Politisches System Schweiz Politisches System Schweiz Vorlesung am Institut für Öffentliches Recht der Universität Bern Theoretische Grundlagen und ein internationaler Vergleich Prof. Dr. Andreas Ladner IDHEAP Lausanne Frühjahrssemester 2009 Andreas Ladner 1 Politisches System Schweiz Die Schweiz • Zentripetale Elemente (kulturelle Heterogenität) • Integrative Elemente (Neokorporatismus, Konkordanz) Andreas Ladner 2 Politisches System Schweiz Neokorporatismus Mit dem Begriff Neokorporatismus wird die Einbindung ("Inkorporierung") von organisierten Interessen in Politik und ihre Teilhabe an der Formulierung und Ausführung von politischen Entscheidungen bezeichnet. In Europa ist der Korporatismus vor allem in der Schweiz (Friedensabkommen 1937, GAVs, Vernehmlassungsverfahren, Parastaatliche Organisationen) und in den skandinavischen Ländern, seit Ende des Zweiten Weltkrieges auch in Deutschland, Österreich und den Niederlanden besonders stark ausgeprägt, während er etwa in Großbritannien oder in Frankreich, wenn überhaupt, nur eine untergeordnete Rolle spielt. Andreas Ladner 3 Politisches System Schweiz Konkordanz In der Konkordanzdemokratie sollen politische Konflikte über Verhandlungen und Kompromisse und nicht primär über politische Mehrheiten gelöst werden. Um den angestrebten Konsens unter den beteiligten Interessenparteien erreichen zu können, bedarf es teils äußerst komplizierter Vermittlungstechniken. Andreas Ladner 4 Politisches System Schweiz Konkordanz -> Power sharing • Föderalismus (zwischen den territorialen Einheiten) • Konkordanz (zwischen den Parteien) • Direkte Demokratie (zwischen den Bürgerinnen und den politischen Entscheidungsgremien) Andreas Ladner 5 Politisches System Schweiz Internationaler Vergleich Lijphart in seinem Buch Patterns of Democracy (1999) untersucht 36 Demokratien Unterscheidet zwischen Konsensus- und Mehrheitsdemokratie Er betrachtet zwei Dimensionen: „executives-parties“ und „federal-unitary“ Prüft Auswirkungen und Folgen dieser unterschiedlichen Demokratiemuster Andreas Ladner 6 Politisches System Schweiz Machtteilung im Inneren der Institutionen Andreas Ladner 7 Politisches System Schweiz Machtteilung zwischen den Institutionen Andreas Ladner 8 Politisches System Schweiz Mehrheitssystem: Grossbritannien Einparteienregierung, Mehrheitskabinette Vorherrschaft des Kabinetts über Parlament, sehr starker Prime Minister Zweiparteiensystem Mehrheitswahlsystem Pluralistisches Verbandssystem Zentralistischer Einheitsstaat Zwei Kammern, aber Oberhaus praktisch ohne Macht Verfassung flexibel Keine gerichtlichen Prüfungsmöglichkeiten Unabhängige Notenbank erst seit 1997 Andreas Ladner 9 Politisches System Schweiz Konsensmodell: Schweiz Grosse Koalition, Konkordanz, Zauberformel Gleichgewicht zwischen Exekutive und Legislative Multipartismus Proporzsystem Korporatistisches Verbandssystem Föderalismus Zwei gleichgewichtige Kammern Verfassung rigide Keine Verfassungsgerichtbarkeit, hier weicht die Schweiz vom Idealtyp ab Unabhängige Notenbank Andreas Ladner 10 Ordnen Sie bitte die folgenden Länder nach ihrem Regierungssystem: Schweden Australien Frankreich Diskussion Politisches System Schweiz Norwegen Holland England Italien Deutschland Schweiz USA Belgien Österreich Kanada Neuseeland Andreas Ladner Dänemark 11 Politisches System Schweiz Andreas Ladner 12 Politisches System Schweiz Erklärungsfaktoren: Der sozio-kulturelle Pluralismus Das angelsächsische Erbe Die Grösse eine Landes Andreas Ladner 13 Politisches System Schweiz These von Lijphart: Für (kleine) Gesellschaften mit mehreren Subkulturen oder Lagern eignet sich die Konsensusdemokratie besser zur Integration sowie zur Willensbildung und Entscheidungsfindung. Andreas Ladner 14 Politisches System Schweiz Konvergenz? – kein eindeutiger Trend Andreas Ladner 15 Politisches System Schweiz Evaluation der beiden Arten von Demokratien: Die Konsensdemokratien sind wirtschaftlich und hinsichtlich der Kontrolle der Gewalt nicht weniger erfolgreich als die Mehrheitsdemokratien (kein Mangel an Effizienz). Konsensdemokratien sind erfolgreicher bezüglich Qualität der Demokratie und der Repräsentation der Gesellschaft. Sie zeichnen sich durch eine höhere Lebensqualität aus (Lijphart 1999: 288 ff.) Andreas Ladner 16 Politisches System Schweiz Lijphart (1989, 1991) Lijphart (1989, 1991) widerlegt mit seinem Vergleich der Demokratien die weit verbreitete Annahme, dass die Mehrheitsdemokratie die bestmögliche Form der Demokratie hinsichtlich Stabilität und Problemlösungskraft ist. Andreas Ladner 17 Politisches System Schweiz Vatter (2008): Swiss Political Science Review 14(1): 1–47 Kann die schweizerische Demokratie weiterhin als Extrembeispiel einer Konsensusdemokratie im Sinne von Arend Lijphart (1999) betrachtet werden? Eine Re-Analyse von Lijpharts Studie für das politische System der Schweiz von 1997 bis 2007 macht deutlich, dass sich aufgrund der politisch-institutionellen Veränderungen (sinkende Parteienzahl, leicht gestiegene Disproportionalität des Wahlsystems, zunehmende Dezentralisierung und Deregulierung der StaatVerbände-Beziehungen) in neuester Zeit eine Konsensusdemokratie herausgebildet hat, die starke Züge einer Angleichung und Normalisierung des ursprünglichen Sonderfalls Schweiz an die übrigen kontinentaleuropäischen Verhandlungsdemokratien trägt. Diese Entwicklung wird zusätzlich durch die verschärften politischen Auseinandersetzungen in der Öffentlichkeit, die gestiegene Polarisierung zwischen den parteipolitischen Lagern im Parlament, die NichtWiederwahl amtierender Bundesräte und die Schwächung kollegialer Konsenssuche als bisher dominanter Verhandlungsmodus in der Regierung verstärkt. Aus der Perspektive des internationalen Vergleichs kann die Schweiz damit in Zukunft als Normalfall – anstelle eines extremen Sonderfalls - einer Konsensusdemokratie betrachtet werden. Andreas Ladner 18