V Vorlesung Einführung in die Klinische Entwicklungsepidemiologie Ringvorlesung Forschungs- und Anwendungsfelder der Klinischen Psychologie 17.10.2016, Dr. Eva Asselmann Die heutige Veranstaltung Worum geht’s? • Einführung in die klinische Entwicklungsepidemiologie • Erläuterung wesentlicher Fragestellungen, Aufgaben, Ziele, Merkmale und Methoden • Informationen zu Prävalenzen, Inzidenzen und Risikofaktoren für Angststörungen • Studienbeispiele zur Untersuchung spezifischer Risikofaktoren Die heutige Veranstaltung Lernziele • Überblick über die Themenschwerpunkte der Klinischen Entwicklungsepidemiologie • Kenntnis wesentlicher Begriffe, Definitionen und Merkmale • Wissen bzgl. Prävalenz, Beginn und Verlauf von Angststörungen • Kenntnis wichtiger Risikofaktoren für Angststörungen und Einblicke, wie man diese untersuchen kann 2/ 3 aller Lebenszeitfälle haben Beginn im Kindes- oder Jugendalter Schwangerschaft/Geburt Kindesalter Jugendalter Erwachsenenalter Kategoriale Klassifikation psychischer Störungen Klassische Klassifikationsverfahren (ICD/ DSM) Wenige Aussagen zu Entwicklungsaspekten Altersgrenzen zur Bestimmung von altersentspechendem vs. abweichendem Verhalten sind ungenau definiert Frühkindliche Störungen der ersten drei Lebensjahre werden nicht dargestellt Definitionskriterien für psychische Störung im Kindes- und Jugendalter • Subjektiver Leidensdruck? NEIN (Kleinkinder können dies z.B. häufig noch nicht artikulieren). • Beeinträchtigung der sozialen Umgebung? NEIN (unterschiedliche Toleranzschwellen) • Selbst- oder Fremdgefährdung? NEIN (nur bei einigen Störungen relevant) • Störung = Abweichung von Entwicklungsnorm? NEIN (vgl. z.B. Hochbegabung) Beeinträchtigung alterstypische Entwicklungsaufgaben zu bewältigen Klinische Entwicklungsepidemiologie Thematische Schwerpunkte • Entwicklung psychischer Gesundheit und psychischer Störungen über die Lebensspanne • Vorläufer und Frühindikatoren psychischer Störungen • Risiko- und Schutzfaktoren in verschiedenen Entwicklungsphasen • Zugrundeliegende Mechanismen Klinische Entwicklungsepidemiologie Merkmale • Überschneidung verschiedener Forschungsbereiche: Klassische Entwicklungstheorie Klinische Psychologie Epidemiologie • Wesentliche Aspekte: Entwicklungsorientiert Biopsychosozialer Ansatz Normalitäts-Abnormalitäts-Kontinuum Klinische Entwicklungsepidemiologie Studiendesigns • Querschnitt vs. Längsschnitt • Experimentell vs. nicht experimentell • Kohortenstudie • Fallkontrollstudie • Interventionsstudie • Hybrides Design (mehrstufig, nested) Klinische Entwicklungsepidemiologie Zentrale Begriffe • Prävalenz • Inzidenz • Risiko - Wahrscheinlichkeit eines Outcomes • Korrelat - Maß, das mit Outcome assoziiert ist • Risikofaktor - Korrelat, das dem Outcome vorausgeht • Kausaler Risikofaktor - Korrelat, das, wenn es verändert wird, das Outcome verändert Klinische Entwicklungsepidemiologie Prävalenzen in Quer- und Längsschnittstudien • Deutlich höhere Lebenszeit-Prävalenzen in Längsschnitt- als in Querschnittstudien • Problem: Erinnerungsverzerrungen in Querschnittstudien führen zu Unterschätzung der wahren Prävalenz v.a. bei Personen mit leichter Symptomatologie oder kurzen/ einzelnen Episoden Klinische Entwicklungsepidemiologie Nutzen und Ziele • Erkenntnistransfer auf andere Forschungsbereiche Hypothesengenerierung Design-/ Variablenauswahl Generierung repräsentativer (Sub-)Stichproben • Konzeption von Interventionsstudien Klinische Entwicklungsepidemiologie Nutzen und Ziele • Gezielte Intervention in frühen Entwicklungsstadien psychischer Störungen Beeinträchtigung/ Kosten Gezielte Behandlung Gezielte Prävention Kindheit/ Adoleszenz Erwachsenenalter Klinische Entwicklungsepidemiologie Nutzen und Ziele • Anwendungsfelder: Gesundheitsförderung und Prävention Psychotherapie Rehabilitation Entwicklungs- und familienorientierte Intervention Kleinkindalter Schulalter Adoleszenz Erwachsenenalter Entwicklungsepidemiologie der Angststörungen Was ist Angst? • Basisemotion Typischerweise nicht pathologisch In vielen Situationen adaptiv und überlebenswichtig • Furcht und Ängste manifestieren sich im Rahmen der normativen Entwicklung Unterscheidung von normaler vs. pathologischer Angst v.a. bei Kindern schwierig • Angst wird maladaptiv, wenn sie … übermäßig häufig, stark oder persistierend auftritt … mit wesentlicher Verhaltensänderung oder Beeinträchtigung des Funktionsniveaus einhergeht Entwicklungsepidemiologie der Angststörungen Normative Ängste im Kindes- und Jugendalter • 0-6 Monate: Intensive Sinnesreize, Verlust von Zuwendung • 6-12 Monate: Fremde Menschen, Trennung von Bezugspersonen • 2-4 Jahre: Dunkelheit, Fantasiekreaturen, Einbrecher • 5-7 Jahre: Naturkatastrophen (Feuer/Überschwemmung), Verletzungen, Tiere • 8-11 Jahre: Schlechte schulische/ sportliche Leistungen • 12-18 Jahre: soziale Ablehnung Entwicklungsepidemiologie der Angststörungen Was kennzeichnet Angststörungen? • Extensive Furcht oder Angst und damit verbundene Verhaltensänderung • Furcht: Reaktion auf reale oder wahrgenommene unmittelbare Bedrohung • Angst: Antizipation von realer oder wahrgenommener zukünftiger Bedrohung • Leiden und Beeinträchtigung der alltäglichen Lebensführung Entwicklungsepidemiologie der Angststörungen Welche Angststörungen gibt es? • Trennungsangststörung • Spezifische Phobien • Soziale Angststörung • Panikstörung • Agoraphobie • Generalisierte Angststörung • Krankheitsangststörung • U.a. • sehr heterogene Störungsgruppe Entwicklungsepidemiologie der Angststörungen Prävalenzen • Angststörungen gehören zu der häufigsten psychischen Störungen überhaupt und sind mit hohem Leiden/ Beeinträchtigung verbunden • Erwachsene: Lebenszeitprävalenz bis zu 30 % 12-Monats-Prävalenz ca. 15 % • Kinder- und Jugendliche: Häufigstes psychopathologisches Phänomen Lebenszeitprävalenz bereits ca. 15-20 % Entwicklungsepidemiologie der Angststörungen Inzidenzen • Befunde retrospektiver Querschnittstudien: Beginn in der späten Adoleszenz und im Erwachsenenalter • Befunde prospektiv-longitudinaler Studien: Erstauftreten meist sehr viel früher • Subklinische Angstsymptome treten oftmals noch früher auf Z.B. Fearful Spells und Panikattacken Entwicklungsepidemiologie der Angststörungen Inzidenzen EDSP-Studie: Age-of-Onset-Kurven für versch. Angststörungen Entwicklungsepidemiologie der Angststörungen Angst im höheren Lebensalter • Geringere Prävalenzen (> 65-Jährige: Punktprävalenz ca. 3-14 %) • Erstauftreten im höheren Lebensalter eher selten • Aber häufig subklinische und altersspezifische Ängste (Angst zu fallen, Angst, anderen eine Last zu sein, etc.) • Hohe Relevanz von medizinischen Krankheitsfaktoren und neuropsychologischen Aspekten Entwicklungsepidemiologie der Angststörungen Störungsverläufe Verläufe von Angststörungen Klinische und Querschnittsstudien • Hohe Persistenz und Chronizität • National Comorbidity Survey Adolescent Supplement (Kessler, 2012) Indirekte Schätzung der Persistenz über 12 Month to Lifetime Prevalence Ratios Hohe Prevalence Ratios für alle Angststörungen (ausgenommen Trennungsangst) Höhere Persistenzen für Angst- als für depressive und Substanzstörungen Verläufe von Angststörungen Längsschnittstudien • Konsistente Befunde für hohe homo- und heterotypische Kontinuität über verschiedene Zeitpunkte im Kindes-, Jungend- und Erwachsenenalter • Homotypische Kontinuität: Vorliegen einer Störung sagt Vorliegen derselben Störung zu späterem Zeitpunkt vorher • Heterotypische Kontinuität: Vorliegen einer Störung sagt Vorliegen einer anderen Störung zu späterem Zeitpunkt vorher • Heterotypische Kontinuität v.a. für Angst- und (nachfolgende) depressive Störungen Verläufe von Angststörungen Längsschnittstudien • Aber: Oft erfüllt nur eine Minderheit von Personen die Kriterien derselben Störung über verschiedene Zeitpunkte hinweg • Symptome oszillieren häufig um die diagnostische Schwelle • Allgemein keine typischen Verlaufsmuster Verläufe von Angststörungen Stabilität und Remission • Oftmals nur geringe bis moderate Stabilität gefunden, mögliche Ursachen: Remission Heterotypische Kontinuität • Remissionswahrscheinlichkeit wird tendenziell überschätzt sinkt mit zunehmender Symptomschwere sinkt bei Vorhandensein komorbider anderer psychischer Störungen oder körperlicher Erkrankungen • Anteil „reiner“ Angststörungen sinkt mit zunehmenden Lebensalter Verläufe von Angststörungen Befunde der EDSP-Studie • Emmelkamp et al. (2009): 41% aller Personen mit spezifischer Phobie zu Baseline erhielten dieselbe Diagnose zum Follow-Up Nur bei 10% lag zum Follow-Up keine psychische Störung vor • Bittner et al. (2004): Irgendeine Angststörung sowie jede der eingeschlossenen spezifischen Angststörungen zu Baseline sagten inzidente Depression zum Follow-Up vorher Verläufe von Angststörungen Studie Colman et al. (2007) • Medical Research Council National Survey of Health and Development • Identifikation verschiedener Verläufe von Angst- und depressiven Symptomen: Keine Symptome (44.8%) Moderate Symptome mit Beginn im Erwachsenenalter (11.3%) Wiederholt moderate Symptome (33.6%) Symptome in der Adoleszenz, nicht jedoch im Erwachsenenalter (5.8%) Schwere Symptome mit Beginn im Erwachsenenalter (2.9%) Wiederholt schwere Symptome (1.7%) Verläufe von Angststörungen Studie Olino et al. (2010) • Prospektive Untersuchung von Angst- und depressiven Störungen vom Jugend- bis ins Erwachsenenalter (N=1635) • Identifikation folgender Verlaufsgruppen für Angst- und depressive Störungen: Konsistent geringes Risiko für Angst und Depression (65.1%) Anfänglich hohes, jedoch abnehmendes Risiko für Angststörungen (5.5%) Zunehmendes Risiko für Depression (22.8%) Zunehmendes Risiko für Depression und später Beginn von Angststörungen (3.7%) Persistierende Angststörung (2.1%) Persistierende Depression (1.3%) Risikofaktoren für Angststörungen Überblick • Demographische Faktoren • Individuelle Faktoren • Familiäre Faktoren • Umweltbezogene Faktoren Risikofaktoren für Angststörungen Weibliches Geschlecht • Mädchen und Frauen erkranken 2 bis 3 mal häufiger an Angststörungen als Jungen und Männer • Geschlechtsunterschiede bereits in jungen Stichproben sichtbar Nehmen in der Adoleszenz und im jungen Erwachsenenalter zu (Hochrisikophase) • Geschlechtsunterschiede in klinischen Stichproben weniger stark ausgeprägt Risikofaktoren für Angststörungen (Weitere) demographische Merkmale • Geringer sozioökonomischer Status • Geringere Bildung • Geringes Haushaltseinkommen/ schlechte finanzielle Situation • Aber: Eher distale Risikofaktoren Risikofaktoren für Angststörungen Familiäre Transmission • Familienstudien: Erhöhtes Risiko für Angststörungen bei Kindern mit elterlichen Angststörungen Evidenz für moderat spezifisch Assoziationen • Zwillingsstudien: Moderate Heritabilität für Angststörungen (ca. 30-40 %) Teilweise geteiltes genetisches Risiko für verschiedene spezifische Angststörung sowie für Angst- (insbesondere GAS) und depressive Störungen Hohe Relevanz umweltbedingter Faktoren Risikofaktoren für Angststörungen Ungünstiger elterlicher Erziehungsstil • Unterscheidung drei wesentlicher Dimensionen Ablehnung/ Bestrafung Überbehütung/ Kontrolle Geringe elterliche Wärme • Teilweise Befunde, dass insbesondere elterliche Überbehütung und exzessive Kontrolle das Risiko für Angststörungen erhöhen • Aber: Komplexe bidirektionale Zusammenhänge zwischen elterlichem Erziehungsstil und Temperament/Persönlichkeit des Kindes Risikofaktoren für Angststörungen Interaktionen zwischen elterlicher Psychopathologie und elterlichem Verhalten • Knappe et al. (2009) Stärkere Assoziation zwischen ungünstigem Erziehungsverhalten und sozialer Phobie bei Vorhandensein elterlicher Sozialphobie • Leckman-Westin et al. (2009) Mütterliche depressive Symptome sagen internalisierendes und externalisierendes Verhalten nur bei Mutter-KindDyaden mit ungünstigen Interaktionsmustern vorher Familiäre Risikofaktoren für Angststörungen Studienbeispiel Fragestellung: Welche Merkmale der Mutter-Kind-Beziehung sagen die Entwicklung psychischer Störungen bei Kindern mit und ohne mütterlicher Psychopathologie vorher? Asselmann, E., Wittchen, H.-U., Lieb, R. & Beesdo-Baum, K. (2015). The role of the mother-child relationship for anxiety and depressive disorders: results from a prospective-longitudinal study in adolescents and their mothers. European Child and Adolescent Psychiatry, 24(4), 451-461. Studienbeispiel Theoretischer Hintergrund Teilweise Befunde, dass… 1. mütterliche Überbehütung/ Kontrolle und verwandte Konstrukte insbesondere mit Angststörungen assoziiert sind 2. mütterliche Ablehnung/ Bestrafung, geringe Wärme und verwandte Konstrukte insbesondere mit depressiven Störungen assoziiert sind 3. ungünstige mütterliche Verhaltensweisen psychische Störungen des Kindes insbesondere bei gleichzeitigem Vorhandensein mütterlicher Psychopathologie vorhersagen Studienbeispiel Fragestellungen • Ist geringe individuelle Autonomie des Kindes innerhalb der Mutter-Kind-Beziehung ein spezifischer Risikofaktor für Angststörungen des Kindes? • Ist geringe emotionale Verbundenheit des Kindes innerhalb der Mutter-Kind-Beziehung ein spezifischer Risikofaktor für depressive Störungen des Kindes? • Welche Rolle spielen mütterliche Angst- und depressive Störungen für diese Assoziationen? Studienbeispiel Methoden • Stichprobe: Teilstichprobe der EDSP-Studie Jüngere Kohorte (N=1,015) • Erfassung von Angst- und depressiven Störungen Munich Composite International Diagnostic Interview (M-CIDI) (Wittchen & Pfister, 1997) Probanden: Alle Wellen; Mütter: T1 und T3 • Erfassung der Mutter-Kind-Beziehung Subjektives Familienbild (Mattejat & Scholz, 1994) Studienbeispiel Das Subjektive Familienbild • Beurteilung der emotionalen Verbundenheit und individuellen Autonomie von Mutter und Kind innerhalb der Mutter-KindBeziehung • Semantisches Differenzial, 6 Adjektivpaare, Rating von -3 bis +3 • Emotionale Verbundenheit: verständnisvoll - intolerant interessiert - uninteressiert warmherzig - kühl • Individuelle Autonomie selbständig - unselbständig entschieden - unentschlossen sicher - ängstlich Studienbeispiel Ergebnisse • „Einfache“ Outcomes: Geringe individuelle Autonomie des Kindes ist mit Angststörungen des Kindes assoziiert Geringe emotionale Verbundenheit des Kindes ist mit depressiven Störungen des Kindes assoziiert • 4 Gruppen: Geringe individuelle Autonomie des Kindes ist mit komorbiden Angst- und depressiven Störungen des Kindes assoziiert Geringe emotionale Verbundenheit des Kindes ist mit „reinen“ depressiven Störungen des Kindes assoziiert Studienbeispiel Ergebnisse • Geringe individuelle Autonomie und mütterliche Angst interagieren bei der Vorhersage kindlicher depressiver Störungen Studienbeispiel Schlussfolgerungen und Fazit • Hinweis auf moderat spezifische Assoziationen zwischen einzelnen Merkmalen der Mutter-Kind-Beziehungen und Angst- vs. depressiven Störungen • Teils komplexe Wechselbeziehungen mit mütterlichen Angstund depressiven Störungen • Limitationen: Verwendung aggregierter Daten Indirekte Beurteilung der Mutter-Kind-Beziehung durch die Mutter Risikofaktoren für Angststörungen Stressreiche Lebensereignisse • Zusammenhang zwischen stressreichen bzw. traumatischen Lebensereignissen und Angststörungen konsistent belegt Trennungs- und Verlustereignisse Gefahrereignisse Traumatische Ereignisse Anhaltende Belastungen Daily Hassles Erlebnisse in der Kindheit vs. im Erwachsenenalter • Existieren spezifische Assoziationen zwischen bestimmten Ereignistypen und einzelnen psychischen Störungen? Familiäre Risikofaktoren für Angststörungen Studienbeispiel Fragestellung: Welche Rolle spielen verschiedene Arten von Lebensereignissen für die Entwicklung von Angst- vs. depressiven Störungen? Asselmann, E., Wittchen, H.-U., Lieb, R., Höfler, M. & Beesdo-Baum, K. (2015). Danger and loss events and the incidence of anxiety and depressive disorders. A prospective-longitudinal community study of adolescents and young adults. Psychological Medicine, 45(1), 153-63. Studienbeispiel Theoretischer Hintergrund • Studie Finlay-Jones & Brown (1981) Untersuchten 164 Patientinnen einer Hausarztpraxis in London • Befund Spezifische Assoziationen zwischen schweren Verlustereignissen und inzidenter Depression Spezifische Assoziationen zwischen schweren Gefahrereignissen und inzidenter Angst • Aber: Spezifische Assoziation zwischen Gefahrereignissen und Angst nur innerhalb von 3 Monaten vor Störungsbeginn Gefahr und Verlust waren beide mit komorbider Angst und Depression assoziiert Methodische Schwächen Studienbeispiel Fragestellungen • Sind Gefahrereignisse spezifische Risikofaktoren für inzidente Angst-, nicht aber depressive Störungen? • Sind Verlustereignisse spezifische Risikofaktoren für inzidente depressive, nicht aber Angststörungen? • Haben Personen mit „Mischereignissen“ bzw. sowohl Gefahrals auch Verlustereignissen ein erhöhtes Risiko für komorbide Angst- und depressive Störungen? Studienbeispiel Methoden • Stichprobe: Teilstichprobe der EDSP-Studie • Erfassung von Angst- und depressiven Störungen Munich Composite International Diagnostic Interview (M-CIDI) • Erfassung von Gefahr- und Verlustereignissen Münchner Ereignisliste (T0) und Expertenrating NLE Inzidente Störungen 10 Jahre 5 Jahre T0 T1 T2 T3 Studienbeispiel Methoden • Stichprobe: Teilstichprobe der EDSP-Studie • Erfassung von Angst- und depressiven Störungen Munich Composite International Diagnostic Interview (M-CIDI) • Erfassung von Lebensereignissen Münchner Ereignisliste (T0) (Wittchen & Maier-Diewald, 1983) Expertenrating Studienbeispiel Die Münchner Ereignisliste • Erfasst positive und negative Lebensereignisse und chronische Lebensbedingungen aus 11 Lebensbereichen Schule, Haushalt, Familie, Freizeit usw. 83 Items (74 spezifische Ereignisse, offene Antwortkategorien) Studienbeispiel Expertenrating • N = 21 Rater • Verlustereignisse Tod/ Trennung von einer nahestehenden Person Verlust der körperlichen Gesundheit Verlust des Arbeitsplatzes/ Karrieremöglichkeiten Verlust materieller Dinge • Gefahrereignisse Ereignisse, die mit hoher Wahrscheinlichkeit spätere Probleme triggern • Rating von 1 (gering(r) Verlust/ Gefahr) bis 6 (extreme(r) Verlust/ Gefahr) • Einteilung in reine Gefahr-, reine Verlust- und Michereignisse Studienbeispiel Methoden NLE Inzidente Störungen 10 Jahre 5 Jahre T0 T1 T2 T3 Studienbeispiel Ergebnisse • Reine Verlustereignisse: Sagen Inzidenz „reiner“ Depression vorher • Reine Gefahrereignisse: Sagen Inzidenz „reiner“ Angst und „reiner“ Depression vorher • Mischereignisse: Sagen Inzidenz „reiner“ Angst, „reiner“ Depression und komorbider Angst und Depression vorher Asselmann et al. (2014) Studienbeispiel Schlussfolgerungen und Fazit • Hinweis auf moderat spezifische Assoziationen zwischen Gefahr- vs. Verlustereignissen und Angst- vs. depressiven Störungen • Limitationen: Teils lange Zeitintervalle zwischen Lebensereignissen und inzidenten Störungen Subjektives Erleben der Ereignisse nicht mit einbezogen Risikofaktoren für Angststörungen Temperament und Persönlichkeit • Behavioral Inhibition • Harm Avoidance • Neurotizismus • Intraversion • Negative/positive Affektivität • Tripartite Model Negative Affektivität erhöht Vulnerabilität für Angst und Depression Geringe positive Affektivität erhöht Vulnerabilität für Depression Physiologische Übererregung erhöht Vulnerabilität für Angst Familiäre Risikofaktoren für Angststörungen Studienbeispiel Fragestellung: Welche Rolle spielt geringe Coping-Erwartung für den Zusammenhang zwischen negativen Lebensereignissen und inzidenten psychischen Störungen? Asselmann, E., Wittchen, H.-U., Lieb, R., Höfler, M. & Beesdo-Baum, K. (2016). Does low coping efficacy mediate the association between negative life events and incident psychopathology? A prospective-longitudinal community study of adolescents and young adults. Epidemiology and Psychiatric Sciences. , 25(2), 171-180. Studienbeispiel Theoretischer Hintergrund • Coping-Erwartung Überzeugung, Kontrolle über möglicherweise bedrohliche Stimuli/Situationen zu haben und diese bewältigen zu können (Bandura, 1977) • Conception of self-efficacy (Bandura, 1977) Personen mit geringer Coping-Erwartung erleben Stressoren als unkontrollierbar Stress Psychische Störungen • Theory of learned helplessness (Abramson et al., 1978) Unkontrollierbarkeit Hilflosigkeit Depression Studienbeispiel Theoretischer Hintergrund • Geringe Selbstwirksamkeit ist mit Angst-, depressiven und Substanzstörungen assoziiert (z.B. Muris, 2002; Ehrenberg et al., 1991; Taneichi et al., 2013) • Geringe Selbstwirksamkeit erklärt Assoziation zwischen negativen Lebensereignissen und depressiven Symptomen (Maciejewski et al., 2000) • geringe Selbst-Management-Selbstwirksamkeit erklärt Assoziation zwischen Stress und depressiven Symptomen (Sawatzky et al., 2012) Studienbeispiel Fragestellungen • Sind negative Lebensereignisse und geringe Coping-Erwartung Risikofaktoren für die Entwicklung von Angst-, depressiven und Substanz-Störungen? • Werden die Assoziationen zwischen negativen Lebensereignissen und psychischen Störungen durch geringe Coping-Erwartung mediiert? Studienbeispiel Methoden • EDSP-Stichprobe • Erfassung von Angst-, depressiven und Substanzstörungen Munich Composite International Diagnostic Interview (M-CIDI) (Wittchen & Pfister, 1997) • Erfassung von negativen Lebensereignissen Münchner Ereignisliste (T0) (Wittchen & Maier-Diewald, 1983) • Erfassung der Coping-Erwartung Skala zur Erfassung von Problembewältigungskompetenzen (T0) (Perkonigg & Wittchen, 1995) Studienbeispiel Die Skala zur Erfassung von Problembewältigungskompetenzen • „Wie überzeugt sind Sie, in den nächsten 6 Monaten auftretende Schwierigkeiten und Probleme in den folgenden Bereichen zu bewältigen, d.h. in den Griff zu bekommen?“ • „Ich bin überzeugt, dass ich Schwierigkeiten und Probleme bezüglich XXX bewältigen kann“ Finanzen, Wohnsituation, Freizeit, Schule/ Arbeit, Freunde/ Bekannte, Partner, Eltern, körperliche/ seelische Gesundheit, Drogen, Rauchen • Rating von 0 (gar nicht) bis 4 (sehr) Studienbeispiel Methoden NLE Coping-Erwartung Inzidente Störungen 10 Jahre 5 Jahre T0 T1 T2 T3 Studienbeispiel Ergebnisse • NLE sagen inzidente Angst-, depressive und Substanzstörungen vorher, ausgenommen Soziale Phobie und Alkohol-Missbrauch/Abhängigkeit 12.0 NLE (M) 10.0 8.0 * * * * * * - * * * * * * * * 6.0 4.0 no dx dx * * Studienbeispiel Ergebnisse • Geringe Coping-Erwartung sagt inzidente Angst-, depressive und Substanzstörungen vorher, ausgenommen Panikstörung und Soziale Phobie Coping-Erwartung (M) 1.5 1.3 1.1 0.9 * * - * * * * * * * * * * * * * * * * 0.7 no dx dx Studienbeispiel Ergebnisse • Assoziationen zwischen NLE und depressiven Störungen werden bei Adjustierung für geringe Coping-Erwartung reduziert (1) (2) (3) (4) NLE 9.46% Geringe CE Irgendeine Störung NLE 13.39% Geringe CE Any Depression NLE 12.65% Geringe CE Major Depression NLE 17.31% Geringe CE Dysthymie Studienbeispiel Schlussfolgerungen und Fazit • Sowohl negative Lebensereignisse als auch geringe CopingErwartungen sagen zahlreiche psychische Störungen vorher • Der Zusammenhang zwischen negativen Lebensereignissen und depressiven Störungen wird teilweise durch eine reduzierte Coping-Erwartung erklärt • Aber: Teils lange Zeitintervalle zwischen Lebensereignissen/ Erfassung der Copingerwartung und inzidenten psychischen Störungen Zusammenfassung Was nehmen Sie heute mit? • Die klinische Entwicklungsepidemiologie befasst sich mit entwicklungsbezogenen Fragestellungen im Bereich der Epidemiologie psychischer Störungen • Ziele sind eine verbesserte Kenntnis der Entstehungsbedingungen psychischer Störungen, insbesondere im Kindes- und Jugendalter und v.a. auf Basis prospektiv-longitudinaler Designs • Darauf aufbauend können Implikationen für weitere Untersuchungen sowie Präventions- und Interventionsmaßnahmen abgeleitet werden Zusammenfassung Was nehmen Sie heute mit? • Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen überhaupt und sind gekennzeichnet durch ein hohes Ausmaß an Leiden und Beeinträchtigung • Charakteristisch ist ein meist früher Beginn im Kindes- oder Jugendalter • Tendenziell hohe Persistenz, aber: Symptome oszillieren häufig um die diagnostische Schwelle Sehr heterogene Störungsgruppe, DEN Verlauf gibt es nicht • Vielfältige individuelle, familiäre und umweltbezogene Risikofaktoren Zusammenfassung Sie kennen: • Zentrale Begriffe, Definitionen und Fakten zur klinischen Entwicklungsepidemiologie Aufgaben, Ziele, Fragestellungen Merkmale Methoden, Designs Anwendungsbereiche • Wichtige entwicklungsepidemiologische Befunde zu Angststörungen Prävalenzen, Inzidenzen, Verlaufsmerkmale Individuelle, familiäre und umweltbezogene Risikofaktoren Exemplarische Studien zur Untersuchung einzelner Risikofaktoren Ausblick Was erwartet Sie kommende Woche? 24.10.16 - Dr. L. Pieper: Einblicke in die Arbeit am CELOS-Center anhand ausgewählter Forschungsprojekte Fragen? Anmerkungen? 72 Literatur • Wittchen, H. U., & Jacobi, F (2011). Epidemiologische Beiträge zur Klinischen Psychologie. In H.U. Wittchen & J. Hoyer. (Eds.), Klinische Psychologie & Psychotherapie (pp. 57-90). Heidelberg: Springer. • In-Albon, T. & Margraf, J. (2011). Panik und Agoraphobie. In H.U. Wittchen & J. Hoyer. (Eds.), Klinische Psychologie & Psychotherapie (pp. 915-936). Heidelberg: Springer. • Hoyer, J. & Beesdo-Baum, K. (2011). Generalisierte Angststörung. In H.U. Wittchen & J. Hoyer. (Eds.), Klinische Psychologie & Psychotherapie (pp. 937-952). Heidelberg: Springer. • Fehm, L. & Knappe, S. (2011). Soziale Phobie. In H.U. Wittchen & J. Hoyer. (Eds.), Klinische Psychologie & Psychotherapie (pp. 953-970). Heidelberg: Springer. • Becker, E. S. (2011). Spezifische Phobien. In H.U. Wittchen & J. Hoyer. (Eds.), Klinische Psychologie & Psychotherapie (pp. 971-984). Heidelberg: Springer. Danke für Ihre Aufmerksamkeit! 74