Gentests zur Vorbeugung von Krankheiten?

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Gentests zur Vorbeugung von Krankheiten?
Gentests schaffen die Voraussetzungen einer personalisierten Medizin und sind für die
Diagnose und Therapie mancher Krankheiten unerlässlich. Für die Prävention und
Bestimmung von Krankheitsrisiken sind sie aber herkömmlichen diagnostischen Verfahren
oft noch unterlegen. Manche kommerziellen Tests missbrauchen die an sie geknüpften
Erwartungen.
Über 1.000 DNA-Tests zum menschlichen Genom sind auf dem Markt © acatech
Die mit großem Medienaufwand vor zehn Jahren verkündete Sequenzierung des menschlichen
Genoms wurde von Wissenschaft und Politik gleichermaßen als der Beginn einer neuen Ära der
Medizin und Gesundheitsversorgung gefeiert: In Zukunft würde es möglich sein, die besondere
genetische Disposition für bestimmte Krankheiten individuell zu bestimmen, Risikofaktoren zu
identifizieren und Wege aufzuzeigen, wie diesen zu begegnen sei, um dem Ausbruch der
Krankheit vorzubeugen oder, wo das nicht möglich sei, zu therapieren. Wir befänden uns an der
Schwelle zu einer personalisierten Medizin, die auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen
zugeschnitten ist. Die jetzt möglich gewordene Bestimmung der individuellen
Genkonfigurationen schaffe dafür die Voraussetzungen.
Der MTHFR-Gentest
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Seit DNA-Sequenzierungen und Hybridisierungstechniken Routine geworden sind, werden von
vielen Labormedizinern und humangenetischen Laboratorien Gentests angeboten, die wirklich
oder vermeintlich dazu dienen, den Ausbruch von Krankheiten zu vermeiden. Ein Beispiel aus
dem Bereich der neuen Wissenschaft der Nutrigenetik, die die Auswirkungen der
Ernährungsweise beim Einzelnen aufgrund seiner genetischen Konstitution untersucht, soll die
Gratwanderung zwischen Nutzen und Schaden solcher Gentests aufzeigen: Mit den neuen
Techniken lassen sich Menschen identifizieren, die von einem bestimmten Enzym, der
Methylentetrahydrofolat-Reduktase (MTHFR), eine defekte, nur schwach aktive Form besitzen.
Diese Menschen haben bei normaler Ernährung im Blut eine erhöhte Konzentration der
Aminosäure Homocystein, die im Verdacht steht, das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall
zu steigern. Durch Aufnahme von Folsäure (Vitamin B9, das unter anderem in frischem
Gemüse und Obst vorkommt) kann der Homocysteinspiegel gesenkt werden. Wie es scheint,
ein überzeugendes Beispiel vom Nutzen einer Gendiagnostik zur Prävention von Herz-KreislaufKrankheiten und zugleich eine gute Nachricht für die Test-Anbieter und die Hersteller von
Vitaminpräparaten.
Nahrungsergänzungsmittel Folsäure:
Folsäure (Folat) wird in Nordamerika, gesetzlich vorgeschrieben, seit mehr als zehn Jahren
als Nahrungsergänzungsmittel („nutraceutical") Mehl und Cerealien zugefügt. Obwohl es
gute Belege gibt, dass eine erhöhte Folataufnahme auch das Risiko von Darmkrebs und
möglicherweise auch anderen Krebsformen herabsetzt, wird eine Pflichtbeimengung in
Grundnahrungsmitteln in Europa kontrovers diskutiert, da es auch Hinweise gibt, dass
Folat das Wachstum von Tumoren in frühen Stadien fördert. Konsensus über eine
zusätzliche Folataufnahme - über das in normaler, gesunder Nahrung enthaltene Maß
hinaus - besteht nur bei schwangeren Frauen: als Prävention gegen Neuralrohrdefekte („
Spina bifida") beim ungeborenen Kind (siehe „Cornelia Ulrich: Krebsprävention durch
Ernährung und Sport").
Arteriosklerotischer Plaque in einem Herzkranzgefäß © Universitätsklinikum Heidelberg
Gentests auf MTHFR zur Prävention von Herz-Kreislauf-Krankheiten sind neuerdings
umstritten. Wie im renommierten Journal of the American Medical Association diskutiert (zum
Beispiel JAMA 299, 2086-2087, 2008), haben einige große Studien eine positive Korrelation
gezeigt, während andere ergaben, dass eine erhöhte Vitamin B9-Aufnahme die Häufigkeit von
Herzinfarkt und Schlaganfall nicht senkt. Auch scheinen andere B-Vitamine ( Vitamin B6 und
B12) ebenfalls eine Rolle zu spielen. Der Zusammenhang zwischen dem Homocysteinspiegel
und Gefäßerkrankungen ist anscheinend komplizierter als zunächst vermutet. Im Grunde
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bestätigt das Beispiel, was man seit langem weiß: dass bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen - wie
bei den meisten anderen „Volkskrankheiten", zum Beispiel Diabetes oder Krebs - viele Faktoren
eine Rolle spielen und viele Gene miteinander wechselwirken.
Die PROCAM-Studie
Konsequenterweise hat die „International Task Force for Prevention of Coronary Heart
Disease“, in der führende Arteriosklerose-Forscher Europas zusammenarbeiten, zur Ermittlung
des individuellen Herzinfarktrisikos einen multifaktoriellen Diagnostikansatz aufgebaut.
Grundlage ist die weltweit mit Abstand größte Studie zur Bestimmung der Risikofaktoren für
einen Herzinfarkt, die sogenannte PROCAM-Studie (Prospective Cardiovascular Münster Heart
Study), an der seit 1979 etwa 40.000 Personen teilgenommen haben. Aus den umfangreichen
Daten dieser Studie haben Prof. Dr. Gerd Assmann und Kollegen ein Berechnungsverfahren
entwickelt, das auf einfache Weise und mit großer Zuverlässigkeit eine Risikoabschätzung
erlaubt. Assmann ist Geschäftsführender Direktor der Task Force und Leiter des Instituts für
Arterioskleroseforschung an der Universität Münster. In den „PROCAM Health Check“ gehen
Laborwerte wie der LDL-Cholesterol-Gehalt im Blut (das sogenannte „schlechte“ Cholesterin),
HDL-Cholesterol („gutes“ Cholesterin), Triglyzeride und Blutzuckerspiegel, aber auch
Blutdruck, Lebensalter, familiäre Belastung und das Rauchen ein. Durch Eingabe dieser Werte
auf der interaktiven Webseite der "International Task Force for Prevention of Coronary Heart
Disease" kann der Arzt unmittelbar das Ergebnis ablesen und gegebenenfalls bei seinem
Patienten auf eine Änderung des Lebensstils drängen, um das Herzinfarktrisiko zu vermindern.
In jedem Fall sollte ein solcher Check durchgeführt werden, bevor man Lipid senkende
Medikamente (Statine) verschreibt. Es gibt - auf der gleichen Webseite - auch einen PROCAM
Quick Test, der ohne Laborwerte auskommt und mit dem jeder rasch und einfach feststellen
kann, in welche Risikogruppe er gehört und ob er einen Arzt aufsuchen sollte.
Vorsicht vor Missbrauch
Wenn hier dargelegt wurde, dass eine biedere konventionelle Datenerhebung einem modernen
Gentest in der Aussagekraft über das Herzinfarktrisiko überlegen ist, so soll damit nicht
grundsätzlich der Nutzen von Gentests in Frage gestellt werden. Es gibt diagnostische Tests,
mit denen Krankheitserreger im Körper anhand ihrer Gene identifiziert werden. Aus der
Onkologie - dem Gebiet, in dem die personalisierte Medizin wohl am weitesten fortgeschritten
ist - sind Gentests heute nicht mehr wegzudenken. So sind vor einer Behandlung von
Brustkrebs mit Trastuzumab (Herceptin®) oder von chronischer myeloischer Leukämie mit
Imatinib (Glivec®) derartige Tests sogar vorgeschrieben. Aber in diesen Fällen handelt es sich
um Therapie, nicht um Prävention.
Schon kurz nach jener Sternstunde der Wissenschaft am 26. Juni 2000, in der Francis Collins
und Craig Venter zusammen mit Präsident Bill Clinton die Entzifferung des menschlichen
Genoms verkündet hatten, schossen in den USA Firmen wie Pilze aus dem Boden, die
individuelle Gentests zur Diagnose von Erbkrankheiten und Vorhersage über das
Krankheitsrisiko anbieten. Manche sind so unseriös, dass sie eigentlich den Tatbestand des
Betruges erfüllen. Inzwischen gibt es weit über 1.000 kommerziell angebotene Tests. In
Deutschland ist die Situation glücklicherweise durch das Gendiagnostikgesetz geregelt, und für
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solche Diagnosen müssen Ärzte eingebunden werden. Aber über den expandierenden und
schwer zu kontrollierenden Internethandel können Gentests online im Ausland bestellt
werden, und das geschieht in zunehmendem Maße. Der Missbrauch kann nur verhindert
werden, wenn die entsprechenden Labors behördlich überprüft werden und die Tests von
unabhängigen Experten begutachtet werden. Nur dann auch werden sich die an die
personalisierte Medizin geknüpften Hoffnungen erfüllen.
Auch in den USA und in Großbritannien scheint man von der bisherigen laissez-faire-Haltung
abzurücken. Nach einer von der FDA veranstalteten öffentlichen Anhörung zur Regulierung von
Gentests im Juli 2010 kam die amerikanische Zulassungsbehörde zu dem Ergebnis, dass frei
auf dem Markt verkaufte Tests als Medizinprodukte zu bewerten und zulassungspflichtig seien.
Am 4. August 2010 veröffentlichte nun die von der britischen Regierung beauftragte Human
Genetics Commission einen Report, in dem sie unter anderem forderte, dass derartige Tests
ausschließlich in zertifizierten Laboratorien mit gesicherten, kontrollierten Qualitätsstandards
durchgeführt werden dürften. Darüber hinaus sollten alle aus solchen Tests abgeleiteten
Aussagen durch anerkannte wissenschaftliche Publikationen belegt werden müssen.
Fachbeitrag
30.08.2010
EJ
BioRN
© BIOPRO Baden-Württemberg GmbH
Der Fachbeitrag ist Teil folgender Dossiers
Gesundheitliche Prävention durch bessere Diagnostik
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