02. Klinische Entwicklungsepidemiologie

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V
Vorlesung
Einführung in die Klinische
Entwicklungsepidemiologie
Ringvorlesung Forschungs- und Anwendungsfelder
der Klinischen Psychologie
17.10.2016, Dr. Eva Asselmann
Die heutige Veranstaltung
Worum geht’s?
• Einführung in die klinische Entwicklungsepidemiologie
• Erläuterung wesentlicher Fragestellungen, Aufgaben, Ziele,
Merkmale und Methoden
• Informationen zu Prävalenzen, Inzidenzen und Risikofaktoren
für Angststörungen
• Studienbeispiele zur Untersuchung spezifischer
Risikofaktoren
Die heutige Veranstaltung
Lernziele
• Überblick über die Themenschwerpunkte der Klinischen
Entwicklungsepidemiologie
• Kenntnis wesentlicher Begriffe, Definitionen und Merkmale
• Wissen bzgl. Prävalenz, Beginn und Verlauf von
Angststörungen
• Kenntnis wichtiger Risikofaktoren für Angststörungen und
Einblicke, wie man diese untersuchen kann
2/ 3 aller Lebenszeitfälle haben Beginn
im Kindes- oder Jugendalter
Schwangerschaft/Geburt
Kindesalter
Jugendalter
Erwachsenenalter
Kategoriale Klassifikation psychischer Störungen
Klassische Klassifikationsverfahren (ICD/ DSM)
Wenige Aussagen zu Entwicklungsaspekten
Altersgrenzen zur Bestimmung von altersentspechendem vs.
abweichendem Verhalten sind ungenau definiert
Frühkindliche Störungen der ersten drei
Lebensjahre werden nicht dargestellt
Definitionskriterien für psychische Störung
im Kindes- und Jugendalter
• Subjektiver Leidensdruck?
 NEIN (Kleinkinder können dies z.B. häufig noch nicht artikulieren).
• Beeinträchtigung der sozialen Umgebung?
 NEIN (unterschiedliche Toleranzschwellen)
• Selbst- oder Fremdgefährdung?
 NEIN (nur bei einigen Störungen relevant)
• Störung = Abweichung von Entwicklungsnorm?
NEIN (vgl. z.B. Hochbegabung)
 Beeinträchtigung alterstypische Entwicklungsaufgaben zu bewältigen
Klinische Entwicklungsepidemiologie
Thematische Schwerpunkte
• Entwicklung psychischer Gesundheit und psychischer
Störungen über die Lebensspanne
• Vorläufer und Frühindikatoren psychischer Störungen
• Risiko- und Schutzfaktoren in verschiedenen
Entwicklungsphasen
• Zugrundeliegende Mechanismen
Klinische Entwicklungsepidemiologie
Merkmale
• Überschneidung verschiedener Forschungsbereiche:
Klassische Entwicklungstheorie
Klinische Psychologie
Epidemiologie
• Wesentliche Aspekte:
Entwicklungsorientiert
Biopsychosozialer Ansatz
Normalitäts-Abnormalitäts-Kontinuum
Klinische Entwicklungsepidemiologie
Studiendesigns
• Querschnitt vs. Längsschnitt
• Experimentell vs. nicht experimentell
• Kohortenstudie
• Fallkontrollstudie
• Interventionsstudie
• Hybrides Design (mehrstufig, nested)
Klinische Entwicklungsepidemiologie
Zentrale Begriffe
• Prävalenz
• Inzidenz
• Risiko - Wahrscheinlichkeit eines Outcomes
• Korrelat - Maß, das mit Outcome assoziiert ist
• Risikofaktor - Korrelat, das dem Outcome vorausgeht
• Kausaler Risikofaktor - Korrelat, das, wenn es verändert wird,
das Outcome verändert
Klinische Entwicklungsepidemiologie
Prävalenzen in Quer- und Längsschnittstudien
• Deutlich höhere Lebenszeit-Prävalenzen in Längsschnitt- als
in Querschnittstudien
• Problem:
Erinnerungsverzerrungen in Querschnittstudien führen zu
Unterschätzung der wahren Prävalenz
v.a. bei Personen mit leichter Symptomatologie oder
kurzen/ einzelnen Episoden
Klinische Entwicklungsepidemiologie
Nutzen und Ziele
• Erkenntnistransfer auf andere Forschungsbereiche
Hypothesengenerierung
Design-/ Variablenauswahl
Generierung repräsentativer (Sub-)Stichproben
• Konzeption von Interventionsstudien
Klinische Entwicklungsepidemiologie
Nutzen und Ziele
• Gezielte Intervention in frühen Entwicklungsstadien
psychischer Störungen
Beeinträchtigung/ Kosten
Gezielte
Behandlung
Gezielte
Prävention
Kindheit/ Adoleszenz
Erwachsenenalter
Klinische Entwicklungsepidemiologie
Nutzen und Ziele
• Anwendungsfelder:
Gesundheitsförderung und Prävention
Psychotherapie
Rehabilitation
Entwicklungs- und familienorientierte Intervention
Kleinkindalter
Schulalter
Adoleszenz
Erwachsenenalter
Entwicklungsepidemiologie der Angststörungen
Was ist Angst?
• Basisemotion
Typischerweise nicht pathologisch
In vielen Situationen adaptiv und überlebenswichtig
• Furcht und Ängste manifestieren sich im Rahmen der normativen
Entwicklung
Unterscheidung von normaler vs. pathologischer Angst v.a. bei
Kindern schwierig
• Angst wird maladaptiv, wenn sie
… übermäßig häufig, stark oder persistierend auftritt
… mit wesentlicher Verhaltensänderung oder Beeinträchtigung des
Funktionsniveaus einhergeht
Entwicklungsepidemiologie der Angststörungen
Normative Ängste im Kindes- und Jugendalter
• 0-6 Monate: Intensive Sinnesreize, Verlust von Zuwendung
• 6-12 Monate: Fremde Menschen, Trennung von
Bezugspersonen
• 2-4 Jahre: Dunkelheit, Fantasiekreaturen, Einbrecher
• 5-7 Jahre: Naturkatastrophen (Feuer/Überschwemmung),
Verletzungen, Tiere
• 8-11 Jahre: Schlechte schulische/ sportliche Leistungen
• 12-18 Jahre: soziale Ablehnung
Entwicklungsepidemiologie der Angststörungen
Was kennzeichnet Angststörungen?
• Extensive Furcht oder Angst und damit verbundene
Verhaltensänderung
• Furcht: Reaktion auf reale oder wahrgenommene
unmittelbare Bedrohung
• Angst: Antizipation von realer oder wahrgenommener
zukünftiger Bedrohung
• Leiden und Beeinträchtigung der alltäglichen Lebensführung
Entwicklungsepidemiologie der Angststörungen
Welche Angststörungen gibt es?
• Trennungsangststörung
• Spezifische Phobien
• Soziale Angststörung
• Panikstörung
• Agoraphobie
• Generalisierte Angststörung
• Krankheitsangststörung
• U.a.
•  sehr heterogene Störungsgruppe
Entwicklungsepidemiologie der Angststörungen
Prävalenzen
• Angststörungen gehören zu der häufigsten psychischen
Störungen überhaupt und sind mit hohem Leiden/
Beeinträchtigung verbunden
• Erwachsene:
Lebenszeitprävalenz bis zu 30 %
12-Monats-Prävalenz ca. 15 %
• Kinder- und Jugendliche:
Häufigstes psychopathologisches Phänomen
Lebenszeitprävalenz bereits ca. 15-20 %
Entwicklungsepidemiologie der Angststörungen
Inzidenzen
• Befunde retrospektiver Querschnittstudien:
Beginn in der späten Adoleszenz und im Erwachsenenalter
• Befunde prospektiv-longitudinaler Studien:
Erstauftreten meist sehr viel früher
• Subklinische Angstsymptome treten oftmals noch früher auf
Z.B. Fearful Spells und Panikattacken
Entwicklungsepidemiologie der Angststörungen
Inzidenzen
EDSP-Studie: Age-of-Onset-Kurven für versch. Angststörungen
Entwicklungsepidemiologie der Angststörungen
Angst im höheren Lebensalter
• Geringere Prävalenzen (> 65-Jährige: Punktprävalenz ca. 3-14 %)
• Erstauftreten im höheren Lebensalter eher selten
• Aber häufig subklinische und altersspezifische Ängste
(Angst zu fallen, Angst, anderen eine Last zu sein, etc.)
• Hohe Relevanz von medizinischen Krankheitsfaktoren und
neuropsychologischen Aspekten
Entwicklungsepidemiologie der Angststörungen
Störungsverläufe
Verläufe von Angststörungen
Klinische und Querschnittsstudien
• Hohe Persistenz und Chronizität
• National Comorbidity Survey Adolescent Supplement (Kessler,
2012)
Indirekte Schätzung der Persistenz über 12 Month to Lifetime
Prevalence Ratios
Hohe Prevalence Ratios für alle Angststörungen (ausgenommen
Trennungsangst)
Höhere Persistenzen für Angst- als für depressive und
Substanzstörungen
Verläufe von Angststörungen
Längsschnittstudien
• Konsistente Befunde für hohe homo- und heterotypische
Kontinuität über verschiedene Zeitpunkte im Kindes-,
Jungend- und Erwachsenenalter
• Homotypische Kontinuität: Vorliegen einer Störung sagt
Vorliegen derselben Störung zu späterem Zeitpunkt vorher
• Heterotypische Kontinuität: Vorliegen einer Störung sagt
Vorliegen einer anderen Störung zu späterem Zeitpunkt
vorher
• Heterotypische Kontinuität v.a. für Angst- und (nachfolgende)
depressive Störungen
Verläufe von Angststörungen
Längsschnittstudien
• Aber: Oft erfüllt nur eine Minderheit von Personen die
Kriterien derselben Störung über verschiedene Zeitpunkte
hinweg
• Symptome oszillieren häufig um die diagnostische Schwelle
• Allgemein keine typischen Verlaufsmuster
Verläufe von Angststörungen
Stabilität und Remission
• Oftmals nur geringe bis moderate Stabilität gefunden,
mögliche Ursachen:
Remission
Heterotypische Kontinuität
• Remissionswahrscheinlichkeit
wird tendenziell überschätzt
sinkt mit zunehmender Symptomschwere
sinkt bei Vorhandensein komorbider anderer psychischer Störungen oder
körperlicher Erkrankungen
• Anteil „reiner“ Angststörungen sinkt mit zunehmenden
Lebensalter
Verläufe von Angststörungen
Befunde der EDSP-Studie
• Emmelkamp et al. (2009):
41% aller Personen mit spezifischer Phobie zu Baseline
erhielten dieselbe Diagnose zum Follow-Up
Nur bei 10% lag zum Follow-Up keine psychische Störung vor
• Bittner et al. (2004):
Irgendeine Angststörung sowie jede der eingeschlossenen
spezifischen Angststörungen zu Baseline sagten inzidente
Depression zum Follow-Up vorher
Verläufe von Angststörungen
Studie Colman et al. (2007)
• Medical Research Council National Survey of Health and
Development
• Identifikation verschiedener Verläufe von Angst- und depressiven
Symptomen:
Keine Symptome (44.8%)
Moderate Symptome mit Beginn im Erwachsenenalter (11.3%)
Wiederholt moderate Symptome (33.6%)
Symptome in der Adoleszenz, nicht jedoch im Erwachsenenalter (5.8%)
Schwere Symptome mit Beginn im Erwachsenenalter (2.9%)
Wiederholt schwere Symptome (1.7%)
Verläufe von Angststörungen
Studie Olino et al. (2010)
• Prospektive Untersuchung von Angst- und depressiven
Störungen vom Jugend- bis ins Erwachsenenalter (N=1635)
• Identifikation folgender Verlaufsgruppen für Angst- und
depressive Störungen:
Konsistent geringes Risiko für Angst und Depression (65.1%)
Anfänglich hohes, jedoch abnehmendes Risiko für Angststörungen (5.5%)
Zunehmendes Risiko für Depression (22.8%)
Zunehmendes Risiko für Depression und später Beginn von Angststörungen
(3.7%)
Persistierende Angststörung (2.1%)
Persistierende Depression (1.3%)
Risikofaktoren für Angststörungen
Überblick
• Demographische Faktoren
• Individuelle Faktoren
• Familiäre Faktoren
• Umweltbezogene Faktoren
Risikofaktoren für Angststörungen
Weibliches Geschlecht
• Mädchen und Frauen erkranken 2 bis 3 mal häufiger an
Angststörungen als Jungen und Männer
• Geschlechtsunterschiede bereits in jungen Stichproben
sichtbar
Nehmen in der Adoleszenz und im jungen Erwachsenenalter zu
(Hochrisikophase)
• Geschlechtsunterschiede in klinischen Stichproben weniger
stark ausgeprägt
Risikofaktoren für Angststörungen
(Weitere) demographische Merkmale
• Geringer sozioökonomischer Status
• Geringere Bildung
• Geringes Haushaltseinkommen/ schlechte finanzielle
Situation
• Aber: Eher distale Risikofaktoren
Risikofaktoren für Angststörungen
Familiäre Transmission
• Familienstudien:
Erhöhtes Risiko für Angststörungen bei Kindern mit
elterlichen Angststörungen
Evidenz für moderat spezifisch Assoziationen
• Zwillingsstudien:
Moderate Heritabilität für Angststörungen (ca. 30-40 %)
Teilweise geteiltes genetisches Risiko für verschiedene
spezifische Angststörung sowie für Angst- (insbesondere
GAS) und depressive Störungen
 Hohe Relevanz umweltbedingter Faktoren
Risikofaktoren für Angststörungen
Ungünstiger elterlicher Erziehungsstil
• Unterscheidung drei wesentlicher Dimensionen
Ablehnung/ Bestrafung
Überbehütung/ Kontrolle
Geringe elterliche Wärme
• Teilweise Befunde, dass insbesondere elterliche
Überbehütung und exzessive Kontrolle das Risiko für
Angststörungen erhöhen
• Aber: Komplexe bidirektionale Zusammenhänge zwischen
elterlichem Erziehungsstil und Temperament/Persönlichkeit
des Kindes
Risikofaktoren für Angststörungen
Interaktionen zwischen elterlicher
Psychopathologie und elterlichem Verhalten
• Knappe et al. (2009)
Stärkere Assoziation zwischen ungünstigem
Erziehungsverhalten und sozialer Phobie bei Vorhandensein
elterlicher Sozialphobie
• Leckman-Westin et al. (2009)
Mütterliche depressive Symptome sagen internalisierendes
und externalisierendes Verhalten nur bei Mutter-KindDyaden mit ungünstigen Interaktionsmustern vorher
Familiäre Risikofaktoren für Angststörungen
Studienbeispiel
Fragestellung:
Welche Merkmale der Mutter-Kind-Beziehung sagen die
Entwicklung psychischer Störungen bei Kindern mit und ohne
mütterlicher Psychopathologie vorher?
Asselmann, E., Wittchen, H.-U., Lieb, R. & Beesdo-Baum, K. (2015). The role of the mother-child
relationship for anxiety and depressive disorders: results from a prospective-longitudinal study in
adolescents and their mothers. European Child and Adolescent Psychiatry, 24(4), 451-461.
Studienbeispiel
Theoretischer Hintergrund
Teilweise Befunde, dass…
1. mütterliche Überbehütung/ Kontrolle und verwandte
Konstrukte insbesondere mit Angststörungen assoziiert sind
2. mütterliche Ablehnung/ Bestrafung, geringe Wärme und
verwandte Konstrukte insbesondere mit depressiven
Störungen assoziiert sind
3. ungünstige mütterliche Verhaltensweisen psychische
Störungen des Kindes insbesondere bei gleichzeitigem
Vorhandensein mütterlicher Psychopathologie vorhersagen
Studienbeispiel
Fragestellungen
• Ist geringe individuelle Autonomie des Kindes innerhalb der
Mutter-Kind-Beziehung ein spezifischer Risikofaktor für
Angststörungen des Kindes?
• Ist geringe emotionale Verbundenheit des Kindes innerhalb
der Mutter-Kind-Beziehung ein spezifischer Risikofaktor für
depressive Störungen des Kindes?
• Welche Rolle spielen mütterliche Angst- und depressive
Störungen für diese Assoziationen?
Studienbeispiel
Methoden
• Stichprobe:
Teilstichprobe der EDSP-Studie
Jüngere Kohorte (N=1,015)
• Erfassung von Angst- und depressiven Störungen
Munich Composite International Diagnostic Interview (M-CIDI)
(Wittchen & Pfister, 1997)
Probanden: Alle Wellen; Mütter: T1 und T3
• Erfassung der Mutter-Kind-Beziehung
Subjektives Familienbild (Mattejat & Scholz, 1994)
Studienbeispiel
Das Subjektive Familienbild
• Beurteilung der emotionalen Verbundenheit und individuellen
Autonomie von Mutter und Kind innerhalb der Mutter-KindBeziehung
• Semantisches Differenzial, 6 Adjektivpaare, Rating von -3 bis +3
• Emotionale Verbundenheit:
verständnisvoll - intolerant
interessiert - uninteressiert
warmherzig - kühl
• Individuelle Autonomie
selbständig - unselbständig
entschieden - unentschlossen
sicher - ängstlich
Studienbeispiel
Ergebnisse
• „Einfache“ Outcomes:
Geringe individuelle Autonomie des Kindes ist mit
Angststörungen des Kindes assoziiert
Geringe emotionale Verbundenheit des Kindes ist mit
depressiven Störungen des Kindes assoziiert
• 4 Gruppen:
Geringe individuelle Autonomie des Kindes ist mit
komorbiden Angst- und depressiven Störungen des Kindes
assoziiert
Geringe emotionale Verbundenheit des Kindes ist mit
„reinen“ depressiven Störungen des Kindes assoziiert
Studienbeispiel
Ergebnisse
• Geringe individuelle Autonomie und mütterliche Angst
interagieren bei der Vorhersage kindlicher depressiver
Störungen
Studienbeispiel
Schlussfolgerungen und Fazit
• Hinweis auf moderat spezifische Assoziationen zwischen
einzelnen Merkmalen der Mutter-Kind-Beziehungen und
Angst- vs. depressiven Störungen
• Teils komplexe Wechselbeziehungen mit mütterlichen Angstund depressiven Störungen
• Limitationen:
Verwendung aggregierter Daten
Indirekte Beurteilung der Mutter-Kind-Beziehung durch die
Mutter
Risikofaktoren für Angststörungen
Stressreiche Lebensereignisse
• Zusammenhang zwischen stressreichen bzw. traumatischen
Lebensereignissen und Angststörungen konsistent belegt
Trennungs- und Verlustereignisse
Gefahrereignisse
Traumatische Ereignisse
Anhaltende Belastungen
Daily Hassles
Erlebnisse in der Kindheit vs. im Erwachsenenalter
• Existieren spezifische Assoziationen zwischen bestimmten
Ereignistypen und einzelnen psychischen Störungen?
Familiäre Risikofaktoren für Angststörungen
Studienbeispiel
Fragestellung:
Welche Rolle spielen verschiedene Arten von
Lebensereignissen für die Entwicklung von Angst- vs.
depressiven Störungen?
Asselmann, E., Wittchen, H.-U., Lieb, R., Höfler, M. & Beesdo-Baum, K. (2015). Danger and loss
events and the incidence of anxiety and depressive disorders. A prospective-longitudinal
community study of adolescents and young adults. Psychological Medicine, 45(1), 153-63.
Studienbeispiel
Theoretischer Hintergrund
• Studie Finlay-Jones & Brown (1981)
Untersuchten 164 Patientinnen einer Hausarztpraxis in London
• Befund
Spezifische Assoziationen zwischen schweren Verlustereignissen
und inzidenter Depression
Spezifische Assoziationen zwischen schweren Gefahrereignissen
und inzidenter Angst
• Aber:
Spezifische Assoziation zwischen Gefahrereignissen und Angst nur
innerhalb von 3 Monaten vor Störungsbeginn
Gefahr und Verlust waren beide mit komorbider Angst und
Depression assoziiert
Methodische Schwächen
Studienbeispiel
Fragestellungen
• Sind Gefahrereignisse spezifische Risikofaktoren für inzidente
Angst-, nicht aber depressive Störungen?
• Sind Verlustereignisse spezifische Risikofaktoren für inzidente
depressive, nicht aber Angststörungen?
• Haben Personen mit „Mischereignissen“ bzw. sowohl Gefahrals auch Verlustereignissen ein erhöhtes Risiko für komorbide
Angst- und depressive Störungen?
Studienbeispiel
Methoden
• Stichprobe:
Teilstichprobe der EDSP-Studie
• Erfassung von Angst- und depressiven Störungen
Munich Composite International Diagnostic Interview (M-CIDI)
• Erfassung von Gefahr- und Verlustereignissen
Münchner Ereignisliste (T0) und Expertenrating
NLE
Inzidente Störungen
10 Jahre
5 Jahre
T0
T1
T2
T3
Studienbeispiel
Methoden
• Stichprobe:
Teilstichprobe der EDSP-Studie
• Erfassung von Angst- und depressiven Störungen
Munich Composite International Diagnostic Interview (M-CIDI)
• Erfassung von Lebensereignissen
Münchner Ereignisliste (T0) (Wittchen & Maier-Diewald, 1983)
Expertenrating
Studienbeispiel
Die Münchner Ereignisliste
• Erfasst positive und negative Lebensereignisse und chronische
Lebensbedingungen aus 11 Lebensbereichen
Schule, Haushalt, Familie, Freizeit usw.
83 Items (74 spezifische Ereignisse, offene Antwortkategorien)
Studienbeispiel
Expertenrating
• N = 21 Rater
• Verlustereignisse
Tod/ Trennung von einer nahestehenden Person
Verlust der körperlichen Gesundheit
Verlust des Arbeitsplatzes/ Karrieremöglichkeiten
Verlust materieller Dinge
• Gefahrereignisse
Ereignisse, die mit hoher Wahrscheinlichkeit spätere Probleme triggern
• Rating von 1 (gering(r) Verlust/ Gefahr) bis 6 (extreme(r)
Verlust/ Gefahr)
• Einteilung in reine Gefahr-, reine Verlust- und Michereignisse
Studienbeispiel
Methoden
NLE
Inzidente Störungen
10 Jahre
5 Jahre
T0
T1
T2
T3
Studienbeispiel
Ergebnisse
• Reine Verlustereignisse:
Sagen Inzidenz „reiner“ Depression vorher
• Reine Gefahrereignisse:
Sagen Inzidenz „reiner“ Angst und „reiner“ Depression
vorher
• Mischereignisse:
Sagen Inzidenz „reiner“ Angst, „reiner“ Depression und
komorbider Angst und Depression vorher
Asselmann et al. (2014)
Studienbeispiel
Schlussfolgerungen und Fazit
• Hinweis auf moderat spezifische Assoziationen zwischen
Gefahr- vs. Verlustereignissen und Angst- vs. depressiven
Störungen
• Limitationen:
Teils lange Zeitintervalle zwischen Lebensereignissen und
inzidenten Störungen
Subjektives Erleben der Ereignisse nicht mit einbezogen
Risikofaktoren für Angststörungen
Temperament und Persönlichkeit
• Behavioral Inhibition
• Harm Avoidance
• Neurotizismus
• Intraversion
• Negative/positive Affektivität
• Tripartite Model
Negative Affektivität erhöht Vulnerabilität für Angst und Depression
Geringe positive Affektivität erhöht Vulnerabilität für Depression
Physiologische Übererregung erhöht Vulnerabilität für Angst
Familiäre Risikofaktoren für Angststörungen
Studienbeispiel
Fragestellung:
Welche Rolle spielt geringe Coping-Erwartung für den
Zusammenhang zwischen negativen Lebensereignissen und
inzidenten psychischen Störungen?
Asselmann, E., Wittchen, H.-U., Lieb, R., Höfler, M. & Beesdo-Baum, K. (2016). Does low coping
efficacy mediate the association between negative life events and incident psychopathology? A
prospective-longitudinal community study of adolescents and young adults. Epidemiology and
Psychiatric Sciences. , 25(2), 171-180.
Studienbeispiel
Theoretischer Hintergrund
• Coping-Erwartung
Überzeugung, Kontrolle über möglicherweise bedrohliche
Stimuli/Situationen zu haben und diese bewältigen zu können
(Bandura, 1977)
• Conception of self-efficacy (Bandura, 1977)
Personen mit geringer Coping-Erwartung erleben Stressoren
als unkontrollierbar  Stress  Psychische Störungen
• Theory of learned helplessness (Abramson et al., 1978)
Unkontrollierbarkeit  Hilflosigkeit  Depression
Studienbeispiel
Theoretischer Hintergrund
• Geringe Selbstwirksamkeit ist mit Angst-, depressiven und
Substanzstörungen assoziiert (z.B. Muris, 2002; Ehrenberg et
al., 1991; Taneichi et al., 2013)
• Geringe Selbstwirksamkeit erklärt Assoziation zwischen
negativen Lebensereignissen und depressiven Symptomen
(Maciejewski et al., 2000)
• geringe Selbst-Management-Selbstwirksamkeit erklärt
Assoziation zwischen Stress und depressiven Symptomen
(Sawatzky et al., 2012)
Studienbeispiel
Fragestellungen
• Sind negative Lebensereignisse und geringe Coping-Erwartung
Risikofaktoren für die Entwicklung von Angst-, depressiven
und Substanz-Störungen?
• Werden die Assoziationen zwischen negativen
Lebensereignissen und psychischen Störungen durch geringe
Coping-Erwartung mediiert?
Studienbeispiel
Methoden
• EDSP-Stichprobe
• Erfassung von Angst-, depressiven und Substanzstörungen
Munich Composite International Diagnostic Interview (M-CIDI)
(Wittchen & Pfister, 1997)
• Erfassung von negativen Lebensereignissen
Münchner Ereignisliste (T0) (Wittchen & Maier-Diewald, 1983)
• Erfassung der Coping-Erwartung
Skala zur Erfassung von Problembewältigungskompetenzen
(T0) (Perkonigg & Wittchen, 1995)
Studienbeispiel
Die Skala zur Erfassung von
Problembewältigungskompetenzen
• „Wie überzeugt sind Sie, in den nächsten 6 Monaten
auftretende Schwierigkeiten und Probleme in den folgenden
Bereichen zu bewältigen, d.h. in den Griff zu bekommen?“
• „Ich bin überzeugt, dass ich Schwierigkeiten und Probleme
bezüglich XXX bewältigen kann“
Finanzen, Wohnsituation, Freizeit, Schule/ Arbeit, Freunde/ Bekannte,
Partner, Eltern, körperliche/ seelische Gesundheit, Drogen, Rauchen
• Rating von 0 (gar nicht) bis 4 (sehr)
Studienbeispiel
Methoden
NLE
Coping-Erwartung
Inzidente Störungen
10 Jahre
5 Jahre
T0
T1
T2
T3
Studienbeispiel
Ergebnisse
• NLE sagen inzidente Angst-, depressive und
Substanzstörungen vorher, ausgenommen Soziale Phobie und
Alkohol-Missbrauch/Abhängigkeit
12.0
NLE (M)
10.0
8.0
* * * *
* *
-
* * *
* * * *
*
6.0
4.0
no dx
dx
*
*
Studienbeispiel
Ergebnisse
• Geringe Coping-Erwartung sagt inzidente Angst-, depressive
und Substanzstörungen vorher, ausgenommen Panikstörung
und Soziale Phobie
Coping-Erwartung (M)
1.5
1.3
1.1
0.9
* *
-
*
*
*
* *
*
*
*
*
*
* *
* * *
*
0.7
no dx
dx
Studienbeispiel
Ergebnisse
• Assoziationen zwischen NLE und depressiven Störungen werden
bei Adjustierung für geringe Coping-Erwartung reduziert
(1)
(2)
(3)
(4)
NLE
9.46%
Geringe CE
Irgendeine Störung
NLE
13.39%
Geringe CE
Any Depression
NLE
12.65%
Geringe CE
Major Depression
NLE
17.31%
Geringe CE
Dysthymie
Studienbeispiel
Schlussfolgerungen und Fazit
• Sowohl negative Lebensereignisse als auch geringe CopingErwartungen sagen zahlreiche psychische Störungen vorher
• Der Zusammenhang zwischen negativen Lebensereignissen
und depressiven Störungen wird teilweise durch eine
reduzierte Coping-Erwartung erklärt
• Aber:
Teils lange Zeitintervalle zwischen Lebensereignissen/
Erfassung der Copingerwartung und inzidenten psychischen
Störungen
Zusammenfassung
Was nehmen Sie heute mit?
• Die klinische Entwicklungsepidemiologie befasst sich mit
entwicklungsbezogenen Fragestellungen im Bereich der
Epidemiologie psychischer Störungen
• Ziele sind eine verbesserte Kenntnis der
Entstehungsbedingungen psychischer Störungen,
insbesondere im Kindes- und Jugendalter und v.a. auf Basis
prospektiv-longitudinaler Designs
• Darauf aufbauend können Implikationen für weitere
Untersuchungen sowie Präventions- und
Interventionsmaßnahmen abgeleitet werden
Zusammenfassung
Was nehmen Sie heute mit?
• Angststörungen gehören zu den häufigsten psychischen
Störungen überhaupt und sind gekennzeichnet durch ein
hohes Ausmaß an Leiden und Beeinträchtigung
• Charakteristisch ist ein meist früher Beginn im Kindes- oder
Jugendalter
• Tendenziell hohe Persistenz, aber:
Symptome oszillieren häufig um die diagnostische Schwelle
Sehr heterogene Störungsgruppe, DEN Verlauf gibt es nicht
• Vielfältige individuelle, familiäre und umweltbezogene
Risikofaktoren
Zusammenfassung
Sie kennen:
• Zentrale Begriffe, Definitionen und Fakten zur klinischen
Entwicklungsepidemiologie
Aufgaben, Ziele, Fragestellungen
Merkmale
Methoden, Designs
Anwendungsbereiche
• Wichtige entwicklungsepidemiologische Befunde zu
Angststörungen
Prävalenzen, Inzidenzen, Verlaufsmerkmale
Individuelle, familiäre und umweltbezogene Risikofaktoren
Exemplarische Studien zur Untersuchung einzelner Risikofaktoren
Ausblick
Was erwartet Sie kommende Woche?
24.10.16 - Dr. L. Pieper:
Einblicke in die Arbeit am CELOS-Center
anhand ausgewählter Forschungsprojekte
Fragen?
Anmerkungen?
72
Literatur
• Wittchen, H. U., & Jacobi, F (2011). Epidemiologische Beiträge zur
Klinischen Psychologie. In H.U. Wittchen & J. Hoyer. (Eds.), Klinische
Psychologie & Psychotherapie (pp. 57-90). Heidelberg: Springer.
• In-Albon, T. & Margraf, J. (2011). Panik und Agoraphobie. In H.U. Wittchen
& J. Hoyer. (Eds.), Klinische Psychologie & Psychotherapie (pp. 915-936).
Heidelberg: Springer.
• Hoyer, J. & Beesdo-Baum, K. (2011). Generalisierte Angststörung. In H.U.
Wittchen & J. Hoyer. (Eds.), Klinische Psychologie & Psychotherapie (pp.
937-952). Heidelberg: Springer.
• Fehm, L. & Knappe, S. (2011). Soziale Phobie. In H.U. Wittchen & J. Hoyer.
(Eds.), Klinische Psychologie & Psychotherapie (pp. 953-970). Heidelberg:
Springer.
• Becker, E. S. (2011). Spezifische Phobien. In H.U. Wittchen & J. Hoyer.
(Eds.), Klinische Psychologie & Psychotherapie (pp. 971-984). Heidelberg:
Springer.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
74
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