Folien 2016

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Prolog: Ziel von Tierversuchen
„unverzichtbar“ oder „Affenfolter“?
Affen als Modellorganismen
Höhere Hirnfunktionen (Gesichtserkennung,
Mustererkennung)
haben zwei Aspekte:
•Antwort (Verhaltensversuche)
•Hirnaktivierung (Ableitungen)
Modelle
zur
Untersuchung
müssen diese Hirnfunktionen aufweisen. Daher werden hierfür
Primaten eingesetzt.
Im Mai 2015 gibt der Direktor des Max-Planck Instituts für Biologische Kybernetik
in Tübingen, Prof. Dr. Nikos Logothetis, nach monatelangen Protesten von
Tierschützern auf und erklärt, dass er künftig nur noch mit Mäusen arbeiten wird.
Problematik: diese „Modelle“
weisen auch andere höhere Hirnfunktionen auf. Dürfen wir das?
Prolog: Ziel von Tierversuchen
Warum eigentlich Versuche mit Lebewesen?
Lebewesen sind insbesondere auf zwei Weisen
Gegenstand der Wissenschaft:
1.Wissenschaftliche Forschung: hier stehen die
Beantwortung von Fragen und das Wissen selber im
Vordergrund. Lebewesen sind Modelle, an denen wir
Erklärungen gewinnen: Drosophila und Knock-out
Mäuse für Populations- und Entwicklungsgenetik,
Arabidopsis für Phototropismus.
2.Nicht-wissenschaftliche Forschung: hier steht die
Entwicklung oder Optimierung von Gütern oder
Produkten
im
Vordergrund:
Pharmazeutika,
Kosmetika.
Prolog: Ziel von Tierversuchen
Warum eigentlich Versuche mit Lebewesen?
Eingriffstiefe
Beobachtung
Bienentanz
Lebewesen werden nicht notwendig
bei der Durchführung von Versuchen
„verbraucht“.
Es läßt sich eine Reihe definieren,
angefangen mit rein beobachtenden,
nicht-invasiven
Methoden,
über
invasive mit geringem und mittlerem
Risiko bis hin zu hochriskanten und
letalen Eingriffen.
Fallbeispiel: Analyse Verarbeitung von
Duftreizen durch die Honigbiene
Überprüfung durch
Verhaltensexperimente
Duftorgel mit Elektroden im Pilzkörper
der Biene
Prolog: Ziel von Tierversuchen
Realität versus öffentliche Wahrnehmung
Tierversuche: 3 Millionen
Getötete Tiere in Deutschland 2014: 754 Millionen
Töten von Tieren
In Deutschland werden pro Jahr
etwa eine ¾ Milliarde Tiere
getötet. Der Großteil in Verbindung mit der Lebensmittelerzeugung
~3 Mio als Versuchstiere.
Davon:
Von den etwa 3 Millionen zu Versuchszwecken getöteten Tieren sind Mäuse und
Ratten die Hauptgruppe, zum Vergleich: 2014 wurden etwa 2000 Primaten für
Tierversuche eingesetzt. Tierversuche für Kosmetika sind in der EU seit 2013
verboten. Die gilt freilich nicht für Importware.
•Grundlagenforschung (870 000)
•Regulatorische Zwecke (700 000)
•Industrieforschung (300 000)
•Ausbildung (50 000)
•Organentnahme nach Tod (1 110 000)
Prolog: Ziel von Tierversuchen
Rechtliche Seite von Tierversuchen
Was sagt das Gesetz?
Die Immunisierung von Mäusen zur Antikörpergewinnung ist nur anzeigepflichtig,
die Erzeugung eines transgenen Maus-Alzheimermodells muss genehmigt
werden, da hier einem lebenden Tier Leid zugefügt wird, die Reinigung von
Tubulin aus Schweinehirn vom Schlachthof ist kein Tierversuch, toxikologische
Versuche an Zebrafisch jedoch schon (genehmigungspflichtig), Erzeugung von
Drosophila Mutanten ist dagegen weder anzeige- noch genehmigungspflichtig.
•Eingriff am lebenden Tier regeln
•Wirbeltiere: Genehmigungpflicht
•Kopffüsser, Krebse: Anzeigepflicht
•Begründungspflicht
•Nachweispflicht
•Tierschutzbeauftragte
•Qualifikationsnachweis
•Schmerzen und Leid minimieren
•Genehmigung unter Einbezug
einer Ethikkommission
Was denken Sie:
Hat der Mensch
als Krone der
Schöpfung das
Recht, Leben zu
nehmen?
Modellbildung und Ethik in der Biologie
A: Werkzeuge: Wie wir reden und warum das wichtig ist
1: Leben, Gen, Art, Organismus – nicht Dinge, sondern Aktivitäten/Prozesse
2: Beschreiben, Erklären, Auffordern – der Zweck einer Rede ist entscheidend!
3: Information, Signal, Bedeutung – „objektiv“ (ohne „ich“ und „Du“) gibt es nicht!
B: Handwerkskunst: Wie „Wissenschaft“ arbeitet und warum das wichtig ist
4: Sehen, Beobachten, Experimentieren – funktionaler Kontext und Erkenntnis
5: Bild, Modell, Überprüfung – der Dreischritt der Wissenschaft
6: Erklärung und die Kunst der Reduktion
C: Auf DICH gestellt: Warum „Ethik“ nicht mit dem Rechner geht
7: Naturalistischer Fehlschluss: Beispiel Eugenik
8: Können wir „Ethik“ rechnen: Soziobiologie und Spieltheorie
9: Auf was können wir „Ethik“ dann bauen? Nutzen versus Verantwortung
10: Der Weg ist das Ziel – „Ethik“ ist kein Ding, sondern eine Aktivität
11: Gretchenfrage – können „wir“ überhaupt entscheiden?
12: Aus dem biologischen Alltag: Tierversuche
Prolog: Ziel von Tierversuchen
Rechtfertigen oder Begründen?
Der Einsatz von Lebewesen läßt sich sowohl
begründen als auch rechtfertigen:
1.Begründung: sind Lebewesen für den jeweiligen
Zweck geeignet (z.B. als Modelle). So könnte für
bestimmte Pharmazeutikatests die Verwendung von
Affen besser sein, als die von Mäusen, diese wieder
besser als die von C. elegans.
2.Rechtfertigung: ist die Nutzung von Lebewesen für
diesen Zweck zulässig. So könnte selbst dann die
Nutzung von Primaten weniger gut zu rechtfertigen
sein, wenn sie adäquater wären.
logon didonai...
„Gründe müssen gegeben und
genommen werden“:
Es lassen sich jeweils Gründe für
und gegen die Nutzung von
Lebewesen vorbringen. Es wird
dabei
regelmäßig
zu
„Erwägungsgleichgewichten“
kommen:
Nutzen
für
den
Menschen, Schaden für das Tier.
Kleiner Denkanstoß:
Warum regt sich keiner
Versuche an Pflanzen auf?
für
Prolog: Ziel von Tierversuchen
Rechtfertigen oder Begründen?
Was tun wir eigentlich wenn wir „bewerten“?
Beschreibend: wir ordnen etwas einen Mess-“Wert“ zu. Hier
machen wir also Aussagen über das Sein
Normativ: wir ordnen etwas einen technischen (z.B. DIN),
ästhetischen (z.B. Stil) oder ethischen (z.B. Lebensqualität) Wert zu.
Hier machen wir also Aussagen über das Sollen.
Ein ethisches Werto-Meter gibt es nicht. Wenn wir bewerten,
vergleichen wir etwas mit einem Maßstab.
Welche Maßstäbe wollen wir nehmen: „Nutzen“ (extrinsisch),
„Eigenzwecke“ (intrinsisch) oder Mischungen daraus?
Maßstäbe für Brotgröße am
Freiburger Münster (Ende 13.
Jhdt.). Durch Vergleich mit
dem Maßstab konnte der
Kunde feststellen, ob der
Verkäufer betrogen hatte
(wenn ja, wurde dieser mit
den Ohren ans Tor genagelt –
„Schlitzohr“…).
Ethische
Maßstäbe sind
deutlich
schwieriger zu bekommen…
Welche Sichtweisen gibt es?
Utilitaristischer Ansatz: Tiere als Mittel zum Zweck
Bewusstsein
Der utilitaristische Kalkulus
ist an die Fähigkeit geknüpft,
„Glück“ zu empfinden.
These: Dafür ist ein gewisser
Grad von Personalität nötig.
Rationalität
Autonomie
Wenn man Personalität als Maßstab nimmt, werden Tierversuche außerhalb der
Primaten nicht problematisiert. Implizit wird dabei ein Stammbaum im Sinne von
„Höherentwicklung“ zugrundegelegt. Kritisch zu hinterfragen wäre, warum ein
Regenwurm weniger vollkommen sein soll als Homo sapiens.
Fehlt Personalität, ist der
Kalkulus einfach zu lösen.
Bei den Primaten wird es
grenzwertig (Peter Singer).
Hier muss man dann Nutzen
abwägen (z.B. Epilepsiemodelle bei Schimpansen).
Welche Sichtweisen gibt es?
Utilitaristischer Ansatz: Tiere als Mittel zum Zweck
Für den utilitaristischen
Kalkulus ist der Nutzen eines
Experiments zentral.
Der Nutzen ist umso höher, je
enger der Bezug zu einer
medizinischen Anwendung ist
Ein Plakat der US-amerikanischen Organisation „Foundation for Biomedical
Research“ mit einer klassisch utilitaristischen Botschaft. Der Tod der Labormaus
wird in Bezug gesetzt zu dem medizinischen Nutzen des Wissens, der aus diesem
Tierversuch erzeugt wird.
Für angewandte Forschung
lässt sich dies gut darstellen,
für
Grundlagenforschung
eher nicht.
Interessant: auch Gegner von
Tierversuchen argumentieren
häufig utilitaristisch.
Welche Sichtweisen gibt es?
Utilitaristischer Ansatz: Tiere als Mittel zum Zweck
Bei einer utilitaristischen Bewertung schneidet Grundlagenforschung schlecht ab:
der „Nutzen“ ist ja nicht
darstellbar.
Tiermodelle für menschliche
Krankheiten
bekommen
einen hohen Stellenwert.
Grundlagenforschung (Hirnaktivität bei Gesichtserkennung). Netzseite von
Intrexon (GVO Schimpansenmodell für Epilepsie). Draize-Test am Kaninchen zur
toxikologischen Bewertung von Chemikalien. Tierversuche zur Testung von
Kosmetika. Reihenfolge entspricht der Rangfolge bei utilitaristischer Bewertung.
Den höchsten Wert erhalten
Anwendungen für große
Zahlen: Toxikologie, Kosmetik
(seit 2013 EU-Bann).
Welche Sichtweisen gibt es?
Utilitaristischer Ansatz: Tiere als Mittel zum Zweck
Bei der Bewertung wird oft
der Grad des Leidens als
Kriterium herangezogen.
Wir nehmen aber eigentlich
nur den Ausdruck des
Leidens wahr.
Dazu nutzen wir die Spiegelneuronen. Die reagieren aber
vor allem auf Ähnlichkeit.
Schmerz wird über einen standardisierten Test (Zurückziehen der Pfote von einer
glühenden Platte) quantifiziert. Der Nacktmull ist hier scheinbar
schmerzunempfindlicher. Bei der Bewertung von Leiden werden wir unbewusst
von unseren Spiegelneuronen beeinflusst – wir bewerten den Ausdruck von Leid.
Dadurch
bewerten
wir
spontan Leiden uns ähnlicher
Organismen gewichtiger.
Welche Sichtweisen gibt es?
Wertethik: Pflanzen und Tiere haben Werte?!
…aber die Bewertung hängt von unserer Sichtweise ab (v. d. Pfordten 1996):
Anthropozentrisch
Anthroporelational
Unabhängig vom Menschen
(Maus als Modell für
Krankheiten des Menschen)
(Verhaltensstudien an Schimpansen, um
Evolution menschlichen Verhaltens zu verstehen)
(Beobachtung von Tieren „in freier
Wildbahn“)
1.Werte sind anthropozentrisch oder anthroporelational, wenn sie nur oder nur
relevant mit Bezug auf den Menschen definiert werden können.
2.Werte könnten sich aber auch nach den „bewerteten“ Dingen selber richten –
unabhängig von einem Bezug zum Menschen.
Welche Sichtweisen gibt es?
Wertethik: Pflanzen und Tiere haben Werte?!
Aus beiden Positionen ergeben sich weitreichende Schlußfolgerungen:
Im anthropozentrischen Fall haben
Lebewesen nur oder fast nur
extrinische Werte: also solche, die mit
Bezug
z.B.
auf
menschliche
Bedürfnisse gerechtfertigt werden
können:
Züchtung,
Konsum,
Arbeitsnutzung.
Im zweiten Fall haben Lebewesen
auch intrinsische Werte: also solche,
die mit Bezug auf eigene Bedürfnisse
gerechtfertigt werden können: „artoder lebewesengerecht Haltung“, „Tieroder Pflanzenrechte“.
Erster Nachweis von
Hunderassen (Ägypten,
ca. 2700 v. Chr.)
Wolfsrudel jagt einen
Moschusochsen
Welche Sichtweisen gibt es?
Verantwortungsethischer Ansatz: Tiere haben eigene Zwecke
Tiere werden von Menschen
als Mittel für vielerlei Zwecke
gebraucht:
Macralonkäfig (Typ IV)
Prototyp (Osteosynthese-Institut, Davos)
Menschen nutzen Tiere für viele Zwecke: als Haustiere für die eigene emotionale
Balance, als Nahrungstiere und als Modellorganismen für Forschungszwecke. Dies
aus der Perspektive des Menschen oder aus der Perspektive des Tiers selbst
betrachten. Hier zeigt sich schnell, dass es auf das „Wie“ ankommt.
•Emotionales Gleichgewicht
•Arbeitskraft
•Nahrung
•Erkenntnis
Bei einer verantwortungsethischen Bewertung ist
wichtig, inwiefern bei der
Umsetzung die Eigenzwecke
des Tiers berücksichtigt sind
(artgerechte Haltung).
Welche Sichtweisen gibt es?
Verantwortungsethischer Ansatz: Tiere haben eigene Zwecke
Verantwortlich handeln heißt
hier:
•Wo es geht, vermeiden (z.B.
Zellkulturen in der Toxikologie)
•Überlegtes Versuchsdesign
•Eigenzwecke
(intrinsische
Werte) der Tiere im Blick haben:
Zellkulturen haben in der Toxikologie die Hälfte der Tierversuche ersetzt. Klares
Versuchsdesign vermeidet unnötige Tierversuche, gute Kenntnis des Modells
auch. Schlechtes Design ist hier nicht nur einfach ineffizient, sondern schlicht unethisches Handeln. Wenn Tierversuch, dann möglichst artgerecht und „human“.
(i) Anregende und erfahrungsreiche
Umwelt
(ii) Der Art angemessene soziale
Interaktionen (incl. Fortpflanzung)
(iii) Vermeidung von Schmerz und
Angst (auch wenn der Ausdruck von
Leid von uns stark abweicht).
Welche Sichtweisen gibt es?
Jeder Einzelfall ist individuell: Ethik geht nur als sozialer Prozess
warum ist das wichtig?
Vor allem bei Grundlagenforschung ist ein utilitaristischer Kalkulus schwer darstellbar.
Für
eine
verantwortungsethische Bewertung muss man
aber die Eigenzwecke der Versuchstiere betrachten.
Der Brainet-Kyborg. Mehrere Ratten wurden elektrisch gekoppelt, so dass der
output der corticalen Neuronen eines Tieres als input für sensorische Neuronen
anderer Tiere diente. Dann ließ man die Ratten Aufgaben lösen
(Mustererkennung, Verarbeitung taktiler Reize, Wettervorhersage).
Dies geht nur über Tutorialprinzip. Um Instrumentalisierungen zu minimieren, muss
man hier eine möglichst ausgewogene Gruppe haben.
Intermezzo: Denken Sie mal nach!
Für die Chirurgieausbildung werden ~2000 Schweine eingesetzt. Ist das ethisch vertretbar?
A
Ja, für die Ernährung werden viel mehr Schweine getötet
B
Nein, Simulationssysteme sind menschenähnlicher
C
Doch, die Realität ist oft abweichend von der Simulation
D
Nein, dem Schwein werden unnötige Leiden zugefügt
Take-home: Was erwarten wir von Ihnen
Begriffe, die Sie kennen, erklären und verinnerlichen sollten
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Tierversuch, Tierverbrauch
Toxikologie, regulatorische Tierversuche
Begründungs- und Nachweispflicht
Leid, Glück, Spiegelneuronen, Empathie
Extrinsische und intrinsische Werte
Utilitaristischer Kalkulus, Verantwortungsethik
Konzepte, die Sie kennen, erklären und verinnerlichen sollten
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Die wichtigsten Einsatzgebiete von Tierversuchen darstellen können
Den Unterschied Tierversuch versus Tierverbrauch an Beispielen erklären können
Die Argumentation einer utilitaristischen Bewertung darstellen können
Die Argumentation einer verantwortungsethischen Bewertung darstellen können
An konkreten Beispielen aus dem KIT eine eigene Bewertung entwickeln können
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