Tabakkonsum und Fertilität Oktober 2009 Rauchen und Fertilität Tabakkonsum und die Folgen für die Fruchtbarkeit Ein Beitrag von Dr. med. Christine Kissel Nach eigenem Bekenntnis sind in Deutschland 42 Prozent der 20- bis 39jährigen Frauen Raucherinnen. Neben dem Einfluss auf die Fertilität führt der Tabakkonsum darüber hinaus zu einem allgemein verschlechterten Gesundheitszustand. Die Immunabwehr ist geschwächt. Auch Passivrauchen ist keineswegs harmlos. Die Exposition zu Tabakrauch innerhalb der Familie oder am Arbeitsplatz wirkt sich nachteilig auf den Verlauf der Schwangerschaft aus und führt zu einem geringeren Geburtsgewicht der Neugeborenen als bei Frauen mit rauchfreier Schwangerschaft. Zudem erhöht sich das Risiko einer Frühgeburt. Bei Paaren, die teils unter jahrelanger Kinderlosigkeit gelitten haben, kann zwar ein Kinderwunschzentrum heute mit modernen Behandlungsmethoden alle medizinischen Möglichkeiten für eine Schwangerschaft ausschöpfen. Dennoch beeinflusst auch hier das Paar durch die eigene Lebensweise den Erfolg, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen, maßgeblich. Dazu kommen gewichtige langfristige Konsequenzen des Tabakkonsums für die Gesundheit des ungeborenen Kindes in Gestalt eines erhöhten Risikos für Hirntumoren, Leukämie und Asthma. R auchen ist ein gut dokumentiertes und sehr bekanntes Gesundheitsrisiko, trotzdem ist es immer noch Teil eines bestimmten Lifestyles, der zum großen Teil als selbstverständlich oder sogar „en vogue“ gilt. Während das erhöhte Risiko von Rauchern für bestimmte Erkrankungen wie Lungenkrebs oder Herz-Kreislauf-Krankheiten gut erforscht ist, sind sich viele Paare nach wie vor der Folgen des Tabakkonsums für die Fruchtbarkeit zu wenig bewusst. Fast jede zweite Frau im gebärfähigen Alter greift zur Zigarette, doch reduzieren rauchende Frauen und Männer deutlich ihre Chance, ein gesundes Kind zu zeugen. Die Geschichte des Tabakkonsums Die ursprüngliche Heimat der Tabakpflanze ist Süd- und Mittelamerika, hier kannten die Indianer die berauschende Wirkung der Pflanze und nutzten sie zu kultischen und medizinischen Zwecken. Für die Verbreitung des Tabaks in Europa war vermutlich die Landung von Kolumbus in Amerika 1492 der entscheidende Auslöser. Die gesundheitlichen Auswirkungen des Rauchens wurden in den 1950erJahren erstmals in groß angelegten Studien wissenschaftlich untersucht und dokumentiert. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden 1964 zusam- Bildnachweis: BRANDX/Jupiterimages 8 Tabakkonsum und Fertilität Oktober 2009 mengefasst und in den USA mit dem Terry-Report herausgegeben. Die Tabakpflanze selbst gehört zu der Familie der Nachtschattengewächse, so wie auch die Tomate oder Kartoffel. 1586 erhielt die Pflanze durch den französischen Botaniker J. Dalechamps ihren Namen „Herba Nicotiana“, wobei sich die Gattung heute in verschiedene Gruppen unterteilt. Das Nikotin wird in den Wurzeln erzeugt. Wenn die Pflanze reift, wandert der Stoff in die Blätter, die später etagenweise geerntet werden. Grundsätzlich teilt man die Pflanze in drei Grundblattarten ein, Volado (untere Blätter, milder Geschmack), Seco (mittlere Blätter, mittelstarker Geschmack) und Ligero (obere Blätter, stärkster Geschmack). Geerntete Blätter werden getrocknet und dienen der Tabakindustrie als Rohstoff. Die Folgen für die Fruchtbarkeit der Frau Rauchen senkt die Konzentration der weiblichen Hormone Estrogen und Progesteron im Blut. Bei Raucherinnen ist der Zyklus eher verkürzt (< 24 Tage). Rauchende Frauen sind weniger empfängnisbereit als Nichtraucherinnen und reduzieren durch Rauchen die Wahrscheinlichkeit einer Empfängnis in einem Zyklus je nach Intensität des Tabakkonsums um zehn bis 40 Prozent. So verlängert Rauchen die Zeit, natürlich zu konzipieren, auf über ein Jahr. Die mittleren FSH-Spiegel sind bei jungen Raucherinnen signifikant höher, das trifft auch für die Passivraucherinnen zu. Studien konnten zeigen, dass Rauchen die ovarielle Reserve einschränkt und die Follikulogenese beeinträchtigt. Im Graafschen Follikel überwiegen oxidative Stressfaktoren gegenüber den Reparaturmechanismen, der Follikel kann nur unzureichend reifen. Hinzu kommt, dass Raucherinnen weniger gut auf Therapien ansprechen, die den Eisprung auslösen. Im Vergleich zu Nichtraucherinnen produzieren sie eine geringere Anzahl an Eizellen als Antwort auf die Behandlung und entwickeln im Durchschnitt nur 45 Prozent der Eizellen. Je höher die Anzahl der gerauchten Zigaretten, desto niedriger ist letztlich die Anzahl der Eizellen. Nach dem Eisprung findet sich außerdem eine geringere Wahrscheinlichkeit für eine Befruchtung, Einnistung und Schwangerschaft. Diese reduzierten Raten sind möglicherweise auf eine zunehmende Verdickung der Zona pellucida zurückzuführen, die bei Raucherinnen beobachtet wird. Auch Der Nikotineffekt – Schaden an der Eizelle der Frau Bestandteile der Zigarette Gesundheitliche Auswirkungen Kohlenmonoxid verringert die Bindungsfähigkeit für Sauerstoff im Blut nach Inhalation; Leistungsminderung des Herzens unter Belastung Nikotin stimuliert das sympathische Nervensystem und vermindert das Hungergefühl; Abhängigkeit (Nikotin ist nicht für die Erkrankungen verantwortlich, die im Zusammenhang mit Tabakkonsum auftreten.) Teer (Benzpyren) wirkt krebserregend und mutagen; trägt zur Inaktivierung der Reinigungsmechanismen der Atemwege bei; schädigt Lungenbläschen und schwächt das Abwehrsystem des Organismus Cadmium begünstigt die Ansammlung giftiger Substanzen im Körper Blausäure, Formaldehyd, Metalle, Polonium 210, Amine, Nitrosamine, Acrolein, Acetaldehyd und Ammoniak verursachen direkt einen Schaden an der Eizelle und wurden in der Follikelflüssigkeit von Raucherinnen nachgewiesen 9 Tabakkonsum und Fertilität Tabakpflanzen (Nicotiana) gehören zur Familie der Nachtschattengewächse und erreichen eine Höhe von etwa 1,70 m bis 1,80 m. Eine Pflanze bringt zwischen 14 und 18 Blätter hervor, die von unten nach oben in unterschiedlichen Etappen geerntet werden. Oktober 2009 die Bereitschaft des Uterus, dass es zu einer Implantation kommt, ist vermindert. Bei Raucherinnen beginnt die Menopause bis zu vier Jahre früher gegenüber Nichtraucherinnen, was die fruchtbare Phase deutlich verkürzt. Je mehr Zigaretten geraucht werden, desto eher beginnt die Menopause, was zu der Annahme führt, dass Rauchen die ovarielle Reserve vorzeitig erschöpft. Bei Raucherinnen steigt das mutagene Potenzial Rauchen hat zusätzlich mutagenes Potenzial: Die Anzahl diploider Oozyten im Ovar steigt im Verhältnis zu der Anzahl der gerauchten Zigaretten/Tag. Eine freie Trisomie-21 kommt bei Raucherinnen häufiger vor. Zusätzlich kann der Tabakkonsum die Meiose schädigen und so zu Chromosomenschäden mit nachfolgenden Aborten führen. Studien mit Tiermodellen konnten weiterhin zeigen, dass Tabak die regelrechte Funktion der Eileiter beeinträchtigt und so das Risiko für Extrauterinschwangerschaften erhöht. Diese Studien zeigten, dass die Tubenmotilität und die Interaktion mit dem Eizell-Cumulus-Komplex gestört ist. Auch Passivrauchen lässt sich nachweisen. Die Cadmiumkonzentration ist in der Follikelflüssigkeit höher bei Raucherinnen als bei Nichtraucherinnen. Cotinine (Nikotinmetaboliten) konnten auch bei Frauen, deren Partner raucht, in höheren Dosen nachgewie- sen werden, ebenso bei Frauen, die beispielsweise am Arbeitsplatz dem Passivrauchen ausgesetzt sind. Die Cotininkonzentration in der Follikelflüssigkeit korreliert direkt zu der Menge der gerauchten Zigaretten. Die Folgen für die Fruchtbarkeit des Mannes Unter Männern, die unter Impotenz leiden (erektile Dysfunktion), sind zwei Drittel Raucher. Somit gibt es hier das erste Hindernis für eine Befruchtung: Die Samenablage ist erschwert oder unmöglich. Auf das Spermiogramm (Spermien- und Ejakulatparameter) selbst hat das Gift im Tabakrauch ebenfalls Auswirkungen. Es schädigt das Erbgut der Spermien und verringert die männliche Zeugungsfähigkeit. Jede Zigarette führt zu Veränderungen an den DNA-Strängen in den Zellen. Viele davon können vom Körper repariert werden, aber nach Schätzungen hinterlässt jede einzelne Zigarette trotzdem rund 10 000 Mutationen(!). Das Spermiogramm kann zwar in Anzahl und Beweglichkeit der Spermien unauffällig sein, trotzdem können qualitative Anomalien der Spermien vorliegen, welche schädliche Folgen für die frühe Entwicklung des Embryos haben können. Ferner vermindert das Rauchen die Produktion von Spermien sowie deren Motilität. Genetisch geschädigte Spermien stark rauchender Väter erhöhen das Missbildungsrisiko Neugeborener. Wahrscheinlich werden auch verschiedene toxische Stoffe aus dem Zigarettenrauch (zum Beispiel Benzpyren) über die direkte Bindung an die DNA der Spermien an den Embryo weitergegeben. Mehr als 40 Inhaltsstoffe des Tabakrauches sind schädliche Substanzen, welche die Qualität der Keimzellen bei Mann und Frau schädigen. Durch die einzelnen Auswirkungen sinken die Chancen einer erfolgreichen Kinderwunschtherapie erheblich, auch Positive Veränderungen bei Rauchverzicht ■ Nach 20 Minuten sinken Puls und Blutdruck auf normale Werte, und die Körpertemperatur an den Händen und Füßen steigt auf normale Höhe. ■ Nach acht Stunden sinkt der Kohlenmonoxidspiegel im Blut, und der Sauerstoffspiegel steigt auf normale Höhe. ■ Nach 24 Stunden geht das Risiko, einen Herzinfarkt zu erleiden, leicht zurück! ■ Nach 48 Stunden beginnen die Nervenenden mit der Regeneration: Die Geruchsorgane und die Geschmacksorgane verfeinern sich. ■ Nach zwei bis drei Wochen stabilisiert sich der Kreislauf, und die Lungenfunktion verbessert sich. ■ Nach mehreren Monaten gehen Hustenanfälle, Verstopfung der Nasennebenhöhlen und Kurzatmigkeit zurück. Die Infektionsgefahr verringert sich, und körpereigene Energiereserven werden vermehrt mobilisiert. ■ Nach fünf Jahren verringert sich das Risiko, an Lungenkrebs zu sterben, um fast die Hälfte. ■ Das Herzinfarktrisiko sinkt in einem Zeitraum zwischen fünf und 15 Jahren auf das eines Nichtrauchers. Bildnachweis: irisblende.de 10 Tabakkonsum und Fertilität Oktober 2009 Anzeige 11 Tabakkonsum und Fertilität Oktober 2009 Kohlenmonoxid tritt in das kindliche Blut über und bewirkt so die Sauerstoffverringerung. Nikotin verursacht eine Verengung der Blutgefäße und beeinträchtigt die Plazentafunktion, sodass eine Verminderung der Blut- und Nährstoffzufuhr zum Fetus resultiert. Weitere Inhaltsstoffe einer Zigarette wie Blei und Cadmium werden ungefiltert an das Kind weitergegeben. Die Anzahl an Fehlgeburten, Frühgeburten und die Wahrscheinlichkeit eines intrauterinen Fruchttodes sind höher als bei Nichtraucherinnen. Das Risiko einer Fehlgeburt steigt um 25 Prozent. dann, wenn nur ein Partner raucht. Raucherinnen brauchen beispielsweise fast doppelt so viele IVF-Zyklen, um schwanger zu werden, wie Nichtraucherinnen. Außerdem brauchen sie mehr Gonadotropine, haben niedrigere Estradiolspiegel, und es werden weniger Eizellen gewonnen. Bei Raucherinnen werden darüber hinaus mehr Zyklen abgebrochen. Hat eine Frau je im Leben geraucht, verdoppelt sie das Risiko, mit einer assistierten Reproduktion nicht schwanger zu werden. Das Risiko steigt jedes Jahr, in dem die Frau raucht, mit einer Wahrscheinlichkeit von jeweils weiteren neun Prozent. Die Chancen auf einen Misserfolg bei der künstlichen Befruchtung sind bei Paaren, bei denen der Mann raucht, doppelt so hoch wie bei Paaren, bei denen der Mann nicht raucht. Tabakkonsum während der Schwangerschaft Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Rauchen einen signifikant negativen Effekt auf den klinischen Outcome einer assistierten Reproduktionsbehandlung hat. Rauchende Frauen haben eine signifikant reduzierte Lebendgeburtenrate. Hier gilt in der assistierten Reproduktion das Gleiche wie für rauchende Frauen, die spontan schwanger werden. Auch das Risiko für Mehrlingsschwangerschaften ist bei Raucherinnen erhöht. Mit der Schwangerschaft stellt sich für eine Raucherin und ihr ungeborenes Kind eine weitere Risikophase dar, denn die rauchende Schwangere beraubt den Fetus eines Teils des Sauerstoffs. Rauchen erhöht zu alledem die Wahrscheinlichkeit für eine bakterielle Vaginose, die mit vermehrten Spätaborten und Frühgeburtswahrscheinlichkeit assoziiert ist. Jede im Verlauf einer Schwangerschaft gerauchte Zigarette trägt dazu bei, das Gewicht des Fetus zu vermindern: Die Kinder von Raucherinnen weisen oft ein niedrigeres Geburtsgewicht auf und wiegen im Durchschnitt 200 Gramm weniger als die Neugeborenen von Nichtraucherinnen. Bei der Geburt selbst gibt es eine höhere Zahl an Komplikationen, und auch nach der Geburt kann es zu Anpassungsstörungen des Neugeborenen, wie Atemprobleme, Verdauungsstörungen und auch Verhaltensstörungen, kommen. Die Zahl an plötzlichen Todesfällen im Säuglingsalter ist bei Kindern von Raucherinnen im Vergleich zu den Nichtraucherinnen erhöht. Was spricht noch für den Rauchverzicht? Rauchen erhöht aufgrund der rund 40 krebserregenden oder Krebs mitverursachenden Substanzen das Risiko, an Krebs zu erkranken. Mit verantwortlich dafür ist eine durch das Rauchen verringerte Anzahl natürlicher Killerzellen, die das Immunsystem gegen Krebszellen einsetzt. Alle Organe, die mit Zigarettenrauch oder dessen Inhaltsstoffen in Berührung kommen, sind stärker krebsgefährdet. Besonders betroffen sind Bereiche der oberen Atemwege wie Lunge, Mundhöhle, Zunge, Rachen, Kehlkopf, Speiseröhre, Luftröhre und Bronchien. Das Schlaganfallrisiko ist bei Rauchern durch die Förderung von Arteriosklerose sowie durch eine gesteigerte Herzfrequenz, Schädigung der Hirngefäße und einen durch den Tabakkonsum erhöhten Blutdruck eben- falls erhöht. Der Schlaganfall ist durch eine plötzliche Schädigung des Gehirns mit daraus resultierenden neurologischen Folgeerscheinungen gekennzeichnet. Die Ausprägungen können vom einfachen, „leichten“ Schlag bis zum sofortigen Tod reichen. Die durch das Rauchen bewirkte Arteriosklerose betrifft neben den Arterien des Gehirns vor allem Arterien der Gliedmaßen und des Herzens. Lebensgefährliche Gefäßverschlüsse sind oft die Folge. Kommen weitere Risikofaktoren wie Übergewicht, mangelnde Bewegung, dauerhafter Bluthochdruck oder Stress hinzu, erhöht sich das Herzinfarktrisiko ebenfalls. Jeder fünfte Betroffene stirbt sofort, jeder achte der zunächst Überlebenden stirbt innerhalb eines Jahres an den Folgen des Infarkts. Fazit für die Praxis Die Folgen des Rauchens für die Fertilität sind umkehrbar. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass bei Frauen, die mit dem Rauchen aufgehört haben, die Wahrscheinlichkeit einer Konzeption ebenso hoch ist wie bei Nichtraucherinnen. Bei Männern führt der Rauchverzicht zu einer Verbesserung der Spermienqualität und -quantität. Diese Tatsachen können in der Beratung helfen, Patientinnen zu überzeugen, bei einer Kinderwunschbehandlung mit dem Rauchen aufzuhören. Wenn Kinderwunschpaare ausreichend über die negativen Auswirkungen des Rauchens auf die Wahrscheinlichkeit des Eintretens einer Schwangerschaft informiert werden, ist die Motivation groß, dem Tabak abzuschwören. Wir betreuenden Ärzte von Kinderwunschpaaren können einen messbar positiven Einfluss auf die Kinderwunschtherapie ausüben, wenn wir unser Wissen über die Daten der schädlichen Wirkung des Rauchens auf die Fertilität mit unseren Patientinnen teilen. Quellenhinweis: Literaturliste auf Anfrage bei der Redaktion erhältlich; E-Mail: [email protected] Korrespondenzadresse: Dr. med. Christine Kissel Kinderwunsch-Zentrum Stuttgart Im Königsbau Friedrichstraße 45 70174 Stuttgart Tel.: 07 11 / 997 80 60 Fax: 07 11 / 99 78 06 10 E-Mail: [email protected] Internet: www.kidz-stuttgart.de Bildnachweis: COMSTOCK IMAGES/Jupiterimages; privat 12