Tegafur/ Gimeracil/ Oteracil (Teysuno®)

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Pharmazeutische Chemie – Tegafur/ Gimeracil/ Oteracil
Tegafur/ Gimeracil/ Oteracil (Teysuno
)
Teysuno ist eine neue orale Zytostatika-Kombination, die in Kombination mit
Cisplatin zur Therapie des fortgeschrittenen Magenkarzinoms indiziert ist
(Fachinformation Teysuno 2012). Das Arzneimittel enthält insgesamt drei
Arzneistoffe: Tegafur, Gimeracil und Oteracil (als Kalium-Salz) im molaren Verhältnis
von 1:0,4:1 (Abbildung 1). Die Kombination ist in der Literatur auch unter dem
Namen S-1 zu finden. Tegafur ist bereits aus den UFT-Hartkapseln bekannt, in
denen es in einem molaren Verhältnis von 1:4 mit Uracil kombiniert vorliegt.
(Abbildung 2) (Fachinformation UFT 2011). Diese Kombination ist bereits seit
langer Zeit bekannt (Fujii et al. 1979).
O
O
OH
OH
F
HN
Cl
O
N
N
HO
O
N
N
N
OH
OH
Tegafur
Gimeracil
1
:
0,4
Oteracil
:
1
Teysuno 
Abbildung 1
O
F
HN
O
O
O
HN
N
O
Tegafur
1
N
H
Uracil
:
4
UFT 
Abbildung 2
1
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Der eigentliche Arzneistoff ist das bereits bekannte Tegafur. Weder Gimeracil noch
Oteracil besitzen eigene Antitumoraktivität. Beide Substanzen sind sogenannte 5Fluoruracil-Modulatoren.
Tegafur ((R,S)-1-[2-Tetrahydrofuranyl]-5-Fluoruracil) ist ein Vertreter aus der Klasse
der Oralen Fluorpyrimidine. Diese sind entwickelt worden, um die Probleme und
Einschränkungen, die mit einer 5-Fluoruracil-Therapie einhergehen (inter- und
intraindividuelle Bioverfügbarkeit und damit unvorhersagbare Plasmaspiegel bei
peroraler Verabreichung), zu überwinden. Die oral bioverfügbaren Fluorpyrimidine
lassen sich in drei Klassen einteilen: 1.) 5-Fluoruracil-Prodrugs ohne zusätzlichen
Dihydropyrimidin-Dehydrogenase-Inhibitor (= DPD-Inhibitor), 2.) 5-FluoruracilProdrugs kombiniert mit DPD-Inhibitor und 3.) 5-Fluoruracil kombiniert mit DPDInhibitor. In Tabelle 1 sind wichtige Verbindungen zusammengestellt.
Orale Fluorpyrimidine
1.)
5-FU-Prodrugs ohne DPD-Inhibitor
Doxifluridin
Capecitabin
Tegafur
2.)
5-FU-Prodrugs + DPD-Inhibitor
Tegafur/ Uracil (UFT)
Tegafur/ Gimeracil/ Oteracil (Teysuno)
BOF A-2
3.)
5-FU + DPD-Inhibitor
5-Fluoruracil/ Eniluracil
5-FU = 5-Fluoruracil
Tabelle 1
Doxifluridin und insbesondere Capecitabin sind Vertreter der Oralen Fluorpyrimidine,
die als 5-Fluoruracil-Prodrugs ohne DPD-Inhibitor entwickelt worden sind (Abbildung
3).
O
O
HN
O
5'
O
HN
N
5
N
O
O
O
F
N
OH
Doxifluridin
HO
F
HN
5
O
5'
HO
Abbildung 3
O
4
F
O
5
N
OH
Capecitabin
Tegafur
Orale Fluorpyrimidine (Gelb: Strukturvariation gegenüber Tegafur)
2
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Während Doxifluridin bislang bis auf die Möglichkeit der peroralen Applikation
insbesondere auch wegen zahlreicher Nebenwirkungen keine Vorteile gegenüber
herkömmlichem 5-Fluoruracil zeigt (Bajetta et al. 1995 und 1996, Kim 2004), hat sich
das Fluorpyrimidincarbamat Capecitabin in der oralen Chemotherapie etabliert. Es
nimmt in Form des Fertigarzneimittels Xeloda einen festen Platz in der Therapie
metastasierender Kolon-, Magen- und Mammakarzinome ein (Fachinformation
Xeloda 2011). Capecitabin ist sowohl ein Prodrug von 5-Fluoruracil als auch von
Doxifluridin (u.a. Reigner et al. 2001). Auch Tegafur ist ein 5-Fluoruracil-Prodrug. Die
Substanz wurde schon 1966 synthetisiert und war ursprünglich für eine i.v.Applikation vorgesehen. Die klinische Entwicklung wurde jedoch gestoppt, da
dosislimitierende zentralnervöse und gastrointestinale Nebenwirkungen im
subtherapeutischen Bereich beobachtet wurden (Buroker et al. 1979, Friedman und
Ignoffo 1980). Nach peroraler Verabreichung kommt es allerdings zu einer
Verbesserung des therapeutischen Indexes. Genauso wie Capecitabin zeigt Tegafur
eine vollständige und vor allem zuverlässige Absorption nach peroraler Gabe.
Die Bildung der eigentlichen Wirkform, des 5-Fluoruracils, erfolgt entweder über
hepatische Enzyme durch Oxidation des C-Atoms 5’ über CYP2A6 oder aber
systemisch über zytosolische Enzyme mittels hydrolytischer Ringöffnung am C-Atom
2’. Beide Wege führen zum γ-Hydroxybutyrolakton (Sayed und Sadée 1982, Sayed
und Sadée 1983). Dieses Abbauprodukt bzw. dessen Tautomer, die
γ_Hydroxybuttersäure, werden für die schweren neurologischen Störungen nach i.v.Applikation.
O
F
HN
N
O
O
2'
5'
hepatische mikrosomale Enzyme
C-5'-Oxidation
systemische, zytosolische Enzyme
C-2'-Hydrolyse
Tegafur
O
O
F
HN
O
OH
H
H
+
O
O
F
H
HN
O
N
H
5-Fluoruracil
+
O
Succinaldehyd
4-Hydroxybutanal
OH HO
O
N
H
5-Fluoruracil
O
O
γ-Buyrolakton
γ-Hydroxybuttersäure
Abbildung 4:
Bildung von 5-Fluoruracil aus Tegafur
3
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Interessanterweise enthält Tegafur ein chirales Zentrum (C-2’). Da aber in vitro- und
in vivo-Untersuchungen zur Antitumoraktivität ungefähr gleiche Ergebnisse sowohl
für die beiden Stereoisomere als auch für das Razemat lieferten und obwohl in vitroStudien einen stereoselektiven Metabolismus vermuten lassen, demzufolge das (R)Enantiomer bevorzugt und schneller zu 5-Fluoruracil metabolisiert wird, enthält
Teysuno das Razemat (Horwitz et al. 1975, Yasumoto et al. 1977, Damle et al.
2001).
Im Fertigarzneimittel Teysuno ist Tegafur u.a. kombiniert mit dem DihydropyrimidinDehydrogenase-Inhibitor Gimeracil.
Die Wirksamkeit der Tegafur-Wirkform 5-Fluoruracil wird durch den katabolen Abbau
dramatisch beeinträchtigt (Abbildung 5). Die zytosolische NADPH-abhängige
Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD) ist das wichtigste Enzym innerhalb des
katabolen Abbaus von 5-Fluoruracil (5-FU). Die DPD katalysiert die Bildung des
inaktiven 5-Fluor-5,6-dihydrouracils (FUH2) aus 5-FU. Mehr als 80 % des 5-FU
werden so abgebaut. 5-FUH2 wird dann über α-Fluor-β-ureidopropionsäure (FUPA)
weiter zu α-Fluor-β-alanin (FBAL), dem Hauptmetaboliten innerhalb des katabolen
Weges, verstoffwechselt.
Tegafur
Gimeracil
O
O
5
HN
O
F
5
HN
N
H
5-FU
6
H
O
2 NADPH
2 NADP
N
H
O
HO
6
FUH2
Dihydropyrimidin-Dehydrogenase
F
H
F
H
NH2
H
H
O
H2O
N
H
FUPA
Dihydropyriminidase
H2O
Beta-Ureidopropionase
NH3 + CO2
O
HO
NH2
H
F
FBAL
Abbildung 5: Inaktivierung des 5-Fluoruracils über die Dihydropyrimidin-Dehydrogenase (DPD),
Wirkmechanismus des Gimeracils als DPD-Inhibitor
Es existieren erhebliche Unterschiede in der Aktivität der DPD sowohl zwischen
verschiedenen als auch innerhalb nur eines Patienten (Diasio und Johnson 1999,
Guimbaud et al. 2000). In Patienten, die aufgrund eines genetischen
Polymorphismus 5-Fluoruracil nicht ausreichend über dieses Enzym inaktivieren
können, wird eine drastisch verlängerte Halbwertszeit von 5-Fluoruracil verbunden
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mit einer erhöhten Toxizität beobachtet (Diasio und Lu 1994). Weiterhin zeigen
Patienten mit einer Überexpremierung der DPD in ihren Tumorzellen ein geringeres
Ansprechen auf eine Standard-5-Fluoruracil-Therapie (Etienne et al. 1995).
Andererseits führt der Abbau über die gastrointestinale und hepatische
Dihydropyrimidin-Dehydrogenase, deren Aktivität noch dazu starken inter- und
intraindividuellen Schwankungen unterliegt, zur unvorhersagbaren Bioverfügbarkeit
von 5-Fluoruracil, die eine perorale Verabreichung ausschließt. Deshalb bedingt die
Dihydropyrimidin-Dehydrogenase vor allem wegen der Variabilität ihrer Aktivität eine
deutliche Einschränkung der Therapiemöglichkeiten mit Fluorpyrimidinen sowie eine
Erhöhung des Therapierisikos. Es wurde großer Aufwand betrieben, Inhibitoren
dieses Enzyms zu entwickeln, um insbesondere den therapeutischen Index der
Fluorpyrimidine zu erhöhen.
Uracil ist das natürliche Substrat für die Dihydropyrimidin-Dehydrogenase. In
Kombination mit 5-Fluoruracil – wie beispielsweise im Fertigarzneimittel UFT nach
Aktivierung des Tegafurs – konkurriert es mit 5-Fluoruracil um die Bindung am
Enzym. Aufgrund der wesentlich größeren molaren Menge an Uracil in der fixen
Kombination UFT wird weniger 5-Fluoruracil durch die DPD abgebaut, was zur
Folge hat, dass mehr 5-Fluoruracil zur anabolen Bildung der Wirkform 5-Fluor2’desoxyuridin-5’-monophosphat (FdUMP) zur Verfügung steht.
Neben Uracil gehört auch das in Teysuno enthaltene Pyridin-Derivat Gimeracil (5Chlor-2,4-dihydroxypyridin, = CDHP) zu den kompetitiven, reversiblen Inhibitoren der
DPD, die die Halbwertszeit des 5-Fluoruracils verlängern. Allerdings weist Gimeracil
eine 200mal stärkere inhibitorische Aktivität als das natürliche Substrat auf (Tatsumi
et al. 1987). Ein weiterer reversibler DPD-Inhibitor ist CNDP, 2-Cyano-2,6dihydroxypyridin, das ein 2000mal stärkerer DPD-Inhibitor als Uracil ist (Tatsumi
1993). CNDP ist in der Formulierung BOF A-2 enthalten. BOF A-2 ist eine fixe
Kombination im molaren Verhältnis 1:1 bestehend aus dem 5-Fluoruracil-Prodrug 1Ethoxymethyl-5-Fluoruracil (EM-FU) und eben CNDP. Während die Pyridine
Gimeracil (CDHP) und CNDP sowie Uracil selbst reversible Inhibitoren sind, hemmt
das Uracil-Derivat Eniluracil (5-Ethinyluracil) die DPD irreversibel. Wahrscheinlich
bindet die Substanz als Substrat im aktiven Zentrum und wird durch die DPD analog
zum physiologischen Uracil zu 5-Ethinyl-5,6-dihydrouracil reduziert. Erst durch
dieses reaktive Intermediat soll nun im aktiven Zentrum eine kovalente Bindung
vermutlich über einen Cysteinrest zum Enzym gebildet werden (Paff 2000). Eine
Übersicht der Strukturformeln verschiedener DPD-Inhibitoren liefert Abbildung 6.
O
OH
Cl
HN
O
N
H
Uracil
HO
N
OH
N
HN
HO
Gimeracil
(CDHP)
N
CNDP
O
N
H
Eniluracil
irreversibler Inhibitor
reversible Inhibitoren
Abbildung 6:
O
Strukturformeln verschiedener DPD-Inhibitoren
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Der Zusatz von Oteracil (Oxonsäure) als Kalium-Salz (Kaliumoxonat) zur fixen
Arzneistoff-Kombination in Teysuno basierte auf vorklinischen Ergebnissen, dass
diese Substanz das Auftreten tegafur- bzw. 5-FU-induzierter Diarrhoen deutlich
vermindern kann (Shirasaka et al. 1993). Diese gastrointestinale Toxizität resultiert
aus der Bildung von 5’-Fluouridin-5’monophosphat (FUMP) aus 5-Fluoruracil in der
Darmwand durch das Enzym Orotatphosphoribosyl-Transferase (OPRT,
Pyrimidinphosphoribosyl-Transferase) (Abbildung 7). Das Triazin-Derivat Oteracil ,
eine Vorstufe von Uracil, ist das natürliche Substrat dieses Enzyms, das durch
Kopplung mit 5-Phosphoribosyl-1-pyrophosphat (PRPP) unter Abspaltung von
Pyrophosphat zum Nukleotid Orotidylat umgesetzt wird. Somit tritt Oteracil mit 5Fluouracil in einen kompetitiven Wettstreit um die Bindung im aktiven Zentrum, was
zu einer Hemmung der Bildung von FUMP führt. Studien an tumortragenden Ratten
zeigten, dass es sich vermehrt im gastrointestinalen Gewebe anreichert (Yoshisue et
al. 2000). Auf diese Weise wird die FUMP-Produktion und der Einbau von 5Fluoruracil über 5-Fluoruridintriphosphat (FUTP) in die RNS im Gastrointestinal-Trakt
um ca. 70 % gesenkt, während in anderen Geweben kaum ein Effekt bemerkbar ist
(Shirasaka et al. 1993, Schoffski 2004).
Tegafur
Oteracil
O
F
HN
O
F
HN
O
Orotatphosphoribosyl-Transferase
5
N
H
GI-Trakt, Darmmukosa
O OH
P
HO
O
O
O
HO
5-Fluoruracil
5
N
OH
5-Fluoruridin-5'-monophosphat
(FUMP)
5-Fluor-2'-desoxyuridintriphosphat (FdUTP)
5-Fluoruridintriphosphat (FUTP)
Einbau in RNS und DNS
Abblildung 7:
Hemmung der Aktivierung des 5-Fluoruracils durch Oteracil,
Wirkmechanismus des Oteracils
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Literatur:
Bajetta, E. et al. J Clin Oncol 1995, 13, 2613
Bajetta, E. et al. Tumori 1996, 82, 450
Buroker, T. et al. Cancer 1979, 44, 48
Damle, B.D. et al. Biopharm Drug Dispos 2001, 22, 45
Diasio, R.B. und Lu, Z. J Clin Oncol 1994, 12, 2239
Diasio, R.B. und Johnson, M.R. Clin Cancer Res 1999, 5, 2672
Etienne, M.C. et al. J Clin Oncol 1995, 13, 1663
Fachinformation Teysuno 2012 Nordic Group BV
Fachinformation UFT 2011 Merck Serono GmbH
Fachinformation Xeloda 2011 Roche Registration Limited
Friedman, M.A. und Ignoffo, R.J. Cancer Treat Rev 1980, 7, 205
Fujii, S. et al. Gann 1979, 70, 209
Guimbaud, R. et al. Cancer Chemother 2000, 45, 477
Horwitz, J.P. et al. Cancer Res 1975, 35, 1301
Kim, D.W. et al. Neurology 2004, 62, 2136
Paff, M.T. et al. Invest New Drugs 2000, 18, 365
Reigner, B. et al. Clin Pharmacokinet 2001, 40, 85
Sayed, Y.M. und Sadée, W. Biochem Pharmacol 1982, 31, 3006
Sayed, Y.M. und Sadée, W. Cancer Res 1983, 43, 4039
Schoffski, P. Anticancer Drugs 2004, 15, 85
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Tatsumi, K. et al. Jpn J Cancer Res 1987, 78, 748
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Yasumoto, M. et al. J Med Chem 1977, 20, 1592
Yoshisue, K. et al. Drug Metab Dispos 2000, 28, 1162
7
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