Ö1 macht Schule.
Ein Projekt von
Verfolgung und Terror
Der Machtapparat der Nationalsozialisten
Mit Gerhard Botz, emeritierter Professor für Zeitgeschichte und Leiter des Boltzmann-Instituts für
Historische Sozialwissenschaften in Wien
Ö1 – Betrifft: Geschichte / Teil 1-5
Redaktion: Martin Adel, Robert Weichinger
Sendedatum: 4. bis 8. November 2013
Länge: je 4:50
Inhaltsübersicht
Verfolgung und Terror. Der Machtapparat der Nationalsozialisten. Die Kampfverbände und Truppen, die
Nachrichtendienste und die politische Polizei bildeten im nationalsozialistischen Deutschland das
Rückgrat der NS-Schreckensherrschaft. Sie überwachten und manipulierten die Bevölkerung, ermittelten
und eliminierten so genannte Gegner. Dazu zählen vor allem die SA, SS, Waffen-SS, GESTAPO und
NSDAP.
Teil 1 – Die SA
Zeitgeschichtliche Forschung I NS-Herrschaftssystem ist nicht nur eine Diktatur Hitlers I kann nicht als
Herrschaft von oben nach unten im Sinne autoritärer Polizei- und Militärdiktaturen gesehen werden, wie
sie im zeitgenössischen Ost- und Südosteuropa der 1930-er Jahre auftraten I auch nicht als
monolithisches totalitäres System I heute dominiert die Sicht, dass im NS-System zwei gegensätzliche
Prinzipien in Form einer ständig wechselnden Symbiose zueinander standen und sich gegenseitig
ergänzten I zu den „Parteibewegungskräften“ zählten die NSDAP, SS, SA, DAF I zu den
„ordnungsstaatlichen Faktoren“ werden die deutsche Bürokratie, wissenschaftliche und wirtschaftliche
Eliten und das Militär gezählt I Doppelcharakter von Hitlers Macht als „Führer und Reichskanzler“ I die
„Bewegungskräfte“ repräsentierten den expansiven und in der Ausübung der Macht zu krasser Willkür
neigenden Teil I die „Ordnungskräfte“ übten die politische Macht eher in den traditionellen Bahnen unter
Einhaltung minimaler von der Diktatur gegebener Regeln aus I besondere Radikalität und Effizienz der
NS-Diktatur erklärt sich aus diesem Doppelcharakter I SA geht schon 1920 in der Frühzeit der NSDAP in
Bayern aus einem parteiinternen Ordnerdienst zum Schutze von Parteimeetings, Propagandaaktionen
und Aufmärschen gegen drohende Gegner insbesondere der militanten Linken hervor I Sturmabteilung I
militante Schlägertruppe I ständig gewaltbereit I Mitglieder sind junge Angehörige der Unterschichten,
kleinbürgerliche Desperados, Arbeitslose, sozial Entwurzelte, Schutz in einer Art gewalttätigen
Gangstruktur Suchende vielerlei Herkunft I paramilitärische Struktur unter Weltkriegsoffizieren wie Ernst
Röhm I exponentielles Wachstum der Mitglieder I 1934 4 Millionen SA-Männer I exponentielles
Wachstum weckt die Angst der Wehrmacht und den Konkurrenzneid Himmlers und der SS I Hitler schlägt
sich auf die Seite der Gegner der SA I „Röhm-Putsch, der keiner war I es war nur daran gedacht Röhm
und den Einfluss der SA auszuschalten I danach verliert SA ihren Einfluss, war gebrochen und
bedeutungslos
© Diese Zusammenstellung: Ö1 macht Schule / MMMag. Alfred Germ
Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des § 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt.
1
Ö1 macht Schule.
Ein Projekt von
Teil 2 – Die SS
SS geht aus einer Sonderorganisation zum persönlichen Schutz Hitlers in den frühen 1920-er Jahren
hervor I 1925 gegründet I Schutzstaffel I zunächst der allgemeinen SA-Führung unterstellt I Hitler definiert
sie als Hauptorgan zur Ausübung des Polizeidienstes innerhalb der Partei I sie war besonders Hitler
ergeben I „Unsere Ehre heißt Treue“ als Parole I 1930 Himmler „Reichsführer SS“ I starke Rivalität zur
SA I SA proletarisch und rabaukenhaft I SS elitäres Selbstverständnis, besonders „rasserein“, ideologisch
NS-ausgerichtet, eher ober- und mittelständisch, Akademiker anziehend, immer auch wie Männerbünde
und in kleinen Cliquen organisiert I intensive Kontrolle der SS-Leute etwa über die Heiratserlaubnis von
„rassereinen Frauen“ I verschworener Führungsorden der reinen NS-Idee mit eigenen Schulungen,
Weihestunden, Ritualen mit mittelalterlichen Symbolen I SS-Rune als stärkstes Symbol, das Furcht und
Schrecken erregen sollte I Hannah Arendt spricht von der Zwiebelstruktur des nationalsozialistischen
Totalitarismus I immer neue radikalere Organisationen innerhalb der NS-Bewegung und des NSRegimes, die zueinander in Konkurrenz stehen und sich ablösen I zunächst NSDAP/SA, dann SA/SS,
dann SS/Sicherheitsdienst/GESTAPO und letzten Endes Waffen-SS und ihre immer radikalere Struktur I
führt zu unglaublicher Dynamisierung im NS-System I Stalingrad I Untergang wird für viele voraussehbar
I Expansionsvorstellungen werden durch eine Verteidigungshaltung ersetzt I umso brutaler wurde der
Kampf gegen so genannte „Untermenschen“, Juden , „Asoziale“ und andere politische Gegner I Himmler
hatte mit Kriegsbeginn Polizei und SS verschmolzen I „Reichssicherheitshauptamt“ unter Reinhard
Heydrich I war die zentrale Instanz für den gesamten Terror, auch für die Judenverfolgung und
Judenvernichtung und die Verfolgung politischer und anderer Gegner I Wirtschafts- und
Verwaltungshauptamt innerhalb der SS, dem die gesamte Verwaltung der Konzentrationslager
unterstand
© Diese Zusammenstellung: Ö1 macht Schule / MMMag. Alfred Germ
Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des § 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt.
2
Ö1 macht Schule.
Ein Projekt von
Teil 3 – Die Waffen-SS
1939 Überfall auf Polen I unrühmliche Rolle der SS I bewaffnete SS-Einheiten erfüllten hinter und mit der
Wehrmacht die Aufgabe das Land nach Juden zu durchkämmen, verdächtige Polen zu verhaften und zu
terrorisieren, Brandschatzung auszuüben und massenhafte Erschießungen vorzunehmen I Spur der
brutalen Vernichtungsgewalt durch immer mehr besetzte europäische Gebiete bis zum Zusammenbruch
der NS-Herrschaft kennzeichnet die SS I 1939 wird Waffen-SS aus Verfügungstruppen,
Totenkopfverbänden und der Leibstandarte Hitlers gegründet I Mythos zur Waffen-SS I war keine
„militärisch saubere Einheit“, die vom Vernichtungskrieg nicht befleckt sei I Waffen-SS war an vielen
Aktionen beteiligt I Mythos besagt, dass die Waffen-SS nichts anderes als der vierte Teil der Wehrmacht
gewesen sei I Waffen-SS-Veteranen nannten sich als Angehörige der Kameradschaft IV I Kameradschaft
IV war eine SS-Organisation, die in Nürnberg als verbrecherische Organisation eingestuft worden war,
wie die übrige SS I war an direkten Kriegsverbrechen und Massakern federführend beteiligt I gegen
Juden, antinazistische Gegner, Partisanen, Geiselerschießungen im sowjetischen Gebiet, auf dem
Balkan und in Westeuropa I Propagandisten der Waffen-SS behaupten, dass sie eine militärisch
effiziente Organisation gewesen sei I bis Kriegsende etwa 900 000 Mitglieder I davon waren etwa
320 000 gefallen oder schwer verwundet I neben 400 000 Deutschen und Österreichern gab es in der
Waffen-SS 300 000 so genannte „Volksdeutsche“ und auch 200 000 Angehörige anderer Nationen wie
Ukrainer, Belgier, Franzosen oder Albaner I Sicherheitsdienst (SD) war Sonderformation innerhalb der
SS I eine Art Spionage- und Kontrollorganisation, die besonders der Gegnerbeobachtung und Spionage
diente I besonders aktiv im Rahmen der so genannten „Einsatzgruppen“ hinter der Front I beteiligt an der
Durchführung von brutalen Mordoperationen in den okkupierten Gebieten gegen Juden, Gegner und so
genannte „Untermenschen“ I daneben waren noch sonstige SS, GESTAPO, einfache Polizisten und
Beamte in den „Einsatzgruppen“ tätig I enge Zusammenarbeit mit der Wehrmacht I Direkttäter der
Erschießungskommandos werden nicht notwendigerweise als besonders nationalsozialistisch motivierte
Menschen beschrieben I wurden erst vor Ort durch das Tötungsgeschäft brutalisiert I waren eher „ganz
normale Männer“ I Christopher Browning I Daniel Goldhagen
© Diese Zusammenstellung: Ö1 macht Schule / MMMag. Alfred Germ
Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des § 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt.
3
Ö1 macht Schule.
Ein Projekt von
Teil 4 – Die GESTAPO
Gespenst in populären Darstellungen und Filmen zum Dritten Reich I Dunkle Männer in Zivilkleidern,
in Ledermänteln mit Schlapphut und Brille, die GESTAPO I Darstellung der Rolle der GESTAPO nach
1945 I sie habe alles gewusst und alle, die nicht mitgetan hätten in den Folterkeller und ins KZ gebracht I
die „guten“ Deutschen und Österreicher hätten in ständiger Furcht vor der GESTAPO gelebt I Anpassung
und Schweigen I Aussage aufgrund historischer Studien trotz der realen und tödlichen Gefahr für
Verfolgte und Gegner der Nationalsozialismus nicht haltbar I 1933 gegründet I Göring war als
preußischer Innenminister in Berlin ihr Leiter I 1934 nach Kompetenzstreitigkeiten mit Röhm übernimmt
Himmler die Führung I zugleich Chef über alle Polizeikräfte I brutale Machtausübung I Reinhard Heydrich
(nach dessen Tod Ernst Kaltenbrunner) war der Vollzieher der Macht Himmlers I Außen- und Leitstellen
der GESTAPO im gesamten Reichsgebiet I in Österreich besonders in Wien I „Amt IV“ diente der
„Gegnererforschung“, vor allem der Ausforschung von Kommunisten, Sozialdemokraten, Priestern,
Freimaurern, Bibelforschern und anderen potentiellen und aktiven Gegnern des Nationalsozialismus I
Referat Eichmann für die Herbeiführung des Holocaust I GESTAPO-Personal I Polizeibeamte, biedere
Beamte aus der vornationalistischen Zeit, nicht notwendigerweise überzeugte Nazis I es kamen Jüngere
nach, die auch nicht immer besonders NS-ideologisch geprägt waren I Technokraten I streng
bürokratisch ausgerichtet I immer unabhängig von jeder rechtlichen Kontrolle arbeitend I Hitler hatte
bereits 1933 (in Österreich ab 1938) verfügt, dass die Aktivitäten Himmlers und seiner Organe außerhalb
der gesetzlichen Regelungen erfolgen können I brutales Vorgehen der GESTAPO bei Untersuchungen,
Verhören und Folter I selbst innerhalb der KZ wurden diese Aufgaben von eigenen Abteilungen der
GESTAPO durchgeführt I in der Schlussphase des Dritten Reiches 1944/45 war die GESTAPO ganz
unrühmlich und ganz unkontrollierbar beteiligt I Mythos von der GESTAPO-Kontrolle I innerhalb des
gesamten Großdeutschen Reiches mit etwa 80 Millionen Einwohnern gab es nicht viel mehr als
insgesamt 30 000 GESTAPO-Beamte, weitaus weniger als 1% I in ganz Österreich gab es nur 2 000
GESTAPO-Beamte I GESTAPO-Apparat konnte seine Terrormaßnahmen nur durch Kollaboration und
Mithilfe von anderen durchführen I oft so viele Anzeigen aus der Bevölkerung, dass manche davon gar
nicht bearbeitet werden konnten I Nachbarschaftsfeindschaften und so genannte „Rassenschande“
wurden besonders häufig angezeigt I GESTAPO-Mythos heute als Rechtfertigung dafür, Mitläufer und
nicht Gegner des Nationalsozialismus gewesen zu sein
© Diese Zusammenstellung: Ö1 macht Schule / MMMag. Alfred Germ
Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des § 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt.
4
Ö1 macht Schule.
Ein Projekt von
Teil 5 – Die NSDAP
1920 Gründung der Deutschen Arbeiterpartei in München I Zusatz Nationalsozialistische Deutsche
Arbeiterpartei, abgekürzt NSDA I Hitler als Propagandachef, bald als informeller und sehr rasch auch als
offiziell anerkannter „Führer“ der NSDAP I Entstehung der NSDAP hängt mit Erschütterungen der
Gesellschaft und der Politik als Folge des Ersten Weltkrieges, der Revolutionsfurcht, der Angst vor der
Sowjetunion, mit der Angst vor dem Judentum, das von den Antisemiten als Grundübel alles Ungemach
für Deutschland und die Niederlage betrachtet wurde, zusammen I antisemitisches Motivationspotential
war nicht das einzige, aber eine wichtige Triebkraft der Nationalsozialisten, die auch gegen die „rote
Gefahr“ und die Kommunisten auftraten I erster Höhepunkt im Wachstum der NSDAP durch die internen
Krisen der Inflation und die Ruhrbesetzung 1923 I Hitler-Putsch in München 1923 im Verbund mit
konservativen Honoratioren I Putsch scheitert kläglich I Hitler wurde zu Festungshaft verurteilt I NSDAP
aufgelöst I 1925 neu gegründet mit hierarchischer Organisationsstruktur, indem sie von oben bis unten
hin vollkommen durchorganisiert wurde I rapides Wachstum durch die Weltwirtschaftskrise der späten
1920-er Jahre I 1930 bestand sie aus etwa 130 000 Mitgliedern und erreichte bei Reichstagswahlen etwa
7%, 1932 37% der deutschen Bevölkerung I Mitgliederzahl explodierte ebenfalls, sodass es bis 1933 1,2
Millionen, bis Ende des Jahres etwa 4 Millionen NSDAP-Mitglieder gab I Hitler verfügte Mitgliedersperre,
damit der Elitecharakter der Partei nicht verwässert werde I Druck der Bevölkerung so groß, dass
Mitgliedersperre immer wieder gelockert werden musste I Ende des Dritten Reiches etwa 9 Millionen
NSDAP-Mitglieder I Mitgliedschaft war wechselnd I asymmetrische Volkspartei, in der alle
Bevölkerungsgruppen vertreten waren I unterrepräsentiert waren Bauern im katholischen Milieu und die
Arbeiterschaft I NSDAP-Mitglieder waren überwiegend jugendlich und weitgehend männlich I Kontrolle,
Verfolgung und Terror allein können das Funktionieren des NS-Systems alleine nicht erklären I
Propaganda, soziale Versprechen und Benefits für die „Volksgenossen“ förderten partielles oder totales
Mittun und einen Run in die Partei und deren Nebenorganisationen und bewirkten ein zeitweise hohes
Zustimmungspotential I Zustimmung war größer als etwa im Kommunismus der DDR
© Diese Zusammenstellung: Ö1 macht Schule / MMMag. Alfred Germ
Ausschließlich zur nicht-kommerziellen Nutzung zu Unterrichtszwecken im Sinne des § 42 Abs 6 UrhG bereitgestellt.
5
Herunterladen