Karl A. Preuschen Zum soziologischen Rahmen der Arbeit mit der Communicative Grammar von Leech/Svartvik Series B: Applied & Interdisciplinary Papers ISSN 1435-6473 Essen: LAUD 1986 (2nd ed. with divergent page numbering 2010) Paper No. 148 Universität Duisburg-Essen Karl A. Preuschen Universität Gießen (Germany) Zum soziologischen Rahmen der Arbeit mit der Communicative Grammar von Leech/Svartvik Copyright by the author 1986 (2nd ed. with divergent page numbering 2010) Series B Applied & Interdisciplinary Paper No. 148 Reproduced by LAUD Linguistic Agency University of Duisburg-Essen FB Geisteswissenschaften Universitätsstr. 12 D- 45117 Essen Order LAUD-papers online: http://www.linse.uni-due.de/linse/laud/index.html Or contact: [email protected] ii Karl A. Preuschen Zum soziologischen Rahmen der Arbeit mit der Communicative Grammar von Leech/Svartvik "Eine theoretische Analyse, die Karate, Jazzimprovisation, Telefongespräche zum Gegenstand hat, untersucht lokale Effekte: sie berücksichtigt Umstände in der lokalen Situation, um Handlungen und Interpretationen zu bestimmen: Folglich kann man nicht wissen, was man als nächstes tun wird, es sei denn, man tut es." Howard Schwartz Da die Didaktik des neusprachlichen Unterrichts aus ihrer von der Philologie her geprägten buchbezogenen (dennoch die mündliche Verständigung nicht vergessenden) in eine im emphatischen Sinne Kommunikationsfähigkeit anstrebende Phase ihrer Entwicklung getreten ist, bedarf sie zur Präzisierung ihrer detaillierten Lernziele wie zur Planung von Unterricht einer gesellschaftswissenschaftlichen Forschung, in deren Mittelpunkt die Frage steht: Wie organisieren Mitglieder eines (die Zielsprache sprechenden) Volkes ihre Alltagswirklichkeit?, eine Analyse, deren Aufgabe es ist, herauszufinden, wie, d.h. durch welches methodische Handeln die native speakers sich untereinander verstehen, indem sie im Miteinanderhandeln, Sinn entstehen lassen. Diesen Forschungsschwerpunkt und diese Aufgabenstellung hat sich die von der phänomenologischen Soziologie herkommende Disziplin der Ethnomethodologie gewählt. Zur ersten Einführung in ihre Fragestellung und Arbeitsweise seien hier die Bände der Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.), Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, Reinbek 1973 und Elmar Weingarten, Fritz Sack und Jim Schenein (Hrsg.), Ethomethodologie, Beiträge zu einer Soziologie des Alltagshandelns, (stw. 71), Frankfurt am Main 1979 genannt. Auf den folgenden Seiten sollen daher Berührungspunkte und konvergierende Interessenrichtungen zwischen dieser Disziplin und Zielen einer kommunikativen Didaktik des neusprachlichen Unterrichts am Beispiel einiger Arbeitsmittel und deren Ergänzungsbedürftigkeit durch die Ethnometodologie aufgezeigt werden, in der Hoffnung, gemeinsame Arbeitsvorhaben anzuregen, die beiden Disziplinen (der bisher auf die Untersuchung gelenkter Lernprozesse kaum eingehenden Ethnometodologie und der auf die 1 Erforschung der schulischen und außerschulischen Sinnbildungsprozesse angewiesenen Fremdsprachendidaktik) aufschlussreiche und förderliche Einsichten erbringen können. Gehen wir bei der unserer Betrachtung von den Komponenten der Saussure`schen Trichotomie langage, langue, parole in ihrem Wechselbezug (unter pädagogischem Blickwinkel gesehen) aus, so zeigt sich, dass sie alle zugleich auch sprachpädagogische Aufgaben darstellen: Erhaltung und Pflege der Sprachfähigkeit (langage) als der anthropologischen Grundlage der menschlichen Sprachlichkeit, Erhaltung und Erneuerung des jeweiligen Sprachsystems als eines der nächsten Generation zu überliefernden und weiter zu gestaltenden kulturellen Erbes (langue), primär durch den zumeist situationsgebundenen mündlichen Sprachgebrauch, der mehr und andere als parole (im Sinne der Erzeugung von Sätzen und Satzfolgen in der Rede) in sich schließt, nämlich Sprachhandlungen. So erhält sich ein überindividuelles (langue) durch die jedem Menschen eigene Sprachkraft (Weisgerber) in konkreten Sprechakten am Leben und erfährt zugleich mit der individuelle Variation des persönlichen Gebrauchs seine Wandlung durch den sich unter neuen Bedingungen einspielenden Konsens der nächsten Generation und damit seine Weitergestaltung: vergleichbar der Geschichte, in der das Allgemeine im Individuellen lebt1. Nun vermittelt der (Fremd)sprachenunterricht in seinen allenthalben anzutreffenden Variationen zumeist die Sprache (zumindest in der Perspektive der lernenden Kinder) als ein Einklassensystem (Wörter bezeichnen Dinge, Eigenschaften, Vorgänge) zu denen dann – oft als lästiger Zusatz (ein jedenfalls in seinen Funktionen viel seltener eingesehener Regelapparat) von Formen und Satzbau – hinzugelernt werden müssen. Damit erscheint gerade Karl Bühlers2 Einsicht in den Zweiklassencharakter der Sprache, das Zusammenwirken von Nenn- und Zeigefunktion (wobei die letztere im Rahmen des /u.U rein sprachlichen/ Zeigefeldes wirksam wird), fast auf die Nennfunktion reduziert.3 Wenn "Sinn" eine Grundlage unseres geistigen Lebens ist4, so manifestiert er sich nicht nur im 1 2 3 4 Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, sowie Theodor Litts Einführung dazu in der Reclam-Ausgabe, Stuttgart, 1861, bes. S. 11-18 Ein bemerkenswertes Beispiel der Einführung der Bühlerschen Sprachtheorie in die pädagogische Besinnung gibt Hartmut von Hentigs Göttinger Vortrag "Didaktik und Linguistik" vor der Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (abgedruckt in der Zeitschrift für Pädagogik, 7. Beiheft, Sprache und Erziehung, Weinheim 1968, S. 82-110) Hierauf dürfte die oft nur relative Abgrenzbarkeit grammatischer Kategorien untereinander, sowie grammatischer und lexikalischer Kategorien voneinander, zurückzuführen sein, die in jüngerer Zeit durch Forschungsbeiträge verschiedener linguistischer "Schulen" als neue Einsicht gewonnen wurde; s.u.a. Alfred Schopfs in unserem Zusammenhang besondere Aufmerksamkeit verdienenden "Untersuchungen zur Wechselbeziehung zwischen Grammatik und Lexik im Englischen", Berlin 1969. Diese sehr ertragsreiche Abhandlung gibt beiläufig auch eine übersichtliche Skizze der sprachwissenschaftlichen Diskussion um den Begriff des Wortfeldes, mit einer Auswahlbibliographie, a. a. c. S. 147, Anm. 10-75 Litt, Theodor, Einleitung in die Philosophie, 1.Aufl. Leipzig 1933, S. 92ff. sowie ders. Individuum und Gemeinschaft, 2.Aufl. Leipzig 1924, S. 59 2 Feldcharakter der sprachlichen Setzungen und Verknüpfungen, sondern in jeder Situation, wobei uns die schulischen und außerschulischen Situationen von Sprachverwendung besonders interessieren. Da der Mensch als soziales Wesen, das sich grundsätzlich zu seiner Umgebung und zu sich selbst verhält (Plessners Begriff der exzentrischen Position), seine wache Zeit in Situationen erlebt, ist es sinnvoll, gerade auch für die Analyse von Unterrichtsabläufen, Kategorien soziologischer Handlungstheorie zu berücksichtigen, die Handeln als Übergang einer Situation zu einer anderen begreift und dabei festzulegen hat, wer als Handelnder zu betrachten ist (der Einzelne, sprachgeschichtlich-soziale Kräfte, organisierte soziale Gebilde), die Motive und Attitüden des Handelnden, die Charakteristika, die eine Situation von der anderen zu unterscheiden ermöglichen, als Bedingungen bzw. als Mittel des Handelnden, die Voraussetzungen der Motive des Handelnden, die Strukturverhältnisse der Situation und ihre Deutung durch den Handelnden, die aufeinander bezogenen sozialen Orientierungen (z.B. Erweiterung, Normen, Rollen) der Beteiligten die vorliegen, wenn eine Situation als soziale im Sinne der soziologischen Handlungstheorie gelten soll.5 Schon ein erster Blick auf diese Grundbegriffe der angeführten Handlungstheorie zeigt, dass sprachgebundenes Denken vorausgesetzt wird, sofern den Handelnden bewusste Motive, die Entwicklung von Zielvorstellungen zwischen der vorgefundenen und der angestrebten Situation, die Wahl geeigneter Mittel zu ihrer Verwirklichung und die Befolgung bewusster Handlungsnormen zugeschrieben werden, was freilich in der Alltagswelt oft nicht realitätsgerecht ist, wenn Motive der Handelnden und nicht selten ihre Ziele ihnen selbst oft unbewusst und die Wahl der Mittel häufig eher vom Zufall und unbewussten Impulsen als von klarer Überlegung und Abwägung bestimmt sind. Für die Untersuchung der Funktion der Sprache im sozialen Handeln stellt die Sprachsoziologie dem Lehrer, insbesondere dem Lehrer einer Fremdsprache, hilfreiche Begriffe und Einsichten zur Verfügung. Thomas Luckmanns von der Wissenssoziologie herkommenden Analysen der Sprache als Wissensform und Handlungssystem umgreift alle drei Saussure`schen Aspekte der Sprache: alle menschlichen Sprachen repräsentieren auf unmittelbare Sinneswahrnehmung beruhende Erfahrung (die freilich von Kultur zu Kultur, von Gesellschaft zu Gesellschaftsschicht individuell variiert). Auf der Ebene der langue (mit ihren regionalen und sozialen Subsystemen) legt Sprache die eigentlich soziale Wirklichkeit fest, d.h. sie wirkt an der Entscheidung darüber, wer als handlungs- und entscheidungsfähiges Gegenüber erfasst wird. Schließlich kann jede Muttersprache die Repräsentation einer 5 dazu Kempski, Jürgen von, Handlung, Maxime und Situation in: Studium Generale, 1954; Parson, Talcott: The Structure of Social Aktion, NewYork, 2.Aufl. 1961; Hartfield, Günter, Wirtschaftliche und soziale Rationalität, Stuttgart 1968 3 alltagstranszendenten, als außergewöhnlich erfahrenen Wirklichkeit (etwa der religiösen) umfassen. Wiederum langage, langue und parole bedenkend, kann Luckmann feststellen: "Es ist eine gesellschaftlich überaus wichtige Leistung der Sprache, dass sie die verschiedensten Erfahrungsbereiche typisierend abstraktiv nach- und mitformt und grundsätzlich den gleichen semasiologischen Prozessen unterwirft; dass sie sie in Bedeutungsebenen, -bereiche und –felder gliedert und doch in die formale Einheit eines Zeichensystems bringt."6 Dann aber besteht die Aufgabe des Fremdsprachenlehrers gerade darin, den fremdsprachlichen "Stoff" seinen Schülern auch in diesen Funktionen durchsichtig zu machen und sie nicht einfach als ein zweites über die gewohnte Alltagswelt zu stülpendes Begriffsnetz erscheinen zu lassen. Wenn man die Gesamtheit der Erfahrungsbereiche einer Gesellschaft ihre Realität nennen darf, so lernen wir von den Ethomothodologen Hugh Mehan und Houston Wood, dass (im Gegensatz zu einer auf bloße Erweiterung des Informationsaustausches abgestellten Fremdsprachedidaktik) eine Äußerung nicht nur eine bestimmte Information liefert, sie schafft auch eine Welt, in der eine Information als solche erscheinen kann.7 Die Welt der sozialen Wirklichkeit ist, wie das Denken, reflexive Aktivität. Sie beruht auf einem kohärenten Wissensbestand, erweist sich als das Ergebnis von Interaktionshandeln und ist deshalb (im Gegensatz zur naiven Meinung des Durchschnittsmenschen) fragil und durchlässig. Die hier als Durchlässigkeit bezeichnete Eigenschaft der sozialen Realität ist eine Voraussetzung dafür, dass wir als Ausländer überhaupt Zugang zur englischsprachigen Welt erlangen und Methoden zur Einführung unserer Studenten und Schüler in eine fremde Sozialwelt konzipieren können. Die gemeinte Durchlässigkeit zeigt sich besonders eindringlich in dem von den o. g. Autoren angeführten Beispiel eines US-amerikanischen Malers namens Tobias Schneebaum, dem der Einstieg in die Welt eines in steinzeitlichen Verhältnissen lebenden Stammes im peruanischen Dschungel gelang. Schneebaum nahm am Leben der Männer dieses Stammes teil (einschließlich deren Kriegszügen und in ihrem Gefolge an Massenmord und Kannibalismus). Mit ihrer Lebensweise übernahm er auch ihr Zeitgefühl: "Meine Tage sind nicht länger Tage. Die Zeit besitzt keine Gedanken, die mich beunruhigen könnten. Alles ist wie nichts und nichts wie alles. Denn wenn ein 6 7 Luckmann, Thomas, Soziologie der Sprache. In: König, Rene (Hrsg.), Handbuch der empirischen Sozialforschung, zit. Nach der dtv-Ausgabe, Wissenschaftliche Reihe, WR 4248, Bd. 13, S. 3 - 116. Mehan, Hugh und Houston Wood, Fünf Merkmale der Realität. In: Weingarten, Elmar et al. (Hrsg.), Ethnomethodologie, Frankfurt am Main 1979 (i. d. Reihe Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft stw 71), S. 29 – 63; Zit. S. 35 4 Tag vergeht, wird das nirgends vermerkt, und er könnte ebenso ein Monat sein. Es existiert kein Unterschied."8 Schneebaum kehrte, ohne dass ihn seine Stammesbrüder vermissen konnten, da für sie keine aus ihrer Gegenwart verschwundenen Lebewesen existieren (auch sterbende Stammesgenossen werden gleich nach ihrem Tod vergessen) in die westliche Zivilisation der USA des 20. Jahrhunderts zurück, in eine Zivilisation, in der (im extremen Gegensatz zu der Welt der steinzeitlichen peruanischen Kannibalen) ein gesteigertes Bewusstsein des in den Phänomenen verborgenen Zeitcharakters herrscht, das wiederum auf Denken, Empfinden, Lebensgestaltung und Verhalten einwirkt.9 Dabei dürfen wir, bei aller grundsätzlichen Triftigkeit dieser Aussage, nicht verkennen, nicht die auch innerhalb des Westens möglichen Abstufungen von Graden des Zeitbewusstseins verkennen. Wenn um 1830 der italienische Emigrant Graf Peccino über die Engländer schreibt: "Selbst ihre Sprache scheint es eilig zu haben, da sie zum größten Teil aus Einsilben besteht, von denen oft noch zwei zu einem Wort zusammengezogen werden. Diese große Zahl einsilbiger Wörter wirkt wie --- eine Art von Stenogramm. Die Engländer reden so wenig --- nur um keine Zeit zu verlieren."10 Ein deutscher Emigrant in England, der Kunsthistoriker Nikolaus Pevsner, schreibt dazu: "Der Vorwurf der Eile als eines Dämonen, der keinen Zeitverlust erlaubt, trifft im 20. Jahrhundert gewiß nicht mehr als Charakteristikum für diese exemplarisch lässige Nation zu. Wir würden ihrer Neigung zum Understatement --- mit des Engländers Abneigung gegen alles Getue und seinem Misstrauen gegen Rhetorik (in Zusammenhänge bringen). Graf Pecchios Engländer von 1827 ist eher der Amerikaner von heute – ein bemerkenswerter Rollenwechsel, von dem noch die Rede sein wird."11 (Auf Seite 226ff. des zitierten Werkes führt Pevsner Emersons English Traits an, in denen der amerikanische Autor an den Engländern seiner Zeit Züge entdeckt, die heute die Amerikaner zu charakterisieren scheinen.) Wenden wir uns nunmehr von dem Problem der Fragilität und Durchlässigkeit der sprachlich konstruierten sozialen Wirklichkeit dem bekanntesten Versuch der Analyse und begrifflichen Klassifizierung der daran beteiligten Sprechakte zu: Habermas` Typologie von Sprechakten ist (unter der Voraussetzung, dass Rede ihren Sinn erfüllt, wenn mindestens zwei Sprecher/Hörer zu einem echten Konsensus gelangen wollen) auf der Ebene der language entworfen, indem sie eine allen Sprachen inhärente Möglichkeit aufschlüsselt in: Kommunikativa (die den pragmatischen Sinn der Rede 8 Zitiert bei Mehan a. a. O. S. 56f. Hier stellt sich mit besonderer Nachdrücklichkeit das Problem der Relevanz, s. dazu Schütz, Alfred, Das Problem der Relevanz, Frankfurt am Main, 1971. 9 Wendorff, Rudolf, Zeit und Kultur, Opladen 1980. S. 455. 10 Pevsner, Nikolaus, The Englishness of English Art, London 1956, dt. Ausgabe unter dem Titel das Englisch in der Englischen Kunst, München 1974. 11 a. a. O. S. 13. 5 anzeigen), Konstativa (die beschreiben, berichten, verneinen), Repräsentativa (die Intention des Sprechers zu erkennen geben wie: meinen, ermöglichen, befürchten) und Regulativa (die die pragmatische Verwendung von Sätzen ausdrücken, wie: befehlen, bitten, versprechen, verzeihen – also die ursprünglich von Austin und Searle herausgestellten speech acts). Eine weitere Klasse von Sprechakten, die den Vollzug institutionell geregelter Sprechakte betreffen (begrüßen, beglückwünschen, danken) ordnet Habermas in die (der langue entsprechende) Stufe der in verschiedenen gesellschaftlichen Systemen und Subsystemen unterschiedlich geregelter Verhaltensweisen und Verkehrsformen ein. Über die je einzelsprachlich spezifischen Ausformungen der Sprechakte unterrichtet uns die kommunikative Grammatik – für das Englische ausgearbeitet von Leech und Svartvik, über die Gepflogenheiten der Anwendung ihres Materials aber kaum – weniger noch kann dies die kontrastive Linguistik leisten. Sie ermöglicht uns zwar aufschlussreiche Einsichten in das phonologische, morphologische und syntaktische Inventar jeder langue. So gibt es z.B. für den englischen Satzbauplan von der Art des Satzes `The wall was expected by John to be painted by Bill` keine formal und semantisch genau entsprechende Parallele im Deutschen12, wie umgekehrt der deutsche Satzbauplan vom Typ des Satzes `Er klopfte seinem Freunde auf die Schulter` keine zugleich formale und inhaltliche Entsprechung im Englischen hat.13 Kommunikative Grammatik wiederum will Sprachmaterial nach Sprechakten zusammengefasst vorlegen. Habermas` Kommunikativa finden sich in Leech und Svartvik`s: Communicative Grammar of English14 in Section B 244 – 258, die Konstativa in Section C 269 – 306, die Repräsentative in Section C 340 – 365 wieder, während ein Teil der Konstativa und die Operativa in Section A unter dem Titel Concepts Abschn. 44 – 243 als gleichsam grundlegende vorgeführt werden. Die Communicative Grammar verknüpft damit die Ebene der langage als die Ebene der allgemein und menschlichen ssprachverknüpften Denkfähigkeit mit dem aus einer bestimmten langue geschöpften Material (im vorliegenden Falle aus Quirk et al. A Grammar of Contemporary English), freilich unter Ausklammerung des sozialen Rahmens der jeweiligen Sprachverwendungsanlässe. Sie kann zwar mitteilen, mit welchen Wörtern und Fügungen man um etwas bittet, sich entschuldigt, aber nicht, wer in einer bestimmten Gesellschaftsschicht und Situation wen um etwas bitten darf, sich (wofür) zu entschuldigen hat. 12 Das Beispiel entstammt Heinz Wagners Darstellung der Kontrastiven Linguistik in Dietrich, Rolf und Siegfried Kanngießer, Sprachwissenschaft, dtv-Reihe Wissenschaft, WR 4227, München 1974, S. 379. 13 S. dazu Weisberger, Leo, Die ganzheitliche Behandlung eines Satzbauplanes, Düsseldorf 1962, als Muster einer energetischen Sprachforschung, wiederabgedruckt in ders: Die vier Stufen in der Erforschung der Sprachen,. Düsseldorf 1963, S. 262 – 294. 14 Leech, Geoffrey and Jan Svartvik, A Communicative Grammar of English, zit. Nach der 7th Impression 1981. 6 Auskünfte über die sozialen Anlässe des Sprachgebrauchs gibt die Soziolinguistik, deren Einsichten und Methoden Bestandteil des Studiums von Lehrern wie von Fremdsprachenexperten sein sollte, wie sogleich zu zeigen sein wird. Dazu wollen wir aber zunächst noch einmal auf die Studie der langage zurückkehren als der Voraussetzung sprachlicher Verständigung, des Erwerbs einer Erstsprache wie auch des Übertritts in andere Sprachgemeinschaften als der primären Sozialisation durch Erlernung weiterer Sprachen. Anthropologische Voraussetzungen dieser Möglichkeiten ist das, was Helmut Plessner die exzentrische Position des Menschen nennt, seine Fähigkeit (und Aufgabe) zu sich selbst und zu den ihn umgebenden Menschen und Dingen in Distanz zu leben, " nicht nur einer zu sein, sondern sich zugleich als einer zu wissen", in vermittelter Unmittelbarkeit zu sich und der Welt zu stehen.15 "In solcher exzentrischen Position wurzeln Sprache, Handeln und variables Gestalten als die für den Prozess der Zivilisation verantwortlichen Verhaltensweisen ... Von Natur aus künstlich leben wir nur insoweit wie wir ein Leben führen, machen wir uns zudem und suchen wir uns das zu haben, was wir sind."16 Aufgrund der Expressivität, der jede Lebensregelung der Person, die nach Erfüllung verlangt, unterliegt, gibt es nicht die Sprache, sondern Sprachen. "Die Einheit der Intention hält sich nur in der Zersplitterung in verschiedene Idiome17, womit wir zu Saussures Ebenen der parole und der langue als wesensmäßig zum Menschen gehörenden Werken und Akten seiner Kultur, seiner zweiten Welt, gelangt sind, die nicht in einer Einheitssprache zusammenfassbar und durch eine solche ersetzbar, da Erlernen von Fremdsprachen immer erforderlich machen wird, sofern wir nicht im Umkreis der eigenen Sprachgemeinschaft festgebannt bleiben wollen. Die Aneignung der Fertigkeit, Menschen anderer Muttersprache in ihrer heimischen Umwelt zu verstehen, erfordert bekanntlich mehr als nur den Erwerb des jeweiligen sprachlichen Materials, auch wenn die linguistische Komponente dieser Arbeit durch eine Anordnung der wichtigsten Strukturen unter dem semantischen Titel von Types of meaning (in elektizistischen Leitbegriffen – parallel zu den formalen Einheiten Wortgruppe, Satz, Text) dargeboten wird, wie bei Leech/Svartvik. Zusammen mit dem sprachlichen Material sind jene Elemente menschlichen Verhaltens deutend zu verstehen, als die Plessner folgende nennt: zunächst die (kulturspezifisch variierenden) personalen Rollen und der Weisen ihrer Darstellung in der gesellschaftlichen Mitwelt und dinglichen Umwelt ("Selbstdeutung und Selbsterfahrung gehen über andere und anderes"18, die letztlich nur am Namen einer Halt 15 Plessner, Helmut, zuerst in Die Stufen des Organischen und der Mensch, 11928, 21965 (Berlin), S. 321ff. 16 ders. Die Frage nach der conditio humana, Suhrkamp Taschenbuch 361. Frankfurt am Main, 1976, S. 58 17 s. o. Anm. 15, S. 340 18 s. o. Anm. 16, S. 62 7 findet, zusammen mit seinem sozialen Ort. Alsdann (die wiederum kultur- und sozialspezifischen) Grenzen der Selbstbeherrschung, deren Überschreitung sich in Lachen bzw. Weinen19 anzeigt (vgl. auch die feinsinnige Deutung des verlegenen Lachens der amerikanischen Südstaatler, wie Jimmy Carter, durch Herbert von Borch20) sowie des Lächelns, das die Erhaltung des inneren Gleichgewichts ausdrückt. "Lachend und weinend ist er (scil. der Mensch) das Opfer seiner exzentrischen Höhe, lächelnd gibt s ihr Ausdruck."21 Als letztes Element menschlichen Verhaltens nennt Plessner sein Verhalten zum Tode22 und zur Geschichtlichkeit23 seiner Existenz. Die mit den genannten Komponenten umschriebene nach der Zukunft hin offene, labile Struktur der Personalität schließt auch eine detaillierte Vorplanung einer über den bloßen Austausch gesellschaftlich genormter Stereotypen hinausgehende Kommunikation aus. Das gilt auch für den Unterricht, wie jeder Student oder Referendar erfahren muss, wenn seine noch so sorgfältig ausgearbeitete Unterrichtsplanung im Vollzug nicht in der beabsichtigten Weise verläuft. Der offene, teilweise auf Improvisation angewiesene Charakter menschlicher Kommunikation lässt sich in seiner spezifischen Unbestimmtheit ("Man kann vorher nie wissen, wie es läuft") mit jener Interaktionsfolge vergleichen, die in der soziologischen Literatur unter dem Namen "der Kartentrick, der nicht erklärt werden kann"24 behandelt wird. "Woraus der Trick besteht, das ergibt sich erst bei der Durchführung des Tricks und auf keine andere eise, zu keinem anderen Zeitpunkt, zu keinem anderen Ort."25 Damit sind wir bei der Untersuchung der Frage nach den Grenzen der Hilfsfunktion der kommunikativen Grammatik zu einer Einsicht in die prinzipiellen Grenzen der Planbarkeit von Interaktionsketten gelangt. Parallel zu Otto Friedrich Bollnows Hinweise auf die Notwendigkeit nichtstetiger Formen der Erziehung26 sehen wir die kritischen Einwände der Ethnomethodologie gegen die traditionelle Soziologie. Sie richten sich gegen die Einengung der Forschung auf die Suche nach globalen Eigenschaften sozialer Situationen und Tätigkeiten27, während die theoretische Analyse des Ethnomethodologen die lokalen Effekte berücksichtigt, die zur Verfügung stehende Zeit, die Speicherkapazität des Gedächtnisses, 19 a. a. O. S. 70 – 73, ausführlicher in Plessners Buch Lachen und Weinen, Bern 1950 20 Borch, Herbert von, Amerika, Dekadenz und Größe, Frankfurt am Main 1983 21 s. dazu Plessner, Helmut, Das Lächeln, in ders. Mit anderen Augen, Reclam Stuttgart 1982, S. 183 – 197 22 a. a. O. S. 74 – 78 23 ders. A. a. O. S. 78 – 81 24 Schwartz, Howard, Allgemeine Mermale ... in Weingarten, Elmar, et al. (hrsg.), Ethnomethodologie, 2. Aufl., Frankfurt am Main 1979, S. 367ff. 25 Schwartz, a. a. O. S. 357 – 367 26 Bollnow, Otto Friedrich, Existenzphilosophie und Pädagogik, Stuttgart 1959 27 Schwartz, a. a. O. S. 359 8 das kontinuierliche Auftreten neuer und unerwarteter Situationen. Sie auszuklammern, wie es beispielsweise im programmierten Lernen geschieht, bedeutet, den Lernerfolg auf Kosten der Spontanität der Lernenden und Lehrenden zu erreichen – ein zu hoher Preis, wie wir meinen. Die Erfahrung in der Vorbereitung von Studenten auf ihre Unterrichtspraxis zeigt, dass neben der unentbehrlichen wissenschaftlich begründeten Planung die Weckung und Pflege der Fähigkeit zu improvisierendem Handeln nicht vernachlässigt werden darf. 9