15.02.17 Warum scheitern so viele Heimplatzierungen – Hintergründe und Lösungswege Tagung «Aktuelle Entwicklungen in Kindesschutz & Familienrecht» Marc Schmid, Biel, 15. Februar 2017 Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 1 Psychische Belastungen der Klienten Einleitung «Die ‘Erwachsenen’ beschäftigen sich zu wenig mit den Problemen, die Jugendliche haben, und zu viel mit den Problemen, die Jugendliche machen.» Ute Class, Deutsche Kriminologin Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 2 Gliederung › Die Ausgangslage: Risikofaktoren, komplexe Traumafolgestörungen, psychische Belastung von Heimkindern und deren Auswirkungen auf den Verlauf von stationären Hilfen? › Gesellschaftliche Folgen von kumulierten Abbrüchen? › Ursachen für Abbrüche: › Psychopathologie und psychopathische Traits › Grenzverletzung gegenüber Mitarbeitenden › Keine gemeinsamen Narrative für die Einleitung von stationären Hilfen › Psychopathologie: Was brauchen die Kinder? Was brauchen die sozialpädagogischen Mitarbeitenden von der Kinder- und Jugendpsychiatrie/-psychotherapie? Traumapädagogische Konzepte › Grenzverletzungen: Psychotherapeutische bzw. supervisorische Unterstützung - strukturierte Fallreflektion mit sozialpädagogischen Teams › Narrative: Gemeinsam Eltern von Hilfen überzeugen - Bedeutung der Elternarbeit für den Erfolg in der JH › Fazit und Diskussion Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 3 1 15.02.17 Gliederung Die Ausgangslage Cartoon: Renate Alf http://lev-thueringen.de/wp-content/uploads/2008/06/schule-layout_02_0001.png Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 4 Modellversuch Abklärung und Zielerreichung MAZ. Teilnehmende Institutionen Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 5 Modellversuch Abklärung und Zielerreichung MAZ. Geschlechterspezifische Altersverteilung N = 592 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 6 2 15.02.17 Psychosoziale Risikofaktoren › 28% Sucht mindestens eines Elternteils › 30% psychiatrische Auffälligkeiten der KM › 11% KV im Gefängnis › 45% mindestens ein Schulwechsel wegen disziplinarischen Schwierigkeiten. › 50% der über 16jährigen waren vor der aktuellen Massnahme mindestens einmal fremdplatziert › 30% weisen zwei oder mehr Platzierungen auf › Traumata Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 7 Traumata › 80% berichten traumatische Erlebnisse im ETI › 49% geben 3 oder mehr traumatische Erlebnisse an 80% Kein traumatisches Erlebnis Mindestens ein traumatisches Erlebnis 20% N=420 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 8 Was ist ein Trauma? Traumatisches Lebensereignis Extreme physiologische Erregung Flucht Freeze Fight Traumasymptome Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 9 3 15.02.17 Bei einer Traumatisierung laufen parallel zwei unterschiedliche physiologische Prozesse ab Übererregungs-Kontinuum Dissoziatives-Kontinuum Ø Fight oder Flight › Alarmzustand / Wachsamkeit › Angst/Schrecken › Adrenalin-System wird aktiviert – Erregung › Serotonerges System verändert sich – Impulsivität, Affektivität, Aggressivität Ø Freeze – ohnmächtige / passive Reaktion › Gefühlslosigkeit / Nachgiebigkeit › Dissoziation › Opioid-System wird aktiviert Euphorie, Betäubung › Veränderung der Sinnes-, Körperwahrnehmung (Ort, Zeit, etc.) Physiologisch › Blutdruck é (Pulsrate é) › Atmung é › Muskeltonus é › Schmerzwahrnehmung ê Physiologisch › Pulsrate ê Blutdruck ê › Atmung ê › Muskeltonus ê › Schmerzwahrnehmung ê Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 10 Traumatypologie nach L. Terr (1991) Typ – II - Trauma Typ – I - Trauma › Einzelnes, unerwartetes, traumatisches Erlebnis von kurzer Dauer. › z.B. Verkehrsunfälle, Opfer/Zeuge von Gewalttaten, Naturkatastrophen. › Öffentlich, besprechbar › Serie miteinander verknüpfter Ereignisse oder lang andauernde, sich wiederholende traumatische Erlebnisse. › Körperliche sexuelle Misshandlungen in der Kindheit, überdauernde zwischenmenschliche Gewalterfahrungen. › Nicht öffentlich Symptome: Meist klare, sehr lebendige Wiedererinnerungen àVollbild der PTSD Hauptemotion = Angst Eher gute Behandlungsprognose Symptome: › Nur diffuse Wiedererinnerungen, starke Dissoziationstendenz, Bindungsstörungen à Hohe Komorbidität, komplexe PTSD Sekundäremotionen (z.B. Scham, Ekel). Schwerer zu behandeln Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 11 «Organisiere meine Gefühle» Wie Kinder lernen, mit ihren Emotionen umzugehen » Anfangs werden die Gefühle von der primären Bezugsperson organisiert. » Dann werden die Gefühle mit Hilfe der Bezugsperson organisiert. » Und schliesslich kann das Kind seine Gefühle selbst organisieren. (Cooper, Hoffman & Powell, 2001) Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 12 4 15.02.17 Resonanz mit einem negativen Gefühl und Einstimmung darauf (Cooper, Hoffman & Powell, 2009) Leidvolle Gefühle des Kindes Kind Eltern organisieren die innere Unruhe ihre Kindes Eltern Mit-Sein › Bereitschaft der Eltern zum Mit-Sein mit den Gefühlen ihres Kindes vermittelt ihm das Gefühl sicher und verbunden zu sein, während es seine Emotionen kennenlernt. › Zu wissen, dass jemand bei ihm ist, macht das unangenehme Gefühl etwas erträglicher und ermöglicht dem Kind, aus dem problematischen Gefühl wieder herauszufinden. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 13 Kind wird gedrängt, sich den elterlichen Vorstellungen seiner Emotionen anzupassen (Cooper, Hoffman & Powell, 2009) Leidvolle Gefühle des Kindes Kind Eltern greifen Gefühl des Kindes an Eltern Ohne-Sein › Eltern versuchen, ihr Kind abzulenken oder drängen es, etwas zu fühlen, was es nicht fühlt. › Wirkt wie ein emotionaler Kampf, bei dem die Eltern etwas zu erzwingen versuchen. › Das Kind wird noch unruhiger. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 14 Häufigkeit von Bindungsauffälligkeiten Fremdplatzierte Kinder sind eine Hochrisikogruppe Heim-­‐ kinder Pflege-­‐ kinder Allgemeinbe-­‐ völkerung n (%) Heimkinder vs. Allgemeinbevölkerung Pflegekinder vs. Allgemeinbevölkerung χ²(df, N) χ²(df, N) OR (95% KI) n (%) n (%) CBCL T-­‐Wert 92 (82.1) ≥ 60 176 (63.8) 61 (18.0) 154.55*** (1, 451) 20.96 (12.0-­‐36.6) 134.58*** (1, 615) 8.02 (5.5-­‐11.6) RPQ ≥ 7 88 (31.9) 8 (2.4) 108.03*** (1, 455) 25.29 (11.4-­‐56.0) 100.67*** 19.37 (1, 615) (9.19´-­‐40.8) 44 (37.9) OR (95% KI) Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 15 5 15.02.17 Bedeutung von Trauma für die Entwicklungspsychopathologie % N = 1400 60 50 40 Irgendeine Diagnose Angststörung Depressive Störung Verhaltensstörung 30 20 10 0 in Ke Er ) ) ) ) % %) % ,8 % ,3 % 2,4 7,1 7,5 30 32 (2 r( i ( s( re ei eh ni D w m g i Z er re od nE Ei er Vi n eig ( is Copeland et al. 2007 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 16 Psychische Belastung (Gesamtwert CBCL für t1) MAZ.-Stichprobe Normpopulation (D&USA) 25 20 15 10 5 0 -45 -50 -55 -60 -65 -70 -75 -80 >=80 N=421 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 17 Psychische Belastung (Gesamtwert CBCL für t1) • 76% der Stichprobe im klinisch auffälligen Bereich (T-Wert > 60) • 32% im klinisch hoch auffälligen Bereich (T-Wert von mind. 70) MAZ.-­‐Stichprobe Normpopulation (D&USA) 25 20 15 10 5 0 N=421 -­‐4 5 -­‐5 0 -­‐5 5 -­‐6 0 -­‐6 5 -­‐7 0 -­‐7 5 -­‐8 0 >=80 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 18 6 15.02.17 6 Monats-Prävalenz nach ICD-10 mind. 1 Diagnose (N=483) keine Diagnose 26% 74% Allgemeinbevölkerung (Median): 18% (Ihle & Esser, 2002) Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 19 Verhältnis ambulante vs. stationäre Hilfen › Durch den Ausbau der ambulanten Hilfen, steigt die traumatische und psychische Belastung von fremd untergebrachten Kinder! › Indikationsstellung nur bei schlechter Prognose, bestehender Kindeswohlgefährdung oder bereits gescheiterten ambulanten Hilfen. › Oft erfolgt der Eintritt erst in oder nach der Pubertät – Bindungsentwicklung dann nicht mehr an pädagogische Bezugspersonen, sondern eher an Gleichaltrige. › Defensive Position der stationären Hilfen wegen der vergleichsweise hohen Kosten. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 Prävalenz x Dauer Massnahme 90% 82.0% 80% 20 (N=483) 77.4% 70% 60% 54.9% 47.1% 50% 40% 30% 20% 10% 0% unter 2 Jahren 2-3 Jahre 3-4Jahre mehr als 4 Jahre Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 21 7 15.02.17 Abbruchsgrund: Psychische Erkrankungen Viele Jugendlichen in Heimen nie adäquat behandelt Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 Komorbidität nach DSM-IV 22 (N=483) 35% 30.0% 30% 25.7% 25% 22.6% 20% 13.7% 15% 10% 6.4% 5% 1.7% 0% keine Diagnose 1 Diagnose 2 Diagnosen Dölitzsch et al. 2014 3 Diagnosen 4 Diagnosen 5 Diagnosen 44% Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 23 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 24 Nochmal nachlesen? 8 15.02.17 Trauma-Entwicklungsheterotopie Dissoziative und somatoforme Störungen Schmid, Fegert, Petermann 2010 Kindheit & Entwicklung 19 (1) 47-63 Substanzmissbrauch Bipolare Störungen im Kindesalter Affektive Störungen Störung des Sozialverhaltens Emotionale Störungen Angststörungen Störungen der Persönlichkeitsentwicklung Selbstverletzung Suizidalität ADHS Oppositionelles Verhalten Bindungsstörungen Regulationsstörungen Geburt ëëééééééééééééééééééééééééééé ç Traumafolgestörungen + biologische Faktoren Vorschulalter Schulalter Pubertät Adoleszenz | 25 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 25 Nochmals genauer nachlesen? Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 Biologische Faktoren Genetik, prä- und perinatale Risikofaktoren Soziale Wahrnehmung weniger soziale Kompetenzen PTSD: Hyperarousal, Intrusionen, Vermeidung Störungen der Empathiefähigkeit Mentalisierung Bindungsstörung Störungen der Interaktion Störung der Impulskontrolle Selbstregulation Stresstoleranz Invalidierende, vernachlässigende Umgebung Typ-II-Traumata Selbstwert, Gefühl d. Selbstunwirksamkeit kognitive Schemata Dissoziationsneigung/ Sinneswahrnehmung Schmid (2008) 26 Störung der Emotionsregulation Störungen des Körperselbst Körperwahrnehmung Somatisierung Störung der exekutiven, kognitiven Funktionen 9 15.02.17 Abbrüche in der Heimerziehung Häufigkeit, individuelle und gesellschaftliche Folgen, auslösende Faktoren Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 28 Wo liegen die Grenzen? Wieso gibt es so viele Abbrüche? Ein Fünftel der stationären Jugendhilfemaßnahme enden im Abbruch! Oft Bereits im ersten Jahr! (Bundesamt für Statistik 2010, Schmid et al. 2014) 5% der der fremdplatzierten Jugendlichen durchläuft mehr als 4 Stationen! Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 29 Viele Beziehungsabbrüche I › Je mehr Beziehungsabbrüche und gescheiterte Hilfen in der Vorgeschichte, desto schlechter die Wirksamkeit der aktuellen Jugendhilfemaßnahme und desto höher das Risiko für weitere Abbrüche (EVAS, 2004, Schmidt et al. 2002). › Jeder Wechsel ist zudem mit Ressourcenaufwand / Kosten im Jugendhilfesystem verbunden. › Die Zahl der Beziehungsabbrüche geht mit einer höheren und schweren Delinquenz (Ryan & Testa 2004) sowie einer stärkeren Teilhabebeeinträchtigung (Aarons et al. 2010) auf dem weiteren Lebensweg einher. › Wesentlich höhere Folgenkosten im medizinischen Bereich (Rubin et al. 2004). Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 30 10 15.02.17 Irreguläres Ende der Massnahme Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 31 Viele Beziehungsabbrüche II › Je mehr Beziehungsabbrüche desto schlechter die Bindungsqualität und desto wahrscheinlicher Bindungsstörungen (Schleiffer 2002, Pérez et al. 2011). › Klienten mit positiven Beziehungserfahrungen haben einen besseren Verlauf bei psychosozialen Interventionen (Zersen et al. 2006, Skodol et al. 2007). › Im Sinne der aus der psychoanalytischen Familientherapie stammenden Replikationshypothese können viele Beziehungsabbrüche auch als unbewusste Wiederholung von innerfamiliären Beziehungserfahrungen betrachtet werden. › Beziehungsabbrüche belasten nicht nur die Heranwachsenden sondern auch die beteiligten Fachkräfte auf den Wohngruppen und die Pflegeltern, da diese ebenfalls eine emotionale Beziehung zu den Heranwachsenden aufgebaut haben. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 32 Einfluss von psychischen Erkrankungen auf den Verlauf von Jugendhilfemassnahmen Irreguläres Massnahmenende 20 18 16 14 12 10 Häufigkeit (%) 8 6 4 2 0 Keine Diagnose Eine Diagnose Zwei Diagnosen Mehr als drei (n = 124) (n = 145) (n = 109) (n = 105) Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 33 11 15.02.17 Einfluss von psychopathischen Persönlichkeitseigenschaften Schmid et al. 2014 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 34 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 35 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 36 Nochmal nachlesen? 12 15.02.17 Eigentlich ein altbekanntes physikalisches Prinzip Reihenschaltung RGes = R1 + R2 Parallelschaltung Rges = 1/R1 + 1/R2 Bei einer Parallelschaltung von Widerständen / psychosozialen Hilfen wird der Widerstand kleiner als die einzelnen Widerstände (vgl. RosenRunge 2009) Bei einer Reihenschaltung von Widerständen / psychosozialen Hilfen wird der Widerstand grösser Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 37 Was macht Kooperation so schwierig? › Unterschiedliche Professionen und Zugänge erschweren es, eine gemeinsame Haltung zu generieren. › Mangelnde Ressourcen auf beiden Seiten. › Die betroffenen Familiensysteme halten Kontakte oft nicht aufrecht. Kommunikation verläuft oft in Triaden und/oder Dramadreiecken (Familie, JA, KJPP, Institutionen). › Die komplexe Symptomatik der Heranwachsenden selbst (schwere Bindungsstörungen, etc.) und der vergleichsweise geringe Behandlungswunsch der Jugendlichen selbst. › Nur 9% der psychisch belasteten Heimjugendlichen wünschen psychotherapeutische oder kinder- und jugendpsychiatrische Unterstützung, obwohl über 80% psychisch belastet sind und die zuweisenden Sozialarbeiter eine Therapie wünschen (Mount et al. 2004). Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 38 Realistische Erwartungen Niemand kann zaubern Strukturen und Kontinuitäten schaffen Vertrauen – Probleme antizipieren Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 39 13 15.02.17 Pädagogische Haltungen nach Jesper Juul Vier Werte, die Kinder brauchen, gelten auch für gelingende Kooperationsbeziehungen › Gleichwürdigkeit › Authentizität › Integrität › Verantwortung „Man muss nicht das Licht des anderen ausblasen, um das eigene leuchten zu lassen.“ Aus Griechenland Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 40 Liaisonpsychiatrie Übersetzungsleistung für die Teams Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 Stabilität der Platzierung und guter Verlauf Pädagogische und psychotherapeutische Bedarfe Selbstwirksamkeit der Fachkräfte Problem Verhalten èEntwicklungsziel Kinder- und Jugendpsychiatrische Symptome 41 Gemeinsame Falldefinition SozialPädagogischer Bereich Kinderund jugendWas muss das Kind lernen, psychiatrischer um seine Symptome /psychoaufgeben zu können? Unterstützung: Welche alternativen Beziehungserfahrungen therapeutischer Alltag Bereich sollte es machen? Milieutherapie Übersetzungsleistung: Symptome Erlebnispädagogik Elterngespräche in pädagogische Probleme - vice versa Förderung Einzelkontakte Resilienzstunden Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 42 14 15.02.17 Gliederung: Abbruchsgrund Verletzung von persönlichen Grenzen von MitarbeiterInnen? Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 43 Welchen Belastungen sind pädagogische Mitarbeitende ausgesetzt? Steinlin et al. 2015 › 80% haben in den letzten drei Monaten Beschimpfungen/ Schmid & Fegert, 2015 Beleidigungen erlebt › 25% wurden tätlich angegriffen › 9% wurden mit einer Waffe oder einem anderen gefährlichen Gegenstand bedroht › 41% haben selbstverletzendes Verhalten beobachtet › 29% haben Gewalt zwischen Kindern/Jugendlichen beobachtet › 10% haben sexuelle Übergriffe zwischen Kindern/Jugendlichen beobachtet › 9% haben einen Suizidversuch miterlebt › 1% hat einen vollendeten Suizid miterlebt (n=4) Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 44 Anzahl Grenzverletzungen pro Person 25% 21.9% 20% 16.2% 16.2% 10% 22% mind. 5 unterschiedliche Erlebnisse 14.8% 15% 9.1% 6.4% 6.1% 5% 3.4% 2.4% 2.4% 1.0% 0.3% 0% 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 91% mind. 1 Erlebnis Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 45 15 15.02.17 Additiver Effekt von verbalen & körperlichen Grenzverletzungen auf Cortisol 9 ** 8 # Cortisol (pg/mg) 7 6 ANOVA F(2)=4.74, p=. 010 bootstrapped 5 4 3 2 1 0 keine Grenzverletzungen verbale Grenzverletzungen verbale & körperliche Grenzverletzungen Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 46 Kumuliertes erstmaliges Burnout-Risiko Anzahl Teilnehmer, die jemals ein erhöhtes Burnout-Risiko hatten Bis zum 3. Jahr hatte einen grösseren Anteil der Teilnehmer in den Gruppen mit viel verbalen und körperlichen Grenzverletzungen jemals ein erhöhtes Burnout-Risiko. 100% 90% * 80% 70% 62.50% 60% 50% 40% 2-3 verbal Gewalt (n=16) 10% 2-3 verbal + körperliche Gewalt (n=17) 35.29% 30% 20% 0-1 verbale Gewalt (n=31) 47.06% 44% 15.38% 22.50% 17.65% χ2 =7.6867, p=.021* 16.00% 3.23% 0% 1. Jahr 2. Jahr 3. Jahr Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 47 Grenzverletzung und «innere Kündigung» Grenzverletzungen führen oft zu Beziehungsabbrüchen Grenzverletzung Innere Kündigung / Arbeitsplatzwechsel Kind wird entlassen – kurzfristige Entlastung, aber keine Aufbau von innerer Sicherheit Zunehmende Unzufriedenheit Verunsicherung/ Verlust von innerer Sicherheit Weitere Grenzverletzungen Zunehmende Problemfokussierug Weniger Freude und pädagogische Präsenz Bedürftigkeit / höhere Erwartungen an die Leitung/ äussere Sicherheit Keine schnelle Lösung und ausreichende emotionale Validierung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 48 16 15.02.17 Die Rolle von Kohärenz und Selbstwirksamkeit bei der Abnahme von Arbeitszufriedenheit nach Grenzverletzungen Eine zunehmende Anzahl erlebter Grenzverletzungen hängt mit einer Abnahme der Arbeitszufriedenheit zusammen. Dieser Zusammenhang wird teilweise dadurch erklärt, dass das Kohärenzgefühl und die Selbstwirksamkeit von Mitarbeitenden beeinträchtigt werden. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 49 Institution Fallreflektion Fallreflektion „Gruppenpädagogen“ „Versorger„ „Fachdienst“ Leitung Kind Externe Hilfen: Kinder- und jugendpsychiatrische Liaison, Supervision Einfluss von Traumapädagogik auf die körperliche Stressreaktion von Sozialpädagogen Durchschnittliche Cortisolkonzentration im Haar der Fachkräfte 2.7 CorWsol (pg/mg) 2.5 2.3 Modell (N=18) 2.1 Spiegel (N=21) 1.9 1.7 0 1.5 1 2 3 4 Messzeitpunkt Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 51 17 15.02.17 Störungssensible, psychiatriebezogene Sozialpädagogik Beziehungsorientierte traumapädagogische Konzepte «Man ist dort zu Hause, wo man verstanden wird.» Indianisches Sprichwort Es braucht: - Fachwissen über das Störungsbild und Psychotraumatologie. - Wissen darüber, wie diese Erkrankung die Pädagogik und Beziehungsgestaltung beeinflusst. - Selbsterfahrung! - Zeit und Sicherheit zur Reflektion im Team. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 52 Eine Traumapädagogik braucht es, weil … Ein pädagogisches Dilemma Gehen kaum Beziehungen ein Brauchen Unterstützung bei der Selbstregulation Dilemma: Klienten brauchen Beziehung, um Selbstregulation erlernen zu können – können aber noch keine normalen Beziehungen eingehen Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 53 Bindung und Selbstregulation bei traumatisierten Kindern Ein Lösungsversuch Gehen kaum Beziehungen ein Lösungsidee: „Sicherer Ort“ Brauchen Unterstützung bei der Selbstregulation mit verlässlichen Beziehungsangeboten und korrigierende n Beziehungserfahrungen Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 54 18 15.02.17 Traumapädagogik: Korrigierende Beziehungserfahrung Traumapädagogische Haltung Traumatisierendes Umfeld Traumapädagogisches Milieu › Unberechenbarkeit › Transparenz /Berechenbarkeit › Einsamkeit › Beziehungsangebote/ Anwaltschaft › Nicht gesehen/gehört werden › Beachtet werden/wichtig sein › Geringschätzung › Wertschätzung (Besonderheit) › Bedürfnisse missachtet › Bedürfnisorientierung › Ausgeliefert sein – andere Bestimmen absolut über mich › Mitbestimmen können - Partizipation › Freude › Leid Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 55 Grundidee zur Analyse von Problemverhalten Vom Du zum Wir – Überspitzt das klassische Modell Erziehungsmassnahmen zur Veränderung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 56 Grundidee zur Analyse von Problemverhalten Vom Du zum Wir – Überspitzt das klassische Modell Kind muss sich verändern Erziehungsmassnahmen zur Veränderung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 57 19 15.02.17 Grundidee zur Analyse von Problemverhalten Vom Du zum Wir Interaktion pädagogische Begegnung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 58 Grundidee zur Analyse von Problemverhalten Vom Du zum Wir Die Beziehungsfähigkeit des Kindes soll sich verbessern? Wie können wir gemeinsam unsere Ziele erreichen und die Entwicklungsaufgaben des Kindes erfüllen? Interaktion pädagogische Begegnung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 59 Neue Beziehungserfahrungen führen zu Veränderung Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 60 20 15.02.17 Verstärkung von Anspannung in Interaktionen Anspannung Kind Anspannung Bezugsperson «Wer in sich selbst beruhigt ist, der beunruhigt auch den Anderen nicht.» Epikur Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 61 Mitarbeiter als Teil des pädagogischen Konzeptes › Traumatisierte Kinder lösen bei professionellen Helfern intensivste Gefühle aus - Phänomen der sekundären Traumatisierung. › Letztlich ist für die Frage, ob ein Kind nach einer Eskalation auf einer Wohngruppe verbleiben und gehalten werden kann, nicht das Problemverhalten, sondern die Tragfähigkeit des Teams entscheidend. › Nur «stabile, sichere Mitarbeiter» können in Krisensituationen stabilisieren und deeskalieren. › Mitarbeiter benötigen in Krisensituationen ähnliche innerpsychische Fertigkeiten (natürlich auf viel höherem Niveau) wie die Kinder (Emotionsregulation, Selbstwirksamkeit, Resilienzfaktoren). › Sowohl die Heranwachsenden als auch die Mitarbeiter brauchen letztlich einen sicheren Ort, an dem sie sich selbstwirksam erleben. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 62 Haltung Sicherer Ort Sicherer Ort = Äussere Sicherheit + Innere Sicherheit Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 63 21 15.02.17 Eine beziehungsorientierte Pädagogik ist festzumachen Zum Beispiel an Sprache und am Umgang mit Regeln › Über Sprache werden oft wichtige Beziehungsaussagen transportiert. › Komplex traumatisierte, psychisch misshandelte und vernachlässigte Kinder haben oft sehr negative Aussagen über sich gehört. › Im Umgang mit Regeln – traumatisierte Kinder haben in ihren Familien oft einen sehr belasteten, willkürlichen Umgang mit Regeln erlebt. › Die Regeln waren ihrem Entwicklungsstand oft nicht angemessen und haben sie überfordert. › Die Nichteinhaltung von Regeln wurde in Abhängigkeit von der Stimmung der Eltern oft drastisch sanktioniert, teils aber auch gar nicht beachtet. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 64 Sprache und Beziehung in kritischen Situationen Manchmal kommt es doch sehr auf das richtige Wort an «Der Unterschied zwischen dem richtigen Wort und dem beinahe richtigen Wort ist derselbe Unterschied wie der zwischen einem Blitz und einem Glühwürmchen.» Mark Twain Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 65 Unsere Kommunikation – stets eine Herausforderung Unachtsamkeit führt oft zu Missverständnissen › Menschen mit sehr belastenden und/oder traumatisierenden Beziehungserfahrungen ergänzen und vervollständigen Aussagen auf dem Beziehungsohr mit ihren eigenen maladaptiven Sätzen und Zuschreibungen die sie schon oft gehört haben. › Traumatisierte Menschen hören daher manchmal Dinge die Pädagogen so gar nicht Aussagen möchten. › Es macht deshalb Sinn, Wünsche und Erwartungen auch mit expliziten Selbstaussagen und Beziehungsaussagen zu untermauern (vgl. Schulz von Thun, 2007). › Bei Menschen mit belasteten Bindungs- und Beziehungserfahrungen ist es daher sehr wichtig eine „Wir-Sprache“ zu verwenden. › Das eigene Beziehungsohr sollte manchmal leiser gestellt werden. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 66 22 15.02.17 Gruppenregeln und Selbstwirksamkeit Selbstunwirksamkeit http://www.phpresource.de/forum/attachments/ › Mit traumatisierten Kindern eskalieren viele Situationen, bei denen die Einhaltung von Regeln eingefordert wird. › Starre Gruppenregeln überfordern besonders belastete Kinder häufig. › Je rigider die Anwendung von Regeln desto unsicherer sind in der Regel die Fachkräfte. › Regeln werde daher individuell ausgehandelt und begründet (Selbstwirksamkeit; Regeln sichern gute Beziehungen). › Regeln sollen personifiziert und internalisiert werden (familienähnliche Struktur). › Regeln sind dazu da, Ausnahmen zu begründen! out-order/2455d1181334360-na-toll-na-toll.jpg Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 67 Gliederung: Gründe für Abbrüche Loyalitätsbindungen Fehlende Narrative bei der Einleitung von Fremdplatzierungen «Wir können Kinder aus Familien nehmen, aber die Familien nicht aus den Kindern.» Ried Portengen Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 68 Verläufe bei Pflegefamilien (Gassmann 2009) „Ersatzfamilien“ sehr intensive Bindung an Pflegefamilie Gute Kooperation mit Ursprungsfamilie „Ergänzungsfamilie“ „An den Scheidewege des Lebens stehen keine Wegweiser“ Charlie Chaplin Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 69 23 15.02.17 Teufelskreis aus Bindung und Ausstossung (Stierlin 1980, Schweitzer 2002) Ziele für die gesamte Familie definieren Familie drängt auf Entlassung nach Hause, für langfristige Platzierung nicht zu motivieren Familie ist überfordert, massive Konflikte drängen auf stationäre Aufnahme Stationäre Behandlung als Übergang definieren Starke Entlastung durch stationäre Behandlung, Konkurrenz um bessere „Elternschaft“ Eltern müssen in der Verantwortung gehalten werden Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 70 Rückführungsoptionen beinhalten somit mindestens drei Prozesse Prozess des fremdplatzierten Kindes Prozess der Eltern-KindInteraktion Prozess der Eltern Veränderungen Veränderungen Veränderungen Prozess der Interaktion mit nicht platzierten Geschwistern Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 71 Beachtung der Loyalitätsbindung eines Kindes im Rahmen der Fremdplatzierung Starke Loyalitätsbindung der Kinder an die Eltern Wir sind gegen das Heim Ich werte Euch auf, indem das Heim scheitert Eltern Sicher nicht - auch wenn es auf meine Kosten geht Wir sind Profis, wir können Ihr Kind besser erziehen Conen 2007 Heim Kind Wir werden die besseren Eltern für Dich sein Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 72 24 15.02.17 Beachtung der Loyalitätsbindung eines Kindes im Rahmen der Fremdplatzierung Conen 2007 Starke Loyalitätsbindung der Kinder an die Eltern Eltern Kind Wertschätzung der Eltern Betonung der elterlichen Kompetenzen Heim Beachtung der Loyalitätsbindungen im pädagogischen Prozess Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 73 Biographiearbeit Elternschaft umfasst drei Aspekte Biologische Elternschaft Viele Eigenschaften; Loyalität natürliche Zuneigung Soziale Elternschaft Versorgung und Unterstützung Juristische Elternschaft Behördengänge, Entscheide, Verantwortung Ryan & Walker 1997 Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 74 Wann ist eine Fremdplatzierung indiziert? Immer dann, wenn die pädagogischen Bedürfnisse eines Kindes nicht ausreichend abgedeckt werden können › Akute Gefährdung des Kindeswohls: Wenn das Kind vor nicht zu kontrollierender Gewalt oder Vernachlässigung geschützt werden muss. › Erziehungskompetenzen der Eltern wegen eigener Probleme beeinträchtigt sind (psychische Erkrankung, berufliche Neuorientierung, Paarkonflikte etc.). › Das Kind aufgrund einer psychischen Erkrankung einen derart hohen pädagogischen Bedarf aufweist, dass es die Ressourcen der Familie/der Regelschule überfordert. › Die Eltern-Kind-Interaktion derart festgefahren ist, dass nur noch negativ miteinander interagiert wird und dadurch zentrale Entwicklungsziele gefährdet sind. › Das Kind gefährdende Peerbeziehungen hat. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 75 25 15.02.17 Coverstory Was können Kinder erzählen? Meine Eltern haben sich scheiden lassen, was alle in der Familie sehr traurig gemacht hat. Ich habe danach viel Ärger in der Schule mit meiner Lehrerein und anderen Kindern gehabt. Meine Mutter konnte sich dann nicht mehr so um mich kümmern, wie sie es selbst gerne wollte – wir haben auch viel gestritten. Weil mich meine Mutter sehr lieb hat und möchte, dass es mir gut geht, lebe ich jetzt im Kinderdorf. Dort kümmert man sich um mich, hilft mir in der Schule und ich lerne, besser mit anderen Kindern auszukommen und bin nicht mehr so traurig, auch wenn mir meine Mutter manchmal fehlt. Meine Mutter kommt mich im Kinderdorf oft besuchen. Sie sucht nun eine Arbeit. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 76 Coverstory Was können Eltern erzählen? Marcel ist ein Kind, das viel Struktur, klare Grenzen und viel Förderung in der Schule braucht. Wir haben uns schon immer viel um Alltagsdinge und die Schule gestritten. Nach der Scheidung habe ich gemerkt, dass mir alles zu viel wird. Ich konnte mich nicht mehr so um Marcel kümmern, wie er es für seine gute Entwicklung braucht, ich war selbst nur noch völlig erschöpft. Unsere Beziehung wäre kaputtgegangen, wir haben nur noch gestritten. Seit er im Kinderdorf ist bin ich von mich überfordernden Erziehungsaufgaben entlastet, unsere Beziehung hat sich gebessert und ich kann versuchen, eine gute Arbeit zu finden. Wenn wir uns sehen, können wir was unternehmen was uns beiden Spass macht. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 77 Eltern von Hilfen überzeugen › „Zementiere“ die anstehenden Entwicklungsaufgaben und die Zukunftswünsche der Eltern für das Kind und ihre diesbezüglichen Sorgen. › Beschreibe die Teilhabebeeinträchtigung ressourcenorientiert benutze das therapeutische Zauberwort „noch nicht“ so oft wie möglich. › Vermeide es, die Eltern nur im geringsten zu kritisieren, sondern lobe sie für ihre Bemühungen um das Wohl des Kindes. › Nehme konsequent eine Mehrgenerationsperspektive ein. › Beschreibe den pädagogischen Bedarf des Kindes so detailliert und verhaltensnah wie möglich. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 78 26 15.02.17 Eltern von Hilfen überzeugen › Informiere ausführlich fallbezogen über die Unterstützungsmöglichkeiten der avisierten Hilfen. › Benenne aktiv, wie schwer dieser Schritt ist. › Definiere die stationäre Massnahme als Übergang und Chance für maximale Unterstützung zu einer entwicklungspsychologisch wichtigen Zeit. › Erfrage und interessiere dich für die Hindernisse, die die Eltern für eine Heimunterbringung sehen, nehme diese Argumente ernst und führe sie behutsam in einen Problemlöseprozess über. › Wertschätze das vergangene Engagement der Eltern und analysiere besorgt, in welchen Bereichen die Entwicklungsaufgaben dennoch nicht erreicht werden können. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 79 Eltern von Hilfen überzeugen › Betone die Bedeutung der elterlichen Beziehung für das Kind – Entlastung der Beziehung vom Erziehungsalltag führt oft zu nachhaltiger Verbesserung der Eltern-Kind-Beziehung. › Arbeite mit Skalierungsfragen und Frage unter welchen Bedingungen die Entwicklungsziele mit höherer Wahrscheinlichkeit erreicht werden können. › Die Neudefinition der Beziehung zu einem Kind mit stationärem Hilfebedarf ist die Herausforderung und Chance für alle Beteiligten. › Weise auf die Gefahr des Teufelskreis von Ausstossung und Bindung hin und definiere klare Entwicklungsziele – mache keine unrealistischen Versprechungen. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 80 Zusammenfassung und Fazit Beziehungskontinuität in der Hilfeplanung sichern › Fremdplatzierte Kinder und Jugendliche sind psychisch extrem hoch belastet – Psychische Erkrankungen sind die Regel und nicht die Ausnahme. › Viele Kinder und Jugendliche konnten in ihren Herkunftssystemen wichtige sozio-emotionale Fertigkeiten und Repräsentationen nicht ausreichend erlernen, haben grosse Probleme in der Selbststeuerung und sind deshalb in ihrer Teilhabe schwer beeinträchtigt. › Diskontinuität in der Hilfeplanung und wiederholte Abbrüche gefährden die gesunde Entwicklung auf das Extremste. Die Gründe für Abbrüche sind vielfältig. Häufige Ursachen sind eine zu geringe Beachtung der Loyalitätsbindung des Kindes im Platzierungsprozess, psychiatrische Symptome sowie Grenzverletzungen der Mitarbeiter. › Die Selbstwirksamkeit der Fachkräfte im Umgang mit psychiatrischen Symptomen, traumatischen Erlebnissen, Loyalitätsbindungen zu den Eltern und den eigenen Grenzen muss daher im Rahmen der interdisziplinären Hilfeplanung besonders adressiert werden. Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 81 27 15.02.17 Fazit Wer diesen Kinder eine professionelle, reflektierte und emotional engagierte Bindungsperson sein möchte, braucht ausreichende persönliche, soziale, institutionelle Unterstützung, und die Träger benötigen ausreichende gesellschaftliche Anerkennung, Ausstattung und personelle Ressourcen! Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 82 Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit Auf die Haltung kommt es an! «Haltung ist eine kleine Sache, die einen grossen Unterschied macht.» Sir Winston Churchill Slides unter www.equals.ch Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 83 Kontakt und Literatur Marc Schmid Kinder- und Jugendpsychiatrische Klinik der UPK Basel Schanzenstrasse 13, CH-4056 Basel 0041 (0)61 265 89 74 [email protected] www.equals.ch www.traumapädagogik.ch Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel | www.upkbs.ch | 15.02.17 84 28