Prävention von Muttermilchmediierten CMV-Infektionen bei Frühgeborenen Konsensuspapier der Ernährungskommission der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde Das CMV-Virus gehört zur Familie der Herpesviren und kann, wie andere Herpesviren auch, sowohl akute wie auch latente Infektionen, die reaktiviert werden können, verursachen. Die Übertragungsmechanismen sind unterschiedlich: intrauterine Übertragung mit der Folge einer kongenitalen Infektion, perinatale Übertragung durch infektöses Scheidensekret im Geburtskanal, Muttermilch, infiziertes Blut und Blutprodukte und Übertragung im Rahmen sexueller Kontakte. Tatsächlich kommt kongenitalen und perinatalen Übertragungsmechanismen die größte Bedeutung zu (Alford). Die Prävalenz der Durchseuchung mit CMV wird je nach Population sehr unterschiedlich mit 40-100% angegeben (Nuzamaki). In Deutschland liegt sie ungefähr bei 50% (Hamprecht) CMV-Viren konnten bereits 1967 in der Muttermilch seropositiver Frauen nachgewiesen werden.In nachfolgenden Studien konnte gezeigt werden,dass Kolostrum wesentlich seltener (11%) CMV- Viren enthält als Milchproben,die nach einer Lactationsdauer von mehr als einer Woche untersucht wurden (50%). Die Inkubationszeit variiert in einem Rahmen von 4 Wochen bis zu 4 Monaten (Alford),das Übertragungs- Kommissionsmitglieder Karl Zwiauer (Vorsitzender), Johannes Deutsch (Gast), Ursula Goriup, Helmut Haas, Nadja Haiden (Gast), Heidemarie Holzmann (Gast), Beate Pietschnig, Arnold Pollak, Theresa Popow (Gast), Irmin Rock,Wolfgang Sperl, Kurt Widhalm 1346 | Monatsschrift Kinderheilkunde 12 · 2003 risiko steigt potentiell zur Viruslast,wobei ein sicherer Grenzwert nicht definiert werden kann (van der Strate). Für immunkompetente reife Säuglinge stellt eine Infektion mit dem CMV-Virus über die Muttermilch keinerlei Gefahr dar. Anders dürfte sich die Situation bei Frühgeborenen darstellen, die bedingt durch organische Unreife unter einer passageren Immunschwäche leiden: CMV Infektionen können sich in Form von Hepatopathie, Thrombozytopenie, Neutropenie bis hin zu Petechien, Pneumonie und sepsisartigen Symptomen auf das Frühgeborene auswirken. Rezente Aspekte zum Thema: Die Arbeitsgruppe um Prof. Speer (Hamprecht, Maschmann) untersuchte in einer unlängst publizierten Studie die Transmissionsrate des CMV-Virus via Muttermilch von CMV positiven Müttern auf ihre frühgeborenen Kinder (Geburtsgewicht <1500 Gramm,Gestationsalter <32 SSW): In dem untersuchten Kollektiv (n=151) waren 52% der Mütter seropositiv.Bei 96% der abpumpenden seropositiven Mütter zeigte sich eine Virusreaktivierung in der Muttermilch (Nachweis viraler DNA), bei 76% konnten direkt CMV Viren nachgewiesen werden. Virale DNA konnte bei diesen Milchproben im Mittel nach 3,5 Tagen, CMV-Viren nach 10 Tagen nachgewiesen werden. Die kumulative Transmissionrate der CMV-Infektionen lag bei 37%,die mittlere Inkubationsdauer bei 42 Tagen. 50% der Kinder hatten keinerlei symptomatische Zeichen einer Infektion,die anderen aber litten unter Hepatopathie, Thrombozytopenie und Neutropenie. 12% der Frühgeborenen entwickelten sepsisartige Symptome. Diese Studie,durchgeführt an einem relativ großen Patientenkollektiv, bestätigt die Ergebnisse älterer, kleinerer Studien (Vochem,Alford).Daraus sollte sich für das Management an neonatologischen Intensivstationen bei der Verfütterung von Muttermilch an extrem kleine Frühgeborene folgendes Vorgehen ergeben: Vorschlag für Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht 1500 Gramm und einem Gestationsalter 32. SSW: Die Erhebung des CMV-Status der Mutter stellt die Grundlage für jedes weitere Vorgehen dar und besteht in einer Blutabnahme bei der Mutter (durch den Geburtshelfer gemeinsam mit Hepatitis,HIV,etc.) bei drohender Frühgeburt. Ist die Mutter CMV- negativ darf Ihre abgepumpte Milch unpasteurisiert an Ihr Frühgeborenes verfüttert werden. Weiters darf sie ihr Kind zu jedem Zeitpunkt anlegen. Ist die Mutter seropositiv,muss das Kolostrum verworfen werden (Kolostrum kann aufgrund seiner Zusammensetzung nicht pasteurisiert werden – es flockt aus) und die Muttermilch pasteurisiert werden. Da in wenigen Fällen im Kolostrum sowohl Virus als auch Virus-DNA nachgewiesen werden konnten,muss aufgrund des geringen Restrisikos der Infektionsübertragung dieses Vorgehen empfohlen werden. Die Pasteurisierung erfolgt wie bisher bei 63 Grad Celsius für 30 Minuten.Für den schonenderen Pasteurisierungsvorgang 10 sek.bei 72 Grad Celsius steht derzeit für Milchküchen in Kliniken keine Technologie zur Verfügung (Pasteurisierung im Plattenpasteur nur in Molkereien möglich) Die Muttermilch soll bis zur vollendeten 34.Gestationswoche des Kindes pasteurisiert werden.Hierfür gibt es in der Literatur keine Evidenz,diese Grenze ist willkür- Mitteilungen lich gezogen basierend auf folgenden Überlegungen: Jenseits der 34.Gestationswoche sind Frühgeborene in der Regel nicht mehr intensivpflichtig – ihr Immunsystem ist annähernd ausgereift.Daher kann von einer gewissen Immunkompetenz ausgegangen werden,die eine CMV-Infektion durch die Muttermilch unwahrscheinlich macht.Weiters kann ab der 34.Gestationswoche bei den meisten Frühgeborenen von einem koordinierten Saug-Schluckmechanismus ausgegangen werden – anlegen an die Brust ist jetzt möglich.Es finden sich in der Literatur keine Hinweise, dass Seropositivität der Mutter und die Gefahr einer möglichen CMV Infektion ein Stillhindernis darstellen. Eine detaillierte Aufklärung der Eltern über das statistische Risiko nach gegenwärtigem Kenntnisstand sollte auf jeden Fall durchgeführt werden.Die Entscheidung für oder gegen das Stillen wird von der individuellen Abwägung medizinischer und psychologischer Faktoren beeinflusst werden. Zusammenfassung: ▂ Die Inzidenz einer kindlichen CMVInfektion durch die Muttermilch seiner seropositiven Mutter liegt bei Frühgeborenen (Geburtsgewicht ≤1500 Gramm, Gestationsalter ≤32SSW) bei etwa 37%. ▂ Die ntenatale Erhebung des mütterlichen CMV – Status stellt die essentielle Informationsgrundlage dar und soll bei drohender Frühgeburt idealer Weise durch die Geburtshelfer erfolgen. ▂ Ist die Mutter CMV-negativ, darf ihre Milch unpasteurisiert an das Frühgeborene verfüttert werden. Ebenso darf die Mutter zu jedem Zeitpunkt das Kind anlegen und stillen. ▂ Ist die Mutter CMV-positiv und ist das Frühgeborene vor der 32. SSW geboren und/oder hat ein Geburtsgewicht von unter 1500g, wird das Kolostrum verworfen, die Muttermilch in weiterer Folge pasteurisiert. ▂ Die Muttermilch wird bis zur vollendeten 34. Gestationswoche des Kindes pasteurisiert. Danach kann die Pasteurisierung beendet werden, und das Kind darf angelegt werden. Literatur Die Literatur ist auf der Homepage der DGKJ veröffentlicht: www.dgkj.de/16.html Deutsche Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (Hrsg.), Handbuch Infektionen bei Kindern und Jugendlichen D as Handbuch der Deutschen Gesellschaft für pädiatrische Infektiologie (DGPI) ist in diesem Jahr bereits in der 4. erweiterten und überarbeiteten Auflage erschienen (Futuramed Verlag,München 2003, 934 S., ISBN 3-923599-90-0). Ziel des Redaktionskollegiums (im Auftrag der DGPI) war es wiederum den Ärzten ein Buch an die Hand zu geben,in dem diese bei Fragen zur Diagnostik,Therapie und Prophylaxe von Infektionskrankheiten möglichst schnell eine praktisch nutzbare Antwort finden können. Erstmalig wurden Evidenzkriterien eingearbeitet, die an das Leitlinienmanual der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) und der ärztlichen Zen- tralstelle für Qualitätssicherung angelehnt worden sind. Das Buch gliedert sich in 3 Teile: Teil 1 informiert über Schutzimpfungen,passive Immuntherapie und -prophylaxe, mikrobiologische Diagnostik, Infektionskontrolle, antimikrobielle Chemotherapie, Infektionsprophylaxe bei Asplenie, periooperative Antibiotika-Prophylaxe und Fieber unklarer Genese. Im zweiten Teil werden die wichtigsten Infektionen erregerbezogen in alphabetischer Reihenfolge abgehandelt.Jedes Kapitel folgt der Gliederung: klinisches Bild, Epidemiologie, Diagnose, Therapie und Prophylaxe.Am Ende werden ausgewählte Publikationen zitiert, vor allem über wichtige Studien bei Kindern. Teil 3 behandelt wichtige organbezogene Krankheiten (Atemwegsinfektionen, Endokarditis,Enteritis,Neugeboreneninfektionen usw.). Die DGPI ist bemüht, und hat dies sicherlich auch mit dieser 4. Auflage erreicht, ihre Empfehlungen regelmäßig dem Stand des medizinischen Wissens anzupassen. Wichtige Aktualisierungen bis zur nächsten Auflage werden vorab in der Homepage der DGPI (www.dgpi.de) veröffentlicht werden. Prof Dr. H. Schroten 1. Vorsitzender der DGPI Monatsschrift Kinderheilkunde 12 · 2003 | 1347