Amphibiengutachten für den Bebauungsplan STO 594 „Östlich Erfurter Landstraße“ Kreuzkröte („Ballertasche, Landkreis Göttingen; Aufnahme: D. Conrady Abschlussbericht August 2009 Von BLaU-Umweltstudien Dr. Dierk Conrady Tschaikowskistr. 21 99096 Erfurt Im Auftrag der Landeshauptstadt Erfurt Stadtverwaltung Amt für Stadtentwicklung und Stadtplanung Fischmarkt 1 99084 Erfurt INHALT Kap. Kapitelüberschrift Seite 1. Zielstellung…………………………………………………………………………… 1 2. Naturraum, Geologie und Biotope………………………………….……………... 1 3. Lage des Bebauungsgebietes und der untersuchten Gewässer………………. 1 4. Untersuchungsmethodik………………………………………………………..…... 2 4.1 4.2 Kartiertermine………………………………………………………………………………..... Erfassung physikalischer und chemischer Gewässerdaten……………………………… 2 3 5. Die Amphibiengemeinschaften der vier Standgewässer………………………... 4 5.1 5.2 5.3 Überblick………………………………………………………………………………………. Tongrube Stotternheimer Höhe……………………………………………………………... Quellgebiet und anschließendes Grabensystem am westlichen Ortsrand von Stotternheim……………………………………………………………………………………….. „Stotternheimer See“…………………………………………………………………………. „Schwerborner See“………………………………………………………………………….. Individuenzahlen der Amphibienpopulationen und Analyse der Amphibiengemeinschaften………………………………………………………………………………………... Vorgehen zur Bestimmung der halbquantitativen und quantitativen Lurchvorkommen. Individuenzahlen der Lurchpopulationen und Analyse der -gemeinschaften………….. 4 4 13 13 14 6. Die Bedeutung des geplanten Gewerbegebietes STO 594 „Östlich Erfurter Landstraße“ für die Amphibienvorkommen………………………………………. 16 6.1 6.1.1 6.1.2 6.1.3 6.2 16 16 16 19 6.4 Nutzung der Fläche durch die Amphibienarten insbesondere durch die Kreuzkröte…. Einfluss der Landnutzung auf Amphibien………………………………………………….. Die potenzielle Funktion des Bebauungsgebietes für die Amphibienarten…………….. Einfluss der Landnutzung am Beispiel der Kreuzkröte…………………………………… Gesetzliche Grundlagen zum Schutz der Amphibienarten und die daraus entstehenden Verpflichtungen…………………………………………………………………………... Weitere potenzielle Gefahren für wandernde Amphibien im geplanten Bebauungsgebiet……………………………………………………………………………………………… Kurzes Resümee……………………………………………………………………………… 7. Möglichkeit zur Verringerung der negativen Einflüsse auf die Amphibien…….. 24 7.1 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.2 7.2.1 7.2.2 Standgewässer, Verbundachsen und Grüngestaltung im Gebiet……………………….. Standgewässer………………………………………………………………………………... Grüne Verbundachsen……………………………………………………………………….. Grüngestaltung………………………………………………………………………………... Maßnahmen zum technischen Amphibienschutz im Gebiet……………………………... Treppenabgänge und andere Bauwerke…………………………………………………… Oberflächenentwässerung…………………………………………………………………… 24 24 24 25 26 26 28 8. Besondere Schutzmaßnahmen zur Erhaltung des Kreuzkrötenvorkommens am Schwerborner See……………………………………………………………………………. 30 Literatur………………………………………………………………………………………… 31 5.4 5.5 5.6 5.6.1 5.6.2 6.3 9. 5 7 9 21 22 23 1. Zielstellung Die Stadt Erfurt beabsichtigt zwischen dem südlichen Ortsrand von Erfurt-Stotternheim und der Autobahn der A 71 ein Gewerbegebiet auszuweisen. Das Ziel der vorliegenden Untersuchung besteht darin, die im Umfeld um das geplante Bebauungsgebiet STO 594 „Östlich Erfurter Landstraße“ in vier Gewässern vorkommenden Amphibienarten qualitativ und quantitativ / halbquantitativ zu erfassen und die Auswirkungen der geplanten Bebauung auf die Artvorkommen zu beurteilen, insbesondere im Hinblick der Nutzung des Gebietes des Bebauungsplanes als Winterquartier, als Sommerlebensraum sowie als Wanderkorridor im Sinne des Biotopverbundes. Weiterhin sollen artenschutzrechtliche Aspekte und Hinweise zur amphibienrelevanten Bauweise dargestellt sowie Maßnahmen zur Minderung potentieller negativer Einflüsse vorgeschlagen werden. 2. Naturraum, Geologie und Biotope Das Untersuchungsgebiet liegt im Naturraumtyp „Auen und Niederungen“ und im Naturraum „Gera-Unstrut-Niederung“. Der insgesamt 163 km2 große Naturraum schließt die die Unstrutaue von Herbsleben bis zur Sachsenburger Pforte sowie die breiten Talauen der unteren Gera ab Erfurt, der Gramme nördlich Alperstedt, der Lossa ab Großneuhausen, der Helbe ab Westgreußen und der Wipper ab Kindelbrück ein (HIEKEL, FRITZLAR, NÖLLERT & WESTHUS 2004). Er ist eingebettet in den Naturraum „Innerthüringer Ackerhügelland“. Etwa 90% des Naturraums werden ackerbaulich genutzt. Verantwortlich für die breite Ausbildung der Talniederungen sind die leichte Erodierbarkeit der anstehenden Gesteine des Keupers und die Suberosion der im Untergrund anstehenden auslaugungsfähigen Gesteine (Muschelkalk). Großflächig treten Sande und Kiese der Niederterrassen auf. Die Schotterkörper der Niederungen sind auch heute noch bis zur Oberfläche mit Grundwasser gefüllt, trotz erheblicher Trockenlegung der Auen durch zahlreiche Flussregulierungen, Entwässerungsgräben und den rigorosen Ausbau aller Flüsse und Bäche. Zu den Stand- und Fließgewässern von hoher naturschutzfachlicher Bedeutung gehören auch die zahlreichen Kiesseen, die durch die Ausbeutung umfangreicher Kieslager in den Niederungen in den letzten Jahrzehnten entstanden. 3. Lage des Bebauungsgebietes und der untersuchten Gewässer Zwischen den Trassen der Autobahn A 71 und der Ortschaft Erfurt-Stotternheim im nördlichen Erfurt sollen Flächen des rechtskräftigen Bebauungsplans STO 327 „Erfurter Landstraße“ und bestehende Gewerbeflächen so überplant werden, dass Ansiedlungsflächen für Logistikunternehmen und andere großflächige Gewerbetriebe mit Gebäudelängen von mehr als 250 m Länge zulässig werden. Westlich an den Bebauungsplan STO 594 „Östlich Erfurter Landstraße“ schließt der Geltungsbereich des Bebauungsplanes STO 584 „Westlich Erfurter Landstraße“ an. Die genaue Lage und Grenzen beider Bebauungsgebiete (Nr. 5 = STO 594 „Östlich Erfurter Landstraße“; Nr. 6 = STO 584 „Westlicher Erfurter Landstraße“) sind auf der Karte 1 dargestellt. Auch die Lage der vier zu kartierenden Standgewässer ist der Karte 1 zu entnehmen. In der „Tongrube Stotternheimer Höhe“ (Gewässer Nr. 1), südwestlich Stotternheim, wurden fünf Flachgewässer in einer Streuobstwiese im Rahmen einer Ersatzmaßnahme zum Bauvorhaben BAB A71 vor 3 Jahren angelegt. Am westlichen Ortsrand von Stotternheim liegt ein Gebiet mit mehreren Quellen (Gewässer Nr. 2; „Quellgebiet Stotternheim“), die in nördlicher Richtung durch einen Graben abfließen. Südöstlich an die Ortslage angrenzend schließt ein Kiessee an (Gewässer Nr. 3; „Stotternheimer See“), in dem in den 1980-ziger Jahren der Abbau eingestellt wurde und der heute im Sommerhalbjahr teilweise als Badesee genutzt wird. Auch beim vierten Standgewässer im Südosten, etwa 1,5 km vom Ortsrand Stottern1 heim entfernt, handelt es sich um einen großen Kiessee (Gewässer Nr. 4; „Schwerborner See“), in dem weiterhin Kies gewonnen wird. Karte 1: Lage des Bebauungsplanes „Östlich Erfurter Landstraße“ (5), des Bebauungsplanes „Westlich Erfurter Landstraße“ (6) und der vier Standgewässer im Umfeld des Gebietes (Untersuchungsgewässer 1 = Tongrube Stotternheimer Höhe, 2 = Quellgebiet und Graben westlich Stotternheim, 3 = Stotternheimer Kiessee, 4 = Schwerborner Kiessee; Kartenmaßstab 1:20.000) 4. Untersuchungsmethodik 4.1 Kartiertermine Die Amphibiengemeinschaften der vier Untersuchungsgewässer wurden an 11 Exkursionsterminen mit unterschiedlichen Methoden erfasst (Tab. 1). Tab. 1: Kartiertermine und Erfassungsmethoden Termin 08. April 2009 14. April 2009 24. April 2009 12. Mai 2009 12. Mai 2009 12.-13. Mai 2009 19. Mai 2009 19.-20. Mai 2009 25. Mai 2009 03. Juli 2009 03. Juli 2009 Methode Tagexkursion: keschern, Laichballen/-schnüre zählen, Verhören der rufenden Tiere Nachtexkursion: Verhören der rufenden Tiere Tagexkursion: keschern, Laichballen/-schnüre zählen, Verhören der rufenden Tiere Tagexkursion: keschern, Laichballen/-schnüre zählen, Verhören der rufenden Tiere Nachtexkursion: Verhören der rufenden Tiere, Einsatz eines Unterwasser-Mikrophons zur Erfassung potenzieller Vorkommen der Knoblauchkröte Wassertrichterfallen: Fang der Molche in je 4 Fallen (Tongrube Stotternheimer Höhe; Quellen/Graben Stotternheim) bzw. je 8 Fallen (beide Kiesseen) Tagexkursion: keschern, Erfassung der Kaulquappen / Molchlarven; Verhören Wassertrichterfallen: Fang der Molche in je 4 Fallen (Tongrube Stotternheimer Höhe; Quellen/Graben Stotternheim) bzw. je 8 Fallen (beide Kiesseen) Nachtexkursion: Verhören der rufenden Tiere Tagexkursion: keschern, Erfassung der Kaulquappen / Molchlarven; Verhören Nachtexkursion: Verhören der rufenden Tiere 2 4.2 Erfassung physikalischer und chemischer Gewässerdaten An zwei Untersuchungsterminen (24. April und 12. Mai) wurden pH-Wert, elektrische Leitfähigkeit, Wassertemperatur und Sauerstoffgehalt gemessen, jeweils an der Gewässeroberfläche (bis 5 cm Wassertiefe) an einem besonnten Gewässerabschnitt. Die Messungen dienten der besseren Charakterisierung der Standgewässer. Die Messungen wurden mit folgenden Geräten vorgenommen (Foto 1): 1. Mehrparameter-Messgerät pH/Cond 340i der Fa. WTW (Genauigkeit der pHMessung </= 0,01 pH ±1 Digit und der Temperaturmessung </= 0,1 K ±1 Digit). 2. Einparameter-Messgerät Oxi 315i der Fa. WTW (Genauigkeit bei SauerstoffKonzentrationsmessung [mg/l] ± 0,5% vom Messwert bei Umgebungstemperatur 5 30 °C ±1 Digit. Die elektrische Leitfähigkeit [µS/cm] ist ein integratives Maß, da sie lediglich Aussagen über die Ionen-Konzentration gibt, aber nicht über die Zusammensetzung der Ionen in einem Gewässer. Die Einordnung der Stillgewässer in die verschiedenen Nährstoffstufen wurde in Anlehnung an PARDEY (1993) und SCHLÜPMANN (2003) vorgenommen (Tab. 2). Tab. 2: System der Stillgewässertypen nach Trophiestufen in Anlehnung an PARDEY (1993) und SCHLÜPMANN (2003) Leitfähigkeit pH-Wert I: <100 µS/cm 0: pH < 5,50 = stark sauer = elektrolytarm Gewässertypen I0 = dystroph I1 = oligotroph kalkarm I2 = oligotroph kalkreich II1 / II2 = mesotroph II: 100-199 µS/cm 1: pH = 5,51-8,00 = mittlerer Gehalt = mäßig sauer - schwach alkalisch III: 200-450 µS/cm 2: pH > 8,00 = mäßig - stark alkalisch III1 / III2 = eutroph = mäßig reich IV: > 450 µS/cm IV1 / IV2 = hypertroph = elektrolytreich Foto 1: Equipment (oben; Aufnahme: D. Conrady) Foto 2: Wassertrichterfalle (rechts oben; Aufnahme: D. Conrady) Foto 3: Einsatz der Wassertrichterfalle im Gewässer (rechts unten; Aufnahme: D. Conrady) 3 5. Die Amphibiengemeinschaften der vier Standgewässer 5.1 Überblick Insgesamt wurden in den vier Standgewässern die beiden Schwanzlurche Teich- und Kammmolch sowie die sechs Froschlurche Erdkröte, Kreuzkröte, Wechselkröte, Grasfrosch, Seefrosch und Teichfrosch nachgewiesen. Die Tab. 3 gibt einen Überblick über die nachgewiesenen Amphibienarten pro Standgewässer und eine erste Einschätzung der relativen Populationsgrößen. Tab. 3: In den vier Standgewässern nachgewiesene Amphibienarten Amphibienart/Standgewässer Kammmolch Teichmolch Erdkröte Kreuzkröte Wechselkröte Grasfrosch Teichfrosch Seefrosch Tongrube Quellgebiet Stotternheimer See X X X X X X X X X Schwerborner See X X X X X X X X 5.2 Tongrube Stotternheimer Höhe In einem Hecken und Streuobstbestand auf der Stotternheimer Höhe – umgeben von intensiv genutztem Ackerland – wurden im Jahr 2006 fünf flache Standgewässer als Ersatzmaßnahme zum Bauvorhaben BAB A71 angelegt (ca. 1 km westlich Stotternheim; Höhe 180 m ü. NN; Foto 4). Der Gewässerboden wurde mit verdichtetem Ton wasserundurchlässig gestaltet. Die fünf Flachgewässer führten ausschließlich am 12. Mai 2009 als Folge andauernder Regenfälle kurzfristig Wasser (Foto 5 und 6). An allen anderen Kartierungsterminen waren die Gewässer ausgetrocknet. Dementsprechend konnten keine Amphibienarten nachgewiesen werden (Tab. 4). Tab. 4: Ergebnisse der Amphibienkartierung der Standgewässer in der „Tongrube Stotternheimer Höhe“ Termin Methodik Amphibienart Ergebnisse 08. April 2009 Tagexkursion Kein Nachweis Alle Standgewässer trocken 14. April 2009 Nachtexkursion Kein Nachweis Alle Standgewässer trocken 24. April 2009 Tagexkursion Kein Nachweis Alle Standgewässer trocken 12. Mai 2009 Tagexkursion Kein Nachweis Sehr wenig Wasser nach Dauerregen 12. Mai 2009 Nachtexkursion Kein Nachweis Alle Standgewässer trocken 12. – 13. Mai 2009 Molchfallen Kein Nachweis Alle Standgewässer trocken 19. Mai 2009 Tagexkursion Kein Nachweis Alle Standgewässer trocken 19.-20. Mai 2009 Molchfallen Kein Nachweis Alle Standgewässer trocken 25. Mai 2009 Nachtexkursion Kein Nachweis Alle Standgewässer trocken 03. Juli 2009 Tagexkursion Kein Nachweis Alle Standgewässer trocken 03. Juli 2009 Nachtexkursion Kein Nachweis Alle Standgewässer trocken 4 Foto 4 (oben links): Hecke und Streuobstwiese der „Tongrube Stotternheimer Höhe“ (03. Juli 2009; Aufnahme: D. Conrady) Foto 5 (oben): trockenes, flaches Kleingewässer in der Tongrube (24. April 2009; Aufnahme: D. Conrady) Foto 6 (links): nur nach anhaltenden Regenfällen führten die Flachgewässer kurzfristig Wasser (12. Mai 2009; Aufnahme: D. Conrady) 5.3 Quellgebiet und anschließendes Grabensystem am westlichen Ortsrand von Stotternheim Am südwestlichen Ortsrand von Erfurt-Stotternheim liegt inmitten eines kleine Wäldchens ein Quellgebiet (Höhe 165 m ü. NN; Foto 7), das in einen nördlich anschließenden Graben entwässert (Karte 2). Das ausdauernd Wasser führende Standgewässer – nur im zeitigen Frühjahr fließt das Wasser – ist als weitgehend beschattet, schwach alkalisch und elektrolytreich, folglich als Standgewässertyp „sehr hypertroph“ einzustufen (vgl. Tab. 2 und 5). Ab dem Frühsommer bedecken Matten aus fädigen Grünalgen die Gewässeroberfläche. Die Höhe des Sauerstoffgehalts wird durch das einfließende Regenwasser reguliert und schwankt dementsprechend stark. Die gemessenen Werte reichen aber für die Entwicklung der nachgewiesen Amphibienarten aus. Tab. 5: Daten zum Gewässerchemismus des Quellgebietes am südwestlichen Ortsrand von ErfurtStotternheim Datum 24. April 2009 12. Mai 2009 pH-Wert Wassertemperatur Leitfähigkeit 7,37 10,2° C 2,34 mS/cm 7,54 21,0° C 2,40 mS/cm Sauerstoffgehalt 5,1 mg/l = 47% 10,7 mg/l = 124% An Amphibien wurden eine individuenreichere Grasfrosch- und Erdkröten-Population sowie ein individuenarmes Vorkommen von Teichmolch und Teichfrosch nachgewiesen (Tab. 6). Grasfrosch und Erdkröte leben sowohl im Quellbereich, wie auch im Grabensystem. Zumindest diese beiden Amphibienarten reproduzieren erfolgreich. Da sich der Nachweis des Teichfrosches ausschließlich auf einen Fund Anfang April beschränkt (besonnte Abschnitte des Grabens), ist eine Nutzung des Gewässers überwiegend als Winterquartier naheliegend. Der Teichmolch wurde nur im Quellgebiet gefunden. 5 Karte 2: Lage des Quellgebietes und anschließende Grabensystems am westlichen Ortsrand von Stotternheim (Kartenmaßstab 1 : 10.000) Foto 7: Graben westlich Erfurt-Stotternheim (24. April 2009; Aufnahme: D. Conrady) Foto 8: Algenmatten im Quellgebiet (12. Mai 2009; Aufnahme: D. Conrady) Tab. 6: Ergebnisse der Amphibienkartierung im Quellgebiet und nördlich anschließenden Grabensystem in Erfurt-Stotternheim Termin Methodik Amphibienart Ergebnisse 08. April 2009 Tagexkursion Erdkröte Grasfrosch Teichfrosch 8 adulte Individuen 41 Ballen 4 adulte Individuen 14. April 2009 Nachtexkursion Grasfrosch 5 adulte Individuen 24. April 2009 Tagexkursion Erdkröte Grasfrosch 4 adulte Individuen, 10 Schnüre 50 Kaulquappen 12. Mai 2009 Tagexkursion Grasfrosch 1 adultes Individuum 12. Mai 2009 Nachtexkursion Kein Nachweis 12. – 13. Mai 2009 4 Molchfallen Teichmolch Grasfrosch 2 adulte Individuen Vereinzelte Kaulquappen 6 Termin Methodik Amphibienart 19. Mai 2009 Tagexkursion Kein Nachweis 19.-20. Mai 2009 4 Molchfallen Teichmolch 25. Mai 2009 Nachtexkursion Kein Nachweis 03. Juli 2009 Tagexkursion Kein Nachweis 03. Juli 2009 Nachtexkursion Kein Nachweis Ergebnisse 2 adulte Individuen 5.4 „Stotternheimer See“ Im über 20 ha große „Stotternheimer See“, der südöstlich an die Ortslage Stotternheim angrenzt, wurde bis Mitte der 1980-ziger Jahre Kies abgebaut (Höhe 165 m ü. NN; Foto 9). Heute wird der See vor allem als Angel- und Badegewässer genutzt, sein nordwestliches Viertel als öffentliches Strandbad. Aufgrund des länger zurückliegenden Kiesabbaus sind die Seeufer mittlerweile bewachsen, teilweise von Kräutern und Hochstauden, teilweise von Schilfinseln. Besonders am nordwestlichen Ufer haben sich kleinflächig Weichholzauen entwickeln. Angel- und Badenutzung haben Auswirkungen auf die Amphibien. Aufgrund des Badebetriebs sind ab Frühsommer nur Nachtkartierungen zur Ermittlung der Amphibienarten und ihrer Bestandesgrößen erfolgreich. Der Fischbestand des Sees prägt die Amphibiengemeinschaft. Sie ist arten- und individuenarm. Ihr Vorkommen ist auf die schilfreichen Uferpartien begrenzt, wo die Arten etwas Schutz vor den Fischen finden. In diesen Schilfpartien laichen die Amphibien ab (Foto 10, 11). Das Wasser ist mäßig alkalisch und elektrolytreich, der Standgewässertyp deshalb als „hypertroph“ einzustufen (Tab. 7). Der durchweg besonnte große See enthält sauerstoffreiches Wasser. Aufgrund einer ausgeprägten Wellenbewegung wird dem Wasser immer wieder frischer Sauerstoff zugeführt. Foto 10 (oben links): Überblick über den Stotternheimer See (südwest- und nordwestliches Ufer (24. April 2009; Aufnahme: D. Conrady) Foto 11 (oben): das strukturreichere Nordostufer (12. Mai 2009; Aufnahme: D. Conrady) Foto 12 (links): die Amphibien leben vor allem in den schilfreichen Flachwasserbezirken (24. April 2009; Aufnahme: D. Conrady) 7 Tab. 7: Daten zum Gewässerchemismus des „Stotternheimer Sees“ Datum 24. April 2009 12. Mai 2009 pH-Wert Wassertemperatur Leitfähigkeit 8,24 15,3° C 1.683 µS/cm 8,38 16,1° C 1.695 µS/cm Sauerstoffgehalt 12,4 mg/l = 124% 8,6 mg/l = 90% Karte 3: Die Lage der schilfreichen Flachwassserbereiche im „Stotternheimer See“ als „Zentren der Amphibienaktivität Der Stotternheimer See beherbergt eine artenarme Amphibiengemeinschaft aus einer Schwanzlurch- und vier Froschlurcharten (Tab. 8): 1. Teichmolch: individuenarmes Vorkommen 2. Erdkröte: individuenreicheres Vorkommen; 3. Grasfrosch: individuenarmes Vorkommen; 4. Teichfrosch: individuenreicheres Vorkommen; 5. Seefrosch: mittleres Vorkommen. 8 Die Erdkröte und die beiden Grünfroscharten reproduzieren erfolgreich. Die Amphibiengemeinschaft ist vor allem durch die Präsenz der beiden Grünfroscharten Teich- und Seefrosch zu charakterisieren. Tab. 8: Ergebnisse der Amphibienkartierung im „Stotternheimer See“ Termin Methodik Amphibienart Ergebnisse 08. April 2009 Tagexkursion Erdkröte Grasfrosch Teichfrosch Seefrosch 26 adulte Individuen 4 Ballen 9 adulte Individuen 3 adulte Individuen 14. April 2009 Nachtexkursion Teichfrosch Seefrosch 18 adulte Individuen 7 adulte Individuen 24. April 2009 Tagexkursion Erdkröte Teichfrosch Seefrosch 55 adulte Individuen, 12 Schnüre 36 adulte Individuen 21 adulte Individuen 12. Mai 2009 Tagexkursion Erdkröte Teichfrosch Seefrosch 8 adulte Individuen, viele Kaulquappen 21 adulte Individuen 12 adulte Individuen 12. Mai 2009 Nachtexkursion Teichfrosch Seefrosch 35 adulte Individuen 20 adulte Individuen 12. – 13. Mai 2009 8 Molchfallen Teichmolch Erdkröte 3 Individuen Vereinzelt Kaulquappen 19. Mai 2009 Tagexkursion Teichfrosch Seefrosch 45 adulte Individuen, vereinzelte Kaulquappen 30 adulte Individuen; vereinzelte Kaulquappen 19. – 20. Mai 2009 8 Molchfallen Teichmolch Erdkröte 1 adultes Individuum Viele Kaulquappen 25. Mai 2009 Nachtexkursion Teichfrosch Seefrosch 100 adulte Individuen 45 adulte Individuen 03. Juli 2009 Tagexkursion Keine Nachweise 03. Juli 2009 Nachtexkursion Teichfrosch Seefrosch 1 87 adulte Individuen 37 adulte Individuen 5.5 „Schwerborner See“ Obwohl im Untersuchungsjahr kein Kies im über 30 ha großen „Schwerborner See“ abgebaut wurde, wird der Kiesabbau noch aktiv betrieben und soll in den nächsten Jahren in nordwestlicher Richtung bis an die Bahnlinie ausgedehnt werden. Dementsprechend sind die Uferbereiche noch unbewachsen, nur an wenigen Stellen konnten sich schilfreiche Flachwasserbereiche entwickeln (Karte 4; Foto 13). Neben dem Kiesabbau wird der See noch in geringem Maß als Badesee genutzt. Auch die ersten Fischarten haben sich eingestellt, der See wird aber noch vergleichsweise selten beangelt. Es überwiegen Steilufer. Das Wasser ist mäßig alkalisch und elektrolytreich, der limnologische Standgewässertyp folglich als „hypertroph“ einzustufen (Tab. 9). Tab. 9: Daten zum Gewässerchemismus des „Schwerborner Sees“ Datum 24. April 2009 12. Mai 2009 1 pH-Wert Wassertemperatur Leitfähigkeit 8,37 14,5° C 1.715 µS/cm 8,26 16,6° C 1.693 µS/cm Sauerstoffgehalt 10,3 mg/l = 102% 9,8 mg/l = 100% Hoher Badebetrieb 9 10 13 14 15 16 17 Foto 13 (oben links): Überblick über den „Schwerborner See“ (03. Juli 2009; Aufnahme: D. Conrady) Foto 14 (oben rechts): Vor allem die flachen Seitengewässer werden von Amphibien besiedelt (24. April 2009; Aufnahme: D. Conrady) Foto 15 (Mitte links): Typisches Kreuzkrötengewässer (24. April 2009; Aufnahme: D. Conrady) Foto 16 (Mitte rechts): Laich der Kreuzkröte (12. Mai 2009; Aufnahme: D. Conrady) Foto 17 (Unten links): Teichfrösche beim Sonnen (03. Juli 2009; Aufnahme: D. Conrady) In Tab. 10 sind die Ergebnisse der Amphibienkartierung im „Schwerborner See“ vorgestellt. Die mit acht Spezies artenreiche Lurchgemeinschaft setzt sich aus den Schwanzlurchen Kammmolch und Teichmolch sowie den Froschlurchen Erdkröte, Kreuzkröte, Wechselkröte, Grasfrosch, Teichfrosch und Seefrosch zusammen (vgl. Tab. 3, 10). Meist sind die Artvorkommen als individuenarm einzustufen, nur Kreuzkröte und die beiden Grünfroscharten erreichen höhere Individuenzahlen. Die Amphibien-Gemeinschaft ist durch die Präsenz der 11 Kreuzkröte zu charakterisieren, die als typischer Pionierbesiedler kurzfristig entstandener flacher, vegetationsloser Kleingewässer die Lurchgemeinschaft noch in Nutzung befindlicher Abbaugruben repräsentiert. Erfolgreiche Reproduktion (Funde kurz vor der Metamorphose stehender Kaulquappen/Molchlarven) konnte für die Arten Teichmolch, Erdkröte, Kreuzkröte, Teichfrosch und Seefrosch nachgewiesen werden. Tab. 10: Ergebnisse der Amphibienkartierung im „Schwerborner See“ Termin Methodik Amphibienart Ergebnisse 08. April 2009 Tagexkursion Erdkröte Kreuzkröte Grasfrosch Teichfrosch Seefrosch 18 Individuen 6 Schnüre 6 Ballen 27 Individuen 6 Individuen 14. April 2009 Nachtexkursion Erdkröte Kreuzkröte Teichfrosch 1 Individuum 47 adulte, 2 subadulte Individuen 2 adulte, 1 subadultes Individuen 24. April 2009 Tagexkursion Erdkröte Kreuzkröte Grasfrosch Teichfrosch Seefrosch 8 Schnüre 29 Schnüre; viele Kaulquappen, 12 subadulte Individuen Vereinzelte Kaulquappen 14 adulte Individuen 8 adulte Individuen 12. Mai 2009 Tagexkursion Erdkröte Kreuzkröte Grasfrosch Teichfrosch Seefrosch Vereinzelte Kaulquappen 3 Schnüre, viele Kaulquappen Vereinzelte Kaulquappen 32 adulte, 40 subadulte Individuen 28 adulte Individuen 12. Mai 2009 Nachtexkursion Kreuzkröte Wechselkröte Teichfrosch Seefrosch 50 adulte Individuen 3 adulte Individuen 55 adulte Individuen 35 adulte Individuen 12. – 13. Mai 2009 8 Molchfallen Teichmolch Erdkröte Kreuzkröte Grasfrosch 6 Individuen Vereinzelte Kaulquappen 15 Schnüre, viele Kaulquappen Vereinzelte Kaulquappen 19. Mai 2009 Tagexkursion Teichfrosch Seefrosch 60 adulte Individuen, vereinzelte Kaulquappen 30 adulte Individuen 19. – 20. Mai 2009 8 Molchfallen Kammmolch Teichmolch Erdkröte Kreuzkröte 2 adulte Individuen 7 adulte Individuen Vereinzelt Kaulquappen Viele Kaulquappen 25. Mai 2009 Nachtexkursion Kreuzkröte Teichfrosch Seefrosch 3 juvenile, 4 subadulte, 18 adulte Individuen 80 adulte Individuen 35 adulte Individuen 03. Juli 2009 Tagexkursion Teichmolch Kreuzkröte Teichfrosch Seefrosch Grünfrösche 2 Larven Viele große Kaulquappen 56 adulte und subadulte Individuen 24 adulte Individuen 2 Viele Kaulquappen 03. Juli 2009 Nachtexkursion Teichfrosch Seefrosch 82 Individuen 21 adulte Individuen 2 Grünfrosch-Kaulquappen lassen sich nicht auf die Art bestimmen 12 5.6 Individuenzahlen der Amphibienpopulationen und Analyse der Amphibiengemeinschaften 5.6.1 Vorgehen zur Bestimmung der halbquantitativen und quantitativen Lurchvorkommen Teichmolch (Triturus vulgaris) und Kammmolch (Triturus cristatus) Halbquantitativ lassen sich die Molcharten durch Keschern, Nachtzählung (unter bestimmten Voraussetzungen) und den Einsatz von Wassertrichterfallen bestimmen (COOKE & ARNOLD 2003, GRIFFITHS 1985, JAHN & JAHN 1997, MINTEN & FARTMANN 2001, SINSCH et al 2003 a, b, c, THIESMEIER & KUPFER 2000). In der vorliegenden Untersuchung wurden sie in Wassertrichterfallen in zwei Nachterminen gefangen. Diese Methode erlaubt eine halbquantitative Einschätzung, die entsprechend den im Thüringer Arten-Erfassungsprogramm üblichen Maßeinheiten 1 Individuum, 2-10, 11-100, 101-1000 und > 1000 Individuen eingestuft wurde. Erdkröte (Bufo bufo) Die quantitative Anzahl der Erdkrötenindividuen ist exakt nur durch sehr aufwendige Methoden zu bestimmen (mindestens 1 Fangzaun pro Gewässer und Fang-Wiederfang-Methode; vgl. JAHN & JAHN 1997, LANDEMANN & BÖHM 2001, SCHÄFER & KNEITZ 1993, UTSCHICK 2001). Für die vorliegende Untersuchung wurde mit der Sichtzählung der Individuen eine einfache Methode angewendet, die allerdings mit einem Fehler behaftet ist. Nach dem Methodenvergleich von JAHN & JAHN (1997) sind nur zwischen 7,3 und 8,4 % der zum Zählzeitpunkt im gesamten Gewässer vorhandenen Population durch eine Sichtzählung zu bestimmen. Dieser Anteil scheint aber konstant zu sein, so dass in der vorliegenden Untersuchung von 8,0 % ausgegangen wird. Kreuzkröte (Bufo calamita) Die Individuenzahl der Kreuzkrötenpopulation wird anhand der Anzahl rufender Männchen und der Anzahl bei Nachtexkursionen gezielt gesuchter (Rufaktivität) und gefundener Individuen ausgewertet. Dieses herpetologisch übliche Vorgehen erlaubt allerdings keinen Rückschluss auf die konkrete Größe der Population, da die Laichplätze nur von den ovulationsbereiten Weibchen aufgesucht werden. Die reale Gesamtzahl der Weibchen innerhalb einer Population ist mit dieser Methode kaum zu ermitteln (GÜNTHER & MEYER 1996). Nach SINSCH (2009) ist das Geschlechterverhältnis in den meisten Populationen weitgehend ausgeglichen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Anzahl der abgelegten Laichschnüre mit dem Faktor 2,5 zu multiplizieren, um die Gesamtzahl der adulten Individuen zu ermitteln (DENTON & BEEBEE 1993). Dieser Faktor entspricht einen Geschlechterverhältnis von 1 Männchen : 1,5 Weibchen, das durch neuere Untersuchungen bestätigt wird. In der vorliegenden Untersuchung werden beide Methoden angewendet. Wechselkröte (Bufo viridis) Auch die Individuenzahl der Wechselkröte wird üblicherweise in der Anzahl rufender Männchen angegeben (GÜNTHER & PODLOUCKY 1996). Es wurden nur wenige Untersuchungen zum Geschlechterverhältnis von Wechselkröte-Populationen sowie zur Relation „Anzahl der rufenden Männchen zu Individuenzahl der Population“ durchgeführt. STÖCK et al. (2009) zeigen in einer Übersicht sehr unterschiedliche Ergebnisse für das Geschlechterverhältnis in verschiedenen Untersuchungen, gehen aber davon aus, dass das Verhältnis meist ausgeglichen ist. NEHRING (1988) ermittelte, dass zwischen 35,7% und 47,6% (Mittelwert 40,6%) der Männchen einer Population pro Nacht am Laichgewässer anwesend sind. In der vorliegenden Untersuchung wird sowohl die Anzahl rufender Männchen als Maßeinheit für die Größe 13 der Population ausgewertet, als auch auf der Basis der mittleren Anzahl aktiver Männchen bei einem Geschlechterverhältnis von 1:1 Rückschlüsse auf die Individuenzahl gezogen. Grasfrosch (Rana temporaria) Für die quantitative Erfassung der Grasfroschindividuen wurden die Laichballen in den Monaten April und Mai gezählt. Diese Methode gilt als allgemein anerkannt, wenn die Anzahl der Laichballen mit 1,5-2 multipliziert wird (z. B. JAHN & JAHN 1997, LANDEMANN & BÖHM 2001, REH 1991, SCHÄFER & KNEITZ 1993, UTSCHICK 2001). Da aber in vielen Grasfroschvorkommen die Männchen überwiegen (z. B. SCHÄFER & KNEITZ 1993; Geschlechterverhältnis 1,5 Männchen : 1 Weibchen), wurde in der vorliegenden Untersuchung die Anzahl der Laichballen mit 2,5 multipliziert, um die Individuenzahl der Grasfroschpopulation zu bestimmen. Seefrosch (Rana ridibunda) und Teichfrosch (Rana kl. esculenta) Die Individuenzahlen des See- und Teichfrosches wurden an Hand der Anzahl rufender Tiere ermittelt. Durch die Anzahl rufender Männchen ist allerdings kein exakter Rückschluss auf die Individuenzahl der Population möglich, da das Geschlechterverhältnis zwischen verschiedenen Populationen sehr unterschiedlich ausfällt (GÜNTHER 1996 a, GÜNTHER 1996 b). Vielmehr gibt die Anzahl rufender Tiere Größenordnungen an. In den vier untersuchten Standgewässern kommen Grünfrösche in nennenswerter Größenordnung nur – abgesehen von sehr wenigen Individuen im Quellgebiet Stotternheim – an den beiden Kiesseen vor. Es ist davon auszugehen, dass sich aufgrund der benachbarten Lage der Kiesseen die Geschlechterverhältnisse kaum unterscheiden. Reproduktionsnachweis der Arten Bei allen Amphibienarten wurden als Reproduktionsnachweise Kaulquappen und Molchlarven bestimmt. Als erfolgreiche Reproduktion wurde der Nachweis weit entwickelter Kaulquappen bzw. Molchlarven (Kaulquappen mit Beinen, große Molchlarven), die kurz vor der Metamorphose standen, gewertet. 5.6.2 Individuenzahlen der Lurchpopulationen und Analyse der -gemeinschaften Entsprechend dieser Vorgabe (Kap. 5.6.1) ergeben sich die Tab. 11 vorgestellten Individuenzahlen. Im Quellgebiet und anschließenden Grabensystem am westlichen Ortsrand von Stotternheim erreichen Erdkröte und Grasfrosch individuenreiche Vorkommen, Teichmolch und Teichfrosch hingegen sind selten. Mit den beiden die Gemeinschaft prägenden weit verbreiteten Froschlurchen Erdkröte und Grasfrosch dominieren Arten, die als ohne Bindung an einen besonderen Lebensraum und von großer Anpassungsbreite (Ubiquisten) eingestuft werden. Das individuenreiche Auftreten des Grasfrosches weist weiterhin darauf hin, dass die Standgewässer weitgehend fischfrei sind. Im „Stotternheimer See“ dominiert vor allem die Erdkröte, gefolgt von den beiden Grünfroscharten. Teichmolch und Grasfrosch sind selten. Die Häufigkeit der Erdkröte ist vor allem auf den Einfluss der Fische zurückzuführen. Die Kaulquappen der Erdkröte werden kaum von Fischen gefressen, im Gegensatz zu den anderen Kaulquappen/Molchlarven. Fischreiche Standgewässer sind deshalb durch individuenreiche Erdkrötenvorkommen charakterisiert. Darauf weist auch das Fehlen der Wechselkröte hin. Die beiden Grünfroscharten können sich in höherer Individuenzahl wahrscheinlich vor allem aufgrund der ausgeprägten Schilfbereiche halten. 14 Tab. 11: Individuenzahlen der Amphibienarten in den vier Standgewässern (1 bis 10 Individuen = individuenarmes Vorkommen; 11 bis 100 Individuen = mittelgroßes Vorkommen; > 100 Individuen = individuenreiches Vorkommen) Amphibienart Kammmolch Teichmolch Erdkröte Kreuzkröte Tongrube Quellgebiet „Stotternheimer See“ 2-10 Individuen 125 Individuen 2-10 Individuen 690 Individuen 102 Individuen 4 Individuen 10 Individuen 100 rufende ♂♂ 45 rufende ♂♂ Wechselkröte Grasfrosch Teichfrosch Seefrosch „Schwerborner See“ 2-10 Individuen 2-10 Individuen 225 Individuen 50 rufende ♂♂ (Auswertung rufende ♂♂) / 125 Individuen (Auswertung Laichschnüre) 3 rufende ♂♂ (Auswertung rufender ♂♂) / ca. 15 Individuen (Auswertung prozentuale Anwesenheit und Geschlechterverhältnis) 15 Individuen 82 rufende ♂♂ 35 rufende ♂♂ Im „Schwerborner See“ fällt zuerst die hohe Artenzahl auf, die aber vor allem auf die Gegenwart unterschiedlich großer und tiefer Standgewässer zurückzuführen ist. Neben dem zentralen, großen und tiefen Kiessee sind am westlichen Rand der Abbaugrube mehrere flache Kleingewässer ausgebildet (vgl. Karte 4). Im Kiessee wurden Erdkröte, Wechselkröte, Teich- und Seefrosch nachgewiesen. Die Vorkommen der beiden Molcharten, der Kreuzkröte und des Grasfrosches sind auf diese Kleingewässer beschränkt. Die Gegenwart der Kreuzkröte und die Häufigkeitsklassen der unterschiedlichen Arten kennzeichnen das Gebiet als noch im Abbau befindliche Kiesgrube. Im Vergleich zum „Stotternheimer See“ geringe Anzahl an Erdkröten, an Teich- und Seefröschen, individuenarme Teichmolch-, Kammmolch- und Grasfroschvorkommen sowie das individuenreiche Vorkommen der Kreuzkröte – die Amphibiengemeinschaft ist als Pioniergesellschaft einzustufen, die erst vor Kurzem geschaffene Lebensräume im ersten Stadium der Sukzession (weitgehend vegetationslose Land- und Gewässerlebensräume) besiedelt. Das Vorkommen von Erdkröte, Grasfrosch, Teich- und Kammmolch zeigt zusätzlich die in Teilbereichen der Standgewässer begonnene Entwicklung der Pflanzengesellschaften an. Die Erdkröte wurde ausschließlich in den Schilfbereichen des Kiessees und im länglich ausgeprägten, pflanzenreicheren, vom Kiessee isolierten Flachgewässer an der südwestlichen Abbaugrubenseite nachgewiesen. Auf diese Flachgewässer beschränkt sich auch das Vorkommen von Grasfrosch, Teich- und Kammmolch. Die vergleichsweise hohe Artenzahl an Amphibien im „Schwerborner See“ ist folglich auch ein Resultat der Unterschiedlichkeit der Standgewässer im Grubenbereich. 15 6. Die Bedeutung des geplanten Gewerbegebietes STO 594 „Östlich Erfurter Landstraße“ für die Amphibienvorkommen 6.1 Nutzung der Fläche durch die Amphibienarten insbesondere durch die Kreuzkröte Es war keine Fragestellung der Untersuchung, die Nutzung der zur Überbauung vorgesehenen Fläche durch die Amphibien direkt zu ermitteln, vielmehr sollten auf Basis der nachgewiesenen Arten und ihrer Biologie Rückschlüsse auf die Funktion der Flächen für die Arten gezogen werden und Maßnahmen zur Verringerung negativer Einflüsse vorgestellt werden. 6.1.1 Einfluss der Landnutzung auf Amphibien Während die Herpetologie früher davon ausging, dass ausschließlich der Zustand des Laichgewässers, der Lebensraum in unmittelbarer Nachbarschaft zum Gewässer und natürliche Populationsschwankungen Zunahme oder Abnahme der Individuenzahl einer Lurchart verursachten, belegen neuere Untersuchungen, dass die Landnutzung noch in einem Radius von 3 Kilometer Entfernung vom Laichgewässer einen Einfluss auf die Entwicklung der Populationen ausüben kann (SCHMIDT 2009). Beispielsweise beeinflussen Straßen noch in 680 m Entfernung, Siedlungen bis 525 m und Wald bis zu einer Entfernung von 550 m vom Laichgewässer Grasfrosch-Vorkommen. Bei der über vergleichsweise weite Distanzen wandernden Erdkröte haben Siedlungen noch in 1.550 m, Wald in 1.800 m und Straßen noch in 1.920 m Entfernung zum Laichgewässer Auswirkungen auf die Populationen. Gerade juvenile Tiere, die im terrestrischen Umfeld der Gewässer bis zur Geschlechtsreife heranwachsen, reagieren deutlich auf die Landnutzung. So können heute Populationsschwankungen beispielsweise des Grasfrosches, der Erdkröte und der Grünfroscharten erheblich besser erklärt werden, indem nicht nur die Veränderungen im Gewässer, sondern vielmehr im Gewässer verbunden mit der umgebenden Landschaft bis über mehrere Kilometer berücksichtigt werden. Im seltensten Fall wird durch die Art der fernen Landnutzung das Gewässer beeinflusst. Zwar ist die Windverfrachtung von Pestiziden über weite Entfernungen – und damit verbunden der Eintrag ins Gewässer – bekannt, entscheidender aber ist der Einfluss der Landnutzung auf die Landlebensräume der Amphibien bis hin zur Nutzung der Lebensräume, die auf der alljährlichen Wanderung zwischen Überwinterungsquartier, Sommerlebensraum und Laichgewässer oder auf der Suche nach neuen Laichgewässern bzw. Landlebensräumen, die besonders von Jungtieren durchgeführt wird, durchquert werden. 6.1.2 Die potenzielle Funktion des Bebauungsgebietes für die Amphibienarten Das geplante etwa 38 ha große Bebauungsgebiet wird im Norden durch die Ortslage Stotternheim, im Osten durch eine Bahnlinie, im Süden durch die neue Bundsautobahn A71 und im Westen durch die relativ vielbefahrene Landstrasse L1051 (Erfurter Strasse) eingegrenzt (vgl. Karte 1). Das Gebiet liegt zwischen den beiden großen Kiesseen und den Ackerflächen östlich bzw. südöstlich von Stotternheim sowie den Äckern und Wiesen westlich bzw. südwestlich von Stotternheim. Der Südteil des Bebauungsgebietes wird heute schon durch eine Gewerbeansiedlung genutzt, die direkt an die Autobahntrasse anschließt. Der überwiegende Teil aber besteht noch aus intensiv landwirtschaftlich genutzten Flächen (Äcker). Das geplante Gewerbegebiet liegt 300 m von Schwerborner See, 700 m vom Stotternheimer See und rund 1 Kilometer vom Quellgebiet am westlichen Ortsrand von Erfurt-Stotternheim entfernt (Karte 5). 16 Da sich keine Laichgewässer im geplanten Bebauungsgebiet befinden, ist die potenzielle Funktion des Gebietes für die nachgewiesenen Amphibienarten vor allem in einer Nutzung als Sommerlebensraum, als Überwinterungsquartier und als Wanderkorridor zu diesen Teillebensräumen bzw. für eine Vernetzung der Populationen mit anderen Vorkommen der Arten im westlich anschließenden Gebiet und für eine Ausbreitung der Arten von Bedeutung. Karte 5: Lage des Bebauungsgebietes STO 594 „Östlich Erfurter Landstrasse“ in Relation zu den drei Standgewässern und zum benachbarten Bebauungsgebiet „Westlich Erfurter Landstrasse“ (Kartenmaßstab 1:75.000) Da die Populationen der beiden vorkommenden Schwanzlurcharten Teichmolch und Kammmolch vergleichsweise individuenarm sind, wird der Schwerpunkt der anschließenden Ausführungen über die potenzielle Funktion der Flächen des geplanten Gewerbegebietes auf die nachgewiesenen Froschlurcharten gelegt. In der Tab. 12 sind die Lebensraumansprüche der vagileren Froschlurcharten an diese Quartiere dargestellt. Weiterhin aufgeführt sind Angaben zu Wanderdistanzen, Wanderfreudigkeit der Arten sowie zu unterschiedlichen Wanderdistanzen bei jungen und erwachsenen Tieren. Die Informationen wurden aus einer Reihe an Veröffentlichungen zusammengetragen. 2 2 GÜNTHER (1996a, b); GÜNTHER & GEIGER (1996); GÜNTHER & MEYER (1996); GÜNTHER & PODLOUCKY (1996); JEHLE & SINSCH (2007); SCHLÜPMANN & GÜNTHER (1996); SINSCH, HÖFER & KELTSCH (1999); SINSCH (1992a, b, 1994); SINSCH (2009); STEVENS et al. (2004); STEVENS et al (2006a, b); STEVENS & BAGUETTE (2008); STÖCK et al. (2009), TOCKNER et al. (2006) 17 Tab. 12: Sommerhabitat, Winterquartier und Daten zur Wanderung der nachgewiesenen Froschlurcharten Froschlurchart Erdkröte Kreuzkröte Wechselkröte Grasfrosch Teichfrosch Seefrosch Sommerquartier Winterquartier Daten zur Wanderung Überwiegend im Wald, aber auch in offenen Lebensräumen (Wiesen, Gärten, Park, Hecken, Gebüsche, Abbaugruben); Felder nur sehr selten Unter Laubstreu, in (Mäuse-) Löchern im Boden, graben sich selbst im Boden ein, aber überwiegend im Wald Besiedelt vorwiegend Sekundärhabitate (durch menschliche Nutzung entstanden) z. B. Abbaugruben, Halden, Steinbrüche; typischer Bewohner von vegetationsarmen bis vegetationsfreien Trockenstandorten (Pionierstandorte); meist im nahen Umfeld um Laichgewässer Offene, sonnenexponierte, Trockenwarme Lebensräume mit grabfähigem Boden (z. B. Ruderalflächen, Brachland, Felder, Abbaugruben, Flussauen, Bahndämme) Weitverbreitet in offenen Landschaften und Wäldern; präferiert wechselvolle Landschaften; Grünländer, Säume, Gebüsche, Wälder, Park, Acker usw. Meist in der offenen Landschaft, in selbst gegrabenen Gängen bis 180 cm Bodentiefe; in tiefen Gängen in sandigen, sonnenexponierten Böschungen; häufig identisch mit Sommerquartieren Wandert häufig Distanzen von 3 bis 4 km (Adulte); über mehrere Kilometer zwischen Überwinterungsquartier - Laichplatz – Sommerquartier ♂♂ stark an das Umfeld ihrer Laichgewässer gebunden; ♀♀ wandern erheblich weiter; die Wanderdistanzen können maximal 3-5 km betragen (Adulte) bzw. 600 m (Juvenile); Aktionsradius ♂♂ meist 600 m, ♀♀ meist unter 2 km Wandern nur selten in/durch Wälder; Wanderdistanzen 620 m bis 1,8 km; Wanderungen über sehr weite Distanzen (bis 10 km) Leben meist nahe Gewässer; aber auch auf Sumpfwiesen, Flachmoore, Wiesen, Weiden, Laub-, Mischwald, Gräben, Abbaugruben Meist am Gewässer in dichten Pflanzenbeständen Größtenteils stehende und fließende Gewässer, aber auch in Gangsystemen und Höhlen an Land Überwintert in Landlebensräumen; Spalten, Risse, Steinbrüche, Abraumhalden, Abbaugruben, Bohrlöcher; gräbt selbst Gänge ins Bodensubstrat in offenen, vegetationslosen Flächen Teilweise im Gewässer (meist Fließgewässer), teilweise an land (Gangsysteme und Höhlen) Überwiegend im Gewässer, vereinzelt aber auch an Land in Spalten und Höhlen im Uferbereich Sommerquartier bis 2 km entfernt von Winterquartier; Wanderungen von über 10 km pro Jahr normal; Distanzen Jungtiere 1,8 km; Ausbreitung in Agrarlandschaft maximal bis 3.800 m Wandern weite Strecken über Land (Adulte bis 15 km, Jungtiere bis 1,8 km); Landhabitat in 2 km vom nächsten Gewässer Nur selten weitere Landwanderungen durch erwachsene Tiere; Ausbreitung in Flussauen; Wanderdistanzen Adulte bis 3,5 km Sommerquartier Die nachgewiesenen Froschlurche sind deutlich in drei Gruppen mit verschiedenen Strategien zu unterscheiden. Die Sommerquartiere von Kreuzkröte, Wechselkröte und Seefrosch liegen meist in unmittelbarer Nähe oder direkt am Laichgewässer, vereinzelt können sie aber auch 3 bis 5 km entfernt sein. Das Sommerhabitat der Erdkröte dagegen liegt meist weit vom Laichgewässer entfernt. Gras- und Teichfrosch nehmen eine intermediäre Stellung ein. Bei Kreuzkröte, Wechselkröte und Grasfrosch ist der Lebensraumtyp „Acker“ von Bedeutung. 18 Momentan stellt der Acker hohe Flächenanteile am geplanten Bebauungsgebiet, d. h. das Gebiet kann eine Bedeutung als Sommerlebensraum für Kreuz-, Wechselkröte und Grasfrosch besitzen. Winterquartier Auch bei der Nutzung unterschiedlicher Winterquartiere lassen sich 3 verschiedene Gruppen erkennen. Gras-, Teich- und Seefrosch überwintern größtenteils in Gewässern oder im unmittelbaren Uferbereich. Der Grasfrosch überwintert allerdings häufig nicht in Stand- sondern vielmehr in Fließgewässern. Winter- und Sommerquartiere von Kreuz- und Wechselkröte sind häufig identisch und liegen beide in direkter Nähe der Laichgewässer. Nur die Erdkröte legt weite Distanzen zwischen Sommer- und Winterquartier zurück. Allerdings liegt ihr Winterquartier häufig in Wäldern. Für die Winterquartiere der Arten besitzt die überwiegend ackerbaulich genutzte Fläche des zukünftigen Bebauungsgebietes eine eher geringe Bedeutung. Wanderungen Bei den Wanderdistanzen und der unterschiedlichen Wanderfreudigkeit der Arten entwirft sich ein deutlich uneinheitlicheres Bild. Dies hängt nicht nur mit Unterschieden zwischen den Arten zusammen, sondern zusätzlich mit dem differenzierten Verhalten zwischen den Geschlechtern (z. B. Kreuzkröte) sowie dem zwischen Jungtieren und erwachsenen (also geschlechtsreifen) Tieren innerhalb einer Art. Von besonderer Bedeutung dabei ist die Ausbreitung der Jungtiere, denn ihnen kommt eine Schlüsselstellung in der Vernetzung der Teilpopulationen (genetischer Austausch) sowie in der Suche und Gründung neuer Teilpopulationen zu. In Jahren mit gutem Reproduktionserfolg (viele Kaulquappen schließen die Metamorphose erfolgreich ab) verlässt ein großer Teil des Nachwuchses die angestammten Quartiere, in Jahren mit niedrigem Reproduktionserfolg wandert ein geringer Teil der Jungtiere ab. Dieser Zusammenhang wird im anschließenden Teilkapitel am Beispiel der Kreuzkröte verdeutlicht. Amphibienarten, in denen auch die erwachsenen Tiere in der Regel lange Wanderdistanzen (bis zu 10 km) zurücklegen, sind Erdkröte, Wechselkröte, Grasfrosch und Teichfrosch. Kürzere Wanderdistanzen (bis 5 km) legen die weiblichen Kreuzkröten zurück. Um eine Vorstellung von den Entfernungen zu bekommen, die die Tiere dabei zurücklegen, wurde in Karte 6 um die Lage des Kreuzkröten-Vorkommens im „Schwerborner See“ Radien mit 1 bis 6 km Entfernung gelegt. Wenig wanderfreudige Arten sind die männlichen Kreuzkröten und offensichtlich die erwachsenen Seefrösche. Aber vor allem bei die Kurz- und Mittelstreckenwanderern legen die Jungtiere deutlich weitere Distanzen zurück. Für die westliche Ausbreitung der Populationen der vorkommen Amphibienarten spielt die Lage des geplanten Bebauungsgebietes eine sehr wichtige Rolle, denn das Gebiet grenz im Norden unmittelbar an die Ortslage von Stotternheim und im Süden an die Trassen der A71 an (Karte 5). Mit dieser Lage könnte das Bebauungsgebiet die Ausbreitung der Arten nach Westen unterbinden. Ähnliches könnte für das westlich anschließende Bebauungsgebiet STO 584 „Westlich Erfurter Landstrasse“ gelten. Dieser Frage wird im anschließenden Teilkapitel am Beispiel der Kreuzkröte nachgegangen. 6.1.3 Einfluss der Landnutzung am Beispiel der Kreuzkröte Die Kreuzkröte ist eine Pionierart, d. h. sie besiedelt Lebensräume in einem sehr frühen Stadium der Vegetationsentwicklung. Unter natürlichen Bedingungen entstanden früher vegetationsarme bis -freie Lebensräume als eine Folge der jährlichen Hochwässer in den Flussauen. Entsprechende Lebensbedingungen findet die Kreuzkröte heute in unserer Kulturlandschaft in den Abbaugruben. Die Kröte laicht in sonnenexponierten, vegetationslosen, kleinen, im Durchschnitt 10 cm tiefen Flachgewässern. Oft sind es nur Regenwasserpfützen, in die die Kröte schon eine Nacht nach den Regenfällen ihre Laichschnüre ablegt. 19 Karte 6: Radien mit einer Entfernung von 1 bis 6 km um den Mittelpunkt des KreuzkrötenVorkommens am „Schwerborner See“ (Kartenmaßstab 1:100.000) Begünstigt durch die hohe Wassertemperatur entwickelt sich der Laich bis zur Jungkröte in einem Zeitraum zwischen 17 und 100 Tagen (bei 14-15° C Wassertemperatur in 98 Tagen, bei 31-32° C in 12-14 Tagen). In den sonnenexponierten Flachgewässern erreicht die Wassertemperatur hohe Werte. Während am 24. April 2009 die Wassertemperatur im „Schwerborner See“ bei 14,5° C lag, betrug sie in den Kreuzkröten-Flachgewässern 24,8° C. Aber diese warmen Standgewässer trocknen auch sehr schnell aus. Deshalb ist die Entwicklung der Kaulquappen ein ständiger Wettlauf mit dem Austrocknen ihres Lebensraumes. Die Folge sind sehr hohe Verluste im Zeitraum der Kaulquappenentwicklung. In den Flachgewässern am „Schwerborner See“ konnten sich im Jahr 2009 nur maximal 50% der abgelegten Eischnüre zu Jungkröten entwickeln. Und das ist für die Kreuzkröte schon ein hoher Wert, der auf den niederschlagsreichen Spätfrühling und Frühsommer im Jahr 2009 zurückzuführen ist. Führt das Laichgewässer ausdauernd Wasser, entwickeln sich spätestens im dritten Jahr Gewässervegetation. Diese Gewässer werden dann nicht mehr von der Kreuzkröte genutzt. Diese, aus unserer menschlichen Sicht, extremen Lebensbedingungen, die die Kreuzkröte braucht, bedingen einen ständigen Wechsel des Lebensortes. Die Kröte ist folglich ständig auf der Suche nach geeigneten Lebensräumen. Dies ist eine Aufgabe, die besonders die Jungkröten zu erfüllen haben. Dabei werden die neuen Teilpopulationen in einem relativ en- 20 gen räumlichen Abstand zur Ursprungspopulation gegründet. Die Metapopulation 3 braucht die enge Verzahnung der Teilpopulationen, denn aufgrund der „Kurzlebigkeit“ des Lebensraumes (Laichgewässers) fallen immer wieder Teilpopulationen aus und das Aussterberisiko der Metapopulation ist hoch. SINSCH (2009) schreibt dazu: „geschlossene, räumlich abgrenzbare Populationen ohne Zuund Abwanderung sind bei Kreuzkröten die Ausnahme. Im kontinentalen Verbreitungsgebiet der Art ist die Entfernung zwischen benachbarten Populationen meist geringer als der Aktionsradius (♂♂ meist 600 m, ♀♀ meist unter 2 km) der meisten Individuen und es kommt zu einem signifikanten Individuenaustausch und damit Genfluss zwischen den Populationen. Untersuchungen weisen auf einen signifikanten Genfluss über Strecken von 20-25 km hin. In vielen Bereichen des Verbreitungsgebiets kann die räumliche Organisation von Kreuzkröten als „Rescue-effect“ Metapopulation beschrieben werden“, d. h. die räumlich enge Aneinanderreihung von Teilpopulationen ist für die Erhaltung der Metapopulation der Kreuzkröte zwingend notwendig. Die Gründe dafür liegen in der Biologie der Art, die oben beschrieben wurde. Die Kreuzkröte ist aufgrund ihrer Lebensraumansprüche und – vor allem – aufgrund unserer Form der Landnutzung einem deutlich erhöhten Aussterberisiko ausgesetzt. Aus diesem Grund bildet jedes schwer überwindbare Hindernis für die Kreuzkröte eine weitere Gefährdungsursache, die zum Auslöschen von Teilpopulationen und damit zum Niedergang der gesamten Metapopulation führen kann. Stellt das geplante Bebauungsgebiet ein entsprechendes Hindernis dar? Zur Beantwortung dieser Frage können die Ergebnisse neuer Untersuchungen herangezogen werden, in denen der Einfluss unterschiedlicher Landnutzungen auf das Wander- und Ausbreitungsverhalten von Kreuzkröten untersucht wurde. Die Struktur und Zusammensetzung der Landschaft bestimmt die Effektivität der Wanderung mit dem Ziel der Besiedlung neuer Lebensräume und der besseren Vernetzung bestehenden Teilpopulationen (STEVENS et al. 2004, 2006a, b; STEVENS & BAGUETTE 2008). Anhand eines wissenschaftlichen Modells ermittelten die Autoren, dass junge Kreuzkröten erheblich schneller auf unbewachsenen Sandböden und auf Straßen, mittelschnell auf Acker und Wiese und sehr langsam im Wald vorankommen. Die Überprüfung dieses Modells im Freiland anhand besenderter Jungkröten ergab, dass die Richtung der Abwanderung aus der Ursprungspopulation erheblich durch die Landschaftsstruktur, genauer durch die Struktur auf der Bodenoberfläche, beeinflusst wird. So bevorzugen Jungkröten deutlich bodenvegetationsarme Sandböden und Straßen für ihre Wanderung. An zweiter Stelle wurden Wälder als Wanderkorridore gesucht. Äcker und Wiesen dagegen wurden gemieden, wahrscheinlich aufgrund des hohen Raumwiderstandes für das kleine Tier. Diese Ergebnisse zeigen, dass die Durchwanderung der asphaltierten Flächen, die im neuen Gewerbegebiet entstehen, für die Kreuzkröte höchstwahrscheinlich attraktiver sein wird, als die augenblicklich als Äcker genutzten Flächen. So differenzierte Untersuchungen und Ergebnisse wie für die Kreuzkröte liegen scheinbar für keine andere Amphibienart vor. Diese Veränderung in der Landnutzung, die durch eine Umwandlung von Ackerflächen in ein Gewerbegebiet umgesetzt wird, hat Folgen für die Anlegung von Grünstrukturen sowie für Maßnahmen zum technischen Amphibienschutz. Denn besonders in Verbindung mit Straßen, asphaltierten Plätzen, Siedlungen und anderen überbauten Gebieten tauchen viele neue Gefahren für die Kreuzkröten auf, so dass sich die Bevorzugung dieser Gebiete als Wanderkorridore oftmals als Falle auswirkt und dementsprechend zum Auslöschen der Populationen beiträgt (vgl. hierzu Kap. 6.3 und Kap. 7). 6.2 Gesetzliche Grundlagen zum Schutz der Amphibienarten und die daraus entstehenden Verpflichtungen Die gesetzlichen Grundlagen für einen Schutz der nachgewiesenen Amphibienarten ergeben sich aus den Roten Listen der Bundesrepublik Deutschland und des Freistaates Thüringen, 3 Unter einer „Metapopulation“ wird die Summe durch den Austausch von Individuen miteinander vernetzter Teilpopulationen verstanden 21 aus der Bundesartenschutzverordnung und der verschiedenen Anhänge der FFH-Richtlinie (Anhang II und IV). In der Tab. 12 sind die Ergebnisse vorgestellt. Tab. 12: Gefährdungs- und Schutzstatus der nachgewiesenen Amphibienarten (RL D = Rote Liste Deutschland 4 ; RL Th = Rote Liste Thüringen 5 ; BArtSchV = Bundesartenschutzverordnung; FFH = Anhang in der FFH-Richtlinie (SSYMANK et al. 1998); V = Vorwarnliste; 3 = Gefährdet; 2 = stark gefährdet; 1 = vom Aussterben bedroht Art Kammmolch Teichmolch Erdkröte Kreuzkröte Wechselkröte Grasfrosch Teichfrosch Seefrosch Wissenschaftlicher Name Triturus cristatus (LAURENTI, 1768) Triturus vulgaris (LINNAEUS, 1758) Bufo bufo (LINNAEUS, 1758) Bufo calamita LAURENTI, 1768 Bufo viridis LAURENTI, 1768 Rana temporaria LINNAEUS, 1758 Rana kl. esculenta LINNAEUS, 1758 Rana ridibunda PALLAS, 1771 RL D 3 RL Th 3 3 2 V 2 1 V 3 3 BArtSchV + + + + + + + + FFH II IV IV V V V Auffällig ist der hohe Gefährdungsstatus von Kreuz- und Wechselkröte in der Roten Liste Deutschland und Thüringen. Kammmolch und Seefrosch sind gefährdet. Alle einheimischen Amphibienarten stehen nach der Bundesartenschutzverordnung (BArtSchV vom 16. Februar 2005) unter besonderem Schutz. Sie dürfen nicht angelockt, gefangen, getötet bzw. ihnen nachgestellt werden. Im Anhang II der FFH-Richtlinie sind Arten von gemeinschaftlichem Interesse aufgeführt, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete ausgewiesen werden müssen. Dies betrifft im Untersuchungsgebiet den Kammmolch, der allerdings nur mit einem individuenarmen Vorkommen vertreten ist. Im Anhang IV sind streng zu schützende Arten von gemeinschaftlichem Interesse aufgeführt. Dies betrifft die Kreuz- und die Wechselkröte. Besonders aufgrund des individuenreicheren Kreuzkröten-Vorkommens sind im geplanten Gewerbegebiet und im Untersuchungsgebiet unbedingt Maßnahmen zur Erhaltung des Vorkommens zu ergreifen. Im Anhang V der FFH-Richtlinie sind Arten von gemeinschaftlichem Interesse aufgeführt, deren Entnahme aus der Natur und Nutzung Gegenstand von Verwaltungsmaßnahmen sein können. Für die drei Arten Gras-, Teich- und Seefrosch regelt dies zusätzlich das Thüringer Naturschutzgesetz. Nach STEINICKE, HENLE & GRUTTKE (2002) hat Deutschland eine hohe Verantwortung insbesondere für den Kammmolch, die Kreuzkröte und den Teichfrosch. Das Aussterben dieser Arten im Bezugsraum (Deutschland) hätte gravierende Folgen für den Gesamtbestand bzw. würde die weltweite Gefährdung erheblich erhöhen. Im Untersuchungsgebiet trifft dies besonders für die Kreuzkröte zu, die aufgrund unserer Landnutzung permanent erheblich gefährdet ist. Ihre Ausbreitung und die Vernetzung ihrer Populationen dürfen aus den in Kap. 6.1 und 6.2 dargestellten Gründen durch den Bau des geplanten Gewerbegebietes nicht eingeschränkt werden. Aus diesen Gründen sind im Gewerbegebiet Maßnahmen zur Erhaltung der Populationen umzusetzen, die in Kap. 7 vorgestellt werden. 6.3 Weitere potenzielle Gefahren für wandernde Amphibien im geplanten Bebauungsgebiet Die Überbauung der momentan ackerbaulich genutzten Fläche durch das geplante Gewerbegebiet birgt neben dem Verlust an Lebensraum weitere neue Gefahren für wandernde Amphibien: 1. der zunehmende Autoverkehr gefährdet ihr Leben; 4 5 Quelle: www.amphibienschutz.de Quelle: www.amphibienschutz.de 22 2. kühle Keller mit höherer Luftfeuchtigkeit ziehen Amphibien an und wirken als Falle, da aufgrund der stufigen Treppenabgänge ein Verlassen des Kellers nicht mehr möglich ist; 3. Bordsteine können nicht überwunden werden, vielmehr laufen die Tiere am Bordstein entlang und werden so in die Gullys geleitet, die sie nicht wieder verlassen können. Besonders die Gullys bilden ernsthafte Gefährdungsfaktoren für Amphibienpopulationen. Sie gelangen vor allem bei sommerlichen Ausbreitungs- und Herbstwanderungen vom Sommerins Winterquartier in die Oberflächenentwässerung. Dieser Zusammenhang ist seit längerer Zeit bekannt und wurde mehrfach eindrucksvoll demonstriert (BENDER 2003, BITZ & THIELE 1992, LIPPUNER 2007, KARCH 1996, 2008, RATZEL 1993, TRAUTNER 1998). Das für viele Amphibienarten unüberwindbare Hindernis „Bordstein“ kann eine Durchwanderung des Gebietes vollkommen verhindern. In Verbindung mit einer durch die Bordsteine verursachten Zuleitung der Amphibien in die Gullys führt es zwangsläufig zum Tod der Individuen. 6.4 Kurzes Resümee Die Landnutzung fern (einige hundert bis 3.000 Meter) vom Laichgewässer hat einen Einfluss auf die Amphibienpopulationen. Dies trifft auch für das geplante Bebauungsgebiet STO 594 „Östlich Erfurter Landstrasse“ zu. Funktion erlangt das Gebiet besonders als zu durchwandernder Lebensraum (Wanderkorridor) im Zusammenhang mit einer Ausbreitung der Arten und der Vernetzung der Teilpopulationen. Obwohl das Gebiet wahrscheinlich auch als Sommerlebensraum genutzt wird, wird der Flächenverlust als nicht gravierend eingeschätzt. Aber die hohe Funktion als Wanderkorridor trifft insbesondere für die Kreuzkröte zu, die in Flachgewässern am „Schwerborner See“ mit einem individuenreicheren Vorkommen vertreten ist. Die Kreuzkröte ist ein Pionierbesiedler, der vegetationsarme Landlebensräume und vegetationsfreie Flachgewässer, die in kurzer Zeit austrocknen, nutzt. Aufgrund dieser speziellen Lebensraumansprüche sind die Teilpopulationen bei unserer momentanen Landnutzung einem hohen Aussterberisiko ausgesetzt, das die Art durch Besiedlung kurzfristig entstehender Flachgewässer und dauernde Vernetzung der Teilpopulationen durch Individuenaustausch verringert. Für das Überleben der Kreuzkröte, die in Thüringen stark gefährdet, im Anhang IV der FFH-Richtlinie stark geschützt ist und für deren Erhaltung Deutschland eine hohe Verantwortung hat, muss das geplante Bebauungsgebiet auch zukünftig durchwandert werden können. Die Voraussetzungen dafür sind günstig, denn die Kreuzkröte nutzt insbesondere geteerte Flächen zur Wanderung. Straßen, Siedlungen, Gewerbegebiete, also geteerte und betonierte Flächen sind zwar attraktive Wanderkorridore, aber in ihrer momentanen bautechnischen Ausführung eindeutige Amphibienfallen. Die Durchwanderung muss durch Maßnahmen zum technischen Amphibienschutz im Bebauungsgebiet ermöglicht werden. Neben den asphaltierten Flächen benötigt die Kreuzkröte auch andere Landschaftsstrukturen (i. S. v. Biotope) im Bebauungsgebiet als „Tageseinstand“. Werden diese Maßnahmen nicht umgesetzt, ist die Durchquerung des Gebietes nicht gegeben und die Metapopulation entsprechend gefährdet. Auch die in Thüringen und Deutschland als noch höher gefährdet eingestufte Wechselkröte ist im Gebiet aber mit einer nur individuenarmen Population vertreten. Zumindest in ihren Landlebensräumen decken sich die Lebensraumansprüche der Kreuz- und Wechselkröte, so dass viele der hier am Beispiel der Kreuzkröte vorgestellten Ergebnisse und abgeleiteten Anforderungen gleichermaßen für die Wechselkröte gelten. Die Maßnahmen im geplanten Bebauungsgebiet müssen im größeren Zusammenhang der Metapopulationen der Kreuz- und Wechselkröte gesehen werden. Dieser, von Kies- und Tonabbaugebieten geprägte Raum im Norden Erfurts beginnt in den Kiesabbaugewässern bei Kühnhausen, zieht sich über die Tongruben bei Mittelhausen, die Kiesgrubengewässer „Sulzer und Schwerborner See“, setzt sich fort in den Gewässern östlich Stotternheim bis hin zu den großen Kiesseen bei Riethnordhausen. 23 7. Möglichkeit zur Verringerung der negativen Einflüsse auf die Amphibien Die negativen Einflüsse des geplanten Bebauungsgebiets STO 594 „Östlich Erfurter Landstraße“ auf die Amphibienvorkommen bestehen im Verlust an Lebensraum und, vor allem, in einer Verhinderung der Durchwanderung des Gebiets als Folge weit verbreiteter bautechnischer Mängel, (vgl. Kap. 6). Diese Gefahr besteht insbesondere für die Kreuzkröte, da ihre spezielle Biologie einen ständigen Austausch von Individuen zwischen den Teilpopulationen der übergeordneten Metapopulation erfordert (vgl. Kap. 6). Folglich muss die Kreuzkröte das Gebiet durchwandern können. § 42 BNatSchG verbietet besonders geschützte Tier- und Pflanzenarten zu töten. Dies trifft auch für die im Untersuchungsgebiet nachgewiesenen Amphibienarten zu (vgl. Kap. 6.2). Dementsprechend sind insbesondere die Maßnahmen zum technischen Amphibienschutz im geplanten Bebauungsgebiet als zwingend erforderlich einzustufen, denn ein Vernachlässigen dieser Schutzmaßnahmen ist, beim heutigen Stand des Wissens, als Verbotstatbestand nach § 42 BNatSchG einzustufen. 7.1 Standgewässer, Verbundachsen und Grüngestaltung im Gebiet 7.1.1 Standgewässer Nach Möglichkeit sollen keine Standgewässer – auch keine periodisch Wasser führenden Standgewässer – im geplanten Bebauungsgebiet STO 594 „östlich Erfurter Landstraße“ angelegt werden, um keine Amphibien anzulocken. Eine Anlegung wird sich aber nicht vermeiden lassen, da an der nördlichen Grenze des Bebauungsgebiets ein Graben verläuft, der schon heute in ein Regenwasserrückhaltebecken mündet (Fotos 18, 19). Hinzu kommt, dass sich als Folge von Regenfällen größere Pfützen im Gebiet entwickeln werden, die aufgrund der speziellen Biologie der Kreuzkröte (Pionierbesiedler; vgl. Kap. 6.1.3) und der Nähe der augenblicklichen Vorkommen der Art am „Schwerborner See“ (200 m Luftlinie ; Karte 7) einzelne Individuen der Art anlocken können. Im Zusammenhang mit der Fortsetzung des Kiesabbaus am Schwerborner See in nordwestlicher Richtung werden möglicherweise über Jahre hinaus neue Kreuzkrötengewässer in unmittelbarer Nähe zum Bebauungsgebiet entstehen, so dass mit einer Ausbreitung des Vorkommen zu rechnen ist. Die Gewässerufer aller periodisch oder ausdauernd Wasser führenden Standgewässer müssen flach auslaufen und den Amphibien ein Verlassen des Gewässers ermöglichen. Steilufer und lückenlos befestigte Ufer (Beton) sind zu vermeiden. Rückhaltebecken für unbelastetes Abwasser lassen sich naturnah gestalten. Dies sollte allerdings nur umgesetzt werden, wenn ihr Standort nah zu Grünflächen und Gehölzgürteln gewählt werden kann. Ist dies nicht möglich, sollten lediglich flache Uferbereiche angelegt werden. Eine naturnahe Gestaltung der Rückhaltebecken zieht Amphibien an. 7.1.2 Grüne Verbundachsen Für eine möglichst optimale Durchwanderung des Bebauungsgebiets sind am nördlichen und südlichen Rand zwei jeweils 15 bis 20 m breite Verbundachsen anzulegen (Karte 7). Diese Lage bietet sich insofern an, da 1. am nördlichen Rand ein Graben verläuft, der, mit einem Durchlass unter der Erfurter Landstraße, die östliche und westliche Straßenseite verbindet. 2. westlich anschließend an die südliche Verbundstruktur ein Grünbereich im Bebauungsgebiet STO 584 „Westlich Erfurter Landstraße“ geplant ist. 24 Foto 18: Graben am nördlichen Rand des geplanten Bebauungsgebiets Foto 19: Regenrückhaltebecken am nördlichen Rand des geplanten Bebauungsgebiets Aufgrund der vergleichsweise unterschiedlichen Lebensraumansprüche der Amphibienarten an die zu durchwandernden Lebensräume sollte die Grüngestaltung der beiden Verbundachsen unterschiedlich ausfallen. Im Norden bietet sich eine Baumhecke an, die gleichzeitig einen Sicht- und Lärmschutz für die angrenzende Ortslage bildet. Es ist aber unbedingt darauf zu achten, dass im Bebauungsgebiet ausreichende Streifen zwei- bis dreischüriger Wiesen vorhanden sind, die aus grabbarem Bodenmaterial und blütenreichen Wiesenpflanzen bestehen. Die Schnitthöhe bei der Wiesenmahd sollte mindestens 10 cm betragen, um keine Tiere zu verletzen. Es sollten einheimische Pflanzenarten verwendet werden. Bei der Grüngestaltung sollte ein intensives und wiederkehrendes gärtnerisches Eingreifen vermieden werden. Karte 7: Lage der grünen Verbundachsen (Pfeile) am nördlichen und südlichen Rand des geplanten Bebauungsgebiets STO 594 „Östlich Erfurter Landstraße“ (Kartenmaßstab 1:20.000) 25 7.1.3 Grüngestaltung Im Bebauungsgebiet sind ausreichende Grünflächen einzuplanen, die überwiegend als zweibis dreischürige Wiese genutzt werden (Schnitthöhe bei der Mahd mindestens 10 cm). Auch die Anlegung einzelner Gehölzgruppen bietet sich an. Nach Möglichkeit sollten die einzelnen Grünflächen ausreichend groß (mindestens 50 m2) und homogen über das Gebiet verteilt sein. 7.2 Maßnahmen zum technischen Amphibienschutz im Gebiet Maßnahmen zum technischen Amphibienschutz waren in Deutschland in der Vergangenheit nicht weit verbreitet, obwohl ihre Notwendigkeit seit Jahren bekannt ist, z. B. aus Untersuchungen in der Schweiz (KARCH 1996, 2008). Heute gelten entsprechende Maßnahmen auch in Deutschland als üblich und zeitgemäß. Der negative Einfluss fehlender Maßnahmen ist nicht nur darin zu sehen, dass die Amphibien passiv in Fallen geleitet werden, sondern teilweise suchen sie diese Fallen auch aktiv auf. Amphibien brauchen eine hohe Luftfeuchtigkeit und werden besonders in trockenwarmen Zeiträumen von feucht-kühlen Kellern und Gullys angezogen, die sie dann anschließend nicht wieder verlassen können. Beim technischen Amphibienschutz muss zwischen Maßnahmen an Bauwerken und im System der Oberflächenentwässerung unterschieden werden. 7.2.1 Treppenabgänge und andere Bauwerke Wie selbstverständlich wir Amphibienfallen errichten, zeigt das Foto 20 eines „Sandfang mit Tauchwand“, der vor kurzer Zeit am nördlichen Rand des geplanten Bebauungsgebiets STO 594 „Östlich Erfurter Landstraße“ angelegt wurde. Der umgebende Boden und der Betonrand des Sandfangs sind niveaugleich, es wurde keine Stufe eingebaut, so dass Amphibien, die an warmen Tagen vom Wasser angezogen werden, mühelos in den Sandfang gelangen. Gleichzeitig macht ihnen die steile Betonwand ein Verlassen unmöglich. Sie sterben im Sandfang. Entsprechende Bautechnik ist unbedingt mit einer Ausstiegs-Vorrichtung – in diesem Fall einer Amphibien-Leiter – zu versehen (vgl. Tab. 13). Foto 20: „Sandfang mit Tauchwand“ am nördlichen Rand des geplanten Bebauungsgebiets STO 594 26 27 Im geplanten Gewerbegebiet ist bei allen Bauwerken, die zu feucht-kühlen Orten führen (z. B. Treppenabgänge in Keller, Sandfänge, Lichtschächte) eine Stufe von 15 cm Höhe (also eine Randüberhöhung von rundherum 15 cm über Terrain) einzufügen. Eine entsprechende Stufe bildet einen Überstiegsschutz, der von Amphibien nicht überwunden werden kann (KARCH 2008). 7.2.2 Oberflächenentwässerung Aus der Vielzahl an Untersuchungen beziehen sich die anschließenden Ausführungen zum technischen Amphibienschutz im Zusammenhang mit Entwässerungssystemen schwerpunktmäßig auf die Veröffentlichungen von BENDER (2003), KARCH (1996, 2008) und LIPPUNER (2007). Unterirdische Entwässerungsstrukturen wie z. B. Schächte und Rohre sind für Amphibien und andere Kleintiere oft Fallen. Aus diesem Grund sind, wo irgend möglich, Entwässerungssysteme zu bevorzugen, die ohne Schächte auskommen. Diese Entwässerung kann über Versickerung oder oberirdische Ableitung von Regenwasser in ein anderes Gewässer (z. B. Regenrückhaltebecken) erfolgen (Fotos 21-24). Allerdings sind Rückhaltebecken im Gebiet nur für unbelastetes Abwasser zu planen (Ausführung zur Anlegung vgl. Kap. 7.1.1). Fotos 21-24: Beispiele für Versickerung oder oberirdische Ableitung von Regenwasser (Quelle und Fotos: KARCH 2008) oben links: Versickerung am Straßenrand; oben rechts: Sickermulde; unten links: offene Ableitung von Straßenwasser; unten rechts: Entwässerungsrinne 28 Ist die Anlegung von Entwässerungsschächten zwangsläufig notwendig, sind folgende Hinweise unbedingt zu berücksichtigen: 1. die Schächte dürfen nicht an vertikalen Strukturen wie z. B. hohe Bordsteine (Randsteine) und Mauern angrenzen, sondern sind 10 cm davon abgesetzt zu platzieren (Foto 25); 2. im Bereich des Schachtes ist der Bordstein auf einer Länge von mindestens 5 m soweit abzusenken (abzuschrägen), dass kein Höhenunterschied mehr zum umgebenden Terrain besteht (Fotos 26-28); 3. Entwässerungsschächte sind mit kleintierfreundlichen Rosten mit möglichst schmalen Schlitzen (Breite max. 1,7 cm) zu decken (Foto 29) (Junglurche und Molche werden aber auch bei dieser Schlitzbreite gefangen); 4. in die Schächte sind Ausstiegshilfen einzubauen, die es den Amphibien ermöglicht, einen Schacht selbständig zu verlassen (Fotos 30, 31). 5. Die Amphibien sind vor dem Absaugen des Schachts unbedingt zu entnehmen. Foto 25: Entlang einem vom Hindernis „Bordsteinkante“ abgesetzten Schacht können Amphibien weiterwandern (Quelle und Foto: KARCH 1996) Foto 26: Auf 5 m Breite abgeschrägter Bordstein im Bereich eines Schachtes (Quelle und Foto: BENDER 2003) Fotos 27, 28: Ein Schacht an einem hohen Bordstein mit Leitwirkung fängt Amphibien (links); ein abgesetzter Bordstein kann von Amphibien überquert werden (rechts) (Quelle und Fotos: LIPPUNER 2007) 29 Foto 29: Gullydeckel mit 1,7 cm breiten Schlitzen Foto 30: Schacht mit Amphibien-Ausstiegshilfe (Quelle und Foto: KARCH 2008) (Quelle und Foto: LIPPUNER 2007) Foto 31: Schacht mit Amphibien-Ausstiegshilfe (Amphibien-Ausstiegsleiter; Quelle und Foto: KARCH 2008) Die für das geplante Gewerbegebiet STO 594 „Östlich der Erfurter Landstrasse“ aufgeführten Maßnahmen zum technischen Amphibienschutz sind entsprechend im Ausbau der Erfurter Landstrasse und im Bebauungsgebiet STO 584 „Westlich Erfurter Landstrasse“ zu berücksichtigen. 8. Besondere Schutzmaßnahmen zur Erhaltung des Kreuzkrötenvorkommens am Schwerborner See Zur Erhaltung und Förderung des Kreuzkrötenvorkommens am „Schwerborner See“ sind im Rahmen der Fortsetzung des Kiesabbaus von den tiefen Abbaugewässern separate kleine Flachgewässer zu schaffen. Entsprechende Maßnahmen können in die Umsetzung der Rahmenbetriebspläne in den Kiesabbaugebieten eingebunden werden. 30 9. Literatur BENDER, B. (2003): Bordsteinabsenkung und Schutzgitter unter Gullydeckeln als Maßnahmen für den Amphibienschutz. – Zeitschrift für Feldherpetologie, Supplement 2: 43-46. BITZ, A. & R. THIELE (1992): Bedeutung und Folgewirkung der Oberflächenentwässerung für den Artenschutz, dargestellt am Beispiel rheinhessischer Amphibienpopulationen. – Fauna Flora Rheinland-Pfalz, Beiheft 6: 89-104. COOKE, A. S. & H. R. ARNOLD (2003): Night counting, netting and population dynamics of Crested Newts (Triturus cristatus). – Herpetological Bulletin 84: 5-14. DENTON, J. & T.J.C. 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