Programmhefttext - Ensemble unitedberlin

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Montag,
16.5.2011
20.00 Uhr Werner-Otto-Saal
ensemble unitedberlin
Ferenc Gábor Leitung
Ksenija Lukiç Sopran
Sebastian Bluth Bariton
Winfried Wagner Sprecher
Gustav Mahler (1860 – 1911)
Aus »Lieder eines fahrenden Gesellen«, für mittlere Stimme und
Kammerensemble bearbeitet von Arnold Schönberg
»Wenn mein Schatz Hochzeit macht«
»Ging heut morgen übers Feld«
Luigi Nono (1924 – 1990)
»La fabbrica illuminata« für Sopran und Tonband
Georg Katzer (geb. 1935)
»La fabbrica abbandonata III« für Sopran, Sprecher und Ensemble
Uraufführung
Gustav Mahler
Aus »Lieder eines fahrenden Gesellen«, für mittlere Stimme und
Kammerensemble bearbeitet von Arnold Schönberg
»Ich hab’ ein glühend Messer«
»Die zwei blauen Augen«
Konzert ohne Pause
Präsentiert von
Handy ausgeschaltet? Vielen Dank!
Wir machen darauf aufmerksam, dass Ton- und/oder Bildaufnahmen unserer Aufführungen
durch jede Art elektronischer Geräte strikt untersagt sind. Zuwiderhandlungen sind nach dem
Urheberrechtsgesetz strafbar.
Gesellen-Lieder
Der »fahrende Geselle« Gustav Mahlers könnte ein Widergänger des »reisenden Waldhornisten« sein, dem Helden der Winterreise Wilhelm Müllers
und Franz Schuberts. »Fremd« lautete das erste Wort von Schuberts Liederzyklus. Wenige Jahre nach dessen Entstehung analysierte Karl Marx in seinen
Ökonomisch-Philosophischen Manuskripten, was den Menschen unter den
Bedingungen entfremdeter Arbeit widerfährt. Schubert war wohl der erste
Komponist, in dessen Musik die Ahnung dessen widerhallt. Eine unglückliche Liebe habe die Wanderer zur Weltflucht gezwungen, suggerieren die
Texte sowohl in der »Winterreise« als auch in den »Liedern eines fahrenden
Gesellen«. Die Schmerzen der Protagonisten beider Zyklen reichen freilich
tiefer, rühren her aus der »tiefen Traurigkeit über die Unzulänglichkeit der
Welt« – so die Definition des Wortes »Weltschmerz«, die Jacob und Wilhelm
Grimm gegeben haben. Das Wort geht auf Jean Paul zurück, den Mahler
zutiefst verehrte. »Nur sein Auge sah alle die tausend Qualen der Menschen
bei ihren Untergängen. Diesen Weltschmerz kann er, so zu sagen, nur aushalten durch den Anblick der Seligkeit, die nachher vergütet.« – heißt es in
»Selina oder über die Unsterblichkeit«. »Seligkeit« wird dem fahrenden
Gesellen am Ende zuteil, wenn der Lindenbaum die Blüten über ihn schneit,
in einer gleichsam mythischen Umarmung durch die Natur »alles wieder gut«
wird, der Riss sich schließt, der ihn von allem scheidet. Jener mythische Lindenbaum ist wohl der gleiche, der Schuberts Held verhieß: »… und immer
hör’ ich’s rauschen: Du fändest Ruhe dort.« Sehr wohl aber könnte jene Ruhe
die des Todes sein. Jedenfalls schließt Mahlers Zyklus nicht mit der unendlich zarten Lindenbaum-Musik sondern mit fragend verhallenden Trauermarschrhythmen.
Wahrscheinlich im Dezember 1884 komponierte Mahler – seinerzeit
Kapellmeister in Kassel – die Lieder. Gut möglich, dass die unglückliche
Liebesaffäre des Komponisten zur Sängerin Johanna Richter in die Entstehung der Lieder hineinspielte. Die Texte verfasste Mahler unter Anlehnung
an Gedichte aus »Des Knaben Wunderhorn«. Von den zunächst sechs
Gedichten vertonte er am Ende vier. Einer der einstweilen nicht genutzten
Texte sollte Fernwirkungen entfalten: einzelne Zeilen wurden im Finale des
»Liedes von der Erde« paraphrasiert, wenn dort die Rede ist von den müden
Menschen, die heimwärts gehen, »um im Schlaf vergessnes Glück und Liebe
neu zu lernen«.
Zwischen 1891 und 1896 wurde die Lieder revidiert und orchestriert. Die
Uraufführung erfolgte am 16. März 1896 in Berlin. Im Jahr darauf erschienen
die Gesänge im Druck. Zu der in unserem Konzert erklingenden Fassung der
Gesellen-Lieder
»Lieder eines fahrenden Gesellen«
sei nur angemerkt, dass Arnold
Schönberg sie für eine Aufführung
des von ihm gegründeten »Vereins
für musikalische Privataufführungen«
am 6. Februar 1920 in Wien erstellte.
(Interessierten sei in diesem Zusammenhang die Lektüre des Essays von
Rainer Riehn zu Schönbergs MahlerBearbeitungen empfohlen, der im
Band 36 der Musik-Konzepte nachzulesen ist.)
»Im erniedrigten und beleidigten
Musikstoff schürft er nach unerlaubtem Glück. Er erbarmt sich des Verlorenen, damit es nicht vergessen sei
und der Gestalt zum Guten anschlage, die es behüten soll vor der
sterilen sich selbst Gleichheit«,
Gustav Mahler, 1884
meinte Adorno zu Mahlers Musik.
So sind es Trümmer einer einst »lustigen« Musik, die dem einleitenden
Gesang sekundieren, als würden sie einer kaputten Spieldose entlockt. Die
diatonischen Floskeln wirken hier und in den anderen Gesängen heimatlos:
kein Lied endet in der Tonart, in welcher es begann. Im dritten Gesang zerbirst das musikalische Material unter der Gewalt des Ausdrucks. Der Beginn
bemüht Topoi, wie sie das romantische Lied für die Darstellung düster dramatischen Geschehens bereithielt – man denke an Schuberts »Erlkönig«.
Wenn aber im Mittelteil des Liedes eine Albtraumvision beschworen wird,
gerät die Musik aus den Fugen, als würde ihr Innerstes von Panik ergriffen.
Dass es dabei die »blauen Augen« und das »blonde Haar« sind, die den fahrenden Gesellen die »schwarze Bahr« ersehnen lassen, mischt eine zusätzlich beklemmende Dimension bei.
Der Schauplatz der angsterfüllten Vision, das »gelbe Feld«, spielt auch im
zweiten Lied eine Rolle. Und schon hier mischen sich Wirklichkeit und
Traum, wird die Natur beredt und vermeint der Geselle den »lust’gen Finken« fragen zu hören: »Wird’s nicht eine schöne Welt?«
La fabbrica illuminata
Wir interpolieren nach diesem Gesang zwei Werke, die jeweils auch nach der
»schönen Welt« fragen und offenbar aufeinander bezogen sind. Luigi Nonos
»La fabbrica illuminata« entstand 1964. Georg Katzers »La fabbrica abbandonata III« paraphrasiert den Titel des älteren Werkes, indem es den Titel
eines der zugrunde liegenden Texte ins Italienische überträgt: »Die verlassene Fabrik« von Wolfgang Hilbig.
Luigi Nono, seit 1952 Mitglied der Kommunistischen Partei Italiens, versuchte immer wieder, avancierte Musik und politisches Engagement zusammenzuführen. So thematisierte er Intoleranz und Gewalt gegenüber Flüchtlingen
(»Intolleranza«, 1960/61), die Folgen
eines Atomkrieges (»Sul ponte di
Hiroshima«, 1962), den Holocaust
(»Ricorda cosa ti hanno fatto in
Auschwitz«, 1965), den spanischen
Bürgerkrieg (»Epitaffio a Frederico
Garcia Lorca«, 1951–53), den antifaschistischen Widerstand (»Il canto
sospeso«, 1956) oder die Studentenrevolte der späten 60er Jahre
(»Musica-Manifesta n.1«). In diesen
Kontext gehört auch »La fabbrica
illuminata«.
Die vom Tonband eingespielten
Klänge sind aus drei Quellen generiert: Tonaufnahmen aus einem
Luigi Nono
Walzwerk in Genua, elektronisches
Material, aufgenommen im Studio di fonologia der RAI in Mailand, Tonaufnahmen und vielfältige Interpretationen des Textes durch den gemischten
Chor der RAI unter dem Dirigenten Giulio Bertola und durch die Mezzosopranistin Carla Henius. Die in »La fabbrica illuminata« verwendeten Texte
stammen von Giuliano Scabia. Außerdem ist ein Fragment aus »Due poesie
a. T.« von Cesare Pavese einbezogen. Bei konzertanten Aufführungen wird
der Gesangspart live zu den Tonbandeinspielungen dargeboten. Die Vokalpartie enthält außer Gesangstönen auch Sprechklänge mit oder ohne festgelegte Sprechhöhe, geflüsterte, fast geflüsterte oder fast gesprochene Klänge.
Vier Episoden folgen ohne Unterbrechung. Der »Coro iniziale« wird vom
Chor dominiert, ergänzt um gelegentliche Interpolationen der Singstimme.
Die zweite Episode beruht ausschließlich auf Tonbandeinspielungen, die aus
La fabbrica illuminata
Fabrikgeräuschen und den Stimmen der Arbeiter produziert wurden. Der
dritte Teil, »Giro di letto«, spielt mit seinem Titel auf die soziale Entfremdung
an, welche die Schichtarbeit für die Arbeitenden nach sich zieht. Die Solostimme interagiert mit elektronischen Klängen und den verfremdeten Aufnahmen der Improvisationen von Carla Henius. Im abschließenden Teil (»In
tutte la citta« und »Finale«) verbindet sich der live aufgeführte Gesang mit
den solistischen und chorischen Stimmen vom Band und mündet in eine
Monodie der Solostimme.
In einem 1969 geführten Gespräch mit Hans-Jörg Pauli berichtete Nono
von der Wirkung seiner Musik auf ihre Adressaten, die Arbeiter eines Genueser
Walzwerkes: »Niemand wunderte sich, ob das noch Musik sei, und niemand
meinte, allenfalls ginge solche Musik als Begleitung zu Science-fiction am
Fernsehen. Ganz direkt wollten die Arbeiter wissen, wie das komponiert sei,
wie aus Fabriklärm und Tarifverträgen Musik werden könne. Sie bezogen,
was sie hörten, sofort auf sich. Und dann warfen sie mir vor, die Geräusche in
meinem Stück, in ›La fabbrica illuminata‹, seien bei weitem nicht so stark
wie die, die sie gewöhnt seien. Das fiel ihnen auf. Sie sahen ein, dass sie bisher wie Roboter in die Fabrik gegangen waren und ihre Arbeit getan hatten,
ohne weiter darüber nachzudenken. Jetzt wurde ihnen, durch den Vergleich,
plötzlich bewusst, unter welchen akustischen Bedingungen sie arbeiteten,
und sie begannen sich zu überlegen, ob das denn so sein müsse, und ob es
nicht eine Möglichkeit gebe, das zu ändern.«
La fabbrica abbandonata
In Nonos Worten schwingt noch viel Hoffnung über die Möglichkeiten von
Kunst mit, zur Verbesserung der Welt beizutragen. Auf der anderen Seite des
Eisernen Vorhangs wurde in jenen Jahren ein junger Dichter tagtäglich mit
den Ergebnissen konfrontiert, die der längst pervertierte Versuch zeitigte,
einen Gegenentwurf zur von Nono mit seiner Kunst attackierten kapitalistischen Gesellschaft zu etablieren. 1971
arbeitete Wolfgang Hilbig als Heizer
in einem staatseigenen Betrieb seiner
sächsischen Heimatstadt Meuselwitz,
»einer krummen Stadt aus Dampfrohren, Ruß und gekappten Linden.
– Ringsum Abraumhalden, Gehölz
und Wind. – Der Vater bei Stalingrad
gefallen, das Kind unter Kumpeln aufgewachsen, in der Familie des Großvaters, der aus der Kohle in Schlesien
gekommen.« – so Franz Fühmann.
Georg Katzer
In jenem Jahr schrieb der dreißigjährige Hilbig einen Text, der wie ein Angsttraum wirkt, eine Todesphantasie in
sächsischer Industrielandschaft: »Die verlassene Fabrik«. Zu lesen bekam
den Text hüben und drüben kaum jemand. Ein erster Band mit Dichtungen
Hilbigs erschien erst Ende der 1970er Jahre im S. Fischer-Verlag in Frankfurt
am Main, was dem im Osten lebenden Autor, der zwischenzeitlich kurzzeitig
verhaftet war, eine Geldstrafe wegen »Devisenvergehens« einbrachte. Es ist
vor allem dem unermüdlichen Einsatz Franz Fühmanns zu verdanken, dass
dann ab 1980 auch in der DDR von Hilbig Notiz genommen werden konnte.
Fühmann sorgte zunächst für die Veröffentlichung einiger Texte in einer Zeitschrift, publizierte 1983 ein eindringliches Plädoyer für den Dichter (»Praxis
und Dialektik der Abwesenheit«) und beförderte das Erscheinen eines kleinen Bändchens mit Lyrik und Prosa: »Stimme Stimme«. Der Autor dieser
Zeilen erinnert sich noch des enormen Eindrucks, den die hier veröffentlichten Texte auf ihn machten: da waren die Tristesse, Hoffnungslosigkeit und
nicht enden wollende Düsternis, welche das Leben immer mehr überschatteten, in einer Sprache von unvergleichlicher imaginativer Kraft artikuliert.
In diesem Band fanden sich auch jene beiden Texte, die Georg Katzer in
»La fabbrica abbandonata III« vertonte: »Die verlassene Fabrik« und »Episode«. Von »La fabbrica abbandonata« existierten bereits zwei Fassungen,
als wir vor gut einem Jahr an den Komponisten mit dem Wunsch herantraten,
La fabbrica abbandonata
eine Version zu erarbeiten, die mit dem für dieses Konzert zur Verfügung stehenden Instrumentarium kompatibel sei. Zu unserer freudigen Überraschung
ist nun nicht etwa eine neue Einrichtung des alten Werkes entstanden, sondern Georg Katzer hat eine gänzlich neue Komposition vorgelegt, was auch
zeigen mag, wie sehr ihn die Texte faszinieren und zu produktiver Auseinandersetzung provozieren.
»Die verlassene Fabrik« und »Episode« eint ihr Schauplatz: ein Industriegelände, genauer ein Heizungskeller. Erleben wir in der Erzählung, wie das
Ich des Erzählers mit dem Gang durch die verlassene Fabrik gleichsam zersetzt und von der Vergangenheit verschluckt wird, imaginiert »Episode«
einen magischen Moment, blitzt – vermittelt durch Natur – für Momente die
Ahnung eines utopisch Anderen auf. Die musikalischen Idiome, mit denen
Katzer beiden Texten begegnet, erscheinen denkbar stark zu kontrastieren.
In »Die verlassene Fabrik« erscheinen auffällig häufig gleichsam »denaturierte« Klänge, mischt sich viel Geräuschhaftes und Mikrotonales ein. Tastend wird am Beginn der Tonraum ausgehend vom Ton e erschlossen. Nur
ganz allmählich kommt Bewegung in die erstarrten Klänge, beginnen sie in
Glissandi zu wogen, etabliert sich ein Gemurmel von Cello und Bass. Im folgenden korrespondieren Felder mit jeweils charakteristischer Textur mit den
poetischen Bildern, wobei der Gestaltenreichtum tendenziell zunimmt und
motivische Strukturen greifbarer werden.
In der »Episode« hingegen erscheint die musikalische Sprache direkter,
unverstellter, wird ein geradezu konzertierendes Spiel entfaltet, an dem alle
Instrumente gleichermaßen beteiligt sind, während in »Die verlassene
Fabrik« die Streicher fast durchweg dominierten. Im Gegensatz zur Omnipräsenz von verfremdeten Klängen im ersten Teil, spielen die Instrumente, zu
der sich die quasi instrumental geführte Singstimme gesellt, in der »Episode«
zumeist »ordinario« und bleibt auch Mikrointervallik zunächst außen vor.
Erst kurz vor Schluss sickern solche Klänge für Momente wieder ein. Ein
instrumentaler Epilog folgt und schließt mit jenen beiden Tönen e und b, die
das Werk – wenngleich in gänzlich anderem Gestus – eröffneten.
Die Liedtexte
Lieder eines fahrenden Gesellen
Text von Gustav Mahler
Wenn mein Schatz Hochzeit macht,
hab ich meinen traurigen Tag!
Geh ich in mein Kämmerlein,
dunkles Kämmerlein!
Weine! Weine! Um meinen Schatz,
um meinen lieben Schatz!
Blümlein blau! Verdorre nicht!
Vöglein süß! Du singst auf grüner Heide!
Ach! Wie ist die Welt so schön! Ziküth!
Singet nicht, blühet nicht! Lenz ist ja vorbei!
Alles Singen ist nun aus!
Des Abends, wenn ich schlafen geh,
denk ich an mein Leid, an mein Leide!
Ging heut morgen übers Feld,
Tau noch auf den Gräsern hing;
sprach zu mir der lustge Fink:
»Ei, du! Gelt? Guten Morgen! Ei gelt? Du!
Wird’s nicht eine schöne Welt?
Schöne Welt!?
Zink! Zink! Schön und flink!
Wie mir doch die Welt gefällt!«
Auch die Glockenblum am Feld
hat mir lustig, guter Ding
mit dem Glöckchen klinge, kling,
ihren Morgengruß geschellt:
»Wird’s nicht eine schöne Welt?
Schöne Welt!?
Kling! Kling! Schönes Ding!
Wie mir doch die Welt gefällt! Hei-a!«
Und da fing im Sonnenschein
gleich die Welt zu funkeln an;
alles, alles, Ton und Farbe
gewann im Sonnenschein!
Blum und Vogel, groß und klein!
Guten Tag, guten Tag!
Ist’s nicht eine schöne Welt?
Ei du! Gelt!? Schöne Welt!?
Nun fängt auch mein Glück wohl an?!
Nein! Nein! Das ich mein,
mir nimmer blühen kann!
Ich hab ein glühend Messer,
ein Messer in meiner Brust.
O weh! o weh!
Das schneidt so tief
in jede Freud und jede Lust, so tief!
Ach, was ist das für ein böser Gast!
Nimmer hält er Ruh, nimmer hält er Rast,
nicht bei Tag, noch bei Nacht,
wenn ich schlief!
O weh! o weh!
Wenn ich in den Himmel seh,
seh ich zwei blaue Augen stehn!
O weh! o weh!
Wenn ich im gelben Felde geh,
seh ich von fern das blonde Haar
im Winde wehn!
O weh! o weh!
Wenn ich aus dem Traum auffahr
und höre klingen ihr silbern Lachen,
o weh! o weh!
Ich wollt, ich läg auf der schwarzen Bahr,
könnt nimmer die Augen aufmachen!
Die zwei blauen Augen von meinem Schatz,
die haben mich in die weite Welt geschickt.
Da musst ich Abschied nehmen
vom allerliebsten Platz!
O Augen, blau!
Warum habt ihr mich angeblickt?
Nun hab ich ewig Leid und Grämen!
Ich bin ausgegangen in stiller Nacht,
in stiller Nacht wohl über die dunkle Heide.
Hat mir niemand ade gesagt, ade!
Mein Gesell war Lieb und Leide!
Auf der Straße stand ein Lindenbaum,
da hab ich zum erstenmal im Schlaf geruht!
Unter dem Lindenbaum, der hat
seine Blüten über mich geschneit,
da wusst ich nicht, wie das Leben tut,
war alles, ach alles wieder gut!
Alles! Alles! Lieb und Leid!
Und Welt und Traum!
Die Liedtexte
La fabbrica illuminata
Text von Giuliano Scabia und Cesare Pavese
I. Coro iniziale
Fabrik der Toten wird sie genannt
Arbeiter sind ausgesetzt
den Verbrennungen
den Giftgasen
den Mengen von geschmolzenem Stahl
Die Arbeiter sind ausgesetzt
möderischer Hitze
Acht Stunden Arbeit – Lohn nur für zwei
Die Arbeiter sind ausgesetzt
herumfliegenden Trümmern
»Menschenrechte« zur Beschleunigung der Produktion
Arbeiter sind ausgesetzt
Unfällen
blendendem Licht
Hochspannungsstrom
Wie viele MENSCH-MINUTEN zum Sterben?
II. Giro del letto
(So bezeichnet man ein Paar, dass aufgrund von Schichtarbeit kaum noch
zusammenleben kann.)
Und sie hören nicht auf
HÄNDE
angreifen
UNBARMHERZIG
wie leer die Stunden
Zum KÖRPER
nackt greifen sie
Ziffernblätter Gesichter sie halten nicht ein
Sie starren
SIE STARREN unbewegliche Augen Augen Hände
Abends
um das Bett
Alle meine Nächte
nur trockene Orgasmen
Alle Städte
der Toten
LEBEN
Wir
PROTESTIEREN
unaufhörlich
Die Menge wächst, sie spricht vom TOTEN
Sie nennen die Kabine das GRAB
Produktionszeit wird zusammengedrückt
Fabrik wie ein KZ
GETÖTET
III. Finale
Die Morgen werden vergehen
Die Ängste werden verschwinden
Es wird nicht immer so bleiben
Du wirst etwas entdecken
Porträt der Mitwirkenden
ensemble unitedberlin
Das 1989 gegründete Ensemble – Sinnbild der wiedergewonnenen Verbindung von Musik und Musikern in der lange geteilten Stadt – begleitet mit
Gastkonzerten auf Festivals Neuer Musik in Albanien, Brasilien, Israel, Polen,
Russland, Spanien, Südkorea, China, Ungarn und in der Schweiz die regelmäßige Arbeit in Berlin. Engagements u. a. bei der Biennale Venedig, beim
Steirischen Herbst in Graz und in der Deutschen Akademie Villa Massimo in
Rom. Integrale Aufführungen im Bereich der neuesten Musik, eingebettet in
den Kontext des modernen Kammermusikrepertoires – von Schönberg und
Webern bis zu Nono und Cage. Zahlreiche Konzertprogramme in enger
Zusammenarbeit mit Komponisten wie Vinko Globokar, Wolfgang Rihm,
Mauricio Kagel, Christian Wolff, Toshio Hosokawa, Helmut Lachenmann
und György Kurtág. Die Aufführungen wurden von den Komponisten in der
Erarbeitung betreut und mit Vorträgen, instrumentalen Workshops und
Dokumentarprojekten ergänzt.
Ein besonderes Merkmal des ensemble unitedberlin ist die spartenübergreifende Arbeit. Die fünfteilige Reihe »Musik im Dialog: Farbe, Form, Figur«
widmete sich den Bezügen zwischen bildender Kunst und Musikstücken der
letzten fünfzig Jahre. In Vinko Globokars Musiktheaterwerk »Les Emigrés«
werden Fotografie und Film als Gattungen des szenografischen Geschehens
integriert, in Schönbergs »Die glückliche Hand« und Karl Amadeus Hartmanns »Simplicius Simplicissimus« das Theater. In der letzten Saison im
Konzerthaus Berlin vierteilige Reihe »Vom Gehorsam. Von der Verweigerung« (Werke u. a. von Lutz Glandien, Helmut Zapf, Jakob Ullmann und Nicolaus Richter de Vroe) sowie u. a. ein Projekt mit neuen Kompositionen für ein
Ensemble aus asiatischen und europäischen Musikinstrumenten und ein Porträtkonzert mit Werken von Vinko Globokar unter Beteiligung des Komponisten. Im September 2010 spielte das ensemble unitedberlin mit dem Tenor
Markus Schäfer und unter der Leitung von Vladimir Jurowski im Konzerthaus Berlin »Schuberts Winterreise« von Hans Zender.
www.unitedberlin.de
Martin Glück Flöte
Erich Wagner Klarinette
Yoriko Ikeya Klavier
Akiko Yamashita Harmonium
Friedemann Werzlau Percussion
Andreas Bräutigam Violine
Stephan Kalbe Violine
Jean-Claude Velin Viola
Lea Rahel Bader Violoncello
Matthias Bauer Kontrabass
Porträt der Mitwirkenden
Ferenc Gábor
stammt aus Siebenbürgen und begann seine musikalische Karriere als Bratschist.
Von 1986 bis 1994 war er Vollmitglied des Israel Philharmonic Orchestra,
seither ist er Solo-Bratschist des Konzerthausorchesters Berlin (ehem. Berliner
Sinfonie-Orchester). Als Gastdirigent tritt Ferenc Gábor weltweit auf. Er dirigiert
verschiedene große Sinfonie-Orchester, Opernensembles sowie auch kleinere
Ensembles mit besonderer Besetzung wie die Bochumer Symphoniker, das Konzerthausorchester Berlin, das Konzerthaus Kammerorchester Berlin, das Kammerensemble der Berliner Philharmoniker BPO, das Savaria Sinfonie-Orchester,
das National Sinfonieorchester Costa Rica und das Transilvania-PhilharmonieOrchester Cluj. Regelmäßig Zusammenarbeit mit dem ensemble unitedberlin.
Als Dirigent und als Dozent an der Hochschule für Musik »Hanns Eisler« Berlin
leitet er verschiedene Projekte mit zahlreichen Jugendorchestern und Ensembles
wie z. B. das Jugendfestspieltreffen Bayreuth oder das Landesjugendorchester
NRW. Seit 2004 nimmt er an den Projekten der Jungen Deutsche Philharmonie teil. Dirigate von Opern und Orchesterwerken des 20. Jahrhunderts sowie
zahlreiche Uraufführungen unterstreichen seinen Ruf als hervorragender
Interpret Neuer Musik. 2003 CD-Produktion bei Hungaroton Classic. Seit 2002
arbeitet Ferenc Gábor mit dem Sinfonietta92 zusammen, 2007 gründete er das
Solistensemble Ligatura Berlin. Im Februar 2009 Leitung des Budapest Festival Orchesters in Toulouse in der beliebten Reihe »Les Grands Interprètes«.
Ksenija Lukiç
studierte in ihrer Heimat Serbien Gesang sowie italienische Sprache und
Literatur. Weitere Studien in Siena und an der HdK Berlin. Im lyrischen und
Koloratur-Fach sang sie nahezu 60 Partien an verschiedenen Theatern in
Deutschland. Solistisches Auftreten bei zahlreichen Festivals (Berliner Festwochen, Edinburgh Festival, Weltmusiktage Seoul, Biennale Berlin, Biennale
und EXPO Hannover, MDR Musiksommer, Weimarer Kulturfest, Ruhrfestspiele Recklinghausen, Huddersfield, Strasbourg) sowie u. a. in der Berliner
Philharmonie, der Kölner Philharmonie, im Gewandhaus Leipzig, im Konzerthaus Wien, im Auditorio National in Barcelona und Madrid. Im Konzerthaus Berlin u. a. mit dem RSO die Titelpartie der Oper »Wenn Sardakei auf
Reisen geht« von Ernst Krenek (Auszeichnung der Aufnahme mit dem EchoKlassik Preis 2007). 2005 Mitwirkung bei der Inszenierung »Seven attempted
escapes from silence« an der Deutschen Staatsoper.
Im Bereich der Neuen Musik trat Ksenija Lukiç mehrfach mit dem Ensemble
Modern, der Musikfabrik NRW, dem Ensemble Recherce, dem ensemble unitedberlin und dem KNM Berlin auf. Zahlreiche Uraufführungen. Bei der Berliner
MaerzMusik sang sie in »Michaels Jugend« sowie bei den Salzburger Festspielen
2003 in der Uraufführung von »Düfte-Zeichen« (»Sonntag aus Licht«) von
Porträt der Mitwirkenden
Stockhausen. 2007 Titelpartie der Amada in Sánchez-Verdùs Oper »El viage a
Simorgh« am Tetro Real in Madrid. Zahlreiche Rundfunk- und CD Aufnahmen.
Sebastian Bluth
studierte Gesang an der Hochschule für Musik »Hanns Eisler« und Kirchenmusik an der Universität der Künste Berlin. Er besuchte die Lied-Klasse von
Dietrich Fischer-Dieskau und ergänzte seine Studien bei Elisabeth Schwarzkopf und Peter Schreier. Preisträger des Meistersängerwettbewerbs Nürnberg.
Liederabend-Debüt bei der Schubertiade Feldkirch. Zusammenarbeit u. a. mit
dem Thomanerchor Leipzig, dem Kreuzchor Dresden, dem Gewandhausorchester und der Akademie für Alte Musik sowie Dirigenten wie Jörg-Peter
Weigle, Ludwig Güttler, Dietrich Fischer-Dieskau, Michail Jurowski und
Georg Christoph Biller. Auftritte in Deutschland (u. a. Gasteig München,
Hamburger Musikhalle, Berliner und Kölner Philharmonie, Dresdener Musikfestspiele, Bachfest Leipzig, Kurt Weill Festspiele, Bachwoche Ansbach, Alte
Oper Frankfurt), in weiteren europäischen Ländern, Israel und Südamerika
(u. a. Teatro Colon/Buenos Aires und Teatro Solis/Rio de Janeiro)
Repertoire von barocken Opern über romantische Oratorien bis hin zu
Uraufführungen zeitgenössischer Musik. Zahlreiche Rundfunk- und CD-Produktionen bei den Labels ARTS, NAXOS und CPO – u. a. Werke von Johann
Sebastian Bach, Carl Philipp Emanuel Bach, Robert Schumann (»Dichterliebe«), Georg Schumann und Georg Gebel (Johannes-Passion, nominiert für
den Preis der Deutschen Schallplattenkritik).
Winfried Wagner
wurde 1937 in Sebnitz geboren, sang bei den Dresdner Kapellknaben und
besuchte die Kreuzschule. Nach dem Abitur Studium an der Theaterhochschule
Leipzig. Erste Engagements führten ihn nach Meiningen und Weimar, bevor er
1963 Mitglied der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin wurde. Hier
u. a. unter Benno Besson, Frank Castorf und Christoph Marthaler zahlreiche Rollen – 1983 erhielt er für den Kassierer in Georg Kaisers »Von morgens bis mitternachts« den Kritikerpreis für die beste männliche Darstellung. Tätigkeit als Synchronsprecher und Mitwirkung bei Filmen des Fernsehens der DDR sowie später
in Produktionen wie »Tatort« und »Liebling Kreuzberg«. Nach der Wende
leitete Winfried Wagner 1990/91 die Volksbühne als Amtierender Intendant.
Im musikalischen Bereich Zusammenarbeit u. a. mit der Berliner Singakademie und dem Konzerthausorchester Berlin (Berliner Sinfonie-Orchester) –
so etwa 2002 bei der Uraufführung von Georg Katzers »Medea in Korinth«
nach Christa Wolf. Ebenfalls im Konzerthaus 2004 Mitwirkung bei der Produktion »Die Weise von Liebe und Tod des Cornets Christoph Rilke« von
Viktor Ullmann.
Vorankündigung
Dienstag,
17.5.2011
20.00 Uhr Kleiner Saal
Ensemble Resonanz
Emilio Pomàrico
Maite Beaumont Mezzosopran
Andrew Kennedy Tenor
Gustav Mahler Adagio aus der Sinfonie Nr. 10, für Streicher bearbeitet von
Hans Stadlmair; »Das Lied von der Erde«, für Tenor, Alt und Kammerensemble
bearbeitet von Arnold Schönberg und Rainer Riehn
Hanns Eisler »Gesang des Abgeschiedenen« nach altjapanischer Lyrik für
mittlere Stimme und Ensemble
Mittwoch,
18.5.2011
20.00 Uhr Kleiner Saal
Iris Vermillion Mezzosopran
Dominique Horwitz Sprecher
Charles Spencer Klavier
»Ich kann keinen verneinen« – Ein musikalisch-literarisches Programm um
Alma Mahler mit Liedern von Richard Wagner, Alma Mahler, Gustav
Mahler, Arnold Schönberg, Kurt Weill u. a.
Eine Produktion der Tonhalle Düsseldorf,
Dramaturgie: Elisabeth von Leliwa
Sonntag,
22.5.2011
ab 10.00 Uhr in allen Sälen
Tag der offenen Tür
Ein Fest für die ganze Familie
Alljährlich versetzt der Tag der offenen Tür das Konzerthaus Berlin für einige
Stunden in eine Art fröhlichen »Ausnahmezustand«. Bei freiem Eintritt werden Kurzkonzerte und Instrumentenvorführungen geboten, Orchester und
Chöre geben Proben ihres Könnens, es gibt Kinderprogramme, aber auch Ausstellungen und jede Menge Informationen zur kommenden Saison.
Ein Höhepunkt wird der Auftritt unseres Publikumsorchesters sein, wenn
Lothar Zagrosek mit den Laienmusikerinnen und -musikern Sätze aus Tschaikowskys »Nussknacker-Suite« einstudieren und zur Aufführung bringen wird.
Mit dem Tag der offenen Tür unterstützt das Konzerthaus Berlin den Aktionstag
»Kultur gut stärken«.
Für die Bereitstellung der Blumensträuße
für die Künstler des Abends danken wir
IMPRESSUM
Herausgeber Konzerthaus Berlin
Intendant Prof. Dr. Sebastian Nordmann
Text Jens Schubbe
Redaktion Andreas Hitscher
Titelfotografie Christian Nielinger
Abbildungen Archiv KHB (3)
Reinzeichnung und Herstellung REIHER Grafikdesign & Druck
2,30 €
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