Reihe 5 Das Magazin der Staatstheater Stuttgart Oper Stuttgart / Stuttgarter Ballett / Schauspiel Stuttgart Nr.5 Sept – Nov 2016 Probier’s mal! Ein Heft über die Kraft der Grenzüberschreitung EDITORIAL SCHWERPUNKT GRENZ­ ÜBERSCHREITUNG Neue Territorien, ­unbekannte Orte, Forschergeist und Neugier. Willkommen im Land des aufkom­ menden Kribbelns, dem Reich außerhalb der Komfort­zone. Ein Heft über das Jenseits hinter den bekannten Grenzen www.porsche.de/SocialResponsibility Kraft ist nichts ohne Eleganz. Und Eleganz nichts ohne Kraft. Porsche ist stolz auf die erfolgreiche Partnerschaft mit dem Stuttgarter Ballett und wünscht Ihnen erstklassige Unterhaltung. Kraftstoffverbrauch (in l/100 km) innerorts 12,6–10,4 · außerorts 6,8–6,7 · kombiniert 9,0–8,0; CO2-Emissionen 208–184 g/km Titelmotiv: David Wile & April Maciborka Foto: Daniel Seiffert (aus dem Buch »Kraftwerk Jugend«) / www.danielseiffert.com Ausbruch? Oder Einbruch? Abenteuer? Flucht? Krimi? Spaß? Des einen Zaun kann des anderen Herausforderung sein Wir werden, wir sind, wir leben, indem wir Grenzen überschreiten Michael Matthiass (Seite 18) Sehr geehrte Leserinnen und Leser, für uns liegt das Schwerpunktthema auf der Hand, es hängt in der Luft, in den Themen der Sparten steckt es sowieso. Wir könnten es auch »Grenzen durchbrechen« nennen. Grenzen überwinden, Grenzen einreißen. Ballett, Oper und Schauspiel: Sie alle setzen sich zurzeit mit Grenzen auseinander. Es geht um Internationalität und Offenheit, Leistung und Fortschritt, Moral und Verantwortung. Der Begriff »Grenzen« allein wäre zu pädagogisch, zu brav. Die Überwindung von Grenzen aber ist ein Bekenntnis, das wir direkt aus den Gesprächen und Spielplänen ableiten. Die Oper hat es in ihrem Spielzeit-Motto »Oper ohne Grenzen« thematisiert. Und mit The Opera Platform gibt es ein Projekt, das Häuser und Zuschauer in ganz Europa vernetzt (Seite 39). Ebenso aktuell: Faust, dieser Grenzgänger der Wissenschaften (Seite 34). Das Programm des Schauspiels steckt voller Grenzüberschreitungen und Grenzbrecher. Wie zum Beispiel bringt man Lolita, Nabokovs Skandalroman über einen Pädophilen, auf die Bühne (Seite 22)? Und das Ballett? 23 Nationen ­beherbergt das Stuttgarter Ballett; Nationalität ist für die Tänzer kein Thema von Belang (Seite 28). Jedoch wenn die ­Compagnie verreist, sollte jeder wissen, wo der Reise­pass steckt (Seite 43). Unser Heft widmet sich den Überschreitern von Grenzen, den Infragestellern, den Reisenden, den Internationalen, Verschiebern, Entdeckern, Provokateuren. Wir alle brauchen Grenzen, um uns zu spüren. Ob sie welche sind, an denen wir rütteln, die wir gern setzen oder überspringen wollen, liegt an uns. Hauptsache, wir bleiben darüber im Gespräch. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen grenzenlose Unterhaltung. Und freuen uns auf Sie! Die Staatstheater Stuttgart 3 INHALT 44 Junge Seite Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einer Oper und einem Musical? 3 Editorial FOYER 6 12 Momente 13 Das Requisit 14 16 28 Bilder Virtuose Grenzgänger Mein Weg Strawinsky, Curie, die Bezwinger des Mount Everest – niemand ließ sich von einem »Geht nicht« aufhalten Erst ein Professor nahm ihr die Angst davor, im Mittelpunkt zu stehen: In Stuttgart präsentiert Lea Ruckpaul jetzt ihre Paraderolle Sie war Mozarts Königin der Nacht und eine Rocksängerin. Doch die Solistin Ana Durlovski kann auch Barock. Und wie! BÜHNE: GRENZENLOS 18 Im Stuttgarter Ballett stehen 23 Nationalitäten auf der Bühne Lob der Neugier 22 26 Die vielen Gesichter Lolitas Lachen ist ein Schock Der Regisseur Sebastian Hartmann spricht über Humor auf der Theaterbühne – und erzählt seinen Lieblingswitz 28 Nationalität: Tanz Japan, Brasilien, Türkei: Die Tänzerinnen und Tänzer des Stuttgarter Balletts ver­ körpern die Idee einer Weltgemeinschaft 34 Die Verwandlung des Faust Wie uns ein alter Stoff immer wieder in neuer Form begegnet – und was uns das über den Zustand unserer Welt sagt Hollywoodreif Wie Stanley Kubrick den Schriftsteller Vladimir Nabokov um ein Drehbuch bat und es nicht verfilmte. Die Geschichte einer Täuschung 40 39 Oper für daheim 15 der besten Opernhäuser und Festivals Europas übertragen ihre Produktionen auch als Livestream und im Download In fremden Betten Wie fühlt man sich unterwegs zu Hause? Ein Gespräch über das Leben im Hotel Das Wesen des Lebens besteht darin, Grenzen zu erkennen – und zu verschieben Von Nabokovs Roman über Kubricks Hollywoodverfilmung zur Popikone 22 BACKSTAGE Fotos: Roman Novitzky; getty images / Moviepix; Jim Rakete / photoselection Illustrationen: von Zubinski; Anje Jager Vereinte Nationen 4 18 41 In der Probe Was eine Zuschauerin bei einer Bauprobe des Schauspiels erlebte 42 Mein Arbeitsplatz 12 Mein Klang Wie nur ein Akkord einen Leonard-Cohen-Song prägt Die lnspizientin Almut Bracher über die Aufregung eines Opernabends 42 Am Gang Wie schlüpft Diana Haller in die Rolle eines Mannes? Indem sie studiert, wie er läuft 43 Hausbericht Wenn das Stuttgarter Ballett auf Reisen geht 44 Junge Seite Für neugierige Knirpse – und alle anderen, die Großes erfahren wollen 46 Was war da los? Ein Foto und seine Geschichte 46 Impressum 34 Wegweiser In unruhigen Zeiten suchen wir Orientierung bei Goethes Faust. Warum, erklärt die Schriftstellerin Thea Dorn 5 Völlig losgelöst Für die einen ist sie Rückzug und (Be)sinnlichkeit, die anderen machen sie lieber zum Tag. Zu allen Zeiten waren Komponisten fasziniert, wie die Nacht unsere Stimmung verändert. Einen kleinen Einblick in den Kosmos ihrer Musik gibt das 1. Kammerkonzert mit der Langen Nacht der Nachtmusiken am 19. Oktober 2016 im Mozartsaal der Liederhalle. Sie sehen hier: den Himmel im Opernhaus bei einer Peter Pan-Vorstellung 6 7 Foto: A.T. Schaefer FOYER FOYER Foto: diwafilm / Walter Harrich Feuerschlange Man stelle sich vor: Der Tote, Opfer des mexikanischen Drogenkriegs, wurde mit einem deutschen Sturmgewehr erschossen, das dort gar nicht sein dürfte (Auszug aus der TV-Dokumentation Tödliche Exporte). Man stelle sich vor: Täglich geschieht dies an vielen Orten in der Welt. In ihrem Theaterstück Feuerschlange zeichnen Philipp Löhle und Dominic Friedel die verschlungenen Wege deutscher Waffen nach. Ab 29. Oktober im Nord 8 9 FOYER Foto: Stuttgarter Ballett Vorfreude Endlich! Die widerspenstige Katharina ist gebändigt, die Freier dürfen vor die jüngere Schwester Bianca treten und buhlen. Doch trifft ihr euphorischer Pas de trois bald auf ein neues Hindernis, wenn sie sich durchs enge Schloss­ tor quetschen müssen. Keine Schlüsselszene aus John Crankos Ballettkomödie Der Wider­ spenstigen Zähmung – doch eine, die kein Zuschauer vergisst. Ab 29. September 2016 im Opernhaus 10 11 FOYER Aufs richtige Pferd gesetzt Wie flüstert man, dass man es auch in der hintersten Reihe hört? MARIETTA MEGUID (51), Schauspielerin im Ensemble des Schauspiels Stuttgart, antwortet: Wichtig ist zunächst eine gute Akustik im Saal. Und dann die Bühnensituation: Irgendwie muss der Fokus auf den Flüsterer übergehen, durch eine plötzliche Bewegung, anderes Licht. Damit richtet sich die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf den Sprecher. Als Schauspielerin brauche ich natürlich eine gute Sprechtechnik. Die Konsonan­ ten müssen leisen Vokalen den Absprung ermöglichen, wie eine Art Trampolin; bei dem Wort Gott kommt es also stark auf das G und das T an. Technik allein reicht aber nicht: Ich muss den Gedanken transportieren, der hinter dem leisen Sprechen steht, damit mich das Publikum überhaupt hören möchte. Ein gutes Beispiel dafür ist ein leises Ach – mit diesem Wort lässt sich so viel ausdrücken! Deshalb freut es mich besonders, wenn mir Zuschauer dafür gratulieren, dass sie mich sehr gut verstehen. Wenn Sie auch eine Frage haben, dann schreiben Sie uns eine E­Mail an reihe5@staatstheater­stuttgart.de 12 Mein Klang »Dieser Akkord verändert den Song Chelsea Hotel #2 von Leonard Cohen ganz wesentlich: Das vorher positiv klingende Lied wird sehr melancholisch. Cohen beschreibt darin eine Nacht, die er mit der Sängerin Janis Joplin verbrachte. Sie wusste nicht, wer er war. Die beiden haben sich nicht wiedergesehen. Diese Geschichte hat mich sehr berührt. Sie war der Auslöser für das Projekt Chelsea Hotel.« HANNA PLASS ist Schauspielerin und entwi­ ckelte gemeinsam mit Sébastien Jacobi und Max Braun den musikalischen Abend Chelsea Hotel. Premiere am 23. September im Kammertheater Mein Moment »Ich liebe es, das Eröffnungssolo in Edward Clugs Choreographie Ssss … zu tanzen! Clugs Stück zu der Musik von Frédéric Chopins Nocturnes beschwört die Stimmung um Mitternacht herauf, wenn die Welt still und in tiefes Blau getaucht ist. Damit auf die Bühne zu gehen ist sehr befreiend und ganz ohne Stress. Es war das erste große Solo, das ich getanzt habe, auch bei dem wichtigen Gastspiel des Stuttgarter Balletts in London 2013.« auf vier höhenverstellbaren Holzbeinen Schwingel. Er empfahl ihn jungen Burschen, um Sprünge und Schwünge mit gegrätschten Beinen zu trainieren. Wo sich normalerweise der Sattel befände, hat das Seitpferd Pausche oder Griffholme; bis heute ist es ein reines Männerturngerät. Ob Choreograph John Cranko für seine 1969 in Stuttgart uraufgeführte Ballettkomödie Der Widerspenstigen Zähmung den Holzgaul genau deshalb als Begleiter des Helden Petruchio wählte? Gut möglich! In zehn Bildern erzählt Cranko die auf William Shakespeares The Taming of the Shrew fußende Geschichte der kratzbürstigen Katharina, die mit dem Edelmann Petruchio verheiratet werden soll. Der begegnet ihr zunächst als Berserker, um sich analog zu ihrer Verwandlung zum liebenden Partner zu mausern. Insider wissen: Cranko nutzte die Komödie, um Richard Cragun – den ersten Petruchio – in seiner Beziehung zur älteren Marcia Haydée zu stärken: auf der Bühne wie im Privaten. Das Seitpferd, ergänzt um Kopf, Mähne und Schweif, hat seinen Auftritt im zweiten Akt: Mehr an dessen Bauch hängend als auf dem Rücken reitend, erreicht Katharina die Herberge ihres Mannes als verängstigtes Weib. Auf einem zweiten Ritt in umgekehrter Richtung gilt dann: Was sich (noch uneingestanden) liebt, das neckt sich. Bei diesen Scherzen spielt die olle Schindmähre eine tolle Rolle. Julia Lutzeyer DER WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG Ballett von John Cranko nach William Shakespeare Ab 29. September 2016 im Opernhaus PABLO VON STERNENFELS ist Solist beim Stuttgarter Ballett. In Edward Clugs Ssss … tanzt er im September bei einem Gastspiel des Stuttgarter Balletts in Maribor und im Rahmen des Ballettabends NACHTSTÜCKE ab dem 24. März 2017 im Schauspielhaus Sprecht leise, haltet euch zurück, wir sind belauscht mit Ohr und Blick Meine Szene »Der Satz stammt aus Fidelio. Über den Köpfen der Häftlinge hängen Mikrofone, protokollieren jedes Wort, Scheinwerfer verfolgen kleinste Bewegungen. Jeder Gedanke, jedes Gespräch in Fidelio entsteht im Bewusstsein der Überwachung. Wer lauscht? Eine Maschine, ein politisches System, Datensammler oder die vermeintlich Verbündeten? Hier wird kollektives Misstrauen und Unsicherheit ausgesprochen. Eine Situation, die mich in Hinblick auf unsere digitale Welt beklommen macht.« JOHANNA DANHAUSER ist Dramaturgieassis­ tentin an der Oper Stuttgart. Fidelio ist wieder im Repertoire ab 23. September im Opernhaus Fotos: Christoph Kolossa; Stuttgarter Ballett; Martin Sigmund Hanjo Schmidt (71), Künstler aus Stuttgart, fragt: Das Requisit Vom Reittier hat das Turngerät seinen Namen: Seitpferd. Das kommt nicht von ungefähr. Mit einer Wettkampflänge von 1,60 Metern ist es einem Pferderücken nachempfunden. In Zeiten vor der motorisierten Fortbewegung lernten Adelssprosse das Auf- und Absitzen an Reitpferd-Attrappen. Eine Fertigkeit, die nicht nur Offizie­ re beherrschen mussten. Und Holzpferde ließen sich leichter bändigen als echte Rosse, die unerwartet auch mal ausschlagen. Rein sportlich genutzt wurde die seit der Antike bekannte und zunächst nur aus Holz gefertigte Apparatur erstmals von Friedrich Ludwig Jahn, dem Erfinder des Geräteturnens. Der landläufig als Turnvater bekannte Pädagoge nannte den mit Leder bezogenen Rumpf 13 FOYER LEA RUCKPAUL (29) wechselte von Dresden an das Schauspiel Stuttgart. In Bilder deiner großen Liebe, der Theaterfassung des unvollendeten Romans von Best­sellerautor Wolfgang Herrndorf, stellt sie sich erst­ mals dem Stuttgarter Publikum vor Einladung zur Einlieferung Consignments always welcome 742 | Moderne & Zeitgenössische Kunst MEIN WEG Am Start 16. November 2016 Sie ahnte nicht, dass eine Schauspielerin in ihr steckt. Jetzt feiert Lea Ruckpaul große Erfolge in der Rolle einer jugendlichen Ausreißerin 14 Keine Rolle hat sie bisher so mitgenommen wie die der Isa in Bilder deiner großen Liebe. Sie im Mittelpunkt, in der Rolle einer jugendlichen Ausreißerin. Keine Kulissen, kein Nebel, fast nur Monologe. Bei einer Aufführung stritten sich in den vorderen Reihen Teenager um die besten Plätze. Ruckpaul geriet ins Stocken. Ihr Kollege, der sämtliche Männerrollen spielte, rettete sie, indem er eine seichte Klaviermelodie pfiff. Ruckpaul fand zurück in ihre Rolle. Die Situation wurde seither bei jeder Aufführung wiederholt. Die Resonanz ist überwältigend. »Die Leute sprechen mich an und sagen, dass sie das, was ich zeige, selbst genauso empfinden«, so Ruckpaul. Seit September steht sie als neues Mitglied des Stuttgarter Ensembles auf der Bühne, wieder mit Bilder deiner großen Liebe. Aufregend sei das. Vor allem wegen der neuen Kollegen. »Als Schauspielerin ist man extrem abhängig von dem Blick, den andere auf einen haben. Ändert sich das Team, dann ändert sich auch der Blick«, sagt Ruckpaul. Bei einem ist sie sich aber sicher: »Ich habe mit tollen Leuten zu tun.« Saphir Robert BILDER DEINER GROSSEN LIEBE nach dem Roman von Wolfgang Herrndorf Stuttgarter Premiere am 24. September 2016 im Nord 2009 Leipzig 2011 Dresden 2016 Stuttgart Foto: Fabian Schellhorn W enn eine Eigenschaft ganz sicher nicht zu Lea Ruckpaul passt, dann diese: Abgebrühtheit. Schon am Vortag einer Aufführung steigt die Anspannung, mitunter so stark, dass ihr übel wird oder sie sich den Hals verrenkt. Steht sie auf der Bühne, hat sie Fluchtgedanken – und wird am Ende von Publikum und Kritik mit Lob überhäuft. »Vor allem vor der ersten Aufführung von Bilder deiner großen Liebe habe ich echt gelitten«, sagt Ruckpaul. Das Leiden lohnte sich: »Frisch«, »wandlungsfähig«, »energisch« sind Attribute, die ihr im Feuilleton zugeschrieben werden. Eigentlich wollte die gebürtige Berlinerin Regisseurin werden, doch die Aufnahmeprüfung an der Ernst-BuschHochschule verlief katastrophal. Bis auf den Moment, als sie einen Monolog vorsprechen sollte. Wenige Tage danach traf ein Brief eines der Professoren bei ihr ein: Ob sie nicht lieber auf statt hinter der Bühne stehen wolle? Zum Glück hat sie den Rat befolgt. Zur Ausbildung ging sie nach Leipzig, später nach Dresden, bekam dort ein Engagement beim Staatsschauspiel. Sie spielte sich nach vorne, als Ophelia in William Shakespeares Hamlet, als das Mädchen Rita Seidel in Der geteilte Himmel von Christa Wolf. Louis Soutter (1871 - 1942) „Le cordeau métallique“, 1939. Erlös: € 213.000,- Nagel Auktionen GmbH & Co. KG | Neckarstrasse 189 – 191 | 70190 Stuttgart | Postfach 103554 | 70030 Stuttgart Tel: + 49 (0) 711 - 64 969 - 340 | Fax: + 49 (0) 711 - 64 969 - 9340 | lenssen-wahl @ auction.de | www.auction.de FOYER ANA DURLOVSKI (38) singt nicht nur klassische Arien, sondern gern auch Werke zeitge­ nössischer Komponisten, um Gehör und Stimme immer wieder neu zu trainieren MEIN WEG Die Königin Ihre Kinder malen sie grundsätzlich mit Krone. Doch Publikum und Presse lieben die Sopranistin Ana Durlovski auch wegen ganz unfürstlicher Rollen 16 der La Folie stakst sie mit strubbeligem Lockenhaar und x-beinig in roten Pumps auf die Bühne, die Gitarre umgehängt, zwitschert, trällert, röhrt ihre Arie, als gäbe es kein Morgen. »Zum Wegschmeißen toll«, schrieb die Stuttgarter Zeitung. »Das ist das Großartige an meinem Job: Ich kann Dinge machen, die man sonst nicht tut«, sagt Durlovski. Und lobt die Oper Stuttgart, die bei ihren Produktionen die Individualität der Sänger miteinbeziehe. »Man kann Charaktere darstellen, richtige Geschichten erzählen. Nur dann glauben die Zuschauer, was man auf der Bühne macht.« Ab Oktober singt sie die Titelrolle in Alcina von Georg Friedrich Händel und freut sich darauf, wieder einmal eine Barockoper aufzuführen. Vielleicht sitzt im Publikum ihr achtjähriger Sohn. Der verfolgte in der vergangenen Spielzeit jede ihrer Rigoletto-Vorstellungen, in der sie die Rolle der Gilda spielte. Bei allen Aufführungen war er im Zuschauerraum dabei, ohne Begleitung. Zu Hause malten die beiden jüngeren Geschwister derweil die Mutter. Immer mit Krone. Denn schließlich ist Mama ja die Königin der Nacht. Saphir Robert ALCINA von Georg Friedrich Händel Wieder im Repertoire ab 5. Oktober 2016 im Opernhaus 1999 Skopje Mazedonien 2001 Wien Österreich 2006 Mainz Deutschland 2009 Stuttgart Deutschland Foto: Martin Sigmund N un ja, die Königin der Nacht. Zu dieser zentralen Figur in Mozarts Zauberflöte hat Ana Durlovski eine zwiespältige Haltung. Einerseits: eine tolle Rolle. Extreme Anforderungen an die Stimme, solche Töne muss man erst einmal beherrschen. Andererseits: Jeder, wirklich jeder kennt die entscheidende Stelle, an der die Sängerin das hohe f singt. »Alle warten nur darauf«, seufzt Ana Durlovski. Selbst bei guter Vorbereitung sei der Druck enorm. Aber: »Wenn ich aufgeregt bin, dann bin ich sehr konzentriert, mit allen Sinnen offen. Das ist gut für die Rolle«, sagt Durlovski. Zur Oper kam die Mazedonierin eher zufällig. Eigentlich wollte sie Musiklehrerin werden, eine Dozentin an der Hochschule überredete sie, Gesang statt Musikpädagogik zu studieren. Mit 21 Jahren kam der Durchbruch an der Oper in Skopje mit der Rolle der Lucia in der Donizetti-Oper Lucia di Lammermoor. Später folgten Engagements in Wien und Mainz, seit 2011 ist sie Mitglied des Solistenensembles der Oper Stuttgart – und wird von der Presse gefeiert. Nicht nur für ihre Stimme, sondern immer wieder auch für ihre Darstellungskraft, die ihre Rollen so überzeugend macht. Zum Beispiel als zugedröhnte Rocksängerin in Platée. In der Rolle BÜHNE D JENSEITS DER GRENZEN Pioniere, Entdecker, Künstler riskieren ihren Ruf. Verlassen die Komfortzone. Weil es sie juckt, treibt und interessiert. Zum Glück. Denn ohne ihre Neugier wäre die Welt ein Hort der Mittelmäßigkeit. Ein Loblied auf die Grenzgänger TEXT: MICHAEL MATTHIASS 18 ILLUSTRATIONEN: ANJE JAGER iese Reise war die erste und letzte seines kurzen Lebens. Mit Millionen Mitstreitern hineingeworfen in eine feindselige Welt, musste er erleben, wie unterwegs die unüberwindbar scheinende Zahl seiner Artgenossen erst auf wenige Zehntausend und schließlich auf kaum zwei Dutzend zusammenschmolz. Umkehren? Keine Option. Dafür war der Lockruf, der süße Duft der biochemischen Verführung, zu übermächtig. Jetzt war er am Ziel! Sekundenbruchteile vor seinen letzten Mitstreitern hatte er die finale Barriere erreicht, die ihn noch davon abhielt, den Zweck seines Daseins zu erfüllen: eine winzige Portion genetischen Materials an sein Ziel zu transportieren, zu der Eizelle, die direkt vor ihm wie ein schwirrender Miniplanet pulsierte. Angetrieben von den letzten erschöpften Schlägen seiner Geißel rammte er seinen Kopf in ihre Außenmembran und entlud den nur für diesen Moment gemixten Cocktail von Enzymen, der die Hülle einen atemlosen Augenblick lang öffnete, gerade so lang, dass er hineinschlüpfen konnte. Im selben Moment versiegelte die Eizelle ihre Hülle. Egal: Er hatte die entscheidende Grenze seiner Welt überwunden. Neues Leben würde entstehen. Vom Beginn unserer Existenz, von dem Moment an, in dem Eizelle und Spermium verschmelzen, zieht sich eine fundamentale Wahrheit durch unser Leben: Wir werden, wir sind, wir leben, indem wir Grenzen überschreiten. Das ist anstrengend, schmerzhaft, riskant und erfordert Timing – aber es ist zugleich die Quelle all dessen, was großartig ist an der menschlichen Kultur. Alle unsere großen Taten als Spezies sind Grenzüberschreitungen: von der Mondlandung zu Beethovens späten Streichquartetten, von der Bill of Rights zu den sphärischen Bauten Zaha Hadids. Wir lieben es, Grenzen zu überschreiten – und könnten doch ohne sie nicht überleben. Das Englische hat für diese Janusköpfigkeit zwei Begriffe gefunden: »frontier« und »barrier«. Die »frontier« ist die Grenze, die wir immer weiter dehnen, verschieben, sprengen. Ihr rücken wir mit Planwagen im Wilden Westen und Raumsonden jenseits des Jupiters zu Leibe; sie treibt uns zu Höchstleistungen in Wissenschaft und Kunst. Die »barrier« dagegen Grund, um 1960 mit seiner Trieste an den tiefsten Punkt der Erdoberfläche im Maria­ nengraben zu tauchen, obwohl 11 000 Meter unter dem Meeresspiegel ein Druck von 40 Millionen Tonnen auf dem Tauchboot lastete und das Einzige, was zwischen ihm und der Zerschmetterung stand, eine zwölf Zentimeter dicke Stahlplatte war. Oder die Gebrüder Wright: Ihr Idol Otto Lilienthal war bei seinen Flugversuchen tödlich verunglückt. Den beiden Amerikanern war klar, welches Risiko sie eingingen, als sie in den Dünen von Kitty Hawk die Grenzen der Schwerkraft zu überwinden versuchten. Abhalten konnte es sie nicht. Zaha Hadid: Die Kunst der in Bagdad geborenen Architektin bestand darin, Beschränkungen einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen ist die Grenze, die schützt, was kostbar ist. Unsere Haut ist so eine »barrier«. Staatsgrenzen sind es, Normen und Gesetze, Gartenzäune und Spamfilter tun das Gleiche: Sie trennen Innen und Außen und geben uns ein Gefühl von Sicherheit. Ohne »barriers« spüren wir uns nicht, können uns nicht reiben, haben kein Gefühl dafür, wann wir zu weit gehen, oder werden vom Außen überwältigt. Und doch, all das reicht nicht aus, uns auf Dauer auf der sicheren Seite zu halten. Denn jede Grenze, die vor uns liegt, lockt uns. Sie sagt: »Jenseits von mir, da geht es weiter.« Um dann leise hinterherzuflüstern: »Wenn du dich traust …« Hillary, Piccard, Wright »Weil er da ist«, antwortete Edmund Hillary auf die Frage, warum er als erster Mensch den Mount Everest bestiegen hatte – mit einer Ausrüstung, in der heute kaum jemand auf den Feldberg spazieren würde. Auch Jacques Piccard brauchte keinen besseren Warum das alles? Ist das Leben nicht riskant und anstrengend genug, ohne noch ständig aus der Komfortzone auszubrechen und irgendwelche Grenzen, echte oder imaginäre, zu überschreiten? Das ist es, natürlich. Andererseits: Wie viel Spaß macht eine Komfortzone, in der es keine Flugzeuge, keine Bergsteiger, keine mutigen Entdecker gibt? Und keine Künstler – schon aus Prinzip die Grenzüberschreiter schlechthin? Eine Welt ohne Bachs Johannespassion, ohne Strawinskys Sacre du Printemps, ohne Mozarts Entführung aus dem Serail? Wäre sie überhaupt eine Komfortzone, diese Welt der eingehaltenen Grenzen – oder einfach nur ein Hort belangloser Mittelmäßigkeit? Zum Glück stellt sich die Frage nicht: Künstler konnten den Verlockungen der Grenze schon immer am wenigsten widerstehen. Bach scherte sich nicht um den Ärger nach der Uraufführung der Johannespassion, die von kompetenten Zeitgenossen als »fleischlich«, »luxuriös« und »sinnlich« abgelehnt wurde. 19 BÜHNE Strawinsky hatte zwar, als am Ende der Premiere des Sacre du Prin­temps Prügeleien im Publikum ausbrachen, das Theater schon durch ein Fenster verlassen und strich »derangiert und desillusioniert« durch die Straßen des nächtlichen Paris. Aber sein Meisterwerk hatte er vorher erschaffen und dabei so viele Grenzen überrannt wie wenige vor ihm. Mozart musste sich von Kaiser Joseph II. der Überlieferung nach ein leicht nörgeliges »… gewaltig viele Noten, lieber Mozart« anhören. Dass das junge Genie gerade eine neue, psychologisch ungemein präzise Form der Arienbegleitung erfunden hatte (die in der Tat ein paar mehr Noten benötigte als die »übliche« Art des Accompagnierens), war dem Regenten offensichtlich durchgerutscht. Mozart focht das nicht an. Die Grenze war überschritten, das Tor geöffnet, und kaum jemanden, der einmal hindurchgeschritten war, verlangte es hinterher noch nach Arien der »alten Weise«. Auch das Drama war immer ein Drama auf und hinter der Grenze: Shake­speare raubte dem feinen, höfischen Englisch das Bühnenmonopol und feierte die tausend Sprachfarben seiner Zeitgenossen, von Gosse bis Poesie, von weise bis wirr – very shocking für alle, die an Standes- und Anstandsgrenzen hingen. Das inspirierte Schiller dazu, den deutschen Adel vom Sockel zu stoßen, mit Fürstenschelten à la Kabale und Liebe, wie sie Deutschland nie zuvor gehört oder gesehen hatte. Sturm und Drang at its best. Büchner, Einstein, King Schillers Vorbild ermutigte Georg Büchner, Menschen zu Wort kommen zu lassen, an denen das Publikum bis dahin höchstens in verhängten Kutschen vorbeigerauscht war. Büchner entwickelte aus Gerichtsakten den Woyzeck: Dieses erste Dokumentartheater der Welt gab dem niedrigsten Stand, den 20 Paupern, über Nacht Stimme und Gestalt. Nicht alle waren froh, das zu sehen … Im Tanz brauchte es einen George Balanchine, um das Ballett vom Ballast pompöser Bühnenbilder, opulenter Kostüme und überfrachteter Handlung zu befreien. Jenseits dieser Grenze der Konventionen gewann Tanz seine uralte Magie zurück, für die es nichts weiter braucht als bewegte Körper im Raum. Kurze Zeit später belebte John Cranko durch seine völlig neue Art, Charaktere und dramatische Situationen nur durch Bewegung zum Leben zu erwecken, das tot geglaubte Genre des Handlungsballetts wieder. Statt mühsam pantomimisch vermittelter Handlung und Tanzeinlagen um ihrer selbst willen kreierte er leben­ dige Charaktere, deren Schicksal er durch den Tanz selbst klar und unmittelbar menschlich erzählte. Künstlerisch aufgewachsen im Geiste Crankos, war es William Forsythe, der durch seine nie versiegende, unerschrockene Neugierde erneut Grenzen sprengte. Ende des 20. Jahrhunderts stellte er das Vokabular des klassischen Balletts buchstäblich auf den Kopf: Forsythe kippte Figuren, brach Linien, dehnte und beschleunigte Bewegungen – und nahm damit die Tanztechnik komplett auseinander, nur um sie neu zusammenzusetzen, ehe er sich schließlich komplett von ihr löste. Es ist ein Segen, wie sehr es uns in die Welt jenseits der Grenzen zieht: wo Kontinente entdeckt und Menschenrechte erstritten werden, wo Maler keine Dinge mehr malen und Gebäude keine rechten Winkel mehr haben. Wo Einsteins Schwerkraftwellen keine Science-Fiction sind. Und Marie Curie als erste Frau zwei Nobelpreise gewinnt. Und dort ist es möglich, eine der absurdesten Grenzen zu überwinden, die es je in die Köpfe der Menschheit geschafft hat: die zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe. Als Martin Luther King 1963 vor Hunderttausenden jene Zeilen improvisierte, die ihn unsterblich machen sollten, war im Süden der USA Lynchjustiz an Farbigen und die Ermordung weißer Bürgerrechtler an der Tagesordnung. Wo auch immer er die Bilder des vierfach fulminanten »I have a dream!« hernahm, diese Bilder kamen alle von jenseits dieser Grenze. Einer Grenze, so menschenverachtend, dass sie schließlich auch ihn das Leben kostete. Aber da war die Idee schon in der Welt: »Ich habe einen Traum, dass eines Tages meine vier Kinder in einer Nation leben werden, die sie nach der Qualität ihres Charakters beurteilt, nicht nach der Farbe ihrer Haut!« Und hatte sich in all ihrer entlarvenden Selbstverständlichkeit in das Gedächtnis der Welt eingeprägt – und den Bereich des Möglichen neu definiert. Jenseits der Grenzen ist der Ort, an dem das »Projekt Mensch« über sich hinauswachsen kann. An dem wir jenes Talent verwirklichen, das damals, als wir im Überwinden der ersten Grenze empfangen wurden, in uns eingeprägt wurde: unser Talent für ein Leben jenseits der Grenzen. Virtuose Grenzüberschreiter: der Komponist Igor Strawinsky (linke Seite); die Expedition des Edmund Hillary (darunter); Jacques Piccard und sein Unter­ seeboot (rechts außen); die Physikerin Marie Curie (oben). Sie alle erweiterten unseren Spiel- und Handlungsraum. Und vergrößerten so die Welt BÜHNE Der Sammler, der kein Jäger war Die meisten Menschen kennen Lolita, den Roman von Vladimir Nabokov über die Obsession eines erwachsenen Mannes mit einem zwölfjährigen Mädchen. Kaum bekannt ist, dass das Thema den Autor ein Leben lang verfolgte. Wenige kennen die Geschichte, wie Starregisseur Stanley Kubrick bei Nabokov ein Drehbuch bestellte – um anschließend sein eigenes zu verfilmen. Die Geschichte einer Täuschung Nabokovs Leidenschaft galt Schmetterlingen (hier in der Schweiz circa 1960/70). Er entwickelte sogar eine eigene Klassi­fikationsmethode, die auf dem Vergleich der Genitalien männlicher Polyommatus-Exemplare basierte 22 Foto: ullstein Bild / Fondation Horst Tappe TEXT: MICHAEL MAAR Im Juli 1959 bekommt der russische Schriftsteller Vladimir Nabokov einen Anruf, der in die Geschichte von Film und Literatur eingehen wird. Am Telefon ist der Meisterregisseur Stanley Kubrick. Er lädt den 60-Jährigen nach Hollywood ein, um die Drehbuchfassung für Nabokovs Skandalroman Lolita zu erarbeiten. Für Nabokov ist dies die nächste Evolutionsstufe seines Lebensthemas: Ein Mann verfällt sexuell einem ephebenhaften Mädchen – kein anderer Stoff hat ihn je obsessiver beschäftigt, kein anderer hat ihn höher steigen lassen. 1955 war sein Roman erschienen, danach stand er für über ein Jahr auf den Best­seller­ listen der westlichen Welt. Nabokov nimmt die Einladung an, doch das Projekt wird seine größte Enttäuschung. Nur ein paar Monate später wird er ein Typo­skript von 400 Seiten vorlegen. Minutiös sind Kamerafahrten beschrieben, Kostüme skizziert und kleinste Regieanweisungen gegeben. Kubrick wird antworten, es sei »das beste Drehbuch, das je in Hollywood entstanden sei«. Tatsächlich wird sich der Regisseur hinter Nabokovs Rücken an eine eigene Version machen – und sich monatelang immer wieder mit Nabokov zu vermeintlichen Arbeitstreffen zusammensetzen. Ende Mai 1962 geht Nabokov an Bord der Queen Elizabeth, um in New York die Filmpremiere zu besuchen. Er verlässt das Kino wortlos – Kubrick hat von Nabokovs Drehbuch quasi nichts übernommen. Zeit seines Lebens wird der Schriftsteller kein schlechtes Wort über den Film verlieren. Dafür sorgten die Verträge, die die Holly­woodanwälte aufgesetzt hatten. 1974 erlauben sie dem weltberühmten Autor, seine Urfassung selbst zu veröffentlichen. Lolita. Ein Drehbuch ist ein Dokument des Scheiterns – und der Unmöglichkeit. Schon mit dem Buch schuf Nabokov Figuren, beschrieb eine Grenzüberschreitung, die sich bis heute weder verfilmen noch auf eine Bühne übertragen lässt. Auch Edward Albees Drama Lolita, 1981 uraufgeführt in New York mit Donald Sutherland als Humbert, ist »seit Jahren gewiss nicht ohne Grund für alle Aufführungen gesperrt«, wie Dieter E. Zimmer im Nachwort der deutschen Ausgabe Lolita. Ein Drehbuch anmerkt. Wenn sich nun am Schauspiel Stuttgart ein Team rund um den Regisseur Christopher Rüping erneut daranmacht, eine Fassung dieses unfassbaren Stoffes vorzulegen, so darf man erwarten, dass ebendiese »Unmöglich­keit« eine der treibenden Kräfte der Bühnenfassung sein wird. Vladimir Nabokov war auf den Namen, den Titel und den groben Plot für sein Lebens­thema bereits in den späten Zwanzigerjahren in Berlin gestoßen. Heinz von Eschwege, ein Verwandter seiner lang­ jährigen Ver­mieterin, hatte unter dem Pseudonym Heinz von Lichberg eine Sammlung von Erzählungen veröffentlicht – unter dem Titel Die ver­fluchte Gioconda. Eine dieser Erzählungen trug den Titel Lolita: Ein durchreisender Herr verliebt sich in die blutjunge Tochter seiner Zimmerwirtin. Im Jahr 1940 gelang Nabokov mit Frau Véra und Sohn Dmitri die Flucht vor den deutschen Truppen. Doch das Leben in den USA ließ sich mühsam an. Nachdem er jahrelang Schmetterlinge untersucht und sich als Literaturdozent durchgeschlagen hatte, meldete sich mit Macht sein Lebensthema zurück. Nabokov verfasste einen Roman, in dem »Lolita« »Lolita« blieb und der Durchreisende den Namen »Humbert Humbert« erhielt. Der entführt das Mädchen und missbraucht es, seiner unbezähmbaren Begierde ausgeliefert, Tag für Tag. Das unmögliche Buch war geschrieben. Doch wer um Himmels willen sollte es drucken? 23 Das beste Drehbuch, das jemals in Hollywood entstanden ist. So antwortete Kubrick dem Autor Nabokov, nachdem er dessen Lolita-Drehbuch gelesen hatte. Verfilmt hat er dann sein eigenes DOPPELTE VERSUCHUNG Sue Lyon und James Mason in der Kubrick-Verfilmung (oben) galten als Fehlbesetzung. Auch das Remake mit Dominique Swain und Jeremy Irons von 1997 fiel durch. Die Kritiker warfen ihm Oberflächlichkeit vor 24 Seine Freunde und die Universitätskollegen rieten ihm strikt von einer Veröffentlichung ab. Niemand konnte sagen, ob man dafür in den Knast wandern würde. Kein Verleger in den prüden Vereinigten Staaten wagte sich an den Stoff. Nabokov musste das Manuskript schließlich der Pariser Olympia Press anvertrauen, einem auf Erotika spezialisierten Kleinverlag. Im Dezember 1955 erschien in London eine Weihnachtsempfehlung Graham ­Greenes, die auf die zwei hellgrünen Olympia-Bände als bemerkenswerte Literatur hinwies. Doch zunächst blieb alles ruhig. Bis die wirkmächtigste Rezension der jüngeren Literaturgeschichte folgte. Der konservative Kolumnist John Gordon antwortete ­Greene. Das von diesem empfohlene Werk sei das schmutzigste Buch, das er je gelesen habe – »reine Pornografie«. Das genügte. Drei Jahre später kommt der Anruf aus Hollywood, Kubrick und Nabokov treffen sich bald darauf in Beverly Hills. Sie verstehen sich gut, doch sie reden aneinander vorbei. Nabokovs Drehbuchfassung hätte zu einem Film von sieben Stunden geführt. Er denkt zu wenig cineastisch. Immer wieder geht der große Prosaautor mit ihm durch, der seine Perlen verstreut, obwohl er weiß, dass außer Kubrick sie niemand wird goutieren können. Die Regieanweisungen sind Preziosen für sich – nur werden Regie­ anweisungen nicht verfilmt. Für die Philologen sind die Drehbücher freilich ein gefundenes Fressen. In der von Dieter E. Zimmer kompilierten Veröffentlichung können wir dabei zusehen, wie Nabokov sein Werk selbst interpretiert. Und wir entdecken, dass sich künstlerisches Genie nicht auf alle ­Genres erstrecken lässt. Dass Nabokov seine nochmals erweiterte Fassung später eigenständig herausgab, hat vorwiegend rechtliche Gründe. Möglichen konkurrierenden Ausgaben wollte er die eigene autorisierte entgegensetzen. Juristisch war Lolita vermintes Gelände. Auch mit der Olympia Press hatte Nabokov noch jahrzehntelang Händel. Den wollte er sich mit den Filmmächtigen ersparen. Kubrick wiederum war souverän genug, sein Werk auch selbst als nur mäßig gelungen einzuschätzen. In einem Spiegel-Interview aus dem Jahr 1987 sagte er, der Roman sei so wunderbar geschrieben, dass man nichts aus ihm habe machen können, was nicht hätte enttäuschen müssen. Wäre das Buch schlechter geschrieben, wäre der Film vielleicht besser geworden – wie es mit Kubricks Verfilmung von Shining gewesen sei, Fotos: getty images; dpa/picture alliance; dpa/picture alliance; getty images BÜHNE die das Buch weit übertreffe, auch wenn Stephen King natürlich anderer Meinung war. Das Hauptproblem mit Lolita war eines, das auch der versierteste Drehbuchautor der Welt nicht hätte lösen können. Genau genommen ist es ein doppeltes. Das erste hängt zusammen mit der Perspektive, aus der die Geschichte erzählt wird. Wir erfahren Humberts Irrungen und Wirrungen nicht aus dem Mund eines raunenden Beschwörers des Imperfekts, wie Thomas Mann es vom Erzähler im Zauberberg sagte. Lolita ist eine lange Beichte, ein Monolog in Ich­ form. Nach dem Vorwort des fiktiven He­ rausgebers hören wir Leser ausschließlich die Stimme Humbert Humberts, der sich erklärt, rechtfertigt und bitter anklagt, der Witz und Geist versprüht und so zärtlich wie sarkastisch sein kann – und wir ertappen uns dabei, dass wir dieses Monstrum gar nicht unsympathisch finden. Ist er nicht selbst ein Opfer seines Triebschicksals? Wir werden gegen unseren Willen zu Komplizen eines Pädophilen und müssen uns immer wieder zwicken, um uns klarzumachen, dass dieser Humbert ein junges Mädchen Tag für Tag gegen dessen Willen berührt – dreimal täglich, um genau zu sein. So spezifiziert Nabokov es in seiner russischen Übersetzung. Bei genauerer Lektüre wird augenfällig, wie dieser Humbert vieles zu seinen Gunsten verdreht und wie er hinweghuscht über Partien, die ihn im wahren bösen Licht zeigen würden. Es ist künstlerisch höchst reizvoll, einen Icherzähler so zu steuern, dass er, ohne es selbst zu bemerken, Hinweise an den Leser weiterreicht, die er freiwillig nie abgeben würde. Nabokov war der Meister dieser raffinierten, vielfach gebrochenen Erzählperspektive. Wie sollte ein Film diese Brechungen aufnehmen und widerspiegeln? Was er auf der Leinwand sieht, nimmt der Zuschauer für die plane Realität. Der Regisseur muss sich für eine Lesart entscheiden und kappt damit alle anderen – es sei denn, er macht genau diese Frage zum Thema und dreht Rashomon-artig: Mit diesem Kunstgriff ließe sich die Geschichte aus allen unterschiedlichen Perspektiven erzählen. Doch ein Stoff, der so sehr changiert, der je nach Beleuchtung und Faltenwurf eine andere Färbung zeigt, eignet sich gerade nicht für die Verfilmung – das ist es, was Kubrick mit »zu gut geschrieben« gemeint hatte. Das zweite unlösbare Problem leitet sich direkt aus dem ersten ab. Wenn man Lolita mehrmals liest, merkt man, wie einem allmählich der Boden unter den Füßen entgleitet. Der Roman hat einen meisterhaft aus- STANLEY KUBRICK (1928 bis 1999) Wenn die US-amerikanische Regielegende hinter der Kamera stand, konnten Zuschauer sicher sein, ästhetisch wie intellektuell an die Grenzen geführt zu werden. Kubricks Lolita kam 1962 auf die Leinwand und war für den Golden Globe (Kategorie Beste Regie) und den Goldenen Löwen von Venedig nominiert VLADIMIR NABOKOV (1899 bis 1977) Als Nabokov am Drehbuch seines Welterfolgs Lolita arbeitete, war er schon über 60 Jahre alt. Hinter ihm lag ein kurvenreiches Leben. Geboren in Sankt Peters­ burg, floh er mit seiner Familie vor der Oktoberrevolution nach Berlin. Den Nazis entkam er 1940 durch die Flucht in die USA gepinselten realistischen Vordergrund. Aber dahinter kippt irgendetwas in den Kulissen langsam um. Nicht nur, dass man bis zum Schluss nicht weiß, wo Humbert Humbert seine Beichte niederlegt. Ja, man weiß nicht einmal, ob er überhaupt noch lebt. Schließlich appelliert er an seine Geschworenen: »Meine geflügelten Herren!«, als wäre es ein Engelstribunal. Und wenn er von seiner »gut geheizten Abgeschiedenheit« spricht, in der er sich befinde, weckt das altmodische Assoziationen an die Hölle. Unübersehbar häufen sich im Roman die Indizien dafür, dass nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Humbert berichtet Vorfälle, die den Realitäts-Check nur schwer bestünden. Immer tiefer rutscht die Geschichte ins Traumhafte ab, sodass sich am Schluss die Frage stellt: Ist nicht überhaupt alles nur Tagtraum, ist Lolita eine einzige Projektion? Unmöglich, dass ein Film dieses Abrutschen in immer tiefere Fiktionsebenen auch nur annähernd abbilden könnte. Der Roman ist mit den Jahrzehnten gewachsen – die Fragen, die er aufwirft, wurden nicht weniger. Mittlerweile kommen auch biografische an die Oberfläche. 2012 starb Dmitri Nabokov, der Sohn, der wie ein Zerberus dafür gesorgt hatte, dass niemand auf delikate Themen zu sprechen käme. Seitdem melden sich zaghafte Stimmen zum Thema Pädophilie. Es ist auffällig, dass nicht nur das ganze Werk des Granden auf Lolita zusteuert, sondern dass ihn das Thema auch danach nicht aus den Krallen lässt. Noch in seinem späten Geisterroman Durchsichtige Dinge muss dem Helden beim Durchblättern eines Fotoalbums der weit gespreizte Mädchenschoß einer Zehnjährigen ins Auge fallen, bevor er, bei seiner Betrachtung erwischt, schuldbewusst zusammenfährt. Es nimmt und nimmt kein Ende mit Lolita. Nabokov ging über sehr viel mehr Grenzen, als das Bild, das er öffentlich von sich ausstellte, vermuten ließ. Er hat mehr gelitten, als er uns wissen lassen wollte, und er hat mehr gewagt. Heute fände sein großer Roman wohl keinen Verleger in den USA. Und jetzt findet sein Drehbuch eine Bühne, auf der sich zeigen kann, wie sich Kunst und Obsession verflechten – und die Sünde, die Seele und die Tentakeln der Schuld. MICHAEL MAAR (56) ist Literaturkritiker und LOLITA EIN DREHBUCH VON VLADIMIR NABOKOV Premiere am 28. Oktober 2016 im Schauspielhaus Autor. Er veröffentlichte unter anderem Bücher über Thomas Mann, Harry Potter und Marcel Proust. 2007 erschien Solus Rex. Die schöne böse Welt des Vladimir Nabokov. Zwei Jahre davor: Lolita und der deutsche Leutnant; dort erzählt Maar als Erster die Geschichte der Ur-Lolita 25 BÜHNE Sitzt eine Maus in der Wüste. Kommt ein Kamel vorbei und fragt die Maus: Hey Maus, was machst du denn da? Sagt die Maus: Ich feile meine Nägel, und wenn der Löwe kommt, kratz ich ihm die Augen aus. Geht das Kamel wieder weg. Kommt ein Nashorn vorbei. Sagt das Nashorn: Hey Maus, was machst du denn da? Sagt die Maus: Ich feile meine Nägel, und wenn der Löwe kommt, kratz ich ihm die Augen aus. Geht das Nashorn wieder weg. Kommen ganz viele andere Tiere vorbei, und die Maus erzählt jedes Mal dieselbe Geschichte. Kommt der Löwe. Fragt der Löwe die Maus: Hey Maus, was machst du denn da? Sagt die Maus: Och … ich feile meine Nägel … und erzähle jede Menge Blödsinn. INTERVIEW: RALF GRAUEL Können Sie gut Witze erzählen? Beides ist gleich schwer. Aber man sollte das nicht als Schwierigkeit begreifen. Jede Inszenierung entsteht aus der Probe. In der Kommunikation bildet sich je nach Stoff eine bestimmte Gemütslage, ein Raum, aus dem Lachen entsteht – oder Weinen. Haben Sie einen Lieblingswitz? [lacht] Man sagt es mir nach, ja! [erzählt den Witz vom Mäuschen] Ihrer? Der geht so: Mein Hund hat keine Nase mehr. Und wie riecht er jetzt? Er stinkt immer noch. Da kenn ich noch einen. Sagt der eine: »Mein Hund ist stumm.« Sagt der andere: »Da kriegt er ja vielleicht bald einen No-bell-Preis.« Kann ein ernster Stoff komisch werden? Eher selten. Ich habe mal den von mir sehr geschätzten Vladimir Sorokin kennengelernt und ihm erzählt, wie sehr ich bei einer Stelle geweint habe. Da antwortete er: »Dann weißt du, wie es mir beim Schreiben ging.« Humor steckt in der Geschichte? Ich glaube, ja. Wenn man sich einem Thema im Bereich des Humors nähert, wird man nicht so schnell beim Weinen landen. Ich habe festgestellt, dass Schauspieler, die andere zum Lachen bringen – durch ihre Virtuosität, ihre Brüchigkeit, ihre Hochgeschwindigkeit auf der Bühne –, im Alltag meist sehr feingeistige Menschen sind, die nicht zum Platten, Humoresken neigen. Nun ist Der Raub der Sabinerinnen ein Schwank, eine Klamotte ersten Ranges. Erstens weiß ich gar nicht, woher diese Begriffe immer stammen. Zweitens ist der Raub ein hochintelligentes Stück, das bezaubernd die Missverständnisse beschreibt, die passieren, wenn ein Autor ein Stück in einer bestimmten Intention schreibt, das ­ acher übersetzt und von den von einem M Zuschauern völlig anders reflektiert wird. Missverständnisse zwischen Autor, Regisseur und Publikum. Beschreibt das auch Ihre Situation? Ich glaube schon. Ich habe in Stuttgart jetzt schon zwei Arbeiten gemacht, die sehr unterschiedlich aufgenommen und gelesen wurden. Daran möchte ich mit dem Raub der Sabinerinnen ansetzen. Wie geht lustig? Setzen Sie Markierungen, damit das Publikum merkt, wozu es geladen ist? Im Kino oder bei Liveshows muss der erste Lacher nach ein paar Minuten kommen. Der Comedian hat tatsächlich nur ein paar Minuten, um das Publikum zu gewinnen. Theater hat da schon mehr Zeit, aber wenn es sich dieser simplen Wirkungsebene beugt, hat es ein Problem. Denn es beugt sich damit dem Mainstream und jeder Hollywood­ dramaturgie, die überall grassiert. Foto: Rolf Arnold Ein Gespräch mit Sebastian Hartmann über Humor auf der Bühne Herr Hartmann, was ist schwerer, Leute zum Weinen oder zum Lachen bringen? … und in den Köpfen und Herzen jedes Publikums wohnt. Ja, sicher. Auf der anderen Seite ist es wunderbar, wenn ein Publikum sich über die Dauer eines Abends selbst erfindet. Wenn SEBASTIAN HARTMANN (48) war von 2008 bis 2013 Intendant des Schauspiels Leipzig. In Stuttgart hat er Staub (2014) und Im Stein (2015) inszeniert Oh, der ist aber für Fortgeschrittene. Sagen Sie, machen Sie eigentlich ­Lockerungsübungen mit Schauspielern, damit die besser reinkommen? Nee, wie jetzt? Auf der Stelle hüpfen, Witze erzählen. es erlebt, wie es seine Haltung gegenüber einer Dramaturgie ändert. Ach so, na klar. Mit Wolfram Koch habe ich es mal auf acht Stunden Witzeerzählen am Stück gebracht. Wie wichtig ist es, Grenzen zu sprengen? Sie sind ja ausgebildeter Schauspieler. Wieso fragen Sie mich das? Das ist doch ein Vierteljahrhundert her! Weil Sie das ständig machen. Lernt man da Techniken, wie man etwas lustig spricht, ernst, besonnen, schräg? Fragen Sie lieber Reinhold Messner, wieso er auf Gipfel steigt. Ich mache Theater, weil es mich interessiert. Ich bin nicht auf der Jagd nach Formsprengungen. Im besten Falle finde ich in einem Stoff Geistesverwandtschaft und finde mich dort als Menschen wieder. Debatten über laut, nackt, leise, hell oder grell möchte ich nicht führen. Haben Sie ein Humorvorbild? Nein, so läuft das nicht. Ein guter Lehrer zeigt Ihnen (wenn Sie Glück haben) Ihre Ehrlichkeit, Ihre Wahrheit. Und mit der können Sie wahlweise umgehen – falls Sie etwas zu sagen haben. Was und wie dann etwas gesagt wird, das stammt weniger aus irgendwelchen Anweisungen, sondern aus den Eigenarten der Besetzung. Ich bin totaler Fan von Andy Kaufman. Die Schauspieler machen das Stück? Achtzigerjahre, oder? Dieser schräge Typ aus Taxi und Saturday Night Live? Eine Inszenierung ist wie eine kleine Arche Noah. Man betritt für ein paar Wochen eine Art Überlebensschiff, reist in eine neue Zeit. Das Schlimmste ist immer, wenn mich Leute zu Beginn dieser ungewissen Zeit nach Premierenkarten fragen. Wo ich doch nicht mal weiß, ob ich die Reise überleben werde! Ja. Bis zum Ende blieb er unberechenbar. Bis heute treffen sich Leute am Jahrestag seines Todes, weil sie den für eine Inszenierung halten. Kaufman schleift alle runden Ecken, die ich von Ikea und irgendwelchen Internetportalen habe, sofort wieder ab; und macht mich kantig, lebendig, überraschbar. Was ist Humor? Humor ist die große Kraft, über unsere Unzulänglichkeiten zu lachen. Neurologen beschreiben, dass im Augenblick des Lachens eine Art Kurzschluss durch das Gehirn läuft. Und Verknüpfungen entstehen lässt, die bislang nicht vorhanden waren … Genau, Lachen ist ja immer auch ein Schock. Ich denke, dass das Weinen ähnlich funktioniert. Beides sind Reaktionen auf kleine schwarze Löcher in unseren Seelen oder unserem Wachbewusstsein. Humor wäre eine Dehnungsübung für die Vorstellungskraft. Ja, wobei ich da manchmal sicher etwas unvollkommen bin, weil mein Humor nicht immer dem des Gegenübers entspricht. Aber das kann man ja trainieren. Das klingt schrecklich und spannend. Jede Besetzung ist eine Art Überlebenstriebwerk. Sie stellen sich das nach Fähigkeiten zusammen; der eine beherrscht dies, die andere jenes. Und so bekommt man eine Mannschaft, von der man glaubt, dass man zu einem Zeitpunkt einen Moment präsentieren kann, der sich im Laufe der weiteren Aufführungen durchaus liebevoll weiter­ entwickeln kann. Die Zuschauer erleben das allerdings als quasi fertige Premiere. Sicher. Die meisten dürften das als fertiges Fleischgericht bewerten und gucken, ob es 55 Grad Innentemperatur hat. DER RAUB DER SABINERINNEN nach dem Schwank von Paul und Franz von Schönthan Premiere am 18. November 2016 im Schauspielhaus 27 BÜHNE Nationalität: Tanz TEXT: JULIA LUTZEYER FOTOS: ROMAN NOVITZKY Integration? Vielfalt? Multikulti? Beim Stuttgarter B ­ al­lett sind das keine Begriffe, die es zu füllen gilt. Hier wird die internationale Idee im Zeichen der universellen Tanzsprache seit Jahrzehnten gelebt – mit Selbstverständlichkeit und weltweitem Erfolg. Nicht einer der bislang vier Direktoren wurde in Europa geboren. 64 Tänzerinnen und Tänzer sind am Stuttgarter Ballett zu Hause. Wenn Intendant Reid Anderson sie zum Beginn der neuen Spielzeit begrüßt, schaut der Kanadier in die Gesichter von Menschen, die Pässe aus 23 unterschiedlichen Ländern besitzen, aus Nord- und Südamerika, Europa, Asien und Australien. Afrika rückt in den Blick, sobald man sich mit dem Gründer des Stuttgarter Balletts beschäftigt: John Cranko wurde im süd­ 28 afrikanischen Rustenburg geboren. 1961 löste er den aus ­Litauen stammenden Nicholas Beriozoff als Ballettchef der Württembergischen Staatstheater ab, etablierte das Stuttgarter Ballett als eigene Sparte, gründete eine Ballett­schule, die postum nach ihm benannt wurde – und formte die Compagnie in zwölf Jahren zu einem der besten Ensembles weltweit. Seither ist Stuttgart ein Magnet für Tanztalente aus aller Welt; von hier aus geht die bunte Ballettfamilie Jahr für Jahr auf Gastspielreise: in dieser Spielzeit nach Maribor, Schanghai, Peking – und Weimar. Woher sie auch kommen, egal welche Muttersprache sie mitbringen: Die Mitglieder der Compagnie eint die Liebe zu ihrer bewegten Kunst. ROBERT ROBINSON aus England, Tänzer beim Stuttgarter Ballett seit 2011, ab 2015 Solist. Absolvent der John Cranko Schule. Zu sehen in Der Widerspenstigen Zähmung und im Ballettabend Kammerballette AMI MORITA aus Japan, Tänzerin beim Stuttgarter Ballett seit 2009, ab 2015 Solistin. Absolventin der John Cranko Schule. Zu sehen in Der Widerspenstigen Zähmung und im Ballettabend Kammerballette MARTÍ FERNANDEZ PAIXA aus Spanien, Tänzer beim Stuttgarter Ballett seit 2014, ab 2016 Halbsolist. Absolvent der John Cranko Schule. Zu sehen in Der Widerspenstigen Zähmung und im Ballettabend Kammerballette ENES COMAK aus der Türkei, Tänzer beim Stuttgarter Ballett seit 2014. Absolvent der John Cranko Schule. Zu sehen in Der Widerspenstigen Zähmung PAULA REZENDE aus Brasilien, Tänzerin beim Stuttgarter Ballett seit 2013. Absolventin der John Cranko Schule. Zu sehen in Der Widerspenstigen Zähmung und im Ballettabend Kammerballette FABIO ADORISIO aus Italien, Tänzer beim Stuttgarter Ballett seit 2013. Absolvent der John Cranko Schule. Zu sehen in Der Widerspenstigen Zähmung und im Ballettabend Kammerballette ANGELINA ZUCCARINI aus den USA, Tänzerin beim Stuttgarter Ballett seit 2005, ab 2013 Solistin. Absolventin der John Cranko Schule. Zu sehen in Der Widerspenstigen Zähmung und im Ballettabend Kammerballette PABLO VON STERNENFELS aus Mexiko, Tänzer beim Stuttgarter Ballett seit 2012, ab 2015 Solist. Absolvent der John Cranko Schule. Zu sehen in Der Widerspenstigen Zähmung und im Ballettabend Kammerballette BÜHNE Veröffentlichungsjahr des Berichts Grenzen des Wachstums des Club of Rome: 1972 Jahr, i n dem Emm An anuel Jahr, in dem Loui za le Cha se Joy Brown ge hl r boren wurde, da p e n de tier u An s weltweit erste nd an rK Retortenbaby: 19 zah d e ind 78 re ihr l de en Ar er, G r in e b u t r i t k s e ja l über die hr von De »Schaf die G uts Jahr we Dolly«, ensch , in d chl dem er ltw e re CR em d an sten ge I S eit dz a P R/Cas klonten s bri u bis 9 verö gel tisch Säuget ier: 199 ffentl ass e Pa lan 6 i c r ene hen: 2 lam gd e 0 n n 1 t die 2 ur M ch edi Zeug kam ung kü von ns e nte Kind tlic ern , di he durc em h dr Be i t ei El tel fru tern s gen ch lega tu t lisie e chn ng rt: 2 isc ge 015 her ze ug V e tu rfa hre nd nh ge erg bo est ren ellt wu we rd rde en n: 1 :5 50 00 0 0 00 :4 16 0 2 14 0: 0 19 t en z o Pr e ill m o Pr t en oz r P 30 n: e leb 00 : 19 t n hei rsc e n g um dte tun um d deu Stä d n m n n u a i la Tra hl 00 916 ch sc Die 19 s t t: 1 s t h d u m c i u u l e re du ent D De dF röff lan e un nt in in v h e m ie te te tsc Sig roz eor ra ra eu 945 em 0 5P tsth d D ä ts 7 t ti s m: 1 i i : 194 u n i v n i : r i e n i o n , t e r e a Th ne hk eb Rel Jah und die kön hk nl en lic n, Uran ic den n e r i l n t b e e o e v r d h b g m rw te sc lge Stä nge er altun ss en r al in rnsp hwa st e e c K g s 6 d s M r r 1 e e de g lin er 20 lag ung änn lin 47 m il d ug tdeck und er M g r n u d e E ä t G tus: 19 m e u S ie nd fre r di r Faus ü D o An n a f t e l k t e l o Sä n d ä h sD ei ch spen ie erh tsc Mann nst he tli eu omas men t Ei Chem h a r T r D S lt ic nit n ü e f o h s rv in Alb it lprei durc 1953 ngsjah ch ie Nobe tdecken: dem uen ,d heinu hn chs c n a s r r n e n E i d F c rbguts en e , E r n n r r e s e h h h c h a d li H Ja sc ensch ch Du Otto ik, in en A) des m ur Klin dem säure (DN n n in rM i le e , k D u r t e n Jah yribo ers ld die Desox der tei he einführt: 1956 cis Crick ahr n j ra An F s d n 40-Stunden-Woc g e u di n n nd o la ts ch u a ts tdeu sW nd Jahr, in dem Wes em Jame Grü Jahr, in d Einführungsjahr der Antibabypille in der BRD: 1961 BÜHNE G es c h ät zt e Za hl d e rW e tl b ev öl k er un g um 19 00 : 1 6 50 0 0 0 0 00 ab 1900 34 te tz ä h sc Ge ng ru e k öl ev b t el W r e ld h Za um : 16 20 00 0 0 0 0 00 5 7 Mit Beginn des 20. Jahrhunderts wuchs das Wissen der Menschheit exponentiell. Nach zwei Weltkriegen folgten: Globalisierung, Digitalisierung und die Neuerfindung des Menschen Der Teufel steckt im Übermorgen Immer wenn Wissenschaft und Forschung Grenzen durchbrechen, tauchen Risse auf. Unser Weltbild wird brüchig, und wir müssen uns mal wieder fragen, was es heißt, Mensch zu sein. Immer dann, wenn die Menschheit ein neues Kapitel schreibt, kommt ein alter Stoff an die Oberfläche: Faust, die Geschichte vom Wissenschaftler, der einen Pakt mit dem Teufel schließt. Fausts Schicksal hilft uns, die Welt zu begreifen, während sie sich verändert TEXT: THEA DORN E r taucht immer dann auf, wenn die Menschheit sich anschickt, ihre Grenzen zu überspringen: Georg oder Johann Faust, der Schulmeister, der sich voll Überdruss von aller Schulweisheit ab- und der Magie zuwendet, zum Geisterbeschwörer und Schwarzkünstler aufsteigt, um ein böses Ende zu nehmen. Möglicherweise gab es ihn wirklich. Er könnte 1480 im württembergischen Knittlingen geboren worden sein. Glaubt man dem Gerücht, so ist er 1540 in Staufen im Breisgau gestorben, mit verkohlt- verdrehtem Kopf, was nach Ansicht seiner Zeitgenossen weniger von einem misslungenen alchemistischen Experiment zeugte als vielmehr davon, dass der Teufel seine Finger im Spiel gehabt haben müsse. So ungewiss die Lebensgeschichte des historischen Faust ist, so gewiss lässt sich sagen, dass seine Landsleute ihn damals verabscheut haben. Der humanistische Theologe Trithemius hielt den selbst ernannten »Fürsten der Nekromanten« für einen »Landstreicher«, »leeren Schwätzer« und »betrügerischen Strolch, würdig, ausgepeitscht zu werden«. Der im All- 35 ab 1500 gemeinen zur sprachlichen Mäßigung neigende Reformator Philipp Melanchthon fluchte in bester Luther-Manier, jener Faustus, den er gekannt habe, sei eine »schändliche Bestie, eine Kloake vieler Teufel« gewesen. Und der fromme Frankfurter Buchdrucker Johann Spies, der im Jahr 1587 die herumschwirrenden Geschichten einfing und zur Historia von D. Johann Fausten versammelte, tat dies, wie er im Vorsatz bekannte, »allen hochtragenden, fürwitzigen und gottlosen Menschen zum schrecklichen Beispiel, abscheulichen Exempel und treuherziger Warnung«. 36 W as brachte die braven Deutschen so auf gegen ihren Faust? Hassten sie ihn, weil sie ihn für einen dreisten Hochstapler hielten? Oder jagte er ihnen Angst ein, weil sie spürten, dass nun auch einer der ihren sich anschickte, die Menschheit um jeden Preis aus dem Mittelalter in die Neuzeit katapultieren zu wollen? Die Renaissance erblühte zwischen Florenz und Rom, nicht zwischen Freiburg und Königsberg. Die großen Seefahrer brachen zu ihren ersten Globalisierungsreisen von spanischen und portugiesischen Häfen auf, während die Hanse sich t en roz P 0 :5 00 18 Gründungsjahr einer Gussstahlfabrik in Essen durch Friedrich Krupp: 1812 Ersch einun Ja h g r der stude sjahr Me ntischen von G Massend ng oethe Ge emonstra eS s F aust. J a tionen au sc h t r D , ah in de Me er Tra f Schloss hä Hambach gödie l, d m Ka ng tz : 1832 z r e w i l e e Marx te it S e r i t T nP e ah i u Za l: n 1 d Fri 832 l, d reu hl edric ie ße h En de in nu gels Pre rW Das m uß E kom r el s 18 en c mun h tb ein 80 um istisc ev u p n he M gsj 18 rod öl anife ahr 50 ke u st ve zie pro von ru röffe rt ng du De ntlic wi r St zie hen: um rd rt w ruw 1848 , in w 19 ird e T l p on , in 00 e t er, ne To :1 der n: nn 65 vor 1 7 en 0 0 las : 00 1 che 50 00 00 0 r Er 0 0 00 0 zie hun 0 gw arn t: 1 848 g un n n ke er n A 5 le 58 el i :1 z e s fi ör of rB d e n t r u e kfu st an r r E F er gd n du ün Im 16. Jahrhundert rückte der Gr Mensch an den Rand der Welt. In die Mitte drängte die Wissenschaft t zen Pro 5 2 n: m lebe 0: ten du d 0 n ä 0 18 n St hla 80 00 00 i iten: m tsc 8 e b 1 u r u e ren a d um ng nD aktu ru ei hlan anuf t c e M s a t n k r eu 00 i öl its in D m 18 ke ev die u , die ch , tb i n n l l e e b e ch nsch W ter ens r Me er gss 00 000 hl de er M a d n z d i l n i l en: 8 0 A l e it g t e b h r n u a A a ä turen eS : 1799 eZ nufak zt eltreise aufbricht in Ma ich l 0 t 0 t 9 t 1 seiner ersten W ä zu i ldt m bo m u n h Hu n ander vo en, die sc sch Jahr, in dem Alex ensch Ge urch der M l h a z D An Faust. Eine Tragödie: 1808 Erscheinungsjahr von Goethes n io at m or ef R r de 5 55 1 : g) ur b s ug (A damit begnügte, die Küsten der Nord- und Ostsee entlangzusegeln. Sicher: Gutenberg und Kopernikus stammten aus deutschen Landen. Der eine hatte den Buchdruck erfunden, der andere das jahrtausendealte geozentrische Weltbild begraben. Doch der erste Bestseller auf dem jungen Buchmarkt sollte die Lutherbibel werden. Und Kopernikus betrieb seine ketzerischen Studien in ostpreußischer Abgeschiedenheit – erst der Italiener Galileo Galilei vertrat die unerhörte Ansicht, dass die Erde sich um die Sonne drehe, so laut, dass die Ohren der Inquisi­ tion sie nicht länger überhören konnten. Der Rabiateste aller deutschen Revolutionäre, Martin Luther, zettelte den protestantischen Aufstand gegen den Heiligen Vater an – dem Vater im Himmel unterwarf er sich in alter Christendemut. Jener Faust war also womöglich der erste Deutsche, der unmissverständlich kundtat, dass er nicht bereit war, sich mit den engen Grenzen, die menschlichem Wissen und Treiben durch Gottesehrfurcht gezogen waren, abzufinden. Er wollte mehr. Alles erkennen. Alles erleben. Alles haben. Und wenn er dafür seine Seele dem Teufel verpfänden muss – was soll’s, fährt auf Erden doch ohnehin alles zur Hölle. Im Spies’schen Volksbuch darf Faust dieser Hölle schon mal eine Stippvisite abstatten. Aber sein »Mephis­tophiles« lässt ihn auch bis über die Wolken hinauffliegen. Einem Ritter zaubert er ein Hirschgeweih auf den Kopf, vier anderen Zauberern haut er die Köpfe ab und setzt sie verkehrt herum wieder auf. Mit der schönen Helena verbringt er eine rasende Liebesnacht. Und einem Bauern frisst er einmal ein ganzes Fuder Heu samt Wagen und Pferden vor der Nase weg. Einfach so. Weil er’s kann. Kein Wunder, dass Faustens Theaterkarriere in deutschen Landen die ersten 200 Jahre auf der Stadelbühne stattfindet. Während sich das Volksbuch in kürzester Zeit in den europäischen Nachbarländern ausbreitet und den englischen Dramatiker Christopher Marlowe bereits 1589 zum ersten großen Faust-Drama inspiriert, das den ewig Suchenden, ewig Unbefriedigten als Prototyp des neuzeitlich-tragischen Men- 00 0 0 0 0 00 1 0 0 0 00 0 00 0 5 : dt. 6. Jh im 1 g n keru evöl eltb W r de ent ahl Proz zte Z e: 50 zent t t a ä r s h t c i ben: 50 Pro Ges chke Städten le i in l b pa r ro , die in Eu erste Menschen Kind Anteil der Einführungsjahr des bayerisch Beginn de en Reinheitsgebots für Bier: 151 r Finanzie 6 rung des Fü rs Ersc tenhause hein s Habsbu Einfüh rg durch d ungs rungs ie Fugger jahr Er jahr e (circa): 15 von sc in e 20 A s d e u he am R ropaw i e in e it s e J e n ah s Leh Postun und K r, i rbuc gs uriers Dru h, in nd ja ystem ck d dem em hr s durc e e r das r er h die F vo de s R amilie e t n rd en chne Thurn Ni Lut n e m u und T her it ara ko t axis (c s bib b ch la i s irca): 1 chen el: 1 us eA 520 u 5 n d ind Ko 34 lch ische pe em n rn Z ist iffern iku vors Joh tellt: s’ an 1522 Sc n hr Ge ift or gF De au re st vo zu lu To tio de ni ko bu mm so t (w rb iu ah m rsc co he ele in st lic iu hd m ur ,d ch ie ein na eE ch xp we los ist ion ,d ): 1 as 54 ss 0 ich di eE rd eu m di eS on ne dr eh t: 15 43 BÜHNE ab 1800 schen zeigt, klatscht sich das deutsche Publikum auf die Schenkel, wenn im Puppentheater Kasperle und Pickelhering kräftig mitmischen, den hoffärtigen Schurken als Narren zu entlarven. Die Zeit der Faust-Veredlung, ja FaustVerherrlichung bricht in Deutschland erst im 18. Jahrhundert an. Dann aber mit Macht: So unterschiedliche Temperamente wie Gotthold Ephraim Lessing und Jakob Michael Reinhold Lenz versuchen sich am FaustStoff – und scheitern beide. Goethe bleibt es vorbehalten, als erster deutscher Dichter Die industrielle Revolution verändert Wirtschaft und Leben. Familien drängen in die Städte. Viele verarmen den alchemistischen Springteufel literarisch zu bändigen: 1772 beginnt er mit der Arbeit am Urfaust, 1832, kurz vor seinem Tod, beschließt er Der Tragödie zweiter Teil. Sechzig Jahre Faust-Arbeit, die damit enden, dass der verstiegene Doktor zum ersten Mal in der Geschichte nicht zur Hölle fahren muss, sondern am Schluss der Teufel der Gelackmeierte ist. »Wer immer strebend sich bemüht, / Den können wir erlösen.« So singen es die Engel, die »Faustens Unsterbliches« in »höhere Atmosphären« entführen. Der Unersättliche, der Unbehauste, der »Unmensch ohne Zweck und Ruh« wird zur Ikone erhoben. Die Moderne, das »veloziferische« Zeitalter, das der alte Goethe selbst eher mit Schrecken heraufziehen sah, hat un­ widerruflich begonnen: Die sich ausdifferenzierenden Einzelwissenschaften verkünden beinahe im Jahrestakt immer tiefere Einblicke ins Wesen der Natur; Webstühle rattern maschinell; der Bergbau wird zur Industrie; in England und bald auch auf dem Kontinent keuchen die ersten Eisen­bahnen durch die Landschaft; in Frankreich sind die alten Adelsköpfe gerollt; der Mensch ist aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit ins Freie getreten. Faust hat Konjunktur: 1791, noch während Goethe den Stoff besetzt hält, erzählt Friedrich Klinger Fausts Leben, Taten und Höllenfahrt als Höllentrip durch eine moralisch verrottete Welt; 1828 arrangiert Christian Dietrich Grabbe ein dramatisches Gipfeltreffen der beiden Schwerenöter Don Juan und Faust; 1836 erscheint Nikolaus Lenaus elegisch-dramatisches Langgedicht Faust, das leider nie aus Goethes Schatten heraustreten wird; 1839/40 beginnt Richard Wagner, eine Faust-Symphonie zu komponieren, kommt jedoch über den ersten Satz nicht hinaus; 1846 macht Heinrich Heine dem alten Doktor Faust Tanzbeine und lässt Mephisto zum ersten Mal als Frau auftreten; im selben Jahr erlebt Hector Berlioz’ La Damnation de Faust ihre konzertante Uraufführung; schon 1859 folgt mit Charles Gounods Oper der nächste französisch-musikalische Faust; 1862 beendet Friedrich Theodor Vischer das faustische Jahrhundert, indem er unter dem Namen Deutobold Symbolizetti Allegoriowitsch Mystifizinsky der Tragödie dritten Teil als grelle Farce erzählt. D anach wird es stiller um Faust. Hat Oswald Spengler also recht, wenn er in Der Untergang des Abendlandes, geschrieben zum Ende des Ersten Weltkriegs, »das Faustische« als die Seele der abendländischen Kultur ausmacht und eben diese Seele, »deren Sein Überwindung des Augenscheins, deren Gefühl Einsamkeit, deren Sehnsucht Unendlichkeit ist«, am Erlöschen sieht? Einen Weltkrieg später taucht das gleiche Motiv bei Thomas Mann auf, allerdings in 37 BÜHNE FAUST VON CHARLES GOUNOD Premiere am 30. Oktober 2016 im Opernhaus 38 Wer, wenn nicht Faust, kennt den Preis der Träume und der Himmels­ stürmerei ? A uch Hanns Eisler, der parallel zu Thomas Mann im amerikanischen Exil an einem Faust-Libretto schrieb, mochte in dem nervösen Welterkenner-Weltverrenker nichts Vorbildhaftes mehr erkennen. Er siedelte seine Oper in der Zeit der deutschen Bauernkriege an, am Schluss wird Faust abermals vom Teufel geholt, vom alten Klassenfeind, mit dem er gegen die revolutionären Massen paktiert hat. Genutzt hat Eisler die sozialistische Linientreue bei seiner Aneignung des Faust-Materials nichts: Das Neue Deutschland drohte unverhohlen, man werde eine solche Verhunzung des deutschen Nationalepos nicht dulden. Faust sei der deutsche Held und werde es bleiben. Eisler floh nach Wien, bevor er »Selbstkritik« übte und nach Ostberlin zurückkehren durfte. Vertont hat er seinen Faust nie. Dafür verkündete Walter Ulbricht, in der DDR werde »Faust III vom werktätigen Volke geschrieben«. Ob Friedrich Theodor Vischer sich je hätte träumen lassen, dass seine Satire auf den deutschen Faust-Kult einmal derart überboten würde? Nebenan, in der Bundesrepublik der Fünfziger- und Sechzigerjahre, begnügte man sich derweil damit, Gustaf Gründgens bei seiner mephistophelischen Artistik zuzuschauen, und vergaß geflissentlich, dass er vor Kurzem noch den braunen Mephistos in die Hakenkreuzfalle gegangen war. Und heute? Kaum ein Theater-, Opernmacher, der es nicht mit Faust aufnähme. Und dennoch, so will mir scheinen, drücken sich die Künstler der Gegenwart davor, die Sprengkraft dieses mittlerweile 500 Jahre alten Blindgängers für unsere Zeit ernstlich offenzulegen. Stehen wir nicht abermals an einer Schwelle? An der sich die Menschheit entscheiden muss, ob sie über jene Grenze springen will, hinter der sich ihre Geschichte nur noch mit Binärcodes und Gensequenzen wird erzählen lassen? Und wer, wenn nicht Faust, wäre der geeignete Reisebegleiter, um dieses verstörende Land zu durchmessen, in dem die alten Magierträume Wirklichkeit geworden sind: in dem sich die Entstehung der Arten im Reagenzglas vollzieht? In dem ein Schweineherz in einer Affenbrust schlagen kann? In dem Fahrzeuge ohne Fahrer rollen? In dem eine Sekunde genügt, Milliarden zu vernichten? Und eine weitere, das Geld am anderen Ende der Welt als neue, schillernde Blase wieder aufsteigen zu lassen? Wer, wenn nicht Faust, wüsste darum, dass die Menschheit ihre hochfliegenden Träume verfolgen muss – und dass der Preis für diese ihre Himmelsstürmerei kein geringerer als der Sturz in die Hölle sein kann? Der alte Faust mag ein Meister aus Knittlingen gewesen sein. Den neuen Faust wird man weder in Wittenberg noch in Thomas Manns Kaisersaschern finden. Wer Faust heute treffen will, muss ins Silicon Valley oder nach Shenzhen reisen. Allerdings mit der tiefen Beklommenheit im Herzen, die nicht der schlechteste Zug ist, den die deutsche Seele von jeher kennt. THEA DORN (46) ist Schriftstellerin und ­beschäftigt sich seit vielen ­Jahren mit dem Faust-Stoff. 2011 veröffentlichte sie (zu­sammen mit Richard Wagner) den ­Sachbuchbestseller Die deutsche Seele. Im Frühjahr 2016 erschien ihr Roman Die Un­ glückseligen, eine Liebesgeschichte zwischen zwei faustischen Figuren: einer Molekular­ biologin und einem Physiker. Oper auf einen Klick Kurz vorm Schlafengehen noch schnell in die Oper in Riga? Die Website The Opera Platform macht es möglich. Operndirektorin Eva Kleinitz über Livestreaming und Oper als internationales Gesamtkunstwerk INTERVIEW: SAPHIR ROBERT Bei The Opera Platform können sich Menschen aus aller Welt Operninszenierungen anschauen. Wie kam es zu dieser Idee? Gemeinsam mit dem Fernsehsender ARTE entstand sie innerhalb von Opera Europa, einer europäischen Dachorganisation von Opernhäusern. Auf der Website zeigen insgesamt 15 Opernhäuser und Festivals aus ganz Europa bis 2018 jeweils zwei Opern im Livestream. Operninteressierte haben so die Möglichkeit zu sehen, wie Opern in anderen Ländern inszeniert werden. Denken Sie bloß nicht, dass sich Opernfans nicht mit modernen Medien auskennen! Wir haben zum Beispiel eine aktive Opernfan-Community auf Twitter. Welche Oper wird am meisten geklickt? Sofern man das nach einem Jahr schon sagen kann: die allererste Oper, La Traviata, aus dem Teatro Real in Madrid. Sie ist sehr bekannt, viele Menschen kennen eine Arie daraus. Es ist aber nicht so, dass die zeitgenössischen Werke dagegen total abfallen. Wir haben festgestellt, dass es darauf ankommt, wie in dem jeweiligen Land für eine Oper und ihre Übertragung geworben wird. Bleiben die Zuschauer wirklich dran? Tatsächlich kleben die Leute ziemlich lang an den Inszenierungen. Natürlich ist viel Insiderpublikum dabei. Aber in den sozialen Netzwerken werden die Links weitergeteilt. So erreichen wir neue Zuschauergruppen. Geht es nicht ohnehin darum, Nicht-Operngänger zu erreichen? Illustration: Dirk Schmidt Mitte des 19. Jahrhunderts war auch Frankreich fasziniert von der Faust-Legende. Es entstanden Rührstücke, Komödien und Zauberstücke auf Basis von Goethes Drama. Charles Gounod, inspiriert von der Faust-Begeisterung seiner Landsleute, schrieb eine Oper, in der Faust nicht Wissenschaftler ist, sondern ein einsamer Mann auf der Suche nach Liebe. Die Handlung konzentrierte sich auf das Verhältnis zwischen Faust und Gretchen. So lässt sich der Stoff aus neuer Perspektive erleben: Französische Kriegsbegeisterung vermischt sich mit einem unerfüllbaren Ideal der Unschuld, die Gretchen in Goethes Vorlage innewohnt. Dank der hinreißenden Melodien und prächtigen Chöre wurde Gounods Werk auch in Deutschland zum Erfolg. In Stuttgart ist es in der ersten Neuinszenierung seit 1952 zu erleben. noch tieferes Moll getaucht, indem er das »Faustische« nicht allein als die kostbardynamische Seele des Abendlandes, sondern als die ebenso gefährlich-dämonische Seele des Deutschen bestimmt. »Ein einsamer Denker und Forscher, ein Theolog und Philosoph in seiner Klause, der aus Verlangen nach Weltgenuss und Weltherrschaft seine Seele dem Teufel verschreibt – ist es nicht ganz der rechte Augenblick, Deutschland in diesem Bilde zu sehen, heute, wo Deutschland buchstäblich der Teufel holt?«, fragt Thomas Mann im Mai 1945 in seiner berühmten Rede in der Washingtoner Library of Congress. Vor diesem Hintergrund versteht sich fast von selbst, dass er seinem Doktor Faustus, erschienen 1947, keine goethesche Apotheose gönnen kann, sondern ihn, den Tonsetzer Adrian Leverkühn, der bereit war, für den Preis musikalischen Genies aller »warmen Liebe« zu entsagen, am Ende in den totalen Zusammenbruch schicken muss. Quellen: Bundeszentrale für Politische Bildung, Destatis, Deutsches IVF Register, Deutschland Verstehen, Spiegel Online, Statista, Wikipedia Faust im Opernhaus Ja, natürlich. Die Plattform räumt viele Vorurteile beiseite. Zum Beispiel, dass bei der Oper eher dicke Menschen fast unbeweglich auf der Bühne herumstehen und seltsam singen. Und auf einmal stellen die Besucher der Website fest: Das ist ja gar nicht so! Diese Art der Musik berührt mich sogar und hat etwas mit mir zu tun! Und die Darsteller können nicht nur richtig gut singen, sondern auch spielen! Wir freuen uns sehr, dass wir mit dieser Idee den International Opera Award for Accessibility gewonnen haben. Braucht das Publikum nicht die körperliche Erfahrung, den Raum, das Orchester, die Atmosphäre? Wir behaupten ja nicht, dass ein Livestream besser ist als ein Opernbesuch. Aber die digitalen Medien besitzen eine große Präsenz in der Gesellschaft. Gerade jüngere Menschen haben die Möglichkeit, einfach von ihrem Smartphone aus eine Oper anzuklicken. Die Plattform ist Teil von Opera Europa. Was ist der Zweck dieser Organisation? Bei Opera Europa geht es vor allem um den Austausch der Opernhäuser untereinander. Deshalb finden zweimal im Jahr Konferenzen statt. Da kommen dann schon mal 400 Teilnehmer zusammen. Große Bühnen erfahren von kleinen Häusern, wie sie arbeiten, und umgekehrt – und das auf Augenhöhe. Hier werden auch Koproduktionen angeschoben, das hilft dem jeweiligen Budget. In einigen Ländern nimmt die Politik Einfluss auf die Künste. Was kann Oper dagegen tun? Wir müssen immer wieder klarmachen, wie wichtig kulturelle Bildung ist. Und die Oper ist ein ganz wichtiger Bestandteil davon. Wie wichtig ist die grenzüberschreitende Zusammenarbeit für die Oper? Sehr wichtig. Deshalb auch unser Motto für die Spielzeit 2016/17: »Oper ohne Grenzen«. Auf unseren Opernbühnen steht schon seit Langem der polnische Bass neben dem niederländischen Bariton und der italienischen Sopranistin. Die Qualität des Gesangs ist entscheidend, nicht die Hautfarbe oder die Nationalität. WWW.THEOPERAPLATFORM.EU/DE mit Liveübertragungen, Videos, Interviews, Reportagen und Bildmaterial aus 15 Opern­häusern und Festivals in Deutsch, Englisch und Französisch 39 BACKSTAGE Fit und gut gelaunt, denn derzeit schlafen sie in ihren eigenen Betten: Sopranistin Mandy Fredrich und der Schauspieler, Bühnenbildner und Regisseur Sébastien Jacobi DAS GESPRÄCH In fremden Betten Mandy Fredrich: Ich muss gestehen, ich habe noch nie vom Hotel Chelsea gehört. Muss man das kennen? Sébastien Jacobi: Ganz unbekannt ist es jedenfalls nicht. Es wurde ab 1883 in New York gebaut, war bis 1902 das höchste Gebäude der Stadt. Später wurde es berühmt, weil etliche Künstler dort gelebt haben. Der Schriftsteller Arthur Miller zog ein, als er sich von Marilyn Monroe trennte. Antonín Dvorák, Bob Dylan, Janis Joplin und Leonard Cohen. Andy Warhol hat den Film Chelsea Girls im Hotel gedreht, The Velvet Underground widmeten dem Chelsea einen Song. Fredrich: Klingt nicht nach einem gewöhnlichen Bed-&-Breakfast-Haus. Jacobi: Das war es auch nicht. Hier wurden jede Menge Drogen konsumiert. Einige Gäste lebten dort, obwohl sie sich die Miete nicht leisten konnten. Stanley Bard, einer der Eigentümer und Manager, gab denen, die er für talentierte Künstler hielt, fünf Jahre Zeit, Rechnungen zu begleichen. Nicht selten ließ er sich mit Kunstwerken bezahlen, viele davon hingen in der Lobby und auf den Gängen. Die besten nahm er mit nach Hause. Leider wurde das Hotel vor zwei Jahren verkauft und wegen Renovierung geschlossen. Fredrich: Die Leute haben da drin jahrelang gelebt? Das käme für mich nicht infrage. Wenn ich mehrere Wochen in einer Stadt bleibe, suche ich mir lieber eine Wohnung. Ich habe gern mein eigenes Reich. Jacobi: Im Chelsea gab es riesige Appartements. Je höher man die Treppe hinaufstieg, desto luxuriöser wurden die Wohnungen, desto wichtiger waren die Gäste: In der ersten Etage waren die Junkies in kleinen Zimmerchen untergebracht, auf dem Dach hat sich die Schauspielerin Sarah Bernhardt beispielsweise eine Pyramide bauen lassen. Für mich bedeutet das Leben im Hotel immer Fotos: Martin Sigmund; Christoph Kolossa Mandy Fredrich schläft als international gefragte Opernsängerin oft in Hotels. Sébastien Jacobi inszeniert einen Liederabend zum legendären Hotel Chelsea. Ein Gespräch über Luxus, Kissen und die Kunst, sich unterwegs daheim zu fühlen beendet ist, heißt es: Bitte bis elf Uhr das Zimmer räumen! MANDY FREDRICH (37) stammt Fredrich: Nicht einmal in fünf Tagen schafaus Rädigke im Fläming. Die Soprafe ich es, das Angebot ansatzweise zu nutnistin gewann unter anderem die Competizione dell’Opera in Dresden. zen. Wir proben oft von zehn Uhr morgens Seit 2015 ist sie Ensemblemitglied bis zehn Uhr abends. Soll ich danach noch in Stuttgart und singt unter anderem schwimmen gehen? ab Oktober die Margarethe in Faust Jacobi: Leider bleiben auch Kreativschübe SÉBASTIEN JACOBI (46) studierte aus. Ich dachte immer, die kommen von in Frankfurt am Main Schauspiel und selbst. So wie bei Marcel Prousts Grand lernte unter anderem bei Dennis Hôtel in der Normandie, wo er viele SomHopper. In Stuttgart gastiert er für die Regie beim Liederabend Chelsea Hotel mer lang lebte. Man stumpft aber eher ab. Fredrich: Spannend wird es, wenn die künstliche Hotelwelt mit der Wirklichkeit kollidiert. In Moskau übernachtete ich mal in einem Luxushotel, wo wir wie Weltstars hofiert wurden. Am nächsten Morgen ging noch Luxus. Das ist so eine romantische es zur Probe in einen heruntergekommenen Vorstellung aus meiner Kindheit. Orchesterraum ohne Umkleide und mit Toi­ Fredrich: Das geht mir auch so. Aber es letten, die man kaum zu benutzen wagte. fühlt sich auch schnell komisch an, wenn Jacobi: Meine interessanteste Hotelerfah­ man so bedient wird, dass man den Koffer rung hatte ich im Hamburger Atlantic. zum Beispiel nicht selbst tragen darf. Ich Na­türlich hatten wir gehört, dass Udo Linhänge oft das Bitte-nicht-stören-Schild an denberg dort lebt. Ich hielt das für einen die Tür – einfach um nach den Theater­ Mythos. Dann stand ich mit ihm im Fahrproben vor Ort auch einmal Ruhe zu haben. stuhl, tat so, als wäre die Situation völlig Jacobi: Ist dir das Leben im Hotel lästig? normal. Er schien fast beleidigt und fing an, Fredrich: Es ist immer etwas kompliziert. laut zu summen. Als wollte er, dass ich ihn Ich vertrage zum Beispiel viele Nahrungs- anspreche. Er scheint sich da wirklich zu mittel nicht. Neulich war ich in Tokio, einer Hause zu fühlen. Ich komme mir nach einer meiner Koffer war deshalb vollgepackt mit Weile im Hotel oft vor wie im Hospital oder Lebensmitteln. Und für mich als Sängerin in einer Anstalt. gibt es weitere kritische Punkte, etwa die Kli- Fredrich: Mit dem echten Leben hat das maanlage. Ich habe immer Klebeband dabei, jedenfalls nichts zu tun. Das Schöne am Hodamit ich die Lüftung mit Papier abdecken telleben ist aber, dass man so viel Zeit mit kann, wenn sie sich nicht abstellen lässt. den Kollegen verbringt. Normaler­weise verManchmal reise ich mit eigenem Kopf­kissen. schwinden wir nach der Vorstellung zu unseren Familien. Un­ter­ Wenn das vorhandene zu hoch ist, wegs wächst man verspannen die Nackenmuskeln. Die Damit im Theater alle wissen, was auf den dagegen schneller zu müssen aber besonders locker sein. Bühnen passiert, gibt es einem Ensemble zu­ Jacobi: Hast du ein Lieblingshotel­ Durchsagen im ganzen sammen. erlebnis? Haus. Die schönsten Jacobi: Genau die­ser Fredrich: Das war in Chile, wo ich drucken wir in Reihe 5 Austausch machte einmal spontan einsprang. Ich entkam das Chelsea so bedem deutschen Winter und wurde sonders. Es war ein herzlich von der Hotelchefin begrüßt, Hotel voller Freaks. die Deutsch sprach. Vom Zimmer aus Viele kamen gezielt sah ich das Meer und bei den Proben dorthin, um berühmt einen riesigen Vulkan am Horizont. Ich DURCHSAGE zu werden, und bei fühlte mich sehr wohl. Es hat ja auch 20. Juli, 10:55 Uhr einigen hat es geetwas Reinigendes, eine Zeit lang auf Es ist Herbst. klappt. Mit unserer ein Bett, einen Tisch und einen Stuhl Das Ballett Die vier Jahres­ Inszenierung docken reduziert zu sein. zeiten entstand für wir an das an, was die Jacobi: Stimmt. Hotel bedeutet immer Schüler der John Cranko Leute damals künstauch Verzicht. Paradoxerweise sogar Schule. Jede Jahreszeit lerisch bewegt hat, in Luxushotels. Die Möglichkeiten dort wurde von einem Choreound treiben es weiter. kann man ja gar nicht alle ausschöpgraphen kreiert, der selbst Aufgeschrieben von: fen. Erst muss man die ganze Zeit Absolvent der Schule war. Martin Theis arbeiten, und wenn das Engagement Die Durchsage informiert IN DER PROBE BRIGITTE GEGNER (66) aus Stuttgart besuchte die BAUPROBE der Inszenierung Das Stuttgarter Hutzelmännlein. Bei Bauproben wird ein Bühnenbild zum ersten Mal auf der Bühne mit Modellmaterialien in Realgröße getestet – es geht vor allem um Licht, Bespiel­ barkeit und Technik Was hatten Sie erwartet? Unter einer Bauprobe habe ich mir vorgestellt, dass die neuen Kulissen ausprobiert werden. Aber es war viel mehr los. Was ist passiert? Anfangs stellten Bühnenbild­ nerin und Regisseurin ein Miniaturmodell der Bühne vor. Danach schritten sie die große Bühne und den Zuschauerraum ab, um zu testen, ob Details von allen Plätzen zu erkennen sind. Die Beleuchter setzten Farb­ nuancen ein, Bauten wurden als Projektionsflächen für Videos getestet, eine Schauspielerin probierte sich in Luftakrobatik. Spannend: Alles war noch völlig offen. Handwerker und Techniker tauschten mit der Regisseurin ständig neue Ideen aus. Worauf werden Sie bei der Aufführung achten? Wie weit sich das Bühnenbild von dem unterscheidet, was ich gesehen habe. Am meisten interessiert mich aber, was aus der Luftakrobatik wird. SCHAUSPIEL STUTTGART DAS STUTTGARTER HUTZELMÄNNLEIN nach Eduard Mörike Premiere: 21. Januar 2017 Möchten auch Sie eine Probe besuchen? Dann schreiben Sie uns eine E-Mail an [email protected] alle Beteiligten, dass 40 der dritte Satz, der Herbst, auf der Bühne läuft. 41 BACKSTAGE ABGESCHMINKT HAUSBERICHT Die Hosenrolle Ich packe meinen Koffer und nehme mit: Im Oktober folgt das Stuttgarter Ballett einer Einladung nach Schanghai und Peking, um John Crankos berühmtes Handlungsballett Romeo und Julia aufzuführen. Bei einer solchen Reise gilt es an so viele unterschiedliche Dinge zu denken, dass man besser eine lange Liste führt. Eine sehr lange Hüfte steif, Stimme gewaltig: Mezzosopranistin Diana Haller erzählt, wie man als Frau einen Mann spielt 350 Stuttgarter Ballett-Tüten 320Autogrammkarten der Solotänzer 300T-Shirts 180Schlüsselbänder 1 00Packungen BabyFeuchttücher zum Abschminken 80Schminkschwämme 80 Poster mit Romeo und Julia-Motiv 75 Jahreskalender 2017 73Bühnenelemente 72Kostüme Damensolo 72Kostüme Herrensolo 70 Flaschen Haarspray 62Kostüme Damengruppe 60Tänzer 52Kostüme Herrengruppe 46Hüte/Haarteile Herrengruppe 46Hüte/Haarteile Damengruppe 44Paar Stiefel Herrensolo 39Hüte/Haarteile Herrenstatisterie 39Kostüme Herrenstatisterie 36Hüte/Haarteile Herrensolo 35Bücher über Compagnie 33Paar Stiefel Herrengruppe 30Regenschirme 26Mäntel Damengruppe 23 geschmückte Ackergeräte 22Stühle MEIN ARBEITSPLATZ ALMUT BRACHER (54) ist Inspizientin im Opernhaus Bei jeder Vorstellung arbeiten bis zu drei Inspizienten. Was ist Ihre Aufgabe? Wie behalten Sie selbst den Überblick? Wir bekommen von jeder Partitur die Klavierfassung, in die wir unsere Zeichen eintragen, deutlich und möglichst aktuell. Wichtig ist, dass auch die Kollegen alles verstehen. Dafür benutze ich gern bunte Aufkleber. Genauso wichtig sind aber gute Nerven. Was, wenn etwas schiefgeht? »Um einen Mann zu spielen, schaue ich mir Männer an. Wie sie laufen. Wie sie sprechen. Was sie tun. Wie sie etwas tun. Um den einen Typ zu finden, der zur Rolle passt; ›Hosenrolle‹ nennen wir es am Theater übrigens, wenn Frauen Männer spielen. Männer bewegen sich anders, viel weniger aus der Hüfte heraus als Frauen. Und natürlich macht es einen Unterschied aus, ob ich einen Jungen spiele wie zum Beispiel den Cherubino in Die Hochzeit des Figaro oder einen ›Latin Lover‹ wie den Ruggiero in Alcina von Händel. Ruggiero ist eine sehr komplexe Figur, weil er innerlich so zerrissen ist. Man muss sehr aufpassen, dass man vor lauter Gefühl die Technik nicht vergisst. Das ist für die Stimme nicht gesund. Überhaupt, die Stimme. Wie der Ruggiero in Alcina gibt es in vielen Barockopern Partien für Kastraten. Kastraten konnten deshalb Dass der Vorhang klemmt so oder ein Computer ausfällt, kann immer mal passieren. Einmal steckte sogar ein Darsteller im Stau, und wir mussten DURCHSAGE den Beginn hinaus­ 22. Juni, 10:05 Uhr zögern. Da heißt es: Bitte die Bibeln Ruhe ausstrahlen! mit auf die Bühne Wenn dann ein nehmen! Rädchen ins andere greift, genieße In der Oper Die Puritaner treten die Herren des ich es sehr, mitten Chores als gläubige Pilger im Geschehen zu auf. Dazu halten sie sein. Alles ist nah, Bibeln. Diese werden vor der Probe in der alles ist live! Chorgarderobe platziert. Protokoll: Damit die Choristen Christoph Kolossa ihre Requisiten nicht 42 vergessen, erinnert sie der Inspizient kurz vor dem Auftritt daran. hoch singen, weil ihnen als Jungen die Hoden entfernt wurden. Dadurch fehlte ihnen in der Pubertät der wichtige Anstieg des männlichen Hormons Testosteron, Kehlkopf und Stimmbänder 4Pianisten 4 Perücken Damensolo 4 Monate Reisezeit der Container 3Ballettmeister 3Mäntel Herrenstatisterie 3Perücken Herrensolo 3 Tische mit Rollen 3 dreibeinige Hocker 3Fußbecher 2Dirigenten 2Physiotherapeuten 2Requisiteure 2Kisten mit Trainingskleidung 2Rollständerkisten 2 Bauchläden mit Schmuck 2Blumensträuße 2 weiße Fächer 2Reisigbesen 2Holzeimer 2Strohkränze 1Ballettintendant 1 stv. Ballettintendant 1Geschäftsführerin/ Tourleitung 1Referentin Intendant/ Tourleitung 1Inspizient 1 Mitarbeiter Presse/Kommunikation 1 Mitarbeiter Merchandising 1 Ballettmeisterin Statisterie 1Tontechniker 1Wäschekiste mit 500 Handtüchern, 4 Bügelbrettern und Waschmittel 1Trockenschrank 1Tisch 1Bratpfanne 1Blechkanne 1 Leiterwagen mit Blumen 1 Leiterwagen mit Fässern 1Wurstwagen 1 Vogelkäfig 1 ausgestopfter Papagei 1Blumenwagen 1 Topf mit Blumen 1Stoffwagen 1Tragstuhl 1 Geflügelwagen 1Gans 1Gemüsewagen 1Holzgabel 1 Korb mit Henkel 1Messingkanne 1 vergoldete Porzellanschale 1 Topf mit Lorbeer 1 Topf mit kleinem Oleander 1 Topf mit Philodendron 1 Topf mit Calla 1 Topf mit Dieffenbachie 1 Topf mit Aralie 1Erntekrone 1Totenkopf 1Schierlingszweig 1Bettkasten 1 Matratze auf Holzgestell 1Laken 1Kopfkissen 1 blaues Tuch 1 Stück hellblauer Tüll 1 Giftfläschchen 1 Liege mit Kopfkeil blieben kindlich, und sie behielten ihre hohe Stimme. Körperlich sind sie trotzdem gewachsen und erlangten das Lungenvolumen von Männern. In Barockopern gibt es deshalb viele lange Phrasen und Koloraturen. Frauen können nicht wie Kastraten singen. Wenn Frauen so eine Partie übernehmen, müssen sie sehr viel üben. Vor allem müssen sie die Muskulatur im Brustkorb und im Bauch trainieren – und die Atemtechnik. Ich war früher einmal Synchronschwimmerin und habe gelernt, mir die Luft einzuteilen. Das hilft mir sehr.« Protokoll: Saphir Robert DIANA HALLER ist in der Rolle des Ruggiero in der Oper Alcina von Georg Friedrich Händel zu hören. Wieder im Repertoire ab 5. Oktober 2016 im Opernhaus Foto: Christoph Kolossa Illustration: Tina Berning Wir koordinieren alle künstlerischen und technischen Ab­läufe, geben die Signale für Umbauten und Fahrten und rufen die Darsteller zum Auftritt. Dafür stehen wir in Kontakt mit allen für uns relevanten Abtei­lungen und Teams. 20Hüte/Haarteile Damensolo 20Paar Stiefel Herrenstatisterie 18Degen/Bihänder 18Mäntel Herrensolo 17schwarz-goldene Vortragekissen 16Hüte/Haarteile Damenstatisterie 16Kostüme Damenstatisterie 16Mäntel Herrengruppe 15 Körbchen 12Brustpanzer 12Mäntel Damensolo 12 Standarten 10Leitz-Ordner mit dem Visumantrag, allen Passdaten und sonstigen Do­ kumenten der Teilnehmer 9Bühnentechniker 9Strohköpfe 8Lilien 7Ankleider 7CDs mit der Musik von Romeo und Julia 7Vertragsentwürfe bis zum verbindlich zugesagten Gastspiel 6Maskenbildner 6Mitarbeiter Beleuchtung 6Klapptafeln 5Kelchgläser 5 Container mit einem Einzelgewicht von je etwa 6 Tonnen, in denen das Equipment verschifft wird Teilnehmer Insgesamt 110 Mitglieder reisen nach China. Die Dar­ stellerinnen und Darsteller teilen sich in Solo, Gruppe und Statisterie: Die Solisten tanzen die Hauptrollen, die Gruppe die Ensemble­ szenen, und die Statisten ergänzen die jeweilige Szene. In Stuttgart halten sich 24 Tänzerinnen, Tänzer und Mitarbeiter bereit, falls vor Ort jemand ausfällt Kostüm & Maske Um Ausfälle zu kompen­ sieren und den Tänzern die nötigen Pausen zu ermöglichen, reisen für jede Solorolle bis zu fünf Besetzungen mit. Weil jede Solistin und jeder Solist ein exakt angepasstes Kostüm tragen muss, steckt in den Kleiderkisten die Ausstattung für etwa fünf Solobesetzungen und zwei Gruppenbesetzungen Requisiten Damit das Gastspiel nicht nur tänzerisch dem genügt, was auf der Bühne zu Hause in Stuttgart passiert, sondern auch so aussieht – und auf das Publikum so wirkt! –, hat die Compagnie 191 Requisiten im Gepäck Fan-Artikel Es soll etwas im Gastland zurückbleiben, wenn die Compagnie schon wieder daheim in Stuttgart ist. Deshalb reist ein eigener Mitarbeiter mit, der insgesamt rund 1400 Merchandising-Artikel mit einem Gesamtgewicht von etwa 700 Kilogramm im Angebot hat Logistik & Organisation Die Planung ist ein Aben­ teuer für sich. Die Vorbe­ reitungen beginnen bereits zwei Jahre im Voraus, wenn die erste Anfrage eintrifft. Die intensive Phase startet rund neun Monate vor Abreise und umfasst unter anderem die Vertrags- und Visumangelegenheiten sowie die Organisation des Transports 43 JUNGE SEITE RÄTSELHAFT TERMINE FÜR DICH WIDERSPENSTIGEN ZÄHMUNG, John Crankos lustiges Familienballett um die turbulente Beziehung der kratzbürstigen Katharina mit dem frechen Petruchio. Für die ganz Kleinen: Den Bewohnern des Gartens der Pusteblu­ men geht es gut – bis auf kleine, verborgene Wünsche in diesem oder jenem Herzen. Ihr Geheimnis lüftet das Sitzkissenkonzert IM GARTEN DER PUSTEBLUMEN am 22., 27., 29. Oktober und 10., 21., 28. November 2016 im Opernhaus, Foyer III. Rang. AM THEATER ARBEITEN Herr Vajzovic lässt Bonbons regnen Adrian Vajzovic ist 26 Jahre alt und hat vor sechs Jahren seinen Traumberuf gefunden: Requisiteur am Nord, der kleineren Bühne des Schauspiels Stuttgart Was genau macht ein Requisiteur? Und wie sieht die Zusammenarbeit mit den Kostümbildnern aus? Ein Requisiteur kümmert sich um alle beweglichen Einrichtungsgegenstände auf der Bühne, von der Wäscheklammer über Torten und Getränke bis zum Gewehr. Da bei uns auch Möbel Requisiten sind, richten wir manchmal sogar eine Küche mit allem Drum und Dran ein. Es heißt: »Alles, was der Schauspieler am Körper trägt, ist Sache der Kostümbildner.« Aber in einem Stück gab es zum Beispiel einen Astronauten mit einem spacigen Rucksack. Den Anzug haben die Kostümbildner genäht, den Rucksack haben wir aus Schneebesen und anderen Küchengeräten gebaut. Diese Aufteilung war einfach praktisch. Womit beginnt Ihre Arbeit an einem Stück? Die ist auf jeden Fall hilfreich. In meiner Ausbildung zum Holzmechaniker habe ich gelernt, Möbel zu bauen. Auch Spaß am Basteln und Tüfteln ist eine gute Voraussetzung. Wir arbeiten Hand in Hand mit den Bühnenbildnern. Wenn sie beginnen, das Stück zu gestalten, besprechen sie sich mit uns. In diesen Gesprächen tauschen wir Ideen aus, und manchmal zeigt sich schon da, welche Gegenstände später benötigt werden. Mit denen beschäftigen wir uns zunächst theoretisch. Was heißt das? Wir recherchieren zum Beispiel, wie vor 100 Jahren eine Küche aussah oder wie ein Nadeldrucker aus den Achtzigerjahren funktionierte. Die Dinge verändern sich ja mit der Zeit und dem technischen Fortschritt. Wenn die Bühnenbildner ihren Entwurf fertig haben, beginnt unsere praktische Arbeit: Einen Teil der Gegenstände kaufen wir ein, oft im Trödelladen oder auf dem Flohmarkt. Den anderen Teil bauen wir selbst. Lieblingsbeschäftigung NACHGEFRAGT Was ist der Unterschied zwischen Oper und Musical? Was ist der verrückteste Gegenstand, den Sie gebaut haben? S Das ist gar nicht so leicht zu sagen … Einmal war das ganze Bühnenbild aus Wellpappe gebaut. Einen Teil davon sollten die Schauspieler während des Stücks aufessen. Dazu habe ich Pizzateig mit Lebensmittelfarbe gefärbt und dann geformt, gebacken und eingebaut. Er war von der Pappe nicht zu unterscheiden. Aus technischer Sicht war es ein Bett, das anfing zu tropfen, wenn der Schauspieler an einer Schnur zog. Aber nicht alles lässt sich technisch lösen: Ich saß auch schon im Schnürboden, dem hohen Raum über der Bühne, und habe von Hand Bonbons regnen lassen. Ja, klar. Wir müssen ihnen unsere Erfindungen erklären und mit ihnen besprechen, wo was auf der Bühne steht, damit die Aufführung wie geplant verläuft. Woran arbeiten Sie gerade? 44 Alter Braucht man eine handwerkliche Ausbildung, um Requisiteur zu werden? Haben Sie Kontakt zu den Schauspielern? Schatzkammer der Requisiteure: der Fundus (oben). Auch bunte Brummkreisel warten dort geduldig auf ihren Einsatz Name Ich räume den Fundus auf, die Räume, in denen wir alle Requisiten aufbewahren. Der Fundus ist wie ein riesiger sortierter Flohmarkt und begeistert mich immer wieder. Als ich vor vielen Jahren ein Praktikum bei den Kostümbildnern machte, kam ich einmal zufällig hierher. Ich wusste sofort: »Hier will ich arbeiten!« Interview: Isabelle Erler owohl in der Oper als auch im Musical sind Musik und Gesang das Wichtigste. Im Musical wird zusätzlich viel getanzt und mehr gesprochen. Auch singen Musicalsänger meist mit technischer Verstärkung. Manchmal kommt die Musik, die sie begleitet, vom Band, manchmal spielt ein kleines Orchester. In der Oper dagegen spielt immer ein Orchester live, und es ist größer als das Illustrationen: von Zubinski Am 29. September und am 3., 7., 11., 14., 16. und 20. Oktober 2016 zeigt das Stuttgarter Ballett im Opernhaus DER Sein grandioses Finale im Scheinwerferlicht hat Ritter Dose sich offensichtlich ganz anders vorgestellt. Was wirst du ihm als Überraschung wohl vor die Nase malen oder zeichnen? Fotos: Anja Haas; Martin Sigmund Mit einem bunten THEATERFEST für Kinder und Erwach­ sene eröffnet das Schauspiel Stuttgart am 25. September 2016 die neue Spiel­ zeit. Unter anderem im Programm: viele Mitmachaktivitäten, eine Lesung aus den Madita­Romanen von Astrid Lindgren, eine Kostüm­Show und ein schräger Tanzball. THEATERKINDER Musicalorchester. In manchen Opern, zum Beispiel von Richard Wagner, sitzen tatsächlich bis zu 100 Musiker im Orchestergraben – ein wirklich beeindruckendes Klangerlebnis! Die Opernsänger singen ohne technische Verstärkung, und trotzdem ist ihr schöner Gesang, selbst wenn er nur hauchzart gesungen wird, über und mit der Musik des Orchesters überall im Opernsaal hörbar. VOLL WITZIG Eigentlich wollte ich Hip­Hop tanzen lernen. Aber als meine Tanzlehrerin mich tanzen sah, war sie total überzeugt, dass klassisches Ballett perfekt für mich ist. Sie hat mir geraten, mich an der John Cranko Schule zu bewerben. Ich fand das sehr spannend, habe vorgetanzt – und die Aufnahmeprüfung bestanden. Das war vor drei Jahren. Klassisches Ballett macht mir wirklich total viel Spaß, besonders das Springen. Manche Freunde verstehen das nicht, andere finden es cool und kommen manchmal auch zu Aufführungen. Ich habe schon in Dornröschen mitge­ tanzt, in Der Widerspenstigen Zähmung – und, im Rahmen einer Aufführung unserer Schule im Opernhaus, in Spirits of Nature. Das war besonders toll und aufregend. Wenn ich in sieben Jahren meinen Abschluss hier geschafft habe, würde ich gern im Ausland tanzen, in Sankt Petersburg zum Beispiel oder am Royal Ballet in London. 45 Reihe 5 im Abo! DURCHSAGE 7. Juni, 12:30 Uhr Ein Vorhang­ zieher für das rechte Auge, bitte! Kostenlos und viermal im Jahr bieten wir Ihnen noch mehr Geschichten vor, auf und hinter der Bühne. Foto: Martin Sigmund Die Durchsage bezieht sich auf das zentrale Bühnenbildelement in dem Stück Tote Seelen, einen riesigen Totenschädel. Beide Augenhöhlen werden mehrmals während der Aufführung bespielt. Dazu müssen die das jeweilige Auge verschließenden Jalousien aufgezogen werden. WAS WAR DA LOS? Simone Jackel, Altistin im Staatsopernchor Stuttgart: »Dieses Foto ist während der Klavierhauptprobe zur Produktion Gespräche der Karmeliterinnen entstanden. Auf dem Foto bin ich (2. v. l.) mit meinen Kolleginnen aus dem Chor zu sehen. Bei einer Klavierhauptprobe sind das erste Mal alle Kostüme, Kulissen und Darsteller auf der Bühne. In dieser Situation versuchen wir, die Anweisungen des Regisseurs im Zuschauerraum zu verstehen. IMPRESSUM Herausgeber Die Staatstheater Stuttgart Geschäftsführender Intendant Marc-Oliver Hendriks Intendant Oper Stuttgart Jossi Wieler Intendant Stuttgarter Ballett Reid Anderson Intendant Schauspiel Stuttgart Armin Petras 46 Konzept ErlerSkibbeTönsmann & Grauel Publishing GmbH Beratung der Herausgeber Johannes Erler, Ralf Grauel Redaktion Ralf Grauel (Ltg.), Saphir Robert, Kai Schächtele, Isabelle Erler (Junge Seite); Christoph Kolossa Redaktion für Die Staatstheater Stuttgart Thomas Koch, Claudia Eich-Parkin (Oper); Vivien Arnold, Ronja Ruppert (Ballett); Rebecca Rasem, Jan Hein (Schauspiel) Offensichtlich klappt das nur mit Mühe, was zum Teil an den Nonnenhauben liegt. Für Sänger ist es extrem wichtig, dass sie während der Vorstellung sich selbst, die Kollegen und das Orchester gut hören können. Dafür haben die Hutmacher die Hauben an den Seiten mit etlichen Löchern präpariert. Bei der Vorstellung hat das auch funktioniert, nur ist die Musik für Sänger auf der Bühne eben viel lauter als eine einzelne Stimme aus dem Zuschauerraum.« Per Post an: Die Staatstheater Stuttgart – Publikationen Postfach 10 43 45, 70038 Stuttgart Gestaltung Anja Haas; Inga Albers Anzeigen Simone Ulmer [email protected] Druck Bechtle Druck&Service GmbH, Esslingen Erscheinungsweise 4 × pro Spielzeit Hausanschrift Die Staatstheater Stuttgart Oberer Schlossgarten 6 70173 Stuttgart www.staatstheater­stuttgart.de Bestellen Sie unser Magazin Reihe 5 einfach kostenlos nach Hause! Hauptsponsor des Stuttgarter Balletts Förderer des Stuttgarter Balletts Partner der Oper Stuttgart Online unter: www.staatstheater-stuttgart.de/reihe5 ANZEIGE GEFÖRDERT DURCH DIETER HACKER, MULTIPLIZIERTES OBJEKT (DETAIL), 1968, HOLZ, POLYSTYROL, LACK, 140 CM (DURCHMESSER), GALERIE MICHAEL STURM, FOTO: FRANK KLEINBACH, © DIETER HACKER