Fachhochschule Dortmund Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften Studiengang Soziale Arbeit Wintersemester 2012 / 2013 Die Darstellung psychischer Störungen in fiktionalen Kino- und Fernsehfilmen - unter besonderer Berücksichtigung von gestörtem Essverhalten Abschlussarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Bachelor of Arts B.A. Vorgelegt von Anne Sibylle Koch Matrikelnummer 7078444 [email protected] Dortmund, im Januar 2013 Erstleser: Prof. Dr. Helmut Diederichs Zweitleserin: Dr. Anne Ziesenitz Zusammenfassung ............................................................................................5 1. Einleitung .....................................................................................................6 2. Psychische Störungen ................................................................................9 2.1 Klassifikation psychischer Störungen..............................................9 2.2 Der Begriff der „Psychischen Störung“..........................................10 2.3 Essstörungen als psychische Störung...........................................11 3. Störungen des Essverhaltens und Möglichkeiten der Therapie.............15 3.1 Anorexie............................................................................................15 3.1.1 Diagnostik, Verlauf und Prognose ....................................................15 3.1.2 Geschichtlicher Hintergrund und Epidemiologie ...............................19 3.1.3 Ätiopathogenese ..............................................................................20 3.1.4 Therapieansätze...............................................................................23 3.2 Bulimie ..............................................................................................26 3.2.1 Diagnostik, Verlauf und Prognose ....................................................26 3.2.2 Geschichtlicher Hintergrund und Epidemiologie ...............................29 3.2.3 Ätiopathogenese ..............................................................................30 3.2.4 Therapieansätze...............................................................................31 3.3 Weitere Essstörungen......................................................................32 3.3.1 Binge-Eating-Störung .......................................................................32 3.3.2 Pica ..................................................................................................35 3.3.3 Ruminationsstörung..........................................................................36 3.4 Adipositas.........................................................................................37 3.4.1 Geschichtlicher Hintergrund und Epidemiologie ...............................37 3.4.2 Diagnostik, Verlauf und Prognose ....................................................39 3.4.3 Ätiopathogenese ..............................................................................41 3.4.4 Therapieansätze...............................................................................43 4. Analyse der Darstellung von gestörtem Essverhalten in fiktionalen Kino- und Fernsehfilmen ........................................................45 4.1 Vorgehensweise ...............................................................................45 4.2 Filme zu der Thematik „Anorexie“ ..................................................46 4.2.1 Filmübersicht ....................................................................................46 4.2.2 Darstellung des Krankheitsbildes......................................................48 4.2.3 Darstellung der ätiopathologischen Faktoren....................................55 4.2.4 Darstellung der therapeutischen Maßnahmen ..................................57 4.2.5 Zusammenfassung ...........................................................................60 2 4.3 Filme zu der Thematik „Bulimie“.....................................................62 4.3.1 Filmübersicht ....................................................................................62 4.3.2 Darstellung des Krankheitsbildes......................................................63 4.3.3 Darstellung der ätiopathologischen Faktoren....................................66 4.3.4 Darstellung der therapeutischen Maßnahmen ..................................68 4.3.5 Zusammenfassung ...........................................................................69 4.4 Filme zu der Thematik „Adipositas“ ...............................................70 4.4.1 Filmübersicht ....................................................................................70 4.4.2 Darstellung des Krankheitsbildes......................................................72 4.4.3 Darstellung der ätiopathologischen Faktoren....................................76 4.4.4 Darstellung der therapeutischer Maßnahmen ...................................85 4.4.5 Zusammenfassung ...........................................................................85 5. Fazit ............................................................................................................86 Filmverzeichnis................................................................................................88 Literaturverzeichnis.........................................................................................89 3 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Hinweise auf Essstörungen bei Jugendlichen ............................... 6 Abbildung 2: Todesfälle aufgrund von Essstörungen in Deutschland................. 7 Abbildung 3: Kategorisierung psychischer Störungen in der ICD-10 und dem DSM-IV......................................................................... 10 Abbildung 4: Ätiologische Faktoren einer Essstörung……………………………12 Abbildung 5: Dysorexie-Dysponderosis-Kontinuum……………………………...13 Abbildung 6: Übersicht über die Ätiologiefaktoren der Anorexia Nervosa ........ 22 Abbildung 7: Übersicht über die Ätiologiefaktoren der Bulimia Nervosa........... 31 Abbildung 8: Anteil erwachsener Adipöser in der deutschen Bevölkerung....... 38 Abbildung 9: Altersverteilung adipöser Kinder in Deutschland......................... 39 Abbildung 10: Übersicht über die Ätiologiefaktoren bei Adipositas .................... 41 Abkürzungsverzeichnis BMI Body-Mass-Index ICD(-10) International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems; Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (10. Auflage) DSM(-IV) Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders; Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen (4. Auflage) WHO World Health Organisation; Weltgesundheitsorganisation 4 Zusammenfassung Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, wie psychische Störungen – speziell gestörtes Essverhalten – in fiktionalen Kino- und Fernsehfilmen dargestellt werden. Dafür werden im ersten Teil der Arbeit der Begriff einer psychischen Störung erläutert, Kriterien der Diagnoseklassifikationssysteme ICD-10 und DSM-IV dargelegt, sowie die Krankheitsbilder von Anorexie, Bulimie, Adipositas und weiterer Essstörungen dargestellt. Diese Darstellungen beinhalten Ausführungen zu Faktoren, die eine Essstörung begünstigen, auslösen und / oder aufrechterhalten können. Ergänzt werden sie um die Beschreibungen möglicher therapeutischer Maßnahmen. Der zweite Teil der Arbeit beschäftigt sich mit der Analyse von dreizehn Kinound Fernsehfilmen hinsichtlich der filmischen Darstellung gestörten Essverhaltens. Es werden die Darstellungen des Krankheitsbildes, der ätiopathologischen Faktoren sowie der im Film stattfindenden therapeutischen Maßnahmen untersucht und mit den theoretischen Grundlagen des ersten Teils verglichen. Summary The present paper is trying to answer the question how mental-health problems especially eating disorders - are being illustrated in fictional cinema films and TVproductions. In the first part of the thesis descriptions of a psychogenic disorder are given and the criteria of diagnostic classification systems ICD-10 and DSM-IV is explained. Furthermore disease patterns of anorexia, bulimia, adiposity and other eating disorders are presented including various factors that could abet, provoke and / or abide an eating disorder supplemented by the descriptions of possible therapeutic measures. The second part of the thesis analyses thirteen cinema films and TV-productions concerning the filmic presentation of eating disorders. Illustrations of the disease pattern, aetiopathologenical factors as well as therapeutic treatments presented in the film are examined. This analysis is compared to the theoretical basis as outlined in the first part of the paper. 5 1. Einleitung Begriffe wie „gesund“, „jung“ und „schön“ bestimmen gegenwärtig das gesellschaftliche Ideal und werden von allen Medien übereinstimmend verbreitet. Dabei spielt ein schlanker Körper als idealisiertes Körperbild eine überragende Rolle. In den Massenmedien finden sich unzählige Veröffentlichungen, die den Konsumenten das Erreichen dieses Schönheitsideals auf vielfältige, zum Teil unsinnige oder gesundheitsschädliche Weise verheißen. Das Erreichen des gängigen Schönheitsideals wird vor allem in der Werbung mit persönlich erstrebenswerten Attributen wie erfolgreich, attraktiv oder glücklich verknüpft und setzt besonders Mädchen und Frauen unter Druck.1 Diesem Idealbild zu entsprechen, und es auf gesundheitsverträgliche Weise zu erlangen, gelingt vielen Menschen jedoch oft nicht. Trotzdem wird sein Erreichen als Ziel angestrebt und zum Maßstab des persönlichen Erfolges und der sozialen Anerkennung gemacht. Im Umkehrschluss werden übergewichtige Menschen stigmatisiert. Die negativen Auswirkungen dieser Bestrebungen sind in der Zunahme von Essstörungen jeglicher Art zu sehen. Dass Über- und Untergewicht in der Gesellschaft insbesondere bei Kindern und Jugendlichen ein zunehmendes Problem werden, veranschaulicht Abbildung 1, die Ergebnisse der KiGGS Studie (2003-2006) wiedergibt. Hinweise auf Essstörungen bei Jugendlichen 40 35 Häufigkeit (in %) 30 25 20 15 10 5 0 11 12 13 14 Alter (in Jahren) 15 16 17 weiblich Abbildung 1: Hinweise auf Essstörungen bei Jugendlichen männlich 2 1 Siehe: Jäger, Burkard: Soziokulturelle Aspekte der Essstörungen. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 77 f 2 Datenquelle: Statistisches Bundesamt URL <http://de.statista.com/statistik/daten/studie /938/umfrage/essstoerungen-bei-jungen/> und URL <http://de.statista.com/statistik/daten/ studie/937/umfrage/essstoerungen-bei-maedchen/> Stand 26.12.2012 6 So lassen sich bei einer Vielzahl von Jugendlichen bereits Hinweise auf eine Essstörung finden. Durchschnittlich 15% der Jungen und 28% der Mädchen im Alter von 11-17 Jahren sind betroffen. Außerdem ist ein geschlechterspezifischer Unterschied zu erkennen: Die Häufigkeit auf Hinweise einer Essstörung bei Jungen nimmt mit zunehmendem Alter ab, bei Mädchen jedoch steigt sie mit zunehmendem Alter an. Eine weitere Untersuchung belegt, dass 56% der 13- bis 14 Jährigen gerne dünner wären.3 Abbildung 2 verdeutlicht, wie viele Menschen aufgrund einer Essstörung in den Jahren 1998 bis 2011 in Deutschland verstorben sind. Im Jahr 1998 starben 33 Menschen an einer Essstörung. Innerhalb von zehn Jahren hat sich die Anzahl nahezu verdreifacht. Trotz des leichten Rückgangs in den Jahren 2009 bis 2011 ist jedoch die steigende Tendenz der Anzahl an Todesfälle deutlich zu erkennen. Diese Tendenz erklärt, warum Essstörungen als Krankheitsbild in den letzten Jahren in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt sind. Essstörungen - Todesfälle in Deutschland 100 100 85 77 80 77 82 72 Todesfälle 64 57 60 49 45 41 40 40 36 33 20 0 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Jahr Abbildung 2: Todesfälle aufgrund von Essstörungen in Deutschland 4 3 Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung: Körperliche und seelische Gesundheit schon bei Kindern eine Einheit. Pressemitteilung vom 06.04.2001. URL <http://www. bzga.de/botpresse_55.html> Stand 26.12.2012 4 Datenquelle: Statistisches Bundesamt URL <http://de.statista.com/statistik/daten/studie/ 28905/umfrage/todesfaelle-durch-essstoerungen/> Stand 26.12.2012 7 Schon während des Studiums der Oecotrophologie, beschäftigte sich die Autorin mit dem Krankheitsbild der Essstörungen. Das Studium der Sozialen Arbeit führte zu einer erweiterten Sichtweise des Krankheitsbildes. Durch die im Studium gewählte Vertiefungsrichtung der Medienpädagogik entschied sich die Autorin ihre Abschlussarbeit über „Die Darstellung psychischer Störungen in fiktionalen Kinound Fernsehfilmen - unter besonderer Berücksichtigung von gestörtem Essverhalten“ zu schreiben. Ausgehend von der oft geäußerten Kritik an den Medien, sie würden psychische Störungen fehlerhaft darstellen,5 soll die Art und Weise der Darstellung von Essstörungen gezielt untersucht werden. Um einen Überblick über psychische Störungen zu geben wird zu Beginn der Arbeit die Klassifikation dieser Störungen in zwei relevanten diagnostischklassifikatorischen Systemen vorgestellt. Es folgen Erläuterungen zum Begriff der psychischen Störung. Dem weiteren Verlauf der Arbeit liegen die Fragen zugrunde, welche Formen von Essstörungen auftreten können, und wie sie sich voneinander unterscheiden. Ausführungen zu Symptomen, Krankheitsverläufen, möglichen Therapieansätzen und spezifischen Einflussgrößen auf die Entstehung der einzelnen Essstörungen sowie der Adipositas schließen sich an. Der zweite Teil der Arbeit geht der Frage nach, inwieweit gestörtes Essverhalten in fiktionalen Kino- und Fernsehfilmen sichtbar wird und den Ausführungen des vorangegangen Theorieteils der Arbeit entspricht. Dafür werden dreizehn ausgewählte Filme hinsichtlich der Darstellung der Krankheitsbilder, der ätiopathologischen Faktoren sowie der therapeutischen Maßnahmen analysiert. Den Schluss der Arbeit bildet eine Auswertung der Analyseergebnisse. Wegen der überwiegenden Erkrankung von Frauen an Essstörungen wird generell die weibliche Form in der Namensbenennung genutzt. Alle Bezeichnungen beziehen jedoch die männliche Form mit ein. 5 Siehe: Wedding, Danny / Boyd, Mary Ann / Niemiec, Ryan M.: Psyche im Kino. Wie Filme uns helfen, psychische Störungen zu verstehen. Bern: Huber, 2011, S. 25 8 2. Psychische Störungen 2.1 Klassifikation psychischer Störungen Die Klassifikation psychischer Störungen stellt für die Wissenschaft eine große Herausforderung dar. Im Laufe der Zeit wurden zwei relevante diagnostischklassifikatorische Systeme angefertigt, die zum medizinischen Standard wurden: die ICD (engl.: International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) und das DSM (engl.: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders). Beide Systeme versuchen für Krankheiten einheitliche Bezeichnungen und Diagnosekriterien zu entwickeln und bestehen nebeneinander. Die ICD ist die „Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme“ und das wichtigste, weltweit anerkannte Diagnoseklassifikationssystem der Medizin. Die aktuelle, international gültige Ausgabe ist ICD-10, Version 2011. Das DSM ist das „Diagnostische und Statistische Manual Psychischer Störungen“, ein nationales Klassifikationssystem der Vereinigten Staaten von Amerika. Aktuell liegt die vierte Auflage DSM-IV vor, die 1994 veröffentlicht wurde. Das Manual wird von der American Psychiatric Association herausgegeben, beinhaltet teilweise speziellere und genauere diagnostische Kriterien als die ICD und berücksichtigt im Gegensatz zur ICD geschlechtsspezifische Unterschiede. Die ICD hingegen setzt ihren Schwerpunkt auf die internationale Anwendbarkeit. In der europäischen Psychiatrie ist die ICD weiter verbreitet als das DSM-IV, welches hingegen im amerikanischen Raum mehr Anklang findet.6 Ein grundlegender Unterschied der beiden Systeme ist, dass das DSM ausschließlich psychische Störungen listet, wohingegen die ICD-Kategorisierung alle Krankheiten aufführt und sie in Unterkapitel gliedert. Tabelle 1 gibt eine kurze Übersicht über die Einteilung der Kategorien in den beiden unter-schiedlichen Systemen und die Einordnung der jeweiligen psychischen Störungen.7 6 Siehe für den Absatz insgesamt: Köhler, Thomas: Psychische Störungen. Symptomatologie, Erklärungsansätze, Therapie. 2., überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Kohlhammer 2012, S. 16 f 7 Die weiteren Kapitel der ICD-Systematik sind Anlage 1 zu entnehmen; ein vertiefender, allgemeiner Überblick über die verschiedenen psychischen Störungen findet sich in: Waller, Heiko: Sozialmedizin. Grundlagen und Praxis. 6., überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Kohlhammer 2007, S. 218-225 9 ICD-10, Kapitel V Psychische und Verhaltensstörungen DSM-IV F00-F09: Organische, einschließlich symptomatischer psychischer Störungen F10-F19: Psychische und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen F20-F29: Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen F30-F39: Affektive Störungen F40-F48: Neurotische, Belastungsund somatoforme Störungen F50-F59: Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren F60-F69: Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen F70-F79: Intelligenzstörung F80-F89: Entwicklungsstörungen F90-F98: Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend F99-F99: Nicht näher bezeichnete psychische Störungen 1. Störungen, die in Kindheit und Jugend auftreten 2. Delir, Demenz, amnestische und andere kognitive Störungen 3. psychische Störungen aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors 4. Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen 4. Schizophrenie und andere psychotische Störungen 5. Affektive Störungen 6. Angststörungen 7. Somatoforme Störungen 8. Vorgetäuschte Störungen 9. Dissoziative Störungen 9. Sexuelle und Geschlechtsidentitätsstörungen 10. Essstörungen 11. Schlafstörungen 12. Störungen der Impulskontrolle 13. Anpassungsstörungen 14. Persönlichkeitsstörungen 15. Andere klinisch relevante Probleme Abbildung 3: Kategorisierung psychischer Störungen in der ICD-10 und dem DSM-IV 2.2 8 Der Begriff der „Psychischen Störung“ Psychische Gesundheit wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wie folgt definiert: Mental health is not just the absence of mental disorder. It is defined as a state of well-being in which every individual realizes his or her own potential, can cope with the normal stresses of life, can work productively and fruitfully, and is able to make a contribution to her or his community. 9 Ein Umkehrschluss, der das Nicht-Erreichen dieses „state of well-being“ folglich zwingend als Zustand psychischer Erkrankung definiert, wäre allerdings wenig sinnvoll. Die menschliche Psyche ist schwer in ihrer Gesamtheit zu fassen, da sie 8 Dilling, Horst / Mombour, Werner/ Schmidt, Martin H. (Hrsg.): Internationale Klassifikation psychischer Störungen. ICD-10 Kapitel V (F). Klinisch diagnostische Leitlinien. 8., überarbeitete Auflage. Bern: Huber 2011, S. 43-66 und Saß, Henning / Wittchen, HansUlrich / Zaudig, Michael / Houben, Isabel: Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen. Textrevision DSM-IV-TR. Göttingen / Bern / Toronto / Seattle: Hogrefe 2003, S. 18 9 Weltgesundheitsorganisation <http://www.who.int/features/qa/62/en/index.html>, Stand 03.12.2012 10 in den meisten Fällen nicht nach außen getragen wird, sondern sich im Inneren des Menschen ausgestaltet. Psychische Erkrankungen zeichnen sich durch eine Vielzahl von verschiedensten Merkmalen aus, was eine einheitliche Definition erschwert. Hinzu kommt die Frage nach dem Normalen. Was als normal oder abweichend angesehen wird, ist von der die Person umgebenden Gesellschaft abhängig. So kann ein Verhalten, das „in einer Kultur als psychisch auffällig oder abweichend gilt, in einer anderen Kultur als normal angesehen oder zumindest toleriert werden“10.11 Liegt eine solche Abweichung vor, spricht man auch von einer Störung. Der Begriff der Störung ist in diesem Zusammenhang in den Erläuterungen zur ICD-10 als ein „klinisch erkennbare[r] Komplex von Symptomen oder Verhaltensauffälligkeiten [beschrieben], die immer auf der individuellen und oft auch auf der Gruppen- oder sozialen Ebene mit Belastung und mit Beeinträchtigung von Funktionen verbunden sind“12. Zu berücksichtigen ist, dass „soziale Abweichungen oder soziale Konflikte allein, ohne persönliche Beeinträchtigungen“13 nicht als psychische Störung gelten. 2.3 Essstörungen als psychische Störung Essen wird in besonderem Maße von individuellen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten geprägt. Es ist schwierig zu definieren, was ein normales Essverhalten ist und ab wann ein gestörtes Essverhalten bei jemandem vorliegt. Manche Menschen essen unregelmäßig, andere haben Heißhungeranfälle, wieder andere führen Diäten zur Gewichtsreduzierung durch. Dass solche Verhaltensweisen, obwohl sie dem eigenen Hunger-Sättigungs-Gefühl nicht entsprechen, nicht zwangsläufig als Essstörung klassifiziert werden, erscheint also mehr als sinnvoll. Es gibt demzufolge ein breites Spektrum an auffälligem, aber nicht pathologischem (im Sinne einer psychogenen Essstörung) Essverhalten, das in einer Gesellschaft toleriert wird. Welche Abweichungen akzeptiert werden, ist von den vorherrschenden sozialen und kulturellen Normierungen abhängig. 10 Waller, Heiko: Sozialmedizin. Grundlagen und Praxis, a.a.O., S. 217 Siehe für den Absatz: Waller, Heiko: Sozialmedizin. Grundlagen und Praxis, a.a.O., S. 217 12 Dilling, Horst et al. (Hrsg.): Internationale Klassifikation psychischer Störungen, a.a.O., S. 26 13 Dilling, Horst et al. (Hrsg.): Internationale Klassifikation psychischer Störungen, a.a.O., S. 26 11 11 Damit unterliegen Essstörungen in besonderem Maße soziokulturellen Einflüssen. Die Diagnose einer spezifischen Essstörung ist jedoch von der Art und Intensität der Ausprägung dieser soziokulturellen Merkmale abhängig. Galten Essstörungen lange Zeit als eine Erkrankung, die nur in westlichen Industrieländern auftrat, ist mittlerweile deutlich geworden, dass sie doch weltweit auftreten, und Länder, „die sich mehr oder weniger rasant an westliche Werte anpassen, [...] eine besondere Vulnerabilität für Essstörungen“14 zeigen.15 Unter dem Begriff „Essstörungen“ werden verschiedene Erkrankungen mit dem Charakteristikum einer krankhaft gestörten Nahrungsaufnahme, bzw. einem daraus resultierenden krankhaften Körpergewicht zusammengefasst. In der Literatur wird folgende grobe Einteilung vorgenommen: Essstörung in Form einer Magersucht (Anorexia), einer Bulimie (Bulimia / Ess-Brech-Sucht), und einer Gruppe weiterer nicht spezifizierter Essstörungen (u. a. Binge-Eating-Störung). Betrachtet man die ätiologischen Faktoren einer Essstörung, so wird deutlich, dass es sich um ein multifaktorielles Geschehen handelt. Wie Abbildung 4 zeigt, sind verschiedene Faktoren bei der Entstehung und der Aufrechterhaltung von Essstörungen beteiligt. Sowohl biologische, genetische, familiäre und individuelle als auch die bereits erwähnten soziokulturellen Aspekte müssen dabei berücksichtigt werden. Treffen auf diese prädispositionierenden Faktoren noch spezielle Auslöser, wie z. B. ein Beziehungskonflikt, Verlusterfahrungen oder auch eine Diät, kann es dazu kommen, dass sich eine Essstörung ausbildet und manifestiert.16 Abbildung 4: Ätiologische Faktoren einer Essstörung 14 Jäger, Burkard: Soziokulturelle Aspekte der Essstörungen, a.a.O., S. 75 Siehe: Jäger, Burkard: Soziokulturelle Aspekte der Essstörungen, a.a.O., S. 75 16 Siehe: Ehrig, Christian: Stationäre Verhaltenstherapie von Essstörungen am Beispiel der Anorexia nervosa. In: Steinbrenner, Birgit / Schönauer-Cejpek, Martina (Hrsg.): Essstörungen. Anorexie – Bulimie – Adipositas. Therapie in Theorie und Praxis. Wien: Maudrich 2003, S. 54 15 12 Häufig wird in diesem Zusammenhang auch von einem Teufelskreis der Aufrechterhaltung von Essstörungen gespro- chen.17 Eine eindeutige Abgrenzung zwischen den einzelnen Krankheitsbildern kann nicht immer erfolgen, „da die Übergänge zwischen den spezifischen Ausprägungen oft fließend sind […] und sich das klinische Bild im Laufe der Zeit ändern kann (z. B. von einer Anorexie zur Bulimie)“18. Auch können innerAbbildung 5: Dysorexie-DysponderosisKontinuum (Pschyrembel, S. 471) halb der Essstörungen Mischformen auftreten, z. B. Adipositas mit gleichzeitiger Binge-Eating-Störung oder auch Anorexie oder Bulimie mit gleichzeitigem Binge-Eating. Abbildung 5 verdeutlicht die möglichen Überschneidungen der verschiedenen Krankheitsbilder auf der Achse von extremer Unterernährung bis hin zu starker Fettleibigkeit. Für die Diagnostik der Essstörungen sind sowohl die ICD-10 als auch das DSM-IV geeignet, das DSM-IV bietet jedoch „die wissenschaftlich genaueren Kriterien, die auch die[se] Übergangs- und Mischformen […] erfasst[!]“19 Ob eine Bulimia nervosa oder eine bulimische Form der Magersucht diagnostiziert wird, hängt vom Gewicht der Betroffenen ab: bei Normal- oder Übergewicht wäre die Diagnose Bulimia nervosa, bei Untergewicht bulimische Anorexie. Eine Essstörung als psychische Störung kann isoliert auftreten, oftmals wird sie allerdings von weiteren psychischen Störungen oder medizinischen Erkrankungen begleitet. Häufige komorbide Erkrankungen einer Essstörung sind depressi17 Siehe: Schweiger, Ulrich / Peters, Achim / Sipos, Valerija: Essstörungen, a.a.O., S. 97 f Stahr, Ingeborg / Barb-Priebe, Ingrid / Schulz, Elke: Essstörungen und die Suche nach Identität. Ursachen, Entwicklungen und Behandlungsmöglichkeiten. 5. Auflage. Weinheim / München: Juventa 2010, S. 22 19 Ehrig, Christian: Stationäre Verhaltenstherapie von Essstörungen am Beispiel der Anorexia nervosa, a.a.O., S. 57 18 13 ve Störungen (bei 31-97% der Patientinnen mit einer Essstörung, meist sekundär), Angststörungen (35-70%, meist primär), Substanzmissbrauch (3-52%, hohe Werte liegen bei einer Erkrankung an Bulimie vor, meist sekundär) und Persönlichkeitsstörungen (20-80%, meist primär).20 Wie beschrieben, gelten die oben genannten Essstörungen als psychische Erkrankung. Adipositas (starkes Übergewicht, Fettsucht) hingegen wird (noch) nicht als eigenständige Diagnose einer psychischen Erkrankung angesehen, da davon ausgegangen wird, dass bei dieser Erkrankung grundsätzlich keine psychopathologischen Faktoren zugrunde lägen.21 Im ICD-10 wird Adipositas deshalb in der Kategorie der endokrinen Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten aufgeführt und nur im Fall einer psychischen Störung, der Adipositas als Ursache zugrunde liegt, zusätzlich zu der diagnostizierten psychischen Störung aufgeführt. Der Versuch „Adipositas als psychische Störung anzusehen und sie als Impulskontrollstörung […] zu kategorisieren mit der Begründung, dass sie wesentlich auf die mangelnde Kontrolle der Nahrungsaufnahme zurückzuführen sei und zugleich ein wesentliches psychisches und gesundheitliches Problem darstelle“22, ist bisher gescheitert. In der Regel ist jedoch ein gestörtes Essverhalten deutlich bei einer Erkrankung an Adipositas zu erkennen, sodass es für die vorliegende Arbeit sinnvoll erschien, diese Erkrankung ebenfalls zu berücksichtigen. Hinzu kommt, dass „neuere Untersuchungen […] mehrheitlich einen positiven Zusammenhang zwischen […] Adipositas und der Häufigkeit psychischer Störungen in der Bevölkerung bestätigen, wobei affektive Störungen und Angststörungen im Vordergrund stehen“23. 20 Siehe: Schweiger, Ulrich: Psychische Komorbidität und Persönlichkeitsstörungen. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 106-108 21 Siehe: Biedert, Esther: Essstörungen. München: Ernst Reinhardt 2008, S. 56 22 Habermas, Tilmann: Klassifikation und Diagnose: Eine historische Betrachtung. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 8 23 Wietersheim, Jörn von: Affektive Störungen und Angststörungen. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 115 14 3. Störungen des Essverhaltens und Möglichkeiten der Therapie 3.1 Anorexie 3.1.1 Diagnostik, Verlauf und Prognose Grundlegende Kennzeichen der Anorexia nervosa (Synonyme: Anorexia mentalis oder psychogene Magersucht) sind die Furcht vor Gewichtszunahme und die sukzessive Einstellung der Nahrungsaufnahme. Aufgrund der Nahrungsverweigerung stellt sich ein Gewichtsverlust ein, der oftmals einen lebensbedrohlichen Zustand für die Patientinnen erreichen kann. Die internationale statistische Klassifikation der Krankheiten der WHO (ICD-10) listet die Anorexia im Kapitel V unter „Psychische und Verhaltensstörungen“ – „Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren“ auf und beschreibt die Krankheit wie folgt: Die Anorexia ist durch einen absichtlich selbst herbeigeführten oder aufrechterhaltenen Gewichtsverlust charakterisiert. Am häufigsten ist die Störung bei heranwachsenden Mädchen und jungen Frauen; heranwachsende Jungen und junge Männer, Kinder vor der Pubertät und Frauen bis zur Menopause können ebenfalls betroffen sein. Die Krankheit ist mit einer spezifischen Psychopathologie verbunden, wobei die Angst vor einem dicken Körper und einer schlaffen Körperform als eine tiefverwurzelte überwertige Idee besteht und die Betroffenen eine sehr niedrige Gewichtsschwelle für sich selbst festlegen. Es liegt meist Unterernährung unterschiedlichen Schweregrades vor, die sekundär zu endokrinen und metabolischen Veränderungen und zu körperlichen Funktionsstörungen führt. Zu den Symptomen gehören eingeschränkte Nahrungsauswahl, übertriebene körperliche Aktivitäten, selbstinduziertes Erbrechen und Abführen und der Gebrauch von Appetitzüglern und Diuretika. 24 In der Fachliteratur werden zu der Symptomatik der Anorexie weitere Beschreibungen vorgenommen: Das tatsächliche Körpergewicht liegt mindestens 15% unter dem erwarteten (entweder Gewichtsverlust oder nie erreichtes Gewicht) und/oder die Patienten weisen einen BMI von 17,5 oder weniger auf.25 Ein weiteres Kriterium ist eine Störung der eigenen Wahrnehmung, eine sogenannte Körperschemastörung. Diese Störung zeichnet sich durch eine stark verzerrte Selbstwahrnehmung des eigenen Körpers aus, die dazu führt, dass die 24 Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10GM Version 2013. URL <http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-gm/kodesuche/online fassungen/htmlgm2013/block-f50-f59.htm> Stand 13.11.2012 25 Siehe: Knölker, Ulrich / Mattejat, Fritz / Schulte-Markwort, Michael: Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie systematisch. 3. Auflage. Bremen: Uni-med 2003, S. 326 15 Patientinnen sich trotz des starken Untergewichts als zu dick empfinden und mit ihrem Körperbild sehr unzufrieden sind. Häufig empfinden sie Scham oder Ekel ihrem eigenen Körper gegenüber und lehnen ihn ab. Dieses Empfinden begründet zumeist auch die häufig fehlende Krankheitseinsicht der Erkrankten, das Leugnen des Schweregrads des geringen Körpergewichts und die daraus resultierende geringe Behandlungsmotivation.26 Des Weiteren liegt „eine endokrine Störung auf der Hypothalamus-HypophysenGonaden-Achse [vor]. Sie manifestiert sich bei Frauen als Amenorrhoe und bei Männern als Libido- und Potenzverlust“27. Im DSM-IV werden darüber hinaus noch zwei Untergruppen der Anorexie (307.1) unterschieden: der Restriktive-Typus (auch passiv-restriktiver Typ genannt) und der Binge-Eating- / Purging-Typus (auch aktiver oder bulimischer Typ genannt). „Beim restriktiven Typ bestehen keine regelmäßigen Essanfälle. Das Untergewicht wird – ohne aktive Maßnahmen zur Gewichtsabnahme – durch Nahrungseinschränkung (Restriktion) erreicht.“28 In der ICD-10 ist dieser Typus mit der Bezeichnung F50.00 codiert. Beim Binge-Eating-Typus (F50.01) hingegen kommt es regelmäßig zu Essattacken und darauffolgenden kompensatorischen Maßnahmen wie selbstinduziertem Erbrechen oder dem Missbrauch von Diuretika oder Medikamenten.29 Neben der ‚typischen’ Anorexia nervosa gibt es noch eine weitere, atypische Form der Anorexie. Die atypische Anorexia nervosa (F50.1) unterscheidet sich durch das Fehlen mancher Symptome, wie z. B. der Angst vor einer Gewichtszunahme oder der Amenorrhoe, weist jedoch andere, für die Erkrankung spezifische, Symptome auf.30 Ein weiterer Untertyp, die sogenannte Anorexia athletica, kann bei Leistungssportlerinnen diagnostiziert werden. Die Anorexia athletica ist ausschließlich sportinduziert. Erkrankte versuchen ihr Gewicht durch verminderte Nahrungsaufnahme und kompensatorische Maßnahmen zu verringern um ihre Leistung zu 26 Siehe für den Absatz: Ehrig, Christian: Stationäre Verhaltenstherapie von Essstörungen am Beispiel der Anorexia nervosa, a.a.O., S. 53-54 27 Dilling, Horst et al. (Hrsg.): Internationale Klassifikation psychischer Störungen, a.a.O., S. 245 28 Teufel, Martin / Zipfel, Stephan: Anorexia nervosa und Bulimia nervosa im Erwachsenenalter. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 15 29 Siehe: Teufel, Martin et al.: Anorexia nervosa und Bulimia nervosa im Erwachsenenalter, a.a.O, S. 15 30 Siehe für den Absatz: Dilling, Horst et al. (Hrsg.): Internationale Klassifikation psychischer Störungen, a.a.O., S. 246 16 steigern. Eine Körperbildstörung wie bei der Anorexia nervosa liegt jedoch nicht vor.31 Die idealtypische anorektische Persönlichkeit wird als „leicht zwanghaft, introvertiert, emotional zurückhaltend und sozial unsicher“32 beschrieben. „Sie verneint sich selbst, ist anderen gegenüber rücksichtsvoll und sehr folgsam. Selbsterniedrigung und Unselbstständigkeit sind ihr nicht fremd[,] und ihr Denken ist gekennzeichnet durch Unbeweglichkeit und Schablonenhaftigkeit“33. Durch das angepasste Verhalten, erhofft sich die Patientin „Anerkennung, Wertschätzung, Zuneigung und Aufmerksamkeit“34. Folgender Überblick35 über die anorektische Psychodynamik soll das Krankheitsbild weiter verdeutlichen: • Zurückziehen von der Umwelt • Kaum Anteilnahme an Gesprächen • Depressive, traurige Erscheinung • Wunsch nach Perfektionismus • […] • Schlaf- und Konzentrationsstörungen • Streng ritualisierter Umgang mit dem Essen • Vorliebe für kleine Löffel und Gabeln • Zerkleinerung der Nahrung • Hoher Zeitaufwand bei einer minimalen Essensportion • Vorliebe zum Bekochen und Umsorgen von Freunden und Familie • Vermeidung von gemeinsamen familiären Essenszeiten • Starkes Interesse für Kochrezepte • Tragen weiter Kleider • Wutausbrüche oder Weinkrämpfe bei der Vorstellung essen zu müssen […] Oftmals zeigt sich eine stark ausgeprägte motorische Aktivität, die sich beispielsweise als ständige Unruhe oder übermäßige sportliche Betätigung äußert. 31 Siehe für den Absatz: Platen, Petra: Essstörungen und Leistungssport. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 93-96 32 Absenger, Iris: Die verkörperte Essstörung. Anorexie – Bulimie – Adipositas. Erleben erleiden: umfassender Therapieüberblick und ein Körperausdrucksmodell. Herbholzheim: Centaurus 2005, S. 104 33 Absenger, Iris: Die verkörperte Essstörung, a.a.O., S. 104 34 Absenger, Iris: Die verkörperte Essstörung, a.a.O., S. 110 f 35 Absenger, Iris: Die verkörperte Essstörung, a.a.O., S. 110 17 Hintergedanke der Patientinnen ist hierbei durch Bewegung zusätzliche Kalorien zu verbrennen und so das Körpergewicht weiter herabzusetzen.36 Häufig leiden essgestörte Patientinnen an Veränderungen im Blutbild und körperlichen Beschwerden. So sind vielfach Störungen der Blutbildung sowie erhöhte Enzymwerte verschiedener Organe festzustellen, die einen Rückschluss auf „den Schweregrad und das medizinische Risiko des Starvationsprozesses bzw. des Purging-Verhaltens“37 zulassen. Durch selbstinduziertes Erbrechen kann es im Körper zu lebensgefährlichen Elektrolytveränderungen kommen. Hier ist, neben dem Chloridverlust, insbesondere der Kaliumverlust zu erwähnen, der schwere Herz-Rhythmus-Störungen zur Folge haben kann. Durch das geschwächte kardiovaskuläre System kommt es nicht selten zu Schwindelanfällen, durch fehlende Vitamine und Mineralstoffe zu Konzentrationsstörungen, Muskelkrämpfen, Skelettschmerzen bei Bewegung, Haarausfall und/oder trockener Haut. Die bereits in den ICD-10 genannte Amenorrhoe, bzw. das Vorliegen einer Fertilitätsstörung, ist auf Störungen der Hormonproduktion zurückzuführen. Manche Anorektikerinnen bilden aufgrund fehlenden Fettgewebes in der Unterhaut eine Körperbehaarung (Lanugobehaarung) aus, die den Körper stattdessen vor Kälte schützen soll. Liegt eine bulimische Anorexie vor, können Sodbrennen, Schmerzen im Rachenbereich, Schwellungen der Speicheldrüsen, sowie Zahnschäden bzw. eine Hypersensitivität der Zähne als zusätzliche körperliche Beschwerden auftreten.38 Als Langzeitfolge der Anorexie kann Osteoporose auftreten, da es durch das geringe Körpergewicht, die Amenorrhoe und die Mangelernährung zu einer Verminderung der Knochendichte kommt.39 Wird eine Anorexia erkannt und behandelt, so wird nur bei etwa der Hälfte der Erkrankten eine vollständige Remission erzielt.40 Bei etwa 30% liegt weiterhin eine Erkrankung an Anorexia nervosa vor, jedoch mit einer verbesserten Sym- 36 Siehe für den Absatz: Absenger, Iris: Die verkörperte Essstörung, a.a.O., S. 111 Friederich, Hans-Christoph: Medizinische Komplikationen bei Anorexia nervosa und Bulimia nervosa. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 152 38 Siehe für den Absatz: Friederich, Hans-Christoph: Medizinische Komplikationen bei Anorexia nervosa und Bulimia nervosa, a.a.O., S. 152 f 39 Siehe: Lennkh, Claudia / Zwaan, Martina de / Bailer, Ursula / Strnad, Alexandra / Nagi, Christine / El Giamal, Nadja / Vytiska, Elisabeth / Kasper, Siegfried: Osteoporose bei Anorexia nervosa. Neue Aspekte der Pathogenese und Therapie. In: Der Nervenarzt. Nr. 70. Heidelberg: Springer 1999, S. 823 40 Siehe: Zipfel, Stephan / Löwe, Bernd / Herzog Wolfgang: Verlauf und Prognose der Anorexia nervosa. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 46 37 18 ptomatik.41 An einer Anorexie versterben durchschnittlich 5% der Betroffenen. Erweitert man die Katamnesedauer jedoch auf mehr als zehn Jahre, so liegt die Mortalität bei 9,4%, bei einer Katamnesedauer von 21 Jahren sogar bei 16,7%.42 Damit weisen „Anorexiepatientinnen [...] gemeinsam mit der Gruppe der Suchterkrankten die höchste Mortalitätsrate bei psychischen Erkrankungen auf“43. Als Einflussgrößen auf den Verlauf einer Anorexia werden unter anderem „die Schwere der Erkrankung, das Ausmaß des Gewichtsverlusts, sowie ein frühes Erstmanifestationsalter als negative Prädikatoren“44 in Fachkreisen diskutiert und untersucht.45 Für den bulimischen Typ der Anorexie wurde ein 2,5fach erhöhtes Risiko für einen schlechten Verlauf der Genese festgestellt.46 3.1.2 Geschichtlicher Hintergrund und Epidemiologie Die ersten Aufzeichnungen zu anorektischen Erkrankungen findet man in Schriften aus dem Mittelalter. Zu dieser Zeit wurde „der Umstand, fast ohne Nahrung auszukommen, [...] zumeist als Umsetzung des christlich-klerikalen Ideals der frommen Askese erklärt“47. Betroffene wurden als Heilige verehrt und respektiert. Ab dem 16. Jahrhundert veränderte sich dieses Bild. Man ging davon aus, dass es sich bei dem exzessiven Fasten um eine – damals als Chlorose (Bleichsucht) bezeichnete – Krankheit handelte und Betroffene der Hilfe bedurften. Die Bezeichnung der Erkrankung als „Anorexia nervosa“ und erste grundlegende Beschreibungen des Krankheitsbildes wurden 1873 aufgestellt. „Die Fälle aus dem Mittelalter und der beginnenden Neuzeit beinhalten bereits das Merkmal der Vorbildfunktion bzw. „sozialen Ansteckung“ “48, das in der Gegenwart ebenfalls beim Auftreten von Essstörungen deutlich wird. In diesen Aufzeichnungen fehlt jedoch – im Gegensatz zu den heutigen Beschreibungen – der ausgeprägte Wunsch nach Schlankheit, der sich erst im vergangenen Jahrhundert verstärkt ausbildete.49 41 Siehe: Biedert, Esther: Essstörungen, a.a.O., S. 14 Siehe: Zipfel, Stephan et al.: Verlauf und Prognose der Anorexia nervosa, a.a.O., S. 46 43 Zipfel, Stephan et al.: Verlauf und Prognose der Anorexia nervosa, a.a.O., S. 46 44 Biedert, Esther: Essstörungen, a.a.O., S. 15 45 Biedert, Esther: Essstörungen, a.a.O., S. 14 f 46 Siehe: Zipfel, Stephan et al.: Verlauf und Prognose der Anorexia nervosa, a.a.O., S. 47 47 Jäger, Burkard: Soziokulturelle Aspekte der Essstörungen, a.a.O., S. 76 48 Jäger, Burkard: Soziokulturelle Aspekte der Essstörungen, a.a.O., S. 76 49 Siehe für den Absatz: Jäger, Burkard: Soziokulturelle Aspekte der Essstörungen, a.a.O., S. 76 42 19 Die Angaben zur Prävalenz der Anorexia nervosa schwanken je nach Studiendesign. Eine deutsche Untersuchung von 1998 stellte eine Häufigkeit von 0,3% bei Frauen von 14 bis 24 Jahren fest. Auch die Daten zur Anzahl von Neuerkrankungen pro Jahr variieren stark. Neueren Untersuchungen (Currin et al. 2005 und Milos et al. 2004) zufolge liegt die Inzidenz pro 100000 Bevölkerung zwischen 8,6 und 19,72.50 Die höchsten Inzidenzraten liegen bei Frauen im Alter von fünfzehn bis neunzehn Jahren vor und bilden den Schwerpunkt des Eintrittsalters ab.51 Das Geschlechterverhältnis von Frauen zu Männern liegt bei der Anorexie bei 10:1.52 3.1.3 Ätiopathogenese53 Die Entstehung einer Anorexie ist in der Regel multifaktoriell begründet. Verschiedene Faktoren können die Erkrankung begünstigen oder sind an der Aufrechterhaltung der Erkrankung beteiligt. In Untersuchungen wurde festgestellt, dass die Wahrscheinlichkeit an einer Essstörung zu erkranken in starker Abhängigkeit zum Geschlecht steht. So erkranken deutlich mehr Frauen als Männer an Anorexie.54 Neben diesem soziodemografischen Faktor kommt Untersuchungen zu Folge auch dem westlichen Lebensstil eine tragende Rolle hinsichtlich der Begünstigung von Essstörungen zu. Eng damit verknüpft ist die Erkenntnis, dass Anorexie vermehrt bei Personen auftritt, die einen höheren sozioökonomischen Status erreicht haben.55 Lagen Komplikationen – etwa bei der Geburt oder in der frühen Kindheit, wie zum Beispiel eine Frühgeburt oder Ruminationsstörungen – vor, so steigt das Risiko an Anorexie zu erkranken ebenfalls an. Ferner ist belegt, dass familiäre Struktu- 50 Siehe: Fichter, Manfred M.: Prävalenz und Inzidenz anorektischer und bulimischer Essstörungen. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 40-42 51 Siehe: Biedert, Esther: Essstörungen, a.a.O., S. 13 52 Siehe: Mangweth-Matzek, Barbara: Essstörungen bei Männern. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 87 53 Gesamtheit aller Faktoren, die zur Ursache, Entstehung und Entwicklung einer Störung oder Krankheit beitragen 54 Siehe für den Absatz: Jacobi, Corinna / Fittig, Eike: Psychosoziale Risikofaktoren. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 67 55 Siehe: Biedert, Esther: Essstörungen, a.a.O., S. 22 20 ren und eine Psychopathologie in der Familie die Entstehung der Krankheit begünstigen. So wird „dem Bindungsstil, Familienklima sowie der Interaktion der Familienmitglieder […] eine große Bedeutung zugeschrieben“56. Ein weiterer familiärer Risikofaktor stellt eine Adoption oder Pflegeunterbringung von Kindern dar. Auch dadurch ist die Wahrscheinlichkeit an Anorexie zu erkranken erhöht. Weitere Risikofaktoren wurden auf individueller Ebene ausgemacht. Sowohl erhöhten Neurotizismuswerten, als auch negativen Selbstkonzepten und dem Hang zum Perfektionismus wird Bedeutung bei der Entstehung einer Anorexie beigemessen.57 Als Risiko für die Entwicklung einer Anorexia athletica gelten Sportarten mit hohem ästhetischen Charakter wie beispielsweise Kunstturnen, Ausdauersportarten, wie zum Beispiel Langstreckenlauf, Gewichtssportarten wie Rudern oder Boxen sowie weitere Sportarten, bei denen das Gewicht in besonderem Maße die Leistung beeinflusst. Eine spezifische Ursache für die Entstehung dieser Essstörung konnte bisher nicht ausgemacht werden, es wurden allerdings prädisponierende Faktoren festgestellt. So wird die Entstehung einer Anorexia athletica durch ein Streben nach sehr hohem Leistungsniveau, durch die Einflussnahme von Trainern und anderen wichtigen Bezugspersonen sowie durch psychisch belastende Ereignisse begünstigt. Auch können unbedachte Äußerungen bezogen auf die Figur oder das Körpergewicht grundlegend für die Entstehung dieser Essstörung sein.58 Auslösende Faktoren wurden bei bisherigen Untersuchungen in zwei Kategorien festgestellt. Einerseits können kritische Lebensereignisse, wie zum Beispiel der Verlust einer wichtigen Bezugsperson oder sexueller Missbrauch, eine Anorexie bei einem Menschen auslösen,59 andererseits können psychosoziale Faktoren dazu führen. Hier sind insbesondere der familiäre Umgang mit Gewicht und Figur60 und das durch die Gesellschaft propagierte Schönheitsideal, dem man entsprechen möchte, zu nennen. Es hat sich herausgestellt, dass „Anorexie […] nicht an den Schlankheitswunsch gebunden [ist], […] aber durch diesen unter- 56 Jacobi, Corinna et al.: Psychosoziale Risikofaktoren, a.a.O., S. 68 Siehe für den Absatz: Jacobi, Corinna et al.: Psychosoziale Risikofaktoren, a.a.O., S. 67 f 58 Siehe für den Absatz: Platen, Petra: Essstörungen und Leistungssport, a.a.O., S. 96-97 59 Siehe: Jacobi, Corinna et al.: Psychosoziale Risikofaktoren, a.a.O., S. 68 60 Siehe: Biedert, Esther: Essstörungen, a.a.O., S. 22 57 21 stützt und legitimiert [wird]. Sie kann auch durch modebewusste Diätversuche getriggert werden“61. Als aufrechterhaltender biologischer Faktor wurde die vorliegende Mangelernährung bei Anorexie festgestellt. Sie begünstigt sowohl einen niedrigeren Energieverbrauch, als auch Konzentrationsstörungen, Stimmungsschwankungen und die übermäßige Beschäftigung mit dem Essen, was wiederum die Aufrechterhaltung verstärkt. Durch sozialen Rückzug und Isolation wird eine Anorexie ebenfalls aufrechterhalten. Oftmals kann festegestellt werde, dass Betroffene über einen dichotomer Denkstil (Schwarz-Weiß-Malerei, z. B. erlaubte vs. verbotene Lebensmittel) verfügen.62 Abbildung 6 fasst die dargestellten Ätiologiefaktoren zusammen. Risikofaktoren Auslösende Faktoren Biologische Faktoren • perinatale Komplikationen (z. B. Geburtstraumen, Frühgeburt) • kindliche Ess- und Fütterungsprobleme Biologische Faktoren • durch Mangelernährung bedingte übermäßige Beschäftigung mit dem Essen, Konzentrationsabnahme, Stimmungsbeeinträchtigung • reduzierter Energieverbrauch Familiäre Faktoren • Familienstruktur • psychische Störungen der Eltern • Adoption/Pflegeerziehung Kritische Lebensereignisse • Trennungs- und Verlusterfahrungen • Vergewaltigung, sexueller Missbrauch Soziodemographische/kulturelle Faktoren • weibliches Geschlecht • höherer sozioökonomischer Status • westlicher Lebensstil Psychosoziale Faktoren • Schlankheitsideal • Diätieren • familiärer Umgang mit Gewicht, Figur und Nahrung Individuelle Faktoren • erhöhter Neurotizismus • negatives Selbstkonzept • Perfektionismus • Ausüben einer Risikosportart Aufrechterhaltende Faktoren Psychosoziale Faktoren • sozialer Rückzug und Interessensverlust Kognitive Faktoren • spezifischer Denkstil (u. a. dichotomes Denken, Übergeneralisierung) Abbildung 6: Übersicht über die Ätiologiefaktoren der Anorexia Nervosa 63 61 Jäger, Burkard: Soziokulturelle Aspekte der Essstörungen, a.a.O., S. 76 Siehe für den Absatz: Biedert, Esther: Essstörungen, a.a.O., S. 21 f 63 Abbildung in Anlehnung an: Biedert, Esther: Essstörungen, a.a.O., S. 21 f; ergänzt durch: Jacobi, Corinna et al., a.a.O., S. 67-69 und Platen, Petra: Essstörungen und Leistungssport, a.a.O., S. 96 und Jäger, Burkard: Soziokulturelle Aspekte der Essstörungen, a.a.O., S. 76 62 22 3.1.4 Therapieansätze Zu Beginn einer jeden Therapie sollte sowohl eine psychiatrische als auch eine körperliche Befunderhebung durchgeführt werden, um die Symptome, eventuelle psychiatrische Komorbidität sowie den Grad der Erkrankung bei der Patientin festzustellen.64 Im Anschluss daran wird ein Gesamtbehandlungsplan entwickelt, „der den spezifischen Erfordernissen der Patientin, ihrer Familie und ihrem Umfeld ausreichend Rechnung trägt“65. Die ambulante therapeutische Behandlung der Anorexie kann in Form von Einzel- Gruppen- und / oder Familientherapie durchgeführt werden. Primäres Ziel ist die Normalisierung des Körpergewichts und des Essverhaltens um eine akute Lebensgefahr abzuwenden. Durch diese Maßnahme soll der Einfluss der durch die Mangelernährung bestehenden aufrechterhaltenden, biologischen Faktoren verringert werden.66 Als hilfreich hat sich dabei u. a. das Führen eines Ernährungstagebuchs erwiesen. Ein weiteres Therapieziel ist die Identifikation und Modifikation dysfunktionaler Gedanken bezogen auf Einstellungen dem eigenen Körper und Gewicht gegenüber. In verhaltensbezogenen Interventionen werden „neue“ Verhaltensfertigkeiten, wie z. B. ein neues Emotions-, Stress- und Selbstmanagement, trainiert.67 Im Rahmen einer Familientherapie sollte den Eltern vermittelt werden, dass sie „nicht als Ursache der Erkrankung, wohl aber als wirksame Ressource für deren Überwindung“68 angesehen werden und ihnen gerade im Bereich der Rückfallprophylaxe eine wichtige Funktion zukommt.69 Bei der Anorexie hat sich eine möglichst frühzeitige Behandlung als hilfreich erwiesen, damit eine Chronifizierung der Krankheit nicht begünstigt wird. Von großer Bedeutung ist bei der ambulanten Therapie die Kooperation zwischen den Psychotherapeuten und den Fachärzten, die eine medizinische Begleitung der Therapie ermöglichen.70 64 Siehe: Schweiger, Ulrich et al.: Essstörungen, a.a.O., S. 77-79 Biesalski, Hans Conrad / Bischoff, Stephan C. / Puchstein, Christoph (Hrsg.): Ernährungsmedizin. Nach dem neuen Curriculum Ernährungsmedizin der Bundesärztekammer. 4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Stuttgart: Thieme 2010, S. 497 66 Siehe: Schweiger, Ulrich et al.: Essstörungen, a.a.O., S. 86 67 Siehe: Schweiger, Ulrich et al.: Essstörungen, a.a.O., S. 86-91 68 Remschmidt, Helmut: Praxis der Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen. Störungsspezifische Behandlungsformen und Qualitätssicherung. 2., überarbeitete und ergänzte Auflage. Köln: Deutscher Ärzte-Verlag 2004, S. 122 69 Siehe: Remschmidt, Helmut: Praxis der Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen, a.a.O., S. 120-122 70 Siehe: Biesalski, Hans Conrad et al. (Hrsg.): Ernährungsmedizin, a.a.O., S. 497 65 23 Neben der ambulanten Therapie besteht bei einer schweren Erkrankung an Anorexie die Möglichkeit einer stationären Therapie. Folgende Symptome gelten als Indikationen für eine stationäre Therapie: - Gewichtsverlust >40% insgesamt oder >30% in den letzten drei Monaten - Extrem niedriges Gewicht (<60% des Erwartungsgewichts, BMI <15 kg/m²) - Hämodynamische Veränderungen mit Symptomen (Schwindel, Brustschmerz etc.) - Arrhythmien ohne Elektrolytstörung oder im Zusammenhang mit Erbrechen, Laxanzien- - Neben der Essstörung bestehende andere akute oder chronische Erkrankungen (z. B. In- oder Diuretikamissbrauch 71 fekte, Diabetes mellitus, Asthma, chronisch entzündliche Darmerkrankungen) Auch können „eine deutliche psychiatrische Komorbidität (z. B. Zwangsstörungen, soziale Phobien, depressive Störungen) aber auch Persönlichkeitsstörungen (z. B. Borderlinestörungen)“72. Grund für eine intensive stationäre Therapie sein. Grundlage einer stationären Therapie ist, wie in der ambulanten Therapie auch, ein „multimodales Behandlungskonzept, […] [das] verschiedene therapeutische Ansätze, wie eine medizinische, psychiatrische und psychotherapeutische Diagnostik und Therapie miteinander kombiniert“73. Primäres Ziel einer stationären Therapie ist ebenfalls eine Gewichtszunahme bis zum Erreichen des Normalgewichts. Dies wird durch eine durchschnittliche Gewichtssteigerung von etwa 700 Gramm pro Woche angestrebt. In schwerwiegenden „Einzelfällen muss [...] eine Ernährung mit hochkalorischer Sondenkost [...] über eine Magensonde durchgeführt werden“74 (dies geschieht meist nur im Rahmen einer Zwangseinweisung), damit eine Gewichtszunahme gewährleistet ist. Damit die Patientinnen ihr normales Essverhalten zurückerlangen können, ist eine Arbeit am eigenen Essverhalten unerlässlich. Eine geregelte Mahlzeitenstruktur, meist drei Hauptmahlzeiten am Tag, soll helfen, das eigene Hungergefühl wieder richtig wahrzunehmen und sich daran zu orientieren. Die Patientinnen nehmen die Mahlzeiten in therapeutischer Begleitung zu sich. Oft bestehen auch 71 Biesalski, Hans Conrad et al. (Hrsg.): Ernährungsmedizin, a.a.O., S. 498 Ehrig, Christian: Stationäre Verhaltenstherapie von Essstörungen am Beispiel der Anorexia nervosa, a.a.O., S. 56 73 Ehrig, Christian: Stationäre Verhaltenstherapie von Essstörungen am Beispiel der Anorexia nervosa, a.a.O., S. 56 74 Ehrig, Christian: Stationäre Verhaltenstherapie von Essstörungen am Beispiel der Anorexia nervosa, a.a.O., S. 60 72 24 schriftliche Verträge zwischen Therapeuten und Patientinnen, welche unter anderem eine zuvor vereinbarte Gewichtssteigerung beinhalten können.75 Um den Umgang mit Nahrungsmitteln zu trainieren und Essgewohnheiten langfristig zu verändern, bietet sich bei einer stationären Behandlung die Arbeit in einer Lehrküche an. Schwerpunkt der Therapie ist eine verhaltenstherapeutische Behandlung, die es der Patientin ermöglichen soll „alternative Bewältigungsstrategien für den Umgang mit ihren emotionalen Stressoren zu finden, sodass nicht mehr auf zuviel oder zuwenig essen zurückgegriffen werden muss“76. Wie bei den ambulanten Behandlungsansätzen auch sollen die Patientinnen in der stationären Behandlung durch eine kognitive Therapie die eigene Wahrnehmung und den eigenen Ausdrucks verbessern lernen. Dieses Ziel wird auch in der Therapie der vorliegenden Körperschema-Störung verfolgt. Durch gezielte Interventionen der Bewegungs- und Gestalttherapie erfolgt eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper.77 Im Bereich der psychopharmakologischen Behandlung der Anorexia gibt es bisher noch keine erfolgversprechenden Erkenntnisse. „Auch wenn noradrenerge oder serotonerge Neurone im Hypothalamus wesentlich für die Regulation von Hunger und Sättigung sind, so konnte bis dato keine überzeugende Auswirkung […] zur Besserung […] nachgewiesen werden“78. Hinzu kommt, „dass sich Magersüchtige nicht selten gegen eine psychopharmakologische Behandlung sperren.“79 75 Siehe für den Absatz: Schweiger, Ulrich et al.: Essstörungen, a.a.O., S. 117 Ehrig, Christian: Stationäre Verhaltenstherapie von Essstörungen am Beispiel der Anorexia nervosa, a.a.O., S. 56 77 Siehe für den Absatz: Ehrig, Christian: Stationäre Verhaltenstherapie von Essstörungen am Beispiel der Anorexia nervosa, a.a.O., S. 55-65 78 Lahousen, Theresa / Hofmann, Peter / Knoflach-Reichart, Claudia / Bonelli, Raphael: Psychopharmakologische Behandlung von Essstörungen. In: Steinbrenner, Birgit / Schönauer-Cejpek, Martina (Hrsg.): Essstörungen. Anorexie – Bulimie – Adipositas. Therapie in Theorie und Praxis. Wien: Maudrich 2003, S. 10 79 Lahousen, Theresa et al.: Psychopharmakologische Behandlung von Essstörungen, a.a.O., S. 10 76 25 3.2 Bulimie 3.2.1 Diagnostik, Verlauf und Prognose Wie die Erkrankung an Anorexie wird auch das Krankheitsbild der Bulimie in der internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten im Kapitel der „Psychische und Verhaltensstörungen“ – „Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren“ aufgelistet. Dort wird Bulimie unter F50.2 wie folgt definiert: Ein Syndrom, das durch wiederholte Anfälle von Heißhunger und eine übertriebene Beschäftigung mit der Kontrolle des Körpergewichts charakterisiert ist. Dies führt zu einem Verhaltensmuster von Essanfällen und Erbrechen oder Gebrauch von Abführmitteln. Viele psychische Merkmale dieser Störung ähneln denen der Anorexia nervosa, so die übertriebene Sorge um Körperform und Gewicht. Wiederholtes Erbrechen kann zu Elektrolytstörungen und körperlichen Komplikationen führen. Häufig lässt sich in der Anamnese eine frühere Episode einer Anorexia nervosa mit einem Intervall von einigen Monaten bis zu mehreren Jahren nachweisen. 80 Neben dieser Form der Bulimie existiert noch die Atypische Bulimia nervosa (F50.3). Hier handelt es sich um eine Störung, bei der nicht alle Merkmale der Bulimia nervosa auftreten und die dadurch das klinische Bild nicht voll erfüllt. „Zum Beispiel können wiederholte Essanfälle und übermäßiger Gebrauch von Abführmitteln auftreten ohne signifikante Gewichtsveränderungen, oder es fehlt die typische übertriebene Sorge um Körperform und Gewicht.“81 Das DSM-IV ergänzt diese Definitionen um weitere Diagnosekriterien für Bulimia nervosa (307.51) und legt fest, dass es sich um einen Essanfall handelt, wenn eine Nahrungsmenge verzehrt wird, die erheblich größer ist, als die eines gesunden Menschen und sich während des Essanfalls ein Gefühl des Kontrollverlustes bei der Patientin einstellt. Das Auftreten der Essanfälle und dem anschließenden unangemessenen Kompensationsverhalten wird in dem DSM-IV mit einer Häufigkeit von durchschnittlich mindestens zweimal pro Woche über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten angegeben.82 80 DIMDI: ICD-10-GM Version 2013. URL <http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-gm/ kodesuche/onlinefassungen/htmlgm2013/block-f50-f59.htm> Stand 13.11.2012 81 DIMDI: ICD-10-GM Version 2013. URL <http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-gm/ kodesuche/onlinefassungen/htmlgm2013/block-f50-f59.htm> Stand 13.11.2012 82 Siehe für den Absatz: Saß, Henning et al.: Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen, a.a.O., S. 657 26 Als kompensatorische Maßnahme wird häufig neben dem selbstinduzierten Erbrechen auf den Gebrauch von Medikamenten, vorwiegend Laxanzien zurückgegriffen. Dadurch passieren aufgenommene Speisen den Magen-Darm-Trakt schneller und es kommt zu einer verminderten Resorption der Nährstoffe, wodurch wiederum eine verminderte Zufuhr von Kalorien erreicht wird. Neben dem Missbrauch von Laxanzien kommt es auch zum Missbrauch von Appetitzüglern, Diuretika und / oder entwässernden Tees. Eine weitere Verhaltensweise um eine Gewichtszunahme zu verhindern ist das Fasten. „Häufig werden von Patientinnen selbst ‚verbotene Lebensmittel’ definiert“83, die meist hochkalorisch sind. Daneben gibt es eine Reihe niedrigkalorischer, ‚erlaubter’ Lebensmittel, die verzehrt werden dürfen. Kommt es dann zu einem Essanfall, werden diese „Ge- und Verbote impulsartig durchbrochen und es kann zu unkontrolliertem Konsum von ansonsten ‚verbotenen Nahrungsmitteln’ kommen“84, bei dem ein Energiegehalt von „bis [zu] 4000 Kilokalorien“85 aufgenommen wird. Oftmals versuchen Erkrankte auch durch übermäßige Bewegung die zugeführten Kalorien wieder zu verbrennen oder ihren Stoffwechsel anzuregen. Dies kann sich dann darin äußern, dass sie „sich bewusst leicht kleiden, die Zimmertemperatur niedrig halten, kalt duschen oder Eiswürfel zu sich nehmen, um den Grundumsatz“86 ihres Körpers zu steigern.87 Das DSM unterscheidet folgende zwei Untertypen der Bulimia nervosa, die sich hinsichtlich ihrer kompensatorischen Maßnahmen voneinander abgrenzen: der Non-Purging-Typ ist eine bulimische „Essstörung, in der nicht erbrochen wird, sondern ein Wechsel zwischen Essanfall, intermittierendem Fasten, körperlicher Betätigung und/oder Diät halten stattfindet“88. Der Purging-Typ hingegen erbricht regelmäßig und/oder nimmt regelmäßig Abführmittel oder Diuretika zu sich.89 Das Erbrechen nach einem Essanfall hat für viele Patientinnen reinigenden Charakter90, löst jedoch auch Schuld- und Schamgefühle aus91. 83 Teufel, Martin et al.: Anorexia nervosa und Bulimia nervosa im Erwachsenenalter, a.a.O., S. 17 84 Teufel, Martin et al.: Anorexia nervosa und Bulimia nervosa im Erwachsenenalter, a.a.O., S. 17 85 Stahr, Ingeborg et al.: Essstörungen und die Suche nach Identität, a.a.O., S. 40 86 Teufel, Martin et al.: Anorexia nervosa und Bulimia nervosa im Erwachsenenalter, a.a.O., S. 18 87 Siehe für den Absatz: Teufel, Martin et al.: Anorexia nervosa und Bulimia nervosa im Erwachsenenalter, a.a.O., S. 17 f 88 Absenger, Iris: Die verkörperte Essstörung, a.a.O., S. 119 89 Siehe für den Absatz: Absenger, Iris: Die verkörperte Essstörung, a.a.O., S. 119 90 Siehe: Absenger, Iris: Die verkörperte Essstörung, a.a.O., S. 117 27 Typischerweise treten die Essanfälle während emotionaler Spannungszustände auf (z. B. Familien- oder Partnerschaftskonflikte) und finden heimlich statt. Auch kann es vorkommen, dass ein Essanfall gezielt vorbereitet wird, z. B. durch einen Großeinkauf von Lebensmitteln. In diesem Zusammenhang wurde sogar eine positive Korrelation von Ladendiebstählen und einer Erkrankung an Bulimie festgestellt, die den Suchtcharakter dieser Essstörung unterstreicht.92 Viele Bulimikerinnen bewegen sich mit ihrem Körpergewicht im Bereich des Normalgewichts (siehe Abbildung 5, S. 13), leiden allerdings an der Angst vor Gewichtszunahme, da sie diese „als äußeres Zeichen ihres Triebs- bzw. Impulsdurchbruches“93 sehen. Aufgrund des Normalgewichts und aufgrund des Verheimlichens der gewichtsreduzierenden Maßnahmen bleibt die Erkrankung oft über Jahre hinweg unerkannt.94 Wie auch bei der Diagnose der Anorexie sind die laborchemischen Parameter bei einer Bulimie wichtig um Auskunft über den Grad der Erkrankung zu geben. Auch ähnliche körperliche Beschwerden können festgestellt werden. So leiden auch Bulimikerinnen häufig an Konzentrationsproblemen und Apathie, sowie den durch das selbstinduzierte Erbrechen hervorgerufenen Symptomen der Schmerzen im Rachenbereich und Schwellungen der Speicheldrüsen. Meistens liegt durch die wiederholte Säureeinwirkung ein ausgeprägtes Beschwerdebild bei der Überempfindlichkeit bzw. der dauerhaften Schädigung der Zähne vor. Ein charakteristisches Merkmal für eine Erkrankung an Bulimie ist außerdem – als Folge des selbstinduzierten Erbrechens – das Russel-Zeichen. Dies bezeichnet „eine Kallusbildung über den Fingergrundgelenken […], die sich aufgrund wiederholter Läsionen beim Einführen der Finger in den Hals […] entwickelt“95. Die bei Anorexie häufig auftretenden Beschwerden wie Muskelkrämpfe, trockene Haut und Fertilitätsstörungen treten bei Bulimia nervosa jedoch im Vergleich seltener auf.96 91 Siehe: Absenger, Iris: Die verkörperte Essstörung, a.a.O., S. 122 Siehe für den Absatz: Absenger, Iris: Die verkörperte Essstörung, a.a.O., S. 122 93 Absenger, Iris: Die verkörperte Essstörung, a.a.O., S. 121 94 Siehe für den Absatz: Absenger, Iris: Die verkörperte Essstörung, a.a.O., S. 121 95 Friederich, Hans-Christoph: Medizinische Komplikationen bei Anorexia nervosa und Bulimia nervosa, a.a.O., S. 155 96 Siehe für den Absatz: Friederich, Hans-Christoph: Medizinische Komplikationen bei Anorexia nervosa und Bulimia nervosa, a.a.O., S. 152-156 92 28 Erfolgt eine therapeutische Behandlung der Bulimia nervosa, lassen in ca. 3050% der Fälle nach 6-12 Monaten die Krankheitssymptome nach. Im mittelfristigen und längeren Verlauf steigt der Anteil remittierter Fälle auf bis zu 70%. Studien, die die Mortalität untersuchten, ergaben sehr unterschiedliche Werte: so wurden Mortalitätsraten von 0-20,8% ermittelt.97 3.2.2 Geschichtlicher Hintergrund und Epidemiologie Der Begriff „Bulimie“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet soviel wie „Ochsenhunger“ (bous = Ochse, Stier, limos = Hunger). Schon im vorchristlichen Ägypten, im alten Griechenland und im römischen Reich waren Rituale mit Fressgelagen und anschließendem Erbrechen nicht unbekannt. Seit den 1950er Jahre jedoch hat „sich das Syndrom der Bulimie […] in nennenswerter Häufigkeit ausgebildet“98, sodass das Krankheitsbild der Bulimia nervosa 1979 schließlich genauer definiert wurde und 1980 in das DSM aufgenommen wurde.99 In der Allgemeinbevölkerung sind etwa 1-3% der Menschen an Bulimia nervosa erkrankt. Bei diesen Angaben zur Prävalenz ist jedoch zu berücksichtigen, dass sie auf Basis klinisch diagnostizierter Fälle beruhen. Da die Erkrankung jedoch häufig lange Zeit unbemerkt bleibt, ist tatsächlich von einer höheren Prävalenzrate auszugehen.100 Das Geschlechterverhältnis von Frauen zu Männern liegt bei der Bulimie bei 4:1.101 Allgemein lässt sich feststellen, dass der Beginn einer Bulimie häufig in der mittleren und späten Adoleszenzphase anzusiedeln ist und die „höchsten Inzidenzraten bei jungen Frauen im Alter zwischen 20 und 24 Jahren auf[treten]“102. 97 Siehe: Quadflieg, Norbert / Fichter, Manfred: Verlauf der Bulimia nervosa und der Binge-Eating-Störung. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 49 f 98 Jäger, Burkard: Soziokulturelle Aspekte der Essstörungen, a.a.O., S. 77 99 Siehe: Absenger, Iris: Die verkörperte Essstörung, a.a.O., S. 116-118 100 Siehe: Butcher J. N. / Mineka S. / Hooley J. M.: Klinische Psychologie. 13., aktualisierte Auflage. München: Pearson Education Deutschland GmbH 2009, S. 390 f 101 Siehe: Mangweth-Matzek, Barbara: Essstörungen bei Männern, a.a.O., S. 87 102 Biedert, Esther: Essstörungen, a.a.O., S. 32 29 3.2.3 Ätiopathogenese Die Entstehung einer Bulimie ist ähnlich wie die der Anorexie multifaktoriell begründet (Abbildung 7, S. 31). So ist die Wahrscheinlichkeit an Bulimie zu erkranken ist für Frauen größer als für Männer. Der Einfluss genetischer Faktoren wird vermutet, ist jedoch noch nicht ausreichend belegt. Sowohl dem westlichen Lebensstil, als auch einem höheren sozioökonomischen Status kommen bei der Entstehung einer Bulimie tragende Rollen zu.103 So besteht eine Häufung des Auftretens von Bulimie „in Ländern und Kulturen unter dem Einfluss eines westlich geprägten Schönheitsideals mit dem herausragenden Bedeutung des Merkmals der Schönheit“104. Ebenfalls im Zusammenhang mit der Entstehung einer Bulimie stehen kindliche Essprobleme, eine Erkrankung an Pica im Kindesalter ist als Risikofaktor belegt.105 Belegt ist außerdem, dass familiäre Strukturen und eine Psychopathologie in der Familie die Entstehung der Krankheit begünstigen. Wie auch bei der Anorexie können das elterliche Kommunikations- und Interaktionsverhalten sowohl als prädisponierender als auch als aufrechterhaltender Faktor einen Einfluss auf die Bulimieerkrankung haben. Weitere Risikofaktoren wurden auf individueller Ebene festgestellt. Dem Hang zum Perfektionismus und auch einem niedrigen Selbstwertgefühl werden Bedeutung beigemessen. Kritische Lebensereignisse, wie z. B. Trennungs- oder Verlusterfahrungen oder sexueller Missbrauch, wurden als mögliche auslösende Faktoren einer Bulimie festgestellt.106 Als psychosoziale Faktoren sind insbesondere bei der Bulimie das oben bereits erwähnte Schlankheitsideal sowie ein restriktives Essverhalten bzw. häufiges Diätieren zu nennen.107 Die durch die Bulimie entstandene Mangelernährung stellt – wie bei Anorexie – einen aufrechterhaltenden Faktor dar. Durch sie kommt es zu einem reduzierten Energieverbrauch, gestörtem Hunger-Sättigungs-Verhalten sowie zu Störungen in der Serotoninsynthese. Als auslösender Faktor eines Essanfalls wird ein Gefühl von Kontrollverlust mit einhergehender Enthemmung des Essanfalls beschrieben. Im Rahmen einer Bulimie kann es auf sensorischer und emotionaler 103 Siehe für den Absatz: Biedert, Esther: Essstörungen, a.a.O., S. 39 f Jäger, Burkard: Soziokulturelle Aspekte der Essstörungen, a.a.O., S. 77 105 Siehe: Jacobi, Corinna et al.: Psychosoziale Risikofaktoren, a.a.O., S. 70 106 Siehe für den Absatz: Jacobi, Corinna et al.: Psychosoziale Risikofaktoren, a.a.O., S. 70 f 107 Siehe: Jacobi, Corinna et al.: Psychosoziale Risikofaktoren, a.a.O., S. 70 104 30 Ebene zur Entwicklung von Konditionierungsmechanismen kommen, die die Erkrankung zusätzlich aufrechterhalten.108 Risikofaktoren Auslösende Faktoren Biologische Faktoren • Vermutung einer genetischen Prädisposition • kindliche Erkrankung an Pica Aufrechterhaltende Faktoren Biologische Faktoren • reduzierter Energieverbrauch • gestörtes Hunger-SättigungsVerhalten • Störung der Serotoninsynthese Familiäre Faktoren • elterliches Kommunikationsund Interaktionsverhalten (kann aber auch Begleit- oder Folgeerscheinung sein) Kritische Lebensereignisse • Trennungs- und Verlusterfahrungen • sexueller Missbrauch, Vergewaltigung Familiäre Faktoren • elterliches Kommunikationsund Interaktionsverhalten Soziodemographische/ -kulturelle Faktoren • weibliches Geschlecht • höherer sozioökonomischer Status • westlicher Lebensstil Psychosoziale Faktoren • Schlankheitsideal • Diätieren, restriktives Essverhalten Psychosoziale Faktoren • Schlankheitsideal Individuelle Faktoren • Perfektionismus • niedriges Selbstwertgefühl Kognitive Faktoren • Kontrollverlust mit einhergehender Enthemmung des Essverhaltens Biobehaviorale Faktoren • Entwicklung von Konditionierungsmechanismen Abbildung 7: Übersicht über die Ätiologiefaktoren der Bulimia Nervosa 3.2.4 109 Therapieansätze Die Therapie bei Bulimie entspricht im Wesentlichen der Therapie der Anorexie. Oberstes Ziel ist auch hier die Wiederherstellung eines normalen Essverhaltens, das mit einer Normalisierung des Körpergewichts einhergeht. Auch die weiteren mittel- und langfristigen Ziele der Behandlung sind kongruent zu denen der Anorexie. So findet ebenfalls eine Arbeit an vorliegenden dysfunktionalen Gedanken statt und es werden neue Verhaltensmuster erlernt. Besonderes Augenmerk wird jedoch auf die Essgeschwindigkeit gelegt, da die Erkrankten bei den Essattacken extrem schnell essen und danach weder Angaben zu verzehrten Speisen noch zu der verzehrten Nahrungsmenge machen können. Da die Essanfälle häufig durch emotionale Spannungszustände ausgelöst werden, ist die die Arbeit an einem gesunden Emotions- und Stressmanagement in der Therapie von Bulimie darüber hinaus besonders wichtig.110 108 Siehe für den Absatz: Biedert, Esther: Essstörungen, a.a.O., S. 39 f Abbildung in Anlehnung an: Biedert, Esther: Essstörungen, a.a.O., S. 39-42; ergänzt durch: Jacobi, Corinna et al.: Psychosoziale Risikofaktoren, a.a.O., S. 69-71 110 Siehe: Schweiger, Ulrich et al.: Essstörungen, a.a.O., S. 86-91 109 31 Die psychopharmakologische Behandlung der Bulimia nervosa sieht eine Gabe von „trizyklischen und serotonergen Antidepressiva sowie Monoamin-OxidaseHemmern“111 vor. Diese „Antidepressiva haben nicht nur einen positiven Effekt auf Essanfälle und kompensatorische Maßnahmen, sondern reduzieren auch essstörungsspezifische psychopathologische Merkmale wie dysfunktionale Einstellungen zu Körper und Gewicht“112. Eine medikamentöse Behandlung ist jedoch nur als eine zusätzliche Komponente zu den bereits dargestellten Therapieformen anzusehen.113 3.3 Weitere Essstörungen 3.3.1 Binge-Eating-Störung Essanfälle sind schon seit mehr als 2000 Jahren in der Medizin bekannt. Die Bezeichnungen hierfür waren unterschiedlich und lauteten u. a. fames canina (lat.: Heißhunger) oder Kynorexie (griech.: hundsmäßiger Hunger). In das DSM-IV wurde die Binge-Eating-Störung allerdings erst im Jahr 1994 als nicht näher bezeichnete Essstörung aufgenommen (307.50).114 Untersuchungen belegen Prävalenzraten zwischen 0,7% und 4,6% in der Allgemeinbevölkerung, wobei Männer und Frauen gleich häufig an Binge-Eating erkranken. Typischerweise tritt die Binge-Eating-Störung „erstmalig im frühen Erwachsenenalter (zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr) oder im Alter zwischen 45 und 54 Jahren“115 auf.116 Sie wird folgendermaßen im DSM-IV beschrieben: A: Wiederholte Episoden von „Freßanfällen“. Eine Episode von „Freßanfällen“ ist durch die beiden folgenden Kriterien charakterisiert: 111 Lahousen, Theresa et al.: Psychopharmakologische Behandlung von Essstörungen, a.a.O., S. 12 112 Zwaan, Martina de / Svitek, Jana: Die Pharmakotherapie der Essstörungen. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 206 113 Siehe: Zwaan, Martina de et al.: Die Pharmakotherapie der Essstörungen, a.a.O., S. 208 114 Siehe: Zwaan, Martina de / Mühlhans, Barbara: Atypische Essstörungen und BingeEating-Störung. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 25 115 Biedert, Esther: Essstörungen, a.a.O., S. 55 116 Siehe für den Absatz: Biedert, Esther: Essstörungen, a.a.O., S. 54-55 32 (1) Essen einer Nahrungsmenge in einem abgrenzbaren Zeitraum […], die definitiv größer ist als die Menge, die die meisten Menschen in einem ähnlichen Zeitraum unter ähnlichen Umständen essen würden. (2) Ein Gefühl des Kontrollverlustes über das Essen während der Episode […]. B: Die Episoden von „Freßanfällen“ treten gemeinsam mit mindestens drei der folgenden Symptome auf: (1) wesentlich schneller essen als normal, (2) essen bis zu einem unangenehmen Völlegefühl, (3) essen großer Nahrungsmengen, wenn man sich körperlich nicht hungrig fühlt, (4) alleine essen aus Verlegenheit über die Menge, die man ißt, (5) Ekelgefühle gegenüber sich selbst, Deprimiertheit oder große Schuldgefühle nach dem übermäßigen Essen. C: Es besteht deutliches Leiden wegen der „Freßanfälle“. D: Die „Freßanfälle“ treten im Durchschnitt an mindestens 2 Tagen in der Woche für 6 Monate auf. E: Die „Freßanfälle“ gehen nicht mit dem regelmäßigen Einsatz von unangemessenen kompensatorischen Verhaltensweisen einher […] und sie treten nicht ausschließlich im Verlauf einer Anorexia Nervosa oder einer Bulimia Nervosa auf. 117 Eine Erkrankung an Binge-Eating ist diagnostisch meist schwer abgrenzbar, da die Diagnosekriterien der Bulimie sehr ähnlich sind. Der wesentliche Unterschied der beiden Krankheiten liegt jedoch in den kompensatorischen Maßnahmen, wie z. B. selbstinduziertem Erbrechen oder dem Missbrauch von Abführmitteln.118 An Bulimie Erkrankte führen diese Maßnahmen durch, Binge-Eating Kranke jedoch nicht. Folglich weisen die an der Binge-Eating Erkrankten größtenteils ein höheres Körpergewicht auf als Bulimikerinnen, auch wenn häufig versucht wird „zwischen den einzelnen Essanfällen […] die Nahrungsaufnahme einzuschränken und somit [das] Essverhalten zu kontrollieren“119. Die auftretenden Essanfälle werden häufig durch Schwierigkeiten in der Emotionsregulation begünstigt und haben eine stimmungs- und spannungsregulierende Funktion. So kommt es 117 Saß, Henning et al.: Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen, a.a.O., S. 861 118 Siehe: Zwaan, Martina de et al.: Atypische Essstörungen und Binge-Eating-Störung, a.a.O., S. 26 119 Biedert, Esther: Essstörungen, a.a.O., S. 53 33 meist zu einem Essanfall, wenn die Person einen Streit oder Konflikt erlebt, aber auch große Freude kann eine Essattacke zur Folge haben.120 Da die Binge-Eating-Störung wie beschrieben häufig mit Übergewicht einhergeht, leiden die Betroffenen als Folge ihrer Krankheit unter sozialer Ausgrenzung. Das Selbstwertgefühl der an Binge-Eating-Störung Erkrankten ist in der Regel sehr gering und häufig sehen sich diese Menschen selbst als „zu fett“. Damit ihr gestörtes Essverhalten nicht öffentlich wird, neigen Erkrankte dazu, ihr Essen heimlich zu horten und die Essanfälle finden vorwiegend statt, wenn die Betroffenen allein sind.121 Auch der Binge-Eating-Störung wird ein multifaktorielles Erklärungsmodell zugrunde gelegt. Man geht davon aus, dass sowohl genetische, psychologische als auch soziale Faktoren an der Entstehung beteiligt sind. Häufig haben die Betroffenen schon vor Krankheitsbeginn eine Abwertung aufgrund ihres Gewichts (kindliche Adipositas), ihres Aussehens oder ihres Essverhaltens erlebt. Auch vorhergegangene traumatische Erlebnisse oder Depressionen stellen Risikofaktoren dar.122 Die Therapie der Binge-Eating-Störung beinhaltet verschiedene Ziele: Neben der Verbesserung des körperlichen Zustandes und der allgemeinen Psychopathologie (z. B. in Form von Depressionen) geht es in der Therapie vor allem darum, die Häufigkeit von Essanfällen zu reduzieren und dadurch eine Gewichtsabnahme oder eine weitere Gewichtszunahme zu verhindern. Ein weiteres Ziel ist die Reduktion der essstörungsspezifischen Psychopathologie, wie z. B. die Überbewertung der eigenen Figur oder des eigenen Gewichts. Hinsichtlich des Einsatzes von Medikamenten hat sich in der Behandlung der Binge-Eating-Störung, ähnlich der Behandlung von Bulimie, die Gabe von Antidepressiva als unterstützend erwiesen. Durch ihre Gabe konnten die Essanfälle um durchschnittlich über 60% reduziert werden.123 Nach dem ersten Jahr der Therapie konnte man eine Remissionsrate von etwa 50% feststellen. Die Datenlage zu mittel- und langfristigen Verläufen ist aufgrund 120 Siehe: Biedert, Esther: Essstörungen, a.a.O., S. 52 f Siehe für den Absatz: Jacob, Frederike: Ess-Störungen lösungsorientiert überwinden, a.a.O., S. 59 122 Siehe für den Absatz: Biedert, Esther: Essstörungen, a.a.O., S. 61 123 Siehe für den Absatz: Zwaan, Martina de et al.: Die Pharmakotherapie der Essstörungen, a.a.O., S. 209 121 34 der „jungen Erkrankung“ noch unzureichend, ebenso wie die Datenlage zu Mortalitätsraten.124 3.3.2 Pica Pica (F 50.8 Sonstige Essstörungen) bzw. Pica im Kindesalter (F 98.3 Andere Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn in der Kindheit und Jugend) ist eine „spezifische Essstörung, welche in der anhaltenden, dranghaften Einnahme besonderer Substanzen oder Objekte besteht, welche je nach ihrer stofflichen Natur essbar oder ungenießbar sein können“125. Im DSM werden folgende diagnostische Merkmale beschrieben: - ständiges Essen ungenießbarer Stoffe, das mindestens einen Monat lang anhält; - das Essen ungenießbarer Stoffe ist für die Entwicklungsstufe unangemessen; - das Essverhalten ist nicht Teil einer kulturell anerkannten Praxis; - tritt die Störung des Essverhaltens ausschließlich im Verlauf einer anderen psychischen Störung (z.B. geistige Behinderung, tiefgreifende Entwicklungsstörung, Schizophrenie) auf, muss sie schwer genug sein, um für sich allein genommen klinische Beachtung zu rechtfertigen.126 Es wurde festgestellt, dass Babys und Kleinkinder bevorzugt Putz, Haare oder Stoff essen. Ältere Kinder verspeisen tierische Exkremente, Sand oder Insekten und Erwachsene meist Lehm oder Erde.127 Grund für eine Pica-Erkrankung können auch somatisch-medizinische Mangelzustände sein.128 Hier zu nennen ist „insbesondere Eisenmangel [, der] beim prädisponierten Individuum Pica begünstigen“129 soll. Erkannt wird die Störung meist erst, „wenn die Betroffenen eine der vielfältigen medizinischen Komplikationen aufweisen, die durch die Störung entstehen können, wie beispielsweise eine 124 Siehe: Quadflieg, Norbert et al.: Verlauf der Bulimia nervosa und der Binge-EatingStörung, a.a.O., S. 48 f 125 Knecht, Thomas: Pica – eine qualitative Appetitstörung. In: Schweizerische medizinische Wochenschrift (Basel), Nr. 36, Jg. 129, 1999, S. 1287 als Download von URL <http://www.smw.ch/docs/pdf/1999_36/1999-36-137.PDF> Stand: 15.12.2012 126 Siehe: Saß, Henning et al.: Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen, a.a.O., S. 138 127 Absenger, Iris: Die verkörperte Essstörung, a.a.O., S. 84-85 128 Knecht, Thomas: Pica – qualitative Normabweichungen des Appetits. In: Ledochowski, Maximilian: Klinische Ernährungsmedizin. Wien: Springer 2010, S. 700 129 Knecht, Thomas: Pica – eine qualitative Appetitstörung, a.a.O., S. 1290 35 Bleivergiftung durch das Essen von Farbe, oder eine Infektion durch die Aufnahme von Fäkalien oder Schmutz“130. Die Therapie bei Pica, sieht einerseits die Akutbehandlung der aufgetretenen Komplikationen, wie z. B. Bezoarbildung im Magen-Darm-Trakt oder Vergiftungen, andererseits eine verhaltenstherapeutischen Behandlung der zugrundeliegenden, meist psychiatrischen, Erkrankung vor.131 3.3.3 Ruminationsstörung Die Ruminationsstörung ist im DSM-IV als eigenständige Krankheit gelistet (307.53) in der ICD-10 wird sie unter dem Krankheitsbild der Fütterstörung (F98.2) aufgeführt. Sie ist charakterisiert durch ein „wiederholte[s] Heraufwürgen und Widerkäuen, das im Säuglings- und Kleinkindalter vorkommt und […] meist im 1. Lebensjahr einsetzt“132. Eine körperliche Begleiterkrankung, beispielsweise des Magen-Darm-Traktes, muss bei der Diagnose ausgeschlossen werden können. Es werden folgende zwei Typen der Ruminationsstörung unterschieden: die psychogene Rumination, der eine schwerwiegend gestörte Eltern-Kind-Beziehung zugrunde liegt, und die Rumination als Selbststimulation, die ausschließlich bei einer geistigen Behinderung oder Cerebralschädigung (Hirnschädigung) auftritt.133 130 Absenger, Iris: Die verkörperte Essstörung, a.a.O., S. 85 Knecht, Thomas: Pica – eine qualitative Appetitstörung, a.a.O., S. 1291 132 Blanz, Bernhard / Remschmidt, Helmut / Schmidt, Martin H. / Warnke, Andreas: Psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter. Ein entwicklungspsychopathologisches Lehrbuch. Stuttgart: Schattauer 2006, S. 138 133 Siehe: Blanz, Bernhard et al.: Psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter, a.a.O., S. 138 und Remschmidt, Helmut / Quaschner, Kurt: Störungen der Nahrungsaufnahme und der Ausscheidungsfunktionen in der frühen Kindheit, a.a.O., S. 136 131 36 3.4 Adipositas 3.4.1 Geschichtlicher Hintergrund und Epidemiologie Ausführungen über starkes Übergewicht lassen sich bereits in der griechischen Medizin finden. Dort wurden beispielsweise schon „Hinweise auf die Notwendigkeit der Mäßigung beim Essen und der körperlichen Ertüchtigung“134 beschrieben. Im Mittelalter galt Völlerei als eine der sieben Todsünden. Gründe für das extreme Übergewicht wurden in mangelnder Selbstkontrolle und fehlender Moral gesehen. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist Übergewicht in den Fokus öffentlicher Diskussionen gerückt und wird „nicht mit positiven Werten konnotiert“135 sondern mit Eigenschaften wie Trägheit, Faulheit, Dummheit und mangelnder Disziplin verbunden. Der frühe Krankheitsbegriff „Adipositas“ beinhaltete nicht ausschließlich extremes Übergewicht sondern implizierte auch Formen mäßigeren Übergewichts. Zugrunde lag die Quételet Formel, die heute als Body-Mass-Index136 (BMI) bekannt ist. Damals sehr restriktiv festgelegte Grenzwerte für Übergewicht und Adipositas wurden in den 1970er Jahren überarbeitet und etwas moderater formuliert. Seitdem liegt die Grenze zum moderaten Übergewicht, bei einem BMI von >25, Adipositas wird ab einem BMI von >30 diagnostiziert.137 Die Veröffentlichung der Daten der zweiten Nationalen Verzehrsstudie aus dem Jahr 2008 zeigt wie viel Prozent der Deutschen Bevölkerung, differenziert nach Altersgruppen, an Adipositas erkrankt sind (Abbildung 8, S. 38). Es wird deutlich, dass die Prävalenz von Übergewicht und Adipositas bei beiden Geschlechtern deutlich mit zunehmendem Alter ansteigt. Liegt die Prävalenz der Altersgruppe 20-29 Jahre noch bei durchschnittlich etwa zehn Prozent, ist sie bei der Altersgruppe der 60-69-Jährigen schon auf über 30% angestiegen. 134 Habermas, Tilmann: Klassifikation und Diagnose, a.a.O., S. 5 Jäger, Burkard: Soziokulturelle Aspekte der Essstörungen, a.a.O., S. 80 136 Der BMI ist eine Maßzahl für die Bewertung des Körpergewichts eines Erwachsenen. Er wird aus dem Quotienten von Körpergewicht (kg) und dem Quadrat der Körperlänge (m) gebildet. Die WHO sieht folgende Klassifikation vor: BMI <18,5kg/m² Untergewicht BMI 18,5kg/m² - 24,9kg/m² Normalgewicht BMI 25kg/m² - 29,9kg/m² Übergewicht BMI >30kg/m² Adipositas 137 Siehe: Habermas, Tilmann: Klassifikation und Diagnose, a.a.O., S. 4 f und Jäger, Burkard: Soziokulturelle Aspekte der Essstörungen, a.a.O., S. 80 135 37 Die Ergebnisse des bundesweiten Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS, 2003-2006) verdeutlichen, dass Adipositas als Krankheit nicht nur ein Problem der Erwachsenen ist: „Insgesamt sind 15 % der Kinder und Jugendlichen von 3–17 Jahren übergewichtig, und 6,3 % leiden unter Adipositas. Hochgerechnet auf Deutschland, entspricht dies einer Zahl von ca. 1,9 Millionen übergewichtigen Kindern und Jugendlichen, davon ca. 800.000 Adipösen.“138 Abbildung 9 zeigt den Anteil erkrankter Kinder nach Geschlecht und Altersgruppen differenziert. Auch hier wird der Anstieg der Prävalenz mit zunehmendem Alter deutlich. Anteil Adipöser in Deutschland 34,3 35 31,2 30,7 30 27,9 26,8 23,9 Anteil in % 25 18,9 20 14 15 10 20,1 14,3 13,2 10,6 9,4 8,7 5 0 18-19 20-29 30-39 40-49 Alter in Jahren 50-59 Frauen 60-69 70-80 Männer Abbildung 8: Anteil erwachsener Adipöser in der deutschen Bevölkerung 139 138 Kurth, Bärbel-Maria / Schaffrath Rosario Angelika: Die Verbreitung von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Ergebnisse des bundesweiten Kinder- und Jugendgesundheitssurveys. In: Bundesgesundheitsblatt – Gesundheitsforschung – Gesundheitsschutz. Nr. 50. Heidelberg: Springer 2007, S. 737 als Download von URL <http://edoc.rki.de/oa/articles/reryPJPcmUGw/PDF/20pyWvIP NYV52.pdf> Stand 29.12.2012 139 Datenquelle: Max Rubner Institut, Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel: Nationale Verzehrsstudie II. Ergebnisbericht Teil 1. Karlsruhe: Max Rubner Institut, 2008, S. 79 als Download von URL <http://www.was-esse-ich.de/uploads/ media/NVS_II_Abschlussbericht_Teil_1_mit_Ergaenzungsbericht.pdf> Stand 02.01.2013 38 Altersverteilung adipöser Kinder in Deutschland 9,0 8,5 7,0 8,2 7,0 5,7 6,0 Anteil in % 7,3 3,3 3,0 2,5 0,0 3-6 7-10 11-13 Alter in Jahren Mädchen 14-17 Jungen Abbildung 9: Altersverteilung adipöser Kinder in Deutschland 3.4.2 140 Diagnostik, Verlauf und Prognose Die ICD-10-Systematik führt die Erkrankung an Adipositas in dem Kapitel „Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten“ unter dem Code E66 in der Gruppe „Adipositas und sonstige Überernährung“ auf. Adipositas wird ausschließlich über den Body-Mass-Index diagnostiziert. Ab einem BMI von >30kg/m² gilt man als adipös, wobei zwischen folgenden drei Schweregraden unterschieden wird: BMI 30-34,9 kg/m² Adipositas Grad I BMI 35-39,9 kg/m² Adipositas Grad II BMI >40 kg/m² Adipositas Grad III Für die Diagnose von Adipositas bei Kindern ist man dazu übergegangen geschlechts- und altersbezogene BMI-Perzentilkurven (Anlage 2) zugrunde zu legen. Als adipös gilt ein Kind dann, wenn sein BMI oberhalb der 97. Perzentile liegt.141 Die Ausbildung von Adipositas ist nicht auf eine bestimmte Lebensphase begrenzt, sondern kann in jedem Alter auftreten. Eine Erkrankung an Adipositas geht mit „einer erhöhten Morbidität und Mortalität einher[...]“142. Adipöse sind oftmals in ihrem täglichen Leben durch ihr Überge- 140 Datenquelle: Kurth, Bärbel-Maria et al.: Die Verbreitung von Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland, a.a.O., S. 738 141 Siehe: Warschburger, Petra: Psychosoziale Faktoren der Adipositas in Kindheit und Adoleszenz. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 259 142 Warschburger, Petra: Psychosoziale Faktoren der Adipositas in Kindheit und Adoleszenz, a.a.O., S. 259 39 wicht stark eingeschränkt. Sie leiden unter „verstärkte[m] Schwitzen, Gelenkbzw. Rückenbeschwerden und Belastungsdyspnoe“143 (Atembeschwerden). Neben den degenerativen Erkrankungen des Bewegungsapparates treten häufig Begleiterkrankungen wie Diabetes mellitus Typ 2, gastrointestinale Erkrankungen (z. B. Fettleber), Gicht (als Folge vermehrter Aufnahme purinhaltiger Nahrungsmittel) oder Hormonstörungen mit der Folge verminderter Fertilität auf. In der Regel liegt bei einer Erkrankung an Adipositas auch eine arterielle Hypertonie vor, da mit zunehmendem Körpergewicht systolischer und diastolischer Blutdruck ansteigen. Auch wurde bei Adipösen ein um bis zu 80% höheres Risiko festgestellt ein Karzinom auszubilden. Gefährdet sind hier vor allem die am Verdauungsvorgang beteiligten Organe wie Speiseröhre, Gallenblase, Bauchspeicheldrüse sowie verschiedene Darmabschnitte.144 Während die negativen körperlichen Folgen der Adipositas oft erst nach einer gewissen Krankheitsdauer einsetzen, kommt es für die Betroffenen meist schnell zu spürbaren Reaktionen in ihrem Umfeld. Übergewichtige Personen werden von anderen Menschen sehr negativ bewertet und sozial ausgegrenzt. Dadurch wächst sowohl der Leidensdruck der Adipösen als auch die Motivation zur Therapie der Krankheit. Insbesondere bei extremem Übergewicht kommt es zu psychischen Störungen und Verhaltensauffälligkeiten, wie z. B. Angststörungen, Depressionen, Suizidgedanken und / oder der unter Kapitel 3.3.1 beschriebenen Binge-Eating-Störung. Bei Kindern ist eher selten, bei Jugendlichen und Erwachsenen jedoch häufig, ein negatives „Selbstkonzept v. a. im Bereich der körperlichen Aktivität und Attraktivität“145 festzustellen.146 Ein Zusammenhang zwischen einem erhöhten Mortalitätsrisiko und einer Erkrankung an Adipositas ist durch mehrere Studien belegt. So wurde beispielsweise ein um 2,77-fach erhöhtes Mortalitätsrisiko für Frauen im Alter von 50-59 Jahren mit einer Adipositas Grad III festgestellt.147 143 Hamann, Andreas: Klinische Aspekte der Adipositas. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 272 144 Siehe für den Absatz: Hamann, Andreas: Klinische Aspekte der Adipositas, a.a.O., S. 272-278 145 Warschburger, Petra: Psychosoziale Faktoren der Adipositas in Kindheit und Adoleszenz, a.a.O., S. 261 146 Siehe für den Absatz: Warschburger, Petra: Psychosoziale Faktoren der Adipositas in Kindheit und Adoleszenz, a.a.O., S. 260 f 147 Siehe: Hamann, Andreas: Klinische Aspekte der Adipositas, a.a.O., S. 275 40 3.4.3 Ätiopathogenese Risikofaktoren Auslösende Faktoren Biologische Faktoren • genetische Prädisposition Familiäre Faktoren • Konditionierung - Aufmerksamkeit für Kinder erfolgte über Nahrung (Stahr S. 43) • Essgewohnheiten Aufrechterhaltende Faktoren Biologische Faktoren • reduzierter Energieverbrauch • gestörtes Hunger-SättigungsVerhalten • positive Energiebilanz Kritische Lebensereignisse • Trennungs- und Verlusterfahrungen Familiäre Faktoren • Essverhalten Soziokulturelle Faktoren • Überangebot an kaloriendichter Nahrung • niedriger sozioökonomischer Status • Stigmatisierung von Übergewicht • Bewegungsmangel Psychosoziale Faktoren • Negativ-Image in Medien • Schönheitsideal • Einfluss der sozialen Bezugsgruppe Psychosoziale Faktoren • Isolation • Soziale Diskriminierung • Negativ-Image in Medien • Schönheitsideal Individuelle Faktoren • körperliche Inaktivität • erhöhter TV-Konsum • negative Emotionen • Energiezufuhr • Individuelle Faktoren • geringe körperliche Aktivität • emotionale Befindlichkeit • Funktion des EssensEmotionsregulierung • Negatives Selbstbild • Häufige Diäten Abbildung 10: Übersicht über die Ätiologiefaktoren bei Adipositas 148 Nach bisher vorliegenden medizinischen Erkenntnissen scheint Adipositas eine Erkrankung zu sein, die multifaktoriell begründet ist. In den westlichen Ländern ist einerseits – insbesondere durch das Überangebot an Nahrung bei gleichzeitiger Bewegungsarmut – „das Risiko, ein erhöhtes Körpergewicht anzunehmen, […] deutlich erhöht“149, andererseits kommt es gerade in diesem Kulturkreis zur Stigmatisierung von Übergewicht aufgrund des gängigen Schönheitsideals.150 Ein niedriger sozioökonomischer Status erhöht das Risiko adipös zu werden.151 148 Siehe: Wirth, Alfred: Ätiologie und Diagnostik der Adipositas. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer Medizin 2008, S. 249 und Warschburger, Petra / Petermann, Franz / Fromme, Carmen: Adipositas. Training mit Kindern und Jugendlichen. 2., überarbeitete Auflage. Weinheim / Basel: Beltz 2005, S. 24-35 und Jäger, Burkard: Soziokulturelle Aspekte der Essstörungen, a.a.O., S. 75-81 149 Jäger, Burkard: Soziokulturelle Aspekte der Essstörungen, a.a.O., S. 80 150 Siehe: Jäger, Burkard: Soziokulturelle Aspekte der Essstörungen, a.a.O., S. 75 und S. 80 151 Siehe: Jäger, Burkard: Soziokulturelle Aspekte der Essstörungen, a.a.O., S. 79 41 Familiäre Essgewohnheiten und das individuelle Essverhalten in Bezug auf Menge, Art und Qualität der Nahrung können als weitere Risikofaktoren gelten.152 Ebenso vergrößern Bewegungsmangel und erhöhter TV-Konsum das Risiko.153 Negative Emotionen wie Langeweile oder Einsamkeit begünstigen nicht nur das Entstehen einer Adipositas, sondern halten sie auch aufrecht.154 Neben der Aufnahme fettreicher, kohlehydratarmer Nahrung scheint das Vorhandensein einer genetischen Prädisposition das Entstehen dieser Krankheit zu begünstigen. Bei etwa 3% der Bevölkerung liegt eine Genmutation vor, die eine Adipositas zur Folge hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Erkrankung vererbt wird, liegt bei 50-60%.155 Die genetische Prädisposition gehört zu den biologischen Risikofaktoren. Hier sind bedeutsam: Körpergewicht, Energieverbrauch, Verbrennung im Fettgewebe, Muskelzusammensetzung, Fettpräferenz, Appetitregulation, Insulinsensitivität. Als biologisch auslösender und aufrechterhaltender Faktor zählt eine positive Energiebilanz. Diese ist dann positiv, wenn die Energiezufuhr, unterschieden nach Art, Häufigkeit und Qualität, den Energiebedarf, der sich aus Grundumsatz, Thermogenese und physischer Aktivität zusammensetzt, übersteigt.156 Kritische Lebensereignisse (Tod eines Familienangehörigen, Scheitern einer Beziehung, Verlust des Arbeitsplatzes u. ä.) können Auslöser einer Adipositas sein, Nahrungsaufnahme mit der Funktion der Regulierung meist negativer emotionaler Befindlichkeiten (Frust, Stress, Trauer Langeweile) hält eine Adipositas aufrecht. Das Negativ-Image adipöser Menschen in den Medien157 und auch das durch mehrfache Diäten meist nicht zu erreichende Schönheitsideal wirken sich negativ auf das Selbstwertgefühl der Betroffenen aus. Die gesellschaftliche Stigmatisierung von Adipösen führt zu Diskriminierung und Isolation der Betroffenen, was sich wiederum auf ihr Essverhalten auswirken kann.158 152 Siehe: Warschburger, Petra et al.: Adipositas. Training mit Kindern und Jugendlichen, a.a.O., S. 25 153 Siehe: Jäger, Burkard: Soziokulturelle Aspekte der Essstörungen, a.a.O., S. 80 154 Siehe: Warschburger, Petra et al.: Adipositas. Training mit Kindern und Jugendlichen, a.a.O., S. 34 155 Siehe: Wirth, Alfred: Ätiologie und Diagnostik der Adipositas, a.a.O., S. 249 156 Siehe für den Absatz: Warschburger, Petra et al.: Adipositas. Training mit Kindern und Jugendlichen, a.a.O., S. 25-27 157 Siehe: Jäger, Burkard: Soziokulturelle Aspekte der Essstörungen, a.a.O., S. 80 158 Siehe für den Absatz: Warschburger, Petra et al.: Adipositas. Training mit Kindern und Jugendlichen, a.a.O., S. 34 42 3.4.4 Therapieansätze159 Grundlegender Gedanke der Therapie bei Adipositas ist, dass für die Entstehung der Krankheit dem Körper mehr Energie zugeführt wurde als er braucht. Für eine Verbesserung des Zustandes muss daher einerseits die Kalorienzufuhr beschränkt werden, andererseits muss der Energieverbrauch des Körpers gesteigert werden. Interventionen bei der multimodalen Therapie der Adipositas zielen also auf ein verändertes „Ernährungs-, Ess- und Bewegungsverhalten [und beinhalten] in Abhängigkeit vom Schweregrad der Adipositas […] zudem medikamentöse und chirurgische Maßnahmen“160. Bei allen Interventionen sollte darauf geachtet werden, dass sie die individuellen Lebensumstände der Adipösen berücksichtigen, damit eine dauerhafte Effektivität der Behandlung gewährleistet werden kann.161 Die Reduktion der Energieaufnahme soll durch ein Einsparen von 500-1000 kcal pro Tag realisiert werden. Die Mindestzufuhr von 800 kcal/Tag soll jedoch nicht unterschritten werden. Betroffene sollen lernen kalorienreiche Speisen durch gesündere Speisen zu ersetzen, sodass sich eine Nährstoffzusammensetzung ergibt, bei der etwa „60% der Kalorien aus Kohlenhydraten, 25% aus Fett und 15% aus Protein stammen“162. Die Diät soll mindestens sechs Monate lang durchgeführt werden, im Allgemeinen wird jedoch das Ziel verfolgt die Ernährungsgewohnheiten langfristig zu ändern. Da „sich die Häufigkeit der körperlichen Aktivität als bedeutendster Prädikator für Gewichtsverlust erwiesen“163 hat, wird für Adipöse eine Trainingsdauer von 60 bis 90 Minuten täglich empfohlen. Geeignete gelenkschonende Sportarten sind Schwimmen, Walking und Radfahren. Es muss berücksichtigt werden, dass diese Therapieempfehlungen „sehr hohe Ansprüche an Intensität, Dauer und Häufigkeit der körperlichen Aktivität stellen“164 sodass für viele Betroffene die langfris- 159 Siehe: Munsch, Simone / Hartmann, Andrea S.: Standards bei der Adipositasbehandlung. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 322-327 und Jordan, Jens: Medikamentöse Therapie der Adipositas. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 341-344 und Wolf, Anna Maria: Adipositaschirurgische Therapiemöglichkeiten. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 348-355 160 Munsch, Simone et al.: Standards bei der Adipositasbehandlung, a.a.O., S. 322 161 Munsch, Simone et al.: Standards bei der Adipositasbehandlung, a.a.O., S. 327 162 Munsch, Simone et al.: Standards bei der Adipositasbehandlung, a.a.O., S. 323 163 Munsch, Simone et al.: Standards bei der Adipositasbehandlung, a.a.O., S. 324 164 Munsch, Simone et al.: Standards bei der Adipositasbehandlung, a.a.O., S. 325 43 tige Implementierung dieser Maßnahmen ohne zusätzliche soziale Unterstützung nicht möglich ist. Standard der psychologischen Behandlung bei Adipositas sind die behaviorale Therapie und die kognitive Verhaltenstherapie. Hier haben sich Behandlungsstrategien wie „die Selbstbeobachtung, die Stimuluskontrolle, das Trainieren flexiblen Essverhaltens sowie motivationale Strategien wie Setzen von Belohnungen für erreichte Zwischenziele und Ziele, Verstärkerentzug und soziale Unterstützung“165 als erfolgversprechend gezeigt. Von großer Bedeutung scheint der Zeitraum der psychologischen Betreuung zu sein, da eine schnell nachlassende Wirkung der Interventionen bei Beendigung der Behandlung festgestellt wurde. Damit der Gewichtsverlust gehalten werden kann, sollten auch diese Interventionen regelmäßig und über einen längeren Zeitraum angewendet werden.166 Der Einsatz von gewichtsreduzierenden Medikamenten, die auf den Fettstoffwechsel bzw. auf das Hunger-Sättigungs-Gefühl einwirken, kommt in der Regel nur dann vor, wenn die nichtmedikamentösen Maßnahmen eine zu geringe Wirkung erzielen.167 Chirurgische Maßnahmen, wie z. B. das Einsetzen eines Magenbands oder das operative Verkleinern des Magenvolumens, werden nur bei Patienten mit einem BMI >40, bei denen konservative Therapiemaßnahmen scheiterten, durchgeführt.168 165 Munsch, Simone et al.: Standards bei der Adipositasbehandlung, a.a.O., S. 325 Siehe für den Absatz: Munsch, Simone et al.: Standards bei der Adipositasbehandlung, a.a.O., S. 325 167 Siehe: Jordan, Jens: Medikamentöse Therapie der Adipositas, a.a.O., S. 341 168 Siehe für den Absatz: Wolf, Anna Maria: Adipositaschirurgische Therapiemöglichkeiten, a.a.O., S. 348-351 166 44 4. Analyse der Darstellung von gestörtem Essverhalten in fiktionalen Kinound Fernsehfilmen 4.1 Vorgehensweise Für die Analyse der Darstellung gestörten Essverhaltens in Filmen wurden – aus einer Auswahl von etwa 40 Filmen – 13 Filme ausgewählt. Die ausgewählten Filme sind alle fiktional, das heißt, dass es sich nicht um einen Dokumentarfilm o. ä. handelt, sondern die dargestellte Geschichte erfunden ist.169 Bei der Auswahl handelt es sich um Kino- und Fernsehfilme, die verschiedenen Genres zuzuordnen sind. Die Mehrheit der Filme stellt die Handlung in Form eines Dramas dar. Manche der ausgewählten Filme enthalten Elemente einer Komödie.170 Der Thematik der Anorexie sind fünf Filme zuzuordnen, der Bulimie drei, und fünf Filme beinhalten Darstellungen zu einer Erkrankung an Adipositas. Der Filmauswahl liegt der Gedanke zugrunde, die Vielfalt möglicher Darstellungen von Essstörungen im Film aufzuzeigen. So werden in den Filmen sowohl verschiedene Ausprägungen des jeweiligen Krankheitsbildes deutlich, als auch verschiedene ätiopathologische Faktoren und unterschiedliche therapeutische Interventionen. Bei der Analyse wird im Hinblick auf den Umfang der Arbeit nur die Erkrankung einer Person betrachtet, auch wenn weitere Charaktere mit gestörtem Essverhalten in dem Film dargestellt werden. So werden beispielsweise in BLOCH – BAUCHGEFÜHL sowohl die Erkrankung Blochs an Adipositas, als auch Holgers Erkrankung an Magersucht nicht näher betrachtet. Auch Melissa Lefèvres Bulimieerkrankung in ANGUS – VOLL COOL wird in der folgenden Analyse nicht berücksichtigt. Das Essverhalten weiterer Personen, wie z. B. der Familienmitglieder, wird nur erwähnt, soweit es auf die Ätiopathogenese der analysierten Erkrankung Einfluss nimmt. Die Eingruppierung des Filmes CENTER STAGE in die Gruppe der Anorexie entspricht nicht der in der Fachliteratur vorgenommen Zuordnung. Dort wird der Film als ein Beispiel einer Darstellung von Bulimie aufgeführt und die Erkrankte, Mau- 169 Siehe: Mikos, Lothar: Film- und Fernsehanalyse. 2. Auflage. Konstanz: UVK 2008, S. 262 170 Zur Problematik der Genrebezeichnungen sowie -überschneidungen siehe: Faulstich, Werner: Grundkurs Filmanalyse. 2. Auflage. Paderborn: Fink 2008, S. 28-30; Erläuterungen zu verschiedenen Genres finden sich in Faulstich, Werner: Grundkurs Filmanalyse, a.a.O., S. 30-59; für Ausführungen zur Psychopathologie in unterschiedlichen Filmgenres siehe auch: Wedding, Danny / Boyd, Mary Ann / Niemiec, Ryan M.: Psyche im Kino. Wie Filme uns helfen, psychische Störungen zu verstehen. Bern: Huber 2011, S. 24 45 reen, als Beispiel eines „akkuraten Portraits einer Bulimikerin“171 bezeichnet. Begründet wird diese Zuordnung dadurch, dass Maureen Junkfood äße und anschließend erbräche um nicht zu zunehmen und fürs Tanzen fit zu bleiben.172 Diese Begründung legitimiert jedoch eine Zuordnung zu den Filmen der Anorexie. So lässt sich in der Darstellung von Maureens Essverhalten vielmehr eine Anorexia athletica als eine Bulimie erkennen. Zusätzlich gestützt wird die Entscheidung zu der abweichenden Eingruppierung durch das Fehlen von „wirklichen“ Fressanfällen – einem der Hauptsymptome einer Bulimie – denn an diesen leidet Maureen offensichtlich nicht. 4.2 Filme zu der Thematik „Anorexie“ 4.2.1 Filmübersicht Bloch – Bauchgefühl (Deutschland, 2008) Das TV-Drama aus der Reihe ‚Bloch’ handelt von einer 22-jährigen Frau namens Jana Leistner, die seit drei Jahren an Anorexie erkrankt ist. Als Janas Gesundheitszustand immer kritischer wird und sie nur noch 41 Kilogramm wiegt, schicken ihre Eltern, Petra und Helmut, sie in psychotherapeutische Behandlung zu Herrn Bloch. Der – selbst stark übergewichtige – Psychologe versucht einerseits, Jana an normale Mahlzeiten zu gewöhnen, andererseits die Gründe für ihre Essstörung herauszufinden: Neben Janas Familie spielen hier auch eine an Magersucht gestorbene beste Freundin Melli, sowie deren Vater Frank eine wichtige Rolle. Center Stage (USA, 2000) Der Film CENTER STAGE stellt das Leben von Maureen und ihren Freunden an der American Ballet Academy in New York dar. Um am Ende des Jahres übernommen zu werden, trainieren die jungen Menschen hart. Auch Maureen verlangt sich selbst viel ab, damit sie ihrer ehrgeizigen Mutter gerecht werden kann. Von ihren Freunden und der Familie unbemerkt erkrankt sie an einer Essstörung. Gegen Ende des Films erkennt Maureen, dass sie nicht aus eigenem Willen 171 Wedding, Danny / Boyd, Mary Ann / Niemiec, Ryan M.: Psyche im Kino, a.a.O., S. 430 Siehe: Wedding, Danny / Boyd, Mary Ann / Niemiec, Ryan M.: Psyche im Kino, a.a.O., S. 275 172 46 tanzt, sondern nur ihrer Mutter zuliebe und sie verlässt die American Ballett Academy. Ihre Freunde werden in das Ballettensemble der Academy aufgenommen. Griff nach den Sternen (USA, 1997) Katie Bryant ist ein 14-jähriges Mädchen, das mit seinen Eltern und ihrem Hund zusammenlebt. Katie ist Turnerin und darin sehr talentiert. Als Trainer Greg Radkin sie bei einem Wettkampf kennenlernt, bietet er der Familie an, Katie zu trainieren, damit sie so gut wird, dass sie an den olympischen Spielen teilnehmen kann. Die Familie stimmt zu und Katie zieht mit ihrer Mutter Allison dorthin, wo sich Radkins Trainingszentrum befindet. Unter dem Leistungsdruck und dem harten Training von Trainer Radkin beginnt Katie sich zu verändern. Helen, Fred und Ted (Teil 1, Deutschland, 2006) Der Fernsehfilm HELEN, FRED UND TED spielt in München und handelt von drei Psychotherapeuten: Frederick („Fred“) Czerny, Eduard („Ted“) Fröhlich und Helen Cordes. Frederick Czerny möchte in Ruhestand gehen und ist dabei seine Praxis an Eduard Fröhlich zu übergeben. Helen Cordes lernt Fred und Ted auf einer Hundeausstellung kennen. Sie arbeitet als Ärztin in einer psychiatrischen Klinik. Da sie die in der Klinik praktizierte psychopharmakologische Behandlung einer magersüchtigen Patientin namens Lilly Bäumer nicht weiter hinnehmen will, kündigt sie ihre dortige Arbeitsstelle und steigt in die Praxisgemeinschaft der beiden Männer mit ein, auch um Lilly dort ambulant behandeln zu können. Vincent will Meer (Deutschland, 2010) Die Tragikomödie handelt von drei jungen Menschen, die sich in einem psychiatrischen Therapiezentrum kennenlernen: Vincent, einem jungen, am TouretteSyndrom173 erkrankten Mann, Marie, eine an Magersucht leidende junge Frau und Alex, einem Zwangsneurotiker mit Sauberkeitswahn. Da Vincent den letzten Wunsch seiner verstorbenen Mutter, noch einmal das Meer zu sehen, erfüllen möchte, begibt sich das Trio, verfolgt von Vincents Vater, Herrn Galler, und der behandelnden Ärztin Dr. Rose auf den Weg nach Italien. Auf der Reise bricht 173 Das Tourette-Syndrom äußert sich durch motorische und verbale Tics, wie unkontrol- lierte Bewegungen und Geräusche, oft Flüche und obszöne Bemerkungen 47 Marie wegen ihrer durch die Magersucht bedingten Herzschwäche zusammen und wird in ein Krankenhaus eingeliefert. 4.2.2 Darstellung des Krankheitsbildes Das Hauptcharakteristikum der Anorexie – nämlich die Angst vor Gewichtszunahme – wird in fast allen untersuchten Filmen deutlich. Während bei HELEN, FRED UND TED ausschließlich die Auswirkungen der zu geringen Nahrungsaufnahme gezeigt werden, wird in den anderen Filmen die Angst vor dem Essen und der daraus resultierenden Zunahme in verschiedenen Szenen veranschaulicht. Maureen (CENTER STAGE) wird in einer Einstellung am Buffet einer Kantine gezeigt. Das Einzige, was sie sich auf den Teller legt, sind wenige Salatblätter (TC 00:14:42). Auch wird im Gespräch mit ihren Freundinnen deutlich, dass Maureen sehr auf den Nährwert von Speisen achtet. (TC 00:23:02) Junger Mann: Möchte jemand ein Obsttörtchen für den Heimweg? Freundin Emily: Ja ich, gern! Maureen: Die sind sehr kalorienreich, Emily! Als Maureen mit Freunden abends ausgeht, verspeist sie ein Stück Pizza und ein Eis (TC 00:35:18,00:36:58). Zurück in der Akademie betrachtet sie sich im Spiegel und geht dann auf Toilette um zu erbrechen (TC 00:38:03). Im weiteren Verlauf des Films erbricht Maureen noch zweimal (TC 01:02:12, 01:13:02), erfindet vor ihrem Freund jedoch Ausreden dafür („Ich bin bloß ein wenig seekrank.“, „Mir war nur schlecht.“). In VINCENT WILL MEER lässt Marie in der Klinik ihr Mittagessen, das sie eigentlich unter Aufsicht zu sich nehmen soll, in einem unbemerkten Moment in ihrer Tasche „verschwinden“ und täuscht dadurch ihren Pfleger (TC 00:14:01). Auch als Marie mit Vincent und Alex aus der Klinik flüchtet, weigert sie sich weiterhin zu essen und Vincent versucht vergeblich sie vom Essen zu überzeugen. TC 00:29:47 |Vincent und Alex essen etwas| Vincent: Willst du sicher nichts? Marie: Nein danke, ich hab keinen Hunger. |trinkt Cola light| V: N bisschen Salat vielleicht? Hm? M: Danke, nein! V: Guck mal! Hier ist ne Gurke! M: Sag mal! Lass mich jetzt doch mal in Ruhe! Du bist doch nicht mein Arzt! 48 In einem weiteren Gespräch mit Vincent (TC 00:47:41), unterstreicht Marie ihren Willen, nichts zu essen. Da sie jedoch Vincent einmal versprochen hatte etwas zu essen (TC 00:54:04), beißt sie in einer Szene zweimal in ein Sandwich. Es wird deutlich, wie schwer ihr die Nahrungsaufnahme fällt. Sie isst langsam und pult Zutaten aus dem Sandwich heraus, die sie wegschmeißt (TC 00:59:54). Die Angst vor Gewichtszunahme durch dieses Stück Sandwich ist bei Marie so stark ausgeprägt, dass sie sich kurze Zeit später (TC 01:06:47) absichtlich übergibt. Diese Szene lässt die Schlussfolgerung zu, dass Marie an einer bulimischen Anorexie erkrankt ist, die mit gewichtsregulierenden Maßnahmen, wie eben diesem selbstinduzierten Erbrechen, assoziiert wird. Marie begründet ihre Abneigung gegen Essen Vincent gegenüber folgendermaßen: (TC 00:51:15) Marie: Es sieht einfach hässlich aus, wenn Menschen essen. So richtig ekelhaft und widerlich, wenn die so ihre Sachen sich reinstopfen. Woah, das ist doch abartig. Es ist viel irrer nichts zu essen. Ich mein, es hört sich total krank an, aber es ist wirklich so. Auch bei BLOCH – BAUCHGEFÜHL wird die Angst vor Gewichtszunahme mehrfach dargestellt. Die Mutter beschreibt Janas Gewichtszustand zu Beginn mit den Worten „Die wiegt nur noch 41 Kilo!“ (TC 00:03:18) und erzählt dem Psychologen Bloch, dass Jana plötzlich einfach immer weniger gegessen habe (TC 00:03:36). Auch Jana selbst gibt zu, dass sie „ne Zeit lang ziemlich wenig gegessen“ hat (TC 00:05:43). Im weiteren Verlauf des Films wird jedoch deutlich gezeigt, dass Jana immer noch (zu) wenig isst und gemeinsames Essen mit anderen vermeidet. Sie verlässt den Tisch beim gemeinsamen Essen mit ihrer Familie (TC 00:10:33) und gibt vor, das Essen in ihrem Zimmer zu sich zu nehmen. Wenn Jana unter Aufsicht essen soll, tut sie dies extrem langsam. Diese Szenen (TC 00:12:18 und 00:18:55) verdeutlichen – verstärkt durch eine langsame Kameraführung und Nah- aufnahmen der Speisen – die Qualen, die Jana währenddessen empfindet. Außerdem versucht Jana verschiedene Tricks um nicht essen zu müssen. So täuscht sie Bloch im Restaurant beispielsweise darüber hinweg, dass sie – statt zu essen – die Speisen auf eine Serviette, die auf ihren Beinen liegt, fallen lässt (TC 00:20:17, 00:20:42). Auch handelt sie mit Bloch ihre Essensmenge aus. (TC 00:22:48) Jana: Okay. Zwei Artischockenherzen und das halbe Risotto. Bloch: Das ganze Risotto, drei Artischockenherzen und das Stück Brot. J: Zwei Artischockenherzen, das ganze übrige Risotto und ein halbes Stück Brot. B: Einverstanden. 49 Als Jana im weiteren Verlauf des Films unter Aufsicht von Holger (einem ehemals Magersüchtigen) in einer Suppenküche isst, versucht sie ebenfalls durch einen Trick weniger essen zu müssen. (TC 00:38:03) Holger: Kannst du bitte Deine Ärmel hochkrempeln? Jana: Was? H: Ich möchte nicht, dass du die Soße drauf verreibst. J: Wie kommst du denn darauf? |Holger schaut auf Janas Ärmel| H: Das ist Aprikosenmarmelade, oder? Und da an der Seite klebt irgendein Streichkäse. Ich nehme an das war dein Frühstück? Deswegen geb ich dir nen Tipp. Bei Tomatensoße müsstest du deine Sachen sofort nachm Essen einweichen, sonst gehen die Flecken nicht mehr raus. Das kannst du hier aber nicht machen, ohne aufzufallen. Deswegen lass es lieber. Ihrer Oma erklärt Jana, dass sie einfach nur keine Lust habe sich „vollzustopfen“ (TC 00:14:07). Als gewichtsregulierende Maßnahme erbricht Jana nicht nach einem Essen, sondern sie bewegt sich dauerhaft übermäßig viel. Ständig wippt sie mit den Füßen (TC 00:09:28, 00:10:45, 00:10:51, 00:18:50, 00:28:24, 00:39:01, 00:40:44, 00:46:25), läuft im Raum auf und ab (TC 00:05:20, 00:16:47), joggt (TC 00:05:01, 00:14:18, 00:48:28, 01:11:54) oder trainiert in ihrem Zimmer (TC 00:11:45, 00:48:57, 01:08:54). Die Angst vor einem höheren Körpergewicht wird stark sichtbar, als Jana, bedingt durch das beaufsichtigte Essen, beim Wiegen in Blochs Praxis feststellen muss, dass sie zugenommen hat. Sie will die Praxis fluchtartig verlassen. (TC 00:47:50) Bloch: Halt! ...wo ist das Problem? Jana (schreit): Sie haben mich betrogen! Drei Kilo! Ich hab drei Kilo zugenommen! Wir haben gesagt 800 Gramm die Woche! Katies Angst vor Gewichtszunahme in GRIFF NACH DEN STERNEN entsteht erst im Verlauf des Films. So ist die Sportlerin zu Beginn mit einem Körpergewicht von knapp 43 Kilogramm vermutlich im unteren Bereich des „Normalgewichts“ anzusiedeln, das Essverhalten scheint normal zu sein und ein Wunsch nach Gewichtsabnahme wird nicht geäußert. Dieser Zustand ändert sich, als sie einige Tage im Leistungssport-Trainingscamp trainiert hat. In einem Streitgespräch mit ihrer Mutter – da Katie nicht zu Abend essen will – wird deutlich, dass und wodurch sie eine Angst vor einer Gewichtszunahme entwickelt hat. (TC 00:38:08) Katie: Ich muss auf mein Gewicht achten! Mutter: Ach Schatz, sei nicht albern! Also gut, du musst nicht alles aufessen. Nimm von allem nur ein bisschen. Es ist gesund. 50 K: Mum! Zwing mich nicht! Bitte! M: Katie! Du brauchst doch Kraft! K: Verstehst du denn nicht?! Wenn ich noch drei Pfund mehr abnehme, kann ich noch um 30 cm höher springen! M: Das ist mir völlig egal! Du kannst nicht verhungern, nur weil jemand sagt… K (schreit): Na schön! Wenn du willst, dass ich esse, esse ich! Ich esse jeden Bissen, aber anschließend geh ich ins Badezimmer und kotze! Ist es das, was du willst?! Katies Wunsch nach Gewichtsabnahme liegt keine Körperschemastörung zugrunde, sondern ist einzig und allein darin begründet, ihre sportliche Leistung durch Gewichtsreduzierung zu steigern. Es handelt sich bei dem dargestellten Krankheitsbild von Katie um typische Merkmale einer Anorexia athletica. Die Darstellung der Körperschemastörung bei Anorexie ist in BLOCH – BAUCHGEFÜHL am ausführlichsten. Schon zu Beginn des Filmes zeigt eine Einstellung Jana, die im Krankenhauszimmer ihr Spiegelbild betrachtet (TC 00:00:45). Es ist stark verzerrt und Jana sieht sich mit einem dicken Bauch. Das Ekelgefühl gegenüber ihrem Körper, speziell gegenüber ihrem dicken Bauch, ist in Janas Gesicht deutlich zu erkennen. Ein ebenfalls verzerrtes Lied (Titel „I Will survive“) begleitet diese Einstellung und unterstreicht die verzerrte Körperwahrnehmung. Beim Essen eines Joghurts sieht Jana in der konvexen Wölbung des Löffels erneut ihr stark verzerrtes Spiegelbild (TC 00:12:42). In der Therapie bittet Bloch Jana in zwei Szenen sich vor den Spiegel zu stellen und zu beschreiben, was sie sieht. (TC 00:24:20) Bloch: Was sehen Sie? Jana: Pfhh. B: Was sehen Sie? J: Fette Kuh! B: Genauer. J: Mein Hals ist zu dick und meine Arme sind zu dick. Und meine Beine sind zu dick. Der Bauch schwabbelt voll. […] J: Ich hab eine Magersüchtige gekannt. Das sieht anders aus. B: Und wie sieht das aus? J: Verhungert. Wie ein Skelett. […] J: Ich bin fett! Ich bin fett! Ich bin nicht magersüchtig! Hier wird die falsche Selbstwahrnehmung des Körpers sehr gut dargestellt. Auch in nachfolgenden Szenen, in denen Jana sowohl ihr Körperbild als auch Umfänge des eigenen Körpers einschätzen soll, wird klar, dass ihre eigene Wahrneh- 51 mung stark von der Wahrnehmung anderer abweicht und Jana sich dicker wahrnimmt, als sie in Wirklichkeit ist (TC 00:26:07, 00:27:30). Wie sehr eine verminderte Nahrungsaufnahme dem Körper schadet, wird in allen untersuchten Filmen deutlich. So bricht Jana zu Beginn des Filmes BLOCH – BAUCHGEFÜHL im Krankenhaus an einem Schwächeanfall zusammen, Marie (VINCENT WILL MEER) kann aufgrund ihrer körperlichen Schwäche kaum mit Vincent und Alex mithalten, als sie einen Berggipfel erklimmen. Sie läuft taumelnd und schwer atmend hinter den beiden her (TC 00:56:08) und auf dem Rückweg zum Auto trägt Vincent Marie Huckepack (TC 01:02:46). Der schlechte körperliche Zustand von Marie wird durch eine Nahaufnahme ihrer einzelnen herausstehenden Rückenwirbel verstärkt (TC 01:04:19). Durch die jahrelange Mangelernährung leidet Marie bereits an Herzproblemen (TC 00:50:20). Dies ist auch der Grund, warum sie gegen Ende des Films auf einer Treppe zusammenbricht, ohnmächtig wird und mit einem Krankenwagen in ein Krankenhaus eingeliefert wird (TC 01:17:01). Sowohl bei Marie (TC 00:17:32) als auch bei Jana (TC 00:17:03) wurden, da sie in medizinisch-therapeutischer Behandlung sind, durch die Anorexie deutlich verschlechterte Blutwerte festgestellt. Bei Katie hingegen (GRIFF NACH DEN STERNEN), die nicht wegen ihrer Essstörung behandelt wird, fehlen diese diagnostischen Angaben. Bei ihr wird die langsam eintretende Unter- und Mangelernährung durch Skelettschmerzen und Trainingsverletzungen deutlich, obwohl sie und ihre Mutter Allison – gegen den Willen von Katies Vater – zuerst noch versuchen diese durch die Einnahme von Medikamenten zu kompensieren. (TC 00:55:41) |Mutter verabreicht Katie abends Schmerzmittel| Vater: Ich habe befürchtet, dass so etwas mal passiert. Sie ist müde und erschöpft. Sie hat kaum was gegessen. Mutter: Es war ein Unfall, Peter! V: Wie lange trinkt sie denn schon diese Apotheken-Cocktails? M: Du reagierst übertrieben. Erst seit ein paar Wochen. Ihre Füße haben ihr weh getan und die Schultern. Sie kann dann besser schlafen. V: Mir gefällt nicht, dass meine Tochter zum Aspirin-Junkie wird. Der Schmerz ist ein Signal für sie und es wäre besser, wenn sie für eine Weile pausieren würde. Gegen Ende des Films wird der Mutter jedoch bewusst, dass der Druck durch das Leistungszentrum zu groß wird und ihre Tochter an einer Essstörung erkrankt ist. Im Gespräch mit ihr fasst sie die Auswirkungen der Anorexie für Katie zusammen. 52 (TC 01:25:27) Mutter: Sieh dich doch an! Du hast abgenommen. Du hast Ringe unter den Augen. Deine Menstruation hat aufgehört. Du brauchst in der Woche zwei Packungen Aspirin. Auch in HELEN, FRED UND TED werden die Folgen der Unterernährung dargestellt. Lilly Berger verlässt während ihres Psychiatrieaufenthaltes nicht ein einziges Mal ihr Krankenbett. Die Aufnahmen zeigen ein blasses, abgemagertes Mädchen, das sich kaum bewegt und selbst zum eigenständigen Trinken zu schwach ist, als ihr Ärztin Helen Cordes Spurenelemente, Salze und Vitamine verabreicht (TC 00:23:44). Cordes äußert in einem Gespräch mit ihrem Kollegen Dr. Sauer, dass sie der Meinung ist, dass Lillys diagnostizierte Depression nur Folge der Unterernährung sei. (TC 00:06:47) Dr. Sauer: Das Kind ist depressiv. Dr. Cordes: Das Kind ist komplett unterernährt und hat deshalb Stoffwechselstörungen und sonst gar nichts! Dennoch scheint Lillys Depression als komorbide Erkrankung der Anorexie stark ausgeprägt zu sein, denn Dr. Cordes bestätigt Dr. Sauer darin, dass Lilly suizidgefährdet ist (TC 01:09:32). Auch Jana versucht am Ende des Films BLOCH – BAUCHGEFÜHL sich selbst durch Verschlucken in Saft getränkter Wattebäusche umzubringen (TC 01:13:09). Der Suizidversuch scheitert jedoch, da die Polizei rechtzeitig in Janas Zimmer eindringt. Der Wunsch nach Perfektion wird in GRIFF NACH DEN STERNEN deutlich. Katie versucht den hohen Anforderungen und Erwartungen des Trainers Radkin gerecht zu werden, der von seinen Schülern eiserne Disziplin und Perfektion abverlangt. (TC 00:47:35) Radkin: Perfektion! Prägt euch dieses Wort gut ein! Ihr müsst perfekt sein! Wenn ihr eure Übungen macht, muss jede Bewegung in jeder Disziplin absolut perfekt sein! In den anderen untersuchten Filmen lässt sich diese Charaktereigenschaft nicht feststellen. Stattdessen werden die Aspekte der Isolation und Anpassung in BLOCH – BAUCHGEFÜHL verdeutlicht. So trifft Jana in der Stadt zufällig auf ein paar Freundinnen. Diese fragen sie, ob sie nicht mit ihnen zusammen einkaufen gehen wolle, doch Jana lehnt ab und gerät sogar in einen Streit mit ihnen wegen ihres Aussehens und Gewichts (TC 00:14:22). Janas Verhalten ihrer eigenen Familie und dem Vater der gestorbenen besten Freundin (Frank) gegenüber zeigt, dass sie sehr bemüht ist allen gerecht zu werden und niemanden durch ihr Verhalten verletzen möchte. So entschuldigt sich Jana sofort bei Frank, sobald sie 53 merkt, ihr Verhalten wird von ihm als falsch gewertet. Diese unterwürfige Haltung von Jana wird durch Franks Äußerungen geradezu provoziert. (TC 00:28:37) |Jana besucht Frank| Frank: Mit wem warst du denn essen? Jana: Mit nem Bekannten. F: Hmm. Ich hab auf dich gewartet. Du weißt, dass mir das nicht gut tut. J: Entschuldigung. Entschuldige. (TC 00:36:54) |Jana besucht Frank und klopft an der Tür, Frank öffnet| Frank: Oooh, bist ja auch schon da! Jana: Es tut mir leid! F: Es is halb zehn! J: Ich weiß doch auch nicht, was ich machen soll. Es ist alles so viel. F: Willste, dass mir was passiert? |Jana schüttelt den Kopf| In einem Therapiegespräch zwischen Bloch und Jana wird deutlich, dass Jana Kontakt zu Frank hält, weil sie der Meinung ist, dass es Frank gut tut (TC 01:02:54). Wie es ihr dabei geht, scheint zweitrangig zu sein. Aber auch in ihrer Familie versucht Jana sich anzupassen und keinen Ärger zu machen. Sie erzählt Bloch, wie ihr Vater einen möglichen Auszug von Jana sehen würde. (TC 00:41:02) Bloch: Was sagt denn Ihr Vater? Jana: Ts. Mein Vater ist froh, wenn ich endlich weg bin. Immer wenn seine komischen Geschäftskollegen kommen, dann muss ich auf mein Zimmer gehen, damit ja keiner sieht wie ich jetzt aussehe. B: Wie? Und dann gehen Sie auf Ihr Zimmer? J: Hmm. Ohne die Wünsche der Eltern in Frage zu stellen, tut Jana das, was ihre Eltern für richtig halten oder von ihr erwarten (TC 00:41:19). So ist es auch der Wunsch der Eltern, dass sich Jana einer Therapie der Essstörung bei Bloch unterzieht (TC 00:02:18, 00:05:45) – wobei sie zugibt, dass sie „wirklich n bisschen Unterstützung“ braucht (TC 00:06:22). Als Jana die Therapie bei Bloch abgebrochen hat, sieht sie, wie ihre Eltern verzweifelt in der Küche sitzen. Ihre Mutter weint (TC 00:50:13). In diesem Moment entschließt sie sich – getrieben von dem Drang den Wünschen ihrer Eltern gerecht zu werden – auf eine stationäre Therapie einzulassen, die sie allerdings direkt am ersten Tag wieder abbricht. Auch Janas Suizidversuch ist ein Versuch, dem Wunsch des Vaters zu entsprechen, da dieser ihr zuvor nahege- 54 legt hatte, sie solle sich doch umbringen, damit sie der Familie nicht noch mehr Leid antue (TC 01:12:49). 4.2.3 Darstellung der ätiopathologischen Faktoren In den vorliegenden Filmen werden verschiedene Faktoren deutlich, die die Erkrankung an Anorexie beeinflussen. Die von Anorexie Betroffenen sind in allen Filmen weiblichen Geschlechts und leben den „westlichen Lebensstil“. Im Film VINCENT WILL MEER werden darüber hinaus keine weiteren ätiopathologischen Faktoren deutlich. In BLOCH – BAUCHGEFÜHL kann man die Familie von Jana, und hier insbesondere den Vater, als prädispositionierenden und aufrechterhaltenden Faktor der Erkrankung erkennen. Bloch diskutiert mit Janas Vater, dass mangelnder Freiraum für Jana ein Grund ihrer Erkrankung ist. Doch der Vater zeigt sich uneinsichtig (TC 00:44:38). Dass Jana nicht an den Geschäftsessen ihres Vaters, die bei Fami- lie Leistner zuhause stattfinden, teilnehmen darf (TC 00:59:32, 1:22:55) zeigt, dass sie in den Augen ihres Vaters eine Außenseiterposition einnehmen soll und sich nicht der Familie zugehörig fühlen darf. Den Ausschluss von den Geschäftsessen begründet er damit, dass es nur eine Konsequenz und nicht der Grund der Magersucht sei (TC 00:45:23). Als Jana im Verlauf der Therapie beginnt eine eigene Meinung zu entwickeln und sich zeitweise von den Wünschen und Erwartungen ihres Vaters löst, ist der Vater schockiert (TC 00:44:16, 01:00:14). Der Suizidvorschlag vom Vater markiert den Höhepunkt der Vater-Tochter-Beziehung. (TC 01:12:49) Vater: Du [Jana] weißt überhaupt nicht, was du uns allen antust! He? Warum bringst du dich nicht gleich um – aber richtig! Als Jana nach dem Selbstmordversuch ins Krankenhaus eingeliefert wird, weigert er sich, seine Tochter zu besuchen (TC 01:14:00). Janas Schwester hat eine ähnliche Einstellung wie der Vater zu Jana und ihrer Erkrankung. Sie hat scheinbar nur den nötigsten Kontakt mit ihr und äußert ihre Meinung zu der ganzen Situation Jana gegenüber auf eine sehr verletzende Art und Weise. (TC 00:50:00) Schwester: Bor, mach endlich, dass du hier abhaust! Ich kann deine leidende Fresse hier nicht mehr sehen! 55 Janas Mutter hingegen zeigt sich die ganze Zeit über verständnisvoll und ist sehr besorgt um Janas Gesundheitszustand, erscheint aber mit der gesamten familiären Situation überfordert. Auf der Suche nach dem Auslöser für Janas Erkrankung werden sowohl Bloch (TC 01:09:19) als auch Janas Mutter auf Mellis Vater Frank aufmerksam. (TC 00:39:58) Mutter: Ist dir [Jana] schon mal in den Sinn gekommen, dass der [Frank] Schuld ist an deinem Zustand? Jana: Fang bitte nicht schon wieder damit an! M: Doch! Seitdem es diesen Frank gibt, geht es dir so. Der direkte Grund für Janas Erkrankung ist Frank allerdings nicht. Der Auslöser der Anorexie liegt drei Jahre zurück und ist der Tod von Janas bester Freundin Melli, an dem sich Jana selbst die Schuld gibt. Von Schuldgefühlen geplagt, fühlt sie sich für Franks schlechten Gesundheitszustand verantwortlich und versucht ihm Melli zu ersetzen (TC 01:15:01). Auch bei Lilly in HELEN, FRED UND TED spielt die Familie bei der Entstehung der Anorexie eine wichtige Rolle. So erklärt Dr. Cordes Lilly, dass der Grund für ihre Erkrankung in ihrer Familie läge (TC 00:24:23, 01:09:12). Diese Meinung vertritt Cordes auch ihrem Kollegen Dr. Sauer gegenüber, der sie darin bestätigt. (TC 00:06:58) Cordes: Es ist aber wichtig ein Gespräch mit den Eltern zu führen. Man sollte sie endlich über die Co-Abhängigkeit im Familiensystem aufklären und darüber, dass ihre Tochter eigentlich… Sauer: …die familiären Probleme auf sich verlagert hat und deshalb krank geworden ist. Ich weiß, Frau Doktor! Lilly fühlt sich von ihren Eltern in die Psychiatrie abgeschoben und möchte eigentlich lieber zuhause sein (TC 00:24:08). Die Eltern scheinen jedoch nicht die Verantwortung für die Krankheit ihrer Tochter übernehmen zu wollen (TC 01:09:29), selbst als Lilly aus der Psychiatrie entlassen ist und die ambulante Therapie beginnen möchte, versucht ihre Mutter, das „Problem ihrer Tochter“ anderen zu überlassen. (TC 01:24:54) |Mutter sitzt mit Lilly in Praxis und füllt Aufnahmebogen aus| Frau Bäumer: Sagen Sie, die Frage nach den Symptomen – das füllt doch bestimmt die Frau Doktor aus, oder? Sekretärin: Nein, das müssen Sie ausfüllen. 56 Sowohl in GRIFF NACH DEN STERNEN als auch in CENTER STAGE ist ein deutlich erkennbarer Risikofaktor das Ausüben einer Sportart, für die das Körpergewicht eine bedeutende Rolle spielt. Beide Mädchen sind bereit für ihren Sport (Ballett bzw. Turnen) ihr Körpergewicht zu reduzieren. Als auslösender Faktor kann bei GRIFF NACH DEN STERNEN ein Trainerwechsel, der gleichzeitig sowohl mit dem Verlust einer wichtigen Bezugsperson (nämlich dem Vater) als auch mit Verlust des gewohnten Umfeldes durch Umzug einhergeht (TC 00:17:04), festgestellt werden. Die Trennung von ihrem Vater fällt Katie sehr schwer. (TC 00:15:09) Vater: Wirst du ohne mich klar kommen? Katie: Vermutlich nicht. |Katie beginnt zu weinen| In CENTER STAGE kann darüber hinaus noch die Beziehung zwischen Maureen und ihrer Mutter als prädisponierender Faktor genannt werden. Maureen versucht den Traum der Mutter, Ballett zu tanzen, trotz aller Qualen zu erfüllen. (TC 01:23:30) Maureen: Weil ich nicht mehr Ballett tanzen will. Mutter: Doch das willst du. Seit du Kind warst. Maureen: Nein, Mum. Wenn es das wäre, was ich will, dann wäre ich nicht so unglücklich wie ich es bin, und ich hätte Freunde. Ich würde gut schlafen können und nicht wieder alles erbrechen, was ich esse. […] Mutter: Bitte wirf diesen Traum jetzt nicht einfach weg. Maureen: Es ist dein Traum und dir bedeutet die ganze Tanzerei mehr als mir. 4.2.4 Darstellung der therapeutischen Maßnahmen In GRIFF NACH DEN STERNEN werden keine Therapiemaßnahmen der Anorexie dargestellt, da die Eltern ihrer Verantwortung für Katie nachkommen und beschließen, dass sie das Sportleistungszentrum von Trainer Radkin verlassen muss ihre Gesundheit nicht weiter zu gefährden (TC 01:26:47). Somit entziehen sie Katie den Grund zu hungern und es scheint, als reiche es aus, dass Katie wieder zusammen mit ihrer Familie in ihr altes gewohntes Umfeld zurückkehrt (TC 01:27:42). Auch in CENTER STAGE werden keine Therapiemaßnahmen deutlich, da Maureen gegen Ende des Filmes selbst erkennt, dass sowohl das Tanzen als auch die Wünsche ihre Mutter ihr gestörtes Essverhalten begründen. 57 Eine pharmakologische Behandlung der Anorexie wird in Helen, Fred und Ted gezeigt. Dr. Cordes ist jedoch gegen diese Art der Behandlung, die ausschließlich eine Gabe von Antidepressiva vorsieht. (TC 00:06:41) Cordes: 174 Ich hab bei Lilly den Tropf ausgetauscht. Die braucht keine Light-Thymoleptika – weder schwach dosiert, noch vorübergehend! Diese Einstellung entspricht auch den Therapieempfehlungen (s. Kapitel 3.1.4), die eine psychopharmakologische Behandlung der Anorexie aufgrund zu geringen Erfolgs nicht befürworten. Auch eine Miteinbeziehung der Eltern in die Therapie, die Dr. Cordes mehrfach als dringend erforderlich bezeichnet (TC 00:06:47, 01:08:45, 01:09:37), kann im Rahmen der Möglichkeiten der Psychiatrie nicht ver- wirklicht werden (TC 00:06:56). Als Folge dessen, versucht Dr. Cordes ansatzweise Lilly mit imaginativen Verfahren zu behandeln. (TC 00:24:33) Cordes: Versuch doch mal in dich hinein zu horchen, was dein Körper jetzt gerne hätte. Lilly: Einfach so? C: Einfach so. Was würdest du jetzt gerne machen? Wo wärst du jetzt gerne? L: Beim Skifahren. C: Beim Skifahren. |wird unterbrochen von Dr. Sauer, der das Zimmer betritt| […] C: Dann überleg dir mal, was du dafür tun willst, damit du bald wieder Ski fahren kannst. (TC 01:08:18) Cordes: Mach mal die Augen zu. Und jetzt stell dir die dunkelgrünen Tannen vor …und den blauen Himmel. Kannst du’s sehen? Jetzt stell dir vor… |wird unterbrochen von Dr. Sauer, der mit den Eltern von Lilly das Zimmer betritt| In VINCENT WILL MEER werden nur wenige Aspekte einer stationären Therapie gezeigt. So muss Marie ihre Mahlzeiten zusammen mit anderen Patientinnen unter Aufsicht einnehmen (TC 00:13:34) und die Kooperation zwischen Ärzten und Psychotherapeuten wird sichtbar, da Maries verschlechterte Blutwerte erwähnt werden (TC 00:17:32). In BLOCH – BAUCHGEFÜHL kommen diese beiden Aspekte ebenfalls aufgegriffen. So hat Bloch ebenfalls die Blutwerte von Jana vorliegen (TC 00:16:47) und es gibt mehrere Szenen, in denen Jana unter Aufsicht isst (TC 00:18:50, 00:37:48, 00:46:24, 57:34, 01:04:03). Es wird deutlich, dass die Beaufsichtigung beim Essen nur sehr schwer im Rahmen einer ambulanten Therapie umzusetzen ist, da es eine sehr 174 Thymoleptika ist ein Synonym für Antidepressiva 58 zeitintensive Maßnahme darstellt. Bloch bedient sich hierbei unter anderem auch der Hilfe seiner Lebensgefährtin, die mit Jana zusammen in der Suppenküche isst (TC 00:34:05, 01:06:17). Außerdem verdeutlicht er Jana, wie wichtig es ist, dass sie an Gewicht zunimmt, damit die Therapie erfolgreich sein kann (TC 00:32:43). Wie bereits dargestellt, liegt bei Jana in BLOCH – BAUCHGEFÜHL eine ausgeprägte Körperschemastörung vor. Bloch versucht sie in seiner Therapie mit verschiedenen Maßnahmen zu behandeln. So versucht er Jana erst einmal, durch Maßnahmen wie das Abschätzen von Körperumfängen (TC 00:27:30) und dem Vergleich zwischen Selbst- und Fremdbild (TC 00:26:07), sich dieser Störung und falschen Wahrnehmung bewusst zu werden. Trotz Janas anfänglichem Widerstand – „Das sind alles Heuchler!“ (TC 00:27:19) – gelingt es Bloch schließlich Jana davon zu überzeugen. Eine weitere Maßnahme in der Therapie der Körperschemastörung sind in diesem Film mehrmalige Selbstbetrachtungen im Spiegel. Im Verlauf des Films wird deutlich, dass sich Janas Körperwahrnehmung verändert. (TC 00:24:20) Bloch: Was sehen Sie? Jana: Pfhh. B: Was sehen Sie? J: Fette Kuh! B: Genauer. J: Mein Hals ist zu dick und meine Arme sind zu dick. Und meine Beine sind zu dick. Der Bauch schwabbelt voll. […] J: Ich hab eine Magersüchtige gekannt. Das sieht anders aus. B: Und wie sieht das aus? J: Verhungert. Wie ein Skelett. […] J: Ich bin fett! Ich bin fett! Ich bin nicht magersüchtig! (TC 01:01:40) Jana: Mein Bauch schwabbelt voll. Aber meine Beine sind ganz okay. Bloch: Keine Bewertungen. J: Der Knochen hier |fährt mit dem Finger über ihr Schlüsselbein| guckt schon ganz schön raus, ne? |atmet schwer| Meine Arme sind ganz schön dünn. B: Gut. Sie machen Fortschritte. (TC 01:20:59) Jana: Ich hab ziemlich spitze Schultern. Kleine Brüste. Aber der Po ist recht hübsch rund geworden. Und das Gesicht ist noch n bisschen dünn. Bloch: Ihr Blick wird langsam gesund. 59 Neben der Selbstbetrachtung und dem beaufsichtigten Essen sind das Führen eines Ernährungstagebuchs (TC 00:09:20, diese Maßnahme scheiterte jedoch), gemeinsames Einkaufen (TC 01:04:53) und Rollenspiele (TC 00:41:50, 01:17:30) als weitere Therapiemaßnahmen dargestellt. Jana erkennt im Verlauf der Therapie, dass sie sich sowohl an die Wünsche ihrer Eltern als auch an Franks Wünsche und Erwartungen angepasst hat und beginnt sich ihnen zu widersetzen (TC 00:44:16, 00:58:42, 00:59:32, 01:02:57, 01:03:17, 01:19:43, 01:22:55). Was Bloch in einem Gespräch mit Jana erklärt, nämlich, dass eine Therapie der Essstörung anstrengend ist, und dass es durchaus zu Rückschlägen kommen kann, wird offensichtlich, wenn man den Behandlungsverlauf von Jana betrachtet. Der Film beginnt mit einem Rückblick und zeigt Jana in einer stationären Therapie, die jedoch nicht erfolgreich verläuft, sodass sie zwangsernährt werden muss (TC 00:01:46). Es folgt eine ambulante Therapie bei Bloch, der Jana und ihrer Familie jedoch mehrfach einen stationären Aufenthalt nahelegt (TC 00:04:34, 00:11:37, 00:32:43). Diese Therapie wird von mehreren Rückschlägen begleitet, bis sich Jana auf eine erneute stationäre Therapie einlässt (TC 00:50:37). Diese bricht sie jedoch schon am ersten Tag wieder ab (TC 00:52:21). Anschließend setzt sie die Therapie bei Bloch wieder fort bis es zu einem erneuten Rückschlag kommt und sie diese Therapie ebenfalls abbricht (TC 01:07:50). Es folgt eine Zwangseinweisung wegen Selbstgefährdung in ein Krankenhaus, in dem Jana über eine Magensonde erneut zwangsernährt wird (TC 01:14:37). Im Anschluss daran ist Jana erneut bei Bloch in Behandlung (TC 01:20:31). Wie schwer, bzw. wie wenig erfolgversprechend eine Therapie sein kann, wird auch in VINCENT WILL MEER bei einem von Dr. Rose geführten Gespräch deutlich. (TC 00:50:28) Mann: Und, äh, hilft Ihre Therapie? Rose: Manchmal ja, manchmal nein. 4.2.5 Zusammenfassung Die analysierten Filme zeigen verschiedene Ausprägungen einer Erkrankung an Anorexie. Während Marie (VINCENT WILL MEER) an einer bulimischen Form der Krankheit leidet, liegt bei Katie (GRIFF NACH DEN STERNEN) und Maureen (CENTER STAGE) eine Anorexia athletica, also eine sportinduzierte Anorexie vor. Jana (BLOCH – BAUCHGEFÜHL) und Lilly (HELEN, FRED UND TED) sind an der „klassischen“ Anorexia nervosa erkrankt. In den Filmen wird eine Vielzahl von typischen 60 Symptomen und Verhaltensweisen von Anorektikerinnen gezeigt. Hier ist insbesondere der Film BLOCH – BAUCHGEFÜHL zu nennen, da er ein sehr ausführliches Krankheitsbild wiedergibt. Die Analyse möglicher prädisponierender, auslösender und aufrechterhaltener Faktoren ergibt, dass den Familien in den Filmen HELEN, FRED UND TED sowie in BLOCH – BAUCHGEFÜHL eine besondere ätiopathologische Rolle zukommt. Das Ausüben einer Risikosportart mit sehr hohen Leistungsanforderungen liegen bei Katie (GRIFF NACH DEN STERNEN) und Maureen (CENTER STAGE) zugrunde. Begleitet von einer vorübergehenden Trennung vom Vater bzw. von einer gestörten Mutter-Tochter-Beziehung entwickeln sich die Essstörungen von Katie und Maureen. In VINCENT WILL MEER konnten – abgesehen von biologischen aufrechterhaltenden Faktoren – keine die Anorexie beeinflussenden Größen festgestellt werden. Sowohl Aspekte einer psychopharmakologischen Behandlung, als auch einer stationären und ambulanten Behandlung der Anorexie werden in den Filmen veranschaulicht. In VINCENT WILL MEER, wie auch in HELEN, FRED UND TED werden nur wenige therapeutische Maßnahmen deutlich. In GRIFF NACH DEN STERNEN finden keine therapeutischen Interventionen statt, es wird nur kein Leistungssport mehr getrieben. Der Film BLOCH – BAUCHGEFÜHL stellt hingegen mehrere therapeutische Interventionen – insbesondere zur Verbesserung der Körperwahrnehmung und des Essverhaltens – dar. Sowohl in VINCENT WILL MEER als auch in BLOCH – BAUCHGEFÜHL wird das Mittel der Zwangseinweisung als äußerste Maßnahme in der Behandlung der Anorexie gezeigt. 61 4.3 Filme zu der Thematik „Bulimie“ 4.3.1 Filmübersicht Der leidensvolle Weg zum Sieg (USA, 1996) DER LEIDENSVOLLE W EG ZUM SIEG ist ein Rückblick auf zehn Jahre im Leben von Ellen Hart. Ellen Hart ist zu Beginn des Filmes eine junge Frau, die neben ihrem Jura-Studium als Langstreckenläuferin an den Olympischen Spielen teilnehmen möchte. Obwohl sie hart trainiert und für den Sport ihr Gewicht reduziert, reichen ihre Leistungen nicht aus. Unterstützt von ihrem Freund und späteren Ehemann Federico Peña kommt sie über ihre Niederlage hinweg und schließt ihr Studium ab. Was ihre Familie jedoch nicht weiß, ist, dass sie mittlerweile unter regelmäßigen Fressattacken leidet und deshalb Hilfe bei Therapeuten und in Selbsthilfegruppen sucht. Als sie schwanger wird, kommt heraus, dass sie an einer Essstörung leidet. Hunger – Sehnsucht nach Liebe (Deutschland, 1997) Der Kinofilm beschreibt das Leben von Laura Wiesner. Laura, etwa Ende zwanzig, lebt in München und ist Marketingchefin einer Spielzeugfirma. Nach außen scheint sie ein intaktes und erfolgreiches Leben zu führen, von ihren täglichen unkontrollierten Fress- und Brechanfällen weiß jedoch niemand etwas. Als sie an ihrem Arbeitsplatz Simon Berger, einen Graffiti-Künstler kennenlernt, und eine Beziehung zu ihm beginnt, verheimlicht sie auch ihm gegenüber ihre Krankheit so lange wie möglich. Doch schließlich erkennt Simon Lauras Erkrankung. Schlank bis in den Tod (Deutschland, 1997) Der Fernsehfilm handelt von Teresa Bille, einer Frau Ende zwanzig, die in einem Auktionshaus angestellt ist und dort, trotz nicht vorhandenen Hochschulabschlusses, sehr erfolgreich ist. Sie lebt zusammen mit ihrem Ehemann Conny, in Düsseldorf. Conny ist dabei ein Restaurant zu eröffnen. Mit Sport, Diät und Tabletten versucht Teresa auch den Anforderungen der Gesellschaft an eine „perfekte“ Frau gerecht zu werden. Als ihr dann ein beruflicher Fehler unterläuft, bricht ihre scheinbar heile Welt zusammen und es wird deutlich, dass sie an einer Essstörung leidet. 62 4.3.2 Darstellung des Krankheitsbildes Das Krankheitsbild der Bulimie ist gekennzeichnet von wiederholten Essanfällen und anschließendem Erbrechen oder dem Gebrauch von Abführmitteln. Dieses gestörte Essverhalten wird in drei Filmen deutlich. Sehr häufig werden in HUNGER – SEHNSUCHT NACH LIEBE die Essanfälle von Laura gezeigt (TC 00:02:49, 00:05:42, 00:14:37, 00:29:38, 01:02:20, 01:09:42, 01:15:49, 01:22:08). Sie verschlingt nahezu alles, was in ihrer Nähe ist, bevorzugt isst sie Würstchen aus dem Glas und Kuchen. Im Anschluss daran übergibt sie sich (TC 00:03:21, 00:15:05, 00:30:04, 01:04:43, 01:17:00, 01:24:21). An ihrem Arbeitsplatz hat sie in einem Tresor zahlreiche Pa- ckungen Smarties gehortet, die sie packungsweise isst (TC 00:05:42, 01:09:42). Lauras Essanfälle finden – bis auf einen – immer heimlich statt. Dass Laura an diesen Essanfällen schon länger leidet, wird dem Betrachter durch Rückblenden, die Laura beim Fressen und Erbrechen zeigen, erklärt. Immer wenn Teresa einen Essanfall erleidet, werden die Bilder von derselben Melodie untermalt. Neben dem Erbrechen des Essens, ist bei Laura ein weiteres kompensierendes Verhalten zu erkennen. Regelmäßig joggt sie durch einen Park (TC 00:00:33, 00:14:11, 00:36:34, 01:19:04). Im Alltag versucht Laura Situationen in denen gemeinsam ge- gessen wird zu vermeiden. Morgens früh erfindet sie Ausreden wie „Ich hab noch keinen Hunger.“ (TC 00:02:49) ihren Arbeitskollegen erzählt sie, sie habe andere Verpflichtungen (TC 00:07:33). Auch ihrem Freund Simon gegenüber weicht sie aus, als er sie nach einem gemeinsamen Frühstück fragt. (TC 00:34:55) Simon: Hast du morgens gar keinen Hunger? Laura: Ich hab ne Menge Arbeit. |Laura geht| Einen Essanfall bereitet Laura gezielt vor, damit ihr Freund Simon erlebt, wie es ihr mit der Krankheit geht. Diese Essattacke wird von Laura nahezu zelebriert: sie hat den Tisch gedeckt und sogar Kerzen angezündet (TC 01:22:08). Auch Ellen leidet in DER LEIDENSVOLLE W EG ZUM SIEG häufig an Essanfällen mit anschließendem Erbrechen (TC 00:08:40, 00:20:53, 00:27:11, 00:51:35, 00:59:40). Ihre Esssucht treibt sie sogar so weit, dass sie Essensreste aus dem Mülleimer hervorholt und verschlingt (TC 01:00:39). Ellen erzählt ihrer Therapeutin, dass ihre Essanfälle nur auftreten, wenn sie unter Stress stünde (TC 00:41:57). In einer Selbsthilfegruppe fasst Ellen im Gespräch mit den anderen ihre Probleme durch die Essstörung zusammen. 63 (TC 00:40:24) Ellen: Es hat mich schon ne Menge gekostet. Die Olympiade, fast das Jura-Studium. Mein Magen tut ständig weh, mein Hals ist wund, mein Verdauungssystem ist total im Eimer, meine…meine Zähne tun weh. Ich zittere unkontrolliert und ich lüge alle Welt an. Zu der Zeit als Ellen noch Marathon lief, hat sie darüber hinaus an Muskelkrämpfen (TC 00:29:56) und Konzentrationsproblemen (TC 00:23:18) gelitten. Im weiteren Verlauf des Films wird deutlich, dass sie zudem Fertilitätsstörungen hat (TC 00:52:42). Ein Arzt entdeckt Beißspuren (Russel-Zeichen) an Ellens Hand, sie lügt ihn jedoch an und sagt, dass sie sich dort verletzt hätte (TC 00:54:23). Weniger häufig zeigen sich Essanfälle bei Teresa in SCHLANK BIS IN DEN TOD, da sie zu Beginn „nur“ versucht weniger zu essen und ihr Gewicht über Schlankheitstabletten und Abführmittel zu regulieren. Es wird eine ausgeprägte Angst vor Gewichtszunahme deutlich. Mehrmals ist zu sehen, wie Teresa sich wiegt (TC 00:00:46, 00:08:31, 00:42:26, 00:50:28, 01:27:17) und im Verlauf des Films verringert sich ihr Gewicht von anfänglich 55,0 kg auf 43,2 kg.175 In einem Gespräch mit ihrem Mann Conny äußert sie ihre Angst. Der jedoch nimmt sie nicht ernst. (TC 00:08:38) Teresa: Ich werde fett, nur weil ich nicht mehr rauche. Conny: Kräftigere Oberschenkel vertuschen zumindest Orangenhaut. Teresa: Na vielen Dank! Neben exzessivem Sport (TC 00:33:38, 00:44:22, 01:17:05) bis zur Belastungsgrenze, beginnt Teresa, um nicht zuzunehmen, ihre Speisen zu erbrechen (TC 00:22:21, 00:39:12). Das anfänglich restriktive Essverhalten löst jedoch bei Teresa nächtli- chen Heißhungerattacken und Essanfälle aus, die sie dann ebenfalls mit Erbrechen kompensiert. (TC 00:37:59) |Teresa ist mit Conny in einer Bar, wo Freundin Nicole arbeitet, und isst eine Menge Tortilla Chips| Conny (zu Nicole): Also bei mir wollte sie überhaupt nichts essen und diese widerliche Pampe da schlingt sie in sich rein. Nicole: Nächtlicher Heißhunger – noch nie was von gehört? 175 Hier zeigt sich, dass eine Essstörung in eine andere übergehen kann. Da Teresa zu Beginn des Films noch nicht extrem untergewichtig war, lautete die Diagnose zu diesem Zeitpunkt Bulimia nervosa. Gegen Ende des Filmes würde man aber eher eine Anorexia nervosa bei ihr diagnostizieren. 64 Als Conny Teresa auf ihr Verhalten anspricht und nach den Gründen dafür fragt, versucht Teresa sich zu erklären. (TC 01:11:26) Teresa: Ich weiß nicht warum ich das mache. Ich will das nicht, aber es ist wie ein Zwang diesen ganzen Dreck dann los zu werden. Conny: Ist das nicht furchtbar unangenehm? T: Nein, das ist eher wie ne innere Reinigung. C: Hast du Angst, dass du zu dick wirst? Du bist nicht zu dick – ganz im Gegenteil! T: Es ist mir alles zuviel. Manchmal denke ich, es wäre am besten, wenn ich einfach verschwinde. Im Verlauf dieses Gesprächs und durch einen Suizidversuch mit Schlaftabletten (TC 00:56:50) wird deutlich, dass Teresa depressiv ist und die Angst vor Gewichts- zunahme für sie nicht mehr eine so große Rolle spielt wie zu Beginn des Filmes. Als Charaktereigenschaft lässt sich bei Teresa eine ausgeprägte Unsicherheit erkennen. Diese wird vor allem in ihrer Beziehung zu ihrem Mann Conny deutlich. Mehrfach fragt sie ihn, ob er sie liebe und bei ihr bleibe (TC 00:07:36, 00:37:20, 01:12:54), misstraut ihm (TC 00:13:13) und ist sehr eifersüchtig (TC 00:28:04, 00:39:42). Sie hat Angst vor Niederlagen (TC 00:25:19) und ein sehr negatives Bild von sich. (TC 00:58:56) Teresa: Ich bin einfach ein kleines Stück Dreck, was alles falsch macht. Laura in HUNGER – SEHNSUCHT NACH LIEBE hat ebenfalls kein positives Selbstbild. (TC 00:47:59) Laura: Ich hab so Angst. Ich will dich nicht enttäuschen. Ich mach sonst immer so viele Fehler. Simon: Du machst Fehler? L: Ja, ich! Das wollt ich dir schon längst sagen. Ich bin überhaupt nicht so perfekt. Ich mag mich nicht. Sie zweifelt daran, dass ihre Mutter sie so akzeptiert wie sie ist (TC 00:27:04) und erinnert sich in einem Gespräch mit Simon an einen Moment in ihrer Kindheit, in dem sie sich perfekt gefühlt hat. (TC 00:26:44) Laura: Ich hab Cello gespielt, ich war sogar im Schulorchester! Ballettunterricht hatte ich auch. Ich hab getöpfert. Eigentlich war mir nie langweilig. Ja und die Schule lief so nebenbei. Da war ich mal ziemlich perfekt. 65 4.3.3 Darstellung der ätiopathologischen Faktoren Als auslösender Faktor des krankhaften Essverhaltens ist bei Ellen (DER LEIDENSVOLLE W EG ZUM SIEG) der vom Trainer geäußerte Wunsch nach Ge- wichtsreduzierung festzustellen. (TC 00:02:44) Trainer: Du läufst etwas schwer. Ellen: Etwas schwer? Ich könnte ja versuchen etwas abzunehmen. T: Hmm. Würde dich schneller machen. E: Ja, fünf Pfund? Sei ehrlich! T: Besser wären acht! E: Okay, wird gemacht! Am Anfang der Krankheitsgeschichte von Ellen steht wohl viel mehr eine Anorexia athletica, die sich jedoch im Laufe der Zeit, spätestens jedoch als sie mit dem Marathonlaufen aufhörte, in einer Bulimie manifestiert. Da Ellen zu diesem frühen Zeitpunkt das Gefühl hat bei ihrem Vater nur Annerkennung zu bekommen, wenn sie aus der Masse ihrer sieben Geschwister heraus sticht (TC 01:22:45), tut sie alles – auch Erbrechen – um ihre sportliche Leistung voran zu treiben und die Beste zu sein (TC 00:06:28). Gleichzeitig lastete die große Erwartungshaltung ihres Vaters auf ihr, die ihr Vater deutlich formulierte. (TC 00:08:07) Ellen: Dad, ich bin Dritte bei den Ausscheidungen geworden. Ich finde das gut. Ich dachte du wärst stolz?! Vater: Natürlich bin ich stolz auf dich – ich hab’s erwartet! Das Verhältnis zu ihrer Mutter beschreibt Ellen in einem Therapiegespräch als freundschaftlich und sehr eng. Sie hat das Gefühl für ihre Mutter stark sein zu müssen (TC 01:17:23). Das Mutter-Tochter-Verhältnis wird deutlich, als Ellens Mutter alles für das Hochzeitsfest von Ellen und Federico plant und vorbereitet und Ellen keinen Einfluss darauf nehmen kann (TC 00:43:30). Ellens Beziehung zum Vater hingegen scheint in der Vergangenheit zwiespältig gewesen zu sein. (TC 00:18:54) Ellen: Er ist anspruchsvoll und barsch. Rechtswissenschaftler. Aber ich verehre ihn. Wahrscheinlich wäre ich ohne ihn keine Läuferin geworden. Als Kind hatte ich Todesangst vor ihm. Ellen erkennt am Ende des Filmes, dass sie versucht hat, den Ansprüchen ihrer Eltern, aber auch ihren eigenen, sehr hohen Ansprüchen (Jura-Studium und gleichzeitige Teilnahme an den Olympischen Spielen) gerecht zu werden. In einem Gespräch mit ihren Eltern beschreibt sie, dass sie sich immer angepasst hat. 66 (TC 01:18:54) Ellen: Es gab nie einen Moment der Rebellion. Ich habe nie auch nur das allerkleinste bisschen getan um euch Sorgen zu machen (TC 01:19:06) Ellen (zu Mutter): Alles was ich wollte, war, dir eine Freude zu machen, obwohl ich wusste, dass ich das nicht schaffen kann. In Rückblenden und im Verhalten, das Laura in HUNGER – SEHNSUCHT NACH LIEBE ihrer Mutter gegenüber zeigt, wird deutlich, dass auch sie schon seit ihrer Kindheit versucht den Ansprüchen ihrer Eltern, insbesondere ihrer Mutter gerecht zu werden (TC 00:19:11, 00:21:30, 00:52:50, 01:12:36). Dass sie diesem auf ihr lastenden Druck schon als Kind nicht standhalten konnte, zeigt eine Rückblende in Lauras Kindheit: Bei einem Vorspielen mit dem Cello nässt sie sich während ihres Auftrittes ein (TC 01:12:36). Das Liedstück, das sie damals vorspielt, ist die Melodie, die während ihrer Essanfälle eingespielt wird. In der Beziehung zu Simon fühlt sich Laura schnell übergangen und bevormundet. (TC 00:55:52) Laura (zu Simon): Was soll das eigentlich? Wie wär’s wenn du mich mal fragst?! […] Und jetzt hab ich auch noch n Programm fürs Wochenende! Du sprichst mit Jan [Lauras Ex-Freund] über mein Leben. Du willst es bestimmen! Vielleicht auch noch, was ich essen und trinken soll, ja?! Gegen Ende des Films löst sich Laura jedoch aus der Abhängigkeit zu ihrer Mutter. (TC 01:20:48) Laura: Mama, du siehst mich doch gar nicht. Ich werd nicht mit ans Meer fahren. Und ich werd auch nicht mehr jedes Wochenende zum Tee trinken kommen. Ich muss es jetzt alleine schaffen – ohne dich! Als auslösender Faktor der Bulimie kann bei Laura in HUNGER – SEHNSUCHT NACH LIEBE der Verlust ihres älteren Bruders festgestellt werden. Dieser verun- glückte als junger Mann bei einem Autounfall tödlich. Eine Rückblende zu Beginn des Films zeigt Laura erst am Grab ihres Bruders und direkt danach auf einer Toilette, wo sie sich übergibt (TC 00:04:13). In einem Gespräch mit Simon verleugnet sie ihren Bruder (TC 00:27:11), als Simon zu Besuch kommt, räumt sie ein Foto ihres Bruders weg (TC 00:31:38). In SCHLANK BIS IN DEN TOD ist die Entstehung der Essstörung als Folge des in der Gesellschaft herrschenden Schlankheitswahns dargestellt. Schon in den ersten Minuten des Filmes werden eine Schlankheits-Sendung im Fernsehen, ein großes Plakat am Straßenrand, das ein schlankes Model zeigt, und ein Radiomode- 67 rator, der etwas über das Leben als Model berichtet, eingeblendet. Auf dem Weg zu ihrem Arbeitsplatz fährt Teresa an einem – von dünnen Frauen gut besuchten Fitnessstudio (TC 00:02:32) – und an einer Apotheke vorbei, die mit Schlankheitsmitteln im Schaufenster wirbt (TC 00:02:48). Parallel dazu läuft im Autoradio, ein Interview mit einem Model, das zugibt, für seine Karriere alles zu machen. Neben dem gesellschaftlichen Druck leidet Teresa – wie bereits unter Darstellung des Krankheitsbildes beschrieben – an einer starken Unsicherheit und Verlustängsten. Mögliche Ursachen der Ängste lassen sich jedoch nicht im Film erkennen. 4.3.4 Darstellung der therapeutischen Maßnahmen Ansätze zur Behandlung der Bulimie sind in jedem der drei analysierten Filme zu finden. Am Ende des Films SCHLANK BIS IN DEN TOD sieht man Teresa in einer Klinik, in der sie stationär therapiert wird (TC 01:33:20). Laura (HUNGER – SEHNSUCHT NACH LIEBE) hatte schon in ihrer Vergangenheit eine Therapie gemacht (TC 00:11:07 00:48:20) – ob diese ambulant oder stationär verlief, ist nicht zu erkennen. Diese scheint allerdings keinen Erfolg gehabt zu haben, da Laura in der Gegenwart noch immer an Bulimie leidet. Weitere therapeutische Maßnahmen werden in diesem Film nicht gezeigt. In DER LEIDENSVOLLE WEG ZUM SIEG ist Ellen Teilnehmerin einer Selbsthilfegruppe der Anonymen Esssüchtigen (TC 00:40:15, 00:46:25). In dieser Gruppe werden Erfahrungen ausgetauscht und über das Befinden und Verhalten der Teilnehmer gesprochen. Zusätzlich beginnt Ellen eine ambulante Therapie ihrer Essstörung bei einer Psychotherapeutin, als sie erfährt, dass sie schwanger ist (TC 00:54:52). Als eine der Teilnehmerinnen der Selbsthilfegruppe verstirbt, ist Ellen schockiert und glaubt, dass sie von nun an keine Essanfälle mehr haben wird. Sie beendet ihre ambulante Therapie, obwohl Therapeutin Meg ihr empfiehlt sie fortzusetzen. (TC 01:00:18) Meg: Ellen, unsere Arbeit hat erst angefangen. Ellen: Ich sag’s Ihnen doch – ich bin fertig damit! M: Sagen können Sie es schon, aber wie können Sie sich sicher sein? Sie haben sich nicht mit den Gründen auseinandergesetzt, warum Sie es getan haben. E: Sie hören mir nicht zu, Meg. Ich bin damit fertig. Ich werde es nie wieder tun. M: Setzen Sie sich damit auseinander, oder Sie tun es wieder. E: Ich hab’s Ihnen schon gesagt – ich bin fertig damit! Ellen hat sich jedoch getäuscht und leidet weiterhin unter ihrem pathologischen Essverhalten. Als sie zusammenbricht und in ein Krankenhaus eingeliefert wird (TC 01:03:14), bemerken die Ärzte aufgrund ihres stark beschädigten Zahnschmel- 68 zes ihre Bulimie-Erkrankung. Ellen wird daraufhin nahegelegt ein Gespräch mit Psychologin Dr. Wallace zu führen (TC 01:07:28). In einem Therapiegesprächen wird erkennbar, warum Ellen die Essanfälle hat. (TC 01:09:43) Wallace: Sagen Sie mir warum! Ellen: Weil ich nichts fühle, wenn ich esse. All die schlimmen Dinge sind weg. Ich fühle nichts, wenn ich esse! Ein weiteres Gespräch mit Dr. Wallace macht deutlich, dass Ellen Angst vor Konfrontationen hat und sie immer bemüht ist alle Regeln zu befolgen, aus Angst, sie würde sonst die Kontrolle verlieren (TC 01:13:21). 4.3.5 Zusammenfassung Das Hauptmerkmal des Krankheitsbildes der Bulimie wird in allen drei analysierten Filmen dargestellt: Ellen (DER LEIDENSVOLLE W EG ZUM SIEG), Teresa (SCHLANK BIS IN DEN TOD) und Laura (HUNGER – SEHNSUCHT NACH LIEBE) leiden unter regelmäßigen, starken Essanfällen, die sie durch selbstinduziertes Erbrechen zu kompensieren versuchen. Krankheitsbegleitende Erscheinungen, wie beispielsweise ein verschlechtertes Blutbild, Hals- und /oder Magenschmerzen, werden jedoch nur in DER LEIDENSVOLLE W EG ZUM SIEG gezeigt. Als ätiopathologische Faktoren lassen sich sowohl Ablösungskonflikte (Mutter – Tochter) als auch Verlusterfahrungen feststellen. Darüber hinaus kommt in SCHLANK BIS IN DEN TOD dem herrschenden Schönheitsideal in der Gesellschaft eine bedeutende Funktion zu. Sowohl der Film DER LEIDENSVOLLE W EG ZUM SIEG ALS AUCH HUNGER – SEHNSUCHT NACH LIEBE zeigen, dass eine mögliche Behandlung der Bulimie in Form einer ambulanten Psychotherapie stattfinden kann. Im erstgenannten Film wird darüber hinaus noch die Möglichkeit der Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe gezeigt. In SCHLANK BIS IN DEN TOD wird ausschließlich eine stationäre Therapie als Maßnahme der Behandlung der Bulimie dargestellt. 69 4.4 Filme zu der Thematik „Adipositas“ 4.4.1 Filmübersicht Angus – Voll cool (USA, Großbritannien, Deutschland, Frankreich, 1995) Die Komödie erzählt aus Sicht der 14-jährigen Hauptfigur Angus Bethune das Leben als Schüler der letzten Highschool-Klasse. Angus hat nicht nur übliche Pubertätsprobleme sondern leidet auch noch unter seinem Übergewicht, weswegen er von seinen Mitschülern gemobbt wird. Schon als Kindergarten- und Grundschulkind war er aufgrund seines Aussehens ein Außenseiter. Seit seiner Grundschulzeit ist Angus in Melissa Lefèvre verliebt, die jedoch nur Augen für ihren Mitschüler Rick Sanford hat. Weder Angus` hervorragende schulische Leistungen noch seine Leistungen als Footballspieler bringen ihm die ersehnte Anerkennung. Seine unkonventionelle Familie – bestehend aus einer Truck fahrenden, übergewichtigen Mutter und einem Großvater – versucht, Angus psychisch zu unterstützen und ihm Selbstbewusstsein zu vermitteln. Rick Sanford gelingt es Angus auf dem Winterabschlussball öffentlich zu demütigen. Melissa jedoch hält zu Angus, der den Ball mit Melissa nach einer öffentlichen verbalen Auseinandersetzung mit Rick unter dem Beifall der Mitschüler verlässt. Die Friseuse (Deutschland, 2010) Die übergewichtige Friseurmeisterin Kathi König kehrt nach dem Scheitern ihrer Ehe mit ihrer Tochter Julia nach Berlin-Marzahn zurück, wo sie schon als Kind gelebt hat. In Berlin möchte sie ein neues Leben beginnen. Der Versuch, in ihrem Beruf in einem angesagten Friseursalon zu arbeiten, scheitert an ihrem Aussehen. Kathi lässt sich jedoch nicht entmutigen und nimmt den Kampf mit Jobcenter, Banken und Beratern auf um sich selbständig zu machen. Die Eröffnung ihres eigenen Salons scheitert an behördlichen Auflagen sowie an ihrer Erkrankung an multipler Sklerose. Schließlich findet sie jedoch eine Anstellung in einem großen Friseursalon. Ich bin eine Insel (Deutschland, 2007) Dorothea (Thea) Winkler ist eine durch einen – wie sie meint von ihr verschuldeten – tödlichen Schülerunfall aus der Bahn geworfene, kinderlose Oberstudienrätin, die nach dem Scheitern ihrer Ehe und der Aufgabe ihres Lehrer-Jobs als Inhaberin eines Kiosk-Ladengeschäftes ihren Unterhalt verdient. Thea lernt unter ihren meist jugendlichen Kunden Rosa Thiel kennen. Rosa ist ein übergewichti- 70 ges etwa 10-jähriges Mädchen, das unter seinem Äußeren und der Vernachlässigung durch seine beruflich sehr eingespannte, allein erziehende Mutter leidet. Rosas größter Traum ist es Ballettunterricht zu nehmen und eine Balletttänzerin zu werden. Thea wird von Rosa zur Ersatzmutter/Freundin gewählt und lernt so die Probleme, Wünsche und Träume des Kindes kennen. Nach anfänglichem Sträuben kümmert Thea sich um Rosa. Moppel-Ich (Deutschland, 2006) Die mit ihren Ernährungs- und Gesundheitstipps in der täglichen Radiosendung „Pfundschwund“ äußerst erfolgreiche und beliebte Moderatorin Carla Hahn entspricht mit ihrem Übergewicht optisch nicht den Erwartungen ihrer Hörer. Als ein Diätdrinkhersteller, der sie nicht kennt, aber von ihrer Sendung begeistert ist, sie unbedingt als optische Werbeträgerin für sein Produkt gewinnen will und dafür seinen gut aussehenden Sohn Tom als Lockvogel einsetzt, beginnt Carla – die sich in Tom verguckt hat – ihr Gewicht zu reduzieren. Nachdem sie erkennen muss, dass sie von Tom nur ausgenutzt wurde, findet sie in Konrad ihren Lebenspartner. Schwer verliebt (USA, Deutschland, 2001) Hal, ein beruflich wenig erfolgreicher und vom optischen Erscheinungsbild eher unattraktiver Mann, sucht seine Traumfrau, die wie ein Top-Model aussehen soll. Dank der Intervention eines Psychologen nimmt Hal „optische Makel“ bei seinen Mitmenschen nicht mehr wahr. Während seine Umwelt (Freund, Arbeitskollegen Chef, Nachbarn) weiterhin das gängige Schönheitsideal als Maßstab bei der Beurteilung ihrer Mitmenschen verwendet, verliebt sich Hal in Rosemarie Shannon, die adipöse Tochter seines Chefs. Aber auch als die Hypnose ihre Wirkung verliert, sind ihm die inneren Werte seiner Freundin wichtiger als ihr Äußeres. 71 4.4.2 Darstellung des Krankheitsbildes Allen Filmen ist gemeinsam, dass sie durch Form, Farbe und Größe der Kleidung der jeweils dargestellten übergewichtigen Menschen den Eindruck des Übergewichts verstärken. Zusätzlich werden den Betroffenen sehr schlanke Menschen optisch gegenübergestellt (SCHWER VERLIEBT,„MOPPEL-ICH , ICH BIN EINE INSEL). Das Hauptmerkmal der Adipositas, die Fettleibigkeit bzw. das Übergewicht, wird in allen ausgewählten Filmen deutlich, allerdings in sehr unterschiedlicher Ausprägung. Im Film ICH BIN EINE INSEL ist Rosas kindliches Übergewicht durch einen walzenförmigen Rumpf mit Bauchansatz, durch dicke Beine und runde fleischige Arme und Hände und durch ein rundes Gesicht mit Ansatz zum Doppelkinn deutlich sichtbar und wird mehrfach in Nahaufnahmen gezeigt (TC 00:12:57, 00:19:56, 00:32:37, 00:54:23). Auch der jugendliche Angus in ANGUS –VOLL COOL ist sichtbar übergewichtig und als Kind sehr groß. Verschiedene Einstellungen zeigen ein rundes Gesicht mit Neigung zum Doppelkinn (TC 00:13:32). Nach dem Sportunterricht ist er in Leggins und in einem weißen, weiten T-Shirt, unter dem sein Bauch schwabbelt, zu sehen (TC 00:37:40). Eine am Fahnenmast flatternde sehr große Unterhose entspricht in ihrer Größe allerdings eher weniger den Körpermaßen des Darstellers (TC 00:40:47). Kathi (DIE FRISEUSE) hat eine große Oberweite (TC 00:30:12) und ist ebenfalls sichtbar übergewichtig. Das runde Gesicht zeigt einen leichten Ansatz zum Doppelkinn. Eng anliegende, figurbetonte Kleidung macht besonders Fettansammlungen um Bauch, Hüften, Gesäß und Oberschenkel sichtbar (TC 00:09:20, 00:15:10). Aufgrund ihrer Körperfülle bleibt sie im Türdurchgang oder in Sesseln stecken (TC 00:26:47, 00:15:05). Bei einem Zaubertrick kracht ein Brett unter ihrem Gewicht zusammen (TC 00:43:43). Unter dem Gewicht von Rosi brechen auch im Film SCHWER VERLIEBT ein Stuhl und eine Sitzbank zusammen (TC 00:29:20, 01:07:42). Da die (schlanke) Darstellerin eine Doppelrolle spielt – einerseits dem gängigen Schönheitsideal entsprechend andererseits adipös – zeigt dieser Film im Vergleich mit den übrigen Filmen mit Hilfe maskenbildnerischen Könnens die am stärksten ausgeprägte Form der Adipositas. Dicke, schwabbelige Arme (TC 00:39:34), dicke Beine, an deren Unterschenkel Cellulite sichtbar wird (TC 00:30:40) eine Fettschürze, die über den Rockbund hängt (TC 00:39:34), sowie ein Gesicht mit aufgeschwemmten Gesichtszügen 72 und Doppelkinn (TC 01:20:59) werden mehrfach und größtenteils in Nahaufnahmen gezeigt (TC 00:44:20, 00:48:16). Ähnlich wie bei ANGUS – VOLL COOL wird auch hier die Körperfülle indirekt am Beispiel eines Tangas gezeigt, dessen Ausmaße (geschätzte Bundweite mindestens 160 cm) jedoch der dargestellten adipösen Figur entsprechen (TC 00:50:17). Carla, die Hauptfigur im Film MOPPEL-ICH, ist eine ca. 40-Jährige, mittelgroße Frau mit großer Oberweite, runden Hüften und einem leichten Bauchansatz (TC 00:05:18). Entweder zeichnet zu enge Kleidung ihre Formen deutlich ab, oder sie trägt über eng sitzenden T-Shirts weit geschnittene Oberteile. Carlas Übergewicht wird im Vergleich zu ihrer Freundin, einem sehr schlanken Model namens Britt, dargestellt. Britt wird von ihrer Freundin bei einem Fotoshooting für Unterwäsche unterbrochen und sitzt während der Unterhaltung in Spitzendessous auf dem Sofa. Ihr gegenüber sitzt Carla mit großer Oberweite, sichtbarem Wulst oberhalb der Taille und Oberschenkeln, über denen sich der Stoff spannt (TC 00:19:38). Die eine Adipositas begleitenden körperlichen Beschwerden und / oder Erkrankungen werden nicht in allen analysierten Filmen deutlich. Bei der kindlichen Adipositas im Film ICH BIN EINE INSEL werden sie nicht erwähnt, was dem Verlauf der Erkrankung bei Kindern entspricht. Im Film SCHWER VERLIEBT, dessen Darstellerin die ausgeprägteste Form der Adipositas aufweist, fehlen sie. Übermäßiges Schwitzen wird in ANGUS – VOLL COOL mehrfach dargestellt (TC 00:06:16, 00:10:26, 00:15:05, 00:20:04) und in einem Gespräch zwischen Angus und seinem Großvater wird deutlich, wie sehr Angus darunter leidet. (TC 00:29:05) Angus: Ich werde niemals, niemals im Leben die Chance kriegen, Melissa Lefèvres Hund zu küssen, geschweige denn Melissa. Großvater: Warum denn nicht? A: Zum Beispiel, weil ich sie nicht anfassen kann. G: Und wieso nicht? A: Schweiß! G: Jeder Mensch schwitzt. A: Aber nicht so wie ich. Ich schwitze nicht, ich fließe! Die im Film MOPPEL-ICH zu Beginn des sportlichen Trainings dargestellten Atembeschwerden sind eher darauf zurückzuführen, dass Carla seit Jahren keinen Sport getrieben hat (TC 00:29:17). Sie sind daher nicht als Zeichen einer typischen Begleiterkrankung zu sehen. 73 Ganz anders dagegen werden die mit einer Adipositas einhergehenden körperlichen Beeinträchtigungen in dem Film DIE FRISEUSE gezeigt. Eine Einstellung im Badezimmer, in der Kathi ihre Haut unterhalb der Brust pudert, lässt vermuten, dass sie aufgrund ihres sehr großen Busens dermatologische Probleme hat, die durch Reibung oder Schwitzen entstanden sein können (TC 00:30:39). Mehrere Szenen im Film verdeutlichen, dass Kathis Beweglichkeit eingeschränkt ist. Da Kathi nach einem Disko-Besuch ihre Tochter nicht aufwecken möchte, bittet sie in der Bahn eine junge Frau den rückwärtigen Reißverschluss ihres Kleides ein Stück zu öffnen, damit sie zu Hause das Kleid ausziehen kann (TC 00:05:40). Auf dem Bett sitzend hat sie später Mühe ihre Schuhe auszuziehen. Außerdem scheinen ihre Fußgelenke zu schmerzen (TC 00:06:25). In ihrer Wohnung hält sie sich beim Aufstehen aus dem Stuhl an Möbeln fest (TC 00:23:20) und bei einem Gaststättenbesuch wird gezeigt, wie schwer es ihr fällt sich auf einen Barhocker zu setzen (TC 00:35:55). Welche Mühe es Kathi macht morgens ihr Bett zu verlassen, zeigt eine Einstellung eindrucksvoll: Kathi kann sich nicht aus eigener Kraft im Bett aufrichten. Sie zieht sich mit Hilfe eines Seils, das am Fenster befestigt ist, zunächst in eine Sitzposition und dann aus dem Bett hoch (TC 00:07:20). Szenen, die im Arbeitsamt spielen oder Kathi im Treppenhaus des Hochhauses zeigen, unterstreichen ihre geringere körperliche Belastbarkeit. So wartet Kathi im Jobcenter auf ihren Termin und setzt sich auf einen mitgebrachten Klappstuhl, während alle anderen Arbeitsuchenden Schlange stehen (TC 00:08:47). Als in ihrem Hochhaus der Fahrstuhl ausfällt, steigt Kathi schwerfäl- lig und immer heftiger nach Atem ringend (Belastungsdyspnoe) die Treppe hoch, wobei sie das Geländer als Hilfe braucht und auf ihrem Weg mehrfach Pause machen muss, während andere Bewohner des Hauses problemlos an ihr vorbeilaufen (TC 00:48:38). Das mit dem Krankheitsbild oft einhergehende negative Selbstkonzept wird in allen Filmen deutlich. Seit der Trennung von ihrem Partner, den Carla in MOPPELICH an eine jüngere, ihrer Meinung nach besser aussehende Frau verlor, ist ihre Selbstwahrnehmung negativ. Sie bezeichnet sich als Moppel (TC 00:05:20) und ist mit ihrem Aussehen unzufrieden. Vor dem ersten Treffen mit Tom, das sie immer wieder hinausgezögert hat, während sie mit Hilfe einer Diät Gewicht verlieren will, wird sie von Selbstzweifeln geplagt (TC 00:37:28). 74 Kathi zeigt sich in DIE FRISEUSE selbstbewusst und verfolgt hartnäckig ihre Ziele. Meist versteht sie es sich durch Schlagfertigkeit und Humor zu wehren. Aber auch sie zweifelt an sich. (TC 00:16:26) Kathi (zu ihrer Tochter): Sag mal, findest du mich ejentlich ooch fett und unästhetisch? Wie sie sich selbst sieht, wird deutlich, als sie und Tien, den sie vorübergehend bei sich aufgenommen hat, sich näher kommen und Tien mit ihr schlafen möchte (TC 01:27:02) Kathi (zu Tien): Und außerdem wir beede, dat is doch wie Elefantenkuh und Windhund! Auch Rosemarie kann sich nicht vorstellen, das Hal Gefallen an ihr findet, und es ist ihr unangenehm, wenn er ihr Komplimente macht (TC 00:40:52). Als Rosemarie und Hal miteinander schlafen, hat sie Angst sich lächerlich zu machen. Hal muss schwören sich nicht über ihr Aussehen lustig zu machen (TC 00:49:35). Im Film ICH BIN EINE INSEL wird deutlich, dass Rosas Selbstbewusstsein wenig ausgeprägt ist und sie sich von ihrer Mutter unter Druck gesetzt fühlt. (TC 00:20:24) Rosa: Dauernd erfindet sie [ihre Mutter] eine andere Ausrede: Aber erst, wenn du bessere Noten schreibst….Aber erst, wenn du 10 Kilo abgenommen hast. Thea erlebt mit, wie Rosa von anderen Kindern gehänselt wird und fordert sie auf sich zu wehren. (TC 00:19:14) Thea: Deine Mutter sollte dir andere Unterhosen kaufen. Warum lässt du dir den Scheiß gefallen? Rosa: Weiß nicht. T: Wehr dich doch! R: Wenn ich du wäre, könnte ich das vielleicht. Aber ich bin ich, und ich hab nie was auf die Reihe gekriegt. Als Thea und Rosa gemeinsam an einem See Pause machen, fordert Thea sie zum Schwimmen auf. Sie erfährt, dass Rosa nicht schwimmen kann, weil sie sich im Schwimmunterricht nicht „zum Affen machen“ möchte (TC 01:03:05). Wie Angus sich selbst sieht, wird gleich im ersten Satz zu Beginn ANGUS – VOLL COOL deutlich. (TC 00:00:16) Angus: Meine Mutter nannte mich nach meinem Vater Angus. So nennt man Kühe. Und irgendwie war das ja passend, denn ich war ein ziemlich dickes Kind. 75 Seit seiner Kindergartenzeit hat er aufgrund seines Übergewichts und seines Essverhaltens Ausgrenzung erfahren. Weder seine guten Noten in der Schule noch seine Erfolge als Footballspieler können ihn darüber hinwegtrösten. (TC 00:01:40) Angus: Ich war unglaublich schnell für ein fettes Kind, und ich war ziemlich gut in der Schule, aber ich hätte mein Wissen jederzeit gegen ein bisschen körperliche Schönheit getauscht Seit Jahren ist er in Melissa Levèfre verliebt, aber er traut sich nicht sie anzusprechen (TC 00:24:46). Er bezeichnet sich selbst ironisch als Frauenmagnet (TC 00:18:23). Als er mit seinem Großvater und seinem Freund Troy für den Winterball einen Smoking kaufen will, findet er nach der Anprobe eines Anzugs er sähe aus „wie ein schwuler Moby Dick“ (TC 01:01:13). 4.4.3 Darstellung der ätiopathologischen Faktoren Viele der ätiopathologischen Faktoren, die einer Adipositas zugrunde liegen können, werden in den ausgewählten Filmen in unterschiedlichem Umfang dargestellt. In SCHWER VERLIEBT und ANGUS – VOLL COOL wird die genetische Prädisposition sichtbar und im letzteren auch thematisiert. Rosemaries Vater, Mr. Shannon, ist mindestens übergewichtig und ihre Mutter ist in der filmischen Darstellung als adipös zu bezeichnen (TC 01:36:40). Angus Mutter Meg ist ebenfalls übergewichtig. Als Angus sich mit seinem Großvater über sein Aussehen und seine Probleme unterhält, versucht dieser ihm die genetische Prädisposition darzulegen. (TC 00:19:19) Großvater: Angus, du bist nicht fett. Alle in unserer Familie sind ziemlich groß. Mein Vater war groß. Deine Großmutter, die war verdammt groß. Du bist normal, wenn man bedenkt, von wem du abstammst. Angus: Ich bin nicht normal. Außer der genetischen Prädisposition kommt in beiden Filmen das früh erlernte und übernommene familiäre Essverhalten als Risikofaktor in Betracht, das wiederum auch zur Aufrechterhaltung der Erkrankung beiträgt. Als Hal Rosemarie im Haus ihrer Eltern besucht, zum Essen eingeladen wird und mit ihnen isst, zeigt der Film einen reich gedeckten Tisch. In Nahaufnahme ist eine große Platte mit übriggebliebenen Knochenresten (von Fleisch) zu sehen, Weißbrot, Reis, sowie Kartoffelkroketten oder Klöße und Wein vervollständigen 76 die Mahlzeit (TC 00:47:11). Zum Abschluss des Essens bringt Rosemarie eine Sahnetorte als Dessert herein (TC 00:49:11). Wenn Angus mit Mutter und Großvater isst, stehen ebenfalls große kalorienreiche Nahrungsmengen auf dem Tisch. Eine Einstellung, bei der die Familie gemeinsam am Tisch sitzt und zu Abend isst, zeigt in Nahaufnahme einen großen Teller mit paniertem gebratenem Fleisch. Neben einer großen Schüssel sieht man eine große Flasche Coca-Cola sowie Fertigsaucen in großen Flaschen. Weißes Brot und Brötchen sowie Butter sind ebenfalls auf dem Tisch zu sehen (TC 00:13:45). Als zur Hochzeit des Großvaters ein Buffet für die Gäste bestellt wird, kommt die Einstellung der Mutter zu den familiär üblichen Essensmengen zum Ausdruck. (TC 00:50:27) Mutter: Das sind die Shrimps-Rollen? Ich dachte, die wären viel größer. Oh Gott, und das sind die Fleischbällchen? Dann habe ich nicht genug zu essen bestellt! Gast: Meg, hier gibt es so viel zu essen um eine ganze Armee zu verfüttern! Auch scheint die Mutter in Angus Kindheit Essen als Trost oder Problemlöser verwendet zu haben. Sie bietet ihm, als er ihr von seinen Problemen erzählt, ein Eis an (TC 00:49:44). Dieses Verhalten der Mutter wird von Angus übernommen: Nachdem der Großvater unmittelbar vor seiner Hochzeit verstorben ist, bietet er der trauernden Braut, um sie zu trösten, an mit seiner Mutter und ihm zu essen (TC 01:00:09). In allen Filmen nehmen die an Übergewicht leidenden Menschen, egal wie alt sie sind, große Mengen meist hochkalorischer Nahrung zu sich. Die Nahrungsmittel, mit denen Rosa in ICH BIN EINE INSEL zu sehen ist, die sie kauft oder nach denen sie fragt, sind Süßigkeiten jeglicher Art (Schaumküsse, Speckmäuse, Brausebonbons, Lutscher, Eis, Popcorn in großer Menge u. a.). Mehrfach verlässt sie den Kiosk von Thea mit Armen voller Tüten (TC 00:04:21, 00:09:29, 00:18:54, 00:20:19, 00:45:33). Außerdem fragt sie nach Pommes, Fischstäbchen und Pizza (TC 00:52:06). Gemeinsames Essen zu festen Zeiten ist in Rosas Familie nicht üblich. Die Mutter scheint freiberuflich tätig zu sein und hat daher keine zeitlich festgelegten Arbeitszeiten. Kommt es zu einem gemeinsamen Essen, stehen auf dem Tisch der Familie zwei Pizzen in Pappkartons, mehrere aufeinander gestapelte Alu-Schalen sowie Getränkepäckchen und Flaschen (TC 00:54:17). Rosa bleibt oft sich selbst überlassen. Sie steht morgens früh vor Schulbeginn im Kiosk, ebenso nach Schulschluss, und auch samstags gegen 14 Uhr ist sie dort anzutreffen. Es wird deutlich, dass Rosa aus Frust zum Essen in Form von Süßigkeiten greift (TC 77 01:00:52). Einmal sieht man Rosa allein auf der Mauer eines Pflanzbeets sitzend umgeben von Tüten mit Süßigkeiten und Chips (TC 00:46:28). Essen aus Langeweile oder deprimierter Stimmung findet auch in Kathis Leben in DIE FRISEUSE statt. Kathi isst ein doppeltes gut belegtes Wurstbrot, während sie im Arbeitsamt auf ihrem Klappstuhl sitzend auf einen Termin bei ihrer Sachbearbeiterin wartet (TC 00:09:02). Sie isst zwischen den Mahlzeiten große Wurstscheiben aus dem Kühlschrank (TC 00:22:51) und versucht mit Hilfe eines dick bestrichenen Leberwurstbrotes, das in Nahaufnahme gezeigt wird (TC 00:12:09), ihren Frust über ihre Einsamkeit loszuwerden. Als sie mit Tien, einem Vietnamesen, dem sie kurzfristig Unterschlupf gewährt hat, eine Ladenpassage mit vielen von Vietnamesen geführten Geschäften und Restaurants besucht, kann sie ihrem Essensdrang angesichts der vor ihr stehenden unbekannten Speisen nicht widerstehen und fängt an davon zu probieren, bevor Tien zurück an den Tisch kommt (TC 01:14:10). In ANGUS – VOLL COOL ist der Hauptdarsteller mehrfach große Portionen essend oder kauend dargestellt (TC 00:14:42, 00:16:02). Bereits die erste Einstellung des Films zeigt eine Nahaufnahme seines Babygesichts. Er beißt einen großen Bissen Schokoladenkuchen ab und kaut (TC 00:00:20). Angus` Freund Troy charakterisiert Angus` Essverhalten folgendermaßen: (TC 00:16:05) Troy: Du kannst deinen Lebensunterhalt mit essen verdienen. Da bist du gut drin. In SCHWER VERLIEBT isst Rosemarie, die wie Angus seit ihrer Kindheit Übergewicht hat bzw. adipös ist (TC 00:48:00), beständig große oder doppelte Portionen kalorienreicher Nahrungsmittel. Zu ihren bevorzugten Speisen gehören Pizzaburger, Pommes Frites mit Käse, große Schoko-Milchshakes (TC 00:28:11), Kartoffelchips mit Dip (TC 00:59:05), Bier und Nachos „mit allem Drum und Dran“ (TC 00:35:42) oder Torte (TC 00:54:02). Rosemaries schnelles Essen und ihr ungezügel- tes Essverhalten in Bezug auf Essensmenge und Esstempo werden in mehreren Szenen deutlich. Als Rosemarie und Hal nach ihrem ersten gemeinsamen Restaurantbesuch das Restaurant vorzeitig verlassen, weil ein Stuhl unter Rosemaries Gewicht zusammengebrochen ist, verschenkt Rosemarie die mitgenommenen verpackten Essensreste an zwei Obdachlose, die auf einer Parkbank sitzen. Aus Rosemaries Äußerung wird deutlich, dass es sich um die Reste von Hals Essen handelt, d. h. sie muss ihr Essen schon aufgegessen haben (TC 00:31:32). Bei einem Restaurantbesuch stehen Rosemarie und Hal vor einem gemeinsamen sehr großen Schoko-Milchshake (TC 00:43:23). Während Hal sich nur ein paar 78 Sekunden abwendet, trinkt Rosemarie schnell den gemeinsamen SchokoMilchshake auf (TC 00:43:34). Als Hals Arbeitskollegen ihm zu seiner Beförderung mit einer Torte gratulieren, schneidet Rosemarie, die zufällig anwesend ist, ein Drittel der Torte heraus, nimmt das Stück auf die Hand und verlässt essend den Raum (TC 00:54:02). Bei einem weiteren Restaurantbesuch beobachtet Hal, der kurzzeitig den Tisch verlassen hat, wie Rosemarie nicht nur von ihrem Teller sondern auch noch heimlich und schnell von seinem Teller isst (TC 01:09:54). Auch Carla in MOPPEL-ICH ist beim Essen sehr kalorienreicher und großer oder doppelter Portionen zu sehen. Beim Restaurantbesuch mit Freundin Britt isst sie eine doppelte Portion Gänseleber mit Beilagen und trinkt Rotwein (TC 00:15:55). Steak mit Sahnesauce und Beilagen (TC 00:04:20), reichlich belegte Pizza (TC 00:07:16) oder Lasagne und Rotwein (TC 00:14:00) werden von ihr mit Appetit ge- gessen. Während sie sich in ihrer Sendung zu gesunder Ernährung äußert, bereitet sie gleichzeitig eine Lasagne zu, die sie gemeinsam mit dem Tontechniker isst. In Großaufnahme ist eine Auflaufform mit Lasagneplatten und reichlich Schinkenstückchen zu sehen. Carla gießt einen Liter Sahne dazu und reibt Käse darüber (TC 00:11:56). Carla isst auch zwischen den Mahlzeiten. So kann sie dem Brot mit Gänseschmalz, das ihr der Pförtner anbietet, nicht widerstehen, ist sich aber gleichzeitig der damit verbundenen hohen Kalorienzufuhr bewusst (TC 00:06:00). Carlas Kühlschrank ist vor dem Beginn der Diät gut gefüllt. Ein Blick in ihn zeigt mehrere Gläser eingelegter Antipasti, Käsepackungen, ein Knackwurstpaket, ein Glas mit Schokoladenaufstrich, Marmelade, diverse Dosen nicht erkennbaren Inhalts sowie ein großes Stück Jagdwurst (TC 00:24:30). Im Film wird ein weiterer Aspekt des Essverhaltens besonders deutlich. Carla benutzt das Essen zur Regulierung emotionaler Spannungszustände. Das betrifft sowohl empfundene Freude als auch Frust. Carla berichtet von einem Klassentreffen, bei dem sie aus Frust alle Süßspeisen vom Buffet alleine gegessen und viele Cocktails getrunken hat (TC 00:12:25). Als sie sich in Tom verliebt und er sie eines Abends anruft, trinkt sie während des nächtlichen Telefonats mehrere Bechergläser Rotwein, dazu isst sie – als Großaufnahme zu sehen – etwa eine Handvoll eingelegter grüner Oliven, 250 g Butter, mindestens zehn dicke Scheiben Salami sowie fünf Kirschtomaten (TC 00:17:14). Nachdem sie erkennt, dass Tom sie nur für seine Zwecke ausnutzen will, isst Carla in einem Essanfall zu Hause vier Pizzen auf (TC 00:57:43). Da noch zwei weitere ähnliche Begebenheiten im Film erwähnt werden – Carla spricht von „meinen extra fetten Kochorgien“ 79 (TC 00:06:25, 00:24:40) – liegt die Vermutung nahe, dass es häufiger zu solchen Essanfällen gekommen ist. In diesem Fall läge eine zusätzliche Binge-EatingStörung vor. In ICH BIN EINE INSEL wird die emotionale Befindlichkeit als Risikofaktor für eine Erkrankung deutlich. Das Kind Rosa lebt zwar in materiellem Wohlstand, ist aber emotional vernachlässigt worden. Sie sehnt sich danach von anderen anerkannt und geliebt zu werden (TC 01:06:10). In vielen Szenen des Films wird deutlich, dass die alleinerziehende und wahrscheinlich freiberuflich tätige Mutter keine Zeit für ihre Tochter hat (TC 00:11:15, 00:18:04, 00:31:16). (TC 00:11:15) Mutter: Rosa! Da bist du ja! Ich such dich überall! Wir waren doch vor der Schule verabredet. Jetzt komm! Beeil dich! …Na los! Du, um drei hab ich nen Kunden, und vorher müssen wir noch einkaufen. Beeil dich mal! Steig ein! Was hast du denn da schon wieder gekauft? Wie sehr Rosa sich alleingelassen fühlt, kommt in einem Gespräch mit Thea zum Ausdruck. (TC 00:12:05) Rosa: Ich hab keine Eltern. Nur eine Mutter, und die arbeitet…..die arbeitet immer oder muss irgendwie weg. Thea fährt mit einem gemieteten Transporter in die Berge um letzte Möbelstücke aus ihrem Ferienhaus zu holen, da das Haus nach dem Scheitern ihrer Ehe verkauft werden soll. Unterwegs entdeckt sie, dass Rosa als blinder Passagier mitgefahren ist. (TC 00:59:58) Thea: Die [Mutter] macht sich garantiert Sorgen um dich. Rosa: Die ist froh, wenn ich weg bin! Ruf sie ruhig an, die hat tausend Sachen zu tun. |Rosa zieht einen Lutscher aus ihrer Jackentasche| Wann bei Kathi in DIE FRISEUSE das Übergewicht entstanden ist, und ob weitere Risikofaktoren ihrer Erkrankung zugrunde liegen, ist nicht genau zu belegen. Ihre filmische Lebensgeschichte macht deutlich, dass sie in ihrer Kindheit unter Vernachlässigung und Vereinsamung litt und der unteren sozioökonomischen Schicht angehörte, was in zweifacher Hinsicht das Entstehen einer Adipositas begünstigen könnte. (TC 01:36:20) Kathi: Meine Mutter hat jesoffen. Dat hab ick dir nie erzählt. Wir haben janz in der Nähe hier jewohnt. War ick noch janz kleen. Lag die manchmal halb im Koma im Flur aufm Fußboden. Musst ick dann immer irjendwo ne Decke herholen und sie zudecken. Ich hab die ewig nich jesehen. Ich glaub, das letzte Mal, da warse noch n 80 Baby. Hat se damals vor der Kaufhalle jestanden, wos Eastgate jetzt is mit den janzen Alkis drumherum. …Trotzdem wollt ick wieder hierher zurück nach Marzahn. Komisch, wa? Nach eigenen Angaben war sie jedoch nicht ädipös, als sie ihren Mann kennenlernte (TC 00:17:40), d. h. sie müsste nach der erst kürzlich vollzogenen Trennung von ihrem Mann in einem Zeitraum von geschätzten vier bis sechs Wochen plötzlich adipös geworden sein, was angesichts des dargestellten Körpergewichts unwahrscheinlich ist. Eine mögliche langsame Gewichtszunahme oder eine Gewichtszunahme nach der Geburt ihrer Tochter werden nicht erwähnt. Ob die Trennung von ihrem Mann als kritisches Lebensereignis der Auslöser der Adipositas war, erscheint also fraglich. Carlas Übergewicht in MOPPEL-ICH liegt als Auslöser der Verlust des Partners zugrunde. (TC 00:05:20) Carla: Ich bin 41, Single und übergewichtig. …Warum moderiert ein Moppel wie ich ausgerechnet „Pfundschwund“? Als ich vor zwei Jahren mit der Sendung anfing, trug ich noch 15 Kilo weniger mit mir rum. Damals war ich verliebt….Boris verließ mich, und ich fing an zu futtern. Ein negatives Selbstbild als aufrechterhaltender Faktor kommt besonders in ANGUS - VOLL COOL zum Ausdruck. Außer zu Troy hat Angus keine Kontakte zu sei- nen Mitschülern. Aufnahmen seines Zimmers zeigen ausschließlich ein verdunkeltes Zimmer, in das er sich mit seinen naturwissenschaftlichen Experimenten zurückzieht. Gegen Ende des Films wird indirekt in Angus’ Gespräch mit Melissa, die ihm von ihrer Bulimieerkrankung berichtet, noch einmal sichtbar, unter welchem Leidensdruck er steht. (TC 01:11:15) Melissa: Ich hab Bulimie. Weißt du, was das ist? Angus: Ich bin ein fettes Kind. Natürlich weiß ich, was es ist. Wenn du zuviel isst, dann kotzt du’s wieder aus, damit du nicht so aussiehst wie ich. Melissa: So in etwa. Angus: Weißt du was? Ich hab’s auch mal versucht. Ich hab mir den Finger in den Hals gesteckt, aber ich hatte immer noch Hunger, da hab ich den Finger fast gegessen. Mehrfach wird – z. B. in einem Gespräch zwischen Mutter und Großvater (TC 00:47:32) oder unmittelbar – die Reaktion seines Umfeldes auf sein Äußeres dar- gestellt. 81 Es wird deutlich, das Agnus seit Jahren von seinen Mitschülern gehänselt und gemobbt wird. Neben verbalen Beleidigungen z. B. (TC 00:00:40) Rick: Angus Bethune ist ein fettes Kind. Er ist so hungrig. Er isst sogar seine Popel. (TC 00:00:54) Mitschüler: Hey, Angus! Spielst du mit Eselreiten?....Du bist dann der Esel! (TC 00:02:23) Rick: Spielen wir ne Runde Football? Angus: Ja, gern. Rick: Du darfst das Feld sein. (TC 00:17:15) Rick: Danke für das Zuspiel, Brathuhn, eh, Bethune. (TC 00:36:13) Mitschüler (zu Troy): Wo hast du denn Schwabbel gelassen? (TC 01:06:06) Rick: Soll sie [Melissa] entscheiden, was wichtiger ist: Qualität oder Quantität. spotten seine Mitschüler über seine schulischen Leistungen („Einstein“). Sie entwenden seine Unterwäsche und hängen seine Unterhose am Fahnenmast unter der amerikanischen Flagge auf (TC 00:40:40). Sie verletzen seinen Freund und erpressen von diesem ein Video (TC 00:44:08), das sie auf dem Winterball veröffentlichen um ihn so demütigen (TC 01:09:02). Im Gegensatz zu Angus, dem der Freund Troy zur Seite steht, hat Rosa in ICH BIN EINE INSEL offensichtlich keine Freundin(nen). Im Film ist sie mehrfach allein zu sehen, oder es wird deutlich, dass sie allein unterwegs ist. Sie steht mit ihrer Schultasche vor dem Kiosk (TC 00:03:45), sitzt allein auf der Mauer einer Pflanzinsel (TC 00:46:28) oder geht allein an den Fenstern der Ballettschule vorbei und sieht von draußen den Mädchen beim Üben zu (TC 00:57:52). Rosa erfährt ebenfalls in ihrer Umgebung Beleidigung und Geringschätzung. Als Rosa in Theas Kiosk an der Kühltruhe steht, wird sie von Kindern weggedrängt. (TC 00:08:38) Junge: Eh, mach mal Platz! Das Hängebauchschwein frisst den ganzen Laden leer! Die Kinder hänseln sie, als sie sich nach vorne beugt und man ihren Slip sehen kann, ein Kind versucht ihre Jeans weiter runter zu ziehen. (TC 00:18:54) Kind: Hey, Miss Piggy, zeig doch mal deinen Ringelschwanz! Als Thea und die Mutter Rosa suchen, weil sie nicht zu Hause angekommen ist, fragt Thea eine Jugendliche, ob sie sie gesehen habe. 82 (TC 00:39:25) Jugendliche: Im schwarzen Cafe war eben so ein kleines Glitzerschwein. Die war nicht pummelig, die war fett! Auch von Erwachsenen erfährt Rosa Geringschätzung. Rosa führt Thea ihr „Tanzen“ auf dem Gehweg unter dem Gelächter zweier vorübergehender Erwachsener vor (TC 00:20:50). Selbst Thea äußert sich abwertend ihr gegenüber. (TC 00:12:33) Thea: Herrgott noch Mal! Siehst du vielleicht aus, als könntest du meine Tochter sein? Auch in SCHWER VERLIEBT wird die Isolation der Betroffenen sichtbar. Rosi hat außerhalb ihrer Familie nur wenige Kontakte zu ihren Mitmenschen. Rosis Freunde sind wie sie Außenseiter der Gesellschaft: kranke, durch Verbrennungen oder Hauterkrankungen entstellte Kinder oder Erwachsene, Körperbehinderte und Adipöse. Welche Reaktionen Rosemaries Äußeres hervorruft, verdeutlichen mehrere Szenen. Beim Verlassen des Restaurants treffen Hal und Rosemarie auf zwei Männer, die das Restaurant gerade betreten wollen. (TC 00:30:06) Junger Mann (mit Blick auf Rosi): Wir kommen zu spät! Die Küche wurde ja schon leer gefressen! Auch Hals Freund Maurizio äußert sich abwertend und beleidigend über ihr Äußeres. (TC 00:55:24) Maurizio: Du musst dich nicht weiter mit diesem Walfleisch abgeben…..Sie hat Wöchel…. Direkt nach der Wade kommt der Fuß…..Du musst doch zugeben, dass du mit diesem Elefantenbaby nie ein Wort wechseln würdest, wenn ihr Vater nicht Chef deiner Firma wäre. In einem Gespräch zwischen Hal und Rosemaries Vater kommt das Verhalten der Gesellschaft indirekt zum Ausdruck (TC 00:48:00) Vater: Aber wir beide wissen doch ganz genau, dass Rosemarie nicht die geringste Chance hat bei den Dallas-Cheerleadern die Puschel zu schwingen… Obwohl beruflich erfolgreich, beschränkt sich Carlas Privatleben in MOPPEL-ICH ausschließlich (TC 00:19:12) auf Kontakte zu ihrer Freundin Britt und auf die eher konfliktreiche Beziehung zu ihrer Schwester Maya und deren Sohn Finn. In Carlas Umfeld ist die Reaktion auf ihr Äußeres unterschiedlich. Der Tontechniker und Konrad reagieren positiv auf Ihr Äußeres. Britt und Maya, die beide ein sehr restriktives Essverhalten zeigen, sehen ihr Äußeres und ihr Essverhalten kritisch (TC 00:08:34, 00:11:03). Es gibt in ihrem Umfeld allerdings auch folgende Äußerun- gen zum Schönheitsideal. 83 (TC 00:40:47) Konrad: Ist das nicht der Sender mit der dämlichen Diätshow? Bestellen Sie ihr [der Moderatorin] nen schönen Gruß von mir. Es ist unverantwortlich, wie sie Menschen in den Diätwahn treibt. Muss man sich mit ein bisschen Hüftgold wie ein LepraKranker fühlen? (TC 01:13:45) Konrad: Hab mal gehört, in den letzten 20 Jahren wurden die Schaufensterpuppen verändert. Die haben heute 10 cm weniger Umfang an den Hüften und 5 cm dünnere Oberschenkel. Im Film finden sich Szenen, in denen Carla sich ausgegrenzt und isoliert fühlt und die Geringschätzung ihres Umfeldes zum Ausdruck kommt (TC 01:18:14, 00:20:52). In einer Radiosendung berichtet sie von ihrem eigenen Klassentreffen und erfindet aus Scham die Figur einer Freundin (TC 00:12:25). Kathi in DIE FRISEUSE lebt nach der Trennung von ihrem Mann mit ihrer Tochter in einem großen Hochhaus. Nach außen kontaktfreudig und forsch auftretend, ist sie einsam und bei allen Problemen auf sich selbst gestellt (TC 00:18:20). Den Kontakt zu ihrer Mutter hat sie schon vor Jahren abgebrochen, Probleme macht Kathi mit sich selbst aus. (TC 00:38:27) Silke: Die Menschen unterteilen sich in Einatmer und Ausatmer…Die Einatmer, die schlucken allet. Die sagen nie: Ick kann nich mehr. Die fallen einfach irgendwann um und du bist der klassische Einatmer. Kathi: Wat? Ick een Einatmer? Dat stimmt doch janich! Diskriminierung gehört zu Kathis Alltag. Als sie mit dem CT einer Großtierklinik untersucht werden muss, wird das in einem Gespräch mit dem Arzt deutlich. (TC 01:34:01) Kathi: Diskriminierung ist mein zweiter Vorname. Sie erlebt sie in vielfältiger Weise (TC 00:36:34, 00:42:35, 01:22:18) und mit dem Hinweis auf ihr nicht ästhetisches Aussehen wird ihr eine Anstellung als Friseurin verweigert (TC 00:14:29). 84 4.4.4 Darstellung der therapeutischer Maßnahmen Konkrete therapeutische Maßnahmen wie unter Kapitel 3.4.4 beschrieben, werden in ICH BIN EINE INSEL erwähnt. (TC 01:18:11) Rosa: Ich mach in den Ferien ein Programm. Das heißt Fit Kids. Da lernt man was über Essen, macht Sport und so. In ANGUS – VOLL COOL bereitet sich Angus auf den Ball vor, indem er, unterstützt von Troy, tanzen übt (TC 00:35:30), Sit-ups macht (TC 00:34.54) und mehrfach mit Hanteln trainiert (TC 00:35:40). Ansätze zur Verbesserung des Essverhaltens und hinsichtlich körperlicher Betätigung sind ausführlich in MOPPEL-ICH dargestellt. Obwohl Carla dem „Diätwahn“ zunächst kritisch gegenübersteht (TC 00:04:40), beginnt sie mit einer Diät. Außer dass am ersten Diättag vier Flaschen Wasser und drei grüne Äpfel vorgesehen sind, erfährt man nichts über ihre Ernährung während dieser Zeit. Parallel zur Diät beginnt unter Anleitung eines persönlichen Trainers ein körperliches Training (TC 00:28:00), das hohe Anforderungen an ihr körperliches und auch psychisches Durchhaltevermögen stellt. (TC 00:56:52) Carla: Drei Wochen lang! Drei Wochen lang hab ich mich gequält, hab mich von einem ehemaligen Fremdenlegionär durch den Park scheuchen lassen, hab soviel französisches Quellwasser in mich reingeschüttet, dass mein Körper reif gewesen wäre für die doppelte Staatsbürgerschaft, hab meinen Magen nach Guantanamo Bay geschickt, hab verzichtet und entsagt, und für was? Im Film nimmt Carla in 24 Tagen 12 kg ab. Mehrere Äußerungen von Carla lassen im Verlauf des Films auf eine Änderung ihrer Sichtweise hinsichtlich ihrer Selbstwahrnehmung und ihres Essverhaltens schließen (TC 01:11:34, 01:00:44). 4.4.5 Zusammenfassung Das in den analysierten Filmen dargestellte Körpergewicht reicht von „leicht übergewichtig“ in MOPPEL-ICH bis zu eindeutig adipös in SCHWER VERLIEBT. Beschwerden oder Erkrankungen, die häufig mit dem Übergewicht einhergehen, sind in ANGUS – VOLL COOL und DIE FRISEUSE zu sehen. In allen Filmen wird die Energiezufuhr in Form von übermäßiger Nahrungsaufnahme und damit eine positive Energiebilanz als Risikofaktor wie auch als aufrechterhaltender Faktor von Übergewicht deutlich. Die Stigmatisierung der Betroffenen durch die Gesellschaft und die damit einhergehende Diskriminierung kommt ebenfalls in allen Filmen 85 zum Ausdruck. Auch die Bedeutung des negativen Selbstbildes, das die Erkrankung häufig begleitet und zur Aufrechterhaltung der Erkrankung beiträgt, wird in allen Filmen thematisiert. In den Filmen ANGUS – VOLL COOL und SCHWER VERLIEBT werden die genetische Prädisposition sowie das familiäre Essverhalten als Risikofaktoren berücksichtigt. Emotionale Befindlichkeit als weiterer Risikofaktor lässt sich eindeutig dem Film ICH BIN EINE INSEL zuordnen. In DIE FRISEUSE ist er nicht auszuschließen. Die Wirkung des gängigen Schönheitsideals – einschließlich des daraus resultierenden Diätwahns- wird in MOPPEL-ICH besonders hervorgehoben. Kritische Lebensereignisse, die eine Adipositas auslösen können, sind in MOPPEL-ICH eindeutig feststellbar, in DIE FRISEUSE kommen sie bei der Aufrechterhal- tung der Krankheit hinzu. Die Darstellung der Erkrankung in MOPPEL-ICH lässt die Verbindung zu einer weiteren Essstörung (Binge-Eating-Störung) erkennen. Auf therapeutische Maßnahmen wird in ICH BIN EINE INSEL verwiesen, Ansätze zu Veränderungen werden in ANGUS – VOLL COOL deutlich. Der Film MOPPEL-ICH beschreibt ausführlich körperliche Betätigung und eine Diät als Interventionsmaßnahme bei Übergewicht. 5. Fazit Die vorliegende Analyse der dreizehn Fernseh- und Kinofilme zum Themenbereich der Essstörungen zeigt, dass die Darstellung der Krankheitsbilder in den Filmen insgesamt der im ersten Teil der Arbeit beschriebenen Symptomatik der spezifischen Essstörung entspricht. Der Umfang der Darstellung variiert hingegen je nach Film stark. Dadurch, dass dem Betrachter in manchen Filmen ein unvollständiges Krankheitsbild der Essstörung gezeigt wird – hier sind insbesondere das Fehlen von körperlichen Begleiterscheinungen und / oder komorbiden Erkrankungen zu erwähnen – kann es zu einer Fehlinformation kommen. So ist beispielsweise die Diskrepanz zwischen angegebenem Gewicht und optischer Umsetzung176 in MOPPEL-ICH irreführend und kann beim Betrachter zu falschen Schlussfolgerungen führen. Er kann bei normalgewichtigen Frauen als Reaktion 176 Anmerkung: Die Hauptdarstellerin im Film ist durchschnittlich groß. Bei einer Größe von 1,67m (Angabe Schauspielerin im Internet unter URL <http://www.agentur-mattes.de/ detail.php?actor=136>) und einem im Film von der Waage angezeigten Gewicht von 70 kg (TC 00:25:19) ist der BMI 25,1 (Beginn des Übergewichts). Das spätere Filmgewicht von 58 kg entspricht einem BMI von 20,8. Das im Film angeblich erreichte Gewicht steht allerdings nicht im Einklang mit der optischen Umsetzung. 86 das Bedürfnis zu (übermäßiger) Gewichtsreduktion auslösen. Im Hinblick auf einen angemessenen Umgang mit dem eigenen Körpergewicht ist der Film widersprüchlich, da er einerseits mit dieser Art der Darstellung indirekt das „gängige“ Schönheitsideal unterstützt, andererseits dieses Ideal in mehreren anderen Szenen kritisch beleuchtet. Betrachtet man die Analyse der ätiopathologischen Faktoren wird deutlich, dass sich die Filme häufig einer traumatischen Entstehungsgeschichte und / oder einer Störung der Eltern-Kind-Beziehung als inhaltlicher Grundlage bedienen. In keinem der Filme liegt als auslösender Faktor ein sexueller Missbrauch vor. Für die Darstellung der Psychopathologie von Essstörungen wurden verschiedene filmische Elemente genutzt. So werden bestimmte Melodien, Selbstbetrachtungen im Spiegel oder Rückblenden in die Vergangenheit eingesetzt um eine beabsichtigte Wirkung zu verstärken. Auch die Farbgebung sowie die Einstellungsgrößen mancher Szenen sind unterstützend eingesetzt worden. Da wissenschaftlich belegt ist, dass die meisten Menschen ihre Informationen über psychische Störungen hauptsächlich aus den Massenmedien beziehen“177 ist es (auch) Aufgabe der Medien, durch sachgerechte (d.h. auf wissenschaftlicher Erkenntnis basierend) unterhaltungsorientierte Darstellungen (Edutainment) zur Information und Orientierung des Einzelnen beizutragen, zur Reflexion anzuregen und so zur Aufrechterhaltung der Gesundheit jedes Individuums beizutragen. Dem Medium Film kommt dabei eine bedeutende Rolle zu, da es eine „Kombination aus Bildern, Dialogen, Geräuscheffekten und Musik […] Gedanken und Gefühle in unserem Bewusstsein“ anspricht.178 177 178 Wedding, Danny / Boyd, Mary Ann / Niemiec, Ryan M.: Psyche im Kino, a.a.O., S. 25 Wedding, Danny / Boyd, Mary Ann / Niemiec, Ryan M.: Psyche im Kino, a.a.O., S. 21 87 Filmverzeichnis Angus (Angus – Voll cool, USA / GB / D / F 1995, Patrick Read Johnson) Bloch – Bauchgefühl (D 2008, Franziska Meletzky) Center Stage (USA 2000, Nicholas Hytner) Dying to be Perfect: The Ellen Hart Peña Story (Der leidensvolle Weg zum Sieg, USA 1996, Jan Egleson) Die Friseuse (D 2010, Doris Dörrie) Little Girls in Pretty Boxes (Griff nach den Sternen, USA 1997, Christopher Leitch) Helen, Fred und Ted (Teil 1, D 2006, Sherry Hormann) Hunger – Sehnsucht nach Liebe (D 1997, Dana Vávrová) Ich bin eine Insel (D 2007, Gregor Schnitzler) Moppel-Ich (D 2006, Thomas Nennstiel) Schlank bis in den Tod (D 1997, Peter Wekwerth) Shallow Hal (Schwer verliebt, USA / D 2001, Bobby Farrelly / Peter Farrelly) Vincent will Meer (D 2010, Ralf Huettner) 88 Literaturverzeichnis Absenger, Iris: Die verkörperte Essstörung. 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In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 246-254 Wolf, Anna Maria: Adipositaschirurgische Therapiemöglichkeiten. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 348-355 World Health Organisation <http://www.who.int/features/qa/62/en/index.html>, Stand 03.12.2012 Zipfel, Stephan / Löwe, Bernd / Herzog Wolfgang: Verlauf und Prognose der Anorexia nervosa. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 44-47 Zwaan, Martina de / Mühlhans, Barbara: Atypische Essstörungen und BingeEating-Störung. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 24-28 Zwaan, Martina de / Svitek, Jana: Die Pharmakotherapie der Essstörungen. In: Herpertz, Stephan / Zwaan, Martina de / Zipfel, Stephan (Hrsg.): Handbuch Essstörungen und Adipositas. Heidelberg: Springer 2008, S. 205-210 93 Ich versichere an Eides statt, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig angefertigt und mich keiner fremden Hilfe bedient sowie keine anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe. Alle Stellen, die wörtlich oder sinngemäß veröffentlichten oder nicht veröffentlichten Schriften und anderen Quellen entnommen sind, habe ich als solche kenntlich gemacht. Diese Arbeit hat in gleicher oder ähnlicher Form noch keiner Prüfungsbehörde vorgelegen. _____________ _________________ Datum Unterschrift Mir ist bekannt, dass nach § 156 StGB bzw. § 163 StGB eine falsche Versicherung an Eides Statt mit Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren bzw. von bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft werden kann. _____________ _________________ Datum Unterschrift 94 Anlage 1: Übersicht über die Kapitel der ICD-10179 Kapitel Gliederung Titel I A00-B99 Bestimmte infektiöse und parasitäre Krankheiten II C00-D48 Neubildungen D50-D90 Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe sowie bestimmte Störungen mit Beteiligung des Immunsystems IV E00-E90 Endokrine, Ernährungs- und Stoffwechselkrankheiten V F00-F99 Psychische und Verhaltensstörungen VI G00-G99 Krankheiten des Nervensystems VII H00-H59 Krankheiten des Auges und der Augenanhangsgebilde VIII H60-H95 Krankheiten des Ohres und des Warzenfortsatzes IX I00-I99 Krankheiten des Kreislaufsystems X J00-J99 Krankheiten des Atmungssystems XI K00-K93 Krankheiten des Verdauungssystems XII L00-L99 Krankheiten der Haut und der Unterhaut M00-M99 Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes XIV N00-N99 Krankheiten des Urogenitalsystems XV O00-O99 Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett P00-P96 Bestimmte Zustände, die ihren Ursprung in der Perinatalperiode haben Q00-Q99 Angeborene Fehlbildungen, Deformitäten und Chromosomenanomalien R00-R99 Symptome und abnorme klinische und Laborbefunde, die anderenorts nicht klassifiziert sind S00-T98 Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen V01-Y84 Äußere Ursachen von Morbidität und Mortalität Z00-Z99 Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen U00-U99 Schlüsselnummern für besondere Zwecke III XIII XVI XVII XVIII XIX XX XXI XXII 179 Deutsches Institut für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI): ICD-10GM Version 2013. URL < http://www.dimdi.de/static/de/klassi/icd-10-gm/kodesuche/ onlinefassungen/htmlgm2013/index.htm> Stand 13.11.2012 95 Anlage 2: Beispiele für BMI-Perzentilkurven zur Bestimmung von Adipositas bei Kindern und Jugendlichen180 180 Quelle: Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kinderund Jugendalter <http://www.aga.adipositas-gesellschaft.de/index.php?id=223> Stand 04.01.2012 96