Drucksache 15/3757 12. 03. 2002 Zur Behandlung im Plenum vorgesehen Antrag der Abg. Hahn, Henzler, Denzin, Beer, Heidel und von Hunnius (FDP) betreffend verantwortungsbewusster Umgang mit Stammzellenforschung und Präimplantationsdiagnostik (PID) Der Landtag hat am 17. November vergangenen Jahres ein Symposium zur Stammzellenforschung und Präimplantationsdiagnostik (PID) mit namhaften Fachleuten veranstaltet. Ihre Beiträge ermöglichten einen sachlichen Dialog unter Berücksichtigung aller wissenschaftlichen und ethisch-moralischen Aspekte. Dabei wurde deutlich, dass jeder Schritt in diesem Gebiet eine schwierige Abwägung zwischen Forschungsfreiheit, Hilfe für schwerkranke Patienten und der Würde des werdenden Lebens darstellt. Der Landtag wolle beschließen: A. Stammzellenforschung Der Landtag sieht in der Stammzellenforschung eine große Chance zur Erforschung von Heilungsmöglichkeiten für schwere Krankheiten. Um das Ve rständnis für die Funktion der Zellprogrammierung zu gewinnen, ist hierbei auch die Forschung an embryonalen Stammzellen unter strengen Auflagen unverzichtbar. Embryonale Stammzellen beinhalten gegenüber den Stammzellen von Erwachsenen nach derzeitigem Wissensstand erheblich mehr Potenzial für die Forschung. Sie sind daher in der Grundlagenforschung nötig, um weitere Erkenntnisse gewinnen zu können. Dabei geht es um eine Forschung, die einer nachdrücklichen Forderung von Humanität und Ethik entspricht. Zudem gilt es zu bedenken, dass für die Stammzellenforschung an embryonalen Zellen wenige Zelllinien genügen. Eine massenhafte Produktion ist weder notwendig noch wünschenswert. Gleichzeitig gibt es in Deutschland derzeit einige Dutzend so genannter "verwaister" Embryonen, die in aller Regel dem Tod durch Absterben preisgegeben sind. Vor diesem Hintergrund erscheint es ethisch wie rechtlich vertretbar, solche Embryonen nicht einfach zu "verwerfen", sondern einer streng kontrollierten Stammzellenforschung zur Verfügung zu stellen. Daraus ergeben sich für den Landtag folgende Konsequenzen: 1. Der Landtag fordert, die begrenzte Herstellung von Zelllinien auch in Deutschland zu ermöglichen. Dies soll dazu dienen, das Verständnis für die Mechanismen der Reprogrammierung von Zellen zu verbessern. Langfristig soll erreicht werden, dass adulte Stammzellen des Patienten selbst umgewandelt und zur Therapie gegen Krankheiten verwendet werden können. 2. Der Landtag befürwortet daher in engen Grenzen eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes, um die Stammzellenforschung zu ermöglichen. Zu diesem Zweck soll einem extrakorporal erzeugten menschlichen Embryo bis zum achten Tag seit der Kernverschmelzung Stammzellen unter folgenden Voraussetzungen entnommen werden können: Eingegangen am 12. März 2002 · Ausgegeben am 14. März 2002 Druck und Auslieferung: Kanzlei des Hessischen Landtags · Postfach 3240 · 65022 Wiesbaden 2 Hessischer Landtag · 15. Wahlperiode · Drucksache 15/3757 a) Die Pronuclei oder Embryonen wurden ursprünglich mittels künstlicher Befruchtung zum Zwecke der Herbeiführung einer Schwangerschaft erzeugt und können hierfür nicht mehr verwendet werden. Die Herstellung von Pronuclei oder Embryonen zu Forschungszwecken muss weiterhin ebenso verboten bleiben wie das reproduktive Klonen und die Erzeugung von Mischwesen; sie dienen keinem ethisch vertretbaren Zweck. b) Die Stammzellen sind dazu bestimmt, einer Forschung zu dienen, die zur Entwicklung möglicher Heilverfahren für die Behandlung lebensbedrohlicher Krankheiten nach dem Stand der Wissenschaft erforderlich erscheint, d.h. dass die wissenschaftliche Notwendigkeit dieser Arbeiten und das Fehlen von Alternativen eindeutig dargetan sind. c) Über Forschungsvorhaben muss eine unabhängige, mit Vertretern verschiedener gesellschaftlicher Gruppen besetzte Kommission entscheiden. Als Vorbild für eine solche unabhängige Entscheidungsinstanz eignet sich das Modell der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS). d) Frauen, die eine In-vitro-Fertilisation wünschen und bei denen die dabei anfallenden überzähligen befruchteten Eizellen zur Fo rschung verwendet werden könnten, sind vorher von Ärzten, die nicht selbst die Stammzellenforschung durchführen, umfassend über Zweck und Methoden der Forschung aufzuklären und zu beraten. Die Forschung darf nur nach einer schriftlichen Zustimmung durchgeführt werden. Gleiches muss auch für den Samenspender gelten. 3. Der Landtag fordert, dass darüber hinaus der Import embryonaler Stammzellen weiterhin möglich bleiben muss. Aus Gründen der Rechtssicherheit ist hierzu eine Ergänzung des Embryonenschutzgesetzes vorzunehmen, die sich an den vorgenannten Grundsätzen orientiert. 4. Das novellierte Embryonenschutzgesetz soll auf fünf Jahre nach seinem In-Kraft-Treten befristet werden. Bis zu diesem Zeitpunkt soll überprüft werden, ob der dann erreichte Stand der Medizin und der Wissenschaft z.B. die alleinige Forschung an adulten Stammzellen rechtfertigt und die Forschung an embryonalen Stammzellen daher obsolet wird, mit der Folge, die Erlaubnis zur Forschung daran zu widerrufen. 5. Der Landtag befürwortet, dass in einem ersten Schritt die Stammzellenforschung mit embryonalen Stammzellen nur an einzelnen und besonderer Aufsicht unterstehenden Forschungsinstituten und Universitäten betrieben wird. Transparenz der Forschung ist dabei eine unverzichtbare Voraussetzung. Hierzu wird ein Stammzellenforschungsregister eingerichtet. Ferner ist regelmäßig über den Fortgang des Vo rhabens zu berichten. Eine Kooperation der außeruniversitären Forschungsinstitute mit den Hochschulen ist anzustreben. 6. Auch die Forschung mit Stammzellen von Erwachsenen und mit Stammzellen aus Nabelschnurblut kann wichtige Erkenntnisse bringen, daher soll sie verstärkt gefördert werden. Der Landtag erwartet nicht innerhalb weniger Jahre einen Durchbruch in der Embryonenforschung. Es geht aber auch darum, Deutschland nicht aus einem für das 21. Jahrhundert wichtigen Forschungsgebiet abzukoppeln. B. Präimplantationsdiagnostik (PID) Die Zulässigkeit der Pränataldiagnostik (PND) mit der sich anschließenden Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch nach den §§ 218 ff. StGB steht im Kontrast zum Embryonenschutzgesetz und dessen absoluten Schutz des extrakorporal erzeugten menschlichen Embryos bis zum Transfer in den Mutterleib, der eine Präimplantationsdiagnostik (PID) zurzeit verhindert. Vor diesem Hintergrund hält es der Landtag für nicht länger hinnehmbar, Paare mit Prädispositionen für schwere Erbkrankheiten weiterhin auf den Weg einer "Schwangerschaft auf Probe" zu verweisen. Hessischer Landtag · 15. Wahlperiode · Drucksache 15/3757 Der Landtag spricht sich daher für eine Präimplantationsdiagnostik aus, die Familien mit hohen genetischen Risikofaktoren die Möglichkeit bietet, ein Kind zu bekommen, das die Erbkrankheit nicht hat. Diese Chance darf schwer belasteten Paaren nicht versagt werden bzw. sie dürfen nicht gezwungen werden, Hilfe im Ausland zu suchen. Gleichzeitig ist zu gewährleisten, dass die Achtung vor Menschen mit geistigen, seelischen und körperlichen Beeinträchtigungen in vollem Umfang erhalten bleibt. Vor diesem Hintergrund fordert der Landtag: 1. Für Ärzte und Paare muss endlich Rechtssicherheit geschaffen werden. Der Umgang mit der Präimplantationsdiagnostik muss im Rah men eines Fortpflanzungsmedizingesetzes geregelt werden. Hierbei sind der Stand der medizinischen Wissenschaft und der ethischen Diskussion zugrunde zu legen. Insbesondere ist die Möglichkeit zu würdigen, mithilfe der Präimplantationsdiagnostik zum frühest möglichen Zeitpunkt schwerste genetische Schäden von Kindern zu verhüten sowie genetisch schwer vorbelasteten Paaren mit Kinderwunsch diese Methode der Fortpflanzung in Deutschland zu eröffnen. 2. Es muss sichergestellt werden, dass eine generelle Anwendung der PID verhindert wird. Hierzu sind eine Kodifizierung strenger medizinischer Zulassungskriterien und eine strafrechtliche Bewehrung notwendig. In jedem Einzelfall ist durch eine unabhängige Kommission über die Zulässigkeit der Anwendung der PID zu entscheiden. 3. Eine umfassende, qualifizierte Beratung und eine sowohl medizinische als auch psychotherapeutische Betreuung sind sicherzustellen. 4. Die Entscheidung über den Transfer des untersuchten Embryos hat letztlich allein bei dem betroffenen Paar, im Konfliktfall bei der Mutter, zu liegen. Wiesbaden, 12. März 2002 Hahn Henzler Denzin Beer Heidel von Hunnius 3