Weitere Files findest du auf www.semestra.ch/files DIE FILES DÜRFEN NUR FÜR DEN EIGENEN GEBRAUCH BENUTZT WERDEN. DAS COPYRIGHT LIEGT BEIM JEWEILIGEN AUTOR. Kapitel 6 (Georges Andrey) Auf der Suche nach dem neuen Staat (1798-1848) A.) Ein erster Überblick (527) • Die Schweiz durchlief in der ersten Hälfte des 19. JH. einen äussert bewegten Zeitabschnitt: politischer, wirtschaftlicher, technischer, sozialer, kultureller und ökologischer Wandel Europäisches Umfeld • 1815, 1830, 1848 = deutliche Marksteine am Wege einer europäischen Schicksalsgemeinschaft (In der Eidgenossenschaft nicht immer dieselben Auswirkungen wie im europ. Umfeld) • Napoleonische Empire (In CH: Mediation) Todesstoss durch zwei Ereignisse: - Völkerschlacht bei Leipzig (18. Okt. 1813, Niederlage der franz. Armee) - Waterloo (18. Juni 1815) • Schlussakte Wiener Kongress 1815: Grosse Restauration (Bis 1830) • Ab 1830: Ära mehr oder weniger ausgeprägten Liberalismus, Zunehmende Bejahung des Nationalitätenprinzips • Tiefgreifende Veränderungen in der Schweiz - Regeneration (repräsentative Demokratie zuerst in einzelnen Kantonen - 1847 Sonderbundskrieg ( Liberale vs. Katholisch-konservative Kräfte) - Bundesverfassung vom 12. September 1848 Karte S. 528 (Europa zwischen Revolution und Reaktion 1815-1848) Die Schweiz und Frankreich • 1798-1814 Höhepunkt des französischen Einflusses • Defensivallianz (27.September 1803) • Unterzeichnung der Mediationsakte (19. Februar 1803) Aus dem Einheitsstaat der Helvetischen Republik war wieder ein Bundesstaat geworden, in dem wie früher die Kantone ihre eigene Verfassung besassen. => Tagsatzung (vertritt Schweiz aussenpolitisch) 1 • 1804 Napoleon krönt sich zum Kaiser • Für Schweiz, deren demokratische Tradition Bonaparte nicht in Schande stellen wollte: Mediator Mit diesem Abkommen zwei Ziele erreicht: • Schweiz verpflichtet die eigenen Grenzen zu verteidigen (Entlastung für Napoleon) • Ständiges Söldnerkontingent von 16`000 Mann für den Dienst in der Grande Armée (So kann die Schweiz nicht aufmucken) • Nach dem Schrecken der Helvetik dämpfte der Wunsch nach Frieden eventuell aufkommende verletzende Gefühle des Nationalstolzes • Erster Landammann der mediatisierten Schweiz: Louis-Auguste.Philppe d`Affry (Fribourg) • Zusammenbruch es napoleonischen Imperiums für Schweiz kein nationales Unglück, man war einen Mediator los, der nutzlos und lästig war • Während der Hundert Tage schlossen sich die Schweizer Truppen den Alliierten an • Die Mediationsakte konnte ihren Mediator nicht überdauern • Alliierte und neuen Herren Frankreich wiesen der Schweiz ihren neuen Platz in der internationalen Gemeinschaft an • Restauration ihrem Wesen nach ein Kind der Reaktion. Betonung des theokratischen Legitimitätsprinzips • Staatsideal der Gottgewollten Ordnung lebt in einigen Kantonen wieder auf (Z.Bsp. Freiburg) Garantie der Neutralität (531) • Zweiter Pariser Frieden (20. November 1815): formelle Anerkennung der immerwährenden Neutralität • Heilige Allianz (1815 Preussen, Russland und Österreich) interveniert immer wieder mit wenig diplomatischen Mitteln, wenn sie der Ansicht war, Strömungen in der Schweiz stellen europ. eine Gefahr dar. (z. Bsp. Pressefreiheit und Flüchtlingsfrage) 2 Innere Verhältnisse • Restauration basiert auf lockerem Staatenbund Funktion Landamanns wird abgeschafft. Alte fast unbeschränkte Souveränität der Kantone wieder hergestellt. Zu den 19 Kantonen, 3 Neue (Wallis, Neuenburg, Genf). Offizieller Name = Schweizerische Eidgenossenschaft. Noch vor Ausbruch der Julirevolutionen in Frankreich Aufkommen von Forderungen nach Einführung repräsentativer Demokratie. 1830-33 zehn Kantone revidieren ihre Verfassung in diesem Sinne. Bundesvertrag blieb aber unverändert. • Graben zwischen restaurierter und regenerierter Schweiz, vertiefte sich => Sonderbundskrieg 1847 B. Bevölkerung und Wirtschaft (532) Protestantische und katholische Wirtschaftsgesinnung • Freiburger Pfarrer Aebischer 1836 (vor Max Weber!): Auffallendes Wohlstandsgefälle zwischen protestantischen und katholischen (Armut ist der Wille Gottes) Gebieten • Wirtschaftliche Dynamik vor allem in protestantischen Gebieten 1. Bevölkerungszunahme und Wanderungen (534) • Bevölkerungsstatistik noch in den Kinderschuhen • 1798-1850 Schweizer Bevölkerung wächst um 42%. (Im europ. Vergleich eher bescheiden. Mittelstellung, Dies entspricht der allgemeinen beobachteten Tendenz zu Beginn der Bevölkerungsexplosion) => weder im Ablauf, noch in den verschiedenen Regionen einheitlich) • Stärkstes Wachstum zwischen 1820-1840 Ein Blick auf die Kantone (535) • Tabelle 535 (+81 (Basel-Stadt) bis -19.5% (Appenzell Innerrhoden) • Stärker als die Konfession scheint sich die wirtschaftliche Entwicklung auf das demographische Verhalten auszuwirken • Es besteht die Möglichkeit, dass wirtschaftliche Schwierigkeiten die bereits bestehenden Spannungen verschärft haben Lokale Besonderheiten (537) Geburten und Sterblichkeit (537) • Natalität und Mortalität die eigentlichen Gradmesser • Steigende Lebenserwartung (1800-1850) 3 • 1800-1850: Grossräumige Durchmischung der Bevölkerung in der Schweiz noch behindert durch restriktive kantonale Gesetzgebung (limitierte Niederlassungsfreiheit/ Verbot von konfessionellen Mischehe/ Urbanisierung noch in den Anfängen) • Um 1850 nur acht Städte, die mehr als 10`000 Einwohner zählen => Schweiz in der ersten Hälfte des 19. Jh. zu 88% eine agrarische oder zumindest ländliche Gesellschaft war) • Schon damals besonders hohe Ausländerdichte (Vor allem in Grenzregionen) Magnetwirkung durch: Spracheinheit/ Tourismus/ grosszügiges Asylrecht/ guter Ruf der Bildungsanstalten/ hoher Lebensstandart) • Heer der Schweizer, die ihr Glück im Ausland suchten noch grösser! Negativer Wanderungssaldo! • Auswanderungsgründe ziviler und militärischer Natur • Die Einführung von nationalen Armeen auf Grundlage der allgemeinen Wehrpflicht bedeutete das Ende des Söldnerwesens und der fremden Dienste • In den 1840er Jahre: wachsender Bevölkerungsdruck und allgemeine Verelendung, Auswanderung als letzter Rettungsanker. • Zu Beginn des 19.Jh noch Europa und Russland. Bald rückt aber Amerika in das Interesse, da Massenauswanderung möglich. Binnenwanderung (540) • Auf kommunaler und kantonaler Ebene, am stärksten in die von der Industrialisierung betroffenen Kantone, Konfession spielt dabei eine entscheidende Rolle, Im Aufbau befindende Industrieregionen als Hauptanziehungspunkte. 2. Wirtschaft und Konjunktur (541) • Widersprechende zeitgenössische Urteile über die Wirtschaft zwischen 1800 und 1850 • Geheimnis der Prosperität: Harte Arbeit. Wohlstand vor allem in den protestantischen Gebieten Die Wirtschaftssektoren • Landwirtschaft (Primär-), Industrie (Sekundär-), Dienstleistung (Tertiärsektor) Landwirtschaft verlor in den folgenden Jahren ihre führende Stellung. Zwischen 18001850 zwar absolute Zunahme (500`000 auf 620`000 Angestellte) aber relativer Rückgang (65.8 auf 57.4%) => Langsame Frühindustrialisierung. Nach wie vor bedeutende Heimindustrie (Domäne der Landbevölkerung), erst im letzten Viertel des Jahrhunderts Fabrik läuft der Werkstatt in der Stube den Rang ab) 4 Ländliche Industrialisierung (542) • Symbiose von Landwirtschaft und Industrie Erklärung für die nur langsam voranschreitende Urbanisierung • Heimindustrie vorwiegend auf dem Lande (Ganze Familien leben davon) • Praktisch alle Fabriken ausserhalb der Städte (billige Wasserkraft) • Tiefgreifende Veränderungen in der Landwirtschaft => positiver Einflüsse auf Erträge, aber trotzdem nicht in der Lage, die wachsende Bevölkerung zu ernähren • Aufschwung der Landwirtschaft (Hungerjahre 1816/17 und 1845/46) • Arbeitskräfte im Überfluss und somit billig, infolge Alphabetisierung (Volksschulbildung) steigt Qualifikation der Arbeiter. Technische Modernisierung setzt daher nur langsam ein! (Vgl. 1960er Jahre!!!) Ameliorationsarbeiten (543) • Mit Beginn der Restauration, Behörden beginnen Ameliorationsarbeiten zu fördern, v.a. Anhebung Viehqualität, Seuchenbekämpfung, Verbesserung des Bodens, Bodengewinnung, Korrektion von Wasserläufen (z. Bsp. Grosse Linth Korrektur 18041822) Agrarindividualismus (544) • Agrarrevolution: endgültiger Triumph des „Agrarindividualismus“ über die von gemeinschaftlicher Nutzung und kollektiven Lasten geprägte Landwirtschaft des Ancien Régimes (Abschaffung der Zehnten/ 10: November 1798 Aufhebung der Feudallasten) => wurde nur sehr langsam umgesetzt. Allmählich wird Abschaffung obligatorisch! • Tabelle: Ablösung des Grossen Zehnten (1798-1849) Neue Anbaumethoden (545) • Neue Dynamik: Abschaffung der Brache und Bau von Futterpflanzen => Produktivität steigt • Übergang Stallfütterung => zyklische Kettenreaktion: Mehr Mist => Mehr Anbau von Futtermitteln => Mehr Vieh => Mehr Dünger • Getreide Produktion erhöhte sich um ein Mehrfaches • Infolge der Kontinentalsperre (1806-1812) Zuckerrübe bekommt grosse Bedeutung • Auch Milchwirtschaft ändert sich massgebend. Käserei verlagert sich mehr und mehr auch ins Mittelland 5 Expansion der Industrie (546) • Wie überall im Westen Europas spielte während der Industrialisierungsphase zwischen 1800 und 1850 der Faktor Arbeit eine wichtigere Rolle als der Faktor Kapital. • Industrialisierung (wie politische Entwicklung) mit unterschiedlicher Beschleunigung (1803/1815/1830) waren keine Marksteine in der schweizerischen Industriegeschichte. • Zentralismus, der Föderalismus des Ancine Régimes ablöste gab wichtigen Impuls für Industrie • Aber während das Jahr 1848 unwiderruflich den Auftakt zu einem langfristigen Aufschwung bildete, markierte das Jahr 1798 nur den Beginn eines kurzen Strohfeuers. Das fünfjährige Intermezzo der Helvetischen Republik reichte bei weitem nicht aus, um der Industrialisierung ebenso wie der Landwirtschaft und den Dienstleitungen eine landesweite dauerhafte Entwicklung zu sichern. • Die Industrialisierung vollzog sich also schrittweise und oft brutalen Beschleunigungsund Bremsbewegungen. Mechanisierung der Textilindustrie (547) • Textilindustrie im Jahre 1850 noch mehr als die Hälfte der Beschäftigten im zweiten Sektor. Mechanisierung beginnt bei den Baumwollspinnereien. Fabriken schiessen wie Pilze aus dem Boden (Gute Perioden: 1801-1803, 1806-1811, 1813-15/ Krisen: 18111812, 1816/17) • Schnelle Fortschritte der technischen Innovationen • Trend zur Konzentration der Textilproduktion Regionale Verteilung der Industrien (548) • Einzelne geographische Konzentrationsbewegungen, regionale Spezialisierung überwog • Reich der Textilindustrie: Basel, Aargau, Thurgau, St. Gallen, Appenzell, Glarus (Aber lokale Partikularismen. Tuch Zürich, Drucke Glarusetc.) • Uhrenindustrie (unabhängig von Wasserkraft): Jurakette • Textilindustrie als Geburtshelfer für Maschinen- und Chemieindustrie • Papierindustrie: In der Schweiz soll die erste Maschine zur Herstellung von Papier im Jahre 1834 installiert worden sein. • Schokoladenindustrie: 1819 Callier/ 1826 Suchard/ Lindt & Sprüngli 1845 6 3. Ausbau der Dienstleistungen (549) Diversifizierung • Von 1800-1850 Dienstleistungssektor hat das stärkste relative Wachstum (83%) • Um 1830 wird die Schweiz infolge der industriellen Expansion, zu denjenigen Land, dass pro Kopf am meisten exportiert • Von 1817-1849 Verdoppelung des Importvolumens • Die Modernisierung der schweizerischen Volkswirtschaft ging Hand in Hand mit dem Aufbau einer leistungsfähigen Exportwirtschaft • Innere Handelsbarrieren: Mehrzahl von Binnenzölle, ungleiche Masse, Gewichte und Währungen => Es gab vor 1848 keinen einheitlichen Wirtschaftsraum noch ein gemeinsames Wirtschaftsbewusstsein im Lande der 22 Kantone • Tagsatzung beratet zwischen 1817-1836 immer wieder über das Problem (1803 fanden sie die Beibehaltung der Vereinheitlichungsmassnahmen aus der Zeit der Helvetik für nicht sinnvoll) Ansätze zur handelspolitischen Vereinheitlichung (551) • Die wirtschaftliche Integration kam vor allem deshalb voran, weil zahlreiche interkantonale Konkordate entstanden. (z.Bsp. Grosse Zollkonferenz von Aarau 1847, vom Sonderbundskrieg unterbrochen, aber Ergebnisse in Bundesstaat übernommen) Ein weltumspannendes Netz • Wenig Erfolge beim Abschluss von Handelsverträgen mit den benachbarten Ländern und weiter entfernten Wirtschaften (z.Bsp. Mexiko) Die Konsulate (552) • Rudimentäres Netz von Konsulaten (Zweck 1: Wirtschaft; Zweck 2: Betreuung der Auswanderer) Vor 1848 rund 45 Konsulate vor allem in bedeutenden Hafenstädten. In Italien zehn Schweizer Vertretungen, USA 8, Frankreich 7. In den Jahren der starken Auswanderung wurde viele Konsulate gegründet (Zweck 2) (1815-19 zehn/ 1845-48 elf) • Druck widriger Umstände (z. Bsp. Süddeutsche Zollunion, Binnenzölle etc.) zwang die Schweizer Exportindustrie dazu, innerhalb von wenigen Jahrzehnten ein dichtes Handelsnetz um den Erdball zu spannen. • 1830 Erstes Konsulat der USA in Basel • 1843 Gründung des Gewerbevereins • Entwicklung und Expansion der Volkswirtschaft durch den Ausbau und Förderung des Transportwesens vorangetrieben. => Pässe werden ausgebaut 7 • Prozess der staatlichen Übernahme der Verkehrswege beginnt bereits 1803, als zunächst die Gemeinden ihre Kompetenzen mehr und mehr an die Kantone abtreten müssen, welche ihrerseits nach 1848 zugunsten des Bundes zurückstehen müssen. • Asphalt findet ab 1850 für den Strassenbau allgemein Verbreitung • Das Schweizer Verkehrswesen war aber weit davon entfernt die eigenen und internationalen Bedürfnisse zu befriedigen. Die Eisenbahn lässt auf sich warten (554) • Erst 1844 Anschluss ans europ. Schienennetz (Strassburg- Basel) • 1847 Erste schweizerische Eisenbahnstrecke (2.8km!) Zürich Baden (Spanisch Brötli Bahn) • Vor allem politische Hindernisse im Wege der Eisenbahn: Föderalismus /innerkantonale Rivalitäten • Zwei-Achsen-Konzept setzt sich durch (Basel- Lugano/ Genf– St. Gallen) • Abbildung S. 554 (Die wichtigsten Gewerbe und Landwirtschaftsausstellungen vor 1850) • Die Postverbindungen (555) • Postwesen erst durch Schaffung des Bundesstaates 1848 eine Vereinheitlichung • Dampfschifffahrt und dann später Eisenbahn als Konkurrenz Zunahme des Tourismus (556) • Englisches Grossbürgertum bereist schon seit dem 18. Jh. mit Vorliebe die Schweizer Bergwelt. (Bsp. Rigi: 1816 (Eröffnungsjahr): 294 Gäste/ 1827: 1489!) => Zum Teil massive Werbetätigkeit • Währungsdurcheinander für Börsengründung ungünstig, dennoch florierender Wertschriftenhandel • Zürich als Börsenplatz lange im Schatten von Basel und Genf. Gewann als aufstrebende Handels und Industriestadt auch in diesem Bereich an Bedeutung => 1835 Liberalisierung des Börsenmakler-Berufes • Zwei Hauptfaktoren beschleunigen Geldumlauf: Ablösung der Reallasten/ Finanzierungsbedürfnisse der Industrie Die Banken (559) • Um 1800 Schweizerisches Bankensystem in den Kinderschuhen. Weder stattliche Notenbank, noch Hypothekarkassen, noch Kreditinstitute. => Ab 1815 Banksparen setzt sich durch. => 1834 Erste Notenbank mit öffentlichem Recht in Bern • Unternehmer treten oft als Sparförderer an den Tag 8 • Privatbanken aus den Aktivitäten der grossen Handelshäuser hervor gegangen. Bis Ende 1830er Jahre lag praktisch der gesamte Zahlungs- und Kreditverkehr in den Händen der Privatbanken. • Tabelle S. 561 (Die ersten Versicherungskassen und Gesellschaften in der Schweiz) Energieprobleme (561) • Embryonale Industriegesellschaft wird in ihrem Nerv getroffen bei Engpässen in der Nahrungsversorgung und Energieversorgung Wasserkraft • Wasser im Überfluss, aber technische Möglichkeiten zur Nutzung begrenzt • 1827 Mehr als drei Viertel der Spindeln der Textilindustrie werden noch mit der herkömmlichen Methoden betrieben Holzverknappung und Forstgesetzgebung (562) • Kohlebedarf durch Import und Eigenproduktion gedeckt. => Industrialisierung hat zur allgemeinen Holzverknappung beigetragen. (Deshalb mehr Wasser als Dampf in der Schweiz) • Holz wichtigstes Baumaterial (Bevölkerungsexplosion noch mehr Holzverbrauch als Industrie) • Erst in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts verdrängen zementierte Bauten die Holzbauten • Nur während der Helvetischen Republik zentrale Forstadministration • 1843 Gründung Forstgesellschaft => Bewirtschaftung des Waldes nach ökonomischen und ökologischen Gesichtspunkten setzt sich langsam durch C. Gesellschaft und Alltag (563) 1. Lebenshaltung und Umwelt • Wandel der Landschaft: Strassennetz, Aus dem Landwirtschaftlichen Wandel wird im Endeffekt ein ökologischer Wandel • Auch die Stadt verändert ihr Gesicht: Breitere Strassen, Stadttore und Mauern verschwinden (Licht und Luft heisst die Devise) Verwendung von Stein => Verdichtung mehr Stockwerke, weniger Feuergefahr (Versicherungen findet das gut). Exkremente werden zum Problem => erste Kanalisationen. Gaslaternen verdrängen die Öllampen. Vereinheitlichung der Zeit (1798 Zeitanpassung Basel/ 1811 reformiertes Graubünden akzeptiert den gregorianischen Kalender) 9 Probleme der Umweltverschmutzung • Verunreinigung des Wasser durch Papierherstellung und Gerbereien, Schornsteine (Dampfmaschinen!). => Industrielle Umweltverschmutzung noch unbedeutend, viel schlimmer der Mensch: Waldrodungen, Dezimierung des Wildbestandes und Ausrottung von gewissen Arten (Bär/Wolf) => ökologisches Gleichgewicht war gestört. • Neben der Industrialisierung haben diese ökologischen Zusammenhänge die Wanderungsbewegungen stark beeinflusst (Abwanderung in Folge Verödung der Landschaft) Einheimische Zuzüger (566) • Arbeitsplatz ausschlaggebend für den Wohnort => Viele verarmte Wanderarbeiter (Gemeinden nur ihren eigenen Bürgern gegenüber zu Unterstützungsleistungen verpflichtet!) • Heimatlose (Werder Ortsbürgerrecht noch Niederlassungsbewilligungen) • Industrialisierung: Gelegenheit für Arme zu arbeiten • Abschaffung des freien Weidegangs => Viele Kleinbauern im Ruin, bürgerlichen Grossbauern wollen diese neue Landwirtschaft und profitieren auch davon Grosse und kleine Grundbesitzer (569) • Das Heer der Kleinbauern befand sich eindeutig am unteren Ende der sozialen Leiter => Heimarbeit (z.Bsp. Strohflechterei in FR, A, TI) Pauperismus und Armenpflege (570) • Von den dreissiger Jahren an war der Pauperismus in der ganzen Schweiz ein wichtiges Thema • Die Mehrzahl der Armen hütete sich davor die Heimatgemeinde zu verlassen, weil diese Unterstützung gewähren musste • Utilitarismus in ganz Europa ein Thema: „Hilf dir selbst, so hilft dir Gott“ => Armut galt immer als selbstverschuldet, als Folge der Faulheit Der neue Reichtum • Besitz, Vermögen und wirtschaftlicher Erfolg galten als sichtbarer Ausfluss des göttlichen Segens => Besitzenden Seite an Seite mit den neuen Aristokraten, den Industriebaronen => Aufstrebende Bourgeoisie => Manchester Liberalismus • Da Arbeitskräfte im Überfluss => Angebot und Nachfrage bestimmten Löhne, die viel zu tief waren => es kam wesentlich billiger die Produktion zu dezentralisieren als grosse Fabriken bauen und amortisieren zu müssen. 10 • Dank der billigen Arbeitskräfte war es der Textilindustrie möglich mit den Engländern mitzuhalten => Auf Kosten der Arbeiter => bittere soziale Realität => Elend eines grossteils der Arbeiterschaft • Generationen von Männern und Frauen wurden auf diese Weise auf dem Altar des aufkommenden Industriekapitalismus geopfert Billige Arbeitskräfte (571) • Einsatz von Maschinen, qualifizierte Arbeitskräfte nötig => Entlöhnung der Heimarbeiter wurde immer schlechter => Verelendung ganzer Gegenden => Fehlen eines Klassenbewusstseins machte es unmöglich sich zu organisieren etc. => Was blieb war die Möglichkeit zur Revolte => 22. November 1832: Fabriksturm von Uster Kinderarbeit (572) • Keine Schonfrist für Heranwachsende, Zwischen Zehn bis Vierzehn Arbeitsstunden für Kinder unter 10 Jahren in den Fabriken die Regel! => willige und billige Arbeitskraft => Europäisch gesehen Fortschritte in der Arbeitsgesetzgebung vor 1848 trotzdem beachtlich Niedriger Lebensstandart • Löhne deutlich tiefer als im Ausland (FR, GB) => Frau und Kinder müssen mithelfen (Tabelle S. 573: Bsp. des Lohns einer Arbeiterfamilie) Die Preise (574) • Zwischen 1800 und 1840 sanken die Preise für Lebensmittel und einige andere Produkte • Kartoffel und Brot aber immer noch Grundnahrungsmittel => 1843 Kartoffelkrankheit => 1845/46 Versorgungskrise Die Feste (575) • Gefeiert wurde nicht oft (Erntedankfest, Alpabfahrten etc) • Bei den Katholiken zahlreiche kirchliche Feiertage (Nicht so bei den Protestanten) Verfemte Freuden (576) • Mit dem bürgerlichen Gehorsam war es nicht immer allzu weit her => Pfarrer beklagen Sittenzerfall. Bei den Jahrmärkten wurde regelmässig über die Stränge geschlagen => Alkoholismus grosses Problem, schon Kinder tranken Wein Wettkämpfe und Ertüchtigung • Etablierte Mittel- und Oberschicht => zahlreiche Feste mit sportlichen Wettkämpfen verbunden (Schwingen und Steinstossen), Aristokraten und Studenten: Fechten und klassischer Tanz. Bürgertum Wettschiessen 11 • 1824 Gründung Eidgenössischer Schützenverein • 1833 Gründung der Offiziersgesellschaft • 1832 Gründung Schweizer Turnverein => Das Turnen erfreute sich grosser Beliebtheit • Marzili eins der ersten grossen Schwimmbäder in Europa • Bergsteigen und Wandern immer populärer Heilanstalten (577) • 1841 erste Höhenklinik in Davos für skrofulöse Kinder Krankheiten und Gesundheitswesen • Seit den dreissiger Jahren griff die Cholera auf Europa über • Seit 1831 zudem anhaltende Grippewelle • Dem Alkoholismus war kaum beizukommen • Alkoholiker, Geisteskranke sperrte man, sobald sie zu einer Belastung wurden wie Kriminelle ein • Alle unheilbar Kranken wurden in die selben Anstalten gestopft • Erst mit der Zeit neue Irrenanstalten, die den Status von Spitälern erhielten (Wadt 1810, Zürich 1813, Genf 1838 • Gründung von Diakonissenanstalten zur Ausbildung von Krankenschwestern (zunächst in Bern) • Geburtshilfe wurde verbessert 2. Lebenserwartung und Familienverhalten (579) Kindersterblichkeit • Lebenserwartung bei Geburt lagen im grössten Teil der Schweiz noch unter 40 Jahren • Hohe Säuglings und Kindersterblichkeit • 1/5 bis 1/6 der Neugeborenen starben noch vor dem ersten Geburtstag • exogene (Infektionen etc. infolge mangelnder Hygiene) und endogene (Erbkrankheiten etc.) Ursachen für die hohe Säuglingssterblichkeit • Deutlich Unterschiede bei den verschiedenen sozialen Schichten (patrizische Familien geringer als in bürgerlich ländlichen Familien) => Während Krisenjahre (1815/16 und 1845/46) noch verstärkt 12 Familiengrösse und Ehehäufigkeit (580) • Starke geographische Unterschiede (Zwischen 3 und 6 Kinder) • Männer und Frauen heirateten leichter als früher, zeugten aber auch weniger Kinder => neue Ehephilosophie • Eine Familie zu gründen war aber nach wie vor ein Privileg. (Personen bei denen die Gefahr bestand, dass sich ein Fall für die Fürsorge werden konnten, durften nicht heiraten. Ebenso unmöglich: konfessionelle Mischehen. • Scheidungen waren die Ausnahme • Wittwer und Witwen viel häufiger als heute (Frauenüberschuss) Die Tradition (581) • Frauenüberschuss eventuell Grund für schlechten Ruf der Städte bei der Landbevölkerung (Sittenzerfall) • Voreheliche Empfängnis nicht unehrenhaft wenn Eheschliessung vor der Geburt vollzogen wurde (Verlobung als Textphase ob Frau nicht steril war) • Der Aktionsradius des einzelnen war eng begrenzt, jeder wusste alles über jeden Modernisierung (582) • Mit dem Wegfallen von sozialen und ökonomischen Zwängen der alten Dorfgemeinschaft wurden allmählich traditionelle Bindungen aufgebrochen • In gleichem Mass wie die neuen persönlichen Freiheiten an Boden gewannen, machte auch die Humanisierung des Justizverfahrens und des Strafvollzuges Fortschritte. Die Helvetik hatte Folter und Todesstrafe abgeschafft, doch die Restauration führte sie wieder ein. 3. Die Wege des Wissens (583) Religion und Konfession • Theologie der Armen (Frömmigkeit) und der Reichen nicht dieselbe • Mehrzahl der Menschen: Stärkere Bindung an Kirch- als an politische Gemeinde • Elend des Krieges und Hunger füllte die Kirchen • Erweckungsbewegung bei den Reformierten/ Illuminismus und Mystizismus bei den Katholiken • Mit Papst Gregor 16: Dogmatik und bedingungslose Autorität • Protestantische Kirche flexibler 13 Schule und Erziehung (584) • Rivalität zwischen Kirche und Staat um die Kontrolle des Schulwesens • Allgemeine Schulpflicht ergibt sich aus den Grundsätzen der Freiheit und Gleichheit • Pestalozzi und weitere sorgten Dank ihrem international guten Ruf, dass die Volksschule eingeführt werden konnte. Verwirklichung liess aber lange auf sich warten • „Von Volksbildung will das Volk nichts wissen“ (wirtschaftliche und psychologische Gründe • Nicht zwei Lager, sonder auf beiden Seiten beide Positionen zur Volksschuldebatte (Liberale erster Stunde: gegen Volksbildung, Radikale (2. Generation) dafür) • Fächerkatalog (Früher nur Bibel!) passte sich in den 30er und 40er Jahren den neuen Erfordernissen (Industrialisierung) an Die Presse (586) • Fortschritte im Schulwesen => Voraussetzung für kritisches Denken • Entwicklung der Presse hing mit der Entwicklung der Schule eng zusammen • Helvetik und Regeneration: freiheitliche Pressepolitik/ Mediation und Restauration: repressive Presspolitik • Liberale als Vorkämpfer für die Pressefreiheit • Presse = Gefährliche Masse (Thomas Carlyle 1837: Presse = 4 Gewalt) • Ab 1830 Zahl der neu gegründeten Zeitungen und Gazetten steig rasch an • Allmählich gründet sich eine öffentliche Meinung für die Pressefreiheit • Abbildung S. 588: Die Schweizer Presse 1798 bis 1848 Auf dem Weg zu einer neuen Kultur (588) • Fortschreitende Alphabetisierung • Gesamtes Geisteslebung profitiert von Öffnung Parteien und Doktrinen (589) • Bunte Palette der wichtigsten politischen Ströme • Von grösster Wirkung auf die Zeit waren die Liberalen • 30er und 40er Jahre: Schweiz = Schmelztiegel der Meinungen und Ideen • Der Erfolg von sozialen Ideen beunruhigte die konservativen Kräfte => Verhärtung der Fronten • Französisches und Deutsches Selbstbewusstsein gerieten in Konflikt => wachsendes Nationalgefühl • Die Bezeichnung „welsche“ oder „romand“ waren bereits geläufig 14 • In der Helvetik: FR,IT, D gleichberechtigte Landessprachen • Unter Napoleon breitete sich das Französische aus, unter der Restauration mehr das Deutsche • Die oberflächliche Romantik wurde zum Artikel der Massenkultur • Lithografie wurde erfunden • Photographie: Erste Ausstellung 1840 • Frühe Verwendung der Photografie zeigt Innovationsbereitschaft der damaligen Schweiz => Reto Sorg: Die harte Arbeitsdisziplin (Pünktlichkeit etc) musste zuerst „antrainiert“ werden. Viele Leute erschienen am Montag nicht in der Fabrik, weil sie einfach zu viel gesoffen hatten am Wochenende (Alkoholismus). Dasselbe etwas später um die Jahrhundertwende als die grossen Verwaltung aufgebaut wurden. Beim „Comis“ musste auch zuerst eine Disziplin „antrainiert“ werden. Die Leute waren sich ja nicht gewohnt den ganzen Tag am selben Tisch zu hocken. (Bürokratie etc. ) 15 D. Das Werden des modernen Staates Grundkomponente des Staats im völkerrechtlichern Sinne: Territorium, Bevölkerung, Regierung. => durchliefen im 19. Jh. einen Integrationsprozess 1. Äussere und Innere Grenzen Territoriale Integration infolge Bedürfnisse und Bestreben der Kantone (und der Nachbarn) => politische Entscheidungen bestimmen Grenze und rechtlichen Status der Eidgenossenschaft Unabhängigkeit und Neutralität (593) • Unabhängigkeit de jure, Abhängigkeit de facto (1798-1815) • Napoleon: „Mir gegenüber ist eure Neutralität ein Wort ohne Sinn, sie kann euch nur solange dienen, als ich will.“ • Einen Monat nach der Völkerschlacht bei Leipzig: 18. November 1815 Tagsatzung proklamiert Neutralität der Schweiz => Die Alliierten nahmen aber keine Rücksicht und marschierten im Dezember durch die Schweiz nach Frankreich. • Zweiter Pariser Frieden 20. November 1815. Annerkennung der Neutralität Grenzbereinigungen • Mühsame Verhandlungen in Paris und Turin (Turiner Vertrag 1815) Einige Gebiete in Genf dazu, aber endgültiger Verlust von Mühlhausen und dem bündnerischen Veltlins (an Österreich). Erwerb des österreichischen Fricktals ohne Probleme. Grenzen des Fürstentums Neuenburg erst 1824 bereinigt. Mit einigen geringen Ausnahmen: 1816 Staatsgebiet der Schweiz hat endgültige Form gefunden Neue Kantone (594) • Aufnahme Genf, Wallis und Neuenburg (Auf Druck der Alliierten vollwertige Kantone geworden) • Im Inneren keineswegs alles territorialen Probleme gelöst Die Zwitterstellung Neuenburgs • Von 1806- 1814 Bindungen Neuenburgs an König von Preussen durch Napoleon gekappt. 18 Juni 1814 monarchische Verfassung, gleichzeitig gestattete er aber auch dessen Rückkehr in die Eidgenossenschaft im Rang eines Kantones (Also Fürstentum und Kanton bis 1857) • Mit Beginn der Regeneration erreichen Beziehungen zwischen Preussen und der Eidgenossenschaft einen Tiefpunkt. (Republikanische Erhebungen 1831) 16 • 5 März 1848 Neue republikanische Verfassung => Pariser Vertrag vom 26. Mai 1857: Neuenburgerfrage endgültig gelöst. • 1814 Jura „herrenloses Land“ • Bistum Basel Kompensationsobjekt für Bern • Wiener Kongress bestimmt: Biel zu Bern • 1815 Einverleibung der Jurassischen Gebiete durch Bern • Autonomiewunsch bei den jurassischen Katholiken bleibt bestehen => Jurassischer Partikularismus: Petitionen 1830/ 1836/ 1839, Volksabstimmungen 1831/ 1846 => Organisierter Separatismus. Erst gegen Ende des 20 Jahrhundert (70er). Autonomie erreicht Rechtsungleichheit führt zur Trennung Basels (597) • Restauration hatte in Basel deutliche Rechtsungleichheiten zwischen Staat und Land wiederhergestellt. 1833 Abspaltung Basel Landschaft => Trennung des Kantons in zwei Halbkantone Neuumschreibung der Bistümer (599) • Die Neuordnung der kirchlichen Verwaltungseinheiten folgte der allgemeinen Tendenz zu vermehrter politischer Integration • Genf umfasste nach seiner territorialen Abrundung durch savoyisches Gebiet auch Gemeinden katholischer Konfession => Eingliederung in Diözese Lausanne und Freiburg. • Die Französische Revolution und ihre Folgen hatten das Verschwinden zahlreicher europäischer Diözesen verursacht. 2. Entstehung eines Nationalitätsbewusstseins (600) • Nationales Bewusstsein vor allem bei den Eliten infolge der oft rücksichtslosen Einmischung von aussen im Zeitraum zwischen 1815 und 1848 (Fremde Truppen besetzten das Land 1798-1802/ 1813-14, Napoleonisches Protektorat 1802-1813) • Bundesvertrag 1815 • 40er Jahre Riss zwischen Konservativen und Radikalen tritt zutage => Katholiken gründen den Sonderbund Staat und Nation (601) • Ausgeprägter Patriotismus („Nationalgeist“) => Die Politiker der Mediations- wie der Restaurationszeit waren auf ihre Weise fest davon überzeugt, dass die Eidgenossenschaft innerhalb der neuen Ordnung ihren Platz haben müsse • Die Anhänger einer unteilbaren Republik blieben aber in der Minderheit 17 Die Randregionen (602) • Neuenburg und Jura noch kaum ausgeprägtes Nationalgefühl Bevormundung weckt Selbstgefühl (603) • Heilige Allianz: durch stetige Einflussnahme weckte sie das Selbstgefühl und den Abwehrwillen der Schweizer => Infolge Druck von aussen hebt Tagsatzung die bereits teilweise bestehende Pressefreiheit wieder auf. => 1829 Tagsatzung setzt die von der Heiligen Allianz vor sechs Jahren verfügte Konklusion ausser Kraft • 1836 Erlass einer Konklusion weckt Widerstand. Proteste gegen die Bevormundung • Auch verstärktes Einheitsstreben innerhalb der Eidgenossenschaft. Viele schweizerische Vereine und Gesellschaften (Bsp. Schweizerische Naturforschende Gesellschaft, Schweizerische Offiziersgesellschaft etc.) tragen auch in hohem Masse zur Festigung der eidgenössischen Bande bei. • Erstes eidgenössisches Sängerfest 1843 in Zürich • 1808 Gründung der schweizerischen pädagogischen Gesellschaft Nationalkulte (606) • Theater beschwört de gemeinsame Tradition => erwachsendes Geschichtsbewusstsein auch wichtig: 1811 „Schweizerische Geschichtsforschende Gesellschaft“ ab 1841 „Allgemeine Geschichtsforschende Gesellschaft der Schweiz“ => Viele neue historische Zeitschriften • Patriotismus der Zeitgenossen: Tradition des Inneren Friedens/ Helden von Sempach/ Die Befreiungssage Willhelm Tells und „Kanonenmaid von Ems“ (Anna Marie Bühler) Befreiungssagen 3. Die politischen Institutionen (608) Von der Utopie zur Realität • Frage nach einer gesamtschweizerischen Regierung kommt auf. 3 Phasen: Utopie bis 1830/ realisierbare Utopie bis zwischen 1830 und 1848, Realität von 1848 an. • Helvetische Republik: von aussen aufgezwungen. In jener Zeit verstand man unter Staat noch den eigenen Kanton. Man war gekränkt angesichts des Zentralismus der Helvetischen Republik. Bonaparte realisierte das und setzte deshalb die Tagsatzung und die kantonale Souveränität wieder ein. • Bundesvertrag 1815 stellte die Verhältnisse des Ancien Régimes weitgehend wieder her 18 • Ab den dreissiger Jahren setzt sich in den meisten Kantonen die liberale Staatstheorie durch. Vor dieser Theorie konnte weder die Tagsatzung noch der Bundesvertrag lange bestehen • Julirevolution: Gunst vieler wieder beim Nachbar Versuche einer Bundesrevision (610) • Tagsatzung 1831: Vorschlag Thurgaus zu einer Revision des Bundesvertrages • Tagsatzung 1832: Luzern, Ausarbeitung eines ersten Entwurfs Die wesentlichen Punkte: Umwandlung der Tagsatzung in eine Legislative, Schaffung eines Bundesrates als Exekutive, und Gründung eines Bundesgerichts als Judikative • Ausserordentliche Tagsatzung 1833: Zürich, Neue Fassung wieder kein Erfolg, Reform wurde bis auf weiteres aufgeschoben • Tagsatzung 1834: Neue Kommission, die auch nicht zum Ziel gelangte => festgefahrene Lage • 1848: Die Tagsatzung löst sich auf (nach Sonderbundskrieg) indem sie den Bundesvertrag durch eine Verfassung ersetzte und ihre eigene Auflösung beschloss Bruch und Kontinuität (611) • Übergang nicht ohne Kämpfe und Gewaltanwendung. Sonderbundskrieg 1847 => schmerzhafter Bruch • Auch die Kantone erlebten 1830 und in den folgenden Jahren einen mehr oder weniger brutalen Wandel von der Oligarchie der Restaurationszeit zur repräsentativen Demokratie der Regeneration. Trotzdem eine gewisse Kontinuität. (Bsp. Napoleonischer Einfluss etc.) Die politischen Eliten • Weiteres Beispiel für Kontinuität: Die lange Amtszeit der hohen Beamten zeigte, dass die Verwaltungsapparate fähig waren, den politischen Wandel zu überdauern. Stärken und Schwächen der Tagsatzung (612) • Dekadenter eidgenössischer Bund war eben doch eine republikanische Insel im Meer der monarchistischen Staaten => Die negative Erfahrung der Helvetik (Äussere und Innere Ohnmacht) wertete die alte Schweiz des Friedens und des Wohlstands wieder auf. • Bundesvertrag 1815 war vor allem ein Verteidigungspakt, ein militärisches Bündnis souveräner Staaten (Kantone) 19 E. Die Kantone und der Bund (613) 1. Die Anfänge der liberalen Demokratie • Liberale Bewegung der ersten Hälfte des 19. Jh. schuf die Voraussetzung für die Realisierung der Utopie eines modernen Bundesstaates Friedliche Revolutionen • Kampf für liberale Demokratie in den Kantonen eher friedlich, aber klar im Zeichen der Revolution. (Aber eher evolutionär) • Wellenbrechereffekt des Föderalismus • Verwurzelung demokratischer Strukturen in Stadt und Land seit dem Mittelalter • Beharrungsvermögen der katholischen Schweiz (verweigern sich einem revolutionären Abenteuer) • Protestantische Schweiz wesentlich besser auf den Wandel vorbereitet. Sehr viel spontanere Erhebung gegen das Ancien Régimes und weniger Betroffenheit bei dessen Verschwinden. • Pariser Revolution 1830 beeinflusste die Meinung der europäischen Öffentlichkeit durch ihre Mässigung Innerkantonale Spaltungen in Schwyz (615) • Harte Auseinandersetzungen zwischen den Anhänger der alten und der neuen Ordnung im Kanton Schwyz, Glarus und Wallis (Zeitweise 2 Regierungen, Frühjahr 1840 bewaffnete Auseinandersetzung) Die Folgen der Julirevolution • Löste breite landesweite Bewegung aus, an deren Ende die Errichtung der liberalen Demokratie stand • Kantone als politische Versuchslabore Freiheit und Gleichheit (617) • Das Demokratieverständnis des schweizerischen Liberalismus gab der Freiheit Vorrang vor der Gleichheit (Problem das Radikale von Liberalen, und Stadt vom Land trennte). Die Radikalen Regierungen, welche die liberalen ablösten, gaben der kollektiven Gleichheit den Vorrang und nahmen damit einen Kurswechsel vor. • Abbildung S. 617: Regierungsformen in der Schweiz um 1840 Die repräsentative Demokratie (617) • Verfassung: Volkssouveränität, Gewaltentrennung, Öffentlichkeit der Parlamentsdebatten, politische Rechte (Wahl und Stimmrechte) Unterwerfung eines jeden Bürgers unter die Autorität des Staates (i.S.v. Rousseaus Gesellschaftsvertrag) 20 Direktdemokratische Elemente (618) • Von den 25 Kantonen 1840: 16 repräsentative, 8 direkte (Landesgemeinde), 1 Monarchie (Neuenburg) => in einigen Kantonen fakultatives und obligatorisches (GR!) Veto gegen neue Gesetzeserlasse. (Veto Urform des modernen Referendums) Auswirkungen der Volksrechte (618) • Demokratie konnte auch eine Waffe „zur Verteidigung der alten Gesellschaft“ sein. Konservative Kräfte stürzen liberale und radikale Regierungen (1839: Zürich, 1841 Luzern, 1844 Wallis) => Im Wallis anschliessend „volkstümlich theokratische Diktatur“ Oktober 1847 Beitritt zum Sonderbund Das Wahlrecht • Indirekte Wahlverfahren, Zensuswahlrecht, und Kooptation (Gewählte konnten selber noch mehr Gleichgesinnte auswählen) => Zahlreiche diskriminierende Regelungen blieben weit über 1848 hinaus bestehen! Das Prinzip der Mehrheitsentscheide (619) • Einstimmigkeit vs. Mehrheitsentscheide Staatsbürgerliche Rechte • Noch zu Beginn der 40er Jahre liess keine der 16 repräsentativen Demokratien ihre Regierung vom Volk wählen (sondern Parlament) • Liberale Verfassungen meistens Wahlrecht ab 20/ bei den Landsgemeindekantonen hielt man an der alten Vorstellung über die Wehrhaftigkeit fest • Das von der Helvetischen Republik geschaffene Bürgerrecht wurde erst 1848 wieder hergestellt • Politische Aktivierung von Kanton zu Kanton, ja von Gemeinde zu Gemeinde verschieden! Damals meistens Nicht-Stimmende = Ja Stimmen 2. Krieg und Frieden zwischen den Kantonen (621) • Vor allem bei den eidgenössischen Schützenfesten gab es jeweils Anlass zur Bekundung von brüderlicher Solidarität. Epoche der Konkordate bis 1830 und die Epoche der Sonderbünde bis 1848 Die Zeit der Konkordate • 1803 -1848 dutzende Konkordate zwischen den Kantonen geschlossen(technischer Natur, betrafen vor allem Fragen des Zivilrechts und der Niederlassungsfragen) Auch politische Konventionen 21 • Alle diese Abkommen regelten die Beziehung der Eidgenossen unter einander. In der Regenerationszeit verschärfte sich das gegenseitige Misstrauen, was schliesslich zu offenen Feindseeligkeiten zwischen den Kantonen führte. Zweck der interkantonalen Abkommen (623) • Ausgleich der föderalistischen Ordnung des Bundesvertrages 1815 • Die zivilen und militärischen Kompetenzen der Tagsatzung dienten dazu, die eidgenössische Eintracht zu gewährleisten = Wende des Friedens: Gescheiterte Revisionsversuche des Bundesvertrages 1832/33 allmählicher Klimawandel bis hin zum Bürgerkrieg Spannungen unter den Kantonen • Es ist eine Konstante der schweizerischen Geschichte, dass die tiefgreifenden dauerhaften institutionellen Reformen von unten nach oben verlaufen, dass sie zuerst in den Gemeinden, dann in den Kantonen und schliesslich auf Bundesebene durchgesetzt werden. • Innerhalb eines knappen Jahres führte die Hälfte der Kantone ihre Regeneration durch. Sie drängten darauf auch den Bund zu regenerieren. (siehe Revisionsversuche oben!) • Im Gegensatz zum Bürgerkrieg 1802, der eine neuerliche ausländische Bevormundung mit sich brachte, festigte der Sonderbundskrieg die Stellung der Schweiz. Die Zeit der Sonderbünde • Siebnerkonkordat und Sarnerbund von 1832 wie später der eigentliche Sonderbund (1845) => auch eine Folge der Mängel des Bundesvertrages von 1815 • Zeit der Sonderbünde durch eine kumulative Ausweitung der Konflikte gekennzeichnet => Generalisierung, Polarisierung, Konfessionalisierung, Internationalisierung und schliesslich zur Militarisierung der politischen Differenzen • 2 Hauptphasen: Zeit des kalten Krieges (1831-1844) Zeit des offenen Bürgerkrieges (1844-47) Kalter Krieg (624) • Ausserordentliche Tagsatzung vom März 1832 => Konkordat über die Gegenseitige Garantie der Verfassung (LU, ZH, BE, Solothurn, SG, AG, TG) = Siebnerkonkordat (Sie schufen sich ein eigenes Schiedsverfahren und vereinbarten das Erlöschen des Konkordats, sobald die Bundesvertrag der Eidgenossen revidiert sein werde. 22 Der Sarnerbund (625) • Aus dem gleichen Gefühl der Bedrohung heraus ein Gegenbund der Kantone (Basel, Uri, Unterwalden, Neuenburg, Wallis) zur Bewahrung des Bundes. => Die Tagsatzung verlangte die Auflösung und der Bund wurde aufgelöst Konfessionalisierung des Konfliktes • Bei den beiden Sonderbünden von 1832 hatten konfessionelle Parteiungen noch keine Rolle gespielt. (Auf beiden Seiten fanden sich katholische und reformierte Kantone) • Schrittweise Konfessionalisierung: Kirchliche Belange (Badener Artikel 1834) (Aufhebung der aargauischen Klöster 1841) und (Berufung der Jesuiten nach Luzern) verschärften die politischen Gegensätze => Polarisierung • Alle Bereiche des alltäglichen Lebens wurden nun zum Gegenstand allgemeiner grundsätzlicher politischer Auseinandersetzungen. Die Presse trug das Ihrige dazu bei. => Blockbildung „Junge“ (liberale Demokratie) vs. „Alte“ (autoritäre Theokratie) Schweiz • In katholischen Gebieten wesentlich mehr Geistliche als in den reformierten Gegenden • In den 40er Jahren verhängnisvolle Entwicklung erreicht Höhepunkt • Bsp Aargau: Radikale Regierung löste alle Klöster auf. Tagsatzung reagierte und verurteilte Vorgehen des Kantons als unrechtmässig. 1843 Tagsatzung gab sich mit halber Lösung zufrieden (4 Frauenklöster wieder eröffnet, Männerklöster bleiben geschlossen) Der Bürgerkrieg (626) • Katholiken fühlten sich im Stich gelassen und unterdrückt => Spannungen zwischen Aargau und Luzern verschärfen sich. Seit 1834 Badener Artikel hatten sich die beiden Kantone gegenseitig verpflichtet einander beizustehen wenn die Rechte des Staates in Kirchensachen gefährdet oder nicht anerkannt würden. Inzwischen hatten sich die Wege der zwei Kantone aber getrennt. Im Aargau regierten die Radikalen in Luzern die Ultramontanen. Ordensgeistliche zettelten einen Aufstand an, dies gab der Regierung den Grund für die Klosteraufhebungen. Luzern reagierte, indem es seine Schulen den Jesuiten (Werkzeug der Gegenreformation) anvertrauten. 1844 weitete sich dieser Streit auf die gesamte Schweiz aus. Freischarenzüge und Sonderbund • Der Konflikt wurde zu einer bewaffneten Auseinandersetzung, vom Freischarenkrieg in den Jahren 1844-45 zum offenen Krieg 1847. Tagsatzung respektiert Recht Luzerns => Radikale greifen zur Selbsthilfe. 2 Freischarenzüge (= antiklerikale Umsturzversuche) 23 scheiterten. Tagsatzung erliess ein Verbot der Freischarenzüge. Der angegriffene Kanton Luzern wollte aber mehr Sicherheit mit ihm sechs weiter katholische Kantone • Geheimer Sonderbund (Luzern, Uri, Schwyz, Unterwalden, Zug, Freiburg, Wallis) Dezember 1845. Als dieser Sonderbund im Juni 1846 bekannt wurde, löste das im ganzen Land stürmische Reaktionen aus. Dies kam den Radikalen zugute und mündete in der Entscheidung der Tagsatzung diesen Sonderbund aufzulösen, was aber nicht ohne Gewalt gelang, folglich mit Waffengewalt erzwungen werden musste. • Abbildung S. 628 „Die Sonderbundskantone“ • Sonderbundskantone erklären den Entscheid als illegal und suchen Verbündete im Ausland (Österreich, Frankreich, Sardinien) => Internationalisierung des Konfliktes. => Beide Lager bereiteten sich auf den Krieg vor • Am 29. Oktober verliessen die Abgeordneten der Sonderbundskantone die Tagsatzung, was als formelle Trennung aufgefasst wurde und am 4. November mit dem Beschluss einer militärischen Intervention beantwortet wurde. Der Sonderbundskrieg(629) • = Religionskrieg, erster Kulturkampf, Sezessionskrieg, Bürgerkrieg • Militärische Interventionen dauern nur 26 Tage. Sonderbundskantone strategisch in schlechter Lage (Waffenlieferungen aus dem Ausland konnten abgefangen werden) und zahlenmässig unterlegen.) Die eidgenössischen Truppen hatten einen fähigen General (Guilaume-Henri Dufour). • 14. November Kapitulation Freiburgs, am 21. November Zug, drei Tage später Luzern. Eine Woche später am 30. November war der Widerstand gebrochen. • Beide Seiten hatten zusammen kaum mehr als hundert Tote zu beklagen. Auch die europäischen Mächte fanden sich schliesslich mit der neuen Lage in der Schweiz ab. Diplomatische Hilfe Grossbritanniens verhinderte vorerst eine von Preussen und den katholischen Mächten gemeinsam geplante Intervention. Der Ausbruch der Pariser Februarrevolution von 1848 und ihr Übergreifen auf andere Staaten zwangen dann die Regierungen, sich ihren eigenen inneren Schwierigkeiten zuzuwenden. Die Rückkehr zum Frieden (630) • Der Tagsatzung gelang es schliesslich doch die verfassungsmässige Ordnung wieder herzustellen. Man vermied Demütigungen der Besiegten („Brüder, die wieder in Pflicht zu nehmen, eure Aufgabe ist.“) • Entschlossen wies die Tagsatzung am 7. Februar ein Vermittlungsangebot Frankreichs, sowie „jede andere Art der Einmischung durch die Mächte“ zurück 24 • Schneller Zusammenbruch Sonderbund, das geringe Blutvergiessen und die Vermeidung schwerer Demütigungen ermöglichte ein schnelles Abkühlen der Gemüter. => Die Verfassung von 1848 brachte schliesslich eine Teilung der Souveränität zwischen Bund und Kantonen. 25 Kapitel 7 (Roland Ruffieux) Die Schweiz des Freisinns (1848-1914) • 1848 bis ca. 1870 => Orientierungsphase • 18070-1890 => Integrationsphase (Nach Konflikten 1866 und 1870- 71) • Mit Beginn der 90er Jahre: Neues Zeitalter, internationale Verflechtungen intensivieren sich. Phase geprägt durch Veränderungen A.) Die Anfänge des Bundesstaates (1848-1870) • Der Übergang vom Staatenbund zum Bundesstaat war weniger durch die Erfahrungen der Vergangenheit geprägt als durch die Zukunftserwartungen einer neuen Politikergeneration. Die administrative und politische Modernisierung war darauf angelegt eine neue Führungselite heranzubilden. Damit war der Rahmen für die „Rekonstruktion“ (1848-1865) abgesteckt. • Die Innenpolitik bewegte sich in vorgegeben Bahnen, wenn auch das Zusammenspiel der einzelnen Elemente wegen der ungebrochenen Vitalität der Kantone komplex bleiben musste. • Aussenpolitisch rasch wechselnde Realitäten. Gescheiteter „Völkerfrühling“ • Der junge Bundesrat erlebt mit dem Neuenburgerkonflikt und dem Savyenhandel seine grössten Belastungsproben • Der Schweizer Wirtschaft kamen die Vereinheitlichung des Zollwesens, das Bekenntnis zum Freihandel und erfolge in eineigen Sparten der Textil- und Metallverarbeitung zugute • Der Anstoss zur Bundesverfassung kam in den vierziger Jahren von unten und breitete sich gerade in dem Augenblick aus, als Europa von kriegerischen Auseinandersetzungen geschüttelt wurde. Wieder Krise angesichts der europäischen Wende 1870/71. 1. Vom Bundesvertrag zur Bundesverfassung Die Bundesrevision (641) • Als im Februar 1848 in Paris die Revolution ausbrach, hatten die Radikalen den militärischen Widerstands des Sonderbundes bereits gebrochen und nahezu alle besiegten und neutralen Kantone für die ein Jahr zuvor beschlossene Revision gewonnen. • Ausbau der Überlegenheit der Radikalen infolge Uneinigkeit bei den Konservativen auf Bundesebene, und das Ausfallen der europäischen Mächte. (Hatten noch am 18. Januar die Einstimmigkeit der Kantone verlangt, als Voraussetzung für jede Revision) Günstiges Klima: Der „Völkerfrühling“ 26 • Im Windschatten des „Völkerfrühlings“ gelang es den Revisionsanhängern immer weiterreichende Verfassungsänderungen vorzuschlagen, die schliesslich zur Umwandlung des Staatenbundes in einen Bundesstaat führten • Gründerväter der Revisionskommission: Jonas Furrer (Zürich), Ulrich Ochsenbein (Bern), Josef Munzinger (Solothurn), Willhelm Matthias Naeff (St. Gallen), Johann Konrad Kern (Thurgau), Henri Druey (Waadt). • Die arbeiten der Kommission begannen am 16. Februar und endeten am 8. April mit der Vorlage eines Berichtes, der als Muster der Klarheit und des gesunden Menschenverstandes bezeichnet werden kann • Am 15. April trat die Tagsatzung vollzählig zusammen => Mehrheiten für den Revisionsentwurf nur unter wesentlichen Zugeständnisse: militärische Zentralisation entschärft, Schulwesen: nur Kompetenz des Bundes für eidgenössischen Hochschulen, Strassennetz: Kantonale Zuständigkeit, drei Landessprachen verankert • Am 27. Juni knappe Mehrheit (13 Kantone) Die Volksabstimmung (642) • Zwischen 5. August und 3. September in allen Kantonen (ausser Freiburg) Volksabstimmungen => besseres Ergebnis für die Revision 15.5 Ja Kantone, 6.4 Nein Kantone. • Am 12. September nahm die Tagsatzung von diesem Entscheid Kenntnis. Sie stellte fest, dass die neue Schweizer Verfassung angenommen worden sei. (Bei einer Beteiligung von 55% der Stimmberechtigten, die 19% der Gesamtbevölkerung ausmachten wurden rund 40% Ja Stimmen und etwa 15% Nein Stimmen abgegeben) Nicht- Stimmende waren mit 45 % schon damals die bedeutendste politische Gruppe • Katholische Minderheit in Isolation geführt • Grad des Vertrauens gegenüber dem neuen Bundesstaat teilte Kantone in drei Gruppen (Sprache war kein Faktor) Zehn Kantone mit grosser Mehrheit, 6 Kantone wegen dem beachtlichen Gewichts, dass die Kantone behalten, 6 Kantone beharrten auf dem Föderalismus. Die neue Verfassung: Zweck und Mittel (643) • Bundesverfassung 1848 gliedert sich in eine Präambel, drei Abschnitte mit 114 Artikeln, und einigen Übergangsbestimmungen • Funktionen: gewachsenes Recht in modifizierter Form festhalten, Institutionen begründen, künftige Entwicklung vorzeichnen => eine offene Verfassung die einer dynamischen Gesellschaft in einer instabilen politischen Welt entsprach 27 • Die Beziehung zwischen den Kantonen und zwischen Kantonen und Bund waren nun institutioneller Natur (vorher vertraglicher) • Verbindung der Vergangenheit und der Zukunft war ein wichtiges Ziel der Bundesverfassung. Deshalb auch zwei Zweckbestimmungen des Bundesvertrages übernommen: Behauptung der Unabhängigkeit nach aussen, Handhabung von Ruhe und Ordnung im Inneren. => Bund erhält aussenpolitisches Monopol Grundrechte und Freiheiten (644) • Weiteres Ziel: Schutz der Freiheit und der Grundrechte der Schweizer • Bestimmungen der fortschrittlichen Kantonsverfassungen übernommen und vervollständigt => Neue Niederlassungsfreiheit, Kultus- und Vereinsfreiheit • Beförderung der allgemeinen Wohlfahrt verankert => Vereinheitlichung Zoll-, Mass- und Währungswesen • Grundlegende Neuerung bestand in den Organen des neuen Bundesstaats: Parlament, Regierung, Ansätze zu einem Bundesgericht Die drei Gewalten (645) • Bundesversammlung mit ihren beiden Kammern war ein Ergebnis langer Verhandlungen • Schaffung des siebenköpfigen Bundesrates • Indem festgelegt wurde, dass der Bundesrat von der Bundesversammlung zu wählen sei, war auch der Entscheid für das Kollegialprinzip gefallen • Bundesgericht auf zivil und strafrechtliche Kompetenz beschränkt (Verfassungsgerichtsbarkeit beim Bundesrat) • Zölle wichtigste Einnahmequelle des Bundes • Die neue Verfassung verlängerte die Liste der Bundeskompetenzen, legte vor allem die Möglichkeit für künftige Veränderungen durch Revisionen fest => Damit war die direkte Demokratie eingeführt (Wege zur Verfassungsänderung aber sehr kompliziert) 2. Die Modernisierung von Politik und Verwaltung (646) • Neues Staats und Regierungssystem Bedeutung und Tragweite der Veränderungen • Es stellte sich de Frage, wie weit mit dem Widerstand der besiegten Sonderbundskantone gerechnet werden musste. => Die Konservative wollten die Aufrechterhaltung der historisch gewachsenen Strukturen. Liberale schrittweise Durchsetzung der persönlichen Freiheiten. Radikale fordern mehr Gleichheit Der Bundesstaat - eine Zielvorstellung (647) • Bundesstaat zunächst eher Zielvorstellung als eine gefestigte Realität 28 • Modernisierung des politischen Lebens zwischen 1848 und den 60er Jahren in Form einer Polarisierung zwischen den Kräften des „Fortschritts“ (Freisinn, Liberale, Radikale) und der „Beharrung“ => Konservative verlieren jeden Zusammenhalt und werden in die Defensive gedrängt Die Organisation der Bundesbehörden • Beginn wenig zentralistischer Periode. Bund beschränkt sich auf die Einsetzung neuer Behörden und auf den Erlass einiger organisatorischer Gesetzte. => Übernahme der neuen Machtpositionen durch eine sozial eng umschriebene Elite Die erste Bundesversammlung • Oktober 1848 die Mitglieder der Kammern werden gewählt (nach verschiedenen Verfahren) => 6. November erste Bundesversammlung, am 16 November: Wahl des ersten Bundesrates => 28. November Bern wird zur Bundesstadt erkoren • Die Verantwortlichkeit des Bundesrates und der neu geschaffenen Bundesverwaltung wurde durch das Bundesgesetz vom 9. Dezember 1850 geregelt. • Weitere Serie von Gesetzen ordnet vorgesehene Bundeskompetenzen (Post, Zoll, Militärgesetzte) • Die Vereinheitlichung von Mass und Gewicht ebenso wie die des Geldes führten zu heftigen Kontroversen, zwischen den mit den jeweiligen Nachbarländern eng verbundenen Regionen => Gesetzt vom 23 Dezember 1851 Die Achtundvierziger und ihr Regime (649) • Aufstieg einer neuen politischen Elite, die zur Verteidigung und zur Entwicklung des bestehenden Staates entschlossen war Triumph des radikalen Bürgertums • Sieg des Radikalismus (Anhänger überwiegend aus dem protestantischen Lager) gelang dem Bürgertum auch der Griff nach der politischen Macht, nachdem es zuvor bereits eine beherrschende Stellung in Wirtschaft und Kultur erobert hatte. • Der neue Parlamentarier war politisch nicht vorbelastet und setzte sich vorwiegend aus drei sozio-professionellen Gruppen zusammen: Kantonale Magistraten (33%), Advokaten (23%) Unternehmer aus Industrie und Gewerbe (22%) Diese Zusammensetzung des Parlaments blieb erhalten bis zu Beginn der Siebziger Jahre. • Ungekannte Volksnähe der Parlamentarier • Nahezu das gesamte Mittelland war radikal (Von Genf bis Rohrschach) Rekonstruktion und Parteikämpfe (650) 29 • Periode 1848 bis Ausbruch des deutsch französischen Krieges innenpolitisch drei Perioden: 1848-1857 „Rekonstruktion“ / 1857- 1866 Sammlung der politischen Kräfte zur Bewältigung neuer Aufgaben / ab 1866 Phase einer Trendwende (siehe unten) Die Nationalratswahlen • Ab 1848 in dreijährigen Intervallen • Im Zeichen der Konsolidierung des Bundesstaats kam es zu einem Schulterschluss: Das Volk segnete die Radikale Vorherrschaft ab, deren Voraussetzungen durch eine geschickte Wahlkreisgeometrie und durch Anwendung der offenen Stimmabgabe geschaffen worden war. • Wiederholte Appelle zur Eintracht erwiesen sich als notwendig für die Erhaltung einer liberal-radikalen Mehrheit, da sich diese Mehrheit bei wichtigen Entscheidungen von nationaler Tragweite nicht wirklich durchsetzen konnte. Die Grenze der Rekonstruktion • Die wesentlichen Elemente der „Rekonstruktion“ bestand in einer politischen und ideologischen Regenerationskur, die der schweizerische Radikalismus den Besiegten des Sonderbundskrieges verordnete • Von ca. 1855 bis 1865 verlagerte sich das Schwergewicht der eidgenössischen Politik auf wirtschaftliche und aussenpolitische Fragen • Das zentrale Thema des Wahlkampfes 1957 war der Eisenbahnbau • Für Jahrzehnte verstärkte das aufkommende Eisenbahnfieber die politische Zersplitterung der Schweiz, da auch auf kantonaler Ebene keine Einmütigkeit hergestellt werden konnte. Die Auswirkungen der politischen Zersplitterung (652) • 15 Jahre nach der Gründung des Bundesstaates und nach sechs Nationalratswahlen hatte sich die eidgenössische Volksvertretung den sozialen Realitäten angeglichen 3. Die Aussenpolitik im Zeitalter der Nationalbewegungen Auf der Suche nach einer neuen Formel 30 • Der Schutz der eigenen Unabhängigkeit gehörte zu den vordringlichsten Zielen des neuen Bundesstaates (Ab 1815 hatte es faktisch keine Aussenpolitik gegeben) • Bis 1859 machte der Schweiz die konservative Reaktion in den europäischen Nachbarländern zu schaffen. Danach wuchs der Imperialismus der Nachbarländer zu einer Gefahr für den Bestand der territorialen Einheit heran • Konzept der Kulturnation Die Nachwirkungen des Schocks von 1848 (653) • 1848-50 Ausländische Druckversuche von Norden und von Süden brachte das Land in eine heikle Situation. Bsp. Tessin eng verbunden mit dem „risorgimento“ (Freischaren) und Aufnahme von 20`000 Flüchtlinge) Ähnliche Lage an der Rheingrenze • Die Anwesenheit und Tätigkeit von politischen Flüchtlingen brachte die Schweiz in den Ruf ein Hort der Revolution zu sein. Die Abschiebung von als gefährlich geltenden Gäste nach England und Amerika entschärfte aber den Druck Der Neuenburgerkonflikt • Letzte grosse Nachwirkung des Völkerfrühlings ergab sich aus Doppelstellung Neuenburg als Kanton und Preussisches Fürstentum. Im März 48 war die Republik ausgerufen worden, aber nicht anerkannt worden vom Preussischen Landherr. => 1856 scheiterte royalistische Gegenrevolution • Kultureller Faktor wurde angesichts der nationalen Bewegungen in den Nachbarstaaten auf die Probe gestellt. Einigungskriege der 60er Jahre stellten die Neutralität des Landes nochmals auf eine harte Bewährungsprobe Schlappe im Savoyenhandel (655) • Nebenaspekt des italienischen Krieges führte zum Savoyenhandel, bei dem die Berner Behörden wesentlich schlechter abschnitten als bei der erfolgreichen Beilegung des Neuenburgerkonflikts. (Siehe S. 656) • Sowohl die Neuenburgerfrage wie der Savoyenhandel gaben Anlass zu Diskussionen über die materiellen und moralischen Möglichkeiten der Aussenpolitik angesichts der abbröckelnden Ordnung von 1815 • Durch höhere Militärausgaben konnten moderne Waffen beschafft werden und damit die Schlagkraft der Arme deutlich verbessert werden • 1863 Henri Dunants grünet internationales Komitee des Roten Kreuzes 4. Auf dem Weg zu einer Wirtschaft von europäischem Format Absehbare und ungewisse Entwicklungen 31 • Mitte des 18. Jh. noch als arm zu bezeichnet war die Schweiz um 1848 bereits sehr wohlhabend und bis 1914 auf wirtschaftlichem Gebiet mit den wichtigsten Industrienationen gleichgezogen => Der wirtschaftliche Wandel stand dem politischen in nichts nach! • Durch die deutsche und italienische Einigung erhielt das schweizerische Eisenbahnnetz europäische Bedeutung Eine Reihe günstiger Bedingungen (657) • Vier zentrale Bedingungen: Wirt. Denken noch stark vom Liberalismus geprägt, lange Friedensperiode, Optimismus der Unternehmer, Hochstimmung erhält zusätzlichen Antrieb durch die Gründung des Bundesstaates • Ausbreitung der Mechanisierung => Logik der Industrialisierung verlagerte sich von Qualität auf Quantität => Rückgang des Handwerks • Unterschiedlicher Industrialisierungsgrad je nach Branche und Region • Anteil Fabrikarbeiter : 1850: 68`000 / 1870: 189`000 Von der Textilindustrie zur Maschinenindustrie (659) • Maschinenindustrie und Uhrenindustrie legt stetig zu Standhalten der Kleinbetriebe • Fabrik setzte sich nur in begrenztem Mass durch und der Kleinbetrieb blieb noch lange Zeit die Regel • Um 1850: Textilindustrie 54% der Beschäftigten, Maschinenindustrie 13%, Andere Branchen immer noch einen Drittel! => Baugewerbe. Land und Holzwirtschaft, Nahrungsmittel und Konsumgüterherstellung gab es fast nur Kleinunternehmen. Aber auch dort technischer Fortschritt (Bsp. 1866: Kondensmilch/ 1870: Kindermehl / 1866: Trockensuppen/ 1850: gedrehte Zigaretten / 1869: Serienschuhe etc.) • Das schnelle Wachstum der Industrie und die ausserordentliche Vermehrung der Dienstleistungsberufe führte zu einer Abnahme der bäuerlichen Bevölkerung (1850: 620`000 Bauern/ 1880: 558`000 = minus 11%) Nahrungsimporte zwischen 1840 und 1880 um 40% gestiegen (Eisenbahn etc.) Aufschwung der Dienstleitungen • 1850: 110`000 => 1880 280`00 (Beschäftigte) => Infolge Widerstand gegen die Zentralisierung war diese Zunahme mehr den Privaten als den Verwaltungen zu verdanken. (Transport/ Handel/ Banken/ Tourismus) => Dienstleistungen blieben Dezentralisiert und boten Arbeitsplätze bis in die Bergregionen hinauf 32 • Eisenbahn: Weder Verfassungskompromiss 1848 noch Eisenbahngesetz 1852 erwiesen sich als geeignetes Mittel gegen die Zersplitterung der privaten Initiativen. Erst nach der Verlegung von 1420 Km gelang es dem Bund 1870 die Durchsetzung einer Teilkontrolle. => Im Gegensatz zu der in anderen Länder üblichen Praxis überliess der Bund den Hauptteil der Verantwortung der Privatwirtschaft (v.a. Französische Geldgeber kämpfen darum) Konkurrierende Projekte (662) • Die vom Bundesrat mit der Ausarbeitung eines ersten Entwurfs für eine nationale Linienführung beauftragten Briten Robert Stephenson und Henry Swinburne legten m Jahre 1850 ihren Plan vor. Er sah ein Eisenbahnkreuz von 750 km vom Bodensee bis zum Genfersee und von Basel nach Luzern mit Olten als Schnittpunkt vor. => Ein paar Jahre später bereits ein verworrenes Bild: 3 Hauptgesellschaften und einige Kleinere wetteiferten um die geplanten Projekte. • Schuld an dieser verworrenen Situation waren einige einflussreiche Kantone die den Wert der Eisenbahn erkannten (Basler Zentralbahngesellschaft: Linie Basel-Olten, Nebenstrecken nach Aarau, Bern, Biel und Luzern) • Auf die Phasen des ungezügelten Eisenbahnbaus und der gescheiterten Fusion folgte die Finanzkrise der 60er Jahre. Sie bildete den Auftakt zu einer ersten Annäherung • Karte S. 663 „Das CH-Eisenbahnnetz“ • Angesichts der Gefahr einer Übernahme durch den Bund gründeten die Geldgeber eine Schweizerische Eisenbahngesellschaft mit der Auflage einen Vertrag über den gemeinsamen Betrieb abzuschliessen. (1867) => 1873 Zusammenschluss der drei Westschweizer Bahnen zur „Westschweizerischen Eisenbahngesellschaft) • Gotthard Vertrag 1869 unterzeichnet Hockkonjunktur im Zeichen des Freihandels (664) • Konjunktureller Wachstum zwischen 1848 und 1871/72 vier Phasen: 1. Aufschwung von 1849-57, 2. kurze Weltwirtschaftskrise 1857 (Die erste, die durch Überproduktion ausgelöst wurde) 3. Folgende Jahre geprägt durch Sezessionskrieg, 4. Kurze Überhitzung zu Beginn der Ära Bismarck • 1851 Schaffung des ersten eidgenössischen Zolltarifes • Durch den Sezessionskrieg wurde der schweizerische Handel mit Asien und dem Fernen Osten angekurbelt Sieg des Freihandels 33 • Freihändlerische Devise (wie England) erwies sich für die Schweiz als günstig. Schweiz profitiert vom Cobden-Chevalier Vertrag (1860), Verträge mit Frankreich (1864), Österreich (1864), Italien (1869), deutsche Staaten (1869) => Diese Länder importierten aber kaum 40% der schweizerischen Ausfuhren 5. Ein neuer politischer Aufbruch (666) Die Rolle der Kantone • Rückstufung der Souveränität der 25 Kanone und Halbkantone vollzog sich nicht ohne Widerstand. => Die Ausübung der politischen Rechte nach republikanischen – repräsentativen oder demokratischen – Formen war zu gewährleisten. Kantonale Verfassungsrevisionen • Beide Lager (Fortschrittliche und Konservative) liessen die Bundesverfassung für 20 Jahre unangetastet. Alle Veränderungen spielten sich in den Kantonen ab. • Drei Tendenzen: Die direkte Demokratie wurde zurückgebunden/ das liberale Repräsentativsystem kam allgemein in Übung/ das radikale Modell (Durch Volk kontrollierte Demokratie) machte begrenzte Fortschritte • Karte S. 667 „Die Anfänge des Bundesstaates“ • Im Ganzen gesehen erwies sich in den 50er Jahren das Repräsentativmodell, das sich mit der Gründung des Bundesstaates durchgesetzt hatte. Als anpassungsfähig und fortschrittlich. Die demokratische Welle: Das Volk im Vormarsch • Tiefgreifende Veränderungen in den 60er Jahren, die in den Kantonen die Systeme erschüttern und langfristig zur Ausweitung der demokratischen Rechte führen. => Umbruch des politischen Bewusstseins: Lehre der Volkssouveränität weiter gefasst/ Eingriff des Volkes verändert Gleichgewicht der Gewalten/ neue politische Elite entstand. • Neuintegration ging aus heftiger Kritik der bestehenden Ordnung hervor Neue Soziale Schichten • Neue soziale Gruppen kommen zum Zug, die vorher von den Wahlmännern ausgeschlossen worden waren. (Bsp. Intellektuelle ohne Vermögen, sozialistisch motivierte Philanthropen, Politiker vom Lande) • Die neue Koalition forderte die Demokratisierung des Kredits, die unentgeltliche Schule, den Schutz der Lohnempfänger, direkte Steuern mit starker Progression. Es war ein Aufstand der Kleinstädte gegen die Hauptstädte und eine Antwort auf die Folgen der Industrialisierung. Die demokratische Gegenelite hatte sowohl etwas von einer aufstreben Bourgeoisie wie auch von einer proletarischen Avantgarde 34 • Basel 1864 Verfassungsrevision • 1869/70 Referendum als demokratischer Fortschritt (Aargau, Thurgau, Bern) • Die Erschütterung in Zürich entsprach der Stärke seiner Regierung, die auch im Bund den Ton angab. Die Macht der Liberalen Partei war allgegenwärtig und Alfred Escher regierte fast im verborgenen Die Volksbewegung in Zürich • Im Dezember 1868 forderten Volksversammlungen eine Verfassungsrevision (mit überwältigter Mehrheit beschlossen) Auswirkungen auf die Bundesebene • Verfassungsrevision durch Erfolge der demokratischen Bewegungen vorgezeichnete aber auch durch äussere Umstände beschleunigt (Handelsvertrag mit Frankreich 1864 gegenseitige Niederlassungsfreiheit) • Einmal in Gang gesetzt, erfasste die Revisionsbewegung bald alle hängigen Fragen und entflammte von neuem Konflikte unter den verschiedenen Richtungen des Freisinns. Die Liberalen wie Alfred Escher wollten sich nicht mitreissen lassen, die junge Schule sah eine Chance zu einer Teilrevision, und der demokratische Flügel forderte eine Totalrevision. B) Umgruppierung und Integrationskrisen (1871-1891) 1. Von der Totalrevision zum dauernden Kompromiss (670) Neuer Anlauf zur Revision • Trotz des Fiaskos 1866 war die Revision nicht aufgegeben => Wahlen 1869 stärkte freisinnige Mehrheit im Bundesparlament. Neue Revisionspunkte • Der Deutsch-Französische Krieg hatte anfänglich wenig Einfluss. Nach Proklamation der Unfehlbarkeit des Papstes in Glaubensfragen durch das Vatikanische Konzil kam es in den vorbereitenden Kommissionen zu antikatholischen Reaktionen (Juli1870) • Die Wahlen von 1872, deren Hauptthema zum dritten Mal die Verfassungsrevision war, gestalteten sich zum Plebiszit. Zwei Gräber trennten die Lager ein sprachlicher und ein konfessioneller. Die Stunde der Laizisten (671) • Der neue Verfassungsentwurf vom Sommer 1873 war ein Versuch, die Nein Front aufzulockern, indem man den einen Teil zu gewinnen trachtete und den anderen in Bann tat. Konzession an die Welschen 35 • Föderalistische radikale Welsche: Armee, Recht und Schule • Die Treue der Demokraten wurde durch die Beibehaltung des Gesetzesreferendums belohnt • Ausnahmeartikel von 1872 um zwei weitere Schikanen erweitert: Verbot neue Orden und Klöster zu gründen, Errichtung neuer Bistümer erfordert die Genehmigung des Bundes • Die neue Verfassung behielt ihre föderative Struktur aus dem Jahre 1848, vermehrte aber ihre Kompetenzen, vor allem auf sozialem, weniger auf wirtschaftlichem Gebiet. • Neue persönliche Rechte: Glaubens und Gewissensfreiheit/ Handels und Gewerbefreiheit/ Niederlassungsfreiheit • 19. April 1874 Schweizer Volk nimmt die neue Verfassung an (Bei 80% Wahlbeteiligung sehr deutlich) => protestantische, industrielle Städte stimmen Ja) => Die ländlichen Gegenden und Berggebiete hatten nichts mehr zu sagen. Wiederaufleben des Kulturkampfes (673) • Der Kulturkampf der schon zu Beginn der Verfassungsrevision als taktisches Mittel eingesetzt worden war, erhielt durch den Sieg vom April 1874 neuen Aufschwung. => Konflikt zwischen liberalem Rechtsstaat und der katholischen Kirche erhielt neue Nahrung • Entzündung an zwei Hauptkonflikten: In Genf widersetzen sich die Behörden der Schaffung eines Bistums/ Im Berner Jura wie in Genf wiesen die Regierung die romtreuen kirchlichen Würdenträger aus =>Dezember 1873 Abbruch der diplomatischen Beziehungen zum Heiligen Stuhl Übertriebene Reaktion (673) • Die Reaktionen der Regierung waren übertreiben Das Referendum ein zweischneidiges Schwert • Der Souverän hatte durch die neuerworbenen Rechte die Möglichkeit bekommen, dem freisinnigen Block in den Räten wechselnde Mehrheiten entgegenzusetzen. Die Freisinnige Elite musste bald erfahren, was eine Referendumsdrohung bedeutete. => Die Schweiz war in die Ära der Halbdirekten Demokratie eingetreten!!!!!!!! • Neue Spielregeln in den nächsten 15 Jahren => Ausbildung einer Demokratie der Interessensgruppen. Der freisinnige Staat verlor sein Charisma • November 1874: Gesetz über Militärreform (Bund bestimmt nun über Truppenordnung, Kantone beschränkte Kompetenzen) • Gemässigte Zentralisation von Mass und Gewicht. Gesetz vom Juni 1875: => Metrisches System ab 1877! 36 • 1885 erstes Referendum: Gegen den Gesetzesvorschlag über Ehe und Zivilsand • 1883 Eidgenössisches Obligationenrecht (Strafrecht blieb Kompetenz der Kantone, die 1879 die Wiedereinführung der Todesstrafe erwirkten) Zwei gelungene Kompromisse (675) • Eidgenössisches Fabrikgesetz und der Gotthard Kompromiss • 21 Oktober 1877 Annahme des Fabrikgesetzes (11 statt 12 h/tag) => Arbeiterschutzgesetzgebung erschloss dem Bund das weite Feld der Sozialpolitik Die Referendumsstürme • Auf dem Gebiet der Gesetzgebung war die hemmende Wirkung des Volkswillen viel ausgeprägter als bei Verfassungsänderungen. (Zwischen 1875-1885 10 von 14 Referenden angenommen!) Langsame Entspannung seit 1884 • 1884 Erneuerungswahlen des Nationalrates • Weitere Wahlen 1887 und 1890 bestätigten die allgemeine Entspannung, den ideologischen Waffenstillstand und die Behauptung der kantonalen Rechte. Die Radikalen gewannen behielten die Mehrheit, aber mehr infolge der Wahlkreisgeographie. Es zeichnete sich ab, dass diese Übermacht nicht mehr lange gehalten werden konnte. • 1890 extreme Linke feiert zum ersten Mal den 1. Mai • Das Klima des Wandels und der Neuorientierung bildete den Hintergrund für die Erweiterung der Volksrechte mit der diese Periode schlisst Neue Wege der Verfassungsänderung • 5 Juli 1881: Verfassungsinitiative wird eingeführt 2. Auf dem Weg zur Demokratie der Gruppen Der Prozess der Gruppenbildung • Im 19. Jh. beginnt für unser Land die Demokratie der Gruppen, die sich auf freiwilliger Basis gründen. 37 • Vor 1848 Gründung kultureller Vereinigungen • Zweite Etappe eingeleitet durch die berufliche Neugruppierung infolge der industriellen Arbeitsteilung • Mit einiger Verzögerung entstanden dann die modernen Parteien als „Kinder der Volksrechte“ (Gruner) Arbeitsteilung und Beruforganisationen (679) • Zünfte 1815 wieder aufgelebt, Mit der Anerkennung der Vereinsfreiheit und der Handelsund Gewerbefreiheit (1874) hatten sie völlig ausgespielt Frühe Organisation der Unternehmer • 1870 Handels- und Industrieverein (beträchtlicher Einfluss auf den Aussenhandel) • 1879 Schweizerischer Gewerbeverband (SGV) protektionistisch ausgerichtet Verspätung der Arbeiterschaft • komplexe Gründe dafür • Integration hatte bereits früh begonnen, unter dem Einfluss des Frühsozialismus, war aber erst zu Beginn der 90er Jahre abgeschlossen. (Gründe: Kleinräumige Struktur der Schweiz/ kultureller Pluralismus/ das Fehlen der Schwerindustrie und der grossen städtischen Agglomerationen/ Leichter Zugang zur politischen Mitbestimmung) • 1858 Typografen gründen gesamtschweizerische Gewerkschaft • 1863 die Schneider • 1887 die Schumacher • 1873 Gründung Schweizerischer Arbeiterbund => 1880 Auflösung zugunsten des Schweizerischen Gewerkschaftsbund • 1886 Allgemeine Schweizerische Arbeitsreservekasse • 1887 Gründung eines zweiten Schweizerischen Arbeiterbundes • Verspätete Parteienbildung auf nationaler Ebene infolge der politischen Aufsplitterung • Bis 1880 zwischen fortschrittlicher Dynamik und konservativem Widerstand Die Trümpfe des Radikalismus (681) • Der Radikalismus scharrte seine Truppe eher um republikanisches als demokratisches Ideal, um den Antiklerikalismus und um die Behauptung der Unabhängigkeit. • 1873 Gründung eines neuen schweizerischen Volksverein (Radikale, Liberale und Demokraten) Diese freisinnige Grossfamilie führte zum Erfolg der Verfassungsrevision 1874 Eroberung der absoluten Mehrheit 38 • politische Mandate haben Schlüsselstellung: Die Radikalen bemächtigten sich der Kontrolle der wichtigsten Positionen im Bundesrat und in den Räten Widersprüche bei den Katholiken • gewaltsame Auflösung des Sonderbunds bedeutete zugleich eine Niederlage und einen Neuanfang. => Aber das Vatikanische Konzil, die Revision der Bundesverfassung und der Kulturkampf führten zur Verschärfung der internen Meinungsverschiedenheiten zwischen Anhängern und Gegnern der bundesstaatlichen Lösung • 1881 Konservative Union (konnte sich nicht halten) • 1894 katholische Volkspartei => => Parteingeschichte und Bundesratsgeschichte besser dargestellt in Furrer Vorlesung (Der schweizerische Bundesstaat von1848) Der Weg zur Sozialdemokratie (683) • Anfänge nicht von Klassenkampf geprägt, sondern vom Wunsch nach mehr Demokratie. Um die Jahrhundertmitte erste sozialistische Parteien in Genf, Bern und Zürich. => Die erste Internationale löste eine Welle von Parteigründungen aus • 1870 Versuch einer gesamtschweizerischen Organisation (wurde vom Arbeiterbund verdrängt) tauchte aber 1880 als politischer Partner des Gewerkschaftsbundes wieder auf • 1890 Erster Sozialdemokrat im Nationalrat Die sprachlichen Minderheiten • Auf Bundesebene war die Sprachenfrage kaum von Bedeutung • Nach der Revision der Bundesverfassung 1874 begann die Schweiz langsam, einen mehrsprachigen Staat aufzubauen. Die Gleichberechtigung der Minderheiten setzte sich im letzten Viertel des Jahrhunderts rasch für das Französische, langsamer für das Italienische durch. Reibungen und Konflikte • Erhöhte Mobilität schafft Minderheiten => Vermehrung der Konfliktherde 3. Die „grosse Depression“ und die erste Umstrukturierung der Wirtschaft Die Gründer auf Bewährungsprobe • Deutsch-Französischer Krieg 1870/71 => führt zu einer wirtschaftlichen Überhitzung. Kredite waren ausserordentlich leicht zu haben, und so traf während der „Gründerjahre“ 39 eine wirtschaftliche Überexpansion mit der institutionellen Veränderung zusammen. (Frankfurter Frieden bescherte der Schweiz 1000km Schienen und 300 Millionen Franken Kapital für die Gesellschaften) Zusammenbruch und Unsicherheit • 1873 Krise setz ein => lange Depression folgt, die die gesamte industrialisierte Welt bis Mitte der neunziger Jahre traf. => Zahlreiche Konkurse Tiefpunkt 1887 erreicht. • 80er Jahre durch wirtschaftliche Unsicherheit gekennzeichnet: Rezession 1811 und 1815 => Erholung 1886-1890 => Diversifikation der wichtigsten Branchen Fabriken verdrängen die Werkstätten (686) • Anteil der Landwirtschaft sinkt von 42% auf 37% => Vermehrung der Fabrikarbeiterschaft • Die Krise führt bei den traditionellen Industrien eher zu einer Verhärtung des Widerstands gegen die Mechanisierung • Im Gegesatz zu England, Deutschland und Frankreich brachten die Maschinen in der Schweiz keine übermässige Konzentration (Weniger als ein Viertel rund 500`000 Arbeiter im Primärsektor arbeiteten in Fabriken) • => Die Industrialisierung erfolgte also in der Schweiz auf dezentrale Weise und ohne die Gesellschaft tief greifend zu erschüttern. Die Rolle des Staates in Wirtschaft und Finanzen • Die Depression zwang die Verantwortlichen zum Interventionismus wider Willen => Folge: Ausscheiden der Manchester Liberalen, die dieses Prinzip kategorisch ablehnten./ Förderung von halboffiziellen Interessensvertretungen in Form von beruflichen Dachorganisationen, in welchen der Bund wertvolle Gesprächspartner erkannte. Hilfe für die Landwirtschaft • Landwirtschaft muss schon damals subventioniert werden Entstehung der Grossbanken • 1856 Schweizerische Kreditanstalt • 1897 Schweizerische Bankgesellschaft • Als Dampfmaschine des expandierenden Kapitalismus und Geldgeber der öffentlichen Hand spielten die Banken in der Schweizerischen Finanzpolitik eine entscheidende Rolle (Um die Jahrhundertwende 199 kleine und grosse, private und öffentliche Banken) => Nationalbank fehlte noch • 1891 Banknotenmonopol beim Bund (ermächtigt eine Nationalbank zu gründen) Übergang zum Protektionismus (691) 40 • Übergang in drei Phasen: 1878 Erste Tarifrevision (verdoppelte Zolleinahmen)/ 80er Jahre: der Schweiz wird ein wird von den Nachbarn ein Verhandlungstarif aufgezwungen/ Gegen Ende der 80er Übergang zum Protektionismus Eine einschneidende Veränderung (692) • Protektionismus scheint durch die Haltung der europäischen Nachbarn aufgezwungen worden zu sein. 4. Zurückhaltung in der Aussenpolitik Ein notwendiger Umschwung • 1870/71 D/F Krieg: • Zum ersten Mal seit 1815: in allen vier Nachbarländern grundsätzliche institutionelle Neuerungen => Erschütterung der Neutralität Verwirrung und Beruhigung (693) • Bismarcks Triumph => Minderwertigkeitskomplex infolge Isolierung Grundhaltungen und Sympathien • Den Schweizern wurde immer klarer, dass die Einheit ihres Landes weder auf die Rasse noch auf die Sprache oder die Religion abgestützt war. Sie gewöhnten sich daran nach den Regeln einer doppelten Zugehörigkeit zu leben. Ausländische Kontrolle der Schweizer Eisenbahnen • Unter dem Druck von aussen konnte die Schweiz ihren Willen, die politische Kontrolle über das Eisenbahnnetz wieder zu übernehmen, nur unter grössten Schwierigkeiten durchsetzen. • Zwischen 1870 und 1877 um weiter 1000km vergrössert (v.a Nebenlinien der grossen Hauptachsen Zentrale Verbindung durch den Gotthard (695) • Internationale Finanzierung inklusive Bund => Bau durch deutsches Konsortium mit vorwiegend italienischen Arbeitern Ein politischer Kompromiss Der Simplon als Westachse Unterschiedliche Beurteilung Das Gewicht des Bismarckschen Systems (698) • Bündnissystem gegen Frankreich • Berliner Kongress 1878 • Abschluss des Dreibundes 1881 41 Das Reich droht mit Repressalien ======= Seite 695 bis 700 besser nochmals lesen! Der Zusammenfaser hatte gewissen Erschöpfungs-Erscheinungen C.) An der Schwelle zum 20. Jahrhundert (1891-1914) • Die dritte Phase des Bundesstaates widerspiegelt die zugleich tiefen und verschiedenartigen Einflüsse, die die Schweiz den internationalen Entwicklungen nun stärker aussetzen. => Stosskraft der Imperialismen. Schweiz erstrebt eine gerechtere und verantwortungsbewusstere Demokratie erstrebte, so gleichermassen um die sozialen Kämpfe zu dämpfen und einer trotz Friedensbemühungen immer bedrohlicheren Umwelt wirksam begegnen zu können. • Die Schweizerische Gesellschaft war in der zweiten Hälfte des 19. Jh. zur Reife gelangt 1. Die politischen Entwicklungslinien (700) Für eine verantwortungsbewusste Demokratie • Revisionsbewegungen der 70er: „Ein Staat und ein Recht, eine Armee und die Neutralität“ • Zwanzig Jahre später: Zeile haben sich verändert: Innenpolitisch sprengte der rege Gebrauch der Volksrechte bereits den Rahmen der Honoratiorenrepublik und verlieh der werdenden Nation eine unvorhergesehene Dynamik Eine Übergangsphase • Übergangsphase (1891-1914): Im Inneren verwirrende Vielfalt von Bestrebungen => ein verwirrendes Bild/ Aussenpolitisch: Verringerung des Handelsspielraums Bremsende Rolle des Referendums • Trotz wachsender Fiskaleinnahmen (1889-1900 verdoppelt) schafften es die Kantone und die Anhänger des Föderalismus immer wieder Gesetzte niederzuschmettern, wenn diese neue Ausgaben erwarten liessen. • Opfer der Referendumsguillotine: Gesetz über Pensionierung des Bundespersonals (1891)/ G. über diplomatische Vertretungen (1893)/ Zentralisation des Militärwesens (1895)/ Nationalbankgesetz (1897) • 1898: Verstaatlichung der grossen fünf Eisenbahngesellschaften wird vom Volk angenommen. => Bundesbahnen ab 1906 • Referendumskontrolle nach 1900 spürbar lückenhafter => Annahme Militärgesetz (1907)/ Lex Forrer über Versicherungen (1912) => fortschrittliche Sozialgesetzgebung => Beide Ergebnis einer Gelegenheitsmehrheit 42 Geringe Wirkung der Initiative (702) • Initiativen seit der Teilrevision 1891 möglich. Vom den zehn bis 1914 eingereichten wurden gerade 4 angenommen. • Tabelle S. 702: „Die Einführung des Proporzwahlrechts“ !!!!! • Drei Initiativen zur Einführung des Proporzwahlrechts auf Bundesebene: 1899/ 1909/ 1913/ => Erst 1918 Annahme (in einem durch die Drohung eines Generalstreiks belasteten politischen Klima) • Freisinnige Vorherrschaft im Nationalrat bleibt mangels Alternativen bestehen. • Thematik der acht Wahlkämpfe zwischen 1890 und 1914 waren geprägt durch Widerstand der grossen „alten Partei“ (1984 FDP?!?) gegen die Sozialdemokratie Die grosse Thematik • Ab 1904 heftige Debatte um die Demokratie • Aufwendungen des Bundes verdreifachen sich zwischen 1890 und 1913 (38.2 auf 121.2 Millionen) infolge Sicherheitspolitik und wirtschaftlichem Interventionismus Auswirkungen des Imperialismus • Ab 1990 Ära des Imperialismus: häufigere Konfrontation der Grossmächte infolge sozialdarwinistischen Doktrinen. => örtlich begrenzte Konflikte und Kriege und Neubewertung der mittleren und kleinen Staaten => Die Schweiz sah sich zu einer wachsamen Neutralität und zur restriktiven Handhabung des Asylrechts genötigt. Abbröckeln des Dreibundes (705) • Haltung der vier Nachbarn in dieser Periode Veränderungen unterworfen. (Abbröckeln des Bismarckschen Systems und neuer Kurs Willhelm II) • Die Generalstäbe des Zweibundes, die mit einem möglichen Krieg rechneten, bauten auf die Zuverlässigkeit der schweizerischen Neutralität Verstimmung der Entente • Frankreich: Schweiz habe zu dreibundfreundliche Haltung => hartnäckiges Misstrauen gegenüber Neutralität. Kaum bessere Beziehungen zu Grossbritannien (infolge Lebhafter Kritik der Schweizer Presse während des Burenkrieges (198-1900) • Trotz der Sorgfalt, mit der die Schweiz zu den entstehenden Blöcken Distanz zu halten suchte, gelang es ihr nicht, ihnen Vertrauen einzuflössen. => Isolierung verstärkte sich. Krise um den Gotthardvertrag (706) • Der Rückkauf der Eisenbahn durch den Bund konnte nicht ohne Auswirkungen auf die verlängerungsbedürftigen Verträge mit Deutschland und Italien von 1869-82 bleiben. => Schweiz kündigt Abkommen und will durch Tarifkonzessionen für den Transitverkehr 43 abgelten. => 15. Oktober 1909 Vertrag wird unterzeichnet. => Zahlreiche Vorrechte Italiens und Deutschlands. Gotthardkrise, da bei Simplonvertrag keine solchen Vorrechte bestanden. • Liberalkonservative der Westschweiz unterstütz von nationalistisch gesinnten Deutschschweizer Kreise: Initiative: Internationale Verträge mit einer Dauer über 15 Jahre sollen dem obligatorischen Referendum unterstellt werden. => Annahme nach Krieg 1921 Aktive internationale Beziehungen • Die Schweiz übernahm den Sitz von zahlreichen internationalen Organisationen zur Friedenssicherung. 1869-1900: Internationale Telegraphenverwaltung/ Weltpostverein/ Ämter für Eisenbahntransport/ Geistiges Eigentum => Liessen sich allein Bern nieder • Sobald der Frieden Thema internationaler Konferenzen auf Regierungsebene wurde, beteiligte sich auch die Schweiz daran => Hager Friedenskonferenz (1899)/ Zweite Friedenskonferenz 1907 => Schweiz unterzeichnet sämtliche Konventionen über Rechte und Pflichten der Neutralen. Die Politik guter Dienste bewegte sich aber hauptsächlich in der Schweiz, vor Auslandensätzen als Beobachter etc. scheute sich das Parlament. 2. Spezialisierung als wirtschaftlicher Entwicklungsfaktor Günstige Konjunkturentwicklungen • Jahrzehnte um die Jahrhundertwende gekennzeichnet durch ein stetiges Wachstum der Wirtschaft (Zwischen 1840 und 1914 Verdoppellung der Importe und Exporte) => Auswirkungen der Elektrifizierung: ermöglicht noch dezentralere Entwicklung/ dritter Schub im Bahnbau, der vor allem touristischen Zwecken diente Schubweises Wachstum (708) • Drei kurze internationale Rezessionen: 1890-94/ 1900-04/ 1908-09. => Teuerung der Rohstoffe. => Konjunkturaufschwung durch regelmässige Einbrüche gekennzeichnet • sozio-professioneller Wandel (Die Aktive Bevölkerung übertraf bad die Hälfte der gesamten Wohnbevölkerung) • Von 1888-1910 konnte der erste Sektor, dank Subventionen der Bauern, seinen Bestand in absoluten Zahlen halten. Industrie hatte eine viertel Million neuer Arbeitskräfte aufzuweisen. (Bevölkerungszunahme) Die zweite industrielle Revolution • Diversifikationsprozess • Textilindustrie blieb, trotz Abnahme der Arbeitsplätze (35% auf 27%), am Vorabend des Krieges noch immer führender Exportsektor. => Niedergang der Baumwolle kompensiert 44 durch Zunahme der Stickereien und Seidenbranche => Stagnation des Handwerks und der Heimarbeit • Abbildung S. 709 (Der Schweizerische Aussenhandel) An der Weltspitze im Maschinenexport (710) • 1913 An der Spitze der Weltrangliste der Maschinenexporte (Pro Einwohner gerechnet) Verstärkung des Protektionismus • Der nach mühsamen parlamentarischen Hin und Her zustande gekommene Generaltarif brachte eine erhebliche Erhöhung der Zollansätze und wurde von den liberal gesinnten Kreisen vergeblich mit dem Referendum bekämpft. • Zollkrieg mit Frankreich (1893-95) Übergang zu Kampfzöllen (711) • 1903 Annahme des Tarifes => Anschliessende Verhandlungen mit den wichtigsten Ländern des Kontinents stärkten die schweizerischen Exportinteressen. Dieser Schutzzoll trug auch dazu bei die Stellung der Uhrenindustrie und der Stickerei zu halten. Ein verdeckter Kolonialismus (712) • Wirtschaftlicher Imperialismus • Auch die Schweiz als fortgeschrittene Industrienation konnte sich an den wirtschaftlichen Abenteuern der eigentlichen Kolonialmächte beteiligen und eigene Initiativen ergreifen durch einen Bank- und Börsenimperialismus. • Die Schweiz war für den Ausgleich ihrer ständig defizitären Handelsbilanz auf Kapitalbewegungen und Dienstleitungen angewiesen. • Schweiz steht an Spitze der Investoren infolge: Verstärkte Drehscheibenfunktion der Schweiz als Finanzzentrum und Steueroase/ Finanzplatz stieg zu internationalem Ansehen auf • Nationalbank Gründung 1907 • Börsengründungen: Genf (1863)/ Basel (1876)/ Zürich (1877) Finanztransaktionen und Kapitalzustrom (713) • Schweizer Kapital beteiligt am Bau des Suezkanal und an der Bagdadbahn Trennung vom diplomatischen und wirtschaftlichen Bereich • Ein guter Teil des Schweizerischen Kapitals in Länder investiert, zu denen auch ein reger Handelsverkehr bestand. Private Finanzbeziehungen wurden nicht als diplomatische Waffe benutzt 3. Glanz und Elend der Gesellschaft 45 Die Bevölkerungsbewegung und ihre Auswirkungen • 1800 bis 1910: Mehr als Bevölkerungs-Verdoppellung • Vorabend des Krieges positive Wanderungsbilanz (1850-1900 viele Auswanderer und weniger Geburten) => Bevölkerungszunahme in dieser Zeit 2.4 auf 3.8 Millionen • Binnenmobilität: Vom Land in die Stadt, Von der Landwirtschaft in die Fabrik und ins Büro • Die acht grössten Städte der Schweiz hatten ihren Einwohnerzahl verfünffacht Die zweigeteilte Schweiz (715) • Die dynamische Schweiz des Mittellandsbogens, der Industrialisierung (doppelter Zustrom) / Die statischere Schweiz der Voralpen und Alpenregionen (Starke Abwanderungstradition) • Vorwiegend städtisch gehobene Bürgertum orientiert sich kulturell nach ausländischen Vorbildern (um 1910 ca. 100`000, Bäuerliche Lebensweise ca. 200`000, Handwerker 900`000) Bourgeoisie zwischen Pioniergeist und Konservatismus • Bourgeoisie gab Europa ein neues Gesicht • In denjenigen Kantonen, die nur am Rande von der Industrialisierung erfasst worden waren, blieben Unternehmer- und Beamtenbourgeoisie ausgesprochen konservativ Höhepunkt des Pauperismus (717) • Bevölkerungsvermehrung, Knappheit der natürlichen Ressource, ungenügende Vermehrung der Arbeitsplätze, Verstädterung => Massenarmut ereichte in der zweiten Hälfte des 19. Jh. ihren Höhepunkt (1890 Mehr als 119`000 Bedürftige) • Ernst der Lage: 1893-1902 durchschnittlicher Konsum von 16 Liter reinen Alkohols pro Einwohner • 80er Jahre auch in Folge der gefährlichen Berufe: Durchschnittliche Lebenserwartung bei 43 Jahren • Soziale Frage bleib dringend • 1910 doppelte Arbeitslöhne als 1875. Streikaktionen zwischen 1860 und 1894 (338 von 520 erfolgreich) plus Fabrikgesetzgebung und wachsendes soziale Kompetenz bei den Arbeitgebern • Tabelle S. 718: Langfristige Entwicklung der Preise und der Löhne Das Ausmass der Wanderungen (719) • Sozioökonomisches Gefälle innerhalb der Schweiz 46 • Von 1855 bis 1888 wanderten rund 200`000 ins Ausland aus. Bei Ausbruch des ersten Weltkrieges nochmals ebenso viele • Tabelle S. 719: Anteil der in andere Kantone umgezogene Einwohner • Drei Viertel der Auswanderer gingen in die USA (Zuerst Bauern, dann Handwerker, Arbeiter und Angestellte) Aber auch Lateinamerika • 2 Grafiken S. 720 Auswanderung nach Übersee (720) • starker Anteil der Zentralschweiz, der Alpenregionen und des Tessins • 2. Grafiken S. 721 Osmose mit den Nachbarn • Die Ausländeranteil machten in der Schweiz mehr als 17% aus (In Grenzregionen bis zu 65% Deutsche In Thurgau/ Genf 40% Anteil etc.) => Überfremdungsproblem => Der Krieg brachte eine unerwartet Lösung 4. Vom Wissenschaftsglauben zum ästhetischen Bruch Impulse durch die Technik (723) • Zusammenfallen des bürgerlichen Zeitalters. Gegen Ende des Jahrhundert kommt es zu einem Zusammenspannen zwischen der Industrie und den Universitäten => reine Forschung nahm einen Aufschwung: (Bsp. Albert Einstein Relativitätstheorie 1905) Die Zeit der theoretischen Entwürfe • Zwei Nobelpreise: 1909 an Theodor Kocher (Arbeit über Funktion der Schilddrüse)/ 1913 an den Chemiker Alfred Werner (Theorie der komplexen Salze) Zweckfreiere Forschung (724) • Naturforschende Gesellschaft der Schweiz (1815) erhielt von 1860 an Unterstützung des Bundes • Tabelle 724: Rückgang des Analphabetismus Unterschiedliche Entwicklung der Humanwissenschaften Literarischer Regionalismus und Kosmopolitismus der Kunst • Naturwissenschaft und Kunst verfiel nicht dem Regionalismus • Gottfried Keller/ Jeremias Gotthelf/ Conrad Ferdinand Meyer/ Carl Spitteler Kommerzieller Kreislauf der schönen Künste (726) 47 • 1850 erste eidgenössische Volkszählung holt räterromanische Sprache aus ihrer Isolation und zeigt deren prekäre Lage auf • 1866 Gründung der Gesellschaft schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten • 1900 Gründung des Schweizerischen Tonkünstlervereins 48