Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Klimaerwärmung: Neue Vektoren und neue Krankheiten? Dr. J.F. Freise (LAVES) Dr. S. Olbrich (NLGA) Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit WHO, London, 1999: „Es ist allgemein anerkannt, dass das Klima auf die zeitliche und räumliche Verteilung von Vektoren und Krankheitserregern einen wichtigen Einfluss hat.“ Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Zunahme der Niederschläge in Deutschland Prognose: stärkere Schwankungen Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Trends der Lufttemperatur in D zeigen nach oben Wärme im Sommer fehlender Frost im Winter höhere Luftfeuchtigkeit Vektoren (hier: hämatophage Arthropoden): wechselwarme Tiere abhängig von äußeren Bedingungen temperaturabhängige Entwicklungsdauer temperaturabhängige Stechaktivität Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Vektoren – taxonomische Einordnung Arthropoden Klasse Spinnentiere Insekten Ordnung Milben Milben Schaben Tierläuse Tierläuse Familie Zecken (Ü-Familie) Haarlinge Menschenläuse Flöhe Zweiflügler Mücken (U-Ordnung) Fliegen (U-Ordnung) Gattung/ Art Kleiderläuse Kopflaus Filzlaus Menschenfloh Katzenfloh Hundefloh Vektorpotenzial + ++++ ++++ + ++ + +++ +++ +++ Stechmücke Sandmücke Kriebelmücke Gnitzen ++ +++ +++ +++ Taufliege Bremsen "andere Fliegen" + ++ ++ Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit 2 wichtige Begriffe – aktive Vektoren: Organismen mit Erregerzyklus im Gewebe; z.B.: infizierte Tiere (Blauzungenkrankheit, Malaria) kompetenter Vektor – passive Vektoren: Verschlepper von Krankheitserregern (mechanisch-taktil, exkretorisch, sekretorisch); z.B.: Fliegen, Schaben, kommensale Ratten und Mäuse Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Der kompetente Vektor für Arboviren „Mitteldarm-Infektions-Barriere“: Virus in der Blutmahlzeit, Vektor noch nicht infiziert. Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Der kompetente Vektor für Arboviren „Überwinden der Mitteldarm-Barriere“: Infektion des Vektors auf das Mitteldarmepithel beschränkt. Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Der kompetente Vektor für Arboviren „Verteilung“, „Verbreitung“: Im Darmepithel repliziertes Virus im Haemocoel (Leibeshöhle) verbreitet, Speicheldrüsen sind noch nicht infiziert. Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Der kompetente Vektor für Arboviren Speicheldrüseninfektion: Speicheldrüsen infiziert, Infektion kann bei nächster Blutmahlzeit gesetzt werden. Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Der kompetente Vektor für Arboviren extrinsische Inkubationszeit Zeitspanne zwischen der Blutmahlzeit des Vektors und der Fähigkeit, den Erreger über die Speicheldrüsen auf andere Wirte zu übertragen (Entwicklungsdauer des Pathogens im Vektor) starke Temperaturabhängigkeit! Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Der kompetente Vektor für Arboviren Höhere Temperaturen beeinflussen nicht nur die Entwicklungsgeschwindigkeit von Pathogenen im Vektor positiv, sondern können vermeintlich vektorinkompetente Insekten zu Vektoren machen. z.B. das Blauzungenvirus und das African Horse Sickness Virus konnten in „eigentlich“ refraktären Gnitzenarten, die ihre Larvalentwicklung bei höheren Temperaturen durchgemacht hatten, unter Umgehung des Darmepithels direkt in die Hämolymphe gelangen und schließlich übertragen werden (‚leaky gut’-Phänomen). Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Der kompetente Vektor für Arboviren Höhere Temperaturen können aber auch dazu führen, dass die Entwicklungsgeschwindigkeit von Pathogenen im Vektor so reduziert wird, das Vektoren zu vektorinkompetenten Insekten werden. z.B. West-Nil-Virus vermehrt sich mit zunehmenden Temperaturen langsamer in Culex univitatus (S. Paz, 2015) Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Vogel/Kleinsäuger Arthropoden Übertragungszyklus Beispiel: Vektoren: West Nil, v.a. Stechmücken Hauptwirte erkranken üblicherweise nicht Menschen, Haustiere: epidemiologisch bedeutungslose Zufallswirte Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Beispiel: West Nil Klimafaktor Temperatur: korreliert positiv mit Virusreplikationsgeschwindigkeit saisonale Phenologie der Vektorpopulation Wachstum der Vektorpopulation Übertragungseffizienz auf Vögel geographische Ausbreitung der Humanerkrankungen korreliert negativ mit Intervall zwischen Blutmahlzeiten extrinsische Inkubationszeit Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Beispiel: West Nil Klimafaktor Niederschlag: erhöhte Niederschlagsgeschehen führt zu erhöhtest Vektorvorkommen (aquatische Entwicklung) durch stärkere Durchspülung von Brutstätten werden Vektorlarven und Larvennahrung beseitigt gleichzeitig wird dennoch eine erhöhte humane Erkrankungsrate erwartet vermindertes Niederschlagsgeschehen führt zu Massenentwicklungen bei bestimmten Vektorarten wenige große Brutstandorte mit stehendem Wasser ziehen konzentriert sowohl Vektoren als auch Vögel an wodurch eine Verstärkung des epizootischen Zyklus zu erwarten ist Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Übertragung humanpathogener Erreger durch Aedes spec. Der erste ChikungunyaAusbruch in Europa in Italien (Provinz Ravenna im Sommer 2007) mit rund 200 Erkrankten geht auf die Tigermücke zurück A. albopictus in D A. japonicus in Nds. Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Invasive Stechmücken: Monitoring, NLGA Gründe für Monitoring und ggf. Bekämpfung: es ist davon auszugehen, dass invasive Stechmücken, die in D überwintern, nicht mehr vollständig getilgt werden können. eine weitere Ausbreitung muss möglichst verhindert werden Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit NLGA-BG-Traps an versch. Standorten in Nds. 2012 2013 2014 2015 2016 1 BG-Trap 5 BG Traps 1 BG-Trap 3 BG-Traps 4 BG-Traps 2016 zusätzlich ca. 3000 Individuen aus 5 Gattungen: Keine neozoen Arten und auch keine Infektion mit humanpathogenen Erregern (Untersuchung ZALF & FLI) Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Handlungsempfehlungen der nat. Expertengruppe „Stechmücken“: Tigermücke bei nachgewiesener Reproduktion von z.B. Ae. albopictus Maßnahmen ergreifen Entscheidungen zu Maßnahmen liegt bei den lokalen bzw. Landesbehörden Monitoring: – – – – Bekämpfung: – – – – Fallenkontrolle ein- bis zweiwöchentlich Eiablagefallen (Ovitraps) Adultfallen (insektizidversehene ‚Gravid Aedes Traps‘) Artidentifizierung der gesammelten Mückenstadien Eliminierung von potenziellen Brutgewässern Behandlung von potenziellen Brutgewässern mit Bti-Produkten letalen GAT-Fallen (16/ha) mechanische Entfernung von überwinterndern Eiern im Frühjahr Ausbildung der Mitarbeiter der Friedhofsämter und –gärtnereien Weitergabe von Informationen an die lokalen Gesundheitsbehörden Aufklärung der Bevölkerung Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Handlungsempfehlungen der nat. Expertengruppe „Stechmücken“: Tigermücke Empfohlene Schutzmaßnahmen Auf die Bekämpfung von Stechmücken in Wohngebieten mit chemischen Insektiziden sollte wegen Nebenwirkungen auf die Umwelt möglichst verzichtet werden persönliche Schutzmaßnahmen (Repellent), insbesondere Sprays Mithilfe der Bevölkerung bei der Vermeidung von Brutstätten Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Zusammenfassung Wie kommen „neue arthropodenassoziierte“ Pathogene zu uns? Sind sie bereits da? Es werden derzeit Projekte durchgeführt und initiiert um fehlende Daten zur Biologie und Ökologie der möglichen kompetenten Vektoren und vektorassoziierten Erreger zu sammeln, die eine Risikoabschätzung der Einschleppung und der Endemisierung in ME erlauben. Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Importszenarien für vektorübertragene Erreger Import mit infiziertem warmblütigem (Haupt-)Wirt Endemisierung möglich, wenn geeigneter Arthropodenwirt vorhanden und Kontakt möglich Import mit Arthropodenwirt Endemisierung möglich, wenn geeigneter Säuger-/Vogelwirt vorhanden und Etablierung des Arthropodenwirtes möglich Endemisierung möglich, wenn geeigneter Säuger-/Vogelwirt vorhanden und Übertragung auf einen einheimische kompetenten Arthropodenwirt möglich Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Verbreitung der Vektoren und der von Vektoren übertragenen Viren ist nicht statisch! Mögliche Wirkung klimatischer Veränderungen auf Vektoren und Viren: – Etablierung in neuen Gebieten – Befall anderer („neuer“) Wirte – Nutzung neuer Reservoire – Evolution Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit N.B.: Ausbreitung von Infektionskrankheiten werden von verschiedenen Faktoren in ihrer Kombination beeinflusst. Vorhersagen zuverlässig? Fernreiseverkehr und internationaler Handel spielen die Hauptrolle bei der sprunghaften Weiterverbreitung von Vektoren und Krankheitserregern! Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Klimaerwärmung: Neue Vektoren und neue Krankheiten? Ja, höchstwahrscheinlich, vorbereiten müssen wir uns! Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Also: 1. klassische biologische Grundlagenforschung finanzieren und fördern 2. Untersuchungsmethoden etablieren 3. Monitorings durchführen 4. Einfuhruntersuchungen intensivieren 5. Risikoanalysen mit umfassenden Daten durchführen (Wer hat an BT geglaubt???) 6. Maßnahmen planen: – Habitatmanagement – Informationsaufbereitung – professionelle Schädlingsbekämpfung überhaupt möglich?