Clemens Hauser Das Problem der dreizehn Kugeln Vortrag im Seminar für Didaktik der Mathematik an der Universität Freiburg 1.12.2009 Kepler (1611): Dichteste Kugelpackung (?) Kepler (1611): Dichteste Kugelpackung (?) Die unmittelbare Umgebung einer Kugel in der Keplerschen Packung: Zwischen den 12 äußeren Kugeln ist noch Platz frei: Das Problem der dreizehn Kugeln Wie viele Kugeln können gleichzeitig eine zentrale Kugel gleicher Größe berühren? Gesuchte Maximalzahl: „Kusszahl“ (kissing number). Satz (Schütte und van der Waerden, 1953): Die Kusszahl für dreidimensionale Kugeln ist 12. Beweisgeschichte • • • • Isaac Newton / David Gregory (1694) R. Hoppe (1874) K. Schütte, B.L. van der Waerden (1953) J. Leech (1956) • M. Aigner, G.M. Ziegler (1998, 2002) Proofs from THE BOOK • H. Maehara (2007) Beweisversuch Projektion der berührenden Kugel auf die Zentralkugel: 60° Kugeloberfläche 4π = ≈ 14,93 Fläche der Kappe 2π(1 − 0,5 3 ) Beweisidee Leech / Maehara Flächeninhalte sphärischer Dreiecke abschätzen Grundlegende Sätze über sphärische Dreiecke auf der Einheitskugel Formel von Girard : |ABC| = α + β + γ – π A α B β γ C Beweis: Flächeninhalt des Zweiecks: α ⋅ Kugeloberfläche = 2α. 2π 2α + 2β + 2γ = 2π + 2|ABC| Seitenkosinussatz: In jedem sphärischen Dreieck ABC gilt cos a = cos b ⋅ cos c + sin b ⋅ sin c ⋅ cos α Girard und Seitenkosinussatz ermöglichen (komplizierte) Flächenberechnung. C D Gibt es auch eine bequeme geometrische Methode, Dreiecksflächen zu vergleichen? A B Umfangswinkelsatz für sphärische Dreiecke γ − (α + β) ist konstant. C γ M A B Satz von Lexell (1784) Sei ABD ein sphärisches Dreieck, A* und B* seien die Antipodenpunkte von A und B. Dann hat für jeden Punkt C auf dem Bogen A*DB* das Dreieck ABC den gleichen Flächeninhalt wie das Dreieck ABD. B* β* α* A* Beweis: γ − (α * +β*) ist konstant, also ist auch C A D γ γ + (α + β) α β B konstant. Lemma von Fejes Tóth Sei d die Länge der kürzesten Seite des sphärischen Dreiecks ABC. Falls dann der sphärische Umkreisradius von ABC kleiner als d ist, so hat das Dreieck ABC hat einen mindestens so großen Flächeninhalt wie das aus d gebildete gleichseitige sphärische Dreieck. <d d d d d d Beweis: C D B´ A´ d A B Großkreis Beweis: C D B´ A´ d A B Lexell-Bogen Großkreis C liegt „oberhalb“ des Lexell-Bogens, also ist |ABC| ≥ |ABD|. Zurück zum Problem der 13 Kugeln Sei n die gesuchte maximale Anzahl von berührenden Kugeln. Zentralkugel mit n Berührpunkten Konvexe Hülle der Berührpunkte Projektion auf die Sphäre: Triangulierung T: Eigenschaften der Triangulierung T: (1) T besteht aus 2n–4 Dreiecken. (2) Jede Seite von T hat mindestens die Länge π/3. (3) Der sphärische Umkreisradius eines jeden Dreiecks von T ist kleiner als π/3. Beweis: (1) Eulerscher Polyedersatz (oder: betrachte Summe aller Dreiecksflächen und benutze Girard) (2) π/3 entspricht 60°… Eigenschaften der Triangulierung T: (1) T besteht aus 2n–4 Dreiecken. (2) Jede Seite von T hat mindestens die Länge π/3. (3) Der sphärische Umkreisradius eines jeden Dreiecks von T ist kleiner als π/3. Beweis: (1) Eulerscher Polyedersatz (oder: betrachte Summe aller Dreiecksflächen und benutze Girard) (2) π/3 entspricht 60°… (3) n ist maximal. (1) T besteht aus 2n–4 Dreiecken. (2) Jede Seite von T hat mindestens die Länge π/3. (3) Der sphärische Umkreisradius eines jeden Dreiecks von T ist kleiner als π/3. • Lemma von Fejes Tóth ist anwendbar. • Flächeninhalt ∆ des gleichseitigen Dreiecks mit Seitenlänge π/3: Winkel mit Seitenkosinussatz berechnen, Flächeninhalt mit Girard: ∆ ≈ 0,551 • Nun muss gelten: (2n-4)·∆ ≤ 4π, dies liefert n ≤ 13,4 Verfeinerte Strategie Wir nehmen an, die Kusszahl wäre 13. 1 ≥ arccos hat, A) Wenn höchstens eine Dreiecksseite eine Länge 7 so weist T als Graph widersprüchliche Eigenschaften auf. B) Wenn dagegen mehr als eine Dreiecksseite diese Mindestlänge hat, so wird der Flächeninhalt insgesamt zu groß. Beweisskizze zu A Wir entfernen die eventuell vorhandene lange Seite. G sei der neue Graph. γ Beweisskizze zu A Wir entfernen die eventuell vorhandene lange Seite. G sei der neue Graph. γ Jeder Winkel ist π > 3 (Beweis: Seitenkosinussatz und Differentialrechnung) Eigenschaften von G (I) An jedem Knoten von G treffen sich höchstens 5 Kanten. (II) G kann als ebener Graph dargestellt werden. Er hat 32 Kanten und 21 Flächen, wobei die Flächen sich aus 20 Dreiecken und einem Viereck zusammensetzen. (III) An genau einem Knoten von G treffen sich 4 Kanten, an den anderen 12 Koten jeweils 5 Kanten. (IV) Kein 3-Zykel des Graphen enthält im seinem Inneren einen weiteren Knoten. Nach (IV) verboten: Wie sieht G aus? Wir beginnen mit dem Viereck. Es gibt keinen solchen Graphen! Verfeinerte Strategie Wir nehmen an, die Kusszahl wäre 13. 1 ≥ arccos hat, A) Wenn höchstens eine Dreiecksseite eine Länge 7 so weist T als Graph widersprüchliche Eigenschaften auf. B) Wenn dagegen mehr als eine Dreiecksseite diese Mindestlänge hat, so wird der Flächeninhalt insgesamt zu groß. Beweisskizze zu B Wir haben jetzt mindestens 2 „lange“ Seiten. Ziel: Bessere Flächenabschätzung als mit Fejes Toth a c b a´ c´ b´ Unter welcher Bedingung schrumpft der Flächeninhalt, wenn Seiten schrumpfen? Wenn der Umkreismittelpunkt im Dreieck liegt! Umweg über Vierecke: A D D B A B C C Lemma („Proper diagonal lemma“) D liege nicht im Innern des Umkreises von ABC. Wenn man dann das Viereck so verformt, dass die Seitenlängen gleich bleiben, aber die Länge der Diagonalen AC abnimmt, so nimmt auch der Flächeninhalt des Vierecks ab. Zum Beweis werden Sätze über Sehnenvierecke benötigt, z.B. der folgende Satz Ein konvexes Viereck mit drei festen Seitenlängen AB = a, BC = b und CD = d (a + b + c < π) hat maximalen Flächeninhalt, wenn ABD und ACD derselbe Halbkreis sind. D A a B c b C Lambacher/Schweizer: Kursstufe Umweg über Vierecke: A D D B A B C C Lemma („Proper diagonal lemma“) D liege nicht im Innern des Umkreises von ABC. Wenn man dann das Viereck so verformt, dass die Seitenlängen gleich bleiben, aber die Länge der Diagonalen AC abnimmt, so nimmt auch der Flächeninhalt des Vierecks ab. Jetzt können wir abschätzen: Gesamter Flächeninhalt π π 1 ≥ 18 ⋅ ∆ + 4 ⋅ , , arccos ≈ 12,59 > 4π 7 3 3 Widerspruch ! Also ist n ≠ 13. Literatur • H. Maehara, The problem of thirteen spheres – a proof for undergraduates. European Journal of Combinatorics 28 (2007) 1770 - 1778. • B. Casselman, The difficulties of kissing in three dimensions, Notices Amer. Math. Soc. 51 (2004), 884-885. • F. Pfender and Günter M. Ziegler, Kissing numbers, sphere packings, and some unexpected proofs, Notices Amer. Math. Soc. 51 (2004), 873-882.