Ethik - Deutscher Fundraising Verband

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DEUTSCHER FUNDRAISING VERBAND
Die Halbjahresschrift
Fundraising
professionell
1/2008
4. Jahrgang/D 25988 F – ISSN 1861-0218
des Deutschen Fundraising Verbandes
Ethik
Ethik und Transparenz: Basis für Vertrauen und Spenderschutz
Burkhard Wilke, DZI
Eine Dauerbaustelle: Ethik
Dr. Klaus Neuhoff, Universität Witten/Herdecke
Ethische Fragen im internationalen Vergleich – Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Dr. Marita Haibach
Heiligt der gute Zweck alle Mittel?
Ingrid Alken, Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers
Provisionen – der Fluch im Fundraising
Kai Fischer, Spendwerk
Freiwillige und Ehrenamt
Bürgerschaftliches Engagement gestern, heute und morgen
Ansgar Klein, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement
Die Deutschen und das Ehrenamt – Empirische Befunde aus der Marktforschung
Erik Lämmerzahl, GfK Panel Services
Freiwilliges Engagement im Vereinssport: eine „Spende“ der besonderen Art
André Testrut und Markus Böcker, Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB)
Weil Nähe zählt – Auf der Suche nach Ehrenamtlichen
Anja Remmert, Malteser Hilfsdienst e.V.
9.15: Bankdaten von gestern verarbeitet
11.30: Spendern gedankt
14.30: Zuwendungsbescheinigungen verschickt
16.00: Neueste Kennzahlen an
Vorstand geliefert
18.15: Pünktlich mit Max beim Aufstiegswunder
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Editorial
3
L i ebe L eser i nnen
und L eser !
Willkommen zur ersten Ausgabe der Fundraising professionell im Jubiläumsjahr des
Deutschen Fundraising Verbandes. 15 erfolgreiche Jahre Verbandsgeschichte liegen
hinter uns – ein Erfolgsfaktor des Verbandes in diesen 15 Jahren war und ist, dass er
den aktuellen, offenen und drängenden Fragen unseres Berufsstandes nachgeht und
sich auch um die heiklen Themen kümmert.
Ein solches Thema ist der Bereich Ethik, dem sich die Artikel im ersten Teil der vorliegenden Ausgabe widmen. Die verschiedenen Aspekte des Gegenstandes Ethik sind
brisant und aktuell, vielschichtig und komplex – nicht alle ethischen Fragen in unserem
Berufsfeld sind so selbstverständlich und einfach zu beantworten, wie mancher ver-
Rüdiger Sornek
Vorstandsvorsitzender
mutet. Umso wichtiger ist es, gemeinsame Leitlinien zu entwickeln, an denen sich die
Fundraiserinnen und Fundraiser orientieren und auf die sie sich berufen können. Der
Deutsche Fundraising Verband ergreift dazu verschiedene Initiativen, zu denen auch
der Ausschuss „Standards für eine gute, ehtische Fundraising-Praxis“ gehört. Über dessen Ziele und Aufgaben berichtet Ingrid Alken in ihrem Artikel „Heiligt der gute Zweck
alle Mittel?“
Die Schlagzeilen über Unicef und seine Beraterhonorare zum Jahreswechsel
haben gezeigt, dass es noch viel Klärungsbedarf gibt – und zwar nicht nur bei
den Organisationen selbst, sondern auch bei der nicht immer fundierten ethischen
Beurteilung ihrer Arbeit durch die Öffentlichkeit. Wie sind solche Schlagzeilen also
Becky Ann Gilbert
Beisitzerin
zu bewerten? Inwiefern können allgemeingültige Regeln davor bewahren, eine möglicherweise unberechtigte
Stimmung des Misstrauens in der Öffentlichkeit hervorzurufen? Wie gehen Fundraiserinnen und Fundraiser in
anderen Ländern mit ehtischen Fragestellungen um?
Diesen Fragen gehen unsere Autorinnen und Autoren nach – zum Beispiel Dr. Marita Haibach, die uns Einblick
in den Entwicklungsstand internationaler Ethikprinzipien gibt. Ein viel diskutiertes Thema, nämlich die erfolgsabhängigen Provisionen im Fundraisingbereich, greift Kai Fischer auf und beleuchtet es von unterschiedlichen
Seiten. Dass er bei der Beurteilung zu einem klaren Ergebnis kommt, zeigt schon der Titel seines Artikels:
„Provisionen – der Fluch im Fundraising.“ Beim Deutschen Fundraising Kongress wird es am Freitag, den
18. April, eine Veranstaltung zum Thema Ethik geben mit dem Titel: „Der gute Zweck heiligt die Mittel?
Ethische Fragen im Fundraising.“ Nähere Informationen erhalten Sie unter www.fundraisingkongress.de.
Im zweiten Teil der Fundraising professionell greifen wir ein Instrument auf, das in Zeiten schwindender öffentlicher Mittel und leerer Kassen immer wichtiger wird: das Ehrenamt und das Engagement von Freiwilligen. Einen
Überblick über diesen Bereich liefert Ansgar Klein, der davor warnt, das bürgerschaftliche Engagement zur
„Ersatzkasse“ für nicht mehr finanzierbare staatliche Leistungen zu erklären. Erik Lämmerzahl von GfK Panel
Services lässt Zahlen sprechen und zeigt uns die „Hitliste der Ehrenämter.“ Aus der Praxis berichten André Testrut
und Markus Böcker für den Deuschen Olympischen Sportbund sowie Anja Remmert von den Maltesern, die mit
der Initiative „2008 Malteser gewinnen“ bereits erste Erfolge verbuchen kann.
Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre
und freuen uns auf Ihre Rückmeldungen,
Anmerkungen und Anregungen!
Rüdiger Sornek
Becky Ann Gilbert
Ethik
Ethik und Transparenz: Basis für Vertrauen und Spenderschutz
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Burkhard Wilke, DZI
Eine Dauerbaustelle: Ethik
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Dr. Klaus Neuhoff, Universität Witten/Herdecke
Ethische Fragen im internationalen Vergleich – Unterschiede und Gemeinsamkeiten
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Dr. Marita Haibach
Heiligt der gute Zweck alle Mittel?
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Ingrid Alken, Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers
Provisionen – der Fluch im Fundraising
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Kai Fischer, Spendwerk
F re i w i ll i ge und E h renam t
Bürgerschaftliches Engagement gestern, heute und morgen
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Ansgar Klein, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement
Die Deutschen und das Ehrenamt – Empirische Befunde aus der Marktforschung
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Erik Lämmerzahl, GfK Panel Services
Freiwilliges Engagement im Vereinssport: eine „Spende“ der besonderen Art
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André Testrut und Markus Böcker, Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB)
Weil Nähe zählt – Auf der Suche nach Ehrenamtlichen
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Anja Remmert, Malteser Hilfsdienst e.V.
impressum
FUNDRAISING professionell
erscheint zweimal jährlich in den Monaten April und Oktober. Sie können die Zeitschrift über den Herausgeber für 28,- Euro pro Jahr inkl. Porto und Versand im
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Redaktion
Rüdiger Sornek • Becky Ann Gilbert • Pia Preuß
Redaktionsbüro: Bergmoser + Höller Agentur • Karl-Friedrich-Str. 64, 52072 Aachen, Jacqueline Souren-Siemons, Friederike Hofmann
Tel.: 0241 /93 888 325 • Fax: 0241/ 93 888 333 • E-Mail: [email protected]
Vertrieb und Anzeigenverwaltung
Sandy Krapohl • Deutscher Fundraising Verband e.V. • Anschrift: s.o.
Anzeigenschluss 15. August 2008
Druck
DRUCK SPEKTRUM Hirche - Kurth GbR
Bildnachweis:
S. 5, 14, 16, 18, 36, 37, 38, 41, 44, 46, 52, 53, 54, 56, 60: panthermedia; S. 12: Burkhard Wilke, S. 21, 28: Lutgart Goevarts,
S. 30, 31: Hannes Schmid, S. 32: Dr. C. Müllerleile, S. 34: panthermedia/Andreas Kuchem, S. 62, 64, 68, 69: Malteser.
Redaktionsschluss der nächsten Ausgabe: 16. Juni 2008 – Themen: 1. Gesundheitswesen, 2. Sponsoring
Wir freuen uns über Anregungen und Vorschläge zu Themen oder Artikeln!
Ethik
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Ethik und Transparenz:
B asis für Ver trauen
und Spenderschutz
v o n B u r k h a r d W i l k e Die „Zauberworte“ Ethik, Transparenz und Ver­
trauen markieren das „magische Dreieck“ seriösen
und nachhaltig erfolgreichen Fundraisings. Sie
gelten zu Recht als entscheidende Erfolgsfaktoren
für die Mittelbeschaffung gemeinnütziger Orga­
nisationen. Zugleich aber werden sie mit sehr
unterschiedlichen, oft wenig reflektierten und
manchmal unrealistischen Erwartungen befrachtet,
ja zum Mythos hochstilisiert. Wem es ernst ist mit
Ethik, Transparenz und Vertrauen, der buchstabiert konkret und nachprüfbar aus, mit welchen
Maßnahmen er die „Zauberworte“ in seinem Ver­
antwortungsbereich einlöst.
Ethik, Transparenz und Vertrauen sind im Spen­
den­wesen auf vielfältige Weise miteinander verbunden. Ethisch einwandfreies Fundraising sollte
schon für sich genommen ein Primärziel jeder
seriösen Spendenorganisation sein, ist zugleich
aber auch ein Instrument für die Schaffung von
Vertrauen. Transparenz wiederum ist einerseits
ein zentraler Bestandteil ethischer Anforderungen
an das Fundraising und trägt gleichfalls zur
Vertrauensbildung bei. Umgekehrt lassen sich
auch ethische Anforderungen an Transparenz
formulieren, etwa die, irreführende Formen von
Schein-Transparenz zu meiden. Wie sich diese
Zusammenhänge im Einzelnen gestalten und welche Relevanz sie für den Schutz der Spender besitzen, wird in diesem Artikel näher erörtert.
Ethik und Transparenz gehen alle an
Ethik, Transparenz und Vertrauen sind keine Ein­
bahnstraße, sind nicht allein eine Bringschuld der
Spendenorganisationen. Auch viele der übrigen
Stakeholder des Spendenwesens stehen vor der
Herausforderung, ihren Anteil zur Erreichung dieser Ziele beizutragen: Dachverbände, FundraisingAgenturen, Medien, Behörden, Beratungs- und
Prüfstellen – und nicht zuletzt auch die Spenderinnen
und Spender.
Ist es beispielsweise ethisch vertretbar, wenn Spender
immer häufiger auf das Angebot zweckgebundener Spendenprojekte drängen, obwohl solche nach
ihren persönlichen Interessen „maßgeschneiderten“
Angebote deutlich aufwändigere Vorbereitungen
auf Seiten der Organisationen erfordern als die
Spende in den „großen Topf“? Und ist es nicht
so, dass viele Menschen sich einerseits über die
Häufigkeit von Spendenwerbung beklagen, andererseits aber ohne solche „Erinnerungen“ eben
nicht daran denken, etwas von ihrem Wohlstand
abzugeben? Nur ein Drittel der Deutschen spendet
für gemeinnützige Zwecke – ist nicht allein das eine
Ethik
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ethische Herausforderung für alle Beteiligten?
Ein anderes Beispiel: Fundraising-Agenturen
unterstützen als Dienstleister die Mittelbeschaffung
zahlreicher und sehr unterschiedlicher Spen­den­
organisationen. Welche Grenzen müssen Agen­tu­ren
und/oder ihre seriösen Kunden ziehen, wenn sich
andere Kunden unethisch oder nicht transparent
verhalten oder die Agentur sie sogar zu einem
solchen Verhalten ermutigt?
Diese Komplexität der Inhalte und der Stakeholder
ethischer Fragen im Fundraising beschäftigt derzeit
sicher auch den Ethik-Ausschuss des Deutschen
Fundraising Verbandes, der sich das begrüßenswerte Ziel gesetzt hat, die ethischen Grundregeln
des Verbandes neuen Erfordernissen anzupassen.
Ethik im Fundraising – ein „weiches Feld“
Ethik ist die Lehre vom sittlichen Verhalten. Das
griechische Stammwort ethos bedeutet hingegen
nicht mehr als Sitte oder Brauch – schon ein feiner
Unterschied. Sitten und Bräuche wandeln sich
schneller als sittliche Lehrsätze oder gar moralische Grundsätze. Was genau soll nun für das
Fundraising von Bedeutung sein? Sollte es nur
die jeweiligen Landessitten respektieren, muss es
„unsittliche“ Methoden meiden oder hat es stets
moralisch einwandfrei zu sein?
Ethik im Fundraising ist wichtig, schafft aber einen
weiten Spannungsbogen. Ethische Aspekte sind
„weiche“ Kriterien, schwierig festzulegen und
schlecht überprüfbar. Das zeigen schon allein
die drei Grundbestandteile, die in fast keinem
Kodex ethischen Fundraisings fehlen (vgl. Ingrid
Guet: Monitoring Fundraising. A comparative
survey of ICFO members and their countries,
herausgegeben vom International Committee on
Fundraising Organizations (ICFO), Berlin 2002,
Seite 72). Danach soll Spendenwerbung
• wahrhaftig und
• eindeutig (nicht irreführend) sein
•sowie keinen Druck auf die Spenderinnen und
Spender ausüben.
Auch die Leitlinien des vom Deutschen Zentralinstitut
für soziale Fragen (DZI) seit 1992 vergebenen
Spenden-Siegels spiegeln diese ethischen Standards
wider (vgl. www.dzi.de/leitlinien.pdf). Auf dieser
Grundlage sind beispielsweise folgende FundraisingElemente nach der Beurteilungspraxis des DZI und
vieler vergleichbarer Spendenprüfstellen in anderen
Staaten ethisch bedenklich:
• Vorgebliche Personalisierung
Spendenwerbung, etwa für Kinder, die die
unmittelbare und ausschließliche Förderung der
beschriebenen Person oder des beworbenen
Projekts suggeriert, deren Ertrag aber tatsächlich einer viel größeren und unspezifischeren
Zielgruppe zugute kommt, ist nicht wahrhaftig.
• Planungs- und Kompetenzdefizite
Einige Hilfsorganisationen haben dem DZI
berichtet, dass sie bereits wenige Stunden
nach der Tsunami-Flutkatastrophe am 26. De­zem­ber 2004 von ihrer Fundraising-Agentur
bedrängt wurden, wegen des zu erwartenden
Medieninteresses umgehend einen Spendenauf­­­
ruf zu veröffentlichen, obwohl sie den Beratern
gleich vermittelten, dass sie bisher über keine
Erfahrungen in der betroffenen Region ver­
fügen und deshalb fachliche Bedenken haben,
einen Aufruf ohne ausreichende inhaltliche
Vorbereitung zu veröffentlichen. Spendenaufrufe
ohne fundierte Projektplanung widersprechen
dem Grundsatz der Wahrhaftigkeit.
• Übertriebene Selbstdarstellung
Schreibt ein Hilfswerk mit internationalen
Partnerorganisationen sich die internationale
Projektarbeit in seinem eigenen Werbematerial
ohne Hinweis auf die Beteiligung der Partner
uneingeschränkt selbst zu, so informiert es nicht
eindeutig, sondern irreführend.
• Unangemessener Druck auf die Spender
Bringt die Spendenwerbung Angesprochene
unter Zeitdruck („Die Zeit drängt … spenden Sie
jetzt!“), unter moralischen Druck („Sie haben
uns schon so großzügig unterstützt. Bitte lassen
Sie die Kinder jetzt nicht im Stich!“) oder unter
emotionalen Druck („Die kleinen Händchen
des schwer kranken Mädchens klammern sich
an mich und ihre großen Augen flehen stumm
um Hilfe“), so wird die unabhängige, sachbezogene Entscheidungsfindung unangemessen
einschränkt.
Überzeugen, nicht überrumpeln!
Ethisch einwandfreies Fundraising muss nicht
frei von jeder Emotion sein und kann sehr wohl
den Angesprochenen von der Wichtigkeit und
Ethik
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Notwendigkeit seiner Unterstützung überzeugen. Entscheidend ist aber im Sinne der oben
genannten Standards, dass ethisches Fundraising
die Angesprochenen durch überwiegend sachliche, zurückhaltende Ansprache überzeugt, und
nicht überrumpelt, drängt oder nötigt. Gegen
diese Auffassung wird mitunter das Argument
gestellt, dass die Dramatik weltweiter Notlagen
doch Realität sei und das in solchen Briefen
detailliert beschriebene menschliche (oder analog auch tierische) Leid authentisch sei. Dem
ist entgegen zu halten, dass sich selbst der der
wirklichkeitsgetreuen Dokumentation verpflichtete Journalismus Grenzen der bildlichen und
textlichen Darstellung von Leid auferlegt. Umso
mehr muss das für Organisationen gelten, bei
denen solche Darstellungen zur unmittelbaren
Mittelbeschaffung und damit ihrem finanziellen
Eigeninteresse dienen.
Zurückhaltung und Sachbezogenheit im Fundraising
gebieten darüber hinaus nicht nur der Anstand
und der Respekt gegenüber den Spendern, sondern auch das langfristige Eigeninteresse der
Spendenorganisationen, denn:
• Druckvolles, emotionsgeprägtes Fundraising
mag kurzfristig erfolgreich sein, „stumpft“ die
Adressaten langfristig aber ab und erfordert deshalb – wie in einem Abhängigkeitsverhältnis –
immer stärkere „Dosen“, um weiter die ge­wünsch­ten Wirkungen zu erzielen. Eine solche
Dynamik liegt vielleicht im Interesse einzelner
auf Umsatzmaximierung bedachter FundraisingFirmen, aber sicher nicht im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung der Spendenbereitschaft und
der Reputation des Spendenwesens.
• Überwiegend sachbezogene, auch informative
Spendenwerbung können nur Organisationen
überzeugend leisten, die tatsächlich umfassende,
positive Resultate vorzuweisen haben. Druck und
Emotion hingegen kann jeder erzeugen, unabhängig von seiner wirklichen Kompetenz und
Leistungsfähigkeit. Informative, sachbezogene
Spendenwerbung ist der „Unique Selling Point“
seriöser Organisationen!
Weitere Ethikregeln
Neben den oben beschriebenen Grundbausteinen
einer Fundraising-Ethik finden sich in Verhaltens­
kodizes vor allem von Dachverbänden vielfältige
weitere Regeln, die häufig einen besonderen
Bezug zur jeweiligen Klientel haben. Die im
Folgenden aufgeführten Beispiele erstrecken sich
über den engeren Bereich des Fundraisings hinaus
auch auf andere Tätigkeitsbereiche gemeinnütziger Organisationen, die aber für die Ethik des
Fundraisings eine mittelbare Bedeutung haben:
• Verzicht auf die (kommerzielle) Weitergabe
von Spenderdaten,
• keine vergleichende Werbung, unlautere
Allein­stellung oder Diffamierung von Mit­be­
werbern,
• Vermeidung von Verwechslungsgefahr mit
Na­men und Logo anderer Organisationen,
• Achtung der Menschenwürde und Toleranz,
• sorgfältige, kompetente und effiziente Mittel­
verwendung,
• Verzicht auf Provisionen bei der Vermittlung
von Spenden etc.,
• Verpflichtung zur Transparenz in Form von
Jahresberichten etc.,
• Offenlegung von Mitarbeitervergütungen,
• Vermeidung politischer oder finanzieller Ab­­
hängigkeiten,
• Vermeidung von Interessenkonflikten,
• offenes Informations- und Antwortverhalten
gegenüber Spendern und anderen.
Die genannten Regeln wurden beispielhaft den
folgenden Kodizes entnommen:
• Leitlinien und Ausführungsbestimmungen des
DZI Spenden-Siegels,
• VENRO-Kodex „Entwicklungsbezogene Öffent­
lich­keitsarbeit“,
• EFA International Statement of Ethical Principles,
• Grundregeln des Deutschen Fundraising Ver­
bandes,
• INGO Accountability Charter.
Der oben erwähnte Klientelbezug einzelner Stan­
dards lässt sich recht gut an der Beurteilung von
Provisionen ablesen. Fundraising-Dachverbände
schließen die Zahlung von Provisionen für die
Vermittlung von Spenden in der Regel kategorisch
aus. Das ist aus Sicht der Spender und der seriösen Organisationen in den Fällen nachvollziehbar, bei denen erfolgsabhängige Vergütungen
Ethik
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unangemessen starke Leistungsanreize erzeugen
und die Angesprochenen von dieser besonderen Vergütungsform außerdem nichts wissen. Es
gibt aber auch Provisionsmodelle, die aus Sicht
der Organisationen und der angesprochenen
Personen in dieser Hinsicht völlig unproblematisch
sind und eine aus ihrer Sicht wünschenswerte
Risikoteilung zwischen der Organisation und
ihrem Dienstleister bewirken. Ist diese Risikoteilung
angemessen und fair ausbalanciert und wissen die
direkt Angesprochenen um den Bezahlungsmodus,
so spricht eigentlich nichts gegen eine solche
Variante. Schließen Fundraising-Verbände ergebnisbezogene Bezahlung auch in diesen Fällen
aus, so liegen dem wohl eher berufsständische
Interessen als grundlegende ethische Erwägungen
zu Grunde.
Überprüfbarkeit ethischer Grundsätze
Die meisten der genannten Standards versperren sich dem in vielen Non-Profit-Organisationen
inzwischen so beliebten Benchmarking und lassen
sich nicht in betriebswirtschaftliche Kennzahlen
pressen. Bei der Beurteilung ethischer Aspekte
im Fundraising ist deshalb in besonderem Maße
Augenmaß und Sachverstand gefordert. Spender,
Journalisten, Branchenkollegen, externe Prüfer und
andere Interessierte müssen eine Balance finden
zwischen vorschneller, unausgereifter Kritik auf der
einen und beliebiger Indifferenz auf der anderen
Seite.
Es gibt in einer modernen, säkularen Gesellschaft
– im Gegensatz zu Kirchen und Religionen – eben
keine ethische oder moralische Zentralinstanz.
Ethische Maßstäbe werden in der offenen
Gesellschaft überliefert und im öffentlichen Disput
weiterentwickelt. Werden ethische Positionen zur
Unzeit ausgehärtet oder wird der erforderliche Disput
von vornherein mit unangemessener Rigorosität
geführt, so entstehen „Totschlagargumente“: Man
wirft anderen unethisches Verhalten vor und an
diesen haftet solch ein Vorwurf gleich wie Makel.
Je angesehener und gesellschaftlich exponierter
eine Person oder Institution, umso umsichtiger sollte
sie deshalb mit ethischen Bewertungen umgehen
– was klare Urteile nach sorgfältiger Prüfung ja
nicht ausschließt.
Bei aller berechtigten und notwendigen Diskussion
um eine möglichst ausgereifte Ethik im Fundraising
darf nicht in Vergessenheit geraten, dass auch
Spendenorganisationen und den in ihnen und
mit ihnen arbeitenden Fundraisern ein Recht auf
Irrtum eingeräumt werden muss. Ethische Dispute
tendieren an sich schon dazu, Einschätzungen
mit Absolutheitsanspruch geltend zu machen. Im
Spendensektor kommt erschwerend noch hinzu,
dass die Erwartungen der Öffentlichkeit an die
gemeinnützigen Organisationen und die in ihnen
tätigen Menschen zumeist viel höher sind als die
Erwartungen, die sich an andere Institutionen
des täglichen Lebens knüpfen. Schon bei vergleichsweise kleinen Fehlern oder diskussionswürdigen Handlungen neigen viele Außenstehende
– und im Übrigen auch nicht wenige „Insider“ –
dazu, den Stab über eine Organisation und
deren Verantwortliche zu brechen. Fazit: Bei der
Beurteilung ethischer Aspekte ist Augenmaß geboten und kein blinder Rigorismus.
Transparenz schafft informiertes Vertrauen
Wohl unbestritten ist heute die Tatsache, dass
Non-Profit-Organisationen im Allgemeinen und
Spendenorganisationen im Besonderen seit Jahren
einen zunehmenden Informationsbedarf und sogar
Skeptizismus der Öffentlichkeit in Bezug auf ihre
Leistungen feststellen. Dies ist sowohl Ausdruck einer
insgesamt abnehmenden Bindungsbereitschaft der
Menschen an Institutionen als auch Ergebnis
spezifischer Mängel und einzelner Skandale im
Spendenwesen. Von den Spendern kommt die
Botschaft: Blindes Vertrauen ist „out“ – informiertes Vertrauen ist „in“.
Als Mittel zur Rückgewinnung von öffentlichem
Vertrauen ist Transparenz deshalb unverzichtbar
– durch verbesserte eigene Informationen der
Organisationen an ihre „Stakeholder“ (direkte
Transparenz), durch Selbstverpflichtungen im
Rahmen der Verhaltenskodizes von Dachverbänden
(Selbstregulierung), durch „geprüfte Transparenz“
in Form testierter Jahresabschlüsse und insbesondere durch die Spenderberatung und das
Spenden-Siegel des DZI.
Transparenz bedeutet nicht nur Durchschaubarkeit,
sondern auch Sichtbarkeit. Die Offenlegung
nach der Devise „useful to know“ anstelle des
Schokolade ist lila.
Mobilfunk ist blau.
Strom ist gelb.
Fundraising ist
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Ethik
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ängstlichen „need to know“ birgt für die einzelne Organisation wie auch den gemeinnützigen
Sektor als Ganzes die Chance, in der allgemeinen Öffentlichkeit viel stärker als bisher mit
Leistungen und Besonderheiten wahrgenommen
zu werden. Wenn etwa im Rahmen der kritischen
Berichterstattung über UNICEF Deutschland Ende
2007 ernstlich in Zweifel gestellt wurde, dass
Spendenorganisationen externe Berater beschäftigen dürfen, so ist das auch darauf zurückzuführen, dass diese Organisationen hinsichtlich
ihrer Arbeitsweisen und Strukturen bisher in der
Öffentlichkeit immer noch zu wenig sichtbar und
bekannt sind. Es „fremdelt“ eben noch viel zu sehr
zwischen unserer Gesellschaft und ihren gemeinnützigen Protagonisten.
Direkte Transparenz
Zwei entscheidende Vorteile von direkter Trans­
parenz aus der Sicht der Organisationen sind
diese: Wenn sie sich proaktiv transparent
machen, reduzieren sie den Druck der externen
Rechenschaftspflichten. Und wie sie sich transparent machen, bestimmen sie weitgehend selbst.
Dies führt zu einer mitunter irritierenden Bandbreite
von Informationen, von tatsächlicher bis hin zu nur
scheinbarer Transparenz. Genau hier beginnt das
Informationsproblem vieler Spender, vor allem
aber der Nicht-Spender: Sie sind einerseits nicht
„mächtig“ genug, um verbindliche und detaillierte
Rechenschaft zu verlangen, und sind andererseits
nicht kompetent genug – oder nicht willens – die
von den Organisationen offerierte Transparenz
auf Verlässlichkeit hin zu prüfen. Die asymmetrische Informationsverteilung ist ausschlaggebend
dafür, dass sich Transparenz-Intermediäre wie
Selbstverpflichtungen von Dachverbänden und
Spendensiegel unabhängiger „Watchdogs“ in
vielen Ländern mit einem ausgeprägten Spen­
denwesen entwickelt haben (vgl. www.icfo.de).
Direkte Transparenz kann eine Non-Profit-Orga­
nisation insbesondere durch einen aussagekräftigen Jahresbericht praktizieren. Mit den
Möglichkeiten des Internet können auch umfangreichere Informationsmaterialien heute zu geringen Kosten einer beliebig großen Zahl von
Interessenten zur Verfügung gestellt werden. Ein
Jahresbericht sollte umfassend und leicht ver-
ständlich informieren über die Ziele und das
besondere Profil der Organisation, ihre Leitungs-,
Aufsichts- und Mitarbeiterstruktur (einschließlich
Gremienbesetzung und Vergütungsstruktur), die
wichtigsten Projekte sowie deren Erfolge aber
auch Misserfolge, und nicht zuletzt die Finanzlage
(Einnahmen, Ausgaben, Vermögenslage) vollständig und nachvollziehbar dokumentieren. Zur direkten
Transparenz gehören neben dem Jahresbericht
aber auch das allgemeine Informations- und
Auskunftsverhalten, eine ansprechende (nicht
zuviel versprechende) Website, Informationen
über einzelne Projekte sowie insgesamt eine klar
formulierte, informative, überwiegend sachlich
gestaltete Spendenwerbung.
Ein zusätzliches, wichtiges Instrument direkter
Trans­p arenz wird die vom DZI-Projekt
GuideStar Deutschland geplante allgemeine Informationsdatenbank des gemeinnützigen
Sektors sein (www.guidestar-deutschland.de).
Auf freiwilliger Basis können sich hier voraussichtlich schon ab Ende 2008 gemeinnützige
Organisationen mit ihren Grunddaten (unter
anderem zur Finanzsituation) eintragen und
Interessierten damit einen bequemen ersten
Informationszugang bieten.
Selbstregulierung
Instrumente der Selbstregulierung sind in Deutsch­
land vor allem die Selbstverpflichtungen, die die
Mitglieder des Deutschen Fundraising Verbandes
(Ethikkodex), des Verbandes Entwicklungspolitik
deutscher Nichtregierungsorganisationen – VENRO
(Kodex „Entwickungsbezogene Öffentlich­keits­
arbeit“) und des Deutschen Spendenrats freiwillig
eingehen. Analog zur Arbeitsweise des Deutschen
Presserats (als „klassischem“ Selbstkontrollorgan)
wird die Einhaltung dieser Verhaltenskodizes von
den jeweiligen Dach­verbänden nicht im Einzelnen
überprüft, aber es gibt Beschwerdemechanismen,
die von Interessierten angerufen werden können. Zur Selbstregulierung im weiteren Sinne
sind aber auch Angebote zu zählen, die der
Qualitätsentwicklung wichtiger Teilbereiche
des gemeinnützigen Sektors dienen oder der
Verbesserung der allgemeinen Informationslage.
Da wären zu nennen die Ausbildungsangebote
der Fundraising Akademie in Frankfurt am Main
Ethik
11
und das von ihr jüngst entwickelte Fundraising
Management System („Total Quality Excellence“)
sowie viele Weiterbildungen von Spitzen- und
Dachverbänden in punkto Governance, betriebswirtschaftlicher Steuerung etc.
Geprüfte Transparenz
Für geprüfte Transparenz im Spendenwesen sorgt
in Deutschland insbesondere die Arbeit des 1893
gegründeten DZI. Seit 1906 betreibt das DZI
Spenderberatung, das heißt es stellt auf Anfrage
Auskünfte und Einschätzungen zu allgemeinen
Themen und einzelnen Organisationen auf der
Grundlage eigener Recherchen zur Verfügung. Seit
1992 wird diese Spenderberatung ergänzt durch das
DZI Spenden-Siegel, ein Angebot an überregional
sammelnde, gemeinnützige Spendenorganisationen,
sich freiwillig der besonders intensiven, jährlichen
Prüfung durch das DZI zu unterziehen, um im
positiven Fall mit diesem Siegel öffentlich werben
zu können. Geprüfte Transparenz erfordert die
Unabhängigkeit des Prüfers vom Geprüften. Beim DZI
ist diese Unabhängigkeit gegeben, da es von allen
drei Sektoren (Staat, Wirtschaft, Gemeinnütziger
Sektor) gleichermaßen getragen wird.
Eine Nebenform geprüfter Transparenz ist der
2005 erstmals vergebene Transparenzpreis der
Wirt­­schaftsprüfungsgesellschaft Pricewater­house­
Coopers (PWC), bei dem besonders aussage­
kräftige Jahresberichte humanitär-karitativer Spen­
den­organisationen prämiert werden. Nach starker
Kritik aus dem gemeinnützigen Sektor und von
Seiten des DZI hat PWC von seinem ursprünglichen Vorhaben abgesehen, als Ergebnis des
Wettbewerbs ein komplettes Ranking aller beteiligten Hilfswerke zu veröffentlichen.
Selbstverpflichtungen ohne unabhängige Über­
prüfung in der Öffentlichkeit sollten nicht durch
missverständliche Darstellungsweisen den Eindruck
erwecken, als erfüllten sie die Bedingungen
einer unabhängigen Akkreditierung. Das gilt
in ähnlicher Weise auch für Methoden des
Qualitätsmanagements, die primär eine organisationsinterne Beobachtungs- und Steuerungsfunktion
haben und somit nicht mit Synonymen externer Aussagewirkung wie „Siegel“ in Verbindung
gebracht werden sollten. „Zertifizierung“ wäre hier
der angemessene Begriff.
Das Vertrauen der Öffentlichkeit in Spen­
denorganisationen kann letztlich durch keine
der drei Transparenz-Intermediäre allein erreicht
werden. Direkte Transparenz, Selbstregulierung
und geprüfte Transparenz sollten innerhalb des
Spendenwesens als Ganzes und auch von Seiten
der einzelnen Organisationen optimal miteinander
kombiniert – das heißt auch: erkennbar voneinander abgegrenzt – werden.
Spenderschutz
Ethisch einwandfreies Fundraising und Trans­
parenz sind Grundbedingungen für die Schaffung
einer Vertrauensbasis zwischen gemeinnützigen
Orga­nisationen und ihren Stakeholdern. Sie allein
aber reichen nicht aus, um das Vertrauen der
Öffentlichkeit in das Spendenwesen als Ganzes
nachhaltig zu stärken. Denn leider gibt es schon
immer eine zwar sehr kleine aber prekäre Minder­
heit von Spendensammlern, die nur den eigenen­
persönlichen Vorteil und nicht ihre vorgebliche
gemeinnützige Aufgabe im Blick haben und mit
Appellen und Selbstverpflichtungen zu einer Fund­
raising-Ethik nicht zu erreichen sind. So beschreibt
etwa die 1912 erschienene Veröffentlichung
„Beschaffung der Geldmittel für die Bestrebungen
der freien Liebestätigkeit“ ganz ähnliche Spen­
denmissbräuche wie sie noch heute existieren.
Autoren sind der damalige Leiter der Zentrale
für private Fürsorge (Vorgängereinrichtung des
DZI) Dr. Albert Levy und Hedwig Götze. Im
„Handwörterbuch der Wohlfahrtspflege“ von 1924
heißt es unter dem Stichwort „Wohlfahrtsschwindel“
unter anderem:
„Unter W. wird im allgemeinen jedes Unter­
nehmen verstanden, das unter dem Deckmantel
der Hilfeleistung für Notleidende ausschließlich oder wesentlich der Bereicherung der
Unternehmer oder ihrer Hinterleute dient.
(…) muß gefordert werden, daß die Art der
Aufbringung von Wohlfahrtsmitteln und deren
Quelle ebenso lauter und rein zu sein hat
wie die Auffassung und Handlungsweise des
Wohlfahrtspflegers. Insoweit aber besteht
kein Unterschied zwischen einer Art der
Mittelaufbringung, die mit den Strafgesetzen
oder denen der Ethik kollidiert.
(…) Der Unternehmer bot der Wohlfahrts­
Ethik
12
einrichtung an, Postkarten, Bücher, u.ä. mit
der Verpflichtung zu vertreiben, daß gegen
Zulassung eines entsprechenden Vermerks auf
dem Gegenstand ein bestimmter Betrag aus
dem Erlös für jedes Stück, der durchweg sehr
gering war, der Wohlfahrtseinrichtung zufloß.
Damit war dem Unternehmer fast risikolos
ein durchweg sehr großer Gewinn gesichert;
denn die laufende Öffentlichkeit war, veranlaßt
durch den Vermerk ‚Zugunsten des Hilfsvereins
X.’, geneigt, anzunehmen, daß der ganze Erlös
aus dem Verkauf dem Wohlfahrtzweck zufloß
und bezahlte deshalb die häufig recht minderwertige Ware erheblich über Wert (…)
Die Bekämpfung des W.s (…) ist zunächst
erheblich durch die Gleichgültigkeit und
Oberflächlichkeit der Öffentlichkeit erschwert
worden. Aber auch die Behörden haben auf
diesem Gebiet leider völlig versagt, zumal der
Nachweis des Dolus häufig mit Schwierigkeiten
verknüpft war und die Gerichte dem W. gegenüber eine gewisse Milde zu üben geneigt waren.“
Wie aktuell gerade die beiden letzten Absätze des
über achtzig Jahre alten Zitats sind, verrät ein Blick
auf die Website des DZI (www.dzi.de/spetips.htm),
konkret die Spenden-Tipps zu den Themen
„Verkauf von Blinden- und Behindertenwaren“ und
„Sammlungsgesetze“.
Spenderschutz ist vor diesem Hintergrund als
Ergänzung von Fundraising-Ethik und Transparenz
unerlässlich – auch im Sinne eines langfristigen
Spendenschutzes. In Deutschland tragen folgende
Einrichtungen zum Spenderschutz bei:
• Finanzämter (Überprüfung der Gemeinnützigkeit),
• Stiftungsaufsichten der Bundesländer (Kontrolle
der Erhaltung des Stiftungsvermögens und der
satzungskonformen Tätigkeit),
• Amtsgerichte (formale vereinsrechtliche Über­
prüfung der Satzung und der Besetzung des
Lei­tungs­organs),
• Sammlungsaufsichten in zehn Bundesländern,
• Dachverbände mit Verhaltenskodizes und Be-­
schwerdewesen,
• journalistische Recherchen und Berichte über
unseriöse Organisationen sowie Servicebeiträge
mit Spendentipps,
• Beratungsstellen der Verbraucher­zentralen
(Rechts­beratung, Auskünfte zum Mischbereich
gemeinnützig/kommerziell; Weitervermittlung
an das DZI),
• Spenderberatung und Spenden-Siegel des DZI
Die Bundesregierung hat 2003 in einer Antwort auf
eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion die Struktur
des Spenderschutzes wie folgt beschrieben:
„(…) In diesem Sinne wird in Deutschland
eine Kombination staatlicher Kontrollen (Finanz­
behörden, Amtsgerichte, Stiftungs­aufsicht) und
privater Selbstregulierung (BSM, Deutscher
Spendenrat) bzw. unabhängiger Überprüfung
(DZI) praktiziert. Sie beinhaltet auch eine Ver­
zahnung der staatlichen und der privaten­
Kontrolle (z.B. finanzamtlich anerkannte Ge­­mein­nützigkeit als Voraussetzung für die
Beantragung des DZI Spenden-Siegels, sowie
Einbeziehung des Spenden-Siegels in die
Vergabekriterien des Bundesministeriums
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent­
wicklung und des Auswärtigen Amtes). Diese
Verfahren haben sich im Wesentlichen bewährt
und sollten weiterhin Geltung behalten.“
(Quelle: Bundestags-Drucksache 15/335 vom
16.01.2003, Seite 5)
Die positive Bewertung der Bundesregierung von
2003 müsste aus heutiger Sicht in zwei wichtigen
Punkten eingeschränkt werden:
1.Die 1997 begonnene Erosion der Sammlungs­
gesetze hat sich in den letzten Jahren fortgesetzt.
Inzwischen gibt es in Bayern, Berlin, Bremen,
Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen
und Sachsen-Anhalt keine Sammlungsgesetze
mehr, in Schleswig-Holstein fällt das Gesetz ab
2009 weg. Demgegenüber zeigt Rheinland-Pfalz,
dass mit einer zentralisierten Sammlungsaufsicht
Ethik
13
und gezielten Sammlungsverboten ein sehr wirksamer Spenderschutz betrieben werden kann,
der die Auskunftsarbeit insbesondere des DZI in
sehr sinnvoller Weise ergänzt.
2.Das DZI Spenden-Siegel steht nach einer
Satzungsänderung beim DZI seit 2004 allen
gemeinnützigen Organisationen offen, die überregional Spenden sammeln. Demgegenüber
beschränken sich die DZI-Auskünfte zu Organi­
sationen ohne Spenden-Siegel unverändert
auf die humanitär-karitativen und auf wenige
Natur- und Umweltschutzorganisationen. Eine
Einbeziehung auch der übrigen Bereiche, vor
allem Tierschutz, Kultur und Bildung, ist erst
möglich, wenn die öffentliche Finanzierung des
DZI entsprechend erhöht wird. Darum bemüht
sich das Institut gegenwärtig.
Die Zukunft von Ethik und Transparenz
Unter Bezug auf aktuelle Diskussionen im deutschen Spendenwesen und auch mit Blick über
die nationalen Grenzen hinaus sind eine Reihe
interessanter Entwicklungen bei der Ethik und der
Transparenz des Fundraisings erkennbar, aus
denen ich abschließend fünf Thesen ableite:
• Die Beziehungen zwischen gemeinnützigen
Organisationen und ihren gewerblichen Dienst­
leistern (z.B. Fundraising-Agenturen) werden
zunehmend in ethische Fragestellungen einbezogen (Vergütung, Verträge, Qualität, etc.).
• Ranking und Rating von Organisationen nach
bestimmten ethischen oder anderen qualitativen
und quantitativen Kriterien werden – bei allen
methodischen Schwierigkeiten – vermehrt diskutiert werden.
• Die Transparenz der Finanzen (einschließlich
u.a. der Leitungsgehälter) wird zunehmen.
• Die Projektqualität (Erfolg, Wirksamkeit,
Nachhaltigkeit) wird vermehrt in den Blickpunkt
von Ethik- und Transparenzbemühungen geraten.
• Die Internationalisierung der Spendenmärkte
und der Anforderungen an Ethik und Trans­
parenz wird weiter, und möglicherweise sehr
beschleunigt fortschreiten.
Der Autor
B ur k h ard W i l k e
Burkhard Wilke ist 1964 in Hamm/Westfalen geboren, er ist verheiratet
und hat fünf Kinder. Von 1984 bis 1991 studierte er in Münster und Berlin
Volkswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Entwicklungsökonomie,
Wirtschaft der USA, Wirtschaftssysteme osteuropäischer Gesellschaften.
Es folgte ein Volontariat bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung
1992/93, seit April 1993 ist er Mitarbeiter des Deutschen Zentralinstituts
für soziale Fragen:
• als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich
Spenderberatung/DZI Spenden-Siegel (bis März 2000)
• ab Oktober 1993 Mitglied der Geschäftsleitung
• ab November 1998 stellvertretender Geschäftsführer
• seit April 2000 Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter des DZI
• seit Mai 2000 zusätzlich Generalsekretär des International
Committee on Fundraising Organizations (ICFO), des internationalen
Dachverbands der dem DZI vergleichbaren Spendenauskunftsstellen
E-Mail: [email protected]
Ethik
14
Eine Dauerbaustelle: Ethik
v o n D r . K l a u s N e u h o f f Der für eine entwickelte Zivilgesellschaft unabdingbare Dritte Sektor unseres Landes steht seit einiger
Zeit unter Druck von mehreren Seiten. Da ist einmal der anhaltende Rückzug des Staates aus seiner
traditionellen Aufgabenbewältigungs- und Finan­
zierungsverantwortung. Dann wird vermehrt nach
der demokratischen Legitimation des Engagements
von (privaten) Non-Profit-Organisationen zur
Bewältigung öffentlicher Aufgaben gefragt, aber
auch nach der Qualität ihres Outputs. Schließlich
tragen Spendenskandale, Veruntreuung gemein­
nütziger Mittel, Korruption und ähnliche Schlag­
zeilen immer wieder zur Verunsicherung der
allgemeinen Öffentlichkeit und der Mitarbeiter in
den Organisationen bei. Und bei der Suche nach
Alternativen zur bisherigen dominanten öffentlichen Finanzierung bauen die Gemeinnützigen
mehr und mehr auf die Unterstützung von potenten
Partnern aus dem Markt-Sektor, wozu sie unter
dem Begriff der public-private-partnership von
der Politik auch ermuntert werden. Das trägt ihnen
dann den Vorwurf der Abhängigkeit von wirt-
schaftlichen Interessen und der Vernachlässigung
ihres eigentlichen Auftrags der Hilfe am Nächsten
oder der Besserung des Laufs der Welt ein.
Praktisch in jedem der hier genannten Punkte
steckt ein Ethik-Problem, lugt ein potenzieller
Konflikt um die Ecke. Die NP-Organisationen sind
also gut beraten, allein schon um des jeweiligen
‚Überlebens’ willen, ein Sensorium zu entwickeln,
das Konflikte tunlichst gar nicht erst entstehen lässt
bzw., wenn denn schon das Kind in den Brunnen
gefallen, also der Konflikt virulent geworden ist,
schnell und mit Bedacht zu reagieren.
Solches Krisenpotenzial kann man antizipieren
und mit entsprechenden Vorkehrungen auch
gegensteuern.
Selbst ernannte Treuhänder?
Warum klappt das nicht immer? Wo liegt das
eigentliche Problem? Vernunftgesteuerte Konstrukte
wie NP-Organisationen mit vielfältigem Fachwissen
der ehren- und hauptamtlichen Mitarbeiter sollten
doch eher in der Lage sein, mit Krisen fertig
Ethik
15
zu werden als der Normalmensch oder der
Mitarbeiter in gewinngetriebenen Organisationen.
So die Erwartungshaltung ‚draußen’. Andererseits,
gemeinnützige Organisationen, also – untechnisch gesprochen – alle Arten von Vereinen und
Stiftungen, Gesellschaften und Anstalten etc. sind
an ihrem Anfang zunächst einmal auf dem Prinzip
der Spontaneität gegründete Bürgerinitiativen,
die wegen einer erwünschten – und notwendigen
– Dauerwirkung als Institutionen der Rechts- und
Gesellschaftsordnung verfasst sind.
Vernunft und kühle Rechenhaftigkeit gehören
somit nicht zu deren Grundausstattung. Verant­
wortungsbewusste und engagierte Bürger (so
genannte Gut-Menschen) haben sich zusammengeschlossen bzw. haben (über eine Stiftung)
Mittel bereitgestellt, um eine ihnen als defizitär
erscheinende Situation im gesellschaftlichen Leben
anzugehen und zu bewältigen. Sie haben sich,
prak­tisch ungefragt, selbst einen öffentlichen
Auftrag erteilt. Geborene Fachleute der jeweiligen
Problembewältigung sind sie aber nicht. Das
wächst ihnen mit der Zeit zu.
Solches Problembewusstsein und Begründen von
Mechanismen zur Problembewältigung ist einerseits löblich und wird allseits gut geheißen; andererseits ist das in einem historisch staatsorientierten
Gemeinwesen nicht selbstverständlich und wirft
Fragen auf. Ohne die zahlreichen Organisationen
des Dritten Sektors und die in ihnen wirkenden
Millionen von Mitbürgern geht es aber nicht;
der Staat könnte dicht machen. Das freiwillige
Engagement der Bürger wird also gebraucht, ist
staatsentlastend, dient dem sozialen Frieden und
stabilisiert unser Gemeinwesen.
In diesem Zusammenhang gilt besonders: Ohne
Moos nix los! Daher muss man sich in diesem
Sektor der Freiwilligkeit erst einmal um finanzielle Mittel bemühen, muss in der allgemeinen Öffentlichkeit Spenden einwerben, öffentliche Gelder (als „verlorene“ Zuschüsse, also
Zahlungen aus dem öffentlichen Haushalt, für
die es keine konkrete Gegenleistung gibt) oder
Aufträge (gegen Entgelt) akquirieren, von großen
oder kleinen Sündern Geldauflagen (Bußgelder)
hereinholen, Stiftungen für die Projektarbeit
begeistern, bei Unternehmen antichambrieren, um
Sponsoring-Mittel zu gewinnen etc. Am Ende wird
dort weitestgehend mit fremdem Geld gearbeitet.
Zudem: Diese Mittel sind überwiegend steuerlich
privilegiert (zumeist auf der Geber-Seite), beruhen
auf einem Einnahmenverzicht der öffentlichen
Hand, fehlen also in deren Haushalten, was den
Politik-Sektor wiederum unter einen besonderen
Legitimationsdruck setzt.
Insbesondere fremdes Geld, steuerliche Privi­
legie­rung und tendenziell dauerdefizitäre Finanz­
verhältnisse lassen alle Akteure im Dritten Sektor
in einem besonderen Gefährdungsumfeld leben
und wirken. Einerseits ist man als nur Treuhänder
zu besonderer Vorsicht im Umgang mit diesen
Mitteln verpflichtet, andererseits auch zu einer
gewissen Transparenz sowohl hinsichtlich der
Rechenschaftslegung wie auch bezüglich des
Ergebnisses gemeinnützigen Wirkens als eigentliche Aufgabe (raison d’être). Schließlich muss
sich die Organisation, der Non-Profit, in der
Öffentlichkeit sichtbar aufstellen, um überhaupt
wahrgenommen zu werden, um als aktiver Partner
im Gemeinwesen akzeptiert, überhaupt ernst
genommen zu werden. Auch hier, bei der so
genannten PR-Arbeit, lauern Konflikte.
Stetiges Bemühen um good governance
Wenn denn Geld und seine Beibringung (als
Quasi-Einlage/Bereitstellung von Arbeitskapital)
eine so herausragende Rolle spielen, sind dann
die Gemeinnützigen nicht auch so etwas wie
Geldhändler, gar Banker – aber solche ohne entsprechende Ausbildung? Die Szene selbst versteht
sich allerdings eher als sozialer Dienst­leister mit
einer besonderen Motivationsstruktur (gar mit
Vision und Mission) – vielleicht aber mit zweifelhafter Professionalität. Also hohe Anforderungen
angesichts solcher Zweifel, die an die Mit­arbeiter
von Non-Profit-Organisationen, ehrenamtliche
wie hauptamtliche, gestellt werden. Sind sie darauf vorbereitet, ihnen zu entsprechen? – Es darf
vermutet werden: Nein, so recht wohl nicht.
Es besteht also Handlungsbedarf auf etlichen
Baustellen. Das Problem ist jedoch nicht neu und
diesbezügliche Diskurse laufen schon seit langem.
Allerdings, ein Ende solchen Überlegens und
Strebens ist nicht in Sicht; es kann auch kein Ende
geben. Es muss in der Szene vielmehr prozesshaft
Ethik
16
gedacht und gehandelt werden. Wir haben eine
Daueraufgabe vor uns, sehen uns immer wieder
ob neuer gesellschaftlicher Entwicklungen und neu
zu uns stoßender, hoch motivierter Mitbürger vor
neue Fragen und Probleme gestellt. Das Bemühen
um good governance höret nimmer auf! Denn das
Vertrauen unserer Freunde und Förderer, der vielen Spender und Stifter ‚da draußen’, ebenso das
unserer selbst definierten Zielgruppen will immer
wieder neu erworben werden.
Zum Schluss muss noch eine be-­
­son­dere Hürde erwähnt werden:
Was immer hinsichtlich ethischer
Konfliktbewältigung unternommen wird, es fordert von uns allen
eine Verhaltensänderung ein. Wir
müssen uns ändern, müssen an
unserem Wertesystem und an den
diesem folgenden Verhaltensweisen
Korrekturen vornehmen. Das ist
schwer und tut manchmal weh.
Deshalb wollen wir es eigentlich
nicht. Und wenn es denn gar nicht
mehr anders geht, so müssen wir
uns halt fügen, fallen aber, wenn nicht entsprechend angehalten und geleitet (durch wen?), zu
gern wieder in unseren alten Trott zurück.
Daher ist in den Prozess der Formulierung von
ethischen Normen und Anleitungen zu ordnungsmäßigem Handeln, sowohl im Fundraising wie insbesondere beim eigentlichen ‚Geschäft’ der selbst
gestellten Aufgabenerledigung, bei der von unserer
‚Klientel’ Professionalität erwartet wird, von Anfang
an einzubeziehen, dass wir damit wahrscheinlich
scheitern werden. Die Organisationssoziologen
lehren uns, dass sehr viele Veränderungsprozesse
scheitern. Das ist keine pessimistische Weltsicht;
es ist die Realität, die da beschrieben wird. Der
Bremer Hirnforscher Gerhard Roth hat in seinem
Buch ‚Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten
– Warum es so schwierig ist, sich und andere zu
ändern – Wer entscheidet, wenn ich entscheide?’
(2. Aufl. – 2006) festgehalten, warum das so ist,
was da in uns abläuft, wenn wir ‚vernünftig’ werden wollen – und es meistens nicht schaffen.
Er hat zunächst einmal erkannt, dass das
Bewusstsein nur eine kleine – und recht junge
– Aktivitätsinsel in unserem Denkapparat ist.
Verstand und Vernunft sind deswegen nur so
etwas wie Berater bei der geistigen Bewältigung
des Alltags. Das Unbewusste hingegen ist wesentlich älter als das Bewusstsein. Es dominiert und
steuert unser Verhalten weitgehend. Insbesondere
ist es in der Lage, schnelle und zur Bewältigung von
Alltagssituationen zumeist richtige Entscheidungen
zu treffen. Es sind da überwiegend Routinen und
Vorurteile am Werke, die uns die Lebensführung
erleichtern. Hinzu kommen Emotionen, die als
wichtige Antriebskräfte wirken
und dabei stärker als die Vernunft
sind. So macht das Leben Spaß,
ist lustvoll. Dagegen Nachdenken,
Grübeln, Abwägen, das gelegentliche Anwerfen des logischen
Apparats, das ist anstrengend, tut
vielleicht sogar weh. Und dann
die Konsequenzen aus einem so
komplizierten Prozess ziehen, das
tut erst richtig weh, weil wir uns
ändern müssen. Also sind wir
geneigt, damit erst gar nicht anzufangen, wozu uns eine angeborene Disposition hilft, die komplizierten Dinge dieser
Welt schönzudenken. Deswegen sind Reformen
oder vergleichbare Veränderungsprozesse so
mühsam in Gang zu bringen, gelingen meistens
nur in Krisensituationen.
Compliance und Enforcement
Abhilfe verspricht hier etwas, das die Wissenschaft
Konstitutionen-Ökonomie nennt, was eine
Weiterentwicklung der Institutionen-Ökonomie ist.
Zielen Institutionen auf eine Verfestigung und
Verstetigung menschlicher Verhaltensweisen, so
sollen Konstitutionen (Verfassungen, Satzungen,
Regeln, Leitlinien etc.) mit Sanktionsmechanismen
aufgeladene Wegweiser sein, die das Ausbrechen
aus dem jeweils relevanten Regelkreis verhindern. In einem demokratischen und offenen
Gemeinwesen kommen solche Leitlinien nun nicht
von oben, können nicht seitens der Obrigkeit wie
ein Gesetz verfügt werden. Hier handelt es sich um
ausgehandelte Selbstbindungen der Beteiligten.
Sie tasten dabei in einem zunächst internen Diskurs
ab, wie weit sie bereit sind, jeweils von ihren ganz
persönlichen Präferenzen zurückzustecken.
Ethik
17
Will sagen: Ein Kodex von Verhaltensregeln für
Non-Profits will nicht nur im Konsens erarbeitet
und implementiert werden, er muss auch verbindlich gemacht werden (Compliance-Problematik).
Und dazu gehört dann auch ein Art Follow-up,
ein nachlaufender Prozess der Überprüfung, ob
die Regel eingehalten wird – und auch ein
Sanktionsmechanismus (Enforcement-Problematik).
Sünder dürfen nicht einfach mit Ausgrenzung
entre nous oder mit nur einer Verwarnung
davonkommen. Das gilt dann gleichermaßen für
Organisationen wie für ihre Mitarbeiter. Will man
dazu gehören, sich in einer bestimmten community bewegen, was ja auch innere und berufliche Sicherheit gibt, dann muss man sich selbst
einschwören auf das, was in ‚unseren Kreisen’
so Sitte ist, was man tut und besser nicht tut.
Ein Kodex sachgerechten Verhaltens oder guter
Aufgabenerfüllung ist da ganz hilfreich. Dann lebt
man mit sich selbst, mit seinen Kollegen und mit
dem Publikum in Frieden, auch in einem manchmal harten Konkurrenzumfeld.
Und damit das nicht eine leere Hülle ist, bedarf
es schon einer Institution, die mich einbindet und
verpflichtet. Ein Verband von Berufsausübern ist
die Instanz, die solche Aufgaben schultern muss
(berufsverbandliche Ordnungspolitik). Innerhalb
seiner Strukturen müssen Instanzen oder Organe
gebildet werden, die frei und weisungsunabhängig auf die Einhaltung der gemeinsam gefundenen Spielregeln achten und Verstöße gegen sie
öffentlich machen sowie über zu verhängende
Sanktionen beraten. Das ist dann für den zuständigen Verband die Dauerbaustelle, die mit Ernst und
Nachdruck unter Dampf gehalten werden will.
Wir wollen schließlich in unserer Disziplin nicht,
dass der russische Erzähler Maxim Gorki (1868
bis 1936) als aufmerksamer Beobachter menschlichen Verhaltens letztendlich Recht behält, wenn
er sagt: „Gewöhnlich findet sich das Geld erst ein,
wenn das Gewissen zu verdorren beginnt. Je mehr
Geld, desto weniger Gewissen.“
Der Autor
D r . Klaus N eu h off
Dr. Klaus Neuhoff ist seit 14 Jahren Leiter des Instituts Stiftung und
Gemeinwohl an der Privaten Universität Witten/Herdecke gGmbH
in Witten. Zuvor war er über 25 Jahre für den Stifterverband für die
Deutsche Wissenschaft e.V. in Essen tätig, wo er das Stiftungszentrum
aufbaute. Zu den Stiftungen als Inhalt seines Berufslebens ist er durch
eine Kölner betriebswirtschaftliche Dissertation (1964) gekommen, in
der das Verhältnis von Unternehmen (als gewinnorientierte Institution
der Rechtsordnung) und Stiftung (als auf das Gemeinwohl hin orientierte
Non-Profit-Institution) untersucht wurde. Danach hat Dr. Neuhoff mit
einem post doc-Stipendium der Deutschen Forschungsgmeinschaft das
Stiftungswesen der USA für ein deutsches Publikum erschlossen (1968). Er
ist literarisch zum Thema ‚Stiftungen’ vielfältig tätig, u.a. als Kommentator
des Stiftungsrechts im BGB-Großkommentar SOERGEL.
E-Mail: [email protected]
Ethik
18
E t h i sc h e F ragen i m i n t erna t i o nalen V ergle i c h – U n t ersc h i ede
und G eme i nsam k e i t en
von Dr. Marita Haibach
Philanthropie ist eine universale Tugend. Auf der
ganzen Welt gibt es Menschen, die sich freiwillig
und ohne Profitorientierung für das Gemein­
wohl engagieren und Geld (und andere Wert­
gegenstände) bzw. Zeit spenden. Das Fundraising,
dem bei der Stimulierung philanthropischer Ga­ben eine bedeutsame Rolle zukommt, entwickelt
sich in immer mehr Ländern und Teilen der Erde
zu einem Berufsfeld. Ein Indikator hierfür ist die
Ent­wicklung von Berufsverbänden von Fundraisern
und Fundraiserinnen sowie Dachverbänden Spen­
den sammelnder Organisationen. Inzwischen gibt
es in über 30 Ländern derartige Zusammenschlüsse
– und die Zahl nimmt stetig zu. Die Thematik
ethischer Prinzipien und Verhaltensregeln gehört
meist zu den ersten Punkten auf der Agenda der
jeweiligen Verbände. Viele haben inzwischen
eigene Ethik-Kodizes.
Am 15. Oktober 2006 gab es einen historischen Augenblick zu vermelden: Anlässlich
eines International Fundraising Summit, einer
internationalen Gipfelkonferenz von FundraisingVerbänden weltweit, wurde das International
Statement of Ethical Principles in Fundraising, die
Internationale Erklärung zu ethischen Prinzipien
im Fundraising, verabschiedet. Mittlerweile haben
zahlreiche Fundraising-Verbände auf der ganzen
Welt sowie erste global agierende Non-ProfitOrganisationen, wie die Resource Alliance und
Alzheimer’s Disease International, diese EthikPrinzipien ratifiziert. Bedeutet dies nun, dass weltweit Einhelligkeit besteht in Sachen FundraisingEthik? Im Prozess der Entwicklung der internationalen Ethikprinzipien, bei dem ich den Deutschen
Fundraising Verband als Delegierte vertrat, zeigte
sich in der Tat, dass es mehr Gemeinsamkeiten
denn Unterschiede gibt. Nichtsdestotrotz bestehen einige wesentliche Besonderheiten, auf die
ich in meinem Beitrag ebenso eingehe, wie auf
die richtungsweisende Bedeutung der internationalen Ethikprinzipien für das Fundraising auf
der ganzen Welt. Zudem erfolgt ein Überblick
über den Prozess der Entwicklung sowie über die
Inhalte der Ethik-Grundsätze.
Die Entwicklung der internationalen
Ethikprinzipien für das Fundraising
Die Internationale Erklärung zu Ethischen Prin­
zipien im Fundraising entstand im Kontext der
International Fundraising Summits. Bei der Ein­-
VERLAGSDIENSTLEISTUNGEN
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Ethik
20
berufung der bislang vier Gipfelkonferenzen
spiel­ten sowohl die Association of Fundraising
Professionals (AFP) als auch die European
Fundraising Association (EFA) eine tragende Rolle.
Bei der in Arlington im US-Bundesstaat Virginia
ansässigen AFP handelt es sich um den mit über
28.000 Mitgliedern weltweit größten FundraisingVerband. Die EFA ist der Dachverband der
Fundraising-Verbände in Europa. Sie hat gegenwärtig Mitgliedsverbände in 14 europäischen Län­
dern und vertritt so rund 800 Spenden sammeln­
de Organisationen sowie gut 6.500 Fundraiser
und Fundraiserinnen. Im Jahr 2008 werden
voraussichtlich mindestens sechs weitere Länder
Europas folgen, wo es Gründungsinitiativen für
Fundraising-Verbände gibt (darunter Portugal, die
Ukraine und Ungarn).
Der erste International Fundraising Summit fand
auf Einladung der AFP im März 2003 in Toronto
statt. Am Rande der Jahreskonferenz der AFP
kamen 25 Vertreter und Vertreterinnen von
Fundraising-Verbänden aus der ganzen Welt
zusammen, die sich dort erstmals auf internationaler Verbandsebene über das Thema Ethik im
Fundraising austauschten. Neben den Delegierten
der Fundraising-Verbände aus Europa und
Nordamerika waren auch solche aus Brasilien und
Argentinien dabei; außerdem aus Australien und
Neuseeland. Zudem nahmen auch einige wenige
Verbände aus Asien (Südkorea und Hongkong)
sowie aus Afrika (Kenia und Südafrika) teil. Es
gab angesichts der heterogenen Zusammensetzung
zunächst lediglich einen Austausch darüber, was
es in den einzelnen Ländern an Regelungen gibt
und den Beschluss, internationale Ethikprinzipien
entwickeln zu wollen. Im Oktober 2004 gab es
dann den zweiten Fundraising-Gipfel am Rande
des International Fundraising Congress (IFC) im niederländischen Noordwijkerhout. Im Sommer 2005
fand der dritte International Fundraising Summit in
London statt. Auf dem vierten Fundraising-Gipfel im
Oktober 2006, der wiederum in Noordwijkerhout
durchgeführt wurde, konnte schließlich die
Verabschiedung der internationalen Ethikprinzipien
erfolgen.
Ein Meilenstein des Prozesses war die 2004 vom
englischen Fundraising-Verband, dem Institute
of Fundraising, erstellte Auswertung der bis dato
vorliegenden Fundraising-Kodizes weltweit. Auf der
Basis von Rückläufen aus 17 Ländern legte das
Institute of Fundraising eine Zusammenstellung darüber vor, was es überhaupt an Regelungen gibt.
Auf die Verabschiedung des International State­
ment of Ethical Principles in Fundraising im Herbst
2006 erfolgte zeitversetzt in unterschiedlichen
Ländern die Ratifizierung der Prinzipien durch
die nationalen Fundraising-Verbände sowie international agierende NGOs. Die Prinzipien, die
im Original in Englisch formuliert sind, wurden
von den jeweiligen nationalen Verbänden in die
Landessprache übersetzt. Dies hat gelegentlich
– auch wenn es oft lediglich um Nuancen ging –
anregende Zwischenfragen und Überlegungen
zutage gefördert. Im Übrigen hat man sich auf
dem Fundraising-Gipfel in Noordwijkerhout
im Oktober 2006 darauf verständigt, dass in
Zweifelsfragen der englische Wortlaut maßgeblich
ist (falls es Missverständnisse zu klären gilt).
Mittlerweile haben 25 Verbände die EthikPrinzipien anerkannt. Weitere Verbände (und
somit Länder) werden folgen. Der nächste
International Fundraising Summit ist für Ende
März 2008 in San Diego geplant. Auch dort wird
der Punkt „Internationale Ethik-Prinzipien“ eine
Fortsetzung erfahren. Ein wichtiger Blickwinkel,
dessen Diskussion dort begonnen werden soll,
ist die Frage der Durchsetzung der Prinzipien,
anders ausgedrückt: Macht es Sinn, auch auf
internationaler Ebene ein Enforcement-Verfahren
zu entwickeln?
Die internationalen Fundraising-Ethik­­­
prin­zipien: Inhalte und Diskussions­
punkte
Das International Statement of Ethical Principles
in Fundraising ist einschließlich des Vorwortes
knapp drei Seiten lang. Es ist in seinem vollständigen englischen Wortlaut und in der durch
Paul Dalby erfolgten deutschen Übersetzung
auf der Website des Deutschen Fundraising
Verbands dokumentiert. Im Folgenden erwähne
ich lediglich die Hauptstichworte und gehe dann
auf diejenigen Bereiche ein, die intensivere
Diskussionspunkte während der Entwicklung der
Prinzipien darstellten.
Ethik
21
Die Delegierten der International Fundraising
Summits verständigen sich auf fünf universale Prinzipien für das Handeln eines Fund­
raisers:
•
•
•
•
•
Honesty – Ehrlichkeit
Respect – Respekt/Würde
Integrity – Integrität
Empathy – Empathie
Transparency – Transparenz
Internationale Erklärung zu Ethischen Prinzipien im Fundraising
– Fünf universale Prinzipien
Fünf wichtige Prinzipien für das Handeln eines Fundraisers:
Ehrlichkeit: Fundraiser handeln zu allen Zeiten ehrlich und wahrhaftig, so dass öffentliches Vertrauen geschützt und Unterstützer wie Unterstützte nicht irregeführt
werden.
Respekt/Würde: Fundraiser gehen zu allen Zeiten respektvoll mit ihrer Profession, ihrer eigenen Organisation und der Würde von Unterstützern und Unterstützten um.
Integrität: Fundraiser handeln offen und sind sich ihrer Verantwortung für öffentliches
Vertrauen bewusst. Sie decken aktuelle oder potenzielle Interessenskonflikte
auf und vermeiden persönliche oder professionelle Verfehlungen.
Empathie: Fundraiser arbeiten ihren Zielen entsprechend und ermutigen andere, dieselben professionellen Standards und entsprechendes Engagement zu übernehmen. Sie respektieren die Privatsphäre des Einzelnen, die Freiheit der Wahl
und Unterschiedlichkeit.
Transparenz: Fundraiser fördern die Erstellung klarer, genauer und verständlicher Berichte
über ihre Arbeit und den Weg, den Spenden bis zur Verwendung nehmen
sowie über Kosten und Ausgaben.
Zudem formuliert das Statement Standards für die
Praxis zu den folgenden sechs Bereichen:
• Verantwortlicher Umgang mit den Gaben
• Beziehungen zu Interessierten
• Verantwortung für Kommunikation, Marketing
und Öffentlichkeitsarbeit
• Management von Berichten, Finanzmittel
und Kosten
• Zahlungen und finanzielle Leistungen
• Befolgung nationaler Gesetze
Die genannten Themenbereiche mögen alltäglich
oder gar selbstverständlich klingen, doch alleine
die Länge des vollständigen Textes veranschaulicht, dass die Formulierungen der internationalen
Ethikprinzipien weit detaillierter und differenzierter sind als beispielsweise die jeweiligen
Grundregeln des Deutschen Fundraising Verbands,
des Schweizerischen Fundraising Verbands und
des Fundraising Verbands Austria.
Ade?
Wenn Ihre Mailings Mal für Mal ungelesen im Altpapier oder sonstwo landen, heisst das noch lange nicht, dass diese SpenderInnen verloren sind.
Denn bis zu dreiviertel der Verlorengeglaubten spenden bei einem
Telefonkontakt
erneut,
dies
zeigt
unsere
Erfahrung
mit
vielen
Organisationen. Und es kommt noch besser: Telefonisch kontaktierte
SpenderInnen erweisen sich als überdurchschnittlich treu.
Bevor Sie endgültig „ade“ sagen, holen Sie die SpenderInnen mit einer
Telefonkampagne wieder an Bord.
Deutscher Spendenhilfsdienst – DSH GmbH
Tel: 0221 990 1000 – [email protected] – Fax: 0221 99 010 99
Wir sind für Sie da: Spender- und Mitglieder-Begrüßung, -Bindung, -Betreuung
und -Reaktivierung; Durchführung Ihrer Service-Line und Telefonseminare
Ethik
23
Bereits bei der vom Institute of Fundraising erstellten Synopse der Fundraising-Kodizes hatte sich
eines gezeigt: Auf der Ebene der Inhalte gibt
es große Übereinstimmung. Die Unterschiede
zwischen den einzelnen Ländern liegen in erster
Linie in den Details einzelner Formulierungen und
im Umfang der Ausführungen, doch die markanteste Differenz liegt auf der Ebene der praktischen Anwendung. Dazu nähere Informationen
im nächsten Abschnitt.
Bei der Entwicklung des International Statement
of Ethical Principles in Fundraising gab es meist
eher Nachfragen, denn Kontroversen. Im Fol­
genden werden einige der Diskussionspunkte
und Praxisbeispiele dargelegt, die es bei der
Formulierung der fünf universalen Prinzipien gab:
• Unter dem Punkt Ehrlichkeit ist ausgeführt,
dass Fundraiser zu allen Zeiten ehrlich und
wahrhaftig handeln. Hier kam die Frage auf,
ob es denn als unehrlich zu werten sei, wenn
damit geworben werde, dass die Organisation
schließen müsse, wenn die gegenwärtige
Grundregeln des Deutschen Fundraising Verbandes
– Ethik im Spendenwesen:
Fundraising ist Mittelbeschaffung für gemeinnütziges Gestalten. Als treuhänderisches Handeln
der Geberin, dem Geber und der Öffentlichkeit gegenüber setzt es bei allen Beteiligten eine
besondere Hingabe zur Sache und ein offenes und ehrliches Verhalten zueinander voraus. Dies
zu fördern, ist Ziel der folgenden Grundregeln, die wir, die Mitglieder des Deutschen Fundraising
Verbandes e.V., als Maßstab unseres Wirkens anerkennen, und zu deren Durchsetzung wir uns
der Schiedsgerichtsbarkeit des Verbandes unterwerfen.
Grundregeln unserer Arbeit als Fundraiserinnen und Fundraiser
1. Wir erachten die Unantastbarkeit der Würde des Menschen als Richtlinie für unser Handeln.
2. Wir lassen uns von Buchstaben und Geist des geltenden Rechts leiten.
3. Wir üben unsere Tätigkeiten in Übereinstimmung mit anerkannten Regeln unserer Branche aus.
4. Wir unterlassen jedes beleidigende oder anderweitig herabsetzende Verhalten,
insbesondere in der Werbung.
5. Wir treten ein für Transparenz in unserem Wirken und sind jederzeit zur Rechenschaft über
unser berufliches Tun bereit. Dazu gehört eine, den Tatsachen entsprechende, sachgerechte
und ausreichende Information über unsere Arbeit und ihre Ziele ebenso wie eine vollständige
und nachvollziehbare Rechnungslegung.
6. Wir geben uns anvertraute Informationen oder Daten ohne ausdrückliches Einverständnis
der Berechtigten nicht an Dritte weiter.
7. Wir respektieren uneingeschränkt die freie Entscheidung Dritter, insbesondere potenzieller
und bestehender Förderinnen und Förderer, und unterlassen jeden Anschein von Druck
auf ihre Entscheidungen.
8. Wir setzen uns ein für die ordnungsgemäße und effiziente Verwendung der im Rahmen unserer
Tätigkeit eingeworbenen Mittel. Dazu gehört insbesondere die Achtung jeder Zweckbindung.
9. Wir sichern die Qualität unserer Arbeit, indem wir uns fortwährend weiterbilden und neue
Erkenntnisse zügig umsetzen.
10. Wir suchen die offene und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten unserer
Branche in Deutschland und in aller Welt.
Beschlossen auf der Mitgliederversammlung der BSM am 26. Januar 2001 in Frankfurt/Main.
Ethik
24
•
•
•
•
Fundraising-Kampagne nicht von Erfolg
gekrönt sei, während zugleich klar ist, dass
maximal ein Teil der Dienstleistungen eingestellt werden müsste.
Bei dem Punkt Respekt/Würde heißt es unter
anderem, dass Fundraiser zu allen Zeiten
respektvoll mit ihrer Profession umgehen.
Diskutiert wurde hier das Dilemma, dass
Spenden sammelnde Organisationen, die
Fundraiser einstellen bzw. Berater beauftragen, Menschen mit langjährigen Erfahrungen
suchen, die es vielerorts nicht gibt. Bewerber
bzw. Anbieter von Dienstleistungen hingegen
stellen oft ihre Erfahrungen in einem zu günstigen Licht dar.
In den Ausführungen zu dem Punkt Integrität
steht, dass Fundraiser aktuelle oder potenzielle
Interessenskonflikte aufdecken und persönliche oder professionelle Verfehlungen vermeiden. Ein Aspekt, der hier betrachtet wurde,
war, dass offen gelegt werden müsse, wenn
beispielsweise ein Fundraising Management
Consultant, der eine Organisation bei dem Aus­
wahlprozess einer Fundraising-Software berät,
Unternehmensanteile in einem Unternehmen
hält, das Fundraising-Software vertreibt.
Ein interessanter Dialog entspann sich auch
bei dem Punkt Empathie. Ursprünglich war
das englische Wort compassion vorgesehen, das sowohl die Bedeutung Mitgefühl
als auch Mitleid hat. In der Endfassung der
Ethikprinzipien wurde stattdessen empathy
aufgenommen, weil die wörtliche Übersetzung
im Spanischen missverstanden worden wäre.
Während compasión den Touch von Mitleid
hat, bedeutet empatía Einfühlungsvermögen
und Mitgefühl.
Beim dem Prinzip Transparenz heißt es, dass
Fundraiser die Erstellung klarer, genauer und
verständlicher Berichte über ihre Arbeit fördern.
Erwähnt wird hier die Transparenz über die
Verwendung von Spenden sowie über Kosten
und Ausgaben. Hier betrachtete man es als
nicht den ethischen Prinzipien entsprechend,
wenn Organisationen mehr einnehmen als für
einen bestimmten Spendenzweck notwendig ist
und die Mittel ohne Zustimmung der Spender
für einen anderen Zweck einsetzen.
Auch bei der Entstehung der Ausführungen zu den
Standards in der Praxis kamen viele Nachfragen
und Diskussionen auf.
• Im Bereich Verantwortlicher Umgang mit
Gaben lautet ein Unterpunkt: „Mittel werden
entgegengenommen, wenn sie freiwillig erfolgen, mit den Zielen der Organisation übereinstimmen und ihre Verwendung im Verhältnis
zu ihrem Wert nicht mehr als vertretbare
Kosten erzeugt.“ Hier begann eine Debatte
um den Begriff „vertretbare Kosten“ (englisch:
reasonable costs) und die Tatsache, dass es
hierbei unterschiedliche Faktoren zu berücksichtigen gilt. Wo also ist die Grenze? Ein anderer
Unterpunkt, der einige Diskussionen entfachte,
war: „Mittel werden sorgsam und im Respekt
vor der freien Wahl des Gebers eingeworben
ohne Druck, Belästigung, Einschüchterung oder
Zwang.“ Besonders die Mitgliederwerbung an
der Haustür wird allerdings, wie sich zeigte,
unterschiedlich bewertet.
• Ein Gesichtspunkt in dem Bereich Beziehungen
zu den Interessierten, dessen praktische
Umsetzung erörtert wurde, war die Formulierung:
„Fundraiser respektieren die Rechte der
Unterstützten und wahren ihre Würde und
Selbstachtung. Sie verwenden im Fundraising
keine Materialien oder Methoden, welche diese
Würde untergraben.“ Hier wurde deutlich,
dass die verschiedenartigen Kulturen Fotos und
Darstellungen, wie etwa bei der Gewinnung
von Patenschaften für Kinder, unterschiedlich
empfinden. Bei einem anderen Unterpunkt, wo
formuliert ist: „Fundraiser stellen sicher, dass
Zulieferer keinen unverhältnismäßigen Gewinn
aus der Zusammenarbeit mit der Organisation
erzielen können“, wurde nachgefragt, auf
welche Weise es Fundraisern möglich sei, die
Gewinne ihrer Zulieferer zu kontrollieren.
• Auch im Bereich Verantwortung für Kommu­
nikation, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit
gab es einen Punkt, bei dem Übereinstimmung
herrschte, doch zugleich klar wurde, dass
diese Maßgabe vielerorts nicht gängige Praxis
ist: „Fundraiser äußern sich weder öffentlich dahingehend, dass Fundraising ohne
Verwaltungs- oder Sachkosten erfolgt noch
deuten sie Entsprechendes an, damit nicht der
Ethik
25
falsche Eindruck entsteht, dass Fundraising
ohne Kostenaufwand möglich ist. Sie widersprechen, wenn ihre Organisation behauptet
oder andeutet, dass Mittelbeschaffung keine
Kosten verursacht.“
• In dem Bereich Management von Berichten,
Finanzmitteln und Kosten ist unter anderem
formuliert, dass Fundraiser allen Interessierten
innerhalb angemessener Fristen zutreffende
Jahresberichte zur Verfügung stellen. Auf­
grund des Einwandes, dass die Erstellung und
Publikation von Jahresberichten eine Ver­pflich­
tung der Organisation sei, bei deren Er­ledigung
Fundraiser nur bedingt Einfluss ha­ben, wurde
der Teilsatz ergänzt, dass Fund­raiser ihre
Organisation dazu ermutigen sollten.
• Die größten Kontroversen entwickelten sich im
Bezug auf die Details des Bereichs Zahlungen
und finanzielle Leistungen. Dabei ging es
insbesondere um die Frage der Zahlung von
prozentualen Kommissionen bzw. Provisionen.
Zwar war man sich einig, dass es sachdienlicher sei, wenn Fundraiser nicht auf
Prozentbasis tätig würden, doch zugleich
wurde klar, dass dies in Ländern, in denen
Fundraising als Profession noch am Anfang
steht, regelmäßig praktiziert wird und dass
dies zudem von Arbeitgebern bzw. – im Falle
von Beratern – von Auftraggebern des Öfteren
verlangt wird. In den USA gilt das Arbeiten
von Fundraisern auf Provisionsbasis als grober
Ethikverstoß. Daher machte sich insbesondere
die AFP in den Diskussionen dafür stark, dass
hierzu eine strikte Formulierung aufgenommen
werden sollte. Letztlich einigte man sich nach
intensiven Diskussionen darauf, dass statt eines
absoluten Verbots Soll-Regelungen aufgenommen wurden, insbesondere: „Fundraiser stellen
ihre Dienste entweder ehrenamtlich, auf der
Basis eines Gehalts oder eines festgelegten
Honorars zur Verfügung. Fundraiser sollten
keine Kommission oder Provision in einem prozentualen Verhältnis zu eingeworbenen Mitteln
vereinbaren.“ Die AFP stellte ihren Mitgliedern
gegenüber allerdings klar, dass für diese die
strengeren US-Regeln gelten.
• Im Bereich Befolgung nationaler Gesetze war
zunächst formuliert worden, dass sich Fundraiser
dafür einsetzen, dass ihre Organisation
nicht gegen für sie anwendbare rechtliche
Regelungen jeglicher Art verstoßen. Nach der
Diskussion wurde die Formulierung verschärft.
Nunmehr heißt es: „Fundraiser werden widersprechen, …“
Weitere Fragen, die das Plenum bei der Entwicklung
des International Statement of Ethical Principles in
Fundraising diskutierte, waren:
• Haben die Prinzipien lediglich für einzelne
Fundraiser Gültigkeit oder für FundraisingOrganisationen insgesamt? Bei der Diskussion
dieser Frage wurde deutlich, dass dies in der
Praxis eng miteinander verkoppelt ist und es
daher nicht sinnvoll ist, separate Regeln für
einzelne Fundraiser und für Organisationen,
die Fundraising betreiben, aufzustellen.
• Eine weitere Frage war, ob die Ethikprinzipien
lediglich für den Bereich des Non-ProfitFundraisings Gültigkeit besitzen oder auch für
den besonders in den USA sehr großen Bereich
Ethik
26
des politischen Fundraisings (besonders für
die Wahlkampffinanzierung) Anwendung finden sollten. Dabei wurde deutlich, dass eine
explizite Konzentration auf das Non-ProfitFundraising nicht sinnvoll ist, weil es letztlich darum geht, das öffentliche Vertrauen
in Fundraising zu sichern. Der Branche steht
es nicht gut zu Gesicht, wenn in dem einen
Segment andere Regeln gelten als in dem
anderen. Es kommt hinzu, dass die Übergänge
zwischen diesen beiden Bereichen oft fließend
sind, d.h. handelnde Personen wechseln die
Bereiche oder Berater sind in beiden Bereichen
tätig.
• Ähnliche Argumente spielten auch bei der
Frage eine Rolle, ob die Regeln denn lediglich
für Menschen gelten sollten, die berufsmäßig
mit Fundraising zu tun haben, oder aber auch
für Volunteers, also Freiwillige. Auch hier
wurde klar, dass es weder vertretbar noch
öffentlich kommunizierbar wäre, wenn für
ehrenamtliche Fundraiser andere Regeln gelten würden als für hauptberufliche.
• Schließlich fiel auch die Entscheidung, dass die
Prinzipien auf den Blickwinkel des Fundraisings
fokussiert sein sollen – wenn auch mit der
Wirkung auf die Spender im Visier – und dass
gegebenenfalls zu einem späteren Zeitpunkt
eine gesonderte Charta für Spenderrechte, A
Donor Bill of Rights bzw. A Donors’ Charter,
wie es sie in den USA und Großbritannien
gibt, entwickelt werden soll.
Fundraising-Ethikregeln – Lippen­bekennt­
nisse oder lebendige Alltagspraxis?
Die verschiedenen Stationen der Diskussion,
Rückkoppelung und schließlich die Verabschiedung
des International Statement of Ethical Principles in
Fundraising weisen darauf hin, dass das zentrale
Anliegen von Ethikprinzipien nicht wohl formulierte Regeln sind. Vielmehr ist hier der bekannte
Satz, dass der Weg das Ziel ist, von besonderer
Relevanz. Wenn man Ethikregeln starr als Gesetz
sieht, brauchte man sie lediglich von einem
professionellen Schreiber formulieren zu lassen
und sie mit der Mitteilung zu verabschieden:
„Das sind die Regeln!“ Aber wenn darüber diskutiert wird, was bedeutet dies und das in den
USA und was bedeutet es in der Ukraine und
in Deutschland, dann hat dies eine andere Tiefe
und weiterführende Dimensionen. Insofern hat
der lange Diskussionsprozess der internationalen
Fundraising-Ethikprinzipien und nun auch das
Hineintragen in die einzelnen Länder eine besondere Qualität.
Grundsätzlich zeigte sich im internationalen
Vergleich: Je differenzierter die Formulierungen
in den jeweiligen Ländern, desto ausgeprägter
ist die Relevanz der Regeln für den Alltag von
Fundraisern und desto mehr wird auf diese rekurriert. Der Vergleich der Ethikprinzipien machte
deutlich, dass insbesondere in den USA, Kanada
und Großbritannien, also in Ländern, in denen
das Berufsfeld des Fundraisings auf eine längere
Geschichte als anderswo zurückblicken kann, die
Ethikprinzipien sehr viel präziser ausgeführt sind
und zugleich strikter gehandhabt werden. Die
AFP hat zum einen kurze und prägnante einleitende Prinzipien, aber ähnlich wie beim Institute
of Fundraising folgen ausführliche Erläuterungen
darüber, was mit den einzelnen Punkten gemeint
ist. Bei der AFP werden zudem praktische Beispiele
sowohl für ethisch korrektes als auch für inkorrektes Verhalten gegeben.
Die Mitglieder der AFP müssen Jahr für Jahr bei
der Fortschreibung ihrer Mitgliedschaft unterschreiben, dass sie sich an den „AFP Code of Ethical
Principles and Standards of Professional Practice“
halten. Dieser wurde 1964 in Kraft gesetzt und
hat mittlerweile viele Konkretisierungen erfahren.
Aus einer Umfrage unter den Mitgliedern der AFP
im Jahr 2004 ging hervor, dass als wichtigster
Benefit das Vorhandensein dieser Richtlinien gesehen wird. Als Begründung gaben die Mitglieder
dabei an, dass die Einzelnen in Situationen, in
denen sie Bedenken haben – sei es innerhalb einer
Organisation oder gegenüber einem Spender –
aus dem AFP-Code Orientierung erhalten und
diesen zugleich verwenden können, um andere
über ethische Standards zu informieren. Hilfreich
ist dabei auch die Art und Weise des Umgangs
mit Beschwerden und Verstößen. Dabei gibt es
drei Schienen:
• Konsultation, bevor sich eine problematische
Situation verhärtet,
Für Ihren Brief
geben wir
täglich alles.
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Die Post ist da! 6 Tage die Woche, bei Wind und Wetter. Dafür sorgen
unsere vertrauenswürdigen und hilfsbereiten Mitarbeiter, ein einzigartiges
Logistik-Netzwerk und, an vorderster Stelle, 80.000 freundliche und
zuverlässige Postboten. Wir geben eben alles, damit Ihre Post bei uns
auch in Zukunft immer in besten Händen ist.
Ethik
28
Von links nach rechts:
Obere Reihe: Simon Collings, Großbritannien;
Jane Harris, Großbritannien; Lindsay Boswell,
Großbritannien; Balazs Sator, Ungarn; Aki Temiseva,
Finnland; David Ford, Großbritannien; Beatrice Lentati,
Italien; Marc Wortmann, Niederlande; Andrew Watt,
USA; Gosse Bosma, Niederlande
Mittlere Reihe: Denise Dawes, Großbritannien; Jane
Ryder, Schottland; Norma Galafassi, Argentinien;
Michael Naholi Muchilwa, Kenia; Erik Zachrison,
Schweden; Robert Kawalko, Polen; F.A. Hilenski, USA;
Sue-Anne Wallace, Australien
• formale Anfragen, die schriftlich festgehalten
werden, ohne dass sie zu einer förmlichen
Beschwerde führen,
• Ethikbeschwerden, wenn ein Verhalten eindeutig falsch ist.
Insbesondere die AFP-Präsidentin und ihr Büro
sind für die Umsetzung des AFP Code zuständig. Zudem gibt es ein Ethics Committee, das
die Beschwerden behandelt. Wird das Verhalten
eines AFP-Mitglieds als unethisch beurteilt, so gibt
es eine Reihe von Handlungsformen, die bis zum
Ausschluss aus dem Verband reicht. Oberstes
Ziel ist allerdings nicht die Bestrafung, sondern
der Prozess der Bewusstseinsbildung in ethischen
Fragen und das miteinander Lernen. Jedes lokale
und regionale AFP-Büro muss zumindest einmal
jährlich eine Art Aufklärungsveranstaltung zur
Ethik-Thematik durchführen.
Am häufigsten machen die Fundraiser und
Organisationen in den USA von der Konsultation
in Ethikfragen Gebrauch. Die AFP erhält etwa
100 Nachfragen pro Monat, meist in Form von
Anrufen. 80 dieser Fragen können in der Regel
sofort beantwortet werden, während die AFP die
weiteren 20 Prozent meist innerhalb weniger Tage
klärt. Lediglich in seltenen Fällen ist es notwendig,
das Ethics Committee zu konsultieren. Die häufigste Anfrage betrifft den Bereich der Bezahlung von
Untere Reihe: Ricard Valls, Spanien; Marita Haibach,
Deutschland; Barbara Crole-Rees, Schweiz; Svitana
Kuts, Ukraine; Paulette Maehara, USA
Fundraisern auf Prozentbasis. Etwa ein Viertel der
Anrufe kommt von Vorstandsmitgliedern gemeinnütziger Einrichtungen, die wissen wollen, warum
sich ein Fundraiser gegen eine solche Regelung
sperrt. Meist reagieren die Anrufer sehr positiv, wenn sie die Hintergründe, die gegen die
Honorierung auf Prozentbasis sprechen, erfahren.
Oder aber ein AFP-Mitglied ruft an und berichtet
darüber, dass sein Arbeitgeber entsprechende
Neuregelungen bei der Bezahlung einführen will.
Die AFP-Generalverwaltung stellt daraufhin ein
Infopaket zusammen, das das Mitglied seinem
Arbeitgeber aushändigen kann. Auch das Beispiel
der folgenden formalen Ethikanfrage belegt die
Wirkung der Praxis: Ein Vorstandsmitglied einer
gemeinnützigen Organisation legt dem Leiter des
Fundraisings einen Entwurf für eine Broschüre über
eine neue Fundraising-Gelegenheit vor, die dieser
als einen Verstoß gegen eine der Ethikregeln wertet. Das AFP-Ethikkomitee, dem die Information
vorgelegt wurde, sieht dies auch so und bietet an,
Änderungsvorschläge für die Broschüre zu entwickeln, damit diese den Richtlinien entspricht.
Die Tatsache, dass die Ethikregeln im FundraisingAlltag in den USA offenkundig eine weitaus größere Rolle spielen als hierzulande, hat nichts da­mit zu tun, dass Fundraiser und Fundraiserinnen
in den USA von sich aus ein größeres Ethik-
Ethik
29
Bewusstsein haben. Vielmehr haben die Größe
des Berufsfelds und der Umfang der Mittel, die
eingeworben werden, dazu geführt, dass auch
staatliche Stellen mitreden und einem Wildwuchs
vorbeugen wollen. Regeln, die von der Branche
selbst aufgestellt und kontrolliert werden, sind
nicht nur eine Form der Selbstregulierung, sondern
sie leisten zugleich einen wesentlichen Beitrag
zur Wahrung und Stärkung des öffentlichen
An­sehens des Fundraisings. Im Übrigen zeichnen
sich in Großbritannien, was den Bereich der
staatlichen Regulierung und zugleich die ausgeprägtere Selbstregulierung angeht, bereits ähnliche Entwicklungen ab wie in den USA.
fasst, bilden die internationalen Fundraising-Ethik­
regeln einen wichtigen Orientierungsrahmen.
Doch auch in Regionen und Staaten, in denen
die Profession mittlerweile den Kinderschuhen
entwachsen ist, wie dies beispielsweise in den
deutschsprachigen Ländern der Fall ist, gilt es
der wachsenden Bedeutung des Fundraisings
Rechnung zu tragen statt nur bei Fällen, in denen
Skandale oder Verstöße öffentlich werden, kritische
Worte zu äußern und auf das Vorhandensein von
Verhaltensregeln zu verweisen. Vielmehr geht es
um die Entwicklung einer lebendigen Kultur der
Auseinandersetzung mit Zweifeln, Nachfragen
und Fehlverhalten. Das International Statement of
Ethical Principles in Fundraising bietet einen guten
Ausblick
Anlass, das Thema Ethik im Fundraising erneut
Das Fundraising ist als Beruf und Berufsfeld nicht nur in die Diskussion der Fundraising-Verbände und
in Europa, sondern weltweit auf Wachstumskurs. der Spenden sammelnden Organisationen zu
In Ländern, in denen die Profession erst neu Fuß­ bringen.
Die Autorin
D r . M A r i t a Ha i bac h
Dr. Marita Haibach ist seit 1991 als unabhängige Beraterin für
Fundraising- und Non-Profit-Management tätig. Der Schwerpunkt ihrer
Beratungstätigkeit liegt auf dem Bereich Hochschule und Wissenschaft.
Von 1998 bis 2007 arbeitete sie mit dem in London ansässigen internationalen Fundraising-Beratungsunternehmen Brakeley Ltd. zusammen (zuletzt als Gesellschafterin und Managing Director) und leitete in diesem Kontext zahlreiche Kundenprojekte in Deutschland,
Österreich und der Schweiz. Die frühere hessische Landtagsabgeordnete
und Staatssekretärin für Frauenangelegenheiten war von 1996 bis
2002 als stellvertretende Vorsitzende maßgeblich am Aufbau des
Deutschen Fundraising Verbands beteiligt. Sie ist Vorsitzende der
Prüfungskommission der Fundraising Akademie und Präsidentin der
European Fundraising Association (EFA). Dr. Marita Haibach ist Autorin
von mehreren Büchern: Fundraising: Spenden, Sponsoring, Stiftungen
(Campus Verlag, 1996), Frauenbewegung in der Philanthropie: Frauen
verändern die Stiftungswelt in den USA (Maecenata 1997), Handbuch
Fundraising (Campus 1998/2002/2006), Frauen erben anders: Mutig
mit Vermögen umgehen (Ulrike Helmer Verlag 2001). Im Frühjahr 2008
erscheint ihr neues Buch, Hochschul-Fundraising – Ein Handbuch für die
Praxis, im Campus Verlag.
E-Mail: [email protected]
Ethik
He i l i g t der gu t e Z wec k
alle M i t t el ?
von Ingrid Alken
Wir haben es alle gelesen: Ende November vergangenen Jahres – zur Spendensaison – wurde
Unicef Verschwendung von Spendengeldern vorgeworfen. Die Kritik an der Transparenz der Mittel­
verwendung stellte für manchen der Spendenden
einen Vertrauensverlust dar. Ob sich das auch
auf andere Organisationen auswirkte, werden die
Statistiken zeigen.
Affären wie diese hat es immer wieder gegeben
und sie führen stets zu einer verstärkten Diskussion
ethischer Fragen sowohl bei NGOs als auch bei
Spenderinnen und Spendern.
Was bedeutet Ethik im Fundraising?
Es gibt unterschiedliche Gesetze (Abgaben­ord­
nung, Datenschutzgesetz, Gemeinnützigkeitsrecht,
Vereins- und Stiftungsrecht, UWG etc.), denen
das Handeln der Fundraiser unterliegt. Sie geben
Antwort auf die Frage: Was darf (muss) ich tun
und was nicht? Gesetze sind Vorschriften, Verstöße
werden dementsprechend geahndet. Brauchen wir
darüber hinaus besondere ethische Regelungen?
Ja, denn ethisch/moralische Fragen werden nicht
in Gesetzen geregelt. Was ist gutes oder schlechtes
Handeln? Was kann ich tun, damit Leben gelingt?
Das sind Fragen, die Menschen bewegen und das
sind auch Fragen, die unser Handeln im Fundraising
beeinflussen. Wenn wir uns im Fundraising mit
ethischen Fragen beschäftigen, so verstehen wir
darunter die Lehre vom sittlichen oder moralischen
Verhalten der Menschen.
Der Wettbewerb auf dem Spendenmarkt nimmt
zu, dennoch wird ständiges Wachstum erwartet.
Das kann eine Vernachlässigung von moralischen
Ansprüchen an die eigene Arbeit zur Folge
haben. Eine Organisation ist nicht verpflichtet,
die Herkunft von Spendengeldern zu überprüfen,
selbst wenn sie ahnt, dass sie aus einer moralisch
bedenklichen Quelle stammen. Ist es moralisch vertretbar für eine Kinderhilfsorganisation, von einer
Edelprostituierten mehrere Tageseinnahmen in
beträchtlicher Höhe anlässlich einer Spendengala
anzunehmen?
Nehmen wir als Fundraiser also Geld von jedem,
wenn es der guten Sache dient? Heiligt der „gute
Zweck“ jedes Mittel?
Wir haben ethische Fragen an unsere Arbeit und
eine dreifache Verantwortung nach außen:
• gegenüber den Menschen, die uns unterstützen
und uns Vertrauen schenken,
• gegenüber denen, die unsere Hilfe erfahren und
• gegenüber der Öffentlichkeit.
Die Kampagne „Wir lassen uns nicht behindern“ der Schweizer
Organisation Pro Infirmis hat wegen der deutlichen Darstellung von
Behinderungen für Diskussionen gesorgt.
Fotos Kampagne: Hannes Schmid für Pro Infirmis
30
Ethik
31
Aber wir haben auch eine Verantwortung gegenüber der eigenen Organisation, die uns bezahlt
und für die wir die Mittelbeschaffung verantworten.
Daraus ergibt sich indirekt auch eine Verantwortung
für die Mitarbeitenden. Als Vorgesetzte und als
Auftraggeber sind wir ethisch verantwortlich für die
Bedingungen, unter denen Menschen arbeiten.
Gesetzeskonformes Verhalten reicht also nicht
aus. Es geht darum, dass Fundraiserinnen und
Fundraiser aus Überzeugung ethisch einwandfrei
handeln. Dafür müssen Orientierungshilfen entwickelt und Begründungen geliefert werden. Diese
Aufgabe hat der neue Ausschuss „Standards für eine
gute, ethische Fundraising-Praxis“ des Deutschen
Fundraising Verbandes (DFRV) übernommen.
Entwicklung
Das Thema ist nicht neu. Im Januar 2001 wurden auf der Mitgliederversammlung der Bundesarbeitsgemeinschaft Sozialmarketing (BSM) zehn
Grundregeln für die Arbeit von Fundraiserinnen
und Fundraisern sowie eine Schiedsordnung
be­schlossen. Sie stellen Mindestanforderungen dar,
die niemand in Frage stellt. Die unterschiedlichen
Arbeitsfelder und ökonomischen Interessen der
Mitglieder verhinderten allerdings, dass – der
Empfehlung des damaligen Ethikausschusses entsprechend – ein weiter gehender Verhaltenskodex
entwickelt wurde.
Andere Länder, andere Sitten?
Im Oktober 2006 verabschiedeten Vertreter
aus 24 Ländern bei einem Summit am Rande
des Internationalen Fundraising-Kongresses in
Noordwijkerhout das International Statement of
Ethical Principles. Es zeigte: Fundraiser aus verschiedenen Bereichen, Arbeitsfeldern und Ländern
teilen doch grundlegende Werte und sehen
Grenzen für ihre Vorgehensweisen.
Die fünf universalen Prinzipien Ehrlichkeit, Respekt/
Würde, Integrität, Empathie und Transparenz fordern Fundraiser und Fundraiserinnen dazu auf,
nicht nur die Prinzipien zu achten, sondern selbst
aktiv zu handeln.
Zweck der Internationalen Erklärung ist das Wach­
sen einer weltweiten Gemeinschaft im Fundraising
und die Einigung auf fundamentale Prinzipien.
Sie sind als Signale zu verstehen, national die
weitestgehenden Standards anzuwenden und die
engsten Grenzen einzuhalten. Dabei gibt es durchaus Unterschiede: In Amerika sind beispielsweise
Provisionen in einem prozentualen Verhältnis zu
den eingeworbenen Mitteln verpönt. In vielen
anderen Ländern – auch bei uns – sind sie durchaus üblich.
Der DFRV hat diese Standards im Frühjahr 2007
ratifiziert. Sie dienen als Arbeitsgrundlage für den
neuen Ethik-Ausschuss. Die länderübergreifenden
Grundsätze können nicht in allen Bereichen als
ausreichend angesehen werden. Die Frage der
Vergütung über Prozentanteile von eingeworbenen
Mitteln ist nicht nur international strittig. Sie ist auch
ein viel diskutiertes Thema im neuen Ausschuss
„Standards für eine gute, ethische FundraisingPraxis“.
Ausschuss „Standards für eine gute,
ethische Fundraising-Praxis“
Spender und Spenderinnen werden selbstbewusster, ihr Verhalten und ihre Motive verändern sich.
Ihre Unterstützung basiert auf Vertrauen. Wollen
wir erfolgreich sein, gilt es, dieses Vertrauen zu
erwerben und zu erhalten. Das setzt Transparenz
und Ehrlichkeit in unserem Handeln voraus. Die
Grundregeln der BSM sind ein wichtiges Gerüst,
aber nicht mehr ausreichend. Wir brauchen Normen
für die verschiedenen Formen und Methoden
des Fundraisings, die ethische
Fragestellungen einschließen.
Der Vorstand des DFRV
hat darum im Frühjahr
2007 den Ausschuss
„Standards für eine
gute, ethische Fund­
raising-Praxis“
ins Leben
gerufen.
Ethik
32
v.l.n.r: Gerhard Wallmeyer, Ingrid Alken, Ricarda Raths, Brigitte Pias-Holzhauer, Paul Dalby, Kai Fischer, Dr. Christoph Müllerleile
Nicht mit auf dem Bild sind die Mitglieder Almuth Wenta und Dr. Jens-Uwe Böttcher.
Die Mitglieder des Ausschusses, die der Vorstand
berufen hat, vertreten die unterschiedlichen Mit­
glie­der­gruppen, Arbeitsbereiche und Interessen.
Es handelt sich um Fundraising-Experten mit einer
besonderen Affinität zum Thema Ethik. Um den
Ausschuss arbeitsfähig zu halten, wurde die Zahl
der Mitglieder auf acht (plus die Vertreterin des
Vorstandes) begrenzt.
Aufgaben
Der Ausschuss hat es sich zur Aufgabe gemacht,
Standards für eine gute, ethische FundraisingPraxis für alle Mitglieder des DFRV zu entwickeln. Als Arbeitsgrundlage dienen die vom
Verband ratifizierte „Internationale Erklärung zu
ethischen Prinzipien im Fundraising“ sowie die
britischen und amerikanischen Standards. Die
Zusammenarbeit mit dem DZI und dem Deutschen
Spendenrat ist für den Ausschuss besonders hilfreich. Es geht darum, auf Basis verbindlicher
Standards mit Erläuterungen und Beispielen eine
Orientierungshilfe zu ethischem Handeln zu entwickeln. Sie soll alle Mitgliedergruppen in ihren
unterschiedlichen Arbeitsfeldern und ökonomischen
Interessen (Agenturen, Dienstleister, Fundraiserinnen
und Fundraiser in Organisationen) gleichermaßen
berücksichtigen.
Es gibt Fragen, die sich aus genau diesen unter­
schiedlichen Interessen und Arbeitsfeldern er­ge­ben. Da sind z.B. die umsatzabhängigen Pro­
visionszahlungen, die auch bei uns in Deutschland
gezahlt werden. Es gibt gute Gründe, die dafür
sprechen und ethische Bedenken dagegen. Ein
weiteres Beispiel: Für Erbschaftsfundraising haben
Kirchen und kirchliche Einrichtungen eine besondere Sensibilität. Sie warnen davor, Seelsorge und
Fundraising zu vermischen.
Andere Fragen betreffen die Mitgliedergruppen
gleichermaßen, was unterschiedliche Sichtweisen
nicht ausschließt.
Drei Beispiele:
• Die Tatsache, dass ein Testament bis zuletzt
geändert werden kann, birgt die Gefahr, dass
Menschen in der letzten Lebensphase bedrängt
werden und damit die Freiwilligkeit der Gabe in
Frage steht.
• Die übertrieben bildhafte Darstellung von Hilfs­
möglichkeiten bzw. bedürftigen Opfern missachtet deren Würde.
Ethik
33
• Wie wichtig Transparenz und sparsame Mittel­
verwendung sind, hat die Unicef-Affäre gezeigt.
Trotz der unterschiedlichen Interessen und
Arbeitsfelder strebt der Ausschuss „Standards
für eine gute, ethische Fundraising-Praxis“ den
Konsens aller Mitglieder an. Dabei ist deutlich,
dass ethische Gesichtspunkte schwer festzulegen
und noch schwerer zu überprüfen sind. Darum
sollen die inzwischen erarbeiteten Grundregeln und
ein Beispielkatalog allen Mitgliedern verständlich
machen, was „gute, ethische Fundraising-Praxis“
ist und was nicht, so dass sie aus Überzeugung
entsprechend handeln.
Ziele
Fundraising basiert auf Vertrauen. Das betrifft
sowohl das Vertrauen von (potenziellen) Spende­
rinnen und Spendern zu NGOs als auch das öffentliche Vertrauen der Gesellschaft. Dieses Ver­trauen
und die gesellschaftliche Anerkennung des Dritten
Sektors wachsen zu lassen, ist ein wesentliches Ziel
des neuen Ausschusses. Organisationen, die über
das Spenden-Siegel des DZI verfügen, weisen sich
durch geprüfte Transparenz als vertrauenswürdig
aus. Für manche Organisationen oder Kirchen
kommt das Spenden-Siegel aus unterschiedlichen
Gründen nicht in Frage. Fundraiser, die Mitglied
im Deutschen Fundraising Verband sind und sich
dessen ethischen Grundregeln verpflichtet haben,
bieten dem Spender/der Spenderin die Gewähr
für Qualität und ethisch einwandfreies Handeln im
Fundraising.
Der Ausschuss wird bei der Mitgliederversammlung
im April 2008 über seine Arbeit berichten und die
Ergebnisse als Beschlussvorlage präsentieren.
Der DFRV möchte seine Mitglieder durch
Überzeugung dazu motivieren, den neu entwickelten Standards entsprechend zu handeln.
Was aber geschieht bei Verstößen? Wer meldet
diese und wie geht der Verband damit um?
Was geschieht, wenn eine Organisation von
ihrem Fundraiser Handlungen erwartet, die sich
nicht mit den Standards decken, denen dieser
sich – als Mitglied des DFRV – verpflichtet fühlt?
Wie kann der Verband helfen, wenn juristische
Fragen auftauchen oder gar ein Rechtsbeistand
nötig ist? Inwieweit muss die 2001 verabschiedete Schiedsordnung überarbeitet und ergänzt
werden?
Diese und weitere Fragen werden den Ausschuss
„Standards für eine gute, ethische FundraisingPraxis“ weiter beschäftigen.
Die Autorin
I N gr i d A l k en
Ingrid Alken ist Betriebswirtin, Fundraising Managerin FA und Qua­
litäts­beauftragte für Fundraising. Seit 2002 arbeitet sie im Fund­
raisingteam der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers. Sie ist
Projektleiterin für Database-Fundraising. Ein weiterer Schwerpunkt ihrer
Arbeit liegt in der Aus-, Fort- und Weiterbildung im Fundraising. Sie hat
ein Fortbildungskonzept „Basiskurse für Ehrenamtliche“ entwickelt und
durchgeführt. Als Vorstandsmitglied des Deutschen Fundraising Verbandes
gründete Ingrid Alken den neuen Ausschuss „Standards für eine gute,
ethische Fundraising-Praxis“, den IT-Ausschuss und Ausschuss für Rechtsund Steuerfragen. Sie ist zuständig für die Regional- und Fachgruppen
des Verbandes, Ansprechpartnerin für das Fundraiserinnen-Netzwerk
und Mitglied der Fachgruppe Kirche, Diakonie, Caritas und Mission.
E-Mail: [email protected]
Ethik
34
Provi si onen – der F luch
im Fundraising
von Kai Fischer
Es gibt wohl kaum eine Fundraiserin oder einen
Fund­raiser, der bzw. die noch nicht mit dem
Ansinnen konfrontiert wurde, auf Basis gezahlter
Provisionen zu arbeiten. Für viele Organisationen
sind Provisionen scheinbar attraktiv – benötigt
man doch kein eigenes Geld, um mit Fundraising
beginnen zu können.
Warum also nicht auf Provisionsbasis arbeiten?
Um es klar zu sagen: Die Arbeit auf Provisionsbasis
ist für Non-Profit-Organisationen nicht zu empfehlen. Umsatzabhängige Provisionen im Fundraising
verursachen gerade auf Seiten der Organisationen
Folgeschäden, die diese sich nicht wünschen. Eine
ausgeprägte Provisionspraxis würde sich zu einem
wahren Fluch für das Fundraising insgesamt entwickeln. Dies soll dieser Artikel anhand der Folgen
in der praktischen Arbeit zeigen.
Unter Provisionen werden im Folgenden alle
line­aren Vergütungen verstanden. Dies betrifft
die prozentualen Anteile von eingeworbenen
Geldern und die Honorierung pro eingeworbener Mitgliedschaft oder Einzugsermächtigung.
Provisionen sind immer umsatzabhängig. Je mehr
eingeworben wird, desto höher ist die Bezahlung.
Ausdrücklich sei an dieser Stelle erwähnt:
Gratifikationen oder andere Formen erfolgsab-
hängiger Gehaltsanteile z.B. in Form von Boni,
die nach Erreichen eines zuvor definierten Ziels
gezahlt werden, sind keine Provisionen. Die folgenden Aussagen beziehen sich auch nicht auf
Sponsoring oder die Akquisition von Anzeigen
für die Vereinszeitschrift. Dies sind gewerbliche
Tätigkeiten, bei denen es sich um einen wechselseitigen Leistungsaustausch zwischen zwei
Partnern handelt.
Hauptargumente für Provisionen
Die Fürsprecher für Provisionen nennen als Haupt­
gründe in der Regel:
• Minderung des Investitionsrisikos
• Motivation von internen oder externen Mit­
arbeitern
Provisionen sollen Risiken vermindern und die An­­schub­finanzierung von Maßnahmen vermeiden.
Zahle ich nach dem tatsächlichen Erfolg einen
Teil der eingeworbenen Gelder, muss ich weder
die Investitionen tätigen – die übernimmt der
Auftragnehmer – noch habe ich ein In­vestitions­
risiko. Dies übernimmt ebenfalls der Auftrag­
nehmer, der nur dann Anspruch auf seinen Anteil
hat, wenn er einen entsprechenden Erfolg vorweisen kann.
Ethik
35
Zusätzlich wird immer wieder darauf hingewiesen, dass durch die Zahlung von Provisionen
Mitarbeiter und Auftragnehmer zu besseren
Leistungen motiviert werden sollen, da sie unmittelbar ihre Entlohnung beeinflussen können: Wer
erfolgreich ist, bekommt mehr, wer „versagt“
bekommt weniger oder im Extremfall auch nichts.
Zunächst einmal ist gegen diese drei Punkte wenig
zu sagen. Scheinbar sind sie gerade für NonProfit-Organisationen geradezu vorteilhaft. Wo
soll also der Fluch liegen?
Geld als Anreiz zur Leistung
Um die Probleme zu verstehen, die durch Provi­
sionsvergütung im Fundraising entstehen, müssen
wir die Folgen in der Praxis bedenken. Fangen
wir mit der Frage nach der Motivation durch
Provisionen an:
Eine Provisionszahlung soll zu mehr Leistung
motivieren. Natürlich ist Geld wichtig. Die Höhe
unseres Gehalts ermöglicht uns nicht nur einen
gewissen Lebensstandard, sie zeigt auch die
Wertschätzung und ermöglicht einen Vergleich
zu Kolleginnen und Kollegen. Für Geld zu arbeiten und für seine Arbeit leistungsgerecht entlohnt zu werden, ist auch für Fundraiser und
Fundraiserinnen selbstverständlich.
Ist Geld – speziell die Aussicht auf scheinbar hohe
Provisionen – jedoch der entscheidende Anreiz
für Leistung? Natürlich gibt es Menschen, die aus
unterschiedlichsten Gründen vor allem für möglichst
viel Geld arbeiten. Aber gerade im Dritten Sektor
wissen wir doch, dass neben Geld eine Reihe
weiterer Aspekte für eine hohe Leistungsmotivation
sorgt. Der Sinn in der Arbeit, die Zusammenarbeit
mit Kolleginnen und Kollegen und die Möglichkeit,
etwas mitgestalten zu können, sind für fast alle
Menschen – egal in welchem Sektor sie arbeiten
– ein stärkerer Anreiz als Geld.
Unterstellen wir Geld als den entscheidenden
Anreiz für Leistung, dann reagieren vor allem
die Menschen auf die Stellenangebote, für die
Bezahlung tatsächlich auch ein starker Anreiz
ist. Dies hat für die Organisation vor allem drei
Folgen:
• Innerhalb der Organisationen entstehen kulturelle Brüche und die „Neuen“ sind weniger
an der Mission und der Vision als am Umsatz
interessiert. Wenn Fundraising jedoch vor allen
Dingen Beziehungsarbeit ist und Unterstützer
geworben und gebunden werden müssen,
die langfristig die Anliegen der jeweiligen
Organisation mittragen und auch mitfinanzieren, kann ein kurzfristiger Fokus auf Umsatz
kontraproduktiv sein.
• Hinzu kommt, dass Menschen, denen nur
begrenzt etwas am Anliegen der Organisation
liegt, dieses auch nur schwer an potenzielle
Unterstützer vermitteln können.
• Auch eine hohe Fluktuation kann hierin begründet liegen, denn jeder, der ein höheres Gehalt
bietet, wird diese Mitarbeiter/innen abwerben
können. Fluktuation ist, wie viele betriebswirtschaftliche Untersuchungen zeigen, ausgesprochen teuer und kann schnell zu Problemen mit
der Qualität der Arbeit im Fundraising führen.
Ist Geld im Fokus als An­reiz für Leistung, stellen sich schnell Fragen hinsichtlich der Qualität
der Arbeitsaufgaben bzw. Arbeitsplätze. Men­
schen, die unter diesen Be­dingun­gen arbeiten
– auch wenn sie dies freiwillig tun – werden auf
ihre eine reine Funktionalität hin reduziert und
ihrer Komplexität und vielfältigen Möglichkeiten
beraubt. In der Arbeitswissenschaft gelten diese
Arbeitsbedingungen zu Recht als erhebliche
Belastungen, die über einen längeren Zeitraum
zu psycho-sozialen Beanspruchungen mit entsprechenden Folgen führen können. Oder anders ausgedrückt: Menschen, die auf Provision arbeiten,
stehen unter Erfolgsdruck. Sie verlieren den Lohn
ihrer Arbeit, wenn irgendetwas „schief“ geht. Wer
unter Erfolgsdruck steht, hat nicht die Geduld, eine
Reifezeit abzuwarten. Gerade dies ist in den meisten Formen des Fundraisings aber entscheidend:
Beziehungen reifen zu lassen.
Übernahme von Risiken und Investitionen
Spielen wir aber einmal im Detail durch, was
passiert, wenn sich jemand auf ein rein auf
Provision basierendes Arbeitsverhältnis einlässt.
Was passiert, wenn Dienstleister von Non-ProfitOrganisationen Risiken und Vorfinanzierung übernehmen? Ähnlich wie Non-Profit-Organisationen,
die sich von Provisionen einen ökonomischen
Vorteil versprechen, müssen Dienstleister, wenn
Ethik
36
sie auf Provisionen eingehen, auch ökonomisch
denken. Warum sollte sich eine Agentur oder ein
Fundraiser auf eine Provisionsregelung einlassen?
In der Praxis lassen sich zwei Motive identifizieren:
• Der Dienstleister als Auftragnehmer verspricht
sich von dem Auftrag einen höheren Gewinn,
der einfach zu realisieren sein wird.
• Der Dienstleister sieht sich gezwungen, auf
dieses Angebot einzugehen, um den Auftrag zu
erhalten.
Beide Motive haben für die Ausgestaltung der
Beziehung zwischen Organisation und Dienstleister
sowie zur Erfüllung der Aufgabe gravierende
Auswirkungen.
Starker Partner übernimmt den Auftrag
Die Übernahme eines Risikos ist für einen starken
Dienstleister nur dann sinnvoll, wenn a) das wirtschaftliche Risiko überschaubar ist und b) das Risiko
einen höheren Gewinn erwarten lässt, der das Risiko
vergütet bzw. die Finanzierung möglicher Ausfälle
kompensiert.
Der starke Partner wird sich nicht auf hohe Risiken
einlassen. Verschiedene Themen und Anliegen der
Non-Profit-Organisationen lassen sich im Markt
unterschiedlich gut platzieren und emotional aufladen. Die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs ist von
Trends und aktuellen Entwicklungen mit abhängig.
Alle Organisationen, die folglich mit ihrem Anliegen
und ihren Themen nicht im Trend liegen, werden
es schwer haben, Dienstleister zu finden, die bereit
sind, das wirtschaftliche Risiko auf sich zu nehmen.
Wenn der Dienstleister den Auftrag übernimmt, wird
er sich vorbehalten, seine „bewährten“ Methoden
anzuwenden. Dies fängt bei der Gestaltung an und
geht bis hin zu den Prozessabläufen.
Folge: Eine rein auf Provisionen ausgerichtete
Fundraisinglandschaft wird zu einem MainstreamFundraising mit immer ähnlicher werdenden
Mailings, Angeboten, Bildern und „Reizverstärkern“
führen. Gerade diese Flut von stark an der Werbung
ausgerichteten Mailings und Telefonaktionen führt
aber bei möglichen Spendern früher oder später zur gegenteiligen Reaktion: Verweigerung. Ein
Provisionspartner wird darauf mit höherem Druck
reagieren. Was wird dann passieren?
Die Folgen sind schwerwiegend. Denn sie schwächen das Ansehen der Organisation nachhaltig. Der Erfolg im Fundraising – und damit
das Risiko des Scheiterns – ist nicht nur von
den Rahmenbedingungen abhängig, sondern vor
allem auch von der Art der Kommunikation. In
der Regel haben vorfinanzierende Dienstleister
genaue Vorstellungen, wie das Anliegen der jeweiligen Organisation in der Öffentlichkeit präsentiert
und wie um Spenden geworben werden sollte.
Damit stellt sich allerdings die Frage: Welche
Vorstellungen stimmen mit der der Organisation
überein? Ist dies nicht der Fall, stellt sich die
Frage: Wer entscheidet am Ende? Dienstleister
oder Organisation? Im Zweifelsfall wird dies
immer derjenige sein, der das ökonomische Risiko
trägt. So kann es passieren, dass Organisationen
nicht mehr über ihren Marktauftritt entscheiden
können. In der Regel wird diese „Fremdsteuerung“
vertraglich festgeschrieben, denn nur so kann der
Dienstleister sein Risiko wirklich einschätzen.
Provisionen sind teuer
Auch auf der Seite der Kosten kann der Weg der
Provision das Gegenteil bewirken. Bei jeglicher
Übernahme von Risiken müssen in die Provision
Risikozuschläge kalkuliert werden. Ähnlich wie bei
Versicherungen müssen die Beteiligten damit rechnen, dass der Risikofall eintritt und die erwartete
Provision trotz geleisteter Arbeit ausbleibt. In der zu
kalkulierenden Prämie wird die Wahrscheinlichkeit
Ethik
37
eines Ausfalls mit den dann entstehenden Kosten
multipliziert. Dieser Betrag muss bei kaufmännischer Betrachtung den eigentlichen Kosten des
Fundraisings hinzugerechnet werden. Je nach
Ausfallwahrscheinlichkeit und je nach Umfang der
geleisteten Arbeit, die für den Erfolg notwendig ist,
ergeben sich unterschiedliche Prämien. Während
Organisationen mit relativ gut zu positionierenden
Themen geringere Prämien zahlen, zahlen andere
Organisationen mehr. Es besteht natürlich auch
die Möglichkeit der Mischkalkulation.
Auch die Vorfinanzierung der eigenen Arbeit
muss der Dienstleister kalkulieren. Je länger es
dauert, bis der Erfolg sich einstellt, desto mehr
Geld muss man vorstrecken oder vorfinanzieren.
Entsprechend höher sind die zu kalkulierenden
Zinsen, die berücksichtigt werden müssen. Im
Vergleich zu anderen Vergütungsmodellen,
wie z.B. einer vertraglich vereinbarten fixen
Honorarzahlung, werden beim Fundraising auf
Provisionsbasis zusätzliche Kosten in Rechnung
gestellt. Alles in allem wird ein – wie auch
immer geartetes – Provisionsmodell für Non-ProfitOrganisationen am Ende teurer.
Um diesen höheren Preis aufzufangen, stehen den
Dienstleistern zwei Möglichkeiten zur Verfügung:
• Sie konzentrieren sich auf wenige lukrative
Aufträge.
• Sie setzen auf Methoden, die einen schnellen
Rückfluss der eingesetzten Mittel versprechen.
Während bei der ersten Strategie viele
Organisationen als potenzielle Auftraggeber ausscheiden, kann die zweite Strategie mit erheblichen Problemen behaftet sein. Es ist unbestritten,
dass Fundraising sein volles Potenzial erst über
einen Zeitraum von etwa drei Jahren entfalten
kann. So lange dauert es in der Regel, bis hinreichend viele Förderer gewonnen und gebunden werden können, die einen nachhaltigen
Beitrag zur Finanzierung der Anliegen leisten.
Bei Vergütungen auf Basis von Provisionen stehen
Dienstleister immer vor der systemimmanenten
Versuchung, diesen Weg abzukürzen. Durch die
Nutzung wirksamer Methoden und den Aufbau
spezifischer Vertriebsszenarien können sie auch
kurzfristig Erfolge realisieren. Diese sind allerdings
häufig nicht nachhaltig. Förderer und Unterstützer
können sich schnell übervorteilt fühlen. Eine lang-
fristige Beziehung kommt so nicht zustande. Im
Gegenteil: Es wird wahrscheinlich sogar passieren, dass die Förderer- und Unterstützerbasis
quasi verbrennt und das Image der Organisation
langfristig darunter leidet.
Für den Dienstleister ist diese Situation nicht
bedrohlich. Der Maßstab für die Honorierung
bei Provisionen ist die Höhe der eingeworbenen
Mittel, nicht die Ausschöpfung des langfristigen
Potenzials einer Organisation. Ist die Unterstützerbasis verbrannt, hat der Dienstleister keine weiteren Provisionserlöse mehr zu erwarten und stellt
die Arbeit ein. Er kann sich neue Kunden suchen,
für die er arbeiten kann. Die Organisation bleibt
mit den Problemen allein zurück und muss sich
eine neue Unterstützerbasis aufbauen, was zeitund kostenintensiv ist.
Schwacher Partner übernimmt den Auftrag
Nicht sehr viel besser sieht es für die Organisationen
aus, wenn Dienstleister auf Provisionsbasis arbeiten, weil diese sonst keine Möglichkeit haben,
einen Auftrag zu bekommen. Diese Situation
ist häufig bei Anfängern gegeben. Sie haben
dann noch wenig praktische Erfahrungen und
Referenzen aufzuweisen. Der unmittelbare ökonomische Druck ist dann so groß, dass die
Auftraggeber die Macht haben, das betriebswirtschaftliche Risiko auf den Dienstleister zu verlagern. Statt kalkulatorische Prämien und Zinsen zu
zahlen, wittern sie die Chance, diese Kosten auch
dem Dienstleister zu übertragen. Damit besteht
für die Non-Profit-Organisation die vermeintliche
Möglichkeit, zumindest nicht mehr als bei anderen
Vergütungsmodellen zu zahlen.
Was sind die möglichen Folgen? Menschen mit
geringen praktischen Erfahrungen zu beschäftigen,
birgt immer das Problem, dass der Auftragnehmer
Ethik
38
nicht die Kompetenzen und Kenntnisse mitbringt,
die für die erfolgreiche Bewältigung der Aufgabe
notwendig sind. In so einem Fall verbleiben die
Lernkosten beim Auftragnehmer. Die Organisation
muss eventuell zusätzlich anfallende Arbeiten nicht
bezahlen.
Dies ist aus Sicht der Organisation vielleicht
positiv. Nur machen sich die Organisationen
häufig keine Gedanken darüber, in welche
Gefahr sie sich begeben. Was passiert, wenn
der Anfänger an der Aufgabe scheitert und
keinen Ertrag bringt? In diesem Fall fällt zwar
keine Zahlung an – der Dienstleister hat umsonst
gearbeitet – die Organisation hat aber auch
keine Einnahmen und kann damit nicht, wie
beabsichtigt, die Projekte und Programme finanzieren. Bei Provisionszahlung kann die NonProfit-Organisation gegenüber dem Dienstleister
keinen Leistungsanspruch geltend machen. Und
damit ist nicht alleine der Punkt gemeint, ob Geld
hereinkommt. Schlichtweg ist damit auch der Punkt
gemeint, ob der Auftragnehmer überhaupt arbeitet.
Da dieser erst dann entlohnt wird, wenn er einen
Ertrag erwirtschaftet, schuldet er der Non-ProfitOrganisation keine Arbeitsleistung. Dies scheint
unbedeutend zu sein. Wenn Sie sich jedoch überlegen, dass die Non-Profit-Organisation über eine
definierte Zeitspanne an einen Dienstleister vertraglich gebunden ist und in dieser Zeit weder den
Vertrag kündigen kann noch einen Anspruch auf
Leistung hat, kann bei einem unglücklichen Verlauf
das Vorankommen der Non-Profit-Organisation
erheblich beeinträchtigt werden.
In der Praxis stellt sich dieses Problem häufig so
dar: Da der Dienstleister zur Sicherstellung seiner eigenen Existenz immer darauf angewiesen
ist, schnell Umsatzerlöse zu realisieren, werden
die Projekte bevorzugt bearbeitet, die dies am
schnellsten und leichtesten versprechen. Gehört
trotz anfänglicher Erwartung das Provisionsprojekt
nicht dazu, wird sich der Auftragnehmer einem
anderen Projekt zuwenden, welches eher einen
Erfolg verspricht. Das Projekt wird in so einem
Fall im Moment nicht weiter bearbeitet oder von
Praktikanten betreut, die an der Organisation
erste Lernerfahrungen machen. In beiden Fällen
Ethik
39
wird der Auftraggeber nicht die Umsätze erwarten
können, die zunächst in Aussicht gestellt wurden.
Diese Situation ist für die Non-Profit-Organisation
bedrohlicher als für den Dienstleister: Da er
zwischen verschiedenen Organisationen wählen
kann, kann er sich auf die lukrativsten Aufgaben
konzentrieren. Nach Abschluss des Vertrags
haben Non-Profit-Organisation hingegen kaum
die Chance, den Auftragnehmer zu wechseln,
auch wenn dieser keine oder nicht die versprochenen Leistungen erbringt. Es gibt übrigens aus
Sicht des Dienstleisters auch keinen Grund, einen
Vertrag vorzeitig aufzulösen. Es könnte ja wieder die Situation eintreten, dass das Projekt zu
den ertragreicheren gehört, die so lange weiter
bearbeitet werden, bis neue lukrativere Aufträge
eingeworben werden können.
Provisionen führen zur Nichtbeteiligung
der Non-Profit-Organisation
Der folgende Punkt ist einer der Hauptgründe,
warum Provisionsvereinbarungen im Fundraising
in der Regel scheitern. Mit einem Fundraising
auf Provisionsbasis ist häufig auf Seiten der NonProfit-Organisation die Erwartung verknüpft, dass
ein externer Akquisiteur nun das Geld beschafft
und die Organisation sich um diese Aufgabe
nicht weiter kümmern muss. Für einen Erfolg ist
diese Einstellung fatal. Für viele Aufgaben im
Fundraising sind Anwesenheit und Mitwirkung von
Vorständen und Geschäftsführung essenziell. Viele
Förderer wollen auch die handelnden Personen
kennen lernen, nicht nur die Geldeinwerber.
Wird die Verantwortung für das Fundraising
vollständig einem externen Dienstleister übertragen, empfinden Vorstände und Geschäftsführung
häufig keine Notwendigkeit und Veranlassung
mehr, sich in diesem Bereich zu engagieren.
Mangelnde Erlöse und die Mehrkosten fallen in
erster Linie beim Dienstleister an und nicht bei der
Organisation. Der Dienstleister muss sich damit
herumärgern, dass Materialien nicht ankommen,
Termine platzen und Dritte generell keine oder nur
wenig Zeit für ihn haben.
Ethik
40
In der Praxis ist dieses Problem eines, das häufig zum Scheitern von Fundraising-Projekten auf
Provisionsbasis beiträgt. Steigende Kosten auf
Seiten des Dienstleisters aufgrund unterschiedlich
interpretierter und wahrgenommener Aufgaben
in dem Projekt stellen das Geschäftsmodell grundsätzlich infrage und veranlassen den Dienstleister,
sich andere Auftraggeber zu suchen. Die Folgen für
die Organisation sind schon oben beschrieben.
Weitere Problemfelder
Neben diesen gravierenden Problemen sind in der
Praxis weitere Felder bekannt, bei denen es bei der
Vergütung über Provisionen schnell zu Konflikten
kommen kann. Zu den wichtigsten gehören:
• Abgrenzungsprobleme
Erfolge lassen sich dann am schnellsten erzielen, wenn auf bestehende Kontakte aufgesetzt
wird und schon bestehende Beziehungen in das
Fundraising eingebunden werden. In so einem
Fall stellt sich regelmäßig die Frage, wer für
einen eventuellen Erfolg verantwortlich ist: Der
Dienstleister, der den Abschluss tätigt oder die
Non-Profit-Organisation, die den Kontakt schon
so lange gepflegt hat, dass für den Dienstleister
ein Abschluss überhaupt zustande gekommen ist. Wenn an den zurechenbaren Erfolg
die Provisionszahlungen geknüpft sind, sind
Streitigkeiten über die Fälligkeit der Provision
vielfach vorprogrammiert.
• Unverhältnismäßig hohe Vergütung
Beträgt die Provision einen Prozentanteil von
der Spendeneinnahme, kann der Fall eintreten,
dass für eine Tätigkeit mit geringem zeitlichem
Aufwand eine sehr hohe Entlohnung fällig
wird. Dies ist dann z.B. der Fall, wenn es dem
Dienstleister gelingt, schnell eine Großspende
einzuwerben. In so einem Fall kann eine
Provision fällig werden, die als unverhältnismäßig hoch zur geleisteten Arbeit erscheint
und dem Spender nicht zu vermitteln ist.
Imageprobleme und Nachfragen können die
Folge sein.
• Probleme bei der Abrechnung von Zeit-, Sachund Leistungsspenden
Während sich Provisionen bei Geldspenden
noch berechnen lassen, treten vielfältige
Probleme auf, wenn Sachspenden oder gar
Zeitspenden eingeworben werden. Diese
können wirtschaftlich eine große Bedeutung
haben, wenn z.B. eine Fluggesellschaft für eine
international tätige Organisation Freiflüge zur
Verfügung stellt oder es gelingt, eine wichtige
Person als Schirmherr oder Testimonial zu
gewinnen. Neben der Frage der Wertermittlung,
die vielfach kaum möglich sein dürfte, stünde
dem Dienstleister in so einem Fall eine monetäre Vergütung zu, die nicht durch Einnahmen
gedeckt ist. Da diese Bereiche so problematisch
sind, wird ein provisionsorientierter Fundraiser
die Möglichkeiten nach Sach- und Zeitspenden
gar nicht weiter ausloten und „links liegen lassen“.
Provisionen führen zu einem reduzierten
Verständnis von Beziehungen
Grundlegend für viele der angeführten Probleme
ist ein reduziertes Verständnis von Beziehungen.
Bei Provisionen werden die Beziehungen – zwischen Dienstleister und Organisation sowie zwischen Förderer und Organisation – auf Geld
reduziert. Unbestritten ist, dass Geld ein zentrales
Element ist und am Ende sich Fundraising an den
eingeworbenen Spenden und Zuwendungen messen lassen muss.
Gerade als Fundraiserinnen und Fundraiser wissen
wir aus unserer täglichen Praxis, dass Beziehungen
zwischen Menschen auch durch Geld mitbestimmt
werden, der Kern jedoch jenseits des Geldes
liegt. Kategorien wie „Sinn“, „Involvement“,
„Innovation“ und „Gemeinschaft“ sind vielfach
wesentlichere Aspekte, die Beziehungen definieren. Geld spielt oft nur eine unterstützende
Rolle, stabilisiert Beziehungen und ermöglicht die
gemeinsame Gestaltung und den Austausch von
Leistungen, Nutzen und Werten. Mit anderen
Worten, Geld ist in der Regel kein Zweck, sondern
ein Mittel, mit dessen Hilfe Zwecke verwirklicht
werden können.
Wird Geld zum Zweck, lassen sich die vielfältigen
Aspekte menschlichen Lebens in ihren jeweiligen
Potenzialen kaum mehr entfalten. Achten alle
Akteure auf ihren eigenen ökonomischen Vorteil,
lässt sich nur eingeschränkt Vertrauen aufbauen,
Ethik
41
da jeder jederzeit damit rechnen muss, dass
andere sich auf seine Kosten bereichern wollen.
Vertrauen ist jedoch für viele Beziehungen konstitutiv. Vertrauen ermöglicht Gemeinschaft und die
Entfaltung individueller und sozialer Potenziale.
Basieren hingegen die Beziehungen auf Vertrauen,
können sich diese Potenziale entwickeln. Und
Fundraiserinnen und Fundraiser schätzen – wie
fast alle Arbeitnehmer – neben einem guten Gehalt
vor allem Sinn in der Arbeit, gute Kollegialität
und die Möglichkeit, sich in die Arbeitsprozesse
einbringen zu können. Förderer zu guter Letzt
wollen selten die Milchkühe sein, die von den
Organisationen gemolken werden. Sie schätzen
die Realisierung von Projekten und Programmen,
um gemeinsame Ziele zu erreichen.
Der Fluch der Provisionen
Auf den ersten Blick hat Fundraising auf Basis von
Provisionen für Non-Profit-Organisationen eine
Reihe von Vorteilen, da Risiken und Investitionen
auf Dienstleister übertragen werden können.
Oberflächlich betrachtet, könnten Provisionen
motivieren, besondere Leistungen zu erbringen.
Bei genauerer Betrachtung lauern hinter diesen
scheinbaren Vorteilen jede Menge Gefahren,
Gefahren für Non-Profit-Organisationen und
Förderer. Die Art der Vergütung bestimmt die
Qualität und die Ausgestaltung der Beziehung.
Eine Beziehung, die auf Geld reduziert wird, beinhaltet immer die Gefahr, dass nicht die Interessen
und Wünsche der Förderer im Mittelpunkt stehen,
sondern das Geld, das von ihnen eingeworben
werden kann. Dies kann gravierende Folgen für
die Beziehungen zu den Förderern haben und
Fundraising in den Augen der Öffentlichkeit und
der potenziellen Förderer in Misskredit bringen.
Hierin liegt auch der Grund, der zahlreiche
Fundraisingverbände veranlasst hat, Fundraising
auf Basis von Provisionen als unethisch zu qualifizieren.
Für die Organisationen selbst kann die Verlagerung
von Risiken und Investment Probleme nach sich
ziehen. Dienstleister werden Risiken und die
Vorfinanzierung nur dann übernehmen, wenn
sie hiervon einen Nutzen oder scheinbar keine
andere Chance haben. Ist dies nicht gegeben, ist
es für Dienstleister sinnlos, diese Angebote anzunehmen. Statt ohne Risiken gezielt auf Erlöse hinarbeiten zu können, müssen die Dienstleister ihre
betriebswirtschaftliche Situation im Blick behalten
– so sind Provisionen häufig teurer als andere
Vergütungsmodelle. Die Organisationen haben
keinen Anspruch auf Leistungen und können
Ethik
42
mit Abgrenzungsproblemen konfrontiert werden.
Selbst Imageprobleme sind nicht ausgeschlossen,
wenn einzelne Dienstleister für relativ wenig Arbeit
aufgrund der besonderen Umstände unverhältnismäßig hohe Vergütungen erhalten. Provisionen
bergen gerade für Non-Profit-Organisationen
hohe Risiken, die Führungskräfte bei nüchterner
Abschätzung nicht eingehen sollten. Fehlendes
kaufmännisches und betriebswirtschaftliches
Know-how und die geringe Kapitalausstattung der
Organisationen auf der einen Seite und fehlende
Phantasie bei der Finanzierung der notwendigen
Investitionen in das Fundraising auf der anderen Seite sind vielfach die Gründe, warum viele
Organisationen trotz dieser Risiken Fundraising
auf Basis von Provisionen nachfragen.
Der Wert von bewährten Beziehungen
Sinnvoller als die Finanzierung von Fundraising
auf Basis von Provisionen ist die Etablierung einer
nachhaltigen Beziehung zu Förderern auf der
einen und zu Dienstleistern auf der anderen Seite.
Wie in jeder „guten“ Beziehung geht es um die
gerechte Verteilung von Chancen und Risiken.
Dies bedeutet, dass Non-Profit-Organisationen
zumindest einen Teil der Kosten und Risiken übernehmen, da es ihr ureigenstes Interesse ist, ihre
Anliegen zu verwirklichen. Investieren sie nicht,
dann gibt es relativ wenig Argumente, warum dies
Externe, seien es Förderer oder Dienstleister, tun
sollten. Tragende Beziehungen zu Dienstleistern
und externen Fundraisern aufzubauen braucht,
wie bei jeder guten Beziehung, Zeit und Investment
von beiden Seiten.
Der Autor
Ka i F i sc h er
Kai Fischer ist Partner von Spendwerk, der auf innovatives Fundraising und
Marketing spezialisierten Agentur. Er berät Non-Profit-Organisationen
beim Aufbau und der Einführung von Fundraising. Darüber hinaus ist
Kai Fischer Experte für Online- und Multi-Channel-Fundraising. Er ist u.a.
Dozent der Fundraising-Akademie und Autor von mehr als 40 Beiträgen zu
verschiedenen Fundraising-Themen. Im Deutschen Fundraising Verband
leitet er gemeinsam mit Gitta Roselius die Regionalgruppe Hamburg und
den Ausschuss für die gute, ethische Fundraising-Praxis.
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Freiwillige und Ehrenamt
44
B ürgersc h af t l i c h es E ngagemen t
1
ges t ern , h eu t e und morgen
von Ansgar Klein
Die absehbaren Zukunftstrends unserer Gesellschaft
werden gravierende Auswirkungen auf das gesellschaftliche Gefüge und Miteinander wie auch
auf die Arbeitsmarkt- und Kommunalentwicklung
haben: Die prognostizierten Geburtenziffern,
die steigende Lebenserwartung, die Zu- und
Ab­wanderungen, die steigende Vielfalt der Haus­
halts­strukturen und nicht zuletzt die Flexi­bilisierung
der Arbeitswelt werden unser soziales Miteinander
und unsere individuellen Lebensstile verändern.
Die angedeuteten Entwicklungen bergen erhebliche Herausforderungen für unsere Sozialsysteme,
für die kommunale Infrastruktur sowie für ein
neues Arrangement von Leben und Arbeit. Dabei
ist von großen regionalen – und auch kleinräumlichen – Unterschieden auszugehen, da die demografische Entwicklung eng mit der wirtschaftlichen
Entwicklung einer jeden Region verbunden ist.
Wachsende regionale Disparitäten werden die
Folge sein. Dies alles führt einerseits zu dem
Wunsch und der Notwendigkeit, staatliches und
politisches Handeln neu auszurichten. Aber auch
das bürgerschaftliche Engagement steht in diesem
Kontext vor großen und zum Teil ungewohnten
Herausforderungen. Im Folgenden werden einige
dieser Trends und Herausforderungen vorgestellt
– und mögliche Antworten entwickelt.
Bürgerschaftliches Engagement in einer
Gesellschaft des „Länger Lebens“
Die Zunahme der Lebenserwartung und der
Rückgang der Geburtenzahlen haben sowohl eine
Abnahme der Bevölkerungszahlen als auch eine
Verschiebung der Altersstruktur zur Folge. In einer
Prognose geht das Statistische Bundesamt bis zum
Jahr 2050 von einem Rückgang um zehn Prozent
aus. Zu erwarten ist ein Rückgang von 82,5
Millionen Einwohnern in der BRD heute auf 75,1
Millionen im Jahr 2050. Der Altenquotient wird
sich bis dahin verdoppeln. Die älter werdende
Gesellschaft birgt sowohl Herausforderungen als
auch Chancen: Auf der einen Seite steigt die
Anzahl insbesondere der alten Menschen, für die
eine ausreichende Dienstleistungsstruktur im Hilfeund Pflegefall zur Verfügung stehen muss, da
Angehörige, die informelle Hilfeleistungen erbringen, oft überlastet sind oder aber ganz fehlen.
Viele Projektbeispiele zeigen mittlerweile, dass
Ehrenamtliche bei entsprechender Qualifzierung
und Begleitung für verschiedene Tätigkeitsbereiche
1 Der nachfolgende Text präsentiert Auszüge des Fachpapiers „Zukunftstrends der Bürgergesellschaft“ des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches
Engagement (BBE), das der Koordinierungsausschuss des BBE 2007 verabschiedet hat. AutorInnen des Fachpapiers sind Thomas Haigis,
Werner Heye, Erhard O. Müller, Roswitha Rüschendorf, Jutta Stratmann und Rudolf Devic. Kontakt über E.O. Müller, den Sprecher der Arbeitsgruppe
„Perspektiven der lokalen Bürger/innengesellschaft“ des BBE: [email protected]. Der vollständige Text ist als PDF zu beziehen auf der BBE-homepage:
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Freiwillige und Ehrenamt
46
in der Unterstützung pflegebedürftiger Menschen
zu gewinnen sind.
Die alternde Gesellschaft birgt aber auch Chancen,
die allerdings – unter anderem bedingt durch ein
unangemessenes Altersbild in der Öffentlichkeit –
bislang kaum sichtbar werden. Ob im Erwerbsleben
oder auch im bürgerschaftlichen Engagement:
Viele Ältere verfügen über ein Erfahrungswissen,
das sie beispielsweise beim Aufbau von Initiativen,
im Austausch mit Kindern und Jugendlichen oder
in der Entwicklungsarbeit bereits einsetzen –
und sogar noch stärker zur Anwendung bringen
könnten, wenn die Fähigkeiten und Erfahrungen
älterer Menschen nicht immer noch aus vielen
Lebensbereichen ausgeklammert bzw. unangemessen bewertet würden.
Der zweite Freiwilligensurvey aus dem Jahre
2004 zeigt eindrucksvoll, dass sich ein großer
Teil der älteren Menschen in unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen freiwillig engagiert und ein wachsender Anteil zu bürgerschaftlichem Engagement Bereitschaft zeigt. Im
Vergleich zur ersten Befragung im Jahr 1999
steigerte z.B. die Altersgruppe der 60- bis 69Jährigen ihr Engagement um sechs Prozent auf 37
Prozent. Dieses Bedürfnis nach Partizipation und
Engagement muss ernst genommen und gezielt
gefördert werden. Das Engagement der älteren
Menschen ist schon heute in vielen Bereichen
zu einem wichtigen gesellschaftlichen Stützpfeiler
geworden. Es hat einen hohen gesellschaftlichen
Wert und gibt demjenigen, der aktiv ist, unmittelbar etwas zurück: eine neue Verantwortungsrolle,
Sinn, Freude und Integration.
Das Bild des Alters ist leider noch häufig negativ
geprägt, weil ältere Menschen einseitig als Ver­
sorgungsempfänger und Belastung des Sozial­
systems dargestellt werden. Dagegen erbringt die
ältere Generation u.a. durch nachbarschaftliche
Hilfe, freiwilliges/ehrenamtliches Engagement
und Einsatz für die Familie vielfältige Beiträge
zum Wohl der Gesellschaft. Das Bild des Alters
muss zukünftig stärker von Anerkennung für die
Leistungen älterer Menschen gekennzeichnet sein.
Es gilt Rahmenbedingungen zu schaffen, die es
ermöglichen, die Potenziale älterer Menschen
für ein gesellschaftliches Engagement zu nutzen.
Für ein „erfolgreiches Altern“ bedarf es geeig-
neter Netzwerke, die die Potenziale einer solchen
Engagementbereitschaft produktiver verbinden
und für das Gemeinwesen nutzbar machen.
Bürgerschaftliches Engagement und die
Potenziale verschiedener sozialer Gruppen
In Zukunft wird es nicht nur mehr ältere, sondern auch viele junge Menschen unterschiedlicher
sozio­kultureller Milieus geben, die bislang aus
verschiedenen Gründen über weniger Beteiligungs­
möglichkeiten und Zugänge zum bürgerschaftlichen Engagement verfügen. Dabei handelt es sich
zum Teil um Menschen mit Migrationshintergrund,
zum anderen um Personen aus sozial schwächeren Schichten. Für diese gilt es neue Zugänge
und Beteiligungsformen für bürgerschaftliches
Engagement aufzuzeigen und zu fördern.
Ein steigender Bedarf verschiedener Bevöl­kerungs­
gruppen an Integration in die Gesellschaft und an
einem gedeihlichen sozialen Zusammenleben wird
deutlich. So brauchen von Benachteiligung betroffene Gruppen in lokalen Quartieren eigene, wirksame Beteiligungsformen – auch unter Anwendung
moderierter Verfahren –, damit sie ihre spezifischen Interessen und Bedürfnisse auf Augenhöhe
mit den kommunalen Entscheidungsträgern einbringen können und selbst zum Engagement
finden. Andere engagierte Bürger – mit und ohne
Freiwillige und Ehrenamt
47
Migrationshintergrund – sowie Fachleute aus sozialen Verbänden und Organisationen können hier
wirksam Unterstützung leisten.
Besonders in lokalen Kontexten, in denen große
Gruppen von Personen in kulturell homogenen
Milieus leben (wie z.B. Migrantinnen und Mi­gran­­
ten), ist eine Moderation zwischen den jeweiligen
Bevölkerungsgruppen angezeigt, bei der bürgerschaftlich Engagierte und lokale Organisationen
(inklusive der Kirchen) eine wichtige Rolle spielen. Die Notwendigkeit zur Moderation zwischen
den Bevölkerungsgruppen gilt in besonderem
Maße, wenn der Anteil Einheimischer aus sozial
schwachen Schichten hoch ist. Darüber hinaus
sind die eigenen Zugangswege zum bürgerschaftlichen Engagement von Migrantinnen und
Migranten noch zu wenig bekannt und erforscht
– und die in diesem Bereich bereits seit Jahren
existenten Engagementstrukturen immer noch zu
wenig anerkannt.
Gleichzeitig zeigen sich regionale Unterschiede
hinsichtlich der Außen- bzw. Binnenmigration,
so dass es neben Regionen mit einem Anstieg
der Bevölkerungszahl auch Regionen mit starkem Bevölkerungsrückgang gibt (beispielsweise
im Osten). Auch wenn sich dies regional unterschiedlich darstellt, so ergeben sich daraus doch
wesentliche politische Herausforderungen. Um das
Engagement von Migrantinnen und Migranten zu
stärken und zu fördern, geht es wesentlich um:
• Anerkennung: Bisherige Formen der sozialen
Selbst­organisation, die den Prozess des An­­
kommens und Einlebens, aber auch der All­
tags­bewältigung betreffen, bedürfen der An­­
erkennung als Formen des Engagements und
einer entsprechenden Würdigung und För­de­
rung.
• Interkulturelle Öffnung des klassischen Engage­
mentbereichs: Träger und institutionelle Akteure
des Engagements sind bei dem Anliegen zu
unterstützen, ihre Mitwirkungsangebote und
Aktivitätsfelder interkulturell zu öffnen, um das
Engagement von Migrantinnen und Migranten
nicht nur attraktiver zu machen, sondern überhaupt erst zu ermöglichen.
• Neue Engagementformen: Unter Beteiligung von
Migrantinnen und Migranten und ihren Selbst­
hilfe-Strukturen sind neue Engagementformen
aus­zuloten, die ihre bisherige Unter­repräsen­
tation im Engagementbereich zu überwinden
helfen.
Die Bürgerrechte von Migrantinnen und Migran­
ten sollten spürbar gestärkt werden (Prüfung
der Möglichkeit des kommunalen Wahl­rechts,
niedrigschwellige Beteiligungsmöglich­keiten auf
kommunaler Ebene z.B. über Partizipa­tions­­
projekte in der Stadtentwicklung, eine Auf­­­
wertung und Weiterentwicklung der bisheri­gen
Vertretungsstrukturen, etwa in Form von „Mi­gra­
tionsbeiräten“, in denen Migranten, Aus­siedler
und Einheimische gemeinsam arbeiten). Bürger­
schaftliche Vereine und Gruppen müssen für
die Integration von Migrantinnen und Migranten
sensibilisiert und qualifiziert werden, um auf
diese Weise eine Öffnung der jeweiligen Vereine
zu erreichen. In den Medien ist eine entsprechende Öffentlichkeit für das Engagement von
Migrantinnen und Migranten herzustellen und die­se
müssen auch zur verstärkten Öffentlichkeitsarbeit
in eigener Sache ermuntert werden.
Bürgerschaftliches Engagement im Ver­
hältnis zur Erwerbsarbeit und anderen
Tätigkeiten
Die Erosion des „Normalarbeitsverhältnisses“
und die damit einhergehende Zunahme prekä­
rer Beschäftigungen und Lebenslagen ist eine
weitere zentrale Herausforderung für freiwilliges Engagement: In Zukunft werden fließende
Über­gänge zwischen Erwerbsarbeit und freiwilliger Tätigkeit zunehmen. Die so genannten
Ar­beitsgelegenheiten (Ein-Euro-Jobs) zeigen dies
bereits jetzt. In diesem Zusammenhang gilt es zu
beachten, dass staatlich finanzierte Beschäftigungs­
gelegenheiten (häufig verbunden mit entsprechenden Zwangsmaßnahmen) in keiner Weise
mit freiwilligem Engagement gleichzusetzen sind.
Gleichzeitig ist die Vereinbarkeit von sozialer
Zeit, Erwerbsarbeitszeit und Freizeit für viele ein
erstrebenswertes Ziel, für dessen Erreichen jedoch
unterschiedliche Umsetzungschancen unter den
einzelnen Bevölkerungsgruppen bestehen.
Das lebenslange Vollerwerbs-Arbeitsmodell wird
zunehmend in den Hintergrund treten. Hieraus
Freiwillige und Ehrenamt
48
ergibt sich eine prekäre Ambivalenz: Auf der
einen Seite gilt es, allen Menschen eine sinnvolle und sinnstiftende Tätigkeit zu ermöglichen. Auf der anderen Seite gehen Modelle der
staatlich finanzierten Lohnersatzleistungen oder
Transferleistungen häufig einher mit der erhöhten
Gefahr unerwünschter Substitutionseffekte sowie
mit negativen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
– insbesondere im Niedriglohnsektor.
Fließende Übergänge in Form der Aufteilung
zwischen Sozial-, Erwerbs- und Eigenarbeit
sind daher anzustreben und sollten generell für alle Bevölkerungsgruppen möglich sein.
Bürgerschaftliches Engagement kann und will
„normale“ Arbeitskräfte nicht ersetzen, sondern hat ein eigenes Profil, das auch in diesem
Zusammenhang klare Rahmenbedingungen und
Anerkennung braucht.
Biografisch orientierte Lebensarbeitszeitkonten
ebenso wie variable Arbeitszeitmodelle unterstützen bürgerschaftliches Engagement. Unternehmen,
staatliche Organisationen sowie soziale Dienste
müssen hier zu engagementfreundlichen
Lösungen kommen. Gleichzeitig sollten bürgerschaftliches Engagement und niedrig entlohnte
Beschäftigungen nicht in Konkurrenz zueinander
geraten. Entsprechende Rahmenbedingungen und
klare Anforderungsprofile dienen dieser notwendigen Grenzziehung.
Auf längere Sicht ist auch ins Kalkül zu ziehen,
welche Auswirkungen eine Verlängerung von
Wochen- und Lebensarbeitszeit auf das bürgerschaftliche Engagement haben wird: zum einen im
Hinblick auf die damit verbundene grundsätzliche
Einschränkung individueller Zeitressourcen, zum
anderen aber auch hinsichtlich der Motivation
und Motivierbarkeit zu Freiwilligenarbeit in
Anbetracht erwartbarer Mehrbelastungen in der
Alltagsbewältigung. Um eine gesellschaftlich produktive Koexistenz zwischen den verschiedenen
Arbeits- und Engagementformen zu gewährleisten, bedarf es – angesichts der ungesicherten
Perspektive von Hartz IV – einer offenen gesellschaftlichen Diskussion über Mindesteinkommen,
Grundsicherung und Grundeinkommen.
Bürgerschaftliches Engagement
und demokratische Gestaltungsmacht
Der Anspruch der bürgerschaftlich Engagierten,
an der Gestaltung ihres Gemeinwesens teilzuhaben, wächst. So heißt es z.B. in der Berliner
Charta des Bürgerschaftlichen Engagements:
„Bürgerschaftliches Engagement fördert Partizi­
pation, Integration und Eigenverantwortung aller in
Berlin lebenden Menschen und ihren Einsatz für ein
aktives Gemeinwesen. Bürgerschaftlich Engagierte
beanspruchen, sich mit ihren Kompetenzen und
Erfahrungen in politische Entscheidungsprozesse
einzubringen und mitentscheiden zu können.“
Die bürgerschaftlich engagierten Menschen haben
allen Grund, selbstbewusst zu sagen: Wenn wir
schon die Aufgaben des Staates und der öffentlichen Hand an vielen Ecken und Enden bereitwillig übernehmen, dann wollen wir auch an der
öffentlichen Gestaltungsmacht maßgeblich und
kontinuierlich – nicht nur alle vier Jahre bei der
Wahl – beteiligt werden. Einer stärkeren Über­
nahme von sozialer Verantwortlichkeit durch die
Bürgerschaft (wie sie zurzeit erfolgt) muss eine
stärkere Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an
politisch-administrativen Entscheidungen gegenüber stehen. In einer Situation, in der die öffentlichen Entscheidungsträger immer weniger in der
Lage sind, die Mittel für die Aufrechterhaltung
des Gemeinwesens bereitzustellen, sollte die
engagierte Bürgergesellschaft nicht als soziale
Lückenbüßerin betrachtet, sondern vielmehr als
aktive Mitgestalterin des Gemeinwesens akzeptiert und spürbar an seiner Gestaltung beteiligt
werden: Unsere repräsentative Demokratie bedarf
der wirksamen Ergänzung durch partizipative
Elemente.
Anerkennungskultur ist nicht zuletzt auch
Beteiligungskultur: In den letzten Jahren ist eine
Reihe von neuen Verfahren zur Förderung von
Bürgerbeteiligung und zur Aktivierung bürgerschaftlicher Kompetenz (wie z.B. das Modell
„Bürgerhaushalt“) erfolgreich erprobt worden.
Ihnen gemeinsam ist, dass sie Bürgerbeteiligung
als einen notwendigen kommunikativen Prozess
in der modernen Demokratie verstehen. Was
jedoch oft noch fehlt, ist die Bereitschaft der
Verantwortlichen zur Aufnahme dieser „zwei-
Freiwillige und Ehrenamt
49
ten Säule“ der politischen Willensbildung und
Entscheidungsfindung in unsere parlamentarischen
und administrativen Strukturen. Denn eine wirkliche
Teilhabe der Bürgerschaft erfordert erkennbare
Verbindlichkeiten in Parlament und Verwaltung:
Ihre Ergebnisse müssen glaubwürdig und formal
legitimiert in den politischen Entscheidungsprozess
einfließen.
Die mit dem Ziel der „Bürgerkommune“ verbundene besonnene Machtabgabe von Politik und
Verwaltung an die Bürger erfordert eine spürbare
Umorientierung des bisherigen Verständnisses von
Verwaltungshandeln. Die politischen Um­gangs­
formen – d.h. die sichtbar gemachte Trans­parenz
und die erkennbare bürgerschaftliche Beein­
fluss­barkeit von politischen und VerwaltungsEntscheidungen – werden von den Bürgern sensibel registriert und als ein wichtiges Indiz für ihre
Einbeziehung in die Gemeinwesenentwicklung
wahrgenommen. Zur Realisierung einer umfassenden bürgerschaftlichen Mitgestaltung sollten
auch neue, interaktive Verfahren der modernen
Kommunikationstechnologie (Internetbefragungen
u.ä.) zur Anwendung gebracht werden.
Bürgerschaftliches Engagement und
gesellschaftliche Rahmenbedingungen
Die Verschiebungen im Bevölkerungsaufbau
wir­ken sich auch auf soziale Leistungen und
Leistungsfähigkeiten aus. Soziale Sicherungs­
systeme ebenso wie weite Teile des Wirt­schaftsund Arbeitslebens müssen sich auf diese veränderten Bedingungen einstellen. Unter den veränderten Bedingungen bedarf der Staat zunehmend
der Unterstützung durch die Bürgerinnen und
Bürger, durch verschiedene Vermittlungsinstanzen
sowie entsprechende Strukturen in Verwaltung,
Organisationen, Einrichtungen, Verbänden, Ver­
einen und Initiativen. Insgesamt ist jedoch an dem
Grundsatz festzuhalten, staatliches Handeln immer
auch in Verbindung mit der zivilgesellschaftlichen
Verantwortung zu sehen, um deren Potenziale
auszuschöpfen.
Bürgerschaftliches Engagement darf dabei allerdings nicht zur „Ersatzkasse“ für nicht mehr
finanzierbare staatliche Leistungen werden. Es
darf nicht dazu kommen, dass sich die öffentliche Hand ihrer sozialen Verantwortung vollends
entzieht. Vielmehr bedarf es einer besonderen
„Qualität“ des bürgerschaftlichen Engagements,
die durch entsprechende Rahmenbedingungen
gewährleistet werden muss. Zur Sicherung der
Rahmenbedingungen für das Engagement gehört
auch, dass die öffentlichen Instanzen – nicht
zuletzt die lokalen – sich weiterhin an Investitionen
zur Stärkung, Vernetzung und bedarfsgerechten
Förderung eines pluralen bürgerschaftlichen
Engagements beteiligen. Investitionen in diesem
Bereich sind Investitionen für die Grundlagen des
Gemeinwesens und in eine zukunftsfähige Demo­
kratie.
Die Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches
Engagement müssen sich verbessern: NonProfit-Organisationen dürfen nicht dem Öko­
nomi­sierungsdruck unterliegen, sondern müssen
durch geeignete Maßnahmen, beispielsweise ein
modernes Gemeinnützigkeitsrecht, unterstützt
werden. Bürgerschaftliches Engagement darf in
den Institutionen, Organisationen und Verbänden
nicht bloß „Randthema“ sein – vielmehr geht es
darum, den Engagementwillen der Bürger in die
Logik und Struktur des öffentlichen Lebens einzubinden. Bürger und Bürgerinnen jeden Alters
und sozialen Hintergrundes müssen in ihrem
Lebensumfeld Anknüpfungspunkte vorfinden,
um eigenes Engagement zu entwickeln und zu
gestalten. Dies gilt auch für Kommunen: Örtliche
Anlaufstellen, engagementfördernde Infrastruktur­
einrichtungen wie Freiwilligenagenturen und -zentren, Seniorenbüros und Selbsthilfekontaktstellen
sowie entsprechende Konzepte zur Unterstützung
des Bürgerengagements sollen weiter ausgebaut
werden. Ziel muss es sein, die Kommunen finanziell so auszustatten, dass sie den ihnen zugedachten Aufgaben gerecht werden können.
Veränderungen in den familiären Beziehungen,
den beruflichen und sozialen Umfeldern werden
sich in immer stärkerem Ausmaß auf die Motive,
Ausprägungen und Formen des bürgerschaftlichen
Engagements auswirken. Das bürgerschaftliche
Engagement wird sich in Zukunft stärker in Richtung
eines zeitlich begrenzten Engagements – einhergehend mit einem hohen Grad an Eigensouveränität
– entwickeln. Zeitlich begrenztes und projekt­
orientiertes Engagement bringt allerdings auch
Diskontinuität für die Organisationen des bür-
Freiwillige und Ehrenamt
50
gerschaftlichen Engagements mit sich. Deshalb
sind stabilisierende Strukturen erforderlich, die
die Kontinuität dieser Organisationen und ihrer
Leistungen sicherstellen. Die Leitungsstrukturen
werden sich dieser Aufgabe stellen und zugleich
stärker als bisher zeitlich begrenztes und projekt­
orientiertes Engagement fördern und einbinden
müssen.
Dabei gilt es zu beachten, dass ein großer Teil der
Strukturen, Netzwerke und Anknüpfungspunkte
für solche Engagementformen seinerseits durch
ehrenamtliche Arbeit geschaffen und vorgehalten wird. Viele Organisationen, Vereine und
Verbände organisieren sich selbst über mehrere
Ebenen hinweg ehrenamtlich. Diese ehrenamtlich
geschaffenen und erhaltenen sozialen Netzwerke
sollten in geeigneter Weise professionell begleitet
und beraten werden. Dementsprechende verbindliche, strukturbildende Engagement- und
Kooperationsformen zu fördern und ggf. auch neu
zu entwickeln, ist eine wichtige Aufgabe.
Der Aufbau von sozialen Netzwerken, verbunden mit der Erfüllung eigener Bedürfnisse und
Sinnfindungen, wird ein zunehmender Motor des
bürgerschaftlichen Engagements. Hierzu bedarf
es auch der Zusammenführung neuer strategischer Partner, wie Unternehmen, Kommunen,
Bildungseinrichtungen, Schulen etc. Die Indivi­
duali­sierung von Lebenswelten bringt gleicher­
maßen Chancen und Grenzen für die Entwicklung
so­zialer Netzwerke und Selbsthilfeorganisationen
mit sich. Bürgerschaftliches Engagement kann hier
sowohl neue soziale Netzwerke aufbauen als
auch bestehende stärken. Dies ist angesichts der
Veränderungen in den primären Netzwerken
grundlegend für eine zukunftsfähige Gesellschaft.
Bürgerschaftliches Engagement trägt zur notwendigen sozialen Integration gerade in lokalen
Zusammenhängen bei.
Der Autor
D r . A nsgar Kle i n
Dr. Ansgar Klein ist Geschäftsführer des Bundesnetzwerks Bürger­schaft­­
liches
Engagement; Sozialwissenschaftler (Privatdozent für Politik­wissen­
schaften an der Universität Bremen, Dr. phil. als Politik­wissen­schaftler an
der FU Berlin und Diplom-Soziologe an der Johann-Wolfgang-GoetheUniversität Frankfurt) und Publizist; 1988 Mitbegründer und seitdem
Mitherausgeber des Forschungsjournals Neue Soziale Bewegungen;
Sprecher des Arbeitskreises „Soziale Bewegungen“ der Deutschen
Vereinigung für Politische Wissenschaft (DVPW); Mitbegründer und
Mitglied der Steuerungsgruppe des Gesprächskreises „Bürgergesellschaft
und Aktivierender Staat“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Mitbegründer und
Mitherausgeber der Buchreihe „Bürgergesellschaft und Demokratie“ im
Verlag für Sozialwissenschaften (VS-Verlag, Wiesbaden).
E-Mail: [email protected]
Freiwillige und Ehrenamt
Literatur: eine Auswahl
• BBE (Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement) 2007a:
Das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement im Überblick, Berlin
• BBE (Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement) 2007b:
Zukunftstrends der Bürgergesellschaft, Berlin
• BMFSFJ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) 2000:
Freiwilliges Engagement in Deutschland. Freiwilligensurvey 1999, 3 Bde., Stuttgart.
• BMFSFJ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) 2006 (Hrsg.):
Freiwilliges Engagement in Deutschland 1999-2004. Ergebnisse der repräsentativen
Trenderhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement, Opladen.
• Born, Sabrina 2005: Bürgerschaftliches Engagement stabilisieren, stärken, steigern.
Innovation und Investition in Infrastruktur und Infrastruktureinrichtungen, Studie für den Arbeitskreis
„Bürgergesellschaft und Aktivierender Staat“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn.
• Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“/Deutscher Bundestag (Hrsg.)
2002, Schriftenreihe Bd. 4 Bericht: Bürgerschaftliches Engagement: auf dem Weg in eine
zukunftsfähige Bürgergesellschaft, Opladen.
• Evers, Adalbert/Kortmann, Karin/Olk, Thomas/Roth, Roland 2003: Engagementpolitik als
Demokratiepolitik. Reformpolitische Perspektiven für Politik und Bürgergesellschaft. In:
Georg Lohmann (Hrsg.): Demokratische Zivilgesellschaft und Bürgertugenden in Ost und West,
Frankfurt/M., S. 153-164.
• Gensicke, Thomas/Geiss, Sabine 2006: Bürgerschaftliches Engagement: Das politisch-soziale
Beteiligungsmodell der Zukunft? In: Hoecker, Beate (Hrsg.): Politische Partizipation zwischen
Konvention und Protest, Opladen, S. 308-328.
• Hartnuß, Birger/Klein, Ansgar 2007: Bürgerschaftliches Engagement. In: Deutscher Verein
für öffentliche und private Fürsorge e.V (Hrsg.): Fachlexikon der sozialen Arbeit, 6. Auflage,
Baden-Baden, S. 159-160
• Klein, Ansgar 2001: Der Diskurs der Zivilgesellschaft. Politische Hintergründe und demokratie­
theoretische Folgerungen, Opladen (Band 4 der Reihe „Bürgergesellschaft und Demokratie“).
• Klein, Ansgar 2005: Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft – die reformpolitische
Diskussion. In: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit, Jg. 36. Heft 4, S. 4-19.
• Klein, Ludger 2007: Die Demokratie braucht die Zivilgesellschaft. Plädoyer für eine integrierte
Strategie gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit, Studie für den Arbeitskreis
„Bürgergesellschaft und Aktivierender Staat“ der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn
• Kocka, Jürgen 2003: Zivilgesellschaft in historischer Perspektive. In: Forschungsjournal ­
Neue Soziale Bewegungen, Jg. 16, Heft 2, S. 29-37.
• Olk, Thomas 2007: Hat sich Engagementpolitik etabliert?
In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Jg. 20, Heft 2, S. 15-26
• Priller, Eckhard 2004: Konkurrierende Konzepte zum bürgerschaftlichen Engagement in der
Langzeitperspektive. Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Jg. 17, Heft 1, S. 36-44.
• Sprengel, Rainer 2007: Bürgerschaftliches Engagement und Organisationsentwicklung der
Verbände, Studie für den Arbeitskreis „Bürgergesellschaft und Aktivierender Staat“ der
Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn
• Zimmer, Annette 2003: Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft.
In: Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen, Jg. 16, Heft 2, S. 74-86.
• Zimmer, Annette/Priller, Eckhard 2004: Gemeinnützige Organisationen
im gesellschaftlichen Wandel. Ergebnisse der Dritte-Sektor-Forschung, Wiesbaden.
51
Freiwillige und Ehrenamt
52
Die Deutschen und das
Ehrenamt – Empirische Befunde
aus der Marktforschung
von Erik Lämmerzahl
Alle Jahre wieder …
… in der Advents- und Weihnachtszeit ist die
Spendenbereitschaft der Deutschen in aller Munde.
Der Kompetenzbereich GfK CharityScope erhält
pro Tag ein bis zwei Anfragen von Journalisten, die
sich des Themas annehmen. Die im Dezember bei
vielen Deutschen volleren Geldbörsen, die in dieser Jahreszeit verstärkten Appelle der Fundraiser
und die – seit 2007 sogar verbesserten – steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten sorgen dafür,
dass sich die Geldflüsse nicht gleichmäßig über
das ganze Jahr verteilen. Im Gesamtjahr 2006
leisteten die Deutschen Geldspenden in Höhe von
knapp zwei Milliarden Euro. Von dieser Summe
entfielen 33 Prozent auf die Monate November
und Dezember.
Zeit spenden im Ehrenamt: nicht nur zur
Weihnachtszeit
Gerne wird dabei übersehen, dass es eine andere Art des Spendens gibt, die einen noch weit
größeren finanziellen Wert darstellt und – mehr
oder weniger – kontinuierlich das ganze Jahr
hindurch fließt. Die Rede ist von den freiwilligen
und ehrenamtlichen Tätigkeiten, die die Deutschen
leisten. GfK CharityScope fragt die Deutschen
zweimal im Jahr nach diesen Leistungen. Dabei
werden die Befragten gebeten, ihre geleistete
Stundenzahl abzuschätzen. Mithilfe einer einfachen Formel wird die Arbeitsleistung in Euro
umgerechnet. Dabei legen wir den durchschnittlichen Stundenlohn eines Arbeiters zugrunde, der
sich im Jahre 2006 auf 15,55 Euro belief. Das
Ergebnis: Die ehrenamtliche Arbeit der Deutschen
im Jahre 2006 entsprach einem Wert von über
55 Milliarden Euro. Um die Größenverhältnisse
zu veranschaulichen: Wenn die Geldspenden so
groß sind wie die Fläche Deutschlands, dann entsprechen die Zeitspenden der Größe Kanadas.
Eine kleine „Saisonalität“ gibt es aber auch bei
den Zeitspenden. Das zweite Halbjahr 2006 hatte
einen Anteil von 52 Prozent am Gesamtjahr. Man
wird das leicht nachvollziehen können, denkt
man nur zum Beispiel an die vielen Advents- und
Weihnachtsbasare, bei denen viele fleißige Hände
mit anpacken …
2007: Aufschwung auch im Sozialen
Seit 2005 werden die Panelteilnehmer durch GfK
CharityScope jeweils im Januar und im Juli nach
Freiwillige und Ehrenamt
53
ihren Zeitspenden befragt. Dabei sollen sie angeben, wie viele Stunden „freiwillige, unbezahlte
Tätigkeit“ sie im zurückliegenden Halbjahr geleistet
haben und in welchen gesellschaftlichen Bereichen
das war. Mittlerweile liegt uns also schon eine
kleine Zeitreihe vor. Das Stundenvolumen steigerte
sich vom 1. Halbjahr 2005 zum 1. Halbjahr 2006
um acht Prozent. Im 1. Halbjahr 2007 ergab sich
noch einmal eine erstaunliche Steigerung von
plus 28 Prozent. Dabei verteilt sich die Arbeit
allerdings auf mehr Schultern: Gaben bisher
weniger als die Hälfte der Deutschen an, dass sie
freiwillige Tätigkeiten leisteten, so waren es 2007
erstmals deutlich über 50 Prozent. Aktuell sagten
37 Millionen Deutsche, dass sie auf die eine oder
andere Weise freiwillig und unbezahlt tätig sind.
Über die Gründe für diesen Aufschwung können wir vorläufig nur Vermutungen anstellen.
Spontan fallen einem natürlich die finanziellen
Kürzungen der letzten Jahre im sozialen Bereich
ein, auch die Geldnöte, in denen viele kirchliche
Körperschaften stecken. Ressourcen, die hier fehlen, würden dann durch ehrenamtliche Tätigkeit
(ansatzweise) kompensiert. Ein anderer Aspekt:
Die zunehmenden Angebote der Kinderhilfe (z.B.
Horte, Kindertagesstätten, Nachmittagsbetreuung)
ziehen tendenziell auch mehr ehrenamtliches
Engagement der Eltern nach sich – angefangen
z.B. bei einem Hol- und Bringdienst, den sich
verschiedene Familien untereinander aufteilen.
Möglich ist auch, dass die gezielte Förderung
von Freiwilligendiensten durch viele Kommunen
(Stichwort „Soziale Stadt“) Früchte trägt.
Die soziale Energie – wo fließt sie hin?
Schauen wir uns nun an, auf welche gesellschaftlichen Bereiche sich die ehrenamtlichen Tätigkeiten
erstrecken.
Da wäre an erster Stelle der Sport zu nennen, in
dem sich fast 20 Prozent aller Befragten engagieren. Am häufigsten wurde hier die Mithilfe bei
Veranstaltungen genannt (elf Prozent), gefolgt
von der Organisation des Vereinslebens, also
z.B. Schriftführer, Kassenwart usw. (knapp sieben
Prozent). Immerhin fast fünf Prozent betätigen sich
als Übungsleiter bereits „echt“ sportlich.
An zweiter Stelle geben knapp 18 Prozent aller
Befragten an, dass sie sich im Bereich der Kinderund Jugendarbeit engagieren. Auch hier ist die
Mithilfe bei Veranstaltungen mit elf Prozent die Art
von Tätigkeit, die von den meisten wahrgenommen
wird. An zweiter Stelle folgt mit weitem Abstand
(knapp fünf Prozent) die Jugendarbeit im engeren
Sinne, z.B. die Ferien- und Freizeitbetreuung.
Soziales Engagement – wie intensiv
darf’s denn sein?
An den vorstehenden Beispielen wird schon deutlich, dass wir es vermutlich häufig mit einem
Engagement zu tun haben, das sich am Rande der
Kernaktivitäten der jeweils unterstützten Gruppe
abspielt. Typisch wären z.B. die Eltern, die die
Nachwuchskicker zum Auswärtsspiel bringen oder
deren Trikots waschen; oder auch Eltern, die
bei einem Schulbasar Glühwein ausschenken,
Tische und Stühle schleppen usw. So bilden diese
Freiwillige und Ehrenamt
54
sozialen Organisationen (Vereine, Schulen …)
Netzwerke aus, die auch weiter entfernt stehende
Personen erreichen. Speziellere Tätigkeiten werden naturgemäß von kleineren Personengruppen
wahrgenommen. So geben nur zwei Prozent aller
Befragten an, dass sie im Sport als Schiedsrichter
oder Kampfrichter amtieren.
Ein guter Indikator für die Intensität des
Engagements ist die durchschnittlich geleistete Stundenzahl (immer auf das zurückliegende
Halbjahr bezogen). Nehmen wir als Beispiel wieder den Sport. Für „Mithilfe bei Veranstaltungen“
wurden im Durchschnitt 16 Stunden veranschlagt.
Der Bereich „Organisation“ (z.B. Schriftführung)
schlägt bereits mit 31 Stunden zu Buche. Ein
ehrenamtlicher Trainer kommt auf durchschnittlich
57 Stunden ehrenamtlicher Tätigkeit.
Es wird auch deutlich, dass die Zeitbudgets keineswegs geeignet sind, mit professionellen Diensten
zu konkurrieren. So kommt ein Freiwilliger (wohl
meist eine Freiwillige) im – in der Öffentlichkeit
viel besprochenen – Arbeitsfeld Altenhilfe auf
51 Stunden im Halbjahr. Nur ein Prozent aller
Befragten lag mit über 50 bzw. sogar über 100
Stunden darüber.
aber schon die Gestaltung der Gottesdienste (z.B.
im Kirchenchor) und die Ämter, die mit Kirche und
Gottesdienst verbunden sind, also z.B. Messnerund Ministrantendienste.
Der Kirchenchor wurde eben schon erwähnt
– musikalisch kann man sich natürlich auch
woanders betätigen: Der Bereich Kultur steht mit
elf Prozent an vierter Stelle der Ehrenamts-Liga,
und hier nimmt die Musik mit sechs Prozent den
unangefochtenen Spitzenplatz ein.
Damit sind die Plätze eins bis vier klar – hier eine
Übersicht über alle Platzierungen der „Top Ten“:
1.
Sport
19,5 %
2.
Kinder- und Jugendarbeit
17,5 %
3.
Kirchen
14,3 %
4.
Kultur
11,1 %
5.
Soziales /Gesundheit
(z.B. Altenhilfe, Behinderte, Migranten)
9,2 %
6.
Rettungsdienste
(z.B. Feuerwehr, DLRG)
4,5 %
7.
Umwelt
(Naturschutz, Tierschutz …)
3,4 %
8.
Justiz (z.B. Schöffenamt,
Gefangenenhilfe)
1,6 %
9.
Internationales
(z.B. Entwicklungshilfe,
Menschenrechte)
1,1 %
10.
Frauen (z.B. Frauenhäuser,
Mütterzentren)
0,4%
Sonstiges 8,1 %
Die Werte zeigen den Anteil der Bevölkerung,
die sich in dem jeweiligen Bereich ehernamtlich engagiert.
Die Hitliste der Ehrenämter
Nach dem Sport auf Platz eins und der Kinder- und
Jugendhilfe auf Platz zwei kommen die Kirchen
an dritter Stelle – bei ihnen engagieren sich 14
Prozent aller Befragten. Hier steht zwar auch die
allgemeine Mithilfe bei Veranstaltungen mit sieben
Prozent an erster Stelle. Direkt dahinter kommen
Zeitspender sind auch Geldspender –
eine Verknüpfung
Personen mit „sozialer Ader“ gibt es also glücklicherweise recht viele; dennoch steht ein großer
Teil der Bevölkerung abseits und beteiligt sich
nicht. So ist es wenig verwunderlich, dass es oft
dieselben Menschen sind, die sowohl Zeit als
auch Geld spenden. Konkret: 57 Prozent aller
Freiwillige und Ehrenamt
55
Geldspenden kamen von Personen, die auch im
freiwilligen Arbeitseinsatz waren. Und im ersten Halbjahr 2007 waren sie es auch, die ihre
Geldspendenleistung überproportional steigerten.
Zeitspender sind eine interessante Ziel­
gruppe – eine Anregung
Wer sich ehrenamtlich engagiert, wer Zeit in
Projekte mit anderen Menschen zusammen investiert, verfügt automatisch über soziale Kontakte,
über Netzwerke. Solche Personen könnten geeignete Multiplikatoren sein, um z.B.
• neue Mitglieder zu gewinnen;
• neue Mitarbeiter zu gewinnen;
• Geldspenden zu generieren.
Vor diesem Hintergrund ist die Konzentration auf
die Zielgruppe „Ehrenamtliche“ für Fundraiser
sicher eine Überlegung wert. Die detaillierten
Ergebnisse der GfK CharityScope können bei der
strategischen Planung eine wichtige Hilfe sein.
Der Autor
E rik L ämmerzahl
Erik Lämmerzahl ist Research Manager der GfK Panel Services.
Nach dem Studium der Betriebswissenschaften mit den Schwerpunkten
Marketing, Kommunikationswissenschaften und Internationale Wirtschaft
war er zunächst Vertriebsmitarbeiter bei der Dynamit Nobel Kunststoff
GmbH. Von 2000 bis 2007 arbeitete er für die Information Resources
Inc., zuletzt als Senior Consultant im Bereich Analytic Services. Seit April
2007 ist Lämmerzahl für die GfK AG tätig und verantwortet das GfK
DirektMarketing Panel und den Bereich GfK CharityScope.
E-Mail: [email protected]
Mitarbeit: Burkhard Winz, Senior Specialist, GfK Panel Services
GfK CharityScope = Marktforschung und Beratung für Non-Profit- Organisationen.
10.000 repräsentativ ausgewählte Deutsche tragen Monat für Monat ihre Geldspenden
in ein Tagebuch ein. Erfasst werden die begünstigte Organisation, die Höhe der Spende,
der Spendenanlass und viele weitere Details. Zweimal jährlich geben die Befragten
Auskunft über Art und Stundenbudget ihrer freiwilligen ehrenamtlichen Tätigkeiten
sowie über ihre Mitgliedschaft in Vereinen.
Die GfK Panel Services ist ein Bereich der GfK Gruppe in Nürnberg. Unser Kerngeschäft ist
die Marktforschung mit großen, kontinuierlich berichtenden Verbraucher-Stichproben
(Panels).
Freiwillige und Ehrenamt
56
Praxisbeispiel: DOSB
Freiw illiges Engagement i m
V ereinssport: ei ne „S pende“
der besonderen Art
von André Testrut und Markus Böcker
Höher, schneller, weiter – größer: Die Medien präsentieren den Hochleistungssport als faszinierendes
Ereignis. Er ist die weithin sichtbare Spitze des
Eisbergs, dessen Fundament aber nicht weniger
imposant ist: Rund 24 Millionen Menschen betätigen
sich allein in den deutschen Sportvereinen. Deren
Anziehungskraft beruht vor allem darauf, dass sie
weit mehr als Training und Turniere zu bieten haben:
Sie verbinden Fitness mit Freundschaft und sportliche
Erfolge mit selbstverantwortlichem Engagement, nehmen Menschen unterschiedlicher Kulturkreise und
Generationen mit auf eine integrative Reise zu mehr
Lebensfreude. Für eine bürgerschaftlich bewegte
Gesellschaft sind sie ein nicht zu unterschätzender
Standortfaktor. Um ihren umfassenden Beitrag
zugunsten von Gemeinschaft und Gemeinnutz zu
leisten, sind sie auf Mitspieler angewiesen, die sich
einbringen und Verantwortung übernehmen. Sie
brauchen eine starke Mannschaft Ehrenamtlicher
– vom Helfer bis zum Vorstand. Denn sie sind keine
Selbstbedienungsläden, ihr Angebot keine Ware
und die sozialen Beziehungen, die sie ermögli-
chen, keine Kosten-Nutzen-Verhältnisse. Als freiwillige Vereinigung sind sie vielmehr Ergebnis des
Gestaltungswillens ihrer Mitglieder. Deren Einsatz ist
eine Art aktiver Spende, ohne die Sportvereine nicht
existieren können.
So verstanden ist die Gewinnung und Bindung
Freiwilliger eine besondere Form des Fundraisings
– nicht zuletzt eine außergewöhnlich anspruchsvolle:
Lebenszeit ist das Kostbarste, das Menschen zu
„opfern“ haben und das sie nur zu geben bereit
sind, wenn sie ihr Engagement eben nicht vorrangig
als Opfer, sondern als bereichernde Tätigkeit erleben. Appelle an Hilfsbereitschaft und Pflichtgefühl
haben deshalb nur eine geringe Reichweite. Ob
ein Sportverein genügend Ehrenamtliche binden
kann, hängt vielmehr davon ab, wie attraktiv er
das Umfeld ihres Handelns gestaltet. Es ist eine
große Aufgabe, die der Vereinssport nicht allein
zu bewältigen vermag, denn viele Einflüsse liegen außerhalb seiner Reichweite, zum Beispiel der
rechtliche Rahmen, in den die Politik das Ehren­amt einbettet oder die Aufmerksamkeit, welche die
Freiwillige und Ehrenamt
57
Medien dem Alltag in den Sportvereinen wid­men.
Er braucht solche Unterstützung – und er verdient
sie auch, denn sie ist im Interesse aller: Will die
Gesellschaft die Bindungskraft des Breitensports
nicht preisgeben, müssen ihre Pro­tagonisten den
Sportvereinen zur Seite stehen. Dafür wirbt der
Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) als Dach­
organisation und Botschafter des deut­schen Sports
– und daran wirkt er selbst aktiv mit. Einerseits
regional differenziert über die ihm als Mitglieder
angehörenden Landessportbünde wie auch Kreisund Stadtsportbünde, die nicht zuletzt im konkre­
ten Einzelfall Vereinen praktische Hilfestellung
ge­ben, andererseits über zentrale Maßnahmen
und Kampagnen wie die Initiative „Danke! Sport
braucht dein Ehrenamt.“, die der DOSB seit 2001 in
Kooperation mit der Commerzbank betreibt.
Die Initiative verfolgt – flankiert von Aktionen zu
besonderen Themen – drei Ansätze, um den Sport­
vereinen günstige Rahmenbedingungen für die
Rekrutierung Freiwilliger zu verschaffen:
1.Das Internet-Portal ehrenamt-im-sport.de
Das Ehrenamts-Portal, ein Informations-Center für
(Sport-)Vereine, unterstützt die Führungskräfte mit
zahllosen praxisnahen Arbeitshilfen, die kleinen
und großen Herausforderungen zu meistern.
2.Der Preis „Pro Ehrenamt“
Der jährlich vergebene Förderpreis Pro Ehrenamt
appelliert an die Akteure in der Politik, der
Wirtschaft und den Medien, zu guten Bedingungen
für das Ehrenamt und die Ehrenamtlichen im
Sport beizutragen.
3.Das „Danke-Paket“
Das jährlich an rund 26.000 Vereinsvorstände
versandte Paket ist Ausdruck der Anerkennung
und Wertschätzung für ihren Beitrag. Es enthält neben anschaulichen und ansehnlichen
Arbeitsmaterialien vor allem eine Botschaft:
„Danke für Ihr Engagement!“
Wir denken weiter.
Zum Beispiel beim Fundraising.
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Freiwillige und Ehrenamt
58
Ehrenamts-Portal: Know-how
macht Lust auf Leistung
Der Ansatz des DOSB, die Gewinnung und Bindung
Freiwilliger nicht zuletzt durch Kompetenzvermittlung
im Ehrenamts-Portal zu fördern, wird nachvollziehbar, wenn man Bedürfnisse und Ziele Ehrenamtlicher
mit den Bedingungen abgleicht, unter denen sie sich
einsetzen.
1.Was Einsatzwillige sich wünschen
Trifft die „populäre“ Befürchtung zu, gesellschaftliche Solidarität und gemeinnütziges Handeln
blieben auf der Strecke, weil Individualisierung
die gemeinsame Basis erodieren lasse? Der
„Freiwilligensurvey“, die umfassendste und detaillierteste quantitative Untersuchung zum bürgerschaftlichen Engagement in Deutschland, beweist
mit beeindruckenden Zahlen das Gegenteil: Gut
ein Drittel der Bevölkerung übernimmt allein
in den Vereinen und Verbänden freiwillig
Verantwortung, ein weiteres Drittel in Initiativen
und Projekten. Die Quote ist nicht etwa rückläufig, sondern stieg zwischen den Erhebungen
von 1999 und 2004 sogar leicht an. Von dieser
Einsatzbereitschaft profitiert der Sport an erster
Stelle: Mit einem Anteil von elf Prozent an der
Bevölkerung bildet er den größten FreiwilligenSektor in Deutschland. Es kann also keine Rede
davon sein, dass ehrenamtliche Mitwirkung als
verstaubtes Ritual gilt: Viele verstehen sie als eine
moderne Chance, sich sinnvoll einzubinden und
sich im Handeln für andere selbst zu verwirklichen. Aus diesem Verständnis ergeben sich weit
reichende Folgen für das Freiwilligenmanagement
in den Sportvereinen: Mit Ämtern und Ehre
allein ist heute wenig zu erreichen. Worauf es
vielmehr ankommt, sind Rahmenbedingungen,
die Gemein- und Eigennutz auf einen Nenner
bringen: Potenzielle Freiwillige sind vor allem
durch konkrete Ziele zu motivieren, die ihnen
die zupackende Mitarbeit wert sind. Mit Vorliebe
dort, wo sich die Gelegenheit bietet, für Beruf und
Privatleben nützliche Erfahrungen und Kenntnisse
zu gewinnen. Sie lassen sich gern herausfordern
und engagieren sich ernsthaft, doch dürfen Spaß
und Erfolgserlebnisse nicht zu kurz kommen.
2.Womit sich Engagierte konfrontiert sehen
Dieser Ausschnitt an Erwartungen weist auf eine
zentrale Erfolgsbedingung für die Rekrutierung
Ehrenamtlicher hin: Die Vereine dürfen sie fordern, aber nicht überfordern. Was leichter gesagt
als getan ist, betrachtet man die verzwickten
Herausforderungen, die sich vor allem den ehrenamtlichen Führungskräften in den Sportvereinen
stellen. Das Ziel, mit minimalen Mitteln ein
Optimum an Leistung zu schaffen, ist in einem
wirtschaftlichen und rechtlichen Umfeld, das sich
zunehmend schneller und selten zum Besseren
verändert, immer schwerer zu verwirklichen:
• Das wachsende kommerzielle Sportangebot
erschwert die Mitgliedergewinnung und
-bindung und droht – wie auch die tendenziell
nachlassende Unterstützung der Kommunen
– die Leistungsfähigkeit der Vereine zu schwächen.
• Steigende Ansprüche an die Qualität
und Quantität ihrer Sportangebote und
Dienst­­­­­leistungen zu befriedigen, während
gleich­zeitig die Kassenstände fallen, for­
dert den Verantwortlichen fundierte Ma­­na­
ge­­mentkompetenzen ab, zum Bei­spiel für
die Sponsorengewinnung und Mit­glieder­
werbung oder wenn sie Koopera­tio­nen eingehen, um wichtige Ver­einsziele zu verwirklichen, die mit eigenen Mitteln nicht (mehr)
machbar sind.
• Im Spannungsfeld zwischen der Konsu­men­
ten­­­haltung von Mitgliedern und den vielfältigen Angeboten für ehrenamtliches Mit­
wirken im „Freiwilligen-Markt“ benötigen die
Sportvereine neue, attraktive Konzepte für das
Ehrenamt.
Freiwillige und Ehrenamt
59
• Gesellschaftliche Erwartungen an die sozialen
Funktionen der Sportvereine, zum Beispiel in
der Jugend- und Integrationsarbeit, nehmen
in dem Umfang zu, in dem der Staat sich aus
diesen Aufgabenfeldern zurückzieht.
Die Führungskräfte der Vereine geraten
dabei leicht in die Zwickmühle: Ungeachtet
der wachsenden Komplexität erwarten
Mitglieder und Partner von ihnen, dass
sie Probleme schnell lösen und Potenziale
konsequent ausschöpfen. Dazu müssen sie
häufig Entscheidungen treffen, die nicht
nur den Verein, sondern auch sie selbst auf
unbekanntes Terrain führen.
3.Die Konsequenz: Hilfe zur Selbsthilfe
Stellt man die Bedürfnisse den Bedingungen
gegenüber, wird deutlich, welches Problem
die Gewinnung und Bindung Freiwilliger
vor allem erschwert: Die berechtigte Furcht
oder die Erfahrung, den Anforderungen nicht
gewachsen zu sein. Sie sehen sich ähnlichen
Herausforderungen wie Managementprofis
gegenüber, doch häufig ohne eine entsprechende Ausbildung absolviert zu haben.
Nicht zuletzt hier setzt der DOSB mit der
Commerzbank als Partner an: Sie haben in der
gemeinsamen Initiative ihre sportpolitischen und
wirtschaftlichen Kompetenzen verknüpft, um
Verantwortungsträgern im Internet-Portal ehrenamt-im-sport.de zugleich Orientierungshilfe zu
bieten und ein professionelles Instrumentarium
für die Entwicklung von Strategien und die
Bewältigung von Alltagsarbeiten zur Verfügung
zu stellen. Zu den Instrumenten, die das
Portal als interaktiver Werkzeugkasten bereit
stellt, gehören unter anderem umfangreiche
Beiträge zum Vereinsmanagement von A wie
Anerkennung ehrenamtlichen Engagements bis
Z wie Zielsetzungen für die Vereinsentwicklung,
mehr als zweihundert Checklisten, Schriften­
reihen zu Schwerpunktthemen und eine Online-
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Freiwillige und Ehrenamt
60
Vereinsanalyse, die schnellen Aufschluss über
den Status quo und attraktive Handlungsfelder
gibt. So unterschiedlich die Arbeitshilfen im
Einzelnen sind, besitzen sie doch einen gemeinsamen Fokus: Ehrenamtliche Führungsspieler
in die Lage zu versetzen, die anspruchsvollen
Planungs- und Umsetzungsaufgaben zu meistern. Sie sind einerseits Hilfe in der Sache,
andererseits ein Beitrag zum persönlichen
Erfolg der Freiwilligen, der – als Aussicht oder
Erlebnis – einen der stärksten Beweggründe
für die Übernahme von Verantwortung bildet.
Wie sehr solche Unterstützung benötigt wird,
zeigt die Nutzerentwicklung der vergangenen
Jahre: Allein zwischen Januar 2005 und
Januar 2007 hat sich die Zahl der Portalaufrufe
auf rund 65.000 monatlich verdreifacht.
Pro Ehrenamt:
Ein Zeichen geteilter Ver­antwortung
Die Kultur der Mitverantwortung in Deutschland
zu pflegen, ist nicht nur Sache der Bürger selbst,
sondern obliegt auch Organisationen und
In­stitutionen: Ihr Beitrag ist nicht nur eine Frage
der Ethik, sondern auch des Erfolgs, denn ein funktionierendes Gemeinwesen dient auch ihren Zielen
und Interessen. Vor diesem Hintergrund verleihen
DOSB und Commerzbank in Kooperation mit dem
Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement
(BBE) den Preis Pro Ehrenamt an Institutionen
und Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und
Medien für ihren zupackenden Einsatz zugunsten des Ehrenamts im Sport. Seit 2001 jährlich
am 5. Dezember, dem Internationalen Tag des
Ehrenamts, vergeben, würdigt der Preis einerseits
die Preisträger und appelliert andererseits an
andere, ebenfalls zu einem günstigen Umfeld für
freiwilliges Engagement in Sportvereinen beizutragen. Denn es steht nicht weniger als die Existenz
des Breitensports mit all seinen positiven gesellschaftlichen Effekten auf dem Spiel.
Danke-Paket: Ehre, wem Ehre gebührt!
Der dritte Ansatzpunkt, den DOSB und Commerz­
bank im Rahmen ihrer Initiative verfolgen, ist die
Wertschätzung, die Ehrenamtliche verdienen.
Ihr Einsatz darf und soll auch eine persönliche
Bereicherung sein – selbstverständlich ist er deshalb aber nicht: Er verlangt vielmehr ausdrückliche
Anerkennung! Sie den Mitstreitern zu bezeugen, zählt zu den vorrangigen Aufgaben der
Vereinsführung, die das Ehrenamts-Portal wieder­
kehrend thematisiert. Doch auch den Führungsspie­
lern selbst gebührt natürlich Anerkennung. Die
Koope­ra­tions­­partner zollen sie ihnen mit dem jährlich an die Vorstände von Sportvereinen adressierten Danke-Paket, das Arbeitshilfen in attraktiver
Gestaltung enthält, zum Beispiel Jahreskalender
zu Schwerpunktthemen mit eigens entwickelten
Illustrationen. Die Kooperationspartner praktizieren
mit der Aussendung also selbst, was sie den Vereinen
als Führungsgrundsatz empfehlen: Anerkennung
ist ein wichtiger Erfolgsfaktor für die Rekrutierung
Freiwilliger. Er „honoriert“ Engagement statt mit
materieller Kompensation mit weit wirksameren
Gesten zwischenmenschlicher Aufmerksamkeit.
Das „neue Ehrenamt“ – ein Fazit
Wenn von der Zukunft Deutschlands die Rede
ist, wird die Bürgergesellschaft zum Thema. Die
Republik braucht den Einsatz des Einzelnen, denn
die vielfältigen gesellschaftlichen und sozialen
Freiwillige und Ehrenamt
61
Handlungsfelder vermag der Staat längst nicht
mehr alleine zu bestellen. Je stärker er sich auf
die Kernbereiche politischen Handelns beschränkt,
desto wichtiger wird bürgerschaftliches Engagement.
Es generiert ein unschätzbares und unverzichtbares soziales Kapital, das insbesondere in den
Kommunen als kultureller Aktivposten wirksam wird.
Das Ehrenamt ist deshalb aktueller und wichtiger
denn je, auch im Vereinssport. Und es hat Zukunft,
wie der Freiwilligensurvey enthüllt: 21 Prozent
der jungen Mitglieder in Sportvereinen, die noch
kein Ehrenamt ausüben, könnten sich vorstellen,
Mitverantwortung zu übernehmen. Um sie, aber
auch andere Zielgruppen – zum Beispiel ältere
Menschen, die berufliche Verpflichtungen hinter
sich, aber noch viel Leben, das gestaltet werden
will, vor sich haben – für das Ehrenamt zu gewinnen, müssen die Vereine es zeitgemäß als aktive
und selbstverantwortliche Teilhabe definieren und
einen Rahmen schaffen, der Einsatzwillige motiviert.
Auf sich allein gestellt, wären sie damit überfordert. Mit dem Ehrenamts-Portal, dem Preis Pro
Ehrenamt und dem Danke-Paket als den herausgehobenen Maßnahmen der Initiative, setzt der
DOSB mit Unterstützung der Commerzbank dort
an, wo sich in der Vereinspraxis die kritischen
Faktoren zeigen, die über die Anziehungskraft
des Ehrenamts und die Rekrutierung Freiwilliger
entscheiden.
Die Autoren
A ndr é Tes t ru t
André Testrut ist zertifizierter PR-Berater und Wirtschaftsmediator. Nach
Stationen im Marketing und der Öffentlichkeitsarbeit verschiedener
Unternehmen machte sich der Volljurist 2003 mit einer Agentur selbstständig. Seit 2004 ist er als Projektkoordinator für die Planung und
Durchführung der Initiative von DOSB und Commerzbank verantwortlich.
E-Mail: [email protected]
M ar k us B öc k er
Markus Böcker ist Diplom-Sportlehrer und Journalist. Seit 2000 verantwortet der gebürtige Kölner die Internetaktivitäten des Deutschen Olympischen
Sportbundes (DOSB) im Bereich Medien und Öffentlichkeitsarbeit. Seit
2001 leitet er darüber hinaus die Initiative „Danke! Sport braucht dein
Ehrenamt.“ von DOSB und Commerzbank.
E-Mail: [email protected]
Freiwillige und Ehrenamt
62
Praxisbeispiel: Malteser
Weil Nähe zählt – Auf der Suche
nach Ehrenamtlichen
von Anja Remmert
„In einer an menschlichen Kontakten und Be­­
zie­hungen immer ärmer werdenden Gesellschaft
muss menschliche Nähe die Antwort der Malteser
sein“, so Dr. Constantin von Brandenstein-Zeppelin,
ehrenamtlicher Präsident des Malteser Hilfs­
dienstes.
Aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen wird
es eine immer größere Herausforderung für
die Malteser, neue Freiwillige zu gewinnen, die
bereit sind, verantwortungsvolle Aufgaben zu
übernehmen. Vor diesem Hintergrund hat die
Organisation ein Aktionsjahr zur Gewinnung
neuer Ehrenamtlicher unter dem Titel „2008
Malteser gewinnen“ ausgerufen, das dieser Artikel
vorstellt.
Gesellschaftliche Veränderungen
Es sind unterschiedliche Bereiche, die bei der
Betrachtung gesellschaftlicher Veränderungen
im Bezug auf das Ehrenamt interessant werden – vor allem Themen wie Individualisierung,
Veränderungen in der Sozialstruktur Deutschlands
sowie technologische Entwicklungen spielen hier
eine Rolle.
Der Prozess der Individualisierung geht einher
mit der Industrialisierung und Modernisierung der
westlichen Gesellschaften. Aufgrund dieser Indivi­
dualisierungstendenzen haben traditionelle Muster
sozialer Eingebundenheit in familiäre Systeme
entweder an Existenz oder an Funktion verloren.
Somit steigt auf der einen Seite die Notwendigkeit
sozialer Organisationen, die diese Funktionen
auffangen – die Integration von Personen in eine
Gruppe beispielsweise oder das Erlernen der
heute so wichtigen „soft skills“. Andererseits kann
aber auch genau diese gesellschaftliche Individua­
lisierungstendenz für den Rückgang ehrenamtlichen
Engagements verantwortlich gemacht werden. Die
Auswirkungen dieser Tendenz werden vor allem in
den Veränderungen der Personalstruktur und dem
Wandel in der Lebens- und Arbeitswelt deutlich,
die an anderer Stelle noch zur Sprache kommen.
Einhergehend mit der Individualisierung ist eine
zunehmende Differenzierung und Pluralisierung
Freiwillige und Ehrenamt
63
der Lebensstile wahrzunehmen. Ein gutes Beispiel
hierfür ist der Vergleich zwischen früher und heute
im Bezug auf die möglichen Lebensformen: Früher
konnte man entweder ledig, verheiratet oder verwitwet sein. Heute gibt es deutlich mehr Formen
des Zusammen- oder Getrenntlebens – das früher fast undenkbare „geschieden“ ist inzwischen
Bestandteil der gesellschaftlichen Normalität.
Hinzu kommen unterschiedliche Lebensstile, die
von traditionell über modern bis hin zu „trendsetzend“ reichen.
Zudem klagen Kirchen zunehmend über den
Verlust ihres Einflusses. Die von der Gesellschaft
geforderte Mobilität in geographischer, kultureller und beruflicher Hinsicht führt zu einer
Enttraditionalisierung und der Auflösung einheitlicher Weltbilder. Bezog sich das Weltbild noch
Anfang des 20. Jahrhunderts im Wesentlichen auf
christliche Werte, beeinflussen heute unterschiedlichste Philosophien und neue Erkenntnisse in der
Wissenschaft das Weltbild einer jeden Person.
Als weiterer Beobachtungspunkt sticht der demographische Wandel hervor, da seine Wirkungen
besonders die Bereiche Soziale Dienste und
Gesundheitswesen beeinflussen.
Die demografische Entwicklung zeigt einen immer
deutlicheren Zuwachs an älteren Menschen, insbesondere durch die steigende Lebenserwartung
und durch den Geburtenrückgang. Diese demografischen Veränderungen wirken sich auf
Non-Profit-Organisationen aus: Um den in
Zukunft nachgefragten Umfang an Hilfs- und
Dienstleistungen erbringen zu können, wird insgesamt mehr Personal erforderlich sein. Da die
Geburtenrate in den vergangenen Jahrzehnten
zurückgegangen ist und sich dieser Trend fortsetzt,
wird die Zahl der jüngeren Bevölkerungsmitglieder
abnehmen. Damit scheint ein Engpass an akquirierbarem Personal vorprogrammiert, so dass
soziale Organisationen untereinander oder mit
erwerbswirtschaftlichen Organisationen um engagiertes Personal konkurrieren werden.
Ein weiterer Punkt ist im Zusammenhang mit
ehrenamtlichem Personal wichtig: Während die
Anzahl der potenziellen Ehrenamtlichen im jungen Alter sinkt, nimmt für alle Altersgruppen das
Freizeitangebot zu. Die Organisationen – egal in
welchem Segment – stehen jetzt und erst recht in
1 Weber, Max. 1972. Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss
der verstehenden Soziologie. Tübingen: J.C.B. Mohr
Zukunft im Wettbewerb mit vielen Freizeitange­bo­
ten sowie den modernen Medien wie Fernsehen,
digitale Spiele und Internetnutzung.
Die Veränderungen aufgrund von Individualisie­
rungsprozessen und innerhalb der Sozialstruktur
bewirken also mittelbar und unmittelbar Ver­
änderungen in einer Komponente, die für das
Handeln von Non-Profit-Organisationen ausschlaggebend ist: dem Ehrenamt. Kurz gesagt:
Die Nachfrage nimmt zu, während das Angebot
abnimmt. Wie kann man also mehr Menschen
motivieren, sich für den guten Zweck zu engagieren?
100
90
80
70
Männer
60
50
Frauen
40
30
20
10
600
Tausend
300
0
300
Tausend
Abb.: Altersstruktur Deutschland im Jahr 2050.
(Quelle: Statistisches Bundesamt 2005)
Das markante Charakteristikum ehren­amtlich
Tätiger ist, dass sie: „kraft ihrer ökonomischen
Lage imstande sind, kontinuierlich nebenberuflich
in einem Verband leitend und verwaltend ohne
Entgelt oder gegen nominales oder Ehren-Entgelt
1
tätig zu sein […]“ (Weber 1972, S. 170). Die
Frage nach der Motivationsstruktur der ehrenamtlich Tätigen ist eine der wichtigsten Fragen
für das Malteser-Projekt. Und auch hier hat sich
einiges verändert: Früher ging man davon aus,
dass sich freiwillig Tätige aus rein intrinsischer
Motivation engagierten. „Stand früher die altruistische Haltung des Helfens im Vordergrund,
600
Freiwillige und Ehrenamt
64
werden nunmehr weitergehende Anforderungen
an das unbezahlte Engagement gestellt. Im
Rahmen post-materieller Wertorientierung soll
das unbezahlte Engagement – auch oder vor
allem – der eigenen Selbstverwirklichung dienen. Selbstbestimmung und Selbstorganisation der
Arbeit spielen dabei eine immer wichtigere Rolle.“
2
(Höflacher 1998, S. 55). Problemorientierung,
Selbstsicherheit und Anerkennung „sowie seinen sozialen Status zu stabilisieren sind oftmals
entscheidende Beweggründe, sich freiwillig zu
engagieren“. Dadurch wird nicht zuletzt auch das
„Ego“ gestärkt.
Es zeichnet sich bereits ab, dass der persönliche
Nutzen innerhalb der Motivationsstruktur der
Ehrenamtlichen stark an Bedeutung gewonnen
hat. Die „individuelle Kosten-Nutzen-Rechnung
hat die Zugehörigkeit zu sozialen Milieus
oder das beruflich ‚verlangte’ Engagement als
Motivationsgrundlage an den Rand gedrängt“
3
(Luthe und Strünck 1998, S. 155). Daraus kann
man schließen, dass sich Freiwillige bewusster
und zielgenauer engagieren, um den individuellen
Nutzen zu maximieren. Aus dieser Motivation
heraus kann sich schließlich auch die Qualität des
Engagements verbessern.
Diese „neuen Ehrenamtlichen“ pflegen den
Wunsch, etwas zu lernen, ihre Kompetenzen zu
erweitern und neue Erfahrungen zu sammeln.
Das ist eine neue Herausforderung für NonProfit-Organisationen, die bislang noch nicht
mit derartigen Kosten-Nutzen-Konzepten seitens
der aktiven Helfer konfrontiert waren. Aufgrund
dieser neuen Tätigkeitsmotivation identifizieren
sich die Freiwilligen nicht mehr so stark mit der
Organisation, für die sie tätig sind, sondern mehr
mit den Arbeitsinhalten und Ergebnissen.
Von einer qualitativen Steigerung der ehrenamtlichen Tätigkeit kann jedoch nicht zwingend auf
eine Steigerung der Quantität geschlossen werden. Die oben aufgezeigten Motivverlagerungen
haben vielmehr zur Folge, dass „sich die meisten
‚neuen Ehrenamtlichen’ nicht mehr vorbehaltlos
einer Organisation zur Verfügung stellen, sondern
einem Projekt oder Thema, und das meist nicht auf
3
Dauer“ (Luthe und Strünck 1998, S. 164). Genau
diese Tatsache bedeutet folglich eine zusätzliche
Herausforderung für die Organisationen, die die
zeitliche Einbindung von freiwillig Tätigen nun
überdenken müssen.
Schließlich spielt die „biographische Passung“ des
Engagements in der Lebenswelt des Agierenden
eine nicht unwesentliche Rolle. Im Kontext der
Veränderungen in der Lebens- und Arbeitswelt
ist nachvollziehbar, dass das regelmäßige
Engagement vom unregelmäßigen überflügelt
wird, denn auf diese Weise lässt sich, je nach
Lebenssituation, die freiwillige Tätigkeit in den
Lebensbereich einbetten oder eben in ungünstigen
Situationen vernachlässigen. Demzufolge müssen
sich Organisationen auf ein zum Teil unregelmäßiges Engagement einstellen und entsprechende
Möglichkeiten hierfür sowie auch für die Stabilität
der Angebote entwickeln.
2 Höflacher, Stefan. 1998. "Wird ehrenamtliche Tätigkeit im Nonprofit-Sektor durch zunehmende Professionalisierung verdrängt?" Pp. 51 - 64 in
Modernisierungsdruck in Nonprofit-Organisationen., edited by D. Witt, E.-B. Blümle, R. Schauer, and H. K. A. (Hrsg.). Wiesbaden: Gabler.
3 Luthe, Detlef and Christoph Strünck. 1998. "Diversifizierte Barmherzigkeit. Organisationsformen freiwilligen Engagements im Strukturwandel." in NonprofitOrganisationen im Wandel. Ende der Besonderheiten oder Besonderheiten ohne Ende?, edited by N.-O. Arbeitskreis. Stuttgart / Berlin / Köln: Kohlhammer.
Freiwillige und Ehrenamt
65
Fasst man die bisherigen Überlegungen zusammen, wird klar, dass sich der Anspruch und die
Möglichkeiten von potenziellen Ehrenamtlichen im
Wesen verändert haben. Entsprechend muss auch
die Suche nach Ehrenamtlichen anders gestaltet
werden, wenn man ihre Motivation ansprechen
und sie für ein unentgeltliches Engagement gewinnen will.
Mitmachen überzeugen können. Stellt sich allein
die Frage: Wie und wo finden diese Gespräche
statt? Das Projekt „2008 Malteser gewinnen“
setzt an dieser Stelle an, verbindet die zentralen
Fragestellungen („Wo und wie finde ich neue
Ehrenamtliche?“, „Was sind die Erfolgsfaktoren
in anderen Orten?“) und schlägt kommunikative
Brücken zwischen den suchenden Akteuren.
Ideen austauschen – Erfahrungen
multiplizieren
Die Suche nach neuen ehrenamtlichen Mitstreitern
muss sich also neu orientieren. Mit dieser
Erkenntnis alleine sind jedoch noch keine neuen
Ehrenamtlichen für das Engagement gewonnen.
Daher haben die Malteser eine Aktion gestartet,
die auf dem Austausch und der Multiplikation von
Ideen basiert. Der Ansatz liegt im klaren Fokus
nach innen. Großflächenplakate sind weder zielführend noch können sie den Charakter des lokalen Ehrenamtes darstellen. Die Erfahrungen zeigen,
dass die Malteser in persönlichen Gesprächen vom
Probleme
In vielen Gruppen der Malteser gibt es einen
hohen Bedarf an zusätzlichen Ehrenamtlichen, um
Angebote wie Ausbildung, Sanitätsdienst, Malteser
Jugend oder Besuchs- und Begleitungsgruppen
auch in Zukunft vorhalten oder ausbauen zu
können. Es gibt bereits zahlreiche Gruppen,
die vor dem oben erläuterten Hintergrund gute
und erfolgreiche Ideen oder Ansätze entwickelt
haben. Allerdings ist das Wissen darüber nicht
allgemein verfügbar und nur punktuell eingesetzt.
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Erfahrungen führt zu einem Synergieeffekt bei der
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Freiwillige und Ehrenamt
66
Ehrenamtsgewinnung und schafft Raum für weitere Innovationen.
Darüber hinaus haben die Führungskräfte
Schwierigkeiten, die sich in wesentlichen Zügen
ähneln. Beispielsweise gestalten sich die Suche und
das Gewinnen von ehrenamtlichen Projektleitungen
sehr schwierig, oder es finden sich Interessierte,
die nun erfolgreich in die Aufgabenbereiche und
in die Gruppe integriert werden müssen. Zudem
werden Helfer häufig unabhängig vom Bedarf
gewonnen und die strategische Weiterentwicklung
der einzelnen Bereiche vor Ort wird nicht ausreichend bedacht.
Hilfestellung aus der Praxis
für die Praxis
Das Projekt „2008 Malteser gewinnen“ fokussiert
die Hilfestellung aus der Praxis für die Praxis und
spricht alle aktiven Malteser an, sich hier einzubringen. Das Generalsekretariat bietet hierzu
unterschiedliche flankierende Unterstützungen:
• Arbeitshilfe zur Gewinnung
neuer Ehrenamt­licher
Bevor gezielt neue Ehrenamtliche für bestimmte
Tätigkeitsfelder gesucht werden, ist eine Stand­
ortanalyse der erste Schritt: Wer wird für welche
Aufgabe gesucht und welche Anforderungen
muss der potenzielle Ehren­amtliche erfüllen?
Anschließend werden hier­aus Maßnahmen abgeleitet, z.B. eine Stellen­anzeige für ein Ehrenamt
oder ein In­­formations­abend für bestimmte
Zielgruppen. Eine Arbeitshilfe stellt den Füh­
rungskräften eine strategische Standort­analyse
und die daraus folgende Maßnahmenplanung
zur Verfügung. Erklärungen und Fragen geben
Orientierung und werden durch Checklisten
ergänzt. Diese Arbeitshilfe steht seit Juni 2007
für alle Malteser bereit, damit sie bedarfs­
orientiert Maßnahmen zur Gewinnung neuer
Ehrenamtlicher vor Ort selbst entwickeln und
erfolgreich umsetzen können.
• Online-Ideendatenbank zur Gewinnung
neuer Ehrenamtlicher
Zahlreiche Ideen zur Gewinnung Ehrenamtlicher
werden derzeit in der Praxis entwickelt und
um­gesetzt. Um diese auch anderen Gruppen
und Gliederungen zur Verfügung zu stellen, hat
das Generalsekretariat eine Wissensdatenbank
erstellt. Diese steht seit Juni 2007 allen
Ehrenamtlichen zur Verfügung und enthält
eine Vielzahl von praktischen, erfolgreichen
Ideen und Anregungen, neue Ehrenamtliche
zu gewinnen. Mit der Veröffentlichung dieser Austauschplattform sind alle Malteser
aufgefordert, ihre innovativen Ideen in die
Online-Datenbank einzupflegen. Ziel ist der
Austausch und die Weiterentwicklung der
Ideen: Wissensinseln werden vernetzt, so dass
„das Rad nicht allerorts neu erfunden werden
muss“.
Neben den Ideen der Malteser Gruppen enthält die Datenbank allgemeine Informationen
zum Thema Ehrenamt und macht auf aktuelle Trends aufmerksam. Zum Teil sind hier
auch Anregungen zur Umsetzung angegeben, die insbesondere die oben beschriebenen
Veränderungen im Ehrenamt berücksichtigen.
• Werbemittel
Oft wird im Zusammenhang der Helferge­
winnung seitens der Gruppen und Gliederungen
der Ruf nach Großflächenplakaten oder sonstigen bundesweiten Werbeaktionen laut. Mit
solchen Medien kann man für einen begrenzten
Zeitraum sicherlich eine gewisse Aufmerksamkeit
erzielen. Doch dauerhafte Erfolge, geschweige
denn eine nennenswerte Anzahl neuer Malteser
werden dadurch wahrscheinlich nicht erreicht.
Denn Helfer – so die feste Überzeugung der
Malteser – werden nur durch bereits motivierte
Helfer gewonnen oder angesteckt, und das
ganz konkret vor Ort.
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Freiwillige und Ehrenamt
68
Die aktiven Ehrenamtlichen und Führungskräfte
in den Gliederungen sollen ermutigt werden,
aktiv auf die Suche nach neuen Ehrenamtlichen
für ihre Gliederung zu gehen und dabei neue
Wege zu beschreiten, Ideen und Erfahrungen
zu sammeln und diese weiterzugeben. Dafür
bietet das Projekt „2008 Malteser gewinnen“
unterstützende Materialien und Werbemittel
sowie andere Hilfestellungen an. Hierzu zählen unter anderem Plakate, Postkarten, Riesen­
luftballons und Flyer, die zur Gewinnung neuer
Ehrenamtlicher unterstützend eingesetzt werden
können.
• Anreize
Als besonderer Anreiz zum Mitmachen und
Ideenentwickeln sind Preise für neu gewonnene
Ehrenamtliche ausgeschrieben. Mitmachen
können alle Malteser Gliederungen, die neue
Engagierte gewonnen haben und mit einer
Postkarte an einer Verlosung teilnehmen. Vom
Präsidium des Malteser Hilfsdienstes werden
die innovativsten oder kreativsten Ideen zudem
mit Sonderpreisen auf der Bundesversammlung
im Sommer 2008 geehrt.
Bei den Anreizen legt die Organisation besonderen Wert auf die Gemeinschaftspflege und
-förderung und stellt einen Bezug zu den
Maltesern her. So erhält die Siegergruppe
beispielsweise eine Gruppenreise zu den historischen Wurzeln der Malteser. Als weitere Preise
sollen Warengutscheine für Dienstbekleidungen
oder ein einmaliger Zuschuss für ein Helferfest
ausgeschrieben werden. Dieses gruppendynamische Anreizsystem dient der Integration der
neuen Ehrenamtlichen in ihre Gruppe.
• Workshop zur Gewinnung
neuer Ehren­amt­licher
Mit Blick auf die oben dargelegten Anforde­
rungen hat das Generalsekretariat zur För­
derung des Ehrenamtes einen Workshop entwickelt, der den Teilnehmern eine Anleitung
zur strategischen Helfergewinnung gibt und
die Veränderungen im Ehrenamt thematisiert.
Der Fokus des Workshops liegt zum einen auf
der strategischen Standortanalyse und zum
anderen auf der Entwicklung von gewinnen­
den Maßnahmen, die anschließend in den
Gliederungen umgesetzt werden können. Viele
der Teilnehmer erkennen im Workshop, dass
ein Umdenken notwendig ist, um neue Ehren­
amtliche zu gewinnen. Andere wiederum
haben dies bereits erkannt und teilen ihre
Er­fahrungen. Somit findet ein sehr praxisorientierter Austausch untereinander statt, der in
der Regel wieder neue Ideen und Netzwerke
produziert.
• Angebot: Unterstützung vor Ort
Die Arbeitshilfe zur Gewinnung neuer
Ehrenamtlicher regt die Standortanalyse für
Gruppen und Gliederungen an und begleitet
sie mit gezielten Fragestellungen. Erfahrene
Ehrenamtliche aus anderen Gliederungen bieten
darüber hinaus eine persönliche Hilfestellung in
der Umsetzung dieser Leitfragen an und fungieren so als Multiplikatoren. Sie beraten vor
Ort im Prozess, stützen die Umsetzung der
geplanten Maßnahmen und geben zahlreiche
Beispiele aus dem Ideenpool, die dann gemeinsam an die lokale Situation angepasst werden.
Freiwillige und Ehrenamt
69
Erste Erfolge des Aktionsjahres
„2008 Malteser gewinnen“
Seit der Einführung dieser Angebote steigen die
Mitgliedszahlen mehr als im Vorjahr. In Gesprä­
chen mit Ehrenamtlichen und Führungskräften wird
deutlich, dass die strategische Auseinandersetzung
mit dem Thema „Helfergewinnung“ mehr Raum
gefunden und an Bedeutung vor Ort gewonnen hat. Hervorzuheben ist das Engagement,
mit dem die Malteser Erfahrungen austauschen
und im Dialog neue erfolgreiche Ideen entwickeln. Zudem war bislang vielen Führungskräften
– besonders jenen, die seit jeher mit viel Herzblut
engagiert sind – nicht bewusst, dass das „neue
Ehrenamt“ neue Anforderungen an die ehrenamtlichen Tätigkeiten stellt. Sie müssen lernen, die
Anreize des Ehrenamtes ins Licht zu stellen und
Vorteile deutlich zu formulieren, schließlich geht
ehrenamtliches Engagement über die unentgeltliche Arbeit hinaus. Ehrenamtliche lernen nicht
nur in sachlichen Bereichen, wie beispielsweise Projektmanagement. Teamfähigkeit, Umgang
mit schwierigen Situationen, Zugang zu anderen
sozialen Milieus und Führungserfahrung prägen
das Lernfeld im Ehrenamt, das zudem ein umfangreiches soziales Netzwerk bietet.
Gemessen werden die Erfolge zum einen anhand
der Mitgliederzahlen und zum anderen an der
Anzahl der eingesendeten Verlosungskarten.
Startete das Aktionsjahr zunächst mit mäßigen
Zunahmen, verzeichnet die Aktion nunmehr sehr
starken Zuwachs und großes Interesse. „2008
Malteser gewinnen“ ist zum Thema Nummer Eins
innerhalb der Organisation geworden und wird
nach Ablauf des Aktionsjahres auch weiterhin in
den Gliederungen zur Sprache kommen.
… erfolgreich sein und (ein-)binden
Ist die Gewinnung eines neuen Ehrenamtlichen
geschafft, beginnt eine strukturierten Einführung,
die zum Erfolg seiner Arbeit beitragen soll. Neu
bei den Maltesern zu sein, geht einher mit dem
Kennenlernen eines neuen Vereins. Die vielfältigen Möglichkeiten, die sich im ehrenamtlichen
Bereich anbieten, kann kaum ein neues Mitglied
zu Beginn überschauen. Es bieten sich zahlreiche
Optionen im sozialen Ehrenamt wie beispielsweise
der Hospizarbeit ebenso wie in medizinischen
Bereichen, z.B. im Sanitätsdienst oder der Erste
Hilfe Ausbildung. Lokal werden darüber hinaus
neue Projekte gefördert. Das Aufgabenspektrum
reicht von einem Malteser Café für Senioren bis
zur Aufnahme von Unternehmenskooperationen,
für die jeweils projektorientiert neue Ehrenamtliche
gesucht werden.
Um den neuen Mitgliedern den Einstieg ins
Ehrenamt wesentlich zu erleichtern, legen die
Malteser wert auf eine strukturierte Einführung.
Während der ersten Monate lernen die neuen
Mitglieder den Verband mit all seinen Facetten
kennen, erfahren viel über die Wurzeln, das
Selbstverständnis und natürlich auch die wichtigsten Regeln im Umgang mit bedürftigen Personen.
Es versteht sich fast von selbst, dass zu den ersten
Ausbildungen ein Kurs in Erste Hilfe dazu gehört.
Zur Seite steht den Ehrenamtlichen in der Regel ein
Pate, der sich vor Ort in den Strukturen auskennt
und als Ansprechpartner in den ersten Wochen
oder Monaten zur Verfügung steht. Erst nach
dem Kennenlernen einschließ­lich des Ein­führungs­
gesprächs und der anfänglichen „Schnupper­zeit“ nehmen die neuen Ehrenamtlichen an den
fach­lichen Ausbildungen teil und können sich
dann zielgerichtet für einen Fachbereich spezialisieren, um sich dort projektbezogen oder langfristig einzubringen.
Mit dieser strukturierten Einführung werden die
neuen Ehrenamtlichen einerseits willkommen
geheißen und andererseits lernen sie den Ge­samt­
verband kennen, um so besser entscheiden zu
können, in welchem Bereich sie sich mit welcher
Intensität einbringen möchten.
Freiwillige und Ehrenamt
70
Eine gute Grundlage für eine solche Entscheidung
ist wichtig, denn es gibt Bereiche, in denen
die Regelmäßigkeit des Engagements von gro­
ßer Bedeutung ist. Gerade im Besuchs- und
Begleitungsdienst werden enge persönliche
Kontakte zu den besuchten Personen aufgebaut.
Die Besuchten freuen sich immer sehr auf diese
regelmäßigen Gespräche. Anders als hier ist
es in anderen Bereichen möglich, sich je nach
Bedarf einzubringen. Beispielsweise können ausgebildete Sanitäter nach Absprache beliebig
viele Sanitätsdienste im Monat durchführen oder
bei Bedarf eine Pause einlegen. Vor diesem
Hintergrund ist für die Malteser die strukturierte
Einführung und Begleitung wichtig, damit jeder
neue Ehrenamtliche die Möglichkeit hat, sich das
passende Tätigkeitsfeld auszusuchen und sich
darin zu entfalten.
Die strukturierte Einführung versteht sich als flankierendes Angebot, nicht als Mittel zur Begeisterung
oder Motivation der Ehrenamtlichen. Denn wer
sich bei den Maltesern engagiert, wird in erster
Linie von der Gemeinschaft, der gemeinsamen
Hilfe für die Bedürftigen und der Bezeugung des
Glaubens begeistert sein.
Die Autorin
A nja R emmer t
Diplom-Soziologin (univ.) Anja Remmert, studierte an der Universität
Bamberg mit dem Schwerpunkt Organisationen; seit 2001 ehrenamtlich bei den Maltesern in den Bereichen Ausbildung und
Katastrophenschutz; seit 2006 als hauptamtliche Vorstandsassistentin
für den Bereich Ehrenamt im Malteser Hilfsdienst e.V. zuständig; seit
2007 Projektgeschäftsführung „2008 Malteser gewinnen“.
E-Mail: [email protected]
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