 25
Rund um den Theaterbesuch mit Schulklassen .............................................................. 26
Quellen ................................................................................................................................ 27
Impressum .......................................................................................................................... 28
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Viktoria und ihr Husar
Operette
Musik von Paul Abraham
Libretto von Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda
Aus dem Ungarischen des Emmerich Földes
Bühnenpraktische Rekonstruktion der Musik von Henning Hagedorn und Matthias
Grimminger
Fassung für das Staatstheater am Gärtnerplatz von Josef E. Köpplinger
Musikalische Leitung
Regie
Choreografie
Bühne
Kostüme
Licht
Dramaturgie
Michael Brandstätter
Josef E. Köpplinger
Karl Alfred Schreiner
Judith Leikauf / Karl Fehringer
Alfred Mayerhofer
Michael Heidinger
David Treffinger
Leutnant Petroff, Kosak und Lagerleiter in Sibirien
Stefan Koltay, Husarenrittmeister
Janczy, sein Bursche
John Cunlight, amerikanischer Gesandter
Gräfin Viktoria, seine Frau
Graf Ferry Hegedüs auf Doroszma, Viktorias Bruder
Lia San, Ferrys Braut
Riquette, Viktorias Kammerfrau
Bela Pörkölty, Bürgermeister von Doroszma
James, Butler von Cunlight
Krutow, Lageraufseher
Gunther Gillian
Daniel Prohaska
Josef Ellers
Erwin Windegger
Alexandra Reinprecht
Christoph Filler
Susanne Seimel
Katja Reichert
Florian Wolf
Johannes Bauer
Uwe Thomsen
Chor, Orchester, Ballett und Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz
2
Handlung
Sibirien, kurz nach dem Ende des Ersten
Weltkriegs. Husarenoffizier Stefan Koltay und
sein Bursche Janczy sind in russische Kriegsgefangenschaft geraten, Koltay soll hingerichtet werden. Er denkt an seine große Liebe,
Gräfin Viktoria zu Hegedüs auf Doroszma, die
in Ungarn zurückgeblieben ist. In letzter
Minute ergibt sich jedoch eine Möglichkeit zur
Flucht.
Tokio. Koltay und Janzy gelingt es, sich bis
Figurinen von Alfred Mayerhofer
nach Japan durchzuschlagen. In Tokio begeben sie sich zur amerikanischen Botschaft, können unter falschem Namen hinein gelangen
und der Botschafter, John Cunlight, gewährt ihnen Schutz. Janczy bandelt gleich mit der
französischen Zofe Riquette an. Cunlight bietet an, die beiden Flüchtlinge als Angestellte der
Botschaft nach St. Petersburg, seinen nächsten Dienstort, mitzunehmen und sie dann von
dort als Kuriere nach Ungarn zurückzuschicken. Sie nehmen an. Es ist der letzte Tag, den
der Botschafter in Tokio
verbringt. Beim Abschiedsfest findet gleichzeitig die
Hochzeit des Grafen Ferry,
dem Bruder der Botschaftersgattin Viktoria, mit der
schönen Halbjapanerin Lia
San statt. Als Cunlight beim
Fest Koltay seiner Frau vorstellt, bestätigt sich Koltays
Verdacht, dass es sich dabei
um seine Verlobte handelt.
Viktoria hatte geglaubt,
Koltay sei gefallen und gab
nach langer Zeit der Trauer
Alexandra Reinprecht (Gräfin Viktoria), Erwin Windegger (John Cunlight), Ensemble
dem beharrlichen Werben
Cunlights nach. Das Wiedersehen mit dem vermeintlich Toten stürzt sie in tiefe Verwirrung.
St. Petersburg. Koltay und Janczy sind mit nach St. Petersburg gereist. Cunlight weiß nicht,
dass es sich bei dem angeblichen Rittmeister Csaky um den ehemaligen Verlobten seiner
Frau handelt. Während der ganzen Reise hat Viktoria jedes Gespräch mit Koltay ängstlich
vermieden. Janczy und Riquette hingegen sind inzwischen ein Paar. Überall um die
Botschaft herum sind Soldaten der Roten Armee zu sehen. Janczy hat Angst, glaubt sich
erkannt und drängt Koltay abzureisen. Cunlight schafft die Möglichkeit dazu. Koltay will
jedoch nicht ohne Viktoria zurück nach Ungarn. Bei einer Aussprache beharrt er auf der
Einhaltung ihres Schwurs ewiger Treue, Viktoria auf ihrer Pflicht gegenüber ihrem jetzigen
Mann. Der russische Geheimdienst hat derweil wirklich Verdacht geschöpft und fordert die
Herausgabe der Flüchtlinge. Cunlight erfährt so von der wahren Identität seines Schützlings.
Er ist gekränkt, dass Viktoria ihm nicht die Wahrheit gesagt hat und fühlt sich hintergangen.
3
Trotzdem will er sein Wort halten und versucht, Janczy und Koltay zu decken. Koltay liefert
sich aber enttäuscht und hoffnungslos, weil er Viktoria auf immer verloren glaubt, der Roten
Armee aus. Viktoria bleibt von beiden Männern verlassen zurück.
Doroszma. Nach einer Weltreise kommt Viktoria zum Winzerfest in ihr Heimatdorf. Es heißt,
wenn beim Winzerfest drei Paare heiraten,
bleiben diese Ehen für alle Zeiten glücklich. Mit Ferry und Lia San, Janczy und
Riquette stehen schon zwei Paare bereit.
Die dritte Braut soll Viktoria sein. Sowohl
ihr Bruder als auch Janczy wollen Viktoria
wieder zu einer Ehe verhelfen. Ferry hat
nach Cunlight telegrafiert, indessen hat
Janczy herausgefunden, dass Koltay doch
nicht hingerichtet worden ist. Beide potentiellen Bräutigame kommen und Viktoria
muss sich entscheiden…
Alexandra Reinprecht (Viktoria), Daniel Prohaska (Stefan Koltay)
© Christian POGO Zach
Schlaglicht: Japan und Russland nach dem Ersten Weltkrieg
Im Ersten Weltkrieg kämpfte Japan auf Seiten der Alliierten (Entente) und profitierte wirtschaftlich. Gemäß dem Versailler Vertrag übernahm bzw. annektierte es die deutschen
Kolonien in China, was zu massiven Protesten in China führte (Bewegung des vierten Mai).
Ab etwa 1929/1930 wurde Japan stark von der Weltwirtschaftskrise getroffen. Die Wirtschaft
wurde umstrukturiert und eine erstarkte Schwerindustrie und einflussreiche Finanzgruppen
(zaibatsu) traten in den 1930er Jahren hervor. Diese Gruppen hatten starkes Interesse an
Aufrüstung und weiterer Expansion.
Japan versuchte 1918 in Sibirien Fuß zu fassen. An die Oktoberrevolution schlossen sich
internationale Interventionen auf Seite des antikommunistischen Widerstandes an. So
landeten bei Wladiwostok 70.000 Japaner und 9.000 Mann US-Truppen; Japan hielt Wladiwostok, Teile der Pazifikküste und Gebiete entlang der transsibirischen Eisenbahn in der
fernöstlichen Republik besetzt. 1920 wurden die mit den Truppen des weißrussischen
Generals Semjonow allein verbliebenen japanischen Intervenienten auf Wladiwostok und
den Küstenstreifen zurückgedrängt, Wladiwostok erst am 25. Oktober 1922 zurückerobert.
Dieses Scheitern löste in Japan Aufstände aus, die einen Regierungswechsel ins
bürgerliche Lager auslösten.
4
Der Komponist: Paul Abraham
Wer ist eigentlich Paul Abraham? Diese Frage war 1930, als die
Operette »Viktoria und ihr Husar« zuerst in Leipzig, dann in
Berlin zum Sensationserfolg wurde, mehr als berechtigt. Denn
dieser Komponist kam praktisch aus dem Nichts. Berliner
Theaterprofis hatten das Potential seiner kurz zuvor in Budapest
uraufgeführten »Viktória« erkannt und mit Hilfe der beiden StarLibrettisten Fritz Löhner-Beda und Alfred Grünwald fürs
deutsche Großstadtpublikum aufgepeppt. Innerhalb von nur
zweieinhalb Jahren (dann musste er emigrieren) präsentierte
Abraham drei Operetten und wurde – zumindest den Aufführungszahlen nach – zu einem der erfolgreichsten Komponisten
seiner Zeit.
Wie aber kam es dazu, dass Abraham in so kurzer Zeitspanne so riesige Erfolge erzielen
konnte? Und wie kommt es, dass er heute, mehr als achtzig Jahre später, wieder Triumphe
feiert? Die Antwort ist auf beide Fragen dieselbe: Paul Abrahams Erfolg kommt von seiner
Modernität. Denn neben seinem geradezu sensationellen Gespür für eingängige Melodien
hatte er das Talent und das Können, moderne und traditionelle Rhythmen zu einer neuen
Musiksprache zu vereinen. Und die wirkt noch heute.
Es ist nicht belegt, wie genau Paul Abraham, der als Schöpfer »ernster« Musik gescheitert
war, zur »leichten Muse« kam. Zwar erzählte er selbst darüber diverse Anekdoten, die sich
aber widersprachen und wohl eher zur Unterhaltung des Publikums erfunden wurden. Tatsache ist, dass der hochbegabte Musikstudent Paul Abraham zwar im Studium mit Glanzleistungen beeindruckte, aber dann keinen Abschluss machte, und dass er sich später
ziemlich erfolglos an der »ernsten« Musik versuchte. Der Erfolg kam erst, nachdem er 1927
zum Kapellmeister am Budapester Operettentheater berufen wurde und die ersten eigenen
Operetten komponierte, von denen »Viktória« auch den internationalen Durchbruch schaffte.
In diese ersten Werke und erst recht in die Musik seiner späteren internationalen Erfolge
floss die von vielen äußeren Faktoren geprägte Persönlichkeit Abrahams ein: Er wuchs als
Angehöriger einer jüdischen Kaufmannsfamilie in einem von Donauschwaben besiedelten
ungarischen Dorf namens Apatin auf, studierte dann an der von allen modernen Musikrichtungen beeinflussten Franz-Liszt-Musikhochschule in Budapest und musste schließlich,
während des Studiums verwaist, für sein finanzielles Überleben dem Brotberuf eines
Bankangestellten nachgehen. Wie die meisten ungarischen Männer verbrachte er viel Zeit im
Kaffeehaus, spielte Karten und wettete beim Pferderennen, hatte dennoch (oder deswegen)
permanent finanzielle Sorgen. Allerdings soll er auch die ganze Zeit mehr oder weniger
hobbymäßig kleinere (Jazz-)Kapellen dirigiert haben.
Auf »Viktoria und ihr Husar« folgten »Die Blume von Hawaii« und der »Ball im Savoy«, dann
war seine kurze, aber umso steilere Karriere in Deutschland schon zu Ende. Er musste vor
dem braunen Mob zurück nach Budapest flüchten. Dort komponierte er weiter Operetten, die
vor allem in Budapest und Wien aufgeführt wurden. Zusätzlich schuf er unzählige Filmmusiken. Aber der ganz große Erfolg blieb wegen des Aufführungsverbots seiner Werke in
Deutschland aus. Niemand kann sagen, wie berühmt Abraham heute wäre, hätte er in Berlin
seine Erfolge weiter fortsetzen können.
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Budapest war nicht die Endstation der Flucht vor den Nazis. Abraham musste über Paris und
Kuba in die USA fliehen. Galt er in Europa noch als supermodern, so war er in New York
plötzlich abgemeldet. Komponisten, die jazzen konnten, gab es hier mehr als genug. Zusätzlich wurde seine Kreativität durch eine wegen finanzieller Not nicht behandelte Krankheit
behindert. Es war die Syphilis, die schließlich im vierten Stadium zum Wahnsinn führte. Zehn
Jahre vegetierte er im riesigen Creedmoor State Hospital als einer von 5000 Psychiatriepatienten unter entwürdigenden Umständen dahin. Erst 1956 schaffte es eine Bürgerinitiative,
Paul Abraham nach Hamburg zu holen, wo er im Universitätsklinikum Eppendorf – ausgerechnet auf der Station eines ehemaligen NS-Mediziners – landete.
Schon zuvor war der Komponist in Deutschland
wiederentdeckt worden. Seine Stücke wurden
dem Geschmack der Nachkriegszeit entsprechend musikalisch geglättet, aber sehr erfolgreich wiederaufgeführt. Bereits im Januar 1949
präsentierte auch das Gärtnerplatztheater die
Operette »Viktoria und ihr Husar«, die an dieser
Stätte 1932 erstmals auf dem Programm
gestanden hatte.
Als Person war Paul Abraham aber zunächst
nur als der »Komponist im Irrenhaus« (so die
damaligen Schlagzeilen) präsent, und er geriet
dann schon zu Lebzeiten wieder aus dem
Blickfeld der Öffentlichkeit. Zurückgezogen lebte er bis zu seinem Tode 1960 mit seiner aus
Ungarn nachgekommenen Ehefrau in Hamburg und glaubte in seiner irrealen Welt, in New
York zu sein, wo bald der »Ball im Savoy« auf dem Broadway aufgeführt werde.
Die Partituren seiner Erfolgsoperetten galten als verschollen, aber die Melodien waren stark
genug, auch in neuem Gewand zu überleben, und so sind die Berliner Erfolgsoperetten nie
ganz von den Spielplänen verschwunden. Aber erst heute, wo man sich auf seine
Ursprungspartituren und die Aufführungspraxis im historischen Kontext besinnt, merkt man,
welch moderne Werke da in den 1930er Jahren entstanden waren und welches Potential in
ihnen steckt. Jetzt wird Abraham auch als Person wiederentdeckt, und es gibt auch für ein
jüngeres Publikum die Chance, diesen Komponisten zu entdecken und die Antwort zu finden
auf die Frage: Wer ist eigentlich Paul Abraham?
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Die Librettisten: Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda
Alfred Grünwald
wurde am 16. Februar 1884 in Wien geboren, seine Eltern waren ursprünglich aus Budapest
in die Hauptstadt der damaligen k. & k. Monarchie gekommen und betrieben ein kleines
Unternehmen. Nach dem erfolgreichen Schulbesuch versuchte sich der junge Mann in
verschiedenen Handelsunternehmen; doch schnell kristallisierte sich heraus, dass das
Schreiben sein größtes Talent war. Noch während seiner Schulzeit hatte er kleine Essays
und Artikel geschrieben. Das setzte er fort und bekam eine
Anstellung als Feuilletonist und Theaterkritiker für das »Neue
Wiener Journal«, wo er begann, kleinere Bühnensketche und
kabarettistische Texte zu schreiben. 1909 verfasste er sein erstes
Libretto für die Operette »Elektra« zusammen mit Julius Brammer,
mit dem er nun jahrzehntelang zusammenarbeiten wird. Für die
Operetten von Paul Abraham und Oscar Straus fand er in Fritz
Löhner-Beda einen kongenialen Partner. Alfred Grünwald galt als
erfolgreicher Autor von Schwänken und Schlagern und so mancher
Gassenhauer wurde zum Evergreen.
Wie viele seiner Landsleute war Alfred Grünwald ein überzeugter
Monarchist und so zog er, wie viele jüdische Mitbürger Österreichs
auch recht begeistert 1914 in den Krieg. Auch hier schrieb er
Liedertexte, diesmal waren es recht patriotische. Nach dem Ende des Krieges und dem
Beginn eines totalen gesellschaftlichen Umbruchs fiel es Alfred Grünwald schwer, mit der
neuen Zeit mitzuhalten. Zwar konnte er im Zivilleben wieder in seiner Arbeit Fuß fassen und
Operettentexte, Schlagertexte und Einakter verfassen, doch an den Frohsinn der Schaffenskraft der »Belle Epoche« konnte er nicht mehr anknüpfen. Das heißt nicht, dass er nun in
den Zwischenkriegsjahren weniger erfolgreich war, doch zeigt sich, dass ihm die frühere
Spritzigkeit verloren gegangen war. Dennoch schafften es einige seiner Stücke bereits 1914
bis an den Broadway, was später für ihn von großer Bedeutung werden sollte. Fast wie am
Fließband verfasste er Texte, denn es begann sich eine Musikindustrie zu entwickeln, die
Schallplatte begann ihren Siegeszug um die Welt.
Nach dem »Anschluss« Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland 1938 wurde
die Situation für die österreichischen Juden prekär, auch für Alfred Grünwald. Noch im
gleichen Jahr wurde er von der Gestapo verhaftet, doch er wurde kurzfristig freigelassen;
diese Zeit nutzte er um nach Paris zu emigrieren. Nun war es für ihn von Vorteil, dass seine
Stücke schon sehr erfolgreich in New York aufgeführt wurden, so gelangte er mit seiner Frau
Mila Löwenstein und seinem Sohn über Casablanca und Lissabon 1940 in die Vereinigten
Staaten. Wieder erlebte er eine Zeit des Umbruchs, die ihm schwer zu schaffen machte. Er
war Mitte 50 und musste sich erneut einem neuen Zeitgeist stellen, dazu noch in einem völlig
neuen kulturellen Umfeld. Zwar ging es den Grünwalds in den USA wirtschaftlich besser als
so manch anderem Emigranten, doch seine Seele blieb in Österreich, in einem Wien, dass
es so gar nicht mehr gab. Alfred Grünwald tat sein Bestes, um sich mit den Gegebenheiten
zu arrangieren und am 6. September 1945 hatte er eine viel beachtete Premiere im New
Century Theatre von »Mister Strauss goes Boston« mit der Musik von Robert Stolz. Auch
wenn die Kritiken gar nicht schlecht waren, so entsprach das Stück nicht mehr dem New
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Yorker Zeitgeist und wurde nach nur zwölf Aufführungen wieder abgesetzt. Alfred Grünwald
konnte an seine Vorkriegserfolge nicht mehr anknüpfen, die meisten Operettenkomponisten
übrigens auch nicht mehr. Desillusioniert verstarb er am 25. Februar 1951. Sein letztes
Werk, das gemeinsam mit Gustav Beer entstandene Libretto für die Operette »Arizona
Lady« von Emmerich Kálmán wurde erst nach seinem Tod 1954 in Bern uraufgeführt,
nachdem Kálmáns Sohn Charles die Komposition seines Vaters nach dessen Tod 1953
vollendet hatte.
Fritz Löhner-Beda
wurde am 24. Juni 1883 in Wildenschwert, Böhmen geboren und am 4. Dezember 1942 in
Auschwitz ermordet. Er war ein österreichischer Librettist, bekannter Schlagertexter und
Schriftsteller. Zwar sprach die Familie, die eigentlich Löwy hieß, deutsch, doch der familiäre
Kosename des Jungen leitete sich von der tschechischen Form
seines Vornamens ab, Bedrich, die Abkürzung davon lautet Beda,
und diesen Namen sollte Löhner sein Leben lang, wenn auch nicht
konsequent und manchmal in der Kombination Löhner-Beda, immer
wieder als Pseudonym und Künstlername verwenden. Im Jahr 1888
zog die Familie Löwy nach Wien und änderte ihren Namen in
Löhner. Fritz Löhner-Beda studierte nach der Matura an einem
Wiener Gymnasium an der Wiener Universität Rechtswissenschaften bis zur Promotion und arbeitete ab 1908 auch einige Zeit
in einer Wiener Anwaltskanzlei. Während seines Studiums wurde er
Mitglied der jüdischen Studentenverbindung Kadima Wien. Er war
auch Mitbegründer und Präsident des Sportvereins Hakoah.
Intellektuell verband ihn einiges mit der Zionistischen Idee, doch für ihn selbst kam diese
nicht in Frage, da er emotional sehr an Europa hing und die deutsche Sprache liebte. 1910
wurde er freier Schriftsteller. Seine Leidenschaft galt der leichten Muse, also populärer Musik
und Texten, und er verfasste Satiren, Sketche, Gedichte und Schlagertexte sowie zahlreiche
Beiträge für Zeitungen und Zeitschriften. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs textete er patriotisch den Titel »Rosa, wir fahr’n nach Lodz« zum Soldatenlied um, dann schrieb er 1916 für
Franz Lehár das Operettenlibretto »Der Sterngucker«, Höhepunkte der Zusammenarbeit von
Löhner und Lehár waren »Das Land des Lächelns« (1928) und »Schön ist die Welt« (1930).
1918 wurde Löhner-Beda im Alter von 34 Jahren eingezogen. Er erreichte zwar den Offiziersrang, blieb aber nach seinen Kriegserlebnissen zeitlebens Antimilitarist.
Nach dem Krieg avancierte Fritz Löhner-Beda zu einem der bekanntesten Schlagertexter,
mit dem Titel »Ich hab’ mein Herz in Heidelberg verloren« und anderen berühmten
Gassenhauern war er äußerst gefragt. Durch die Einführung des Radios Anfang der 1920er
Jahre, entstand eine Schlagerkultur, die Komponisten und Textern ein breites
Betätigungsfeld bot. Löhner erkannte früh die Chancen dieser Entwicklung und textete einige
der erfolgreichsten Schlager jener Zeit, darunter »In der Bar zum Krokodil« (1927, Musik
Willy Engel-Berger) und »Oh, Donna Clara« (1930, Musik Jerzy Petersburski). Neben
Schlagern, Satiren und Kabaretttexten schrieb Fritz Löhner in den 1920er Jahren auch
Drehbücher für Stummfilme und 1932 die Liedtexte zur deutschen Verfilmung des EdgarWallace-Krimis »Der Hexer«.
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Im Jahr 1925 heiratete er Helene Jellinek, mit ihr hatte er zwei Töchter. Sie lebten in der
Josefstadt. 1932 kaufte Fritz die Villa Felicitas in Bad Ischl, auch Schratt-Villa genannt, und
schenkte sie seiner Frau. Ende der 20er Jahre wurde Fritz Löhner-Beda Vizepräsident des
Österreichischen Schriftstellerverbandes und war ein
führender Mitarbeiter des Jüdisch-Politischen Kabaretts.
Am 13. März 1938, einen Tag nach dem Anschluss
Österreichs an das nationalsozialistische Deutsche Reich
wurde Löhner-Beda verhaftet und mit dem ersten »Prominententransport« am 1. April 1938 in das Konzentrationslager Dachau gebracht. Am 23. September 1938 wurde er
in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Dort
schrieb er Ende 1938 in Zusammenarbeit mit dem gleichfalls verschleppten Komponisten Hermann Leopoldi »Das
Buchenwaldlied«. Am 17. Oktober 1942 wurde Fritz
Löhner-Beda in das KZ Auschwitz deportiert. Im
Nebenlager Buna musste er für den Chemiekonzern I. G.
Farben, der die Häftlinge mit extremer Brutalität
ausbeutete, Schwerstarbeit leisten. Bei einer Inspektion wies einer der Direktoren auf Dr.
Löhner-Beda und sagte zu seinem SS-Begleiter: »Diese Juden-sau könnte auch rascher
arbeiten.« Darauf bemerkte ein anderer Direktor: »Wenn die nicht mehr arbeiten können,
sollen sie in der Gaskammer verrecken.« Nachdem die Inspektion vorbei war, wurde Dr.
Löhner-Beda aus dem Arbeits-kommando geholt, geschlagen und mit Füßen getreten, so
dass er als Sterbender zu seinem Lagerfreund zurückkam, in der Nacht nach den schweren
Misshandlungen verstarb er in einer Baracke in Auschwitz.
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Schlaglicht: Das Buchenwald-Lied
Text: Fritz Löhner-Beda, Musik: Hermann Leopoldi
Wenn der Tag erwacht, eh´ die Sonne lacht,
Die Kolonnen ziehn zu des Tages Mühn
Hinein in den grauenden Morgen.
Und der Wald ist schwarz und der Himmel rot,
Und wir tragen im Brotsack ein Stückchen Brot
Und im Herzen, im Herzen die Sorgen.
O Buchenwald, ich kann dich nicht vergessen,
Weil du mein Schicksal bist.
Wer dich verließ, der kann es erst ermessen
Wie wundervoll die Freiheit ist!
O Buchenwald, wir jammern nicht und klagen,
Und was auch unsere Zukunft sei –
Wir wollen trotzdem »ja« zum Leben sagen,
Denn einmal kommt der Tag –
Dann sind wir frei!
Unser Blut ist heiß und das Mädel fern,
Und der Wind singt leis, und ich hab sie so gern,
Wenn treu, wenn treu sie mir bliebe!
Die Steine sind hart, aber fest unser Schritt,
Und wir tragen die Picken und Spaten mit
Und im Herzen, im Herzen die Liebe!
O Buchenwald …
Die Nacht ist so kurz und der Tag so lang,
Doch ein Lied erklingt, das die Heimat sang,
Wir lassen den Mut uns nicht rauben!
Halte Schritt, Kamerad, und verlier nicht den Mut,
Denn wir tragen den Willen zum Leben im Blut
Und im Herzen, im Herzen den Glauben!
O Buchenwald …
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Das Werk
Entstehung und Uraufführung in Budapest
Der Dramatiker Imre Földes, gut zehn Jahre älter als Paul Abraham, hatte die Idee zu einer
exotischen, ungarisch-japanischen Operette und fragte den aufstrebenden Komponisten, ob
er die Musik zu diesem Stück übernehmen würde. Abraham hatte eigentlich ohnehin keine
andere Wahl. Er arbeitete zwar als Dirigent am Operettentheater sowie als »Gelegenheitskomponist« (wie für »Melodie des Herzens«), und er »instrumentierte für Komponisten, die
davon nichts verstanden« - aber das brachte nicht viel ein. Inzwischen hatte er zwar einen
Verleger, Alexander Marton, aber der wollte seine Vorschüsse natürlich wieder
hereinbekommen.
Zusammen mit dem erfahrenen Librettisten Imre Harmath, der ja schon den »Gatten des
Fräuleins« zum Erfolg geführt hatte, entwickelte Imre Földes ein Libretto, das Abrahams
Komponierkunst zu ungeahnten Höhen führte. Wieder war es die Mischung aus traditionellen
ungarischen Rhythmen, exotisch-fernöstlichen Klängen und Jazzelementen, die hier Triumphe feiern sollte. Und Melodien hervorbrachte, die bis heute Bestand haben.
Das Stück hieß schlicht und einfach »Viktória« und feierte am 21. Februar 1930 im Hauptstädtischen Operettentheater Premiere. Von Anfang an begeisterten die
Melodien das Publikum. In einigen Quellen steht, das
Stück sei ein totaler Misserfolg gewesen, doch in
Wirklichkeit wurde es zigmal »en suite« gespielt, zur 50.
Aufführung hingen Plakate mit den Portraits der Hauptdarsteller in den Straßen Budapests. Das Publikum war
begeistert, auch wenn die Kritiker das »schwache, ein
wenig wirre Libretto« von Imre Földes monierten.
Paul Abraham hat später in Deutschland auf seltsame
Weise versucht, seinen Budapester Erfolg herunterzuspielen, wohl um seinen später eintretenden noch
größeren Erfolg umso heller leuchten zu lassen. Er
sagte: »Viktoria komponierte ich 1929. Das Stück wurde in Budapest 130mal aufgeführt,
dann war es begraben. Niemand außerhalb Ungarns wollte es haben. Wer kennt schon
Abraham, hieß es immer noch.«
Schon einfachste Rechenkünste zeigen, dass diese Aussage die Ereignisse etwas frei
wiedergibt. Die deutsche Erstaufführung des Stücks war im Juni 1930, kaum ein halbes Jahr
nach der Budapester Premiere. Da soll das Stück inzwischen 130mal in Budapest gespielt
worden und dann gar »begraben« worden sein? Und es habe immer noch geheißen »Wer
kennt schon Abraham?« Fiel also die deutsche Aufführung in Leipzig quasi vom Himmel?
Die Abläufe waren völlig anders.
Die »Viktória« jedenfalls wurde in Ungarn nie begraben, sondern gehört dort bis heute zum
festen Operetten-Repertoire und ist sogar nach wie vor eines der meistgespielten Stücke. Es
ist wohl so, dass das Libretto von Földes die ungarische Mentalität trifft. Für den internationalen Markt aber war es ziemlich unbrauchbar, eine einfache Übersetzung hätte sicher in
Deutschland und später weltweit nicht den Supererfolg gebracht.
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Aber dafür saßen ja in Berlin absolute Bühnenprofis. Und genau dort, in der deutschen
Hauptstadt, damals die große Kulturmetropole, versuchte Abraham jetzt sein Glück.
Adaption für den deutschen Markt
Armin L. Robinson [Berliner Theaterverleger] hatte zu Paul Abrahams »Viktória« die entscheidende Idee: Er wollte das deutsche Libretto völlig neu entwerfen lassen und schlug
dafür zwei äußerst erfolgreiche »alte Hasen« vor: Alfred Grünwald und dessen Freund Dr.
Fritz Löhner-Beda. Sie konnten vor allem im Zusammenhang mit der Wiener Operette auf
Riesenerfolge verweisen.
Beide suchten eine neue Herausforderung und fanden sie in den Werken des noch zu entdeckenden Paul Abraham. Zusammen bildeten die drei von nun an die »Firma GrünwaldBeda-Abraham«. Und wie es sich für altgediente Profis des Wiener Operettenbetriebs
gehörte, verzog man sich ins Salzkammergut nach Bad Ischl, um an der deutschen Version
der »Viktória« zu arbeiten.
In Bad Ischl pulsierte seit der Kaiserzeit sozusagen das Herz der Wiener Operette. Dort hatte
jeder erfolgreiche Wiener Operettenakteur seine Villa – nicht nur Franz Lehár und Emmerich
Kálmán, die bisherigen Komponisten von Grünwald und Löhner-Beda, sondern auch Alfred
Grünwald selbst.
Eine offene Frage ist, wie weit die inhaltliche Zusammenarbeit ging. Grünwald und LöhnerBeda waren mit allen Wassern gewaschene Intellektuelle, die bereit waren, auch mal »unter
ihr Niveau« zu gehen, um ihrem untrüglichen Gespür für Ideen und Texte zu folgen. Abraham war genial darin, solche Ideen zeitgemäß in Musik zu verwandeln. Leider kann man die
drei nicht mehr fragen, ob und wie weit Abraham auch inhaltlich an den Erfolgswerken mitwirkte und ob er sich tatsächlich mit den Stoffen identifizierte.
Als größte Schwierigkeit der Adaption stellte sich die ungarische Mentalität heraus, die sich
durch eine sprachliche Eigenheit ausdrückt, die aus deutscher Sicht als Verniedlichung oder
Verkitschung daherkommt. Daraus konnte man keine supermoderne Tanzoperette mit der
vom Publikum erwarteten Mischung aus Mondänität und Folklore herstellen, wie sie dem
Zeitgeist entsprach.
In unserem Fall, beim »Viktória«-Text von Imre Földes ging es, wie Maurus Pacher darlegt,
konkret um folgenden Sachverhalt: »Bei Földes hießen die Refrain-Anfänge »Mein
Hühnchen«, »Die Windmühle dreht sich nicht mehr in Dorozsmá«, »Weit von hier,
irgendwo«, »Meine süße Mama« – Grünwald/Löhner machen aus der Niedlichkeit elegante
Großstadtschlager: »Pardon, Madame, »Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände,
good night, good night, good night«, »Mausi, süß warst du heute Nacht«, »Ja so ein Mädel,
ungarisches Mädel«, »Ungarland! Donauland! Heimatland!« ...«
Ja, sie hat ganze Arbeit gemacht, die »neue Librettistenfirma Alfred Grünwald und Fritz
Beda«, sie hat nicht nur das ungarische Original sozusagen internationalisiert. Sie hat, wie
sich herausstellen wird, die erste moderne Großstadt-Operette geschaffen, sie hat ein
ganzes Musikgenre modernisiert.
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Erfolg in Deutschland
Bevor sich die Operette in der Metropole Berlin bewähren
konnte, hatten sich die Macher einen Probelauf ausgedacht.
In Leipzig fanden jährlich im Sommer Operetten-Festspiele
statt, die für genügend Aufsehen für Neuigkeiten sorgten.
Die Aufführung, im Deutschen nun unter dem Titel »Viktoria
und ihr Husar«, wurde ein Riesenerfolg.
Es folgte wenig später die erste Berliner Aufführung am 15.
August 1930. Sie war ein sensationeller Erfolg. Die Musik
Abrahams wurde ebenso wie das hauptsächlich aus Wiener
und Ungarischen »Importen« bestehende Ensemble laut
bejubelt. Mit Lizzi Waldmüller, Oszkár Dénes und dessen
Ehefrau Rosy Bársony gingen aus ihr neue Stars des
deutschsprachigen Unterhaltungstheaters und auch des
Tonfilms hervor. Das Publikum beklatschte die einzelnen Lieder und machte sie durch
unzählige Plattenkäufe bald zu Evergreens.
Zum Weiterarbeiten: Kritik
Zum Theaterbetrieb gehören immer auch die Kritiken, die für Zeitungen, Radio, Fernsehen
oder das Internet verfasst werden. Wir haben im Folgenden einige Kritiken zu den ersten
Aufführungen von »Viktoria und ihr Husar« zusammengestellt, die ergänzt werden können
mit Kritiken zur Produktion des Gärtnerplatztheaters aus der aktuellen Berichterstattung.
Insbesondere die aktuellen Kritiken können als konkrete Ansatzpunkte zu einer Nachbesprechung nach dem eigenen Vorstellungsbesuch dienen:




Stimme ich dem Kritiker/der Kritikerin zu?
Was würde ich anders einschätzen?
Zielt die Kritik eher auf das Werk (bei einer Uraufführung zu erwarten) oder auf die
Umsetzung bei dieser Produktion oder Vorstellung?
Welche Bereiche des Werks/der Produktion/der Vorstellung werden überhaupt in die
Beurteilung einbezogen?
o Komposition und/oder Libretto, spezielle Fassung der Produktion
o szenische Umsetzung, musikalische Umsetzung, Choreografie, Bühne,
Kostüme, Licht/Video
o Einzelne Darsteller
o …
Wichtig im Umgang mit Kritiken, seien es fremde oder eigene, ist die Überprüfung auf
Begründungen hin. Wie kommt der Kritiker oder die Kritikerin zu der Einschätzung? Werden
Urteile durch Argumente gestützt? Eine »gute« Kritik kommt nicht notwendiger Weise zu
einer positiven Einschätzung, sondern vielmehr zu einer schlüssigen und argumentativ
gestützten.
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Zum Weiterlesen: Kritiken der ersten Aufführungen
»Das Werk ist musikalisch bei weitem das Beste, was man in den letzten Jahren auf diesem
Gebiet zu hören bekam. Da gibt es einen derartigen Reichtum an instrumentalen Effekten,
dass ein Durchschnittskomponist aus dieser Partitur mindestens zwei gemacht hätte … Dazu
kommt noch, dass die Art, wie P. A. seine musikalischen Delikatessen serviert, ein Genuss
für sich ist. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich Paul Abraham als ungewöhnliche
Begabung erwiesen hat.«
(R. A. S., Leipziger Volkszeitung)
»So etwas Ungarisches oder vielmehr Ungorisches wie diese Operette … kann man lange
suchen. Vor dem dunklen Hintergrund des Weltgeschehens zieht die Operette ihre weiß und
grün und roten Girlanden, hängt sie ihre heiteren Lampions auf. Melodram und Hopsasa im
schönsten Gleichgewicht.
Auch der Komponist, Paul Abraham, ist ein Ungar; er soll als seriöser Komponist begonnen
haben und das merkt man an deutlichen und erfreulichen Anzeichen. Er hat nicht bloß
melodische Einfälle, die andere instrumentieren. Er instrumentiert selber, und zwar sehr
apart, mit einem Orchester, das man als modernes Operettenkammerorchester bezeichnen
kann.«
(Alfred Einstein, Berliner Tageblatt)
»Die Texte sind schlagkräftig und sehr schmiegsam der Musik Paul Abrahams unterlegt.
Dieser ebenso junge wie neue Mann ist, nach langer Zeit, wirklicher Operettennachwuchs.
Auch er schöpft, wie alle seine komponierenden Landsleute, aus dem unerschöpflichen
Reservoir ungarischer Volks-, Soldaten- und Zigeunerlieder. … Aber zu diesen von selbst
wirkenden ungarischen Klängen gibt Abraham sehr viel aus eigenem dazu: letztes, modernstes Jazzraffinement, kleine, interessante Extratouren ins Atonale. Die Arbeit eines echten,
kultivierten Musikers, der sich das leichte Genre nicht leicht macht, der sein Orchester
virtuos und blendend ausstattet, mit dem neuesten Instrumentationskomfort, ohne sich
jemals in opernhafte Überladenheit oder falschen, gekünstelten Ehrgeiz zu verirren. Ein mit
Können und Einfällen geladener junger Komponist, der in jedem Takt zugibt, dass er auf den
populären Effekt hinarbeitet, dass er Operettenschlager schreibt.«
(Neue Freie Presse, Wien, 24.12.1930)
»Die Musik? Produktion eines Komponisten, dem immerzu etwas einfällt? Was Ähnliches.
Wenn er einen Schlager hört, fällt ihm ein ähnlicher ein, eine marktgängige Variante.«
(Artur Michel, Vossische Zeitung, Berlin, 16.8.1930)
»Abraham hat ein untrügliches Gefühl für den Bau, für die Dynamik der Nummern. Jedes
Stück ist richtig geraten und gestellt. Die lyrischen Szenen, unter sich, sind wieder gestuft
und aufs Feinste abgetönt. ... Außerordentlich ist das Orchester, ein Jazz-Orchester, das
von Abraham mit Meisterhand geformt ist, das einen großen Reichtum an Nuancen hat,
und mit seinen vielen Mittelstimmen Träger des modernen Gedankens in dieser Operette
ist. Abraham ist Ungar und moderner Mensch. Darum ist seine Musik eine Synthese
zwischen ungarischer Nationalmusik und Rhythmen des modernen Tanzes.«
(Erich Urban, Berliner Zeitung am Mittag, 16.8.1930)
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Die Fassung
Zum Weiterarbeiten: Urfassung – Fassung nach… – Unsere Fassung
Operette
Musik von Paul Abraham
Libretto von Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda
Aus dem Ungarischen des Emmerich Földes
Bühnenpraktische Rekonstruktion der Musik von Henning Hagedorn und Matthias
Grimminger
Fassung für das Staatstheater am Gärtnerplatz von Josef E. Köpplinger
Ganz schön lang ist die Liste, die beschreibt, welche Version der Operette »Viktoria und ihr
Husar« vom Staatstheater am Gärtnerplatz auf die Bühne gebracht wird. Der Text »Neue
Operette. Von frivol bis Fußball« lässt einige der hier Beteiligten zu Wort kommen und deckt
auf, warum gerade im Fall der Operette die Vorbereitung einer Neuproduktion geradezu
einer Detektivarbeit gleichen kann.
Wer sich selbst auf Spurensuche machen möchte, kann dies mit Textbuch oder Notenmaterial der gängigen Theaterfassung (Verlag Musik+Bühne, www.musikundbuehne.de)
oder anhand einer der zeittypischen Filmversionen der Operette tun. Es bietet sich an,
gerade die unterschiedlichen Zielsetzungen, die in den Bearbeitungen erkennbar werden, im
Klassenverband zu besprechen.
Deutschsprachige Verfilmungen:



14.10.1931: »Viktoria und ihr Husar« (erste
Verfilmung), in Stuttgart
(Regie: Richard Oswald; u.a. mit: Michael Bohnen,
Friedel Schuster, Iván Petrovich, Willy Stettner,
Ernö Verebes)
3.9.1954: »Viktoria und ihr Husar« (Neuverfilmung),
in Düsseldorf
(Regie: Rudolf Schündler; u.a. mit: Eva Bartok,
Friedrich Schoenfelder, Rudolf Forster, Georg
Thomalla, Grethe Weiser)
18.4.1965: »Viktoria und ihr Husar« (TVProduktion), ZDF
(Regie: Kurt Pscherer; u.a. mit: Margit Schramm,
Rudolf Schock, Johannes Heesters, Peter Garden,
Kurt Huemer)
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Für die Fassung des Staatstheaters am Gärtnerplatz hat Intendant und Regisseur Josef E.
Köpplinger folgendes Vorwort verfasst:
Inspiriert von Abrahams Leben, vor allem jene Zeit nach seiner Emigration, seiner
Rückkehr und seiner bis dato kurzen und intensiven Schaffenszeit, die geprägt von
Lebensschwindeleien bis zum Wahnsinn reichte, soll die ambivalente Situation der
Operette »Viktoria und ihr Husar« ein Spiegelbild der damaligen Zeit, der 1930er
Jahre sein.
Stilistisch zwischen großer silberner und kommender Revueoperette angelegt, bizarr
angereichert durch pittoreske Schauplätze und immer durchzogen von großer Sehnsucht nach der alten guten Zeit, liegt mit dem musikalische hervorragenden Werk
eine Geschichte mit unbeständiger Zukunft auf dem Tisch.
Vielleicht ist die Vision Koltays und das überraschend gute Ende dieser Fassung das
Grundbedürfnis von uns Theaterschaffenden, dass die Utopie einer besseren Welt
ebenso durch eine Operettenaufführung beginnen kann.
Wollen wir es hoffen.
Daran können wir anknüpfen: Wie könnte unsere eigene Version einer solchen Geschichte
aussehen? Haben wir heute Visionen, Erzählungen und Hoffnungen, die stark genug sein
könnten, um uns entgegen aller Wahrscheinlichkeiten und Statistiken in einer hoffnungslosen
Situation an ein Happy End glauben zu lassen?
Bühnenbildmodell von Judith Leikauf und Karl Fehringer
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Zum Weiterlesen: Neue Operette. Von frivol bis Fußball
»Historische Aufführungspraxis« - wer denkt da nicht als erstes an die kritische Befragung
vorklassischen Repertoires? Doch längst liegt sogar die Operette unter dem Skalpell der
Philologen. Und immer mehr Intendanten nutzen die Befunde, um die alte Tante wieder flott
zu kriegen. Auf Recherche bei Daisy, Roxy, Viktoria & Co.
Plüschwerk für harmoniebedürftige Abonnenten? Bequeme Polsterware für kassenbewusste
Spielplangestalter? Dieses Image hat die Operette abgestreift. Fast überall vorbei die Zeit
der Saubermann-Bearbeitungen aus den Wirtschaftswunderjahren. Her mit dem damals
unterschlagenen dreckigen Ton, dem frechen Orchesterklang, dem scharfen Witz! »Rekonstruktion« lautet heute das Zauberwort. Dem Originalsound auf die Spur zu kommen, ist
allerdings gar nicht so leicht: Komponisten wie Paul Abraham legten ihre Partituren offen an,
ließen Raum für Anpassung an lokale Gegebenheiten, abendliche Launen und instrumentale
Moden. Über Noten und Libretti, Dokumente, Film- und Tonaufnahmen aus der Entstehungszeit nähern sich Theatermacher, Forscher und Editoren wieder der »Urgestalt« der Werke.
Ein Zwischenbericht.
*
Henning Hagedorn ist schwer bepackt. Die Partitur unter seinem Arm ist ein sattes, provisorisch gebundenes Notenkonvolut, auf dem der wohlbekannte Titel »Die Blume von Hawaii«
prangt. Paul Abraham hat das Stück auf Texte seines bewährten Librettisten-Teams Alfred
Grünwald und Fritz Löhner-Beda im Juli 1931 in Leipzig auf die Bühne gebracht; es war nach
»Viktoria und ihr Husar« der zweite Sensationserfolg von Abraham in Deutschland. Aber
nach der bejubelten Berliner Uraufführung von »Ball im Savoy« am 23. Dezember 1932 lief
es nicht mehr gut für den ungarisch-jüdischen Komponisten. Die Nazis zwangen ihn und
seine jüdischen Librettisten zur Emigration, Abrahams Berliner Safe wurde von den Behörden aufgebrochen, die darin gelagerten Noten galten jahrzehntelang als vernichtet oder
verschollen.
Ein Irrtum, wie der Gymnasiallehrer Henning Hagedorn und seine beiden Mitstreiter in
Sachen »Operetten-Rekonstruktion« feststellten, die sich in einem Hinterzimmer der Dortmunder Oper treffen: Matthias Grimminger, Klarinettist bei den Dortmunder Philharmonikern,
und Winfried Fechner, ehemaliger WDR-Redakteur und Manager des WDR Funkhausorchesters. Als Fechner vor einigen Jahren für eine Rundfunkproduktion das Team
Grimminger/Hagedorn mit einer kritischen Überprüfung der auch nach dem Krieg viel
gespielten »Blume von Hawaii« beauftragte, machte man die entscheidende Entdeckung:
»Die Noten«, so Fechner, »sind damals nicht verbrannt. Das war wie bei der Nazi-Raubkunst: Es ist alles verscherbelt worden.« Wobei die Partitur der Blume erst beim Weinsänger
Willy Schneider und später in Remscheider Privatbesitz landete. Ein schöner Fund. Aber
offenbart die wiedergefundene Partitur wirklich eine originalere Fassung als die bislang
gespielten Versionen – sozusagen die »Urschrift« der »Blume von Hawaii«?
*
Henning Hagedorn wimmelt ab: So einfach sei der Fall keinesfalls, denn es gehe bei der
Rekonstruktion der Berliner Operette um 1930 nicht – wie etwa beim »Rosenkavalier« oder
17
beim »Wozzeck« - um die wortwörtliche Realisierung einer niedergeschriebenen Partitur,
sondern um das Verständnis der Aufführungssituation und –praxis der Zeit. Denn das Grundprinzip im Operettenbetrieb war die flexible Anpassung an vorhandene Kräfte – was ja im
Grund für jede Bühnenproduktion von Monteverdi bis zum frühen Verdi galt. Zur Demonstration hat Hagedorn in der kiloschweren Partitur der »Blume von Hawaii« das elegant
einhertorkelnde Couplet »Heut‘ hab‘ ich ein Schwipserl« aufgeschlagen. Im unteren Bereich
wurde der Auszug für zwei Klaviere in die Partitur eingetragen, auf dieser Basis bekamen
sämtliche Orchesterinstrumente ihre eigenen Stimme – eine erstaunlich »dicke« Instrumentierung für die eher intime Nummer. Tatsächlich aber ist diese Instrumentenfülle eine Art
Maximallösung, die während der Proben ausdifferenziert wurde. »Da hat Abraham angesagt,
wer von den Bläsern und Streichern zu spielen hat, ob Banjo, Saxofone oder Sousafon dabei
waren – oder eben nicht«.
Nico Dostal, selbst ein renommierter Operettenkomponist und um 1931 Mitarbeiter von Paul
Abraham, hat in seinen Memoiren die Arbeitsweise des Kollegen beschrieben. Da entstand
zuerst eine »Zentralpartitur, ein ganz eigenartiges Gebilde, wie ich es noch nie gesehen
hatte. Holzbläser, Blechbläser und Streicher waren zwar wie in jeder anderen Partitur untereinander geschrieben, aber jede einzelne Gruppe war für sich satzmäßig spielbar. Bei der
Orchesterprobe wurde dann die Einteilung getroffen, welchen Abschnitt einer Nummer entweder die Holzbläser oder das Blech oder die Streichergruppe allein oder gekoppelt mit einer
anderen Gruppe spielen sollten. Lyrische Nummern hatten ein durchlaufendes Violinsolo. In
Berlin dirigierte Abraham selbst, und wenn er wollte, dass das Violinsolo nicht spielen sollte,
winkte er mit der linken Hand zum Konzertmeister herunter… Abraham schrieb eine ganz
von Léhar abweichende, moderne, an das Amerikanische anklingende Musik.«
Sicher hatte der Einfluss des Jazz und der großstädtischen Unterhaltungsmusik in Abrahams
Werken (aber auch in Stücken wie Ralph Benatzkys »Im Weißen Rössl« von 1930, dessen
Originalpartitur vor einigen Jahren in Zagreb wieder auftauchte) auch seine Auswirkung auf
die Aufführungspraxis. Traditionelle Jazzinstrumente wie Saxofon, Banjo, Hawaiigitarre,
Drumset oder Klavier hatten an vereinbarten Passagen die Lizenz zum Improvisieren. Man
kann es anhand der Schellacks nachvollziehen, die Abraham immer pünktlich zur Premiere
mit seinen Gesangsstars veröffentlichte – oder in einem historischen Dokument wie der
Verfilmung seiner Operette »Viktoria und ihr Husar« aus dem Jahre 1931, in der man den
Komponisten dirigieren sieht: ein schmales, jünglingshaftes Gesicht mit träumerischen
Augen, die beim süßlichen Foxtrott die Musiker verschmitzt anlächeln. Das Orchester erinnert eher an eine Tanzkapelle als an den streicherlastigen Begleitapparat der klassischen
Operette; der Klarinettist bläst sein Instrument in einer Pappröhre, was nach verruchten
Hafenbars klingt, Posaune und Trompete spielen gefühlvolle Soli, Schlagzeug und Klavier
produzieren einen »deutschen«, eher stampfenden als groovenden Rhythmus. Insgesamt:
eine Großstadtmusik, elegant, berauscht und selbstvergessen.
So beinhaltete der Begriff »Jazzoperette« auch die (gelenkte) Freiheit der Besetzung.
Winfried Fechner: »Die Operettenhäuser – es gab in Berlin teilweise bis zu 30 Theater –
beschäftigten meist keine eigenen Orchester, sondern man hatte beim Riesenangebot an
Musikern, die es in Berlin gab, immer die Chance zu sagen: Heute nehme ich mal viele
Streicher, ich brauch mehr Saxofone etc., so dass man jeden Tag eigentlich eine andere
Besetzung hatte. Abrahams Partituren sind so geschrieben, dass immer alles geht.« Was für
Berlin im großen Stil zutraf, konnte natürlich auch den kleineren Theatern der Weimarer
Republik nutzen. »Ich glaube«, so Grimminger, »dass Abraham ganz bewusst alle Instrumente in die Partitur gepackt hat, um immer alle Fassungen für verschiedene Theater
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möglich zu machen. Das heißt: Wenn auf dem Land in einem kleinen Theater gespielt
wurde, konnte man das zur Not auch mit zwei Klavieren und ein paar Streichern aufführen.
Das macht es natürlich besonders schwierig zu entscheiden, was eigentlich die Urgestalt des
Stücks ist. Das Problem heute ist einfach, dass wir diese Art und Weise des Musizierens und
der Aufführungspraxis so nicht mehr haben.«
*
Vieles hat sich geändert, seit die jüdischen Operettenmacher aus Deutschland hinausgejagt
wurden. Die Dortmunder Dramaturgin Wiebke Hetmanek hat zusammen mit Matthias Grimminger und Henning Hagedorn Paul Abrahams Fußball-Operette »Roxy und ihr Wunderteam« ausgegraben und die kulturpolitischen Strategien der neuen Machthaber nach 1933
untersucht. »Natürlich wurden jüdische Komponisten, Autoren und Theaterschaffende aus
Deutschland verbannt – allerdings erst peu à peu, denn etwa 90 Prozent der Operetten
stammten ja von jüdischen Künstlern. Und weil man auf das Unterhaltungsgenre nicht verzichten wollte, hat man sie allmählich ausgetauscht gegen »arische« Komponisten, wobei
dann alles Schräge, Freche, Frivole in den Texten und der Musik geglättet wurde.«
Barry Kosky, der Intendant der Komischen Oper in Berlin, spricht von einer systematischen
»Arisierung« der Operette durch die nationalsozialistische Kulturpolitik, die das Genre nicht
nur textlich, sondern auch musikalisch nachhaltig beschädigte. »Dabei haben die Nazis
gründliche Arbeit geleistet«, sagt Grimminger. »Notenmaterial wurde zerstört oder im
völkischen Sinne umgestrickt, viele Stücke wurden nicht mehr gespielt, manche im Krieg
vernichtet. Dann hat man nach 1945 versucht, einiges zu rekonstruieren – zum Beispiel
wurde das »Weiße Rössl« von Bruno Uher rekonstruiert und in seiner Fassung bis vor
wenigen Jahren überall gespielt. Ähnliches ist mit Abraham passiert, der kam Ende der 50er
Jahre mit zerrütteter geistiger und körperlicher Gesundheit aus den USA nach Deutschland
zurück, und dann gab es noch einmal eine Abraham-Renaissance. Aber man hat natürlich
seine Stücke neu instrumentiert, neu arrangiert, teilweise harmonisch und melodisch geglättet und dem Zeitgeschmack angepasst. Das hat sicher alles seinen Wert, aber oft mit der
Urstruktur des Stücks nicht mehr viel zu tun.«
Die Interpreten der Nachkriegszeit taten ein Übriges, um den kessen Witz des Genres mit
einem wohligen Heile-Welt-Gefühl zu überpinseln. »Peter Alexander oder Anneliese Rothenberger waren letztlich der Tod der Operette«, bilanziert der Münsteraner Theaterintendant
Ulrich Peters. »Die wurde so asexuell, wie es die 50er und 60er Jahre eben waren.« Sein
österreichischer Kollege Josef Ernst Köpplinger, der als Intendant des Münchner Theaters
am Gärtnerplatz der Operette breiten Raum gibt, sieht dahinter eine doppelte Tragödie: »Erst
hat man etliche Operettenkünstler ins Gas geschickt, und dann wurden nach dem Krieg auch
noch ihre Werke planiert. Alles Erotische, alles Homoerotische, die Travestie, das Politische,
die Revue hat man der Operette genommen.« So paradox es klingt: Die »Arisierung« der
Operette im Dritten Reich prädestinierte sie nach dem Krieg zur Projektionsfläche für die
kleinen Fluchten aus dem harten Alltag. Als der Literaturwissenschaftler Volker Klotz 1991,
auf dem Höhepunkt des Regietheaters, sein Handbuch über die »unerhörte Kunst« Operette
veröffentlichte, galt sie nurmehr als verstaubtes Zeugnis für den schlechten Geschmack der
Vor- und Nachkriegszeit. Die Operette war ein Opfer ihrer »stumpfsinnigen Verwerter«, so
sah es Klotz: »Was uns derzeit unter dieser Kennmarke begegnet – auf Bühnen und Schallplatten, in Funk und Fernsehen –, ist nur ein kümmerlicher, meist entstellter Teil ihrer
Ausdrucksmöglichkeiten.«
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Das mag noch heute für die eine oder andere Produktion in der Provinz oder an manchen
der auf ihre (in diesem Fall schlechte) Tradition stolzen Staatstheater gelten. Unübersehbar
aber ist der Gesinnungswandel bei der jüngeren Generation von Regisseuren und Intendanten: Die Operette und ihr Nachfolger am Broadway, das Musical, werden als Genre
wieder ernst genommen. Nach einer Phase, in der die Operette als Klamotte im Abonnement
überwinterte und das Musical in »Long-run«-Serien zu profitablen Publikumsrennern aufgepumpt wurde, scheinen sich die Theater jetzt die Gattungen zurückzuerobern – oft in
fantasievoll-jugendfrischer Aufmachung und historisch korrekter Form. »Zeitgeist!« wäre
dafür eine Erklärung. Und der wird im Moment vor allem in der Hauptstadt in die Operette
gepumpt, bis sie platzt. Der Tanzmeister heißt Barrie Kosky und ist gebürtiger Australier mit
jüdisch-ungarisch-polnisch-russischen Wurzeln. Vielleicht hat es mit dieser Herkunft zu tun,
dass Kosky für das sozial bunt gemischte Personal der Operette, ihren Humor und ihre
stilistische Vielfalt eine Schwäche hat. Zwar wurden an der Komischen Oper in der letzten
Saison auch ernste, schwere Stücke wie Arnold Schönbergs »Moses und Aron« oder Georg
Friedrich Händels »Giulio Cesare in Egitto« gespielt. Aber seine Zuschauerrekorde erlebt
das Haus durch Operetten wie Nico Dostals »Clivia«, Paul Abrahams »Ball im Savoy« oder
Offenbachs »Schöne Helena«. Dabei verweist Kosky gern auf die Geschichte des Hauses,
des einstigen Metropol-Theaters, an dem Revuen und alle wichtigen Operetten der Zeit
gespielt wurden, bis die Nazis den Großteil der Darsteller, Komponisten und Librettisten in
die Emigration oder den Tod trieben. So ging eine Unterhaltungskultur unter, die für Kosky
hauptstädtisch geprägt war: »Der Humor ist sehr berlinerisch: dekadent, erotisch, ironisch,
oft schmutzig. Große Tanznummern, große Jazznummern, Tango, Rumba, Foxtrott – alles,
was man in den Roaring Twenties auf der Straße gehört hat, kam plötzlich ins Theater.«
*
Da aber sowohl der Humor als auch die Tanz-, Jazz- und Revueelemente akribisch geprobt
und oft von Spezialisten umgesetzt werden (wobei Kosky regelmäßig auch auf Gaststars
setzt), ist die Operette ein arbeitsintensives, teures Genre geworden. »Das A und O in
beiden Genres ist die bestmögliche Besetzung überhaupt«, sagt Intendant Ulrich Peters,
»Operetten und Musicals sind die teuersten Stücke, die ich im Spielplan habe. Aber was ich
an Geld für Bühnenbild und Darsteller zum Fenster hinauswerfe, kommt hoffentlich am
Abend wieder zur Tür herein.« Und die Dortmunder Dramaturgin Wiebke Hetmanek sekundiert: »Ich glaube, dass die derzeitige Renaissance damit zu tun hat, dass Intendanten oder
Theatermacher die Operette wieder ernster nehmen. Das ist ähnlich wie die Alte-MusikBewegung in den 80er und 90er Jahren: Heute schauen wir, was Operette wirklich ist, und
dafür investieren wir Geld in ihre historisch gerechte Wiederbelebung; es funktioniert einfach
nicht mehr, nur unsere Opernsänger dahinzustellen. Und ich glaube, diese neue Ernsthaftigkeit wird vom Publikum sehr goutiert.«
Tatsächlich haben sich in den letzten Jahrzehnten viele Regisseure, Dramaturgen, Musikwissenschaftler auf die Suche nach der »originalen« Operette am Beginn des 20. Jahrhunderts gemacht. Barrie Kosky ließ für seine Berliner Inszenierung von Paul Abrahams »Ball im
Savoy« die ursprüngliche, jazz-durchpulste Musik rekonstruieren, in Kálmáns »Zirkusprinzessin«, die Köpplinger im Circus Krone inszeniert hat, kann man wieder »schmutzige
Instrumente« wie Drumset oder Banjo hören. Und für die Dortmunder Wiederausgrabung
von Abrahams Fußball-Vaudeville »Roxy und ihr Wunderteam« wurde die exotisch jaulende
Hawaiigitarre reanimiert, während sich der Schlagzeuger nach alten Trommeln umsah.
Rekonstruktion findet also auf vielen Ebenen statt, so dass auch die Düsseldorfer Dramaturgin Anne do Paço den Vergleich zur Alte-Musik-Szene zieht: »Wir graben die Original20
partituren aus, studieren die Aufführungspraxis an den großen Operettenhäusern und sehen
uns die originalen Libretti an, die noch nicht durch Bearbeitungen der letzten 50 Jahre
verkleistert sind.«
Manchmal freilich muss man nicht nur Theaterunsitten wegkratzen, sondern überhaupt
einmal eine spielbare Fassung herstellen. Für die deutsche Erstaufführung von »Roxy und
ihr Wunderteam« haben Matthias Grimminger und Henning Hagedorn die vorhandenen
Autografen, den deutschsprachigen Klavierauszug und Orchesterstimmen aus Budapest
gesichtet, aber auch die zeitgenössische Verfilmung »3:1 für die Liebe« miteinbezogen, die
kurz vor Hitlers Einmarsch in Österreich herauskam und neue Musik von Abraham enthielt.
Für Matthias Grimminger und Henning Hagedorn ist solche Arbeit an den Originalfassungen
ein work in progress, das nur in der praktischen Zusammenarbeit mit den Theatern gedeiht.
»Unsere Arbeit ist vergleichbar der experimentellen Archäologie. Das heißt: Wir finden
etwas, was unvollständig ist, und überlegen: Wofür könnte das getaugt haben, wozu wurde
das benutzt? Dann arbeiten wir mit den Orchestern und Theatern zusammen und merken:
Aha, es kann ja eigentlich nur so und so sein, weil es anders nicht funktioniert.«
Um der »originalen« Operette gerecht zu werden, sind also beide Seiten gefordert: die der
Philologen und die der Praktiker. »Man muss«, so Grimminger, »dem Musiker wie damals
Freiheiten anbieten, man muss ihn schulen, damit umzugehen, man muss Regisseuren die
Möglichkeit geben, Nummern auszutauschen. Und deshalb fragen wir ständig: Wohin geht
eigentlich die Editionsarbeit? Wie muss ich sie gestalten, damit sie für alle Bühnen praktikabel ist und ich trotzdem ein relativ authentisches Klang- und Aufführungserlebnis bekomme,
das diesen Stücken gerecht wird? Es war einfach eine grundsätzlich andere Art des Komponierens, als wir es von Wagner oder Strauss kennen. Und da sind wir als Herausgeber erst
ganz am Anfang.«
Figurinen von Alfred Mayerhofer
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Genre Operette
Ein Kurzportrait: Von der Muse geküsst...
Als Geburtsstunde der Operette gilt der 5. Juli 1855. An diesem Tag eröffnete der 34-jährige Komponist, Dirigent und
Cellovirtuose deutsch-jüdischer Herkunft Jacques Offenbach
sein kleines Theater »Bouffes-Parisiens« direkt vor den Toren
der ersten Pariser Weltausstellung. Das Eröffnungsstück »Die beiden Blinden« mit nur zwei
agierenden Personen ging als erste moderne Operette in die Musikgeschichte ein.
In Werken des jungen Offenbach ist der Einfluss seiner älteren Zeitgenossen wie Adolphe
Adam oder D.-F.-E. Auber unüberhörbar. Doch spätestens in seiner ersten abendfüllenden
Operette »Orpheus in der Unterwelt« (1858), der über achtzig andere Werke folgten, fand
der Wahl-Pariser zu seinem unverwechselbaren Stil – einer pikanten Mischung aus scharfen
Rhythmen, schwungvollen Melodien, glänzender Orchestrierung, zeitgenössischer Gesellschaftskritik, ironischer Übertreibung und echter Lyrik.
Nicht zufällig war es gerade Jacques Offenbach, der seinen Wiener Kollegen – den WalzerKönig Johann Strauß (Sohn) – anregte, sich ebenfalls im Genre der Operette zu versuchen.
Mit der Uraufführung der legendären »Fledermaus« begann 1874 die goldene Ära der
Wiener Operette, zu deren Glanzpunkten beliebte und oft gespielte Klassiker wie »Eine
Nacht in Venedig« (1883) von Johann Strauß oder »Der Bettelstudent« (1882) von Karl
Millöcker gehören. Mit »Die lustige Witwe« (1905) von Franz Lehár begann das Zeitalter der
Silbernen Operettenära wozu solche Werke wie »Das Land des Lächelns« (1929), »Die
Czárdásfürstin« (1915) und »Gräfin Mariza« (1924) von Emmerich Kálmán oder Leo Falls
»Die Dollarprinzessin« (1907) zählen.
Bereits am Ende des 19. Jahrhunderts bekam die Donau-Metropole eine starke Konkurrenz
mit der Berliner Operette: mit »Frau Luna« (1899) von Paul Lincke wurde die erste bedeutende Berliner Operette verfasst. Mit Werken wie »Drei alte Schachteln« (1917) von Walter
Kollo, »Der Vetter aus Dingsda« (1920) von Eduard Künneke, »Im weißen Rössl« (1930) von
Ralph Benatzky und vielen anderen wurde Berlin zu einer Operetten-Stadt von Weltrang.
Seit den 1920er Jahren – nicht zuletzt dank der »zehnten Muse«, dem Film – wirkte die
Operette mit dem damals neuen Genre der Tonfilmoperette (Werner R. Heymann, Franz
Grothe, Friedrich Holländer, u. a.) und der Revueoperette weit über den deutschsprachigen
Raum hinaus. Das führte zur Entstehung neuer nationaler Operettentraditionen, beispielsweise in Spanien (Zarzuela), der Tschechei, der Slowakei, Polen oder in Russland.
Seit den 1950er Jahre vermischen sich zunehmend die Gattungsgrenzen der klassischen
Operette mit denen des modernen Musicals und der Rockoper. Zu den letzten bedeutenden
Operettenwerken unserer Zeit zählen »In Frisco ist der Teufel los« (1956) von Giudo
Masanetz und »Messeschlager Gisela« (1960) von Gerd Natschinski. Doch die großen
Traditionen der Kunstgattung Operette leben bis heute weiter und sind fester Bestandteil der
Spielpläne vieler Theater und Festspiele wie zum Beispiel der Seefestspiele Mörbisch (A)
und der Elblandfestspiele Wittenberge (D).
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Zum Weiterlesen: Zur Aktualität der Operette der Zwischenkriegszeit
Operette! Bei diesem Schlagwort schlagen Intellektuelle Alarm und Ästheten fallen in
Ohnmacht. Kunstdogmatiker hingegen spitzen die Bleistifte und wetzen das rhetorische
Flammenschwert, um die Operette in Grund und Boden zu schreiben und zu reden. Dies gilt
besonders für die verschriene Gattung der Revueoperette. Ist die Gattung tatsächlich nichts
weiter, als ein schales Bonmot aus Großmutters Mottenkiste, das einzig dazu taugt, dem
Zuschauer eine heile Welt in einem fernen Wolkenkuckucksheim vorzugaukeln? Werden
hier lediglich Scheinkonflikte, anstatt wirklicher Probleme verhandelt? Ist Operette tatsächlich
ein Ort, wo Kitsch und Unsinn eine unselige Mesalliance eingehen, um das Publikum zu
verblöden?
Sicherlich nicht! Viele dieser Einwände gegen das Genre kann man entkräften, versucht man
es nicht mit den ästhetischen Maßstäben unserer Zeit zu messen, sondern aus den Zusammenhängen seiner Entstehungszeit zu deuten. Operetten sind keine Lehrstücke mit pädagogischem Anspruch, sondern reflektieren die Wünsche und Träume ihres Publikums. Sie
entwerfen ein Ideal und werden – gerade in Krisenzeiten – nicht müde, das vorzustellen, was
ihrem Publikum aufgrund politischer Unwägbarkeiten und wirtschaftlicher Misere fehlt: Zufriedenheit und Glück. Ihre Inhalte spiegeln die Träume des kleinen Mannes und erlauben uns
einen Blick in die Mentalität breiter Bevölkerungsschichten vergangener Tage. Sicher treten
hier eskapistische Tendenzen zutage. Allerdings erscheinen sie in einem neuen Licht,
vergleicht man die Operettenproduktions- und Rezeptionsbedingungen von heute, mit
denen ihrer Entstehungszeit
Zwischen den Weltkriegen hatte die Operette ihren festen Sitz an nahezu allen Stadt- und
Staatstheatern im deutschsprachigen Raum, hinzu kam eine Vielzahl kleinerer und größerer
Operettentheater in nahezu jeder größeren Stadt. Außerdem war das Genre damals im
Rundfunk, auf Schallplatte und im Kino geradezu omnipräsent. Darüber hinaus setzten sich
namenhafte Literaten (wenn auch nicht immer ganz wohlwollend) mit der Gattung auseinander: So sah Hugo von Hofmannsthai in ihr eine Allegorie der Moderne, feierte Herrmann
Bahr sie als österreichisches Nationalsymbol, wohingegen Karl Kraus nicht müde wurde, in
der Zeitschrift »Die Fackel« die »Operettenschande« zu bekämpfen .
ln den Jahren nach 1933 wurde auch die Operette von den Nationalsozialisten ideologisch
vereinnahmt. Aufgrund von antisemitischen »Säuberungen« wurden die Werke jüdischer
Komponisten und Autoren verboten. Da ungefähr 85% der damals tonangebenden Komponisten wie Emmerich Kálmán, Paul Abraham oder Leo Fall und Librettisten wie Victor
Leon, Alfred Grünwald und Fritz Löhner jüdischer Herkunft waren, mussten diese Lücken
schnell geschlossen werden. Komponisten wie Fred Raymond oder Nico Dostal orientierten
sich zwar an den musikalischen Erfolgskonzepten ihrer Vorgänger, allerdings fehlt ihren
Operetten jeglicher kritischer Bezug zu ihrer Gegenwart. Hier wurde aus propagandistischen
Gründen das Genre Operette ganz gezielt ausschließlich als Narkotikum gegen die Wirklichkeit geduldet und eingesetzt. Hauptsächlich aus diesem politischen Missbrauch entstanden
die eingangs zitierten Vorurteile, die teilweise noch bis in unsere Zeit das Bild von Operette
bestimmen.
Untersucht man allerdings Werke, die vor 1933 entstanden, auf Inhalte und Themen, wird
deutlich, dass die Operette ursprünglich alles andere als eine narkotisierende Wirkung hatte,
da hier aktuelle gesellschaftliche Phänomene satirisch unterhaltsam verhandelt wurden.
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Ein Beispiel hierfür ist die Rolle des Adels, der in der Operette der Zwischenkriegszeit noch
immer eine tonangebende Rolle spielt, obwohl er seine gesellschaftliche Führungsposition
längst verlor. Auf den ersten Blick scheint das Genre diesen Sachverhalt zu ignorieren,
begegnen wir dort doch nach wie vor den ungarischen Gräfinnen und dekadenten Fürsten
der Vorkriegszeit.
Allerdings wird die traditionelle Operettenpersonage mit »modernen« gesellschaftlichen
Widrigkeiten konfrontiert. Denn die aristokratischen Figuren müssen auf der Operettenbühne gleiche oder ähnliche Probleme wie ihr bürgerliches Publikum im Zuschauerraum
lösen: ln der Operette »Gräfin Mariza« (Kálmán, 1924) verdingt sich der verarmte Graf
Tassilo als Verwalter auf dem Gut der kapriziösen Titelheldin, um die Ausbildung seiner
Schwester zu finanzieren. ln »Viktoria und ihr Husar« (Abraham, 1930) muss die männliche
Hauptfigur Stefan Koltay feststellen, wie sehr das Leben seine geliebte Viktoria veränderte,
seitdem er in den Ersten Weltkrieg zog. Eine bittere Erfahrung, die viele Kriegsheimkehrer
machen mussten, und die selbst vor einer Operettenfigur nicht Halt macht. Hier sehen wir
ganz deutlich, dass die Realität an Operettenfiguren nicht spurlos vorübergeht, sondern
tiefe Spuren und Wunden hinterlässt. So erhalten diese Figuren eine neue Dimension:
Nicht nur die Wünsche und Träume, sondern auch die Sorgen und Nöte des Publikums
werden in der Operette gespiegelt, allerdings nicht in realistisch-verstörender, sondern in
einer abmildernden Form. Die Operette konfrontiert nicht direkt mit dem Grauen des Ersten
Weltkrieges. Sie prangert Missstände nicht vehement an oder argumentiert rational. Aber
dort, wo vehementes Anprangern und rationales Argumentieren versagen, verschweigt sie
die Probleme zwar nicht, erleichtert jedoch für die Dauer der Vorstellung mit Singen und
Tanzen den Umgang mit ihnen. So zeigt die Operette »Viktoria und ihr Husar« durchaus
deutlich, dass eine Flucht vor sich selbst unmöglich ist, und dass man auch im exotischsten
Ambiente von alten Problemen immer wieder eingeholt wird.
Vor diesem Hintergrund erhält das konstruierte Happyend dieser Operette eine andere
Qualität. Im zweiten Akt laufen Ereignisse sogartig auf das tragische Finale zu: Koltay liefert
sich in einem Akt der Selbstzerstörung den Russen aus und zerstört damit auch noch die
Beziehung von Viktoria und Cunlight. Dass sich im dritten Akt alle Figuren wohlbehalten in
der ungarischen Puszta wiedertreffen und Viktoria und ihr Husar sich allen Widrigkeiten zum
Trotz in die Arme schließen, ist ein Gnadenakt des Librettisten, der seinen Figuren das
gönnt, was vielen Menschen nach dem Ersten Weltkrieg vorenthalten blieb: eine glückliche
Heimkehr.
Das Genre war also zu seiner Entstehungszeit ein durchaus modernes Phänomen, was den
Umgang mit der Gattung heute allerdings auch erschwert, weil die verwendeten »Codes«,
seien sie nun musikalischer oder inhaltlicher Art, von einem heutigen Publikum nicht mehr
ohne weiteres verstanden werden. Zum Beispiel wirken damals verblüffende Jazzeffekte im
Orchester heute nicht mehr so frappierend, sondern klingen eher gewöhnlich, und exotische
Schauplätze haben aufgrund der bewegten Bilderflut aus dem Fernsehen ihren Reiz
verloren. Und dennoch sind Themen und Inhalte der Operette häufig noch in unserer Zeit
präsent.
Sicher gibt es keine Aristokraten mehr, die sich als Gutsverwalter verdingen müssen, dafür
werden heute aus Topmanagern im Handumdrehen Harz IV-Empfänger, und angesichts der
jüngsten Ereignisse im Nahen Osten und auf dem Balkon erhält die Problematik von
psychisch zerstörten Kriegsheimkehrern eine neue, traurige Aktualität.
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Theaterknigge
Liebe Schülerinnen und Schüler,
wir freuen uns auf Euren Besuch bei einer Vorstellung des Gärtnerplatztheaters und
wünschen Euch eine spannende, unterhaltsame und anregende Vorstellung. Damit der
Theaterbesuch für alle Beteiligten vor und auf der Bühne ein angenehmes und schönes
Erlebnis wird, möchten wir Euch einige Hinweise geben.
Theater A-Z
Applaus, der
Belohnt die Leistung unserer Künstlerinnen und Künstler mit Applaus.
Essen, das / Trinken, das
Essen und Trinken ist im Zuschauerraum nicht gestattet.
Feedback, das
Wir würden gerne erfahren, ob und wie Euch die Vorstellung gefallen hat. Ihr könnt uns per
E-Mail unter [email protected] erreichen.
Fotos, die
Das Fotografieren ist während der Vorstellung nicht erlaubt. Im Programmheft oder auf
unserer Homepage findet Ihr Fotos der jeweiligen Produktion.
Garderobe, die
Bitte seid rechtzeitig im Theater, damit Ihr in Ruhe Eure Garderobe abgeben und Eure Plätze
aufsuchen könnt. Bitte gebt Eure Jacken, Mäntel und Rucksäcke bei der Garderobe ab.
Handy, das
Bitte die Handys ganz ausschalten. Ein beleuchtetes Display kann Eure/n SitznachbarInnen
stören.
Live-Erlebnis, das
Theater entsteht im Moment, in Anwesenheit von SängerInnen und ZuschauerInnen. Anders
als im Kino ist man live dabei und gehört dadurch auch mit zum Team. Als ZuschauerIn ist
man Teil der Vorstellung und willigt in eine unausgesprochene Verabredung mit den
DarstellerInnen ein: sie spielen, Ihr schaut zu. Sie bieten Euch eine Welt, Ihr achtet diese
Welt. Um sich auf das Unbekannte einzulassen, braucht es zuerst mal Aufmerksamkeit und
Offenheit.
Programmheft, das
Im Programmheft findet Ihr viele Informationen zum Stück und zur Inszenierung. Auch eine
Inhaltsangabe ist dort abgedruckt. Es lohnt sich in jedem Fall, ein Programmheft
mitzunehmen.
Ruhe, die
Ruhe während der Vorstellung: für Euer eigenes Erleben und auch aus Respekt sowie
Anerkennung den KünstlerInnen und anderen ZuschauerInnen gegenüber.
Euer Team des Jungen Gärtnerplatztheaters
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Rund um den Theaterbesuch mit Schulklassen
Liebe Lehrerinnen und Lehrer,
Sie möchten mit Ihrer Klasse eine Vorstellung des Staatstheaters am Gärtnerplatz
besuchen? Gerne unterstützen wir Sie dabei und geben Ihnen ein paar Hinweise rund um
Ihren Theaterbesuch. Wir freuen uns auf Ihren Besuch einer unserer Produktionen und
wünschen Ihnen schon jetzt eine spannende, unterhaltsame und anregende Vorstellung.
Platzierung
Sitzplätze werden nach Verfügbarkeit zugeteilt. Die Plätze für die Lehrkräfte befinden sich
direkt neben den Schülerinnen und Schülern. Bitte geben Sie die konkrete Anzahl der
SchülerInnen und Lehrkräfte an.
Theaterknigge
Bitte teilen Sie Ihren SchülerInnen den Theaterknigge aus und besprechen diesen vor dem
gemeinsamen Vorstellungsbesuch.
Garderobe
Unser Einlasspersonal ist gerne behilflich. Wir bitten Sie bei der Koordination der Garderobe
mitzuhelfen. Vielen Dank.
Theaterpädagogische Angebote
Bei ausgewählten Stücken bieten wir Materialmappen und/oder theaterpädagogische
Einführungen oder Nachbereitungen an. Weitere theaterpädagogische Angebote zu den
einzelnen Stücken entnehmen Sie dem Spielzeitheft, unserer Homepage oder dem aktuellen
Flyer JUNGES GÄRTNERPLATZTHEATER.
Umtausch und Rückgabe von Karten
Ein Umtausch oder Rückgabe von Karten ist ausgeschlossen.
Rückfragen
Gerne unterstützen und beraten wir Sie bei der Auswahl der Produktion. Kontakt:
[email protected]
Ticketbuchungen
unter [email protected], Tel. 089 21 85 19 00
Zuzüglich einer Auftragsgebühr von 5 € Bearbeitungsgebühr pro Schulbestellung.
Buchung und Informationen zu den theaterpädagogischen Angeboten
[email protected], Tel. 089 20 24 14 35
Ihr Team des Jungen Gärtnerplatztheaters
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Quellen
S. 4: Roger Bersihand, Geschichte Japans: Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart
1963
S. 5f: Klaus Waller, Die Höhen und Tiefen des Paul Abraham. Aus den Infomaterialien
Dramaturgie des Staatstheaters am Gärtnerplatz zu »Viktoria und ihr Husar«, Spielzeit
2015/16
S. 7f: Rena Jacob auf http://www.wider-des-vergessens.org
S. 8f: Rena Jacob auf http://www.wider-des-vergessens.org
S. 17ff: Michael Struck-Schloen, Neue Operette. Von frivol bis Fußball. In: opernwelt,
Jahrbuch 2015, Seite 90ff
S. 22: Ildar Kharissov, Geschichte der Operette. Auf www.ekw-org.de/europaeischekulturwerkstatt-ev/die-geschichte-der-operette.html
S. 23f: Thorsten Klein. Aus den Infomaterialien Dramaturgie des Staatstheaters am
Gärtnerplatz zu »Viktoria und ihr Husar«, Spielzeit 2015/16
Für die weiteren Texte:
Marie-Theres Arnbom, Kevin Clarke, Thomas Trabitsch, Welt der Operette. Glamour, Stars
und Showbusiness. Wien 2011
Klaus Waller, Paul Abraham. Der tragische König der Operette. Witten 2014
http://paul-abraham-bio.de/index.htm
Bilder
Alle Fotos der Produktion © Christian POGO Zach
Bühnenbildentwürfe © Judith Leikauf / Karl Fehringer
Kostümentwürfe © Alfred Mayerhofer
S. 5: Der Komponist Paul Abraham 1931. Bundesarchiv, Bild 183-2010-0316-500, Fotograf:
keine Angabe
S. 6: Paul Abraham. Screenshot aus dem Vorspann des Films »Viktoria und ihr Husar«,
1931
S. 7: Grünwald mit Sohn, www.chicagofolksoperetta.org/upcoming-show/operetta-in-exile/
S. 8, 9: www.wider-des-vergessens.org
S. 11: Plakat für »Viktória« in Budapest, http://paul-abraham-bio.de/budapest.htm
S. 13: Rosy Barsony, Oskar Denes, http://paul-abraham-bio.de/triumph.htm
S. 15: Plakat der Verfilmung von 1931, www.operetten-lexikon.info
S. 22: André Gill, Der Hexer-Komponist Jacques Offenbach lässt an der Pariser Oper die
Puppen tanzen, 1866, https://glarean-magazin.ch/tag/tanz/
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Impressum
Junges Gärtnerplatztheater
Frankenthaler Straße 23
81539 München
[email protected]
089 20241 435
www.gaertnerplatztheater.de/junges-gaertnerplatztheater
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