Symposium zum Ersten Deutscher Männergesundheitsbericht Berlin, 28. Oktober 2010 Modul „Psychische und Verhaltensstörungen“ PD Dr.rer.soc. Anne Maria Möller-Leimkühler Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Ludwig-Maximilians-Universität München Prof. Dr. med. Siegfried Kasper Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Medizinische Universität Wien Auslauf- und Defizitmodell Mann? Das große X und das kleine Y © Nature Psychische und Verhaltensstörungen Jeder 3. erwachsene Deutsche ist im Laufe eines Jahres davon betroffen Die zehn häufigsten Ursachen für mit Beeinträchtigung gelebte Lebensjahre Depression, unipolare Lopez et al. 2006 Psychische Störungen nehmen laut Daten von Kostenträgern zu, auch bei Männern. echte Zunahme? bessere Diagnostik? Arbeitsunfähigkeitstage wegen psychischer Störungen Deutliche Zunahme bei Männern Arbeitsunfähigkeitsfälle der Männer nach Krankheitsarten psych. Störungen Die häufigsten Krankenhausdiagnosen Stationäre Verweildauern im Vergleich Gründe für Frühberentungen 2007 Mortalitätsverhältnis von M und F Todesursachen im Vergleich Statistisches Bundesamt 2005 Suizid – wichtiger Indikator für psychische Gesundheit 3-10 M : 1 F Die Prävalenz psychischer Störungen ist bei Männern und Frauen etwa gleich hoch. M und F sind aber unterschiedlich häufig von unterschiedlichen Störungen betroffen. Prävalenz psychischer Störungen nach Geschlecht Störung Gesamt % Frauen % Männer % Prävalenz Angststörungen 1 14,5 19,8 9,2 12-Monate Affektive Störungen 1 11,9 15,4 8,5 12-Monate Somatoforme Störungen 1 11,0 15,0 7,1 12-Monate Schmerz-Störung 1 8,1 11,4 4,9 12-Monate Alkoholmissbrauch/abhängigkeit 1 4,1 1,3 6,8 12-Monate Illegale Substanzen, Missbrauch/Abhängigkeit 1 0,7 0,5 1,0 12-Monate Persönlichkeitsstörungen 2 Dissoziale Persönlichkeitsstörung 3 10,0 3,6 10,3 1,9 9,6 5,5 Lebenszeit 1 2 3 Bundesgesundheitssurvey 1998/9, Zusatzsurvey „Psychische Störungen“ (nach Jakobi et al. 2004) Maier et al. 1992 Compton et al. 2005 Die häufigsten/wichtigsten psychischen Störungen bei Männern Depression 1 M : 2 F ??? Alkoholabhängigkeit 5M:1F Suizidalität 3-10 M : 1 F antisoziale Persönlichkeitsstörung, Gewalt 4M:1F hohe Komorbidität, die oft nicht erkannt wird Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit jeder 3. Mann hat riskanten Alkoholkonsum 43% der 12-25Jährigen und 45% der 18-59Jährigen betreiben mind. 1x im Monat Binge-Drinking 2/3 aller Alkoholabhängigen sind Männer 3 x höhere alkoholbedingte Sterblichkeit Kosten: jährl. 40 Mrd. Euro eingen. Steuern: 2,2 Mrd. Euro riskanter Konsum Alkohol und Männlichkeit Konstruktion und Demonstration von Männlichkeit Rauscherleben von illusionärer Macht Grenzerfahrungen, Tabubruch Kompensation negativer Gefühle Selbstmedikation bei Stress „Entlastungstrinken“ Alkohol und psychiatrische Komorbidität: 40% 30% - 80% 20% 40% 24% 25% - 52% dissoziale Persönlichkeitsstörung aller Suizidtoten waren Alkoholiker aller Suizidtoten waren Risikotrinker Depression (unterdiagnostiziert?) Angststörungen ¾50% 40% 63% aller Straftaten unter Alkoholeinfluss der Tötungsdelikte unter Alkoholeinfluss aller häuslichen Gewalttaten unter Alkoholeinfluss außerdem: schwere somatische und neurologische Erkrankungen, soziale Desintegration Eklatante Unterversorgung alkoholabhängiger Männer 10% in suchttherapeutischen Einrichtungen 35% in Allgemeinkrankenhäuser 80% in Praxen niedergelassener Ärzte Gründe: - gesell. Trinkkultur - Bagatellisierung, - Überschätzung der Selbstwirksamkeit - Stigmatisierung abstinenter Männer Probleme: - Betroffene im Vorund Frühstadium zu erreichen - Entwicklung männerspez. Angebote für Zielgruppen Erhöhtes Risiko von Gewaltverhalten im Kontext psychischer Störungen dissoziale Persönlichkeitsstörung M>F 21 fach erhöht Substanzmissbrauch M>F 10 fach erhöht ? Gewaltverhalten M>F ? ADHS* M>F *Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung 4 fach erhöht Schizophrenie M=F Lebenszeitprävalenz unipolarer Depression nach Geschlecht Weissman et al 1994 Alkoholismus und Suizid: männliche Äquivalente der Depression? Depressionsraten bei Männern erhöht (F=M), wenn Alkoholismus und Suizid tabuisiert sind Levav et al. 1993, Löwenthal et al. 1995 Depression – unterdiagnostiziert bei M* mangelnde Hilfesuche 1M : 2 F Geschlechterparadox bei Depression und Suizid männertyp. Stressresponse „fight or flight“ externalisierendes Verhalten Genderbias in Diagnostik nur „weibliche“ Symptome * Wittchen et al. 1999, Lefebvre et al. 1998, Stoppe et al. 1999, Jorm et al.2006, Lecrubier 2007 Das männliche depressive Syndrom • • • • • • • • geringe Stresstoleranz ausagierende Verhaltensweisen geringe Impulskontrolle Irritablität, Ruhelosigkeit, Unzufriedenheit Substanzmissbrauch antisoziales Verhalten depressive Verstimmung erbliche Vorbelastung für Depression, Alkohol, Suizid Walinder J, Rutz W 2001 Befunde zur „männlichen Depression“ Feindseligkeit bei depressiven Männern häufiger (Fava et al. 1995) Bei Alkoholpatienten Depressionsrate deutlich höher, wenn „männliche“ Symptome erfasst wurden (Zierau et al. 2002) Stärkere affektive Rigidität, Irritabilität und Ärgerattacken bei depressiven Männern (Winkler et al. 2004, 2005) Latentes „männliches“ Symptomcluster von Irritabilität, Aggressivität und antisozialem Verhalten bei depressiven Männern (Möller-Leimkühler et al. 2004) Höhere Rate „männlicher Depression“ bei depressiven männlichen Suizidopfern als bei weiblichen (Rihmer et al. 2009) Depressionsentwicklung bei Männern über Stress, Aggression und Alkoholmissbrauch (Bech et al. 2001) Höheres Depressionsrisiko bei 18-jährigen Männern geht mit höher ausgeprägten „männlichen“ Symptomen einher (Möller-Leimkühler et al. 2006) Frauen suchen Hilfe, Männer sterben Depression bei etwa 80% aller Suizidopfer! sozialstrukturelle Risikofaktoren psycho/soziale Risikofaktoren medizinische Risikofaktoren biologische Risikofaktoren Anomie Scheidung/Trennung frühere Suizidversuche (M+F) genetische Disposition soziale Desintegration Pensionierung Suizid in Familie erniedrigte Serotoninspiegel Bevölkerungsdichte Arbeitslosigkeit psychische Erkrankungen, insb. Depression Volumenreduktion im präfrontalen Kortex gesellschaftlicher Umbruch soziale Isolation Alkohol-/Drogenabhängigkeit geringes Einkommen chronische Erkrankungen Homosexualität Impulsivität/ Aggressivität Hoffnungslosigkeit Fazit Männergesundheit umfasst alle Bereiche der körperlichen, psychischen und sozialen Gesundheit und kann nur interdisziplinär verstanden und gefördert werden. Psychische Störungen bei Männern müssen gesellschaftlich enttabuisiert und entstigmatisiert werden, dies gilt auch für die Inanspruchnahme von Hilfe aufgrund psychischer Probleme. Trotz der „Zunahme“ psychischer Störungen sind diese insbesondere bei Männern weiterhin unterdiagnostiziert und unterbehandelt. Durch Unterbehandlung und hohe Komorbidität entstehen massive gesundheitliche, soziale und wirtschaftliche Folgeprobleme für den einzelnen Mann, seine Familie und die Volkswirtschaft. Die stärkere Inanspruchnahme und bessere Behandlung psychischer Störungen von Männern würde daher langfristig zu einer Kostenreduktion führen. Männergesundheitsforschung und –praxis müssen sich stärker um die psychische Gesundheit von Männern bemühen, indem Präventions- und Behandlungskonzepte auf Zielgruppen, Settings und Lebensphasen zugeschnitten werden. Einstellungsänderung rechtzeitige Diagnostik ŅI give you 15 minutes to find out what my diagnosis is!Ó männersensible Therapiekonzepte