KVH • aktuell Informationsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen Pharmakotherapie Rationale und rationelle Pharmakotherapie in der Praxis Jhrg. 18, Heft 1 – April 2013 Behandlung nach Leitlinien Wer soll das alles schlucken? Große Therapiestudien und Leitlinien verschaffen unserer Arbeit in der Praxis eine evidenzgesicherte Grundlage. Aber leider haben sie fast alle einen Tunnelblick und behandeln nur eine einzige Krankheit oder ein enges Behandlungssegment. Daher bleibt ein großes Problem übrig, mit dem vor allem Allgemeinärzte und viele Internisten konfrontiert werden: Ihre Patienten sind meist multimorbide, wenn man ihnen all das verordnet, was die jeweils fachspezifischen Leitlinien vorsehen, dann kommt ein unübersichtlicher und zum Teil sogar gefährlicher Medikamentenmix heraus. Hier ist also Mut zur Lücke nicht nur gefragt, sondern zwingend notwendig. Das ist leichter gesagt als getan, denn bei der Bereinigung des Medikationsplans ist vieles zu bedenken und abzuwägen. Zum Glück gibt es jetzt aber eine Leitlinie, die gerade das Thema Multimedikation aufgreift. Sie gibt fundierte und praxisnahe Tipps, wie man einen Medikationsplan analysiert, Schwachstellen und Risiken aufSeite 29 spürt, um ihn dann auf das richtige Maß zu bringen. MAI M edikation erfassen Sensation bei kardiovaskulärer Sekundärprävention Gesunde Ernährung bringt auf Dauer viel mehr als ACE-Hemmer und Sartane Wir kennen es alle: Einen Patienten zu einer wirklich gesunden Ernährung zu bewegen, ist ziemlich schwer – wenn er nicht gerade überzeugter Vegetarier ist. Und wir selbst sind da ja auch nicht immer konsequent. Dabei lohnt es sich, insbesondere auch in der kardiovaskulären Sekundärprävention: Eine gesunde Lebensweise beeinflusst die Mortalität mehr als ACE-Hemmer und Sartane. Man muss dafür nicht absolut asketisch leben, aber die Grunddevise lautet in jedem Fall: Sparen Seite 4 beim Fleisch, Klotzen bei Salat und Gemüse. Koronarpatient nimmt Plättchenhemmer Was tun, wenn ein Eingriff ansteht? Patienten, die nach Koronarsyndrom oder Stentimplantation einen Thrombozytenaggregationshemmer einnehmen, stellen ihren Arzt bei einem bevorstehenden blutigen oder blutungsgefährdeten Eingriff regelmäßig vor die Frage: Weiter einnehmen, absetzen oder Bridging? Die Antwort hängt von der individuellen Konstellation ab. Drei Parameter sind zu klassifizieren: Kardiovaskuläres Risiko, Blutungsrisiko, Dringlichkeit des Eingriffs – daraus ergibt sich rasch eine ganz solide Seite 7 Entscheidungsgrundlage für den Einzelfall. Paradigmenwechsel im Arzneimarkt Position der Ärzte bröckelt immer weiter Seite 21 A ngemessenheit bewerten I ntervention durchführen KVH • aktuell Seite 2 Editorial Nr. 1 / 2013 Das beste Rezept: Gesundheitsbewusstsein Sehr geehrte, liebe Kolleginnen und Kollegen, frisch gestartet ins neue Jahr, hat man meistens gute Vorsätze – gesunde Ernährung gehört für viele von uns und unseren Patienten dazu. Dass eine gesunde Ernährung sich aber nicht nur beim nächsten Badeurlaub positiv bemerkbar macht, sondern auch in der kardiovaskulären Sekundärprävention auf Dauer mehr bringt als ACE-Hemmer und Sartane, das belegt der Beitrag von Dr. Klaus Ehrenthal in der vorliegenden „Pharmakotherapie“. Nicht das einzige interessante Thema der ersten Ausgabe des Jahres 2013: Frauen profitieren ungemein und genauso wie Männer vom Rauchstopp. Haben Sie sich schon immer gedacht? Eine neue Studie, die hier vorgestellt wird, erklärt auch, warum das so ist. Wie sieht es mit dem Zusammenspiel von Psychopharmaka und Verkehrsunfällen aus – ist das Bewusstsein bei der Therapie und Verordnung immer gegeben? Dieser Frage gehen wir nach. Wie auch im letzten Jahr gibt es darüber hinaus die Rubrik „Sicherer Verordnen“ und Informationen für Patienten. Dies und Vieles mehr soll Ihnen bei Ihrer Arbeit hilfreich sein – wie immer wünsche ich Ihnen eine interessante Lektüre. Ihre Angelika Prehn Vorstandsvorsitzende der KV Berlin Nr. 1 / 2013 KVH • aktuell Seite 3 Editorial 2 Wirkung der kardiovaskulären Sekundärprävention Gesunde Ernährung bringt auf Dauer mehr als ACE-Hemmer und Sartane Dr. med. Klaus Ehrenthal Plättchenhemmer und OP: Empfehlungen für das periinterventionelle Management Rauchen tötet Frauen ebenso wie Männer – neue Studie zeigt: Auch Frauen profitieren enorm vom Rauchstopp Dr. med. Klaus Ehrenthal 4 7 11 Verkehrsunfälle nach Psychopharmaka: Denken wir immer daran? Dr. med. Klaus Ehrenthal 14 Sicherer verordnen Fluorochinolone: schwere Leberschäden bei alten Patienten 16 16 Levofloxacin: Indikation eingeschränkt wegen neuer unerwünschter Wirkungen 16 Akute tubulointerstitielle Nephritis durch Arzneistoffe 16 Ösophagus-Läsionen – medikamenteninduziert 17 Milde Hypertonie: wann medikamentös therapieren? 17 Kodein: Vorsicht bei Tonsillektomien 17 Ungewöhnliche Übertragung von Sexualhormon 18 Kognitionseinschränkende Pharmaka im Alter 18 Kardiovaskuläres Risiko nicht-steroidaler Antiphlogistika (NSAID) 19 H1-Antihistaminika: Gefahr für Säuglinge und Kleinkinder 19 Nur ein schöner Wunsch? Zum Beitrag „Was hilft, wenn die Metformin-Monotherapie ausgereizt ist?“ Paradigmenwandel im Arzneimittelmarkt Position der Ärzte bröckelt immer weiter ab Dr. med. Jürgen Bausch Inhaltsverzeichnis 20 21 Unabhängige Informationen sind existenziell wichtig – auch für Patienten 27 Erster Preis für Leitliniengruppe Hessen 28 Leitlinie Multimedikation, Teil 1 Warum eine Leitlinie zur Multimedikation? Hausärztliche Schlüsselfragen Einführung Medikationsprozess – Bestandsaufnahme Medikationsprozess – Bewertung 29 30 30 31 35 37 Der arriba®-Risiko-Rechner Eine Patienten-Info, die Ihnen die Prävention erleichtert 47 Impressum Verlag: XtraDoc Verlag Dr. med. Bernhard Wiedemann, Winzerstraße 9, 65207 Wiesbaden Herausgeber und verantwortlich für die Inhalte: Kassenärztliche Vereinigung Hessen, Georg-Voigt-Straße 15, 60325 Frankfurt (www.kvhessen.de) Redaktionsstab: Dr. med. Joachim Fessler (verantw.), Dr. med. Christian Albrecht, Dr. med. Klaus Ehrenthal, Dr. med. Margareta Frank-Doss, Dr. med. Jan Geldmacher, Dr. med. Harald Herholz, Klaus Hollmann, Dr. med. Günter Hopf, Dr. med. Wolfgang LangHeinrich, Dr. med. Alexander Liesenfeld, Dr. med. Uwe Popert, Karl Matthias Roth, Dr. med. Michael Viapiano, Petra Bendrich, Dr. med. Jutta Witzke-Gross Fax Redaktion: 069 / 79502 501 Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt; Prof. Dr. med. Sebastian Harder, Institut für klinische Pharmakologie der Universität Frankfurt Die von Mitgliedern der Redaktion oder des Beirats gekennzeichneten Berichte und Kommentare sind redaktionseigene Beiträge; darin zum Ausdruck gebrachte Meinungen entsprechen der Auffassung des Herausgebers. Mit anderen als redaktionseignen Signa oder mit Verfassernamen gekennzeichnete Beiträge geben die Auffassung der Verfasser wieder und decken sich nicht zwangsläufig mit der Auffassung des Herausgebers. Sie dienen der umfassenden Meinungsbildung. Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe zu kürzen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in dieser Veröffentlichung berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- oder Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Wie alle anderen Wissenschaften sind Medizin und Pharmazie ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere, was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in dieser Broschüre eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autor und Herausgeber große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angaben dem Wissensstand bei Fertigstellung der Broschüre entsprechen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Herausgeber jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. KVH • aktuell Seite 4 Nr. 1 / 2013 Wirkung der kardiovaskulären Sekundärprävention Gesunde Ernährung bringt auf Dauer mehr als ACE-Hemmer und Sartane Dr. med. Klaus Ehrenthal Was bewirkt mehr in der Sekundärprävention bei kardiovaskulären Risikofällen zur Vermeidung von Herzinfarkten, Herzversagen, Schlaganfällen: eine gesunde Ernährung oder die medikamentöse Therapie mit ACE-Hemmern oder Sartanen? Diese Frage wurde von Dehghan et al. jetzt in einer prospektiven Kohortenstudie an 31.546 kardiovaskulären Risikopatienten mit überraschenden Ergebnissen untersucht [1]. Vorgehensweise Es wurde eine Begleituntersuchung zur Auswirkung des Ernährungsverhaltens zu den zwei 2012 erschienenen randomisierten klinischen Studien ONTARGET [2] und TRANSCEND [3] durchgeführt, bei denen insgesamt 31.546 Patienten aus 40 Ländern (22.168 Männer und 9.378 Frauen, Altersdurchschnitt 66,5 Jahre +/-6,2 Jahre), mit manifester kardiovaskulärer Erkrankung untersucht worden waren. Es sollte dabei der Effekt von Telmisartan, Ramipril sowie dem von Ramipril plus Telmisartan [2] und von Telmisartan bei ACE-unverträglichen Patienten gegen Placebo [3,4] untersucht werden. Die Studiendauer betrug median 56 (53-60) Monate. Alle aufgenommenen randomisierten Patienten wurden nach sechs Wochen, nach sechs Monaten und dann weiter alle sechs Monate nachuntersucht. Da Unterschiede der Ernährung nicht doppelblind randomisiert durchführbar sind, bildete die Ernährungsforscherin Mahshid Dehghan vom Population Health Research Institute am General Hospital in Hamilton, Ontario, Canada aus den Probanden der beiden Studien 5 Risikogruppen, nachdem sie mittels eines Fragebogens vor Studienbeginn die unterschiedlichen Essgewohnheiten ermittelt hatte. Sie bewertete die Gruppenzuordnungen nach Ernährungs-Indices: einem modifizierten „Alternative Healthy Eating Index“ und dem „Diet Risk Score“, ausgehend von den Ergebnissen der INTERHEART-Studie [5,7] und der INTERSTROKE-Studie [6]: Gruppe 1 entsprach den gesündesten Ernährungsgewohnheiten, Gruppe 5 den schlechtesten. Es wurden von ihrer Arbeitsgruppe folgende Befunde zu den Probanden gesammelt: Alter, Bildungsstand, Ethnie, Lebensstil einschliesslich Ernährung, körperliche Aktivität, Rauchgewohnheiten (nie, derzeit, früher geraucht), täglicher Alkoholgebrauch und dessen Menge, Nüchtern-Lipide und Nüchternglukose. Ausserdem wurden Medikation, körperliche Aktivität, Blutdruck, BMI, Bauch-und Hüftumfang sowohl bei Aufnahme in die Studien, als auch nach zwei Jahren und beim Studienende festgehalten. Es wurden die kardiovaskulären Outcomes der fünf Gruppen nach 56 Monaten der Nachbeobachtung in der ONTARGET- und der TRANSCEND-Studie genutzt, um bei den in dieser Zeit beobachteten 5 190 Ereignissen die Effekte der Ernährungsqualität auf die Endpunkte zu ermitteln. Die Autorin hatte die schon früher in den Studien INTERHEART [5] und INTERSTROKE [6] nachgewiesenen günstigen kardiovaskulären Wirkungen einer entsprechenden gesundheitsbewussten Ernährung mit den daraus gewonnenen Ernährungsempfehlungen [7] jetzt bei den 31 546 Studienpatienten der beiden Studien ONTARGET [2] und TRANSCEND [3] ermittelt und daraus das beobachtete kardiovaskuläre Risiko ernährungsabhängig errechnet. Dazu wurde eine sorgfältige statistische Analyse zur Risikoveränderung durch die geprüften Medikamente (ein Sartan (Telmisartan), ein ACE-Hemmer (Ramipril) und deren Kombination) im Vergleich zu Risikoveränderungen durch eine gesunde Ernährung mittels Cox- Nr. 1 / 2013 KVH • aktuell Seite 5 Regressions-Analyse vorgenommen. Endpunkte waren kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt und Schlaganfall. Es konnte dabei auch gezeigt werden, dass die gefundenen günstigen Effekte einer gesünderen Ernährung unabhängig von der angewandten Medikation auftraten. Ergebnisse Während die Studien mit Telmisartan ebenso wie mit Ramipril zu weitgehend ähnlichen positiven präventiven Ergebnissen im Hinblick auf das kardiovaskuläre Risiko führten, wurden bei der Kombination beider Substanzen vermehrt Nebenwirkungen ohne eine Verbesserung des kardiovakulären Risikos gefunden (ONTARGET [2]). Der primäre zusammengesetzte Endpunkt (Tod durch kardiovaskuläre Ursache, Herzinfarkt, Schlaganfall oder Hospitalisation wegen Herzversagen) zeigte für Telmisartan ein relatives Risiko von 1,01 (95%-Konfidenzintervall 0,94-1,09) – im Wesentlichen ähnlich wie bei Ramipril. Die TRANSCEND-Studie, bei der Telmisartan bei 5.926 kardiovaskulären Risikopatienten gegen Placebo untersucht wurde, zeigte beim kombinierten Endpunkt (kardiovaskulärer Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall, Hospitaliserung wegen Herzversagen) nach median 56 Monaten im Vergleich zu Placebo keinen deutlichen Effekt: das relative Risiko betrug 0,92; das 95%-Konfidenzintervall 0,81-1,05; p=O,216, war also nicht signifikant. Nach 56 Monaten fand sich dagegen bei Patienten, die sich gesundheitsbewusst ernährt hatten, eine deutliche Verbesserung des kardiovaskulären Risikos mit einer Reduktion der kardiovaskulären Mortalität um 35%, Reduktion neuer Herzattacken um 14%, Reduktion kongestiven Herzversagens um 28%, Reduktion von Schlaganfällen um 19%. Das kardiovaskuläre Risiko, errechnet aus dem Unterschied der gesündesten und der ungesündesten Ernährung, zeigte eine Hazard Ratio von 0,78 mit einem 95%-Konfidenzinterval von 0,71-0,87. Der kardiopräventive Effekt durch gesunde Ernährung übertraf den der Angiotensin-Rezeptorblocker (ACE-Hemmer, Sartane) deutlich. Hierin zeigte sich ein erheblicher nichtmedikamentöser Zusatzeffekt durch gesunde Ernährung, der durch eine Kombination mit den beschriebenen medikamentösen Maßnahmen weiter verstärkt werden kann. Ernährungsempfehlungen: Aus den Empfehlungen der INTERHEART-Studie [5] und den weiterführenden Arbeiten der INTERSTROKE-Studie [6] wurden durch die Harvard School of Public Health Ernährungsvorschläge erarbeitet, die inzwischen weltweite Anerkennung gefunden haben [8,9], und die hier nur kurz im Detail referiert werden sollen: Gesunde Öle (z. B. Olivenöl, Rapsöl) zum Kochen, auf Salaten und bei Tisch verwenden. Butter ist einzuschränken, Transfette sind zu vermeiden! Je mehr Gemüse und je unterschiedlicheres Gemüse gegessen wird, desto besser! Kartoffeln und Pommes frites zählen dabei nicht als Gemüse. Es sollten viele Früchte in allen Farben gegessen werden! Trinke ausreichend Wasser, Tee oder Kaffee mit wenig oder keinem Zucker! Begrenze Milch auf täglich ein- oder zweimal, Saft auf ein kleines Glas täglich, vermeide gesüsste Getränke! Iss Vollkornprodukte (wie Naturreis, Weizenvollkornbrot, Vollkornnudeln)! Begrenze verfeinerte Mehl- und Kornprodukte wie weißen Reis und Weißbrot! Bevorzuge Fisch, Geflügel, Bohnen und Nüsse! Begrenze rotes Fleisch! Praxis-Tipp Kombination von ACE-Hemmer und AT1-Blocker: Mehr Schaden als Nutzen Eine kleine Sensation: Kardiovaskuläre Mortalität sank um 35%! Und das nur durch die richtige Ernährung. KVH • aktuell Seite 6 Nr. 1 / 2013 Vermeide Schinken, durchgedrehtes oder anderes verarbeitetes Fleisch! Bleibe aktiv – das ist der halbe Weg zur Gewichtsnormalisierung! Bedeutung für unsere Praxis Sparen beim Fleisch, klotzen bei Salat und Gemüse Als gesundheitsfördernde Maßnahme der Sekundärprävention sollte bei kardiovaskulären Risikofällen in erster Linie eine gesundheitsbewusste Ernährung in Betracht gezogen werden, denn ihr Effekt ist größer als der Nutzen durch Medikation mit ACE-Hemmern oder Sartanen. In der kardiovaskulären Sekundärprävention bei Risikofällen ist die Kombination von nichtmedikamentösen Maßnahmen (gesunde Ernährung, Bewegung) mit den etwas weniger wirksamen Angiotensin-Antagonisten (ACE-Hemmer – bei Husten Sartane) optimal synergistisch wirksam. Als sinnvoll hat sich eine Lebensstiländerung mit der Beachtung folgender Ernährungsregeln herausgestellt (modifiziert nach [8]): sparsam essen: rotes Fleisch, verarbeitetes Fleisch, Butter, weisses Mehl, weisser Reis, weisses Brot, Nudeln, Kartoffeln, süsse Drinks, Süssigkeiten, Salz, nur moderater Gebrauch von Alkohol (nicht für jedermann), tägliche Zufuhr von Vitaminen und Calzium (z.B. mageren Hartkäse), Nüsse, Körner, Bohnen, Tofu, Fisch, Geflügel, Eier, reichlich Gemüse, Obst, bevorzuge Transfett-freie ungehärtete Fette (z.B. Olivenöl, Rapsöl, Sonnenblumenöl, Erdnussöl), Vollkornprodukte, Vollkornnudeln, Naturreis, Haferflocken, sowie ausreichend ungesüßte Flüssigkeit (Wasser). Neben Ermunterung zu Sport und Bewegung, zu Gewichtskontrolle und der Anwendung der vorstehenden Ernährungsempfehlungen entsprechend den inzwischen verbesserten (von kommerziellen Interessen freien) Vorschlägen „new Healthy Eating Plate“ and „Healthy eating Pyramid“ der Harvard Medical School [9] bleibt die Umstellung des gesamten Lebensstils ein oftmals nur mühevoll erreichbares Ziel, das sich dauerhaft als besondere ärztliche Aufgabe stellt. Interessenkonflikte: keine Literatur: 1 Dehghan M, Mente A, Teo KK, et al.: Relationship Between Healthy Diet and Risk of Cardiovascular Disease Among Patients on Drug Therapies for Secundary Prevention: A Prospective Cohort Study of 31 546 High-Risk Individuals From 40 Countries. Circulation 2012;126:2705-2712, doi: 10.1161/CIRCULATIONAHA.112.103234 2 Yusuf S, Sleight P, Anderson K, et al. (The ONTARGET Investigators): Telmisartan, Ramipril, Or both in Patients at High Risk for Vascular Events. N Engl J Med 2008;358(15): 1547-1559 3 Yusuf S, Teo K, Anderson C, et al. (The TRANSCEND-Investigators) : Effects of the angiotensin-receptor blocker telmisartan on cardiovascular events in high-risk patients intolerant to angiotensin-converting enzyme inhibitors: a randomized controlled trial. Lancet 2008;372(9644):1174-1183, doi: 10.1016/S0140-6736(08)612428 4 Teo K, Sleight P, Anderson C, et al.: Rationale, design, and baseline characteristics of 2 large, simple, randomized trials evaluating telmisartan, ramipril, and their combination in high-risk patients: the Ongoing Telmisartan Alone and in Combination With Ramipril Global Endpoint Trial/Telmisartan Randomized Assessment Study in ACE Intolerant Subjects With Cardiovascular Disease (ONTARGET/TRANSCEND) trials. Am Heart J 2004;148:52-61 5 Yusuf S, Hawken S, Öunpuu S, et al.: Effect of potentially modifiable risk factors associated with myocardial infarction in 52 countries (the INTERHEART study): case-control study. Lancet 2004;364:937-952, www. thelancet.com Vol364, September 11, 2004 6 O’Dollell MJ, Xavier D, Liu Z, et al.: Risk factors for ischaemic and intercerebral haemorrhagic stroke in 22 countries (the INTERSTROKE study): a case-control study. Lancet 2010;376:112-123 7 Sullivan LM, Massaro JM, D’Agostino RB: Presentation of multivariate data for the clinical use: The Framingham Study risk score funtions. Stat Med 2004;23:1631-1660 8 Eat, Drink, and be Healthy. Free Press/Simon &Schuster Inc. 2005. www.hsph.harvard.edu/nutritionsource 9 Department of Nutrition. Harvard School of Public Health: The new healthy eating plate. / The healthy eating pyramid. 2005 www.thenutritionsource.org Nr. 1 / 2013 KVH • aktuell Plättchenhemmer und OP: Empfehlungen für das periinterventionelle Management Vorbemerkungen Patienten, die wegen kardiovaskulärer Ereignisse oder Eingriffe (z. B. nach Stent­ implantation) mit Plättchenhemmern wie ASS und/oder Clopidogrel behandelt werden müssen, haben bei blutigen oder blutungsgefährdeten Interventionen das Risiko einer verlängerten Blutungszeit. Es stellt sich demnach die Frage nach evidenzbasierten Daten für das periinterventionelle Arzneimittelmanagement. Gibt es überhaupt eine klare Datengrundlage, ob und wann ein antithrombotischer Wirkstoff vor einem operativen Eingriff abgesetzt werden muss? Bei der näheren Auseinandersetzung mit diesen Fragen stellt sich heraus, dass es eine eindeutige Antwort darauf gar nicht geben kann, sondern dass die Entscheidung für das Absetzen einer antithrombotischen Therapie und für dessen geeigneten Zeitpunkt stets aus einem individuellen Abwägen der folgenden drei Fragen resultiert [2]: 1. Wie hoch ist das kardiovaskuläre Risiko des Patienten? Das heißt: Ist eine kontinuierliche Thrombozytenaggregationshemmung dringend erforderlich oder ist sie verzichtbar? 2. Wie hoch ist das Blutungsrisiko bei der geplanten Operation? Und in diesem Zusammenhang auch: Welche Blutungsneigung im OP-Situs ist der jeweilige Operateur bereit zu tolerieren? 3. Wie hoch ist die Dringlichkeit des geplanten Eingriffs? Seite 7 Der Gastbeitrag Nachdruck mit freundlicher Genehmigung der KV BadenWürttemberg Aus: KVBW Verordnungsforum 23; Juli 2012 Kardiovaskuläres Risiko Unter kardiovaskulärem Risiko ist das Eintreten möglicher unerwünschter Ereignisse (Myokardinfarkt/ReInfarkt, Notwendigkeit einer perkutanen koronaren Intervention wie PTCA/Re-PTCA/Stentimplantation, Stentthrombose, Tod) zu verstehen. Je höher das kardiovaskuläre Risiko, umso dringender erforderlich ist eine kontinuierliche Plättchenhemmung. Niedriges kardiovaskuläres Risiko: – Patienten ohne bisheriges kardiales oder neurologisches Ereignis, – Patienten, die nach einem kardialen Ereignis mindestens ein Jahr klinisch stabil waren. Hier können Thrombozytenaggregationshemmer mit vertretbarem Risiko pausiert werden. Fallbeispiel: Bei einem 60-jährigen Patienten mit stabiler KHK ohne bisherige kardiale Ereignisse ist die Operation einer Spinalkanalstenose geplant. Es stellt sich nun die Frage, ob und wann die plättchenhemmende Therapie mit ASS 100 mg/d abgesetzt werden soll und welche antithrombotische Prophylaxe perioperativ indiziert ist. Antwort: Da das Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen im vorliegenden Fall als gering eingeschätzt wird, kann ASS perioperativ pausiert werden. Außerdem spricht das hohe Blutungsrisiko bei Operationen im Bereich von Wirbelsäule und Spinalkanal gegen eine ASS-Therapie. Der Hausarzt entscheidet sich daher, ASS sieben Tage vor der Operation zu stoppen. Postoperativ erhält der Patient prophylaktisch 5.000 IE Dalteparin bis zur vollständigen Mobilisierung. Die Therapie mit ASS wird am zweiten postoperativen Tag wieder gestartet [1]. KVH • aktuell Seite 8 Nr. 1 / 2013 Mittleres kardiovaskuläres Risiko: – Patienten mindestens 6 Wochen nach Myokardinfarkt (MI), perkutaner koronarer Intervention (PCI) oder Schlaganfall, – Patienten mindestens 3 Monate nach Implantation eines unbeschichteten Stents (Bare Metal Stent, BMS), – Patienten mindestens 12 Monate nach Implantation eines Medikamentenbeschichteten Stents (Drug Eluting Stent, DES). Elektive Eingriffe sollten auf einen möglichst späten Zeitpunkt nach einem kardiovaskulären Ereignis verschoben werden. Dringliche Eingriffe sollten unbedingt unter ASS-Schutz durchgeführt werden, da eine Stentthrombose oder ein ReInfarkt klinisch bedeutsamer sind als eine Blutung im Operationsgebiet. Nur bei Operationen mit sehr hohem Blutungsrisiko sollte die Operation ohne Plättchenhemmung durchgeführt werden. Hohes kardiovaskuläres Risiko: – Patienten bis zu 6 Wochen nach MI, PCI oder Schlaganfall, – Patienten bis zu 3 Monaten nach BMS, – Patienten bis zu 12 Monaten nach DES. Elektive Eingriffe sollten auf einen möglichst späten Zeitpunkt nach einem kardiovaskulären Ereignis verschoben werden. Dringliche, nicht verschiebbare Eingriffe können unter dualer Plättchenhemmung oder unter reversibler GPIIb/IIIa-Blockade (Tirofiban = Aggrastat®, Eptifibatid = Integrilin®) durchgeführt werden; nach Absetzen dieser Substanzen normalisiert sich die Thrombozytenfunktion innerhalb von 4 bis 8 Stunden [3]. Nur bei Operationen mit sehr hohem Blutungsrisiko sollte die Operation ohne Plättchenhemmung durchgeführt werden. Nach perioperativer ASS- und/oder Clopidogrel-Pause ist diese Therapie je nach Wundverhältnissen zum frühestmöglichen Zeitpunkt wieder aufzunehmen [2]. Blutungsrisiko Je höher das Blutungsrisiko, umso eher sollte auf eine Plättchenhemmung verzichtet werden. Es gibt keine allgemeine Übereinkunft darüber, welche Eingriffe als besonders blutungsriskant anzusehen sind. In vielen Publikationen wird folgende Einteilung vorgenommen [2]: Geringes Blutungsrisiko (sehr seltener Transfusionsbedarf): – kleinere orthopädische, HNO-, dermatologische, plastische, Hand-, Fuß-, Gefäß- und allgemeinchirurgische Operationen, – Operation der vorderen Augenkammer (Katarakt), – Gastro- und Koloskopien, Endoskopien mit Biopsie, – zahnchirurgische Eingriffe. Diese Eingriffe können relativ sicher unter Plättchenhemmung erfolgen. Mittleres Blutungsrisiko (gelegentlicher bis regelmäßiger Transfusionsbedarf): – viszeralchirurgische (Schilddrüse, Leber, Pankreas), HNO- und herzchirurgische Eingriffe, – rekonstruktive, endoskopisch-urologische und große orthopädische Eingriffe, – endoskopische Polypektomie. Eine duale Plättchenhemmung ist sehr riskant, deshalb sollten die Eingriffe verschoben werden, bis sie nicht mehr erforderlich ist. Nr. 1 / 2013 KVH • aktuell Seite 9 Hohes Blutungsrisiko: – chirurgische Eingriffe an der Prostata, – Eingriffe der intrakraniellen Neurochirurgie und der Spinalkanal-Chirurgie, – Operationen an den Sinnesorganen, besonders der hinteren Augenkammer (Glaukom). Wegen der hohen Gefahr bleibender Schäden durch eine Blutung sollten diese Eingriffe generell ohne Plättchenhemmer durchgeführt werden. Eine 24-Stunden-Katheterbereitschaft zur sofortigen Intervention bei einem postoperativen akuten Koronarsyndrom ist unabdinG-BAr. Weitere Faktoren, die das Blutungsrisiko beeinflussen können, sind: Operationsstatistik, Geschicklichkeit und Erfahrung des Operateurs sowie dessen Bereitschaft, Blutungen im Operationsfeld bis zu einem gewissen Maß zu tolerieren; auch die Übersichtlichkeit und Komprimierbarkeit im Blutungsbereich spielen eine Rolle. Darüber hinaus müssen blutungsfördernde Begleitmedikamente (z. B. SSRI, Ginkgo, Ingwer-Präparate) beachtet werden [2]. Dringlichkeit Notfalleingriffe: Bei vitaler Indikation muss der Eingriff unter laufender Plättchenhemmung stattfinden. Nach dem Absetzen dauert es circa fünf Tage, bis sich der Thrombozytenpool zur Hälfte mit funktionstüchtigen Plättchen erneuert hat. Während des Eingriffs jedoch muss bei Blutungskomplikationen auf Thrombozytenkonzentrate zurückgegriffen werden, da es keine Möglichkeit zur Antagonisierung der Thrombozytenaggregationshemmer gibt. Dringliche Eingriffe: Hier ist der Diskussionsbedarf naturgemäß am größten. Meist handelt es sich um unvorhergesehene Eingriffe wie Resektion neu entdeckter Tumoren, operative Versorgung von Frakturen, Polypektomien, größere Zahneingriffe. Diese Operationen sollten so spät wie möglich nach dem kardiovaskulären Ereignis und zumindest unter ASS-Schutz erfolgen. Bei hohem kardiovaskulären Risiko kann eine überbrückende Behandlung mit reversiblen GP-IIb/IIIa-Blockern (s. o.) versucht werden. Praxis-Tipp Erfahrungsgemäß werden Aggregationshemmer vor Eingriffen zu oft abgesetzt. Anhand der drei Parameter – kardiovaskuläres Risiko – Blutungsrisiko – Dringlichkeit der OP lässt sich die Entscheidung auf eine rationale Basis stellen, ohne dass Patienten einem unnötig hohen Risiko ausgesetzt werden. Elektive Eingriffe: Diese sind bei Patienten mit hohem kardiovaskulären Risiko innerhalb kritischer Zeitintervalle nach Stentimplantation oder Myokardinfarkt unbedingt zu vermeiden und müssen auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden. Bei niedrigem kardiovaskulärem Risiko kann unter Aussetzen der plättchenhemmenden Medikation operiert werden [2]. Zusammenfassung Eine thrombozytenaggregationshemmende Therapie sollte nur bei Patienten mit niedrigem kardiovaskulären Risiko oder bei Patienten mit dringlichem Eingriff und sehr hohem Blutungsrisiko unterbrochen werden. Wenn eine Therapiepause notwendig ist, sollte je nach individueller Abwägung ASS ca. eine Woche (5-10 Tage) beziehungsweise Clopidogrel (5-)7 Tage vor der geplanten Intervention abgesetzt werden. Nach den neuen Leitlinien des American College of Chest Physicians (ACCP) von 2012 ist ein Bridging mit Heparin (unfraktioniert oder niedermolekular) bei Pausieren der plättchenhemmenden Therapie nicht routinemäßig notwendig [4]. Insbesondere bei Patienten mit beschichteten Stents weisen vorläufige Studiendaten darauf hin, dass Heparine wegen mangelnder Effektivität vermutlich keinen adäquaten Ersatz für Thrombozytenaggregationshemmer darstellen und dass insbesondere bei hohem kardiovaskulären Risiko die überbrückende Gabe eines GP-IIb/IIIa-Blockers sinnvoll sein kann [2, 5, 6]. KVH • aktuell Seite 10 Nr. 1 / 2013 Bedeutung Fazit für unsere Praxis Die Entscheidung für das vorübergehende Absetzen einer plättchenhemmenden Medikation mit ASS und/oder Clopidogrel und für dessen geeigneten Zeitpunkt basiert immer auf einer individuellen Abwägung der drei Kriterien: kardiovaskuläres Risiko des Patienten, Blutungsrisiko im Rahmen des Eingriffs und Dringlichkeit des Eingriffs. Bei nicht dringlichen Eingriffen lässt sich das kardiovaskuläre Risiko gegebenenfalls durch Zuwarten vermindern, indem der Eingriff nicht mehr im kritischen Zeitintervall (<6 Wochen nach MI, PCI, Schlaganfall, <3 Monate nach BMS, <12 Monate nach DES) stattfindet. Literatur: 1 Nagler M et al. Periinterventionelles Management der Antikoagulation und Antiaggregation. Schweiz Med Forum 2011; 11: 407-12 2 Anon. Perioperatives Arzneimittelmanagement: Hemmung der Thrombozytenfunktion bei kardiovaskulären Krankheiten. Arzneimittelbrief 2010; 44(3): 17-9 3www.fachinfo.de 4 Douketis J et al., American College of Chest Physicians. Perioperative management of antithrombotic therapy: Anti-thrombotic therapy and prevention of thrombosis, 9th ed.: American College of Chest Physicians evidencebased clinical practice guidelines. Chest 2012; 141(2 Suppl): e326S-50S 5 Chou S et al. Bridging therapy in the perioperative management of patients with drug-eluting stents. Rev Cardiovasc Med 2009; 10: 209-18 6 Anon. Zum perioperativen Management bei KHK-Patienten unter ASS. arznei-telegramm 2012; 43(2): 19-20 Dringlicher Eingriff Patient mit dualer Plättchenhemmung Hohes CV-Risiko: < 6 Wochen nach MI, PCI, Schlaganfall; < 3 Monate nach BMS; < 12 Monate nach DES Elektiver Eingriff Patient mit einfacher Plättchenhemmung (ASS) Mittleres CV-Risiko: > 6 Wochen nach MI, PCI, Schlaganfall; > 3 Monate nach BMS; > 12 Monate nach DES Operation verschieben auf einen möglichst späten Zeitpunkt nach einem CV-Ereignis Operation unter einfacher Plättchenhemmung Operation unbedingt verschieben Operation nicht verschiebbar Operation unter dualer Plättchenhemmung oder reversibler GP-IIb/IIIa-Blockade Operation mit sehr hohem Blutungsrisiko Operation ohne Plättchenhemmung. Invasive Kardiologie im Stand-by Abbildung: Entscheidungsalgorithmus für Patienten mit hohem und mittlerem kardiovaskulären Risiko [2]. Abbildung: (Abkürzungen: BMS: Bare Metal CV: kardiovaskulär; DES: Drug Eluting Stent, MI:Risiko Myokardinfarkt; PCI: perkutane Entscheidungsalgorithmus fürStent; Patienten mit hohem d mittlerem un kardiovaskulären [2]. koronare Intervention). (Abkürzungen: BMS: Bare Metal Stent; CV: kardiovask ulär; DES: Drug Eluting Stent, MI: Myokardinfarkt; PCI: perkutane koronare Intervention). Nr. 1 / 2013 KVH • aktuell Seite 11 Rauchen tötet Frauen ebenso wie Männer – neue Studie zeigt: Auch Frauen profitieren enorm vom Rauchstopp Dr. med. Klaus Ehrenthal Rauchen verkürzt das Leben, dies ist in der Tat bereits bekannt. Aktuelle Zahlen aus England belegten jetzt in einer großen prospektiven Studie die deutliche Übersterblichkeit von Raucherinnen [1]. Dabei konnte vor allem gezeigt werden, dass auch in späteren Lebensjahren ein Rauchstopp noch einen erheblichen Nutzen für das Überleben bringt. Dies Erkenntnis stammt aus der großen „Million-Women-Studie“, die nicht nur Befunde zum Brustkrebsbefall in England ermittelt, sondern auch die Zusammenhänge zwischen Rauchgewohnheiten und Lebenserwartung der Frauen untersucht hatte. Was dabei herauskam, gilt im übrigen auch analog für Männer, wie z.B. durch Zahlen des US-amerikanischen CDC 2008 belegt wurde [2]. Die erste Generation, die im Erwachsenenalter nennenswerte Mengen von Zigaretten geraucht hatte, waren in westlichen Ländern wie z.B. den USA und Grossbritannien die um 1940 geborenen Frauen. Erst im 21. Jahrhundert lässt sich nun der ganze Effekt sowohl des langdauernden Rauchens als auch einer dauerhaften Beendigung des Rauchens auf die Sterblichkeit von Frauen in Großbritannien nachweisen. Pirie und Mitarbeiter vom Medizinischen Beirat des Krebsforschungszentrum in Großbritannien (Cancer Epidemiology Unit, University of Oxford, UK) untersuchten zwischen 1996 und 2001 die Lebensdaten von insgesamt 1.311.943 Frauen in Großbritannien im Rahmen der „Million Women Study“ des Nationalen Brustscreening-Programms (NHSBSP) [1]. Die Probandinnen waren dabei inzwischen 50 bis 69 Jahre alt. Bei Aufnahme wurden Befragungen zum Lebensstil, zur medizinischen Vorgeschichte und zu soziodemographischen Faktoren vorgenommen, die Frauen hatten sich damit einverstanden erklärt. Folgende besondere Fragen wurden bei Aufnahme in die Untersuchung gestellt: Raucherinnen? (20%), Nichtraucherinnen? (52%), Exraucherinnen? (28%), Wieviele Zigaretten wurden durchschnittlich geraucht? Dies wurde nach 3 und 8 Jahren wiederholt. Mittels der individuellen Krankenversicherungsnummern konnte das Register des National Health System (NHS) mit den dort vermerkten Sterbedaten und TodesDiagnosen, verschlüsselt nach ICD-10, hinzugezogen werden. Alle Frauen der Untersuchung, auch solche, die den Nachuntersuchungen ferngeblieben waren, wurden so bis zum 01.01.2011 nachverfolgt – durchschnittlich 12 Lebensjahre. Exraucherinnen, die sowohl beim Studienbeginn als auch bei der 3-Jahres-Nachuntersuchung und solche, die vor dem Alter von 55 Jahren das Rauchen eingestellt hatten, wurden kategorisiert nach dem Alter, in dem sie das Rauchen eingestellt hatten. Mittels Cox-Regressions-Analyse wurde das relative Sterberisiko im Vergleich von Raucherinnen zu Exraucherinnen und zu Nichtraucherinnen sorgfältig ermittelt. Foto: DAK/Wigger Vorgehensweise Auch Mädchen und Frauen rauchen seit einiger Zeit immer mehr – und bezahlen ihre Sucht ebenso wie rauchende Männer mit Übersterblichkeit. Allerdings lohnt sich auch bei Frauen selbst in späteren Jahren noch ein Rauchstopp: Er verlängert das Leben deutlich gegenüber denen, die weiterrauchen. KVH • aktuell Seite 12 Nr. 1 / 2013 Ergebnisse: Nach 3 Jahren hatten 23% der Raucherinnen das Rauchen eingestellt, nach 8 Jahren waren es 44%. Während der 12-jährigen Nachkontrolle bis 2011 fand sich bei den Raucherinnen, (von denen einige kurz vorher aufgehört hatten zu rauchen, wodurch sich das Raucherinnenrisiko etwas reduzierte) eine fast 3-fach höhere Mortalität gegenüber den Nichtraucherinnen (Mortality rate ratio 2,76; 95%-Konfidenzinterval 2,71-2,81). Bei wenig rauchenden Frauen (unter 10 Zigaretten täglich) fand sich eine nur 2-fach höhere Mortalität gegenüber Nichtraucherinnen. Die tägliche Zigarettenzahl beeinflusste das relative Sterberisiko also deutlich: Relatives Risiko (RR) bei weniger als 10 täglichen Zigaretten 2,0 bei 15 täglichen Zigaretten RR: 2,8 bei 25 täglichen Zigaretten RR 3,7 Je jünger mit dem Rauchen begonnen wurde, desto früher starben diese Raucherinnen später. Risiko bei Rauchbeginn mit 15 Jahren RR: 3,2 bei Beginn mit 18 Jahren RR: 2,9 bei Beginn mit 28 Jahren RR: 2,4 Bei den 30 hauptsächlichen Todesursachen der Raucherinnen lagen in der 12-JahresNachuntersuchung bis 2011 naturgemäß die folgenden bekannten Raucherfolgen an der Spitze [1,2]: Chronische Lungenerkrankungen RR 35,3 (95%-CI 29,2-42,5) Lungenkrebs RR 21,4 (95%-CI 19,7-23,2) Aortenaneurysma: RR 6,32 (95%-CI 5,17-7,71) Intestinale Ischämie RR 5,58 (95%-CI 4,27-7,29) Krebs (Mund, Pharynx, Larynx, RR 4,83 (95%-CI 3,72-6,29) Nase, Nasennebenhöhlen) KHK RR 4,47 (95%-CI 4,19-4,77) zerebrovaskuläre Erkrankungen RR 3,06 (95%-CI 2,83-3,31) Von den 30 häufigsten bis zum 01.01.2011 gefundenen Todesarten in der MillionWomen-Study war für 23 Todesarten die 12-Jahres-Sterblichkeit bei Raucherinnen signifikant höher als bei Nichtraucherinnen. Unter den Sterbedaten fanden sich vermehrt Krebs- und Lungenerkrankungen sowie angiosklerotische Krankheitsbilder. Ausnahmen bei den vermehrten Krebserkrankungen bildeten lediglich etwas seltenere Endometriumkarzinome. Die Autoren formulierten ihre an 1,3 Millionen Frauen gefundenen Daten so: Raucherinnen starben früher und bei 2/3 aller Todesfälle starben die Frauen wegen des langdauernden Rauchens mit 50, 60 oder 70 Jahren, sie verloren mindestens 10 Lebensjahre. Das Besondere an diesen ausführlich berechneten statistischen Ergebnissen ist jedoch, dass auch in späteren Lebensjahren ein dauerhafter Rauchstopp noch einen erheblichen Benefit beim Überleben brachte: Obgleich das Raucherrisiko bei unter 40-Jährigen, die mit dem Rauchen aufhörten, immer noch substantiell war, fanden die Untersucher das Risiko durch Weiterrauchen trotzdem noch 10-mal größer! Ein endgültiger Rauchstopp bei unter 40-Jährigen, denen es sonst einigermaßen gut ging, verhinderte mehr als 90% der Exzessmortalität, die durch Wei- Nr. 1 / 2013 KVH • aktuell Seite 13 terrauchen entstanden wäre. Rauchstopp vor dem 30. Lebensjahr vermied sogar mehr als 97% der Exzessmortalität! Auch später Rauchstopp bringt noch Lebenszeit Rauchen verkürzt deutlich die Lebenserwartung (in der vorliegenden Untersuchung bei 1,3 Mill. Frauen erneut klar belegt [1]), das ist allgemein bekannt. 2/3 der gestorbenen Raucherinnen hatten durch ihr Rauchen mindestens zehn Lebensjahre eingebüsst. Jedoch bringt auch nach langjährigem Rauchen ein späterer Rauchstopp noch eine deutliche Verbesserung der Lebenserwartung. Rauchstopp bei unter 40-Jährigen vermeidet mehr als 90% der Exzesssterblichkeit, die durch Weiterrauchen entstehen würde, Rauchstopp bei unter 30-Jährigen verhindert sogar 97% der Exzesssterblichkeit. Ärztliche Fürsorge durch unermüdlichen hausärztlichen Beistand und ermunternde und konsequente Beratung zur Überwindung der Nikotinsucht ist nach Kenntnis dieser Zahlen dringend erforderlich. Die Aufgabe lohnt sich! Wie bei jeder durch ärztliche Beratung angestrebter Verhaltensänderung – hier besonders zur Nikotinsuchtbekämpfung – ist für den oftmals damit überforderten Hausarzt mit besonderen persönlichen Widerständen des Patienten zu rechnen. Hierzu sind für den Arzt und auch für den Patienten zahlreiche gut gemachte Informationsschriften erhältlich: vom Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg (DKFZ, Leiterin Dr. Martina Pöschke-Langer) [3], ebenso von der Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung des Bundesgesundheitsministeriums (BZGA) [4]. Bedeutung für unsere Praxis Und die Männer? Daten des US-amerikanischen Centers of Disease Control CDC) zeigen für Männer analoge Befunde [2]. Interessenkonflikte: keine Literatur: 1 Pirie K, Peto R, Reeves GK, et al. (for the Million Women Study Collaboration): The 21st century hazards of smoking and benefits of stopping: a prospective study of one million women in the UK. Lancet 2013, January12;381:133-141 – www.thelancet.com /Vol 381 January 12,2013 2 Centers for Disease Control and Prevention (CDC) November 2008: Smoking-attributable mortality, years of potential life lost, and productivity losses – United States, 2000-2004. MMWR Morb. Mortal. Wkly. Rep. 57(45):1226-1228. PMID 19008791 www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/19008791 3 Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg (DKFZ): www.dkfz.de 4 Bundeszentrale für Gesundheitliche Aufklärung (BZGA): www.bzga.de 5 Deutscher Hausärzteverband: „HausMed Coach Rauchfrei“: www.hausmed.de/hausmedcoach/rauchfrei Vom Deutschen Hausärzteverband gibt es ebenfalls ein Online-Programm von Fachleuten (Ärzte und Psychologen) zum Erlernen einer Nikotinabstinenz in 12 Wochen: „HausMed Coach Rauchfrei“, dessen Kosten sogar teilweise von den Krankenkassen übernommen werden. Es gibt das in 2 Versionen: zum Selberlernen (für 49 €) oder zum Erwerb der Nikotinabstinenz mit Unterstützung der jeweiligen Hausarztpraxis (für 79 €) ([5]: www.hausmed.de/hausmedcoach/rauchfrei). Seite 14 KVH • aktuell Nr. 1 / 2013 Verkehrsunfälle nach Psychopharmaka: Denken wir immer daran? Dr. med. Klaus Ehrenthal Unfall mit schlimmen Folgen – dahinter können auch Psychopharmaka stecken. Immer wieder wird in der medizinischen Literatur auf die Verkehrsgefährdung durch zentral wirksame Medikamente hingewiesen. Dies ist eigentlich schon lange bekannt – besonders bei dem Gebrauch von Benzodiazepinen mit ihren mitunter langen Halbwertzeiten (z.B. bei Diazepam: HWZ-Dauer zwei Tage, dessen aktive Metabolitenkaskade: HWZ-Dauer oftmals weitere vier Tage). Aber wird dieses Wissen um Verkehrsgefährdungen durch Medikamente vom Arzt bei der Rezeptierung und vom Patienten beim Gebrauch der Medikamente auch ausreichend umgesetzt? Hierzu gibt es eine neue Studie [1]. Bereits 2004 hatte Hopf in KVH aktuell Pharmakotherapie [2] ausführlich über die deutschen Warnhinweise der Hersteller von sehr unterschiedlicher Qualität in den damaligen Fachinformationen der 100 meistverordneten Arzneistoffe berichtet mit deutlichen Hinweisen auf die Fürsorgepflicht des Arztes und die Eigenverantwortlichkeit des Patienten. Wir hatten in KVH aktuell Pharmakotherapie bereits 2011 dazu von einer grossen Studie aus Frankreich berichtet [3,4]. Dort und in einigen anderen EU-Ländern findet sich auf den Medikamentenpackungen der von der European Medicine Agency (EMA) vorgenommene und empfohlene Hinweis zur Verkehrsgefährdung in 4 Leveln mit folgenden Aufschriften: Level 0: keine Gefährdung Level 1: Bitte Vorsicht! Lesen Sie sorgfältig den Beipackzettel, bevor Sie fahren Level 2: Bitte seien Sie vorsichtig! Holen Sie Rat bei Ihrem Arzt oder Apotheker ein, bevor Sie ein Auto steuern Level 3: Gefahr: Kein Fahrzeug führen! Lassen Sie sich von einem Arzt beraten, bevor Sie wieder ein Auto fahren Auf dem 14.World Congress on Pain in Mailand stellte der Bioethiker und Psychiater M.Sulliven am 29.08.2012 das erhöhte Risisko durch die ebenfalls ZNS-wirksame Stoffklasse der Opioide dar. Er warb für eine sehr differenzierte Betrachtung der Nebenwirkungen, der Gefahren von Toleranz, Abhängigkeit und Überdosierungen. In den USA übertreffen die Todesfälle durch Opiatüberdosierungen inzwischen die der Verkehrsunfallstatistik [5]. Studie Foto: Technikerkrankenkasse Zur Verkehrsgefährdung durch Arzneimittel sei auf die neueste Fall-Kontroll-Studie von HuiJu Tsai vom National Health Research Institut in Zhunan, Taiwan, verwiesen, die auch zu weniger riskanten Psychopharmaka aktuelle Ergebnisse präsentierte [1]. Es wurden die Arzneiverordnungen von 5.183 medizinisch wegen eines Verkehrsunfalls versorgten Erwachsenen verglichen mit denen der sechsfachen Zahl nicht Verunglückter. Nr. 1 / 2013 KVH • aktuell Seite 15 Ergebnisse Ein erhöhtes Unfallrisiko fand sich bei mehrfachen Verordnungen, besonders für die „klassischen“ Benzodiazepine, was allgemein bekannt ist. Das betraf aber auch Antidepressiva wie Trizyklika und SSRI. Die neuerdings auch mit Abhängigkeitssyndromen in Verbindung gebrachten „Z-Substanzen“ (Zolpidem, Zopiclon, Zaleplon) zeigten ebenfalls eine Erhöhung des Unfallrisikos. Es fand sich eine Dosis-Wirkungsbeziehung: höhere Dosierungen erhöhten auch das Risiko für (schwere) Unfälle, unabhängig davon, ob die Medikamente für einen Monat, eine Woche oder nur für einen Tag rezeptiert worden waren. Als Ausnahme fand sich in der Studie von Hui-Ju Tsai in Taiwan keine Unfallrisikoerhöhung bei Antipsychotika, auch nicht bei erhöhter Dosierung. In Taiwan wird dort in der Regel in den Fachinformationen nach der Anwendung der Antipsychotika von der Teilnahme am Strassenverkehr abgeraten. Aus den Ergebnissen, die nur aus Gruppenvergleichen gewonnen worden waren, lassen sich allerdings keine exakten Risiken einzelner Substanzen herauslesen. Somit konnten auch keine besonderen Risiken einzelner Substanzen spezifiziert werden. Risiko wird anscheinend immer noch nicht ausreichend beachtet Trotz der verbreiteten Kenntnisse zu den Gefährdungen durch Psychopharmaka muss weiterhin mit vermehrten Unfallfolgen im Straßenverkehr durch Fehlgebrauch und Fehldosierung gerechnet werden. Die Warnhinweise für den Straßenverkehr werden von verschreibenden Ärzten und auch von den Anwendern offensichtlich immer noch nicht ausreichend ernst genommen. Es besteht kein Zweifel daran, dass außerdem Interaktionen verschiedener Medikamente und besonders mit Alkohol das Risiko erhöhen können. Bekannte Risiken durch Bezodiazepine müssen genauso beachtet werden, wie die vielfach als weniger riskant angesehenen „Z-Substanzen“ Zolpidem, Zopiclon und Zaleplon. Zu den das ZNS beeinflussenden Substanzen mit erhöhtem Unfallrisiko gehören auch Antidepressiva vom Trizyklika-Typ und ebenfalls die SSRI. Zu den das ZNS beeinflussenden Medikamenten gehören auch die Opioide, deren Risiko von Unfällen und Überdosierungen ebenfalls erheblich ist. Möglicherweise wird das Unfallrisiko bei Antipsychotika etwas überschätzt. Interessenkonflikte: keine Literatur: 1 Hui-Ju Tsai: Psychotropic Drugs and Risk of Motor Vehicle Accidents: a Population-based Case-Control Study. Br J Clin Pharmacol 2012; doi: 10.1111/j.1365-2125.2012.04410.x 2 Hopf G: Sicherheitsrisiko von Arzneimitteln im Strassenverkehr. KVH aktuell Pharmakotherapie Dezember 2004; 39:17-24 3 Ehrenthal K: Verkehrsunfälle durch Medikamente. KVH aktuell Pharmakotherapie März 2011;16(1):14-16 4 Orriols L et al.: Prescription Medicines and the Risk of Road Traffic Crashes: A French Registry-Based Study. PloS Medicine 2010;7(11):e1000366 (S.1-10) 5 Sullivan MD: Opioid Therapy for Chronic Pain: Promise and Peril, Vortrag auf dem 14th World Congress on Pain, Mailand am 29.08.12. Referiert von Thomas Bisswanger-Heim, am 11.09.12 in www.springermedizin.de Überraschend: Antipsychotika machten gar nicht so viele Probleme. Bedeutung für unsere Praxis Seite 16 Sicherer verordnen Dr. med. Günter Hopf KVH • aktuell Nr. 1 / 2013 Fluorochinolone: schwere Leberschäden bei alten Patienten In einer kanadischen Fallkontrollstudie mit über 66-jährigen Patienten wurde das bekannte lebertoxische Potential von Moxifloxacin (Avalox®, bereits 2008 von der EMA als Reservemedikament eingestuft) bestätigt. Innerhalb der ersten 30 Tage nach einer Verordnung war das Risiko eines schweren Leberversagens doppelt so hoch wie nach einer Verordnung von Clarithromycin (Klacid®, Generika). Auch Levofloxacin (Tavanic®) hat ein signifikant erhöhtes lebertoxisches Potential, während Ciprofloxacin (Ciprobay®, Generika) nur ein tendenziell erhöhtes Risiko besitzt. Die Autoren verweisen auf eine mögliche zusätzliche Dunkelziffer einer leberschädigenden Wirkung der Fluorochinolone, da sie nur Patienten erfasst haben, die in ein Krankenhaus aufgenommen wurden. Quellen: www.cmaj.ca/cmaj.111823, www.aerzteblatt.de/nachrichten/51270 Levofloxacin: Indikation eingeschränkt wegen neuer unerwünschter Wirkungen Die europäische Arzneimittelagentur EMA hat die Anwendungsgebiete des Fluorochinolons Levofloxacin (Tavanic®) eingeschränkt (z.B. nur noch Mittel der zweiten Wahl bei akuter Bronchitis) und folgende neue UAW aufgenommen, z.B.: hypoglykämisches Koma ventrikuläe Arrhythmie und Tachykardie bis zum Herzstillstand akutes Leberversagen bis zum Exitus benigne intrakranielle Hypertonie vorübergehender Sehverlust Pankreatitis Hörverlust. Zu der „neuen“ UAW „Bänder- und Muskelrisse“ ist anzumerken, dass diese UAW schon lange bekannt ist und typischerweise bei allen Fluorochinolonen auftreten kann. Ein persönlich bekanntes Beispiel: Vor Jahren erlitt eine Kollegin nach einer Therapie mit einem Fluorochinolon eine Achillessehnenruptur und ließ sich über das Wochenende mit einem Gehgips versorgen. Sonntags stürzte sie erneut, wodurch auch die andere Achillessehne riss. Bei Verdacht auf eine Sehnenentzündung muss das Fluorochinolon sofort abgesetzt und die Sehne ruhig gestellt werden. Quelle: AkdÄ Drug Safety Mail 2012-122 Akute tubulointerstitielle Nephritis durch Arzneistoffe Die interstitielle Nephritis kann als hypererge Reaktion der Niere durch systemische Autoimmunerkrankungen, systemische bakterielle oder virale Infekte (heute selten) und am häufigsten durch Arzneistoffe auftreten. Nach einer Zusammenfassung gelten Antibiotika, insbesondere ß-Laktam-Antibiotika und Rifampicin Nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAID) Andere Analgetika wie Metamizol und Paracetamol Thiazid-Diuretika Nr. 1 / 2013 KVH • aktuell als häufigste Verursacher dieser UAW. Da die Symptome (Fieber, Flankenschmerz, Makrohämaturie, Oligourie/Anurie) typischerweise erst Stunden nach der Einnahme auftreten oder auch nur diskret sein können (insbesondere bei entzündungshemmender NSAID-Einnahme), kann die akute in die chronische Form übergehen, wenn sie nicht rechtzeitig entdeckt wird. Nach Absetzen des Arzneistoffes kann eine kurzfristige Glukokortikoid-Gabe über 1 bis 3 Wochen indiziert sein. Die Niereninsuffizienz ist in 70% der Fälle voll reversibel. Quelle: Internist 2012; 53: 934-42 Ösophagus-Läsionen – medikamenteninduziert Läsionen des Ösophagus können bedingt sein durch einen gewebstoxischen Arzneistoff (u.a. Bisphosphonate, Tetrazykline, Kaliumchlorid, Eisensalze, NSAID), durch die Art des Präparates (große Tabletten, aufquellende Gelatinekapseln) oder durch Einnahmefehler (keine ausreichende Flüssigkeit von mindestens 125 ml, keine aufrechte Körperhaltung mindestens 10 min nach der Einnahme). Besonders bei Patienten mit beeinträchtigter Ösophagusmotilität oder -obstruktion sollten obige Einnahmemodalitäten besprochen werden. Das Fallbeispiel des Autors (gesunder 17jähriger, Doxycyclin-Einnahme wegen Akne) verdeutlicht, dass Schädigungen des Ösophagus auch ohne vorbestehende Grunderkrankung auftreten können. Quelle: tägl.prax. 2012; 53: 493-7 Milde Hypertonie: wann medikamentös therapieren? In einem Cochrane Review wurde der Effekt einer antihypertensiven Therapie zur Primärprävention bei sonst gesunden Personen (RR syst. 140 – 159 mmHg, RR diast. 90 – 99 mmHg) überprüft. Eine Therapie über 4 – 5 Jahre reduzierte im Vergleich zu Plazebo weder die Gesamtmortalität, die Rate der koronaren Herzerkrankungen, das Auftreten von Schlaganfällen noch die Gesamtrate kardiovaskulärer Ereignisse. Nur der Studienabbruch aufgrund unerwünschter Wirkungen (9% der Patienten) war im Vergleich zu Plazebo signifikant erhöht. Nicht signifikante kleine Verbesserungen der obigen Parameter in der Verumgruppe und der kurze Beobachtungszeitraum (Endorganschäden bei sonst gesunden Personen dürften sich erst spät entwickeln) sollten etwas nachdenklich machen. Den Autoren ist zuzustimmen, dass noch weitere Studien zu diesem Thema notwendig sind. Quelle: Cochrane Database Syst Rev. 2012 Aug 15,8:CD006742 Kodein: Vorsicht bei Tonsillektomien In den USA starben 3 Kinder nach der Gabe von Kodein-haltigen Präparaten in altersgemäßer Dosierung nach einer Tonsillektomie, eines erlitt eine lebensbedrohliche Atemdepression. Alle Kinder waren sog. ultraschnelle Metabolisierer, d.h. sie verstoffwechselten Kodein über ein doppeltes oder gar dreifach besetztes Cytochrom 2D6 Enzymsystem in erhöhtem Maß zu Morphin. Es stellt sich die Frage, ob dieser Arzneistoff generell für Kinder geeignet ist. Der Anteil der ultraschnellen Metabolisierer in der Bevölkerung schwankt nach Angaben der FDA zwischen 29% bei Äthiopiern, 6% bei Griechen, 3 – 6% bei afrikanischen Amerikanern und Kaukasiern allgemein, 2% bei Ungarn und 1 bis 2% bei Asiaten und Nordeuropäern. Die Symptome einer Morphinüberdosierung bei Kindern sollten bekannt sein Seite 17 Sicherer verordnen Dr. med. Günter Hopf Seite 18 Sicherer verordnen Dr. med. Günter Hopf KVH • aktuell Nr. 1 / 2013 (Zentrale UAW wie verstärkte Schläfrigkeit, Benommenheit, Verwirrtheit, Atemdepression; UAW Lunge: verstärkte Atemgeräusche, generelle Atemschwierigkeiten durch Verlegen der Atemwege durch Schleim, bereits bei geringer Dosierung auftretend: Mydriasis, Oberbauchschmerzen, allergische Erscheinungen bis hin zum Quinke-Ödem oder Dermatitis exfoliativa) . Bei so niedrig wie möglicher Dosierung vor allem bei erstmaliger Gabe sollten die Kinder sorgfältig überwacht werden. Quelle: www.fda.gov/Drugs/DrugSafety/ucm313631 Ungewöhnliche Übertragung von Sexualhormon Es ist schon lange bekannt, dass die Anwendung von Estrogen-haltigen Vaginalcremes beim jeweiligen männlichen Geschlechtspartner zu einer Gynäkomastie führen kann. Nach einem neuen Bericht funktioniert die Übertragung auch in Richtung des weiblichen Geschlechtes: eine 52-jährige bekam plötzlich Geheimratsecken und eine Tonsur. Grund: erhöhte Testosteronwerte, verursacht durch eine Testosteronhaltige Hautcreme, die der männliche Partner auf die Oberarme auftrug. Berichte aus 2007 und 2010 weisen darauf hin, dass insbesondere die Haut von Kindern Sexualhormone leicht resorbieren kann. Ein 16 Monate und ein 4 Jahre alter Junge zeigten Virilisierungserscheinungen (vergrößerter Penis, Schambehaarung). Beide schliefen oft in den Betten der Eltern, die Ehemänner wandten topische Testosteroncremes an. Die Haut und insbesondere die Schleimhaut können bei längerer Exposition auch ohne Resorptionsvermittler wie Dimethylsulfoxid Arzneistoffe resorbieren – mit entsprechenden UAW bei hochwirksamen Arzneistoffen. Tragisch endete ein Fall einer hysterektomierten Frau, der über längere Zeit (Kontraindikation!!) Framycetinhaltige Kegel vaginal appliziert wurden. Nach 3 Wochen entwickelte sich eine irreversible Schwerhörigkeit, eine typische unerwünschte Wirkung systemischer Aminoglykoside. Quellen: Brit. med. J. 2007; 335:310 und 2010; 340: 1137, Ärztezeitung vom 04.10.12, S. 12 Kognitionseinschränkende Pharmaka im Alter Kognitionseinschränkungen im Alter sind nicht immer bedingt durch organische Demenzen: neben u.a. Dehydratation, Elektrolytentgleisungen und Infektionen verursachen Arzneimittel 12 – 39 % der Erkrankungen zum Teil oder sogar erheblich. Psychopharmaka sind hauptsächliche Auslöser, wobei die anticholinerge Aktivität nicht immer ausschlaggebend ist: Benzodiazepine haben z.B. nur eine geringe anticholinerge Potenz, nach einer neuen Fallkontrollstudie könnte das Risiko, unter der Einnahme eines Benzodiazepins an einer Demenz zu erkranken, um 60 % erhöht sein. Der Autor vermutet, dass alle delirogenen Substanzen bei chronischer Gabe zu einer Einschränkung kognitiver Leistungen führen können. Speziell gilt dies z.B. für trizyklische Antidepressiva, Opiate, sedierende H1-Antihistaminika, zentrale Anticholinergika wie Parkinsonmittel, Lithium, Fluorochinolone. Diskutiert werden über 600 Substanzen, sodass nach Ansicht des Autors vor allem eine Polypharmazie zu den stärksten Risikofaktoren für eine Kognitionseinschränkung zählt. Ein Blick in die Priscus-Liste z.B. könnte bei der Auswahl eines Medikamentes für einen älteren Patienten hilfreich sein. Nach einer neuen Auswertung des ZI (Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung) erhielten zwar über 20% der Nr. 1 / 2013 KVH • aktuell Patienten über 65 Jahren einen „ungeeigneten“ Arzneistoff, die meisten jedoch nur kurzzeitig. Zu hinterfragen sind daher nur jene 5,2 % der Patienten, die eine Dauertherapie mit einem dieser Arzneistoffe erhielten. Quellen: Pharm. Ztg. 2012; 157(41): 3470 und 157(44): 3826; Internist 2012; 53: 1240-7 Kardiovaskuläres Risiko nicht-steroidaler Antiphlogistika (NSAID) Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat ihre Neubewertung des kardiovaskulären Risikoprofils von NSAID abgeschlossen. Für Diclofenac kann die Behörde ein leicht erhöhtes Risiko kardiovaskulärer Ereignisse ableiten (ähnlich dem der selektiven COX2-Hemmer), ebenso für Ibuprofen, jedoch nur unter hohen Dosen (2400 mg/d). Naproxen hat das geringste Risiko, ganz ausschließen mochte die Behörde ein grundsätzlich höheres Risiko jedoch nicht. Für alle anderen NSAID war die Datenlage für eine Beurteilung nicht ausreichend. Die EMA verweist auf die allgemeine Empfehlung, NSAID grundsätzlich in der niedrigsten effektiven Dosis und über eine kürzestmögliche Therapiedauer anzuwenden. Nach einem Kommentar zu einer Cochrane-Anaylse topischer NSAID-Zubereitungen bei Arthrose sollen 40 bis 60 Prozent der Patienten auf eine topische Therapie angesprochen haben (oral: 34 bis 70 Prozent), gastrointestinale Beschwerden traten unter topischer Therapie bei 17 Prozent, unter oraler Therapie bei 26 Prozent der Patienten auf. Entsprechend den Empfehlungen der EMA wäre ein Therapieversuch bei geeigneten Patienten mit einer topischen NSAID-Zubereitung zu erwägen – immer in der Kenntnis, dass die Freisetzung des Wirkstoffes aus topischen Zubereitungen sehr variabel sein kann und circa 40 Prozent der Patienten von einer Placebowirkung profitieren. Quellen: Pharm.Ztg. 2012; 157 (44): 123-4, Dt. Apo.Ztg 2012; 152: 5744-5 H1-Antihistaminika: Gefahr für Säuglinge und Kleinkinder H1-Antihistaminika der ersten Generation (Doxylamin, Diphenhydramin und Dimenhydrinat) werden zur Therapie von Schlafstörungen und bei Übelkeit/Erbrechen auch bei Kleinkindern eingesetzt. Auch in Husten- und Erkältungsmitteln können diese Arzneistoffe enthalten sein – eine Zulassung in diesen Indikationen fehlt für Kinder bis zu drei Jahren (obwohl Erkältungssaftzubereitungen dazu führen können, diese den Kindern anzubieten, auch wegen ihrer sedierenden Eigenschaften). Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte weist darauf hin, dass diese Arzneistoffe trotz Freiverkäuflichkeit mit erheblichen Risiken verbunden sein können. Ihre antihistaminergen und anticholinergen Wirkungen können insbesondere bei Säuglingen und Kleinkindern unter anderem zu Krämpfen, Somnolenz und Tachykardie führen, aber auch zu paradoxen Reaktionen wie Unruhe, Angstzuständen und Atemstillstand (insbesondere bei Überdosierungen). Die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin empfiehlt bei Erkältungssymptomen ausreichende Flüssigkeitszufuhr und eventuell Ibuprofen. In den USA haben Hersteller auf Kombinationsprodukte gegen Husten und Erkältungskrankheiten bei Kindern unter vier Jahren verzichtet, da die Kombination mit weiteren zentralwirksamen Arzneistoffen wie Ephedrin oder Dextromethorphan die Gefahr für unerwünschte Wirkungen (UAW) bei Kleinkindern deutlich erhöht. Quellen: Dtsch.Apo.Ztg. 2012; 152: 5606 -7 und 5656 -61 Seite 19 Sicherer verordnen Dr. med. Günter Hopf Seite 20 Briefe an die Redaktion KVH • aktuell Nr. 1 / 2013 Nur ein schöner Wunsch? Zum Beitrag „Was hilft, wenn die Metformin-Monotherapie ausgereizt ist?“ in Heft 4/2012 In diesem Artikel wird für eine antidiabetische Therapie mit Insulin ein Nutzen unterstellt. Für das Gros unserer hausärztlich betreuten Typ-2-Diabetiker kann dies jedoch hinsichtlich patientenrelevanter Endpunkte nicht behauptet werden [1]. Die Insulingabe kann allenfalls diabetesbedingte Symptome lindern. Alles andere bleibt ein schöner Wunsch. Mehr zur Zeit aber auch nicht. Dr. med. Armin Mainz, Internist Anmerkung des Autors: Die angegebene Arbeit von Boussageon [1] untersucht – wie aus dem Titel zu erkennen – die Effekte einer intensiven gegenüber einer moderaten Blutzuckersenkung, macht aber keine Aussagen zu den Effekten einer Insulinbehandlung per se. Evidenzlage: In der genannten Metaanalyse [1] wird die UKPDS 33 [2] bzw. 34 [3] als einzige Studie mit Placebo-kontrollierter Insulintherapie bei Typ-2-Diabetes erwähnt. Eine eigene Medline-Recherche mit den Stichworten „Insulin AND diabetes AND mortality AND controlled trial“ und eine Suche nach Cochrane Reviews unter dem Stichwort „Insulin“ erbrachte keine weiteren relevanten Studien. In der prospektiven und randomisierten UKPDS wurde nach zehn Jahren Behandlung mit Insulin gegenüber Placebo eine Senkung eines gemischten mikrovaskulären Endpunktes gezeigt (insbeAnders als viele sondere von Laserkoagulationen der Augen). In der anschließenden UKPDS-followmeinen, ist auch die up-Kohortenstudie [4] zeigten sich nach weiteren zehn Jahren indifferenter Therapie endpunktbezogene dann zusätzliche signifikante und relevante makrovaskuläre Späteffekte der InsulinbeEvidenzlage für handlung (Verringerung von Herzinfarkten um 15% und Gesamtmortalität um 13%). Insulin nicht Beurteilung: überwältigend. Angesichts der häufigen Behandlung mit Insulin wünscht man sich natürlich eine bessere Evidenzlage, zumal auch die Analyse der UKPDS nicht ohne Kritik blieb [5]. Allerdings wird man jetzt kaum noch Patienten und Ethik-Kommissionen zu einer solchen Studie überreden können. Deswegen zählt nach Sackett die beste vorliegende Evidenz. Und die ist für Insulin deutlich besser als für die neueren Antidiabetika wie z.B. die DPP-4-Hemmer. In der aktuell vorliegenden Konsultationsfassung der nationalen VerWie machen Sie es? sorgungsleitlinie „Therapieplanung bei Typ 2 Diabetes“ [6] wird Insulin jedenfalls wegen der Senkung mikrovaskulärer Endpunkte neben MetforBei einem Ihrer Diabetimin und Sulfonylharnstoffen als evidenzbasierte Therapie geführt. ker reicht Metformin nicht Dr. med. Uwe Popert, Arzt für Allgemeinmedizin mehr aus: Wie gehen Sie nun vor? Schreiben Sie uns doch – auch anhand Literatur: 1 Boussageon Rémy et al. Effect of intensive glucose lowering treatment on all cause mortality, von Beispielen –, wie Sie cardiovascular death, and microvascular events in type 2 diabetes, meta-analysis of randomised mit solchen Patienten controlled trials. BMJ 2011;343:d4169 umgehen! Denn die Ent2 UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group. Intensive blood-glucose control with sulphonyscheidung hängt zweifellureas or insulin compared with conventional treatment and risk of complications in patients with type 2 diabetes, (UKPDS 33). Lancet 1998;352:837-53. los auch vom Einzelfall ab, 3 UK Prospective Diabetes Study (UKPDS) Group. Effect of Intensive blood-glucose control with und deswegen sollten wir metformin on complications in overweight patients with type 2 diabetes (UKPDS 34). Lancet alle unsere Erfahrungen 1998;352:854-65. teilen. Dies trägt sicher zu 4 Holman RR, Paul SK, Bethel MA, Matthews DR, Neil HA.10-year follow-up of intensive glucose control in type 2 diabetes. N Engl J Med. 2008 Oct 9;359(15):1577-89. doi: 10.1056/NEJeiner besseren Therapie Moa0806470. Epub 2008 Sep 10. bei. 5 McCormack J, Greenhalgh T. Seeing what you want to see in randomised controlled trials: versiZuschriften erbeten an: ons and perversions of UKPDS data. United Kingdom prospective diabetes study. BMJ. 2000 Jun Fax: 069 / 79502 501; 24;320(7251):1720-3. 6 Konsultationsfassung der nationalen Versorgungsleitlinie „Therapieplanung bei Typ 2 Diabetes“ e-Mail: [email protected] Version 1.0 vom 29. August 2012; www.versorgungsleitlinien.de Nr. 1 / 2013 KVH • aktuell Paradigmenwandel im Arzneimittelmarkt Seite 21 Kritische Analyse Position der Ärzte bröckelt immer weiter ab Dr. med. Jürgen Bausch Der überwiegende Teil aller rezeptpflichtigen Arzneimittel wird von Allgemeinärzten und hausärztlichen Internisten verordnet. Die teuersten Verordner jedoch sind die Spezialambulanzen der Kliniken und die fachärztliche Versorgungsebene der Onkologie, Rheumatologie, der Hepatologie und der Neurologie mit dem Schwerpunkt Multiple Sklerose. Allen Verordnern gemeinsam ist ein mehrfacher schrittweise erfolgter Paradigmenwechsel, der nur langsam in das Bewusstsein der Ärzte und der Gesellschaft vordringt: Die Ärzte verlieren Stück für Stück ihre Verordnungshoheit. Individuelle ärztliche Therapieerfahrung hat lediglich anekdotische Evidenz. Der patientenrelevante Nutzen eines Arzneimittels entscheidet über die Verordnungsfähigkeit und den Preis. Verordnungshoheit perdue Rabattverträge und die Umkehr der aut-idem-Vorschrift bewirken eine vertragskonforme Arzneimittelzuteilung an den Patienten durch den Apotheker. Der verschreibende Arzt kann zwar unter Inkaufnahme einer Wirtschaftlichkeitsprüfung ein konkretes Arzneimittel für seinen Patienten verordnen und dadurch die Zwangssubstitution durch den Apotheker ausschließen. Aber er macht nur in Ausnahmefällen davon Gebrauch. Unnötigen Ärger kann man sich sparen. Der Patient muss sehen, wie er mit seinem kasseneigenen Rabattpräparat fertig wird. Angeblich gibt es ca. 10.000 Rabattverträge. Dieser Prozess führte und führt zu permanentem Einzelärger bei Patienten, Ärzten und Apothekern. Der Einspareffekt ist allerdings beachtlich. Eine systematische, wissenschaftliche Untersuchung darüber, welche Auswirkung dieser Vorgang auf Compliance, Adherence und die Produktion von ArzneimittelMüll durch Nichteinnahme hat, findet nicht statt. Warum man allerdings bei der erkennbaren Bereitschaft der Hersteller beachtliche Rabatte zu gewähren – vorzugsweise geht es um Generikaproduzenten –, nicht per Gesetz linear das Preisniveau um die durchschnittliche Höhe der Rabatte absenkt und dadurch wieder Markttransparenz herstellt, die durch die 10.000 Rabattverträge verloren gegangen ist, verstehe, wer mag. In England und Schweden, so jedenfalls berichtet Schwabe im neusten Arzneiverordnungsreport, ist das Preisniveau niedriger als bei uns. An dieser Stelle sei ein etwas wunderlicher Zwischenruf gestattet: Die Generikaindustrie weicht diesem Preisdruck durch Verlagerung der Produktion nach Indien, Bangladesch, China und Vietnam aus. Abgesehen von den dort niedrigen Lohnkosten sind es die Umweltauflagen, die die europäischen Produktionskosten stark nach oben treiben. In Asien und Indien ist das anscheinend kein Problem für die örtliche Trinkwasserversorgung der Menschen, Tiere und Pfanzen. Aber dass wir uns – ein Land ohne Rohstoffe, aber mit der Fähigkeit, alle Arzneimittel der Welt zu produzieren – auch noch in der Arzneimittelproduktion von Schwellenländern abhängig machen, will mir nicht in den Kopf. Ich sehe da einen gravierenden Unterschied zu dem schon längst zur Gewohnheit gewordenen Import von Billigtextilien aus den gleichen Ländern. Solche antiquierten Vorstellungen passen nicht in das Zeitalter der Globalisierung. Wir Ärzte müssen die Folgen ausbaden – und fragen: Warum 10.000 unübersichtliche Rabattverträge statt genereller Preisabsenkung? Seite 22 KVH • aktuell Nr. 1 / 2013 Anekdotische Evidenz Ein weiterer Paradigmenwandel ist der allmähliche Verfall des Wertes der individuellen ärztlichen Erfahrung in der Behandlung von Patienten. Ich komme noch aus einem medizinischen Zeitalter, wo zur Lösung von Patientenproblemen unterschiedliche Schulen eine ordentliche eminenzbasierte Therapie pflegten. Heute ist die Berufung auf jahrelange persönliche Erfahrung nichts wert: niedrigster anekdotischer Evidenzlevel. Dazu zwei Beispiele: Als jüngstes Vorstandsmitglied im neugewählten hessischen KV-Vorstand vor 25 Jahren habe ich beim Tagesordnungspunkt „wirtschaftliche Arzneimitteltherapie in der Allgemeinpraxis“ als Beispiel für unwirtschaftliches Verordnen der Kassenärzte die Verschreibung von oralen Venenpräparaten gegen Krampfadern gebrandmarkt. Das war kein guter Einstand im Kreis der damaligen älteren Vorstandskollegen, die durchaus meinten, gute Erfahrungen mit diesen Rosskastanienprodukten und ähnlichen Phytotherapeutika gemacht zu haben. Als gegen Ende meiner Vorstandszeit klar wurde, dass die Hormonersatztherapie bei Frauen in den Wechseljahren mehr Schaden als Nutzen anrichtet, und es allenfalls zu verantworten ist, kurz und niedrig dosiert den vasomotorischen Beschwerden der geplagten Frauen zu Leibe zu rücken, haben die Frauenärzte in Hessen den Aufstand geprobt und nach Verbündeten gesucht, um den verräterischen Vorsitzenden des Amtes zu entheben, der solche neuen Erkenntnisse aus einer großen Studie (WHI-Studie, Writing group for the Women´s Initiative 2002) als „Hirtenbrief“ den hessischen Ärzten vermittelt hat. Allerdings ist die Pharmakotherapie ein Gebiet, wo individuelle Erfahrungen schon wegen der kleinen Fallzahlen recht zwangsläufig irreführende Ergebnisse produzieren. Die moderne evidenzbasierte Medizin befähigt uns mehr und mehr, selbstkritisch zu hinterfragen, ob der eingeschlagene Weg auch der Richtige ist. Erfahrungen wird man dabei nicht ausblenden können, aber ihr Stellenwert hat sich gewandelt. Patientenrelevanter Nutzen Wirkung allein reicht nicht, entscheidend ist der Nutzen Der Sachverhalt ist scheinbar einfach. Ein Arzneimittel, das wirkt, erhält deswegen eine Zulassung. Zugelassene Arzneimittel helfen, schließlich wurde das ja in Zulassungsstudien bewiesen. Was aber unter real-life-Bedingungen außerhalb von Studien tatsächlich passiert, wurde im Zulassungsverfahren nicht geprüft. In der Tat war bis vor wenigen Jahren die Zulassung die Eintrittskarte in den Markt und das Kommando für die Marketingabteilungen, das Produkt an den Mann, sprich Arzt, zu bringen. Von allen Paradigmen, die sich gewandelt haben, ist dies am bedeutendsten: Wirkung allein reicht nicht, notwendig ist der Nachweis eines klinisch relevanten Patientennutzens. „Denn nur vom Nutzen wird die Welt regiert.“ Kollege Friedrich Schiller hat diese Erkenntnis Wallenstein in den Mund gelegt. Und seit dem 1. Januar 2011 ist für Deutschland dann mit dem AMNOG noch eine weitere Verschärfung hinzugekommen: Alles was neu auf den Markt kommt, muss gegenüber dem, was bereits etabliert ist, einen klinisch relevanten Zusatznutzen belegen. Und nur wenn das gelingt, wird man in den sich anschließenden Preisverhandlungen mit den Kassen auch den einen oder anderen kleinen Trumpf in der Hand haben. Wir sind exakt bei dem Dauerbrenner der Nutzwertdiskussion angekommen, die schon lange gesundheitspolitisch das Feld bestimmt. Aus hausärztlicher Sicht klingt diese Philosophie zunächst einmal logisch und nützlich. Aber wie wir noch sehen werden, steckt der Teufel – wie immer – im Detail. Politisch verkauft sich dieses Konzept sehr gut und medienwirksam: Denn wer will für einen neuen Mercedes bezahlen und nur einen gebrauchten Fiat-Topolino Baujahr1957 geliefert bekommen? Nr. 1 / 2013 KVH • aktuell Seite 23 Nutzenbewertung gemäß AMNOG Es macht Sinn, sich auf einige interessante Bewertungsbeispiele zu konzentrieren, was als erstes Herantasten der Beteiligten an die neue Materie zu verstehen ist. 1. Beispiel Ticagrelor Ticagrelor mit dem Handelsnamen Brilique® ist für das akute Koronarsyndrom indiziert und zugelassen. Nach ASS, Clopidogrel und Prasugrel also ein weiterer, allerdings reversibler, ADP-Rezeptor-Antagonist. Der erste Wirkstoff, der nach dem AMNOG eine frühe Nutzenbewertung erfahren hat. Ticagrelor war 7,5 mal teurer als Clopidogrel (Jahrestherapiekosten im ersten Jahr 1.237,35 €). Die Preisverhandlungen sind jetzt abgeschlossen. Man hat sich auf einen Preis von 2,04 € Tagestherapiekosten geeinigt. Dadurch reduzieren sich die Jahrestherapiekosten praktisch um die Hälfte von dem Betrag, den der Hersteller im ersten Jahr frei kalkuliert nehmen durfte. Der Gemeinsame Bundesausschuss hat auf der Basis des Herstellerdossiers und der Bewertung durch das IQWIG für Ticagrelor einen „beträchtlichen Zusatznutzen“ für eine wichtige Subpopulation konstatiert. Diese Nachricht wurde vom Hersteller mit Erleichterung aufgenommen und hat viele Kardiologen stark ermutigt, generell beim akuten Koronarsyndrom von Clopidogrel auf Ticagrelor umzusteigen, so wie es auch die Leitlinie der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft empfiehlt. Interessant ist jedoch, dass diese europäische Leitlinie Ticagrelor schon aufgenommen hatte, als dieses in Europa und USA überhaupt noch nicht zugelassen war! Ein etwas irritierender Vorgang. Schaut man jedoch genauer hin, dann hat das IQWIG eine sehr stark differenzierte Bewertung vorgenommen: Nur für die instabile Angina pectoris mit dem leichten Herzinfarkt ohne typische EKG-Hinweise (NSTEMI, Infarklt ohne ST-Hebung) wurde ein beträchtlicher Zusatznutzen belegt. Wegen der Mortalitätsreduktion um 1,5%, ganz gewiss ein klinisch relevanter Zusatznutzen. Kein Zusatznutzen in nahezu allen anderen schweren Fällen von akutem Koronarsyndrom (ACS). Der G-BA hat zusätzlich in seiner frühen Nutzenbewertung festgelegt, dass Patienten jenseits des 75. Lebensjahres und Patienten mit einer Vorgeschichte, in der TIAs und Apoplexe vorgekommen waren, mit Ticagrelor behandelt werden können. In der Praxis hat sich diese differenzierte Sichtweise bislang nicht niedergeschlagen. Offenbar ist es nicht einfach, solche komplizierten Botschaften zu transportieren, so dass die gute Meldung: „Beträchtlicher Zusatznutzen“ voll zu Gunsten des Herstellers für alle ACS-Indikationen durchschlägt. Letzterer wurde ja nicht bestritten, sondern nur die fehlende Beleglage für den Nachweis eines Zusatznutzens. NICE hat übrigens grünes Licht für das akute Koronarsyndrom gegeben, ohne eine solche Differenzierung vorzunehmen. 2. Beispiel Fingolimod Fingolimod (Gilenya®) ist bei der Behandlung der Multiplen Sklerose indiziert. Erstmals seit vielen Jahren ein neuartiger Wirkstoff mit einem neuen Wirkprinzip gegen die Multiple Sklerose. 99 von 100.000 Menschen in Europa erkranken daran, überwiegend Frauen. Jahrestherapiekosten in Deutschland vorwiegend für Interferone: eine Milliarde Euro. Fingolimod ist oral verfüG-BAr, alle anderen Wirkstoffe müssen injiziert oder infundiert werden. Das genaue Wirkprinzip des neuen Immunmodulators Fingolimod ist noch nicht entschlüsselt. Der G-BA fand nur einen „Anhaltspunkt“ für einen geringen Zusatznutzen in der kleinen Patientengruppe der schnell remittierenden MS-Patienten. Für alle anderen Fälle jedoch keinen Nutzenbeleg. Ein dramatisch schlechtes Ergebnis für einen großen Hoffnungsträger. Was war passiert? Die beiden Zulassungsstudien für Fingolimod waren auf eine first line-Therapie Zusätzlicher Nutzen nur für eine begrenzte Patientengruppe ... ... aber diese wichtigen Feinheiten werden ignoriert Seite 24 KVH • aktuell Nr. 1 / 2013 bei Multipler Sklerose angelegt und durchgeführt worden. Die EMA war jedoch wegen des beachtlichen Schadenspotentials, darunter auch Todesfälle, ähnlich wie in früherer Zeit bei Natalizumab (Tysabri®) der Auffassung, dass Fingolimod nur eine second-line-Zulassung erhält. Das IQWiG und der G-BA sind absolut zulassungstreu und fanden zur Vergleichstherapie keinen Zusatznutzen. Die Studien waren anders konzipiert worden. Allerdings hatten die Fachleute für die Zulassung in der Schweiz und in den USA kein Problem mit der Festlegung einer first-line-Therapie gemäß Studienlage. Und NICE hat sich preislich mit dem Hersteller geeinigt und erst danach wurde grünes Licht für die Verordnung im Vereinigten Königreich gegeben. Interessant an dem Beschluss des G-BA ist: Es gibt „Anhaltspunkte für einen geringen Zusatznutzen“ gegenüber der Vergleichstherapie in nur einer von drei Patientengruppen. Es erfolgte eine Befristung des Beschlusses auf drei Jahre. Bis dahin können neue Studien vorgelegt werden, um die Beschlusslage zu verbessern. Insbesondere aber, um Belege dafür beizubringen, dass außer einer gezeigten besseren Schubreduktion auch die fatale Krankheitsprogression aufgehalten werden kann. Interferone, Glatirameracetat und Natalizumab waren hier bislang enttäuschend. 3. Beispiel Boceprevir Boceprevir (Victrelis ®) ist indiziert bei der Behandlung von Hepatitis C. IQWiG und G-BA stoßen bei der Frage eines klinisch relevanten Zusatznutzens bei der Hepatits C und ähnlichen Erkrankungen an ihre Grenzen. Boceprevir hat in Kombination mit PegInterferon und Ribavirin in einem Surrogatendpunkt namens SVR einen „im Ausmaß nicht quantifizierbaren Hinweis auf einen Zusatznutzen“ erbracht. SVR steht für: sustained virological response (anhaltendes virologisches Ansprechen) und bedeutet, dass das Virus nicht mehr nachweisbar ist. Ziel der antiviralen Kombinationstherapie ist: Durch die Inaktivierung des Hepatitis C-Virus die Folgen der Infektion: Leberzirrhose und Leberzellkarzinom zu vermeiden. Dieser klinische Endpunkt ist jedoch erst nach 15 bis 20 Jahren feststellbar. Weswegen man (widerwillig) auf Surrogatendpunkte zurückgreifen musste, die in diesem Fall an Laborwerten abgelesen werden können und müssen. Das grundsätzliche Problem aus ärztlicher Sicht: Ärzte freuen sich, wenn es ihnen gelingt, eine chronische Virusinfektion durch Elimination beseitigt zu haben. Auch wenn dies lediglich durch Laborwerte bewiesen ist. Sie sehen darin einen großen Nutzen. Dies ist der Unterschied in der Denkweise des Normalarztes und der Spezialisten bei IQWiG und G-BA. 4. Beispiel Pirfenidon Pirfenido (Esbriet®) ist zur Behandlung der Lungenfibrose zugelassen worden. Das IQWiG kommt zum Ergebnis: Kein Zusatznutzen belegt. Der G-BA kommt zum Ergebnis: Ausmaß des Zusatznutzens nicht quantifizierbar. Die FDA, (amerikanische Zulassungsbehörde) hat das Präparat zunächst zugelassen. Nach einem halben Jahr jedoch aus der Zulassung entfernt, wegen fehlender Wirkungsbelege. Pirfenidon hat einen Orphan-drug-Status. Damit ist der Nutzenbeleg durch Zulassung aufgrund der gesetzlichen Vorgabe erbracht. Was aber nicht vor Kritik schützt, wenn eine Bewertung des Nutzens vorgenommen wird. Die Jahrestherapiekosten betragen 39.000 € pro Patient und Jahr. Pirfenidon wird trotz der negativen Bewertungen von pulmologischen Zentren bei Lungenfibrose verordnet. Eine hilfreiche Vergleichstherapie oder eine therapeutische Alternative existiert nicht. In den Preisverhandlungen hat man sich darauf geeinigt, dass neben den gesetzlichen Rabatten von 16% noch weitere 11% nachgelassen werden müssen. Es ist möglich, dass dieses für das Unternehmen günstige Verhandlungsergebnis kassenintern scharf kritisiert werden wird. Nr. 1 / 2013 KVH • aktuell 5. Beispiel Linagliptin Linagliptin (Trajenta®) – Ein Wirkstoff zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ II. Es handelt sich um einen weiteren DPP-4-Inhibitor. Diesmal von Boehringer und Lilly. Zur Behandlung des Diabetes mellitus Typ II als Mono- oder Kombitherapie mit Metformin. Also first line. Der G-BA definiert die Vergleichstherapie nach dem Zulassungsstatus und dem Standard der Versorgung. Das ist in Deutschland Metformin plus gegebenenfalls Sulfonylharnstoffe. Die Reaktion der Hersteller: Linagliptin durchläuft zwar den AMNOG-Prozess, aber es wird in Deutschland dem Markt nicht zur Verfügung gestellt. Man erwartet keinen Zusatznutzen gegenüber der G-BA-Vergleichstherapie und damit auch keinen vernünftigen Preis im Rahmen der Preisverhandlungen. Das Ziel war, mit den drei anderen DPP4-Inhibitoren verglichen zu werden. Dann hätte man zwar keine Überlegenheit demonstrieren können, aber zumindest Gleichwertigkeit. Und hätte einen DPP4-Preis erzielen können, der zur Zeit weit über dem generischen Preis von Metformin und SH-Stoffen liegt. Die Hersteller der Gliptine wurden als erste Gruppe aus dem Bestandsmarkt aufgefordert, ein Dossier zur Nutzenbewertung vorzubereiten. Die Folge ist: Man muss sich überlegen, ob derartige Vorgaben des Gesetzgebers zu einer Innovationsbremse bei den Analogpräparaten führt und ob es dadurch in Deutschland zu einer verzögerten Vermarktung neuer Wirkstoffe kommen wird. Es darf daran erinnert werden, dass bei einer ganzen Reihe von Analogpräparaten erst die dritte, vierte oder gar fünfte Entwicklung später zum Therapiestandard geworden ist, weil diese im Vergleich zu den anderen einen größeren patientenrelevanten Nutzen entfaltet hat. Bei Linagliptin ist die Verordnungsfähigkeit bei niereninsuffizienten Diabetikern eventuell ein solcher relevanter Nutzen. 6. Beispiel Retigabin Retigabin (Trobalt®) ist ein Wirkstoff zur Behandlung der Epilepsie. Das Produkt verfügt über ein neu entdecktes vollkommen neues Wirkprinzip in der Epilepsie-Behandlung: nämlich ein sogenannter Kalium-Kanal-Öffner. In der Innovationsklassifikation nach Fricke und Claus eine klassische A-Klassifikation bzw. eine „Sprunginnovation“ nach Morck und Kollegen. Retigabin wurde in den Zulassungsstudien auch an Patienten geprüft, die bereits in mehreren Therapien mit anderen Antiepileptika erfolglos vorbehandelt worden waren. Also add-on in der second und gar third line. Die Zulassung erfolgte jedoch breit als first-line-Antiepileptikum. IQWIG hat als Vergleichstherapie deswegen den Nutzen gegenüber Lamotrigin und Topiramat geprüft, nachdem diese vom G-BA so vorgeschrieben worden war. Beide Wirkstoffe sind generisch. Der Hersteller hatte sich das noch nicht generische Lacosamid als Vergleichstherapie ausgeguckt. Das hat aber nichts geholfen. Zulassungstreu bleibt der G-BA bei seiner Entscheidung: Gegenüber Topiramat und Lamotrigin, das ist die first-lineStandardvergleichstherapie, hat Retigabin keinen Zusatznutzen nachgewiesen. Das Verfahren ist inzwischen abgeschlossen. Retigabin wird auf dem deutschen Markt nicht ausgeboten. Wenige Tage nach der Entscheidung des Herstellers, dieses Präparat in Deutschland nicht auf den Markt zu bringen, haben viele Krankenkassen das Signal gegeben, dass sie den Bezug über die internationale Apotheke gestatten und bezahlen werden. Dieser Vorgang ist blamabel. Formal wurde zwar korrekt gehandelt, aber ärztlich vollkommen daneben. Weil es in der Epilepsiebehandlung immer Situationen gibt, wo man auf eine add-on-Therapiealternative zurückgreifen möchte, wenn man sie denn hätte. Zwölf „Neue“, sieben ohne Zusatznutzen Zwischen Dezember 2011 und Mai 2012 wurden 12 frühe Nutzenbewertungen des G-BA veröffentlicht. 7 mal konnte der G-BA keinen Beleg für einen Zusatznutzen feststellen. Seite 25 Seite 26 KVH • aktuell Nr. 1 / 2013 Die Goldmedaille im Ranking des AMNOG wurde überhaupt nicht vergeben. Aber die Silbermedaille konnte immerhin zweimal in diesem Zeitraum von Ticagrelor und Abirateronacetat (hormonrefraktäres Prostata-Carzinom) in Empfang genommen werden. Der Rest verteilte sich auf einen geringen bzw. nicht quantifizierbaren Zusatznutzen. Also Platz 3 und 4 auf dem sechsteiligen Siegertreppchen. Es gibt keine seriösen Erhebungen darüber, wie diese Ergebnisse des G-BA von der Ärzteschaft bewertet werden. Viele Produkte, die bewertet wurden, haben in der hausärztlichen Versorgungsebene nur eine marginale Bedeutung. Welche Trends lassen sich aus den bisherigen Entscheidungen ablesen? 1. Die Vergleichstherapie ist vom G-BA festzulegen. Mit der wird der Zusatznutzen verglichen. Sie orientiert sich sehr eng am Zulassungsstatus des zu untersuchenden Wirkstoffs. Der G-BA berät auf Wunsch den pharmazeutischen Unternehmer schon sehr frühzeitig hinsichtlich dieser Vergleichstherapie. Es liegt auf der Hand, dass die Festlegung der Vergleichstherapie den weiteren Verfahrensgang maßgeblich bestimmt. Der G-BA muss sehr darauf achten, dass er bei dieser Festlegung den Bogen nicht überspannt. 2. Studienergebnisse oder therapeutische Gepflogenheiten der anwendenden Ärzte aufgrund von Leitlinien, die nicht mit dem Zulassungsstatus in Übereinklang stehen, werden praktisch nicht berücksichtigt. 3. Surrogatparameter sind keine klinisch relevanten harten Endpunkte für den Beleg eines Zusatznutzens. 4. Head-to-head-Studien mit dem „richtigen“ Komparator sind bei Überlegenheit deutlich von Vorteil. 5. Der Orphan-drug-Status schützt nicht vor einer inhaltlichen Kritik am Nutzen. 6. Tendenziell wird streng ausgesiebt. Die Maschen des Siebs sind eng gestellt. 7. Forschungsinnovationen sind nur dann von Vorteil, wenn das innovative Produkt auch einen klinisch relevanten Zusatznutzen hat. Pharmakotherapeutischer Fortschritt ist nicht gleich Nutzen. Aus der Vergangenheit sind die Klassifikationsmodelle von Fricke und Claus oder das von Morck und weiteren Pharmakologen bei der Bewertung des Innovationsgrades einer Neuzulassung bekannt, festgemacht an den Buchstaben A, B, C und D oder an den Begriffen Sprung-, Schritt- und Scheininnovation. Das ist Vergangenheit, wenn es um die Nutzenfrage geht. Ein vollkommen neuer Wirkmechanismus kann, aber er muss keinen klinisch relevanten Zusatznutzen haben. Zumindest nach der Methode, die durch G-BA und IQWIG vorgegeben ist. Dass aber ein neuer Wirkstoff mit einem neuen Wirkmechanismus auch bei Gleichwertigkeit eine therapeutische Alternative für Nonresponder oder bei Unverträglichkeitsreaktionen hat, steht außer Frage. Er fällt – wie Retigabin zeigt – nicht durch die enggestellten Maschen des G-BA-Siebs. Das AMNOG-System und alle ähnlichen Konstrukte in Europa wie NICE oder die Arbeit der französischen Transparenzkommission sind Versuche von Regulierungsbehörden, Dämme aufzubauen, um der Fluten von Arzneimittelneuheiten Herr zu werden, die mit hohen Kosten die Ausgabenseite der Krankenkassen belasten. Nicht dass man grundsätzlich den Fortschritt behindern wollte, sondern weil die Kostenträger hinter den Dämmen Schutz suchen vor unnötigen Ausgaben wegen eines fehlenden Kosten-Nutzen-Verhältnisses. Der Gesetzgeber hat den Kassen in Deutschland die Preisverhandlungsmacht für neue Produkte in die Hände gelegt und sogar die Möglichkeit eingeräumt, im Bestandsmarkt aufzuräumen. Die Rahmenbedingungen haben sich grundsätzlich für forschende Unternehmen geändert, keineswegs nur in Deutschland – hier eher spät. Bei vielen chronischen Erkrankungen warten die Patienten schon lange Nr. 1 / 2013 KVH • aktuell Seite 27 auf therapeutische Durchbrüche (z.B. bei Alzheimer und bei anderen degenerativen Erkrankungen des Nerven- und Skelettsystems, bei der Multiplen Sklerose und vor allem in der Onkologie). Aber wie die vorgetragenen Beispiele zeigen: zu einer bezahlbaren und vernünftigen Preis-Nutzen-Relation. Was bezahlbar ist, das orientiert sich nicht an den Preisvorstellungen der Hersteller, sondern am Haushalt der Kassen. Was vernünftig ist, weiß niemand so ganz genau, weswegen man diesen Interessenausgleich an den Verhandlungstisch zwischen Hersteller und Zahler verwiesen hat mit der Option, im Nichteinigungsfall zu einer Schiedsentscheidung zu kommen, die auch das europäische Preisniveau im Auge hat. Das muss einem als forschende Industrie nicht gefallen. Es fordert aber auf zu einem Umdenken in den Forschungskonzepten für die Zukunft. Viele begreifen dies schon länger als eine echte Herausforderung, der man sich stellen muss, wenn man überleben möchte. Zusammenfassung Die Entwicklung des Arzneimittelmarktes in den Nachkriegsjahren war bis vor wenigen Jahren in Deutschland davon bestimmt, dass er in den Details stark überreguliert, aber im Kern wurde die Vermarktung und die freie Preisbildung patentgeschützter Produkte nicht ernsthaft angetastet. Erst die Diskussion über sozial vertretbare „Kosten – Nutzenrelationen“ führte schrittweise zu einem bedeutsamen Paradigmenwandel im System, der in die Vorschriften des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes mündet. Wer Geld für Leistung haben möchte, muss ein Produkt liefern, das gegenüber dem Standard der Therapie einen klinisch relevanten Zusatznutzen belegen kann. Kein leichtes Unterfangen, wie der vorliegende – „frühe“ – Erfahrungsbericht zeigt. Unabhängige Informationen sind existenziell wichtig – auch für Patienten Als Arzt wissen Sie, wie wichtig unabhängige Informationen sind – und Sie wissen auch, wo Sie sich entsprechend informieren können. Beispielsweise in KVH aktuell oder in anderen unabhängigen Zeitschriften wie dem arznei-telegramm, dem ARZNEIMITTELBRIEF, dem Pharma-Brief und der Arzneiverordnung in der Praxis. Deren Verlage haben sich zusammengetan und geben ein regelmäßig erscheinendes Informationsheft für Patienten heraus. Dass dies dringend notwendig ist, liegt auf der Hand: Patienten werden in den Medien und auch im Internet mindestens ebenso stark wie Ärzte mit Informationen überschüttet, die von der Pharmaindustrie beeinflusst oder sogar direkt gesteuert werden. Das schlägt sich auch in entsprechenden Verordnungswünschen nieder, gegen die Sie als Arzt dann bisweilen zeitaufwändig anargumentieren müssen. Gute Pillen – Schlechte Pillen bietet Ihnen hier eine Möglichkeit, gegenzusteuern und die oft von der Pharmaindustrie beeinflusste und vor allem umsatzorientierte Medikamenteninformationen Gut geeignet für das Wartezimmer: Das Blatt ist völlig frei von Einflüssen der Pharmaindustrie. Im Original ist es übrigens bunt, die Materie ist für Patienten bestens aufbereitet. Seite 28 KVH • aktuell Nr. 1 / 2013 richtigzustellen. Die Beiträge sind hervorragend recherchiert, sie stellen die Sachlage objektiv dar und sind damit bestens als Wartezimmerlektüre geeignet. Nicht wenige Patienten abonnieren das Blatt sogar selbst. Da es keine Werbung enthält, ist das Abonnement natürlich nicht kostenlos. Allerdings dürften die 49 Euro pro Jahr durchaus eine gute Investition für die Praxis sein. Dafür gibt es das Praxis-Set: Sechsmal im Jahr je ein Leseexemplar und ein Ansichtsexemplar der aktuellen Ausgabe von Gute Pillen – Schlechte Pillen im Abonnement. Ein Sortiment Patientenbriefe zu den Themen Gut vorbereitet zum Arzt / Erkältungskrankheiten / Medikamente in der Schwangerschaft / Hören / Hyposensibilisierung / Mit Arzneimitteln auf Reisen / Zeckenbiss /, Herzpässe. Die Themen in den Heften sind zu vielfältig, um hier ausführlich darauf einzugehen. Aber ein Beispiel: Die Redaktion erläutert deutlich, warum Generika preiswert sind und dass sie deswegen keineswegs schlechter sind als das Original. Ansonsten lohnt sich allemal ein Blick auf die Website www.gutepillenschlechtepillen.de, um mehr über das Heft zu erfahren. Dort kann es auch abonniert werden. Erster Preis für Leitliniengruppe Hessen Bereits zum dritten Mal in Folge hat der Verband der Ersatzkassen e. V. (vdek) im Sommer 2012 einen Zukunftspreis ausgelobt. Im vergangenen Jahr war der Preis speziell einem Thema gewidmet, das nicht nur für die Krankenkassen, sondern auch für Ärzte eine besondere Herausforderung darstellt: Es gibt immer mehr alte Menschen, damit immer mehr multimorbide Patienten, die eine Multimedikation benötigen – mit all den Interaktionen und Gefahren, die ein umfangreicher Medikamentengebrauch mit sich bringt. Eines der Probleme in diesem Zusammenhang: Die meisten Therapiestudien wurden nicht an dem typischen multimorbiden Klientel einer Hausarztpraxis durchgeführt, so dass die Ergebnisse dieser Untersuchungen über einzelne Therapiemaßnahmen nicht ohne Weiteres für den multimorbiden Patienten „aufsummiert“ werden können. Vielmehr müssen sich insbesondere Hausärzte und Internisten Gedanken darüber machen, wie sie die Medikation optimieren und reduzieren können, um gefährliche Interaktionen möglichst zu vermeiden. Der erste Preis, dotiert mit 15.000 Euro, wurde an das Projekt „Hausärztliche Leitlinie Multimedikation“ von der Leitliniengruppe Hessen in Kooperation mit der PMV forschungsgruppe vergeben. Die Leitlinie zeigt nicht einfach nur Gefahren auf, sondern gibt eine ganze Menge fundierte und vor allem auch konkrete Tipps für Ärzte. Der zweite Preis in Höhe von 5.000 Euro ging an das „Aktionsbündnis Schmerzfreie Stadt Münster“. Die Leser von KVH aktuell können sich selbst ein Bild von der Leitlinie machen und von ihren praxisnahen Vorschlägen profitieren: Wir drucken die wichtigsten Teile der Leitlinie in diesem und den folgenden Heften ab. Los geht es gleich auf der gegenüberliegenden Seite. Glückliche Preisgewinner neben zwei Juroren. Von links nach rechts: Dr. med. Uwe Hüttner, Dr. med. Alexander Liesenfeld, Dr. Ingrid Schubert, Prof. Jürgen Osterbrink*, Dr. med. Monika Schliffke*, Christian Zahn*, Dr. med. Joachim Feßler, Dr. med. Frank Bergert, Dr. med. Klaus Ehrenthal. Foto: vdek / Raffaele Nostitz * Prof. Osterbrink gehört zum Aktionsbündnis Schmerzfreie Stadt Münster, Dr. Monika Schliffke und Christian Zahn sind Mitglieder der Preisjury. Alle anderen sind Mitglieder der Leitliniengruppe Hessen. Nr. 1 / 2013 KVH • aktuell Seite 29 Hausärztliche Leitlinie Multimedikation Empfehlungen zum Umgang mit Multimedikation bei Erwachsenen und geriatrischen Patienten Konsentierung Version 1.00 16.01.2013 Revision bis spätestens Januar 2016 Version 1.00 vom 16.01.2013 Hausärztliche Leitlinie Hausärztliche Leitlinie Multimedikation Multimedikation F. W. Bergert M. Braun K. Ehrenthal J. Feßler J. Gross U. Hüttner B. Kluthe A. Liesenfeld J. Seffrin G. Vetter M. Beyer (DEGAM) C. Muth (DEGAM) U. Popert (DEGAM) S. Harder (Klin. Pharmakol., Ffm) H. Kirchner (PMV) I. Schubert (PMV) Empfehlungen zum Umgang mit Multimedikation Empfehlungen zumund Umgang mit Multimedikation bei Erwachsenen geriatrischen Patienten bei Erwachsenen und geriatrischen Patienten Anmerkung: Die Leitlinie Multimediaktion umfasst Konsentierung Version 1.00 insgesamt knapp 100 Seiten. Wir veröffentlichen angesichts des Umfangs Konsentierung Version 1.00 16.01.2013 nur die wichtigsten Aspekte, aufgeteilt auf mehrere Hefte. In diesem16.01.2013 Heft finden Sie den ersten Teil. Revision bis spätestens Die gesamte Leitlinie einschließlich der im Text erwähnRevision bis spätestens Januar 2016 ten Anhänge und Literaturstellen (Ziffern in eckigen Klammern), die hier Januar 2016nicht abgedruckt sind, finden Sie im Internet unter www.kvhessen.de/Leitlinie oder www. pmvforschungsgruppe.de. Auf dieser Webseite bitte den Cursor in der Menü-Leiste im oberen Teil der Seite Version 1.00 vom 16.01.2013 auf Publikationen positionieren und im aufklappenden Version 1.00 vomklicken. 16.01.2013 Untermenü auf Leitlinien Dann können Sie die gesamte Leitlinie einsehen bzw. als PDF-Datei auf Ihren Computer herunterladen. Eine weitere Bezugsquelle finden Sie unter www.leitlinien.de. Dort oben auf „Leitlinie finden“ klicken, dann links Anbieter auswählen, anschließend führt unter L die „Leitliniengruppe Hessen“ zu den hausärztlichen Leitlinien. F. W. Bergert Braun F. W.M.Bergert K. Ehrenthal M. Braun J. Feßler K. Ehrenthal Gross J.J.Feßler U.J.Hüttner Gross Kluthe U.B.Hüttner A. Liesenfeld B. Kluthe J. Seffrin A. Liesenfeld G.Seffrin Vetter J. M. Beyer (DEGAM) G. Vetter Muth (DEGAM) (DEGAM) M.C.Beyer U.C.Popert (DEGAM) Muth (DEGAM) S. Harder U. Popert (DEGAM) (Klin. Pharmakol., Ffm) S. Harder H. Kirchner (PMV) (Klin. Pharmakol., Ffm) I. Schubert (PMV) H. Kirchner (PMV) I. Schubert (PMV) Seite 30 KVH • aktuell Nr. 1 / 2013 Warum eine Leitlinie zur Multimedikation? Liebe Kolleginnen und Kollegen Fast 20 Jahre haben wir für Sie hausärztliche Leitlinien erstellt mit dem Ziel, Ihnen Unterstützung anzubieten, mit der Sie sicher sein konnten, Ihre Patienten leitliniengerecht, d. h. evidenzbasiert und nach guter medizinischer Praxis zu behandeln. Wenn Sie das getan haben, haben Sie mit den Jahren gesehen, dass bei Ihren älter werdenden Patienten immer mehr Medikamente zusammenkamen. Darüber sind Sie sicher auch bisweilen besorgt. Mit Recht. Wir auch! Ja, werden Sie sich vielleicht fragen, die einzelnen Leitlinien empfehlen aber für diese Erkrankungen doch genau diese Wirkstoffe, sie sind doch alle wichtig und richtig. Sicher, aber die Leitlinien beschreiben keine Therapieempfehlungen für multimorbide Patienten! Deshalb müssen wir jeweils genau prüfen, ob die Empfehlung einer Leitlinie auch für den vor uns sitzenden multimorbiden Patienten passend ist. Wir werden klären müssen, welche Probleme vorrangig sind und einer medikamentösen Behandlung bedürfen und welche nicht. Diese Entscheidungen sollte übrigens nicht der Arzt allein, sondern gemeinsam mit seinem Patienten treffen, der meist seine persönlichen Präferenzen hat und diese in die Entscheidungen einbringen können sollte. Arzneitherapie ist eine verantwortungsvolle Aufgabe. Gerade bei Patienten mit Multimedikation stellen sich häufig neue Herausforderungen: Als Hausärzte müssen wir die Therapie erfragen, überwachen, überprüfen. Welche Medikation des Patienten ist noch aktuell? Was ist inzwischen verzichtbar? Gibt es neue Erkenntnisse? Auch liebgewonnene Gewohnheiten müssen von uns kritisch überdacht und manchmal auch über Bord geworfen werden, wollen wir unseren Patienten aktuelle Medizin bieten und sie gleichzeitig vor Schaden bewahren. Das kann zum Beispiel bedeuten, bei der Verordnung eines neuen Wirkstoffes eine andere Substanz abzusetzen, damit kein unüberschaubarer, unberechenbarer Cocktail daraus wird oder gefährliche Interaktionen eintreten. All dies setzt voraus, dass Sie sich schnell über die aktuelle Medikation informieren können. Als Leitliniengruppe beschäftigte uns folglich die Frage, wie wir die Arzneitherapie sicher handhaben können. Was ist zu beachten, wenn Patienten mehrere Arzneimittel gleichzeitig einnehmen? Hierzu gibt die Leitlinie einige Hilfestellungen, die Sie bei Ihrer Therapie unterstützen sollen. Sie sehen, dass Sie nicht allein mit dem Problem dastehen, multimorbide Patienten richtig und ihren Bedürfnissen gerecht zu behandeln. Und vielleicht können wir Ihre Begeisterung für das Thema wecken! Wir freuen uns jedenfalls auf Ihre Rückmeldungen und Anregungen. Ihre Leitliniengruppe Hausärztliche Schlüsselfragen Wie erfasse ich die Medikation? Wie erfahre ich die gesamte Medikation (auch die Selbstmedikation) des Patienten? Wie erhalte ich Informationen über die Therapien anderer Behandler? Wie erfahre ich von Anwendungsproblemen und Widerständen gegen die Arzneitherapie auf Seiten der Patienten? Wie erkenne ich Einnahmefehler und NonAdhärenz? Wie vereinfache ich das Einnahmeschema? Wie führe ich in vertretbarer Zeit einen Arzneimittelcheck durch? Wie erkenne ich Risiken und Gefahren der Multimedikation? Wie stelle ich notwendige Dosisanpassung (insbesondere bei älteren Patienten, bei eingeschränkter Nieren- und Leberfunktion), bei Multimedikation sicher? Welche Medikamente sind im Alter mit erhöhtem Risiko für unerwünschte Wirkungen behaftet? Welche spezifischen Probleme sind bei besonderen Patientengruppen (z. B. Kinder, Schwangere, Suchtpatienten) zu beachten? Welche Kontolluntersuchungen sind Nr. 1 / 2013 KVH • aktuell in welchen Intervallen bei Vorliegen von Multimedikation notwendig? Welche Hilfsmittel stehen mir zur Verfügung, um Interaktionen zu erkennen? Wie vermeide ich Komplikationen, wenn zu einer Dauermedikation noch eine kurzfristige Zusatzmedikation aufgrund einer akuten Erkrankung erfolgt? Wie achte ich auf Symptome? Mit welchen unerwünschten Wirkungen ist beim Absetzen einer Medikation zu rechnen? Wie erkenne ich arzneimittelbezogene unerwünschte Wirkungen? Wie unterscheidet man Nebenwirkungen einer Therapie von Krankheitssymptomen? Wie vermeide / reduziere ich unnötige Multimedikation? Wie komme ich zu einer individuellen Priorisierung? Kann in Absprache mit dem Patienten / Angehörigen eine Priorisierung der Therapieziele erfolgen, um die Zahl der Seite 31 verschiedenen Arzneimittel zu reduzieren? Wie evaluiere ich die Notwendigkeit einer bestehenden Therapie bzw. Therapiefortsetzung? Welchen Stellenwert haben symptomatische und kausale Therapieziele beim einzelnen Patienten? Wie kann ich den individuellen Nutzen einer – auch evidenzbasierten – Therapie für den Patienten einschätzen? Wie erkenne ich trotz Multimedikation eine Unterversorgung? Nach welchen Kriterien sollte die Weiterverordnung der nach Krankenhausentlassung empfohlenen Medikamente erfolgen? Kann Multimedikation ein möglicher Hinweis auf eine Fehlbehandung sein (z. B. Verordnungskaskade)? Wie schätze ich das individuelle Risiko für Nebenwirkung und Interaktion ab? Wie kann der Patient zu aktivierenden, nicht-medikamentösen Maßnahmen motiviert werden? Einführung Epidemiologie der Multimorbidität Die Behandlung von multimorbiden Patienten, die eine Vielzahl von Medikamenten gleichzeitig einnehmen, ist das tägliche Brot des Hausarztes. Je nach Studie variiert die angegebene Prävalenz von Multimorbidität zwischen 9% und 80% erwachsener hausärztlicher Patienten [2, 20]. Die Zahlen sind dabei u. a. abhängig vom Alter der untersuchten Patienten sowie von Art und Anzahl der Erkrankungen, die zur Definition der Multimorbidität herangezogen werden. Prävalenzangaben sind ohne Hinweise hierzu nur schwer einzuordnen. Vielfach werden zur Bestimmung des Vorliegens von Multimorbidität nur chronische bzw. das Gesundheitsschicksal wesentlich beeinflussende Erkrankungen berücksichtigt, jedoch verwendet fast jede Untersuchung bis heute eigene Kriterien, was Vergleiche zwischen Studien und Befunden erschwert. Eine allgemein anerkannte Definition liegt nicht vor. Nach dem Verständnis der Leitliniengruppe Ist Multimorbidität das gleichzeitige Auftreten mehrerer (zwei und mehr) chronischer oder akuter Erkrankungen bei einer Person [1], erfasst Multimorbidität alle gleichzeitig bestehenden Erkrankungen einer Person. Unbestritten ist, dass die Anzahl chronischer Erkrankungen und die Anzahl der Neuerkrankungen mit steigendem Alter stark zunehmen: Etwa die Hälfte der über 65-Jährigen in Deutschland weist nach dem telefonischen Gesundheitssurvey (GStel03) [116] drei oder mehr relevante chronische Erkrankungen auf. Nach einer niederländischen Studie, die in Hausarztpraxen durchgeführt wurde, betrug die Prävalenz von Multimorbidität (definiert als das gleichzeitige Vorliegen von zwei oder mehr chronischen Erkrankungen) bei Männern bis zum 19. Lebensjahr 11% und bei 80-jährigen Männern 74%. Bei Frauen der gleichen Altersgruppe lag die Prävalenz zwischen 9% und 80% [1]. In der Berliner Altersstudie, einer repräsentativen Querschnittuntersuchung an über 70-Jährigen, lag die Zahl noch höher. Danach hatten 88% der älteren Patienten mindestens fünf Erkrankungen gleichzeitig [138]. Der Hausarzt sieht im Vergleich zu den Prävalenzangaben bevölkerungsbezogener Studien in seiner Praxis deutlich mehr multimorbide Patien- Seite 32 KVH • aktuell ten. Multimorbidität verursacht ein erhebliches »Problem-Potential« in der täglichen Praxis, das in Leitlinien oder klinischen Studien bisher leider nur unzureichend behandelt wird. Auch in Therapiestudien sind multimorbide Probanden meist unterrepräsentiert oder ausgeschlossen, was die Aussagekraft der Studien für zahlreiche Patienten in der Alltagspraxis mindert [20 nach 43]. Wann spricht man von Multimedikation? Multimorbidität geht in der Regel mit Multimedikation einher. Sie nimmt in den höheren Altersgruppen zu, kommt jedoch auch bei jüngeren Patienten vor [98]. Vergleichbar der Multimorbidität gibt es keinen wissenschaftlichen Standard zur Messung von Multimedikation (Synonym: Polypharmazie). Auch hier reicht das Spektrum von mehreren (>1) Medikamenten in einer Periode bis hin zur Festlegung einer bestimmten Anzahl verschiedener gleichzeitig verordneter Arzneimittel (z. B. >5 oder 10) [102]. Entsprechend groß ist die Streuung der Angaben zur Häufigkeit der Multimedikation. Wie häufig und in welchem Ausmaß tritt Multimedikation auf? Im Jahr 2010 erhielt jeder gesetzlich Versicherte über 65 Jahre (27,2% der Gesamtbevölkerung) im Durchschnitt 3,6 Tagesdosen an Medikamenten als Dauertherapie. 66% aller Arzneimittel wurden für diese Altersgruppe verordnet [32]. In Bezug auf die Häufigkeit einer Multimedikation im Alter, fanden Thürmann et al. 2012 bei 42% der Patienten über 65 Jahren eine »kumulative Polypharmazie«, definiert als eine Verordnung von 5 oder mehr Wirkstoffen innerhalb eines Quartals. [147]. Schuler et al. ermittelten bei rund 58% der älteren Patienten (>75 Jahre), die in einem Zeitraum von 3 Monaten neu auf eine internistische Station aufgenommen wurden, eine Multimedikation mit > 6 Arzneimitteln. Diese war assoziiert mit dem weiblichen Geschlecht, Pflegebedürftigkeit, und einer hohen Anzahl an Entlassungsdiagnosen [130]. Notwendige Multimedikation Auch bei bewusster Verordnungsweise wird der gemeinsam mit dem multimorbiden Patienten konsentierte Therapieplan oftmals mehr als fünf Substanzen umfassen. Ist das nun mindere Qualität, da man ja das empfohlene Ziel von nicht mehr als fünf Arzneimitteln überschreitet? Unseres Erach- Nr. 1 / 2013 tens nicht, vorausgesetzt, es handelt sich um eine bewusste und wohlbegründete Multimedikation. Die Therapie ist sorgfältig zu überwachen und allgemeine, unspezifische wie spezifische Beschwerden sind zu erfassen. Ein möglicher Zusammenhang von neuen Beschwerden mit der aktuellen Medikation – besonders neu angesetzen Wirkstoffen oder Dosisänderungen – sollte überprüft werden, z. B. durch einen Auslassversuch. Es wird in einer Vielzahl von Fällen gelingen, den Patienten dadurch eine Besserung seiner Lebensqualität erfahren zu lassen. Dies erfordert eine kontinuierliche Verlaufsbeobachtung und ggf. Therapieanpassung unter Berücksichtigung von Interaktionen, erforderlicher Dosisreduktion sowie unter Nutzung aller Möglichkeiten von Arzneimittelsynergien. Letzteres meint neben dem Einsatz einer Substanz für verschiedene Indikationen die Kombination mehrerer Wirkstoffe, um die Dosis einzelner Wirkstoffe reduzieren zu können und dadurch die Gefahr von Nebenwirkungen zu verringern (s. hierzu den Abschnitt Medikationsprozess). Auch wenn das Ziel immer darin bestehen sollte, mit möglichst wenigen Arzneistoffen auszukommen, muss man andererseits so viele Arzneistoffe wie nötig einsetzen und darf dies nicht unterlassen, nur um ein ideelles Ziel von maximal 5 Wirkstoffen nicht zu überschreiten. Wie kommt es zu einer unerwünschten Multimedikation? Ein Patient leidet an mehreren Erkrankungen, zu denen die jeweiligen Leitlinienempfehlungen angewendet werden. Die meisten Leitlinienempfehlungen sind spezifisch auf einzelne Erkrankungen ausgerichtet, was bei einem multimorbiden Patienten zu ernsthaften Komplikationen führen kann, wenn alle Einzelerkrankungen ohne ein Gesamtkonzept therapiert werden [22]. Da bei vielen chronischen Erkrankungen mehrere Medikamente kombiniert werden, kommt es schnell zu einer großen Zahl von verschiedenen Arzneistoffen. Fünf bis zehn verschiedene Arzneimittel sind dabei keine Seltenheit [20, 54]. Ein Patient wird von verschiedenen Therapeuten behandelt (z. B. Allgemeinarzt, Neurologe, Orthopäde), die jeweils nicht oder nicht vollständig über die parallel verlaufenden Verordnungen durch die Kollegen informiert sind. Die gleichzeitige Verordnung unverträglicher Arzneikombinationen kann zu iatrogenen Krankheitsbildern führen. Beispiel: Ein Nr. 1 / 2013 KVH • aktuell Kopfschmerzpatient erhält vom Hausarzt Paracetamol, vom Neurologen ein Triptan, vom Orthopäden wegen Nackenverspannungen Tetrazepam, vom Apotheker (OTC) Ibuprofen, von der Nachbarin »weil alles nicht hilft« ASS. Fehlende Übersicht über die Gesamtmedikation (unzureichende Therapiepläne) und unzureichende Kommunikation zwischen allen Beteiligten. Es treten Nebenwirkungen auf, die nicht als solche erkannt werden und die zum Ansetzen eines weiteren Medikaments führen und nicht zur Modifikation des auslösenden Medikaments: Verschreibungskaskade [117]. Nachstehend ein Beispiel für eine mögliche Verschreibungskaskade bei einer Standardtherapie mit3 Arzneistoffen: Übernahme von Therapieempfehlungen aus dem Krankenhaus ohne kritische Bewertung für die ambulante Dauertherapie. Da die stationären Verweilzeiten laufend kürzer werden, sind die erwünschten und auch unerwünschten Wirkungen besonders im Zusammenspiel verschiedener Arzneistoffe aus zeitlichen Gründen oftmals erst nach Entlassung präsent. Der Patient probiert Medikamente aus, die ihm aus der Werbung bekannt sind oder von Verwandten und Freunden empfohlen wurden. Er behandelt sich bei häufigen Symptomen wie z. B. Schlafstörungen oder Verdauungsbeschwerden, mit Präparaten der Selbstmedikation (OTC), ohne dass der behandelnde Arzt darüber informiert ist. Durch die zunehmende Umwandlung früher rezeptpflichtiger Präparate wie z. B. Triptane, Protonenpumpenhemmer, nichtsteroidale Antirheumatika in apothekenpflichtige Präparate, erhöht sich hier das Gefährdungspotential für unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Häufig werden auch sogenannte Anti-AgingPräparate eingenommen oder angeblich harm- Seite 33 lose und fraglich wirksame »pflanzliche Medikamente«, die Interaktionen auslösen können. Im Laufe der Jahre werden neue Therapien initiiert, Arzneimittel werden umgesetzt, aber die »alten« Maßnahmen werden stillschweigend weitergeführt und erfolglose Therapien werden nicht beendet. Dadurch kann es zu einer Kumulation der Medikamente kommen. Erfolgreiche Therapien werden nach Erreichen des Therapieziels (z. B. Protonenpumpenhemmer bei Refluxbeschwerden) nicht abgesetzt. Mögliche Reduktionen der Anzahl der Arzneimittel oder der Dosis werden aufgrund mangelnder Therapie- und Erfolgskontrolle nach Erreichen des steady state nicht vorgenommen. Weiterführung der Medikation trotz Änderung der Risikokonstellation (z. B. Gewichtsreduktion, Rauchstopp, Exsikkose) oder Änderung des Krankheitsbildes. Durch wechselnde Rabattvertragsmedikation verliert der Patient den Überblick und nimmt identische Substanzen von unterschiedlichen Herstellern parallel ein. Eine gleichmäßige Medikamentengabe ist besonders bei vergesslichen Senioren oft nicht zu sichern. Besonders, wenn sich kognitive Defizite einstellen, werden oftmals beliebig zuviel oder zu wenig Tabletten eingenommen [35]. Multimedikation kann auch durch Verordnungen aufgrund einer Erwartungshaltung auf Seiten der Ärzte entstehen (d. h. auf Grund der Vorstellung, der Patient würde eine Verordnung erwarten). Eine unerwünschte Multimedikation wird folglich durch viele unterschiedliche Faktoren beeinflusst: durch Verhalten des Patienten, durch Handeln des Arztes, durch Praxisorganisation und Schnittstellen in der Gesundheitsversorung u. a. m. (s. hierzu [95]). Damit wird deutlich, dass eine sichere Arzneitherapie eine Managementaufgabe darstellt, die diese Faktoren und alle Akteure mitberücksichtigen muss. Neben einer kritischen Bewertung der Medikation (s. hierzu weiter unten) ist eine gute Kommunikation zwischen Arzt und Patienten sowie zu anderen Behandlern und Beratern unerlässlich. Risiken und Gefahren der Multimedikation Zunächst einmal bereitet eine große Anzahl verschiedener Arzneimittel bei einem Patienten Seite 34 KVH • aktuell oftmals ein »ungutes Gefühl« beim behandelnden Arzt (und oft auch beim Patienten), vor allem mit Blick auf die steigende Interaktionsgefahr und die Sorge, dass der Überblick verloren gehen könnte. Durch Multimedikation kann ein »buntes« Bild an Nebenwirkungen entstehen, die ihrerseits neue Erkrankungen oder eine Verschlechterung bereits diagnostizierter Erkrankungen vortäuschen: Durch jedes neu angesetzte Medikament steigt das Risiko für das Auftreten von unerwünschten Nebenwirkungen (UAW), Medikationsfehlern oder Arzneimittelinteraktionen [109, 148]. Multimedikation verursacht häufig unspezifische Beschwerden, wie z. B. Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Schwindel, Verwirrtheitszustände, Tremor oder Stürze und kann zu Funktionsstörungen führen, deren Ursachen oftmals schwer zu erkennen sind [28]. In der Folge kommt es dann zu weiteren Arzneimittelverordnungen. Die Compliance/Adhärenz des Patienten sinkt mit der Anzahl der Medikamente und der Komplexität der Einnahmevorschriften [14]. Einnahmepläne werden mit der Zunahme an verschiedenen Arzneimitteln immer komplizierter und der Patient verliert leicht den Überblick. Möglicherweise sinkt auch die Motivation des Patienten zur Mitarbeit, insbesondere, wenn es bei ihm zu einer Ablehnung der Behandlung auf Grund von Bedenken gegen die vielen Medikamente kommt. Paradoxerweise kommt es häufig zu einer Unterversorgung relevanter Erkrankungen. Multimedikation kann ein Hinweis auf eine insuffiziente und unkoordinierte Therapie sein [81]. Es kommt unter Multimedikation zu vermehrten stationären Behandlungen. Etwa 6,5% aller Krankenhauseinweisungen erfolgen aufgrund von UAW, die in bis zu 80% als schwerwiegend bewertet werden (zit. nach [80], s. hierzu auch [61, 148]). Die Kosten der Therapie steigen. Die zusätzlichen Gesundheitskosten durch UAW betragen in Deutschland ca. 400 Mio Euro jährlich [127]. Insgesamt gilt: Bei der Einnahme von mehr als 5 Wirkstoffen ist nicht mehr vorhersehbar, was im Organismus an Wirkungen, Interaktionen und UAWs passiert. Hier gilt: Weniger ist mehr! Nr. 1 / 2013 Patienten, die dauerhaft mit mehreren Arzneimitteln behandelt werden, stellen folglich eine Risikopopulation für unerwünschte Ereignisse und Therapieprobleme dar. An eine sichere Handhabung der Therapie stellen sich u. a. folgende Herausforderungen: Berücksichtigung potentieller Interaktionen bei einer zusätzlichen akuten Medikation (Antibiotika, kurzfristiger Schmerzmittelgebrauch), Berücksichtigung von Kontraindikationen, Vermeidung von Doppelverordnungen durch verschiedene Ärzte, auch als Folge z. B. von Rabattverträgen, Berücksichtung der Selbstmedikation durch den Patienten, Beachten physiologischer Veränderungen im Alter und Auswahl für im Alter geeignete Arzneimittel, Auswahl eines umsetzbaren Therapieregimes, Schulung und Information des Patienten, Sicherstellung der Adhärenz und Vermeidung von Anwendungsfehlern, Ständige Aktualisierung des Medikamentenplans und regelmäßige Bewertung der gesamten Medikation. Patienten mit Multimedikation erfordern hier besondere Aufmerksamkeit. Arzneimittelbezogene Probleme sind insbesondere zu erwarten [106]: Bei regelmäßiger Einnahme von fünf und mehr Medikamenten, bei Arzneimitteln mit enger therapeutischer Breite oder erforderlichem Monitoring, bei Problemen in der praktischen Durchführung der Therapie (Sicherheitsverschlüsse, Tropfflaschen, Spritzen, Aerosole), bei kognitiver Überforderung in der Einhaltung des Therapieregimes durch den Patienten, bei Patienten mit gleichzeitiger Konsultation verschiedener Behandler, bei fehlendem Verständnis für die Therapie. Um die Sicherheit der Arzneimitteltherapie und den Therapieerfolg zu gewährleisten, ist deshalb ein strukturiertes Vorgehen im Verordnungsprozess erforderlich. Dieser wird in den folgenden Abschnitten mit Hilfestellungen zur Medikationsbewertung vorgestellt. Nr. 1 / 2013 KVH • aktuell Seite 35 Medikationsprozess Das Ausstellen einer Verordnung wird meist als Routine betrachtet, stellt aber einen Prozess dar, dessen Gestaltung Einfluss auf die Qualität der Therapie und Arzneimittelsicherheit hat. Idealiter findet dieser Prozess in enger Abstimmung mit dem Patienten und ggf. anderen Behandlern statt. Ausgehend von einer Visualisierung von Bain et al (2008) [9] wird der Medikationsprozess Schritt 1: Bestandsaufnahme Informationsgewinnung Der Prozess beginnt mit der Präsentation des Anliegens des Patienten. Es erfolgen eine Erhebung der Patientenprobleme, seiner Präferenzen und Therapieziele, verbunden mit einer Anamnese und ggf. einer körperlichen Untersuchung. Hieraus begründen sich Indikationen zur Therapie. Prüfen Sie in Ihrer Patientenakte: Sind relevante Vorerkrankungen bekannt, in die folgenden Schritte eingeteilt: Bestandsaufnahme – Medikationsbewertung – Erfassung und Abstim-mung der Therapieziele – Verordnungsvorschlag – Kommunikation – Arzneimittelabgabe – Arzneimit-telanwendung – Monitoring, wobei das Monitoring wieder eine erneute Bestandsaufnahme darstellt und der Prozess somit erneut durchlaufen wird. sind alle aktuellen Beschwerden und Diagnosen dokumentiert? Sind Besonderheiten (Allergien, Antikoagulantientherapie) und aktuelle Laborwerte (Nierenfunktion) dokumentiert? Zur Bestandsaufnahme gehören auch, sofern nicht schon vorhanden, die Erhebung der Medikamentenhistorie sowie der aktuellen Medikation. Hierbei wird der Patient nach seinen Erfahrungen und Problemen (auch Handhabungsproblemen gefragt). Die Bestandsaufnahme der Medikation er- Seite 36 KVH • aktuell folgt in unterschiedlicher Intensität in der Praxis bzw. auch beim Hausbesuch: Stufe 1: Unstruktuiert im Rahmen einer Konsultation, z. B. bei bekannten Patienten ohne Hinweis auf Medikationsprobleme: Überprüfung des aktuellen Medikationsplans und Befragung nach Einnahme weiterer Medikamente inkl. Selbstmedikation. Die Erhebung erfolgt durch den Arzt. Stufe 2: Gezielte Überprüfung bei Neuverordnung/Wiederholungsverordnung: Überprüfung des aktuellen Medikationsplans und Befragung nach Einnahme weiterer Medikamente inkl. Selbstmedikation während der Sprechstunde. Die Erhebung bei Neuverordnung erfolgt durch den Arzt, bei Wiederholungsverordnung ggf. vorab durch medizinische Fachangestellte (MFA). Durch die MFA könnte z. B. kontrolliert werden, ob das Medikament bereits im Medikamentenplan aufgeführt ist, ob der zeitliche Abstand zur letzten Verordnung und die Menge plausibel ist, ob Laborkontrollen notwendig werden. Stufe 3: Gezielte Überprüfung anlässlich eines Briefes vom Spezialisten oder nach Krankenhausentlassung. Es erfolgt ein Abgleich mit der vorhandenen Medikation, Festlegung der Therapiedauer und eine Aktualisierung des Medikationsplans sowie Festlegung von Therapiekontrollen. Die Überprüfung erfolgt durch den Arzt. Stufe 4: Bei neuen Patienten sowie bei bekannten Patienten mit Multimedikation erfolgt die Medikationserfassung und strukturierte Bewertung (z. B. mittels MAI, s. w. u.) mindestens einmal jährlich bzw. bei Auftreten von Therapieproblemen: Vereinbarung eines gesonderten Termins in der Praxis, zu dem der Patient (ggf. eine Bezugsperson) alle Arzneimittel (inkl. Selbstmedikation) und Packungsbeilagen von zu Hause mitbringt. Da dies meist in einer Tüte erfolgt, wird in der Literatur diese Erhebung auch als Brown BagMethode bezeichnet. Sie steht sinngemäß für eine Vollerfassung der Medikation. Die Erfassung kann in der Praxis sehr einfach über einen handelsüblichen Scanner erfolgen. Dies ermöglicht, die Arzneimittel in der Patientenakte zu erfassen, Interaktionschecks durchzuführen und den Medikationsplan zu aktualisieren. Hausbesuche sind ebenfalls eine gute Gelegenheit, um sich einen Überblick über die vorhandenen Arzneimittel und die Handhabung Nr. 1 / 2013 der Medikation (Stellen der Arzneimittel, Anwendungsprobleme) zu verschaffen. Ebenso sollten die Einhaltung des Therapieregimes ermittelt und mögliche Gründe für Abweichungen und Umsetzungsprobleme der Therapieempfehlungen besprochen werden [36]. Etwa die Hälfte bis ein Drittel der für chronische Erkrankungen verordneten Medikamente werden nicht wie empfohlen eingenommen [105, 162], wobei die Abweichungen mit der Zahl eingenommener Medikamente zunehmen [12]. In einer Studie in hessischen Hausarztpraxen waren fast alle untersuchten Patienten davon betroffen: sie nahmen verordnete Medikamente nicht oder in abweichender Dosierung oder zu anderen Zeitpunkten ein als verordnet. Auch nahmen sie Medikamente ein, von denen ihr Hausarzt nichts wusste [103]. Häufige Gründe für diese Abweichungen sind neben Dokumentationsproblemen in der Praxis (Medikamentenplan nicht aktualisiert) vor allem die Fremdverordnungen durch mitbehandelnde Ärzte und die Einnahme frei verkäuflicher Präparate (Over-The-Counter, OTC) [125]. Im Zusammenhang mit Therapietreue spricht man heute von Adhärenz. Dem früher häufig verwendeten Begriff Compliance lag ein paternalistisches Modell der Arzt-Patienten-Beziehung zugrunde, das durch die alleinige Entscheidungshoheit des Arztes charakterisiert war. Compliance bedeutete also, der Patient tut, was der Arzt empfiehlt. In diesem Sinne lag auch die Verantwortung für die Nichteinhaltung des Therapieplans einseitig beim Patienten. Demgegenüber steht bei dem Begriff Adhärenz die aktive Zusammenarbeit von Arzt und Patient im Sinne einer gemeinsamen Entscheidungsfindung (shared decision making) und Therapiezielvereinbarung im Vordergrund. Die Meinung des Patienten wird aktiv erfragt und in die Behandlungsplanung einbezogen [76, 162]. Wenn der Patient sich nicht oder nur unvollständig an die zuvor vereinbarten Behandlungsabsprachen hält, spricht man von Non-Adhärenz [132]. Non-Adhärenz sollte also nicht als Problem des Patienten verstanden werden, vielmehr ist es in der Regel eine Kombination aus der nicht ausreichend hergestellten Akzeptanz der Verschreibung und mangelnder Unterstützung bei der Einnahme. Es werden zwei Formen der Non-Adhärenz unterschieden: Beabsichtigte Non-Adhärenz (Patient entscheidet bewusst, die Empfehlungen des behandelnden Arztes nicht umzusetzen). Unbeabsichtigte Non-Adhärenz (Patient möchte den Empfehlungen folgen, hat Nr. 1 / 2013 KVH • aktuell aber Probleme bei der Umsetzung oder insgesamt ein fehlendes Verständnis für die Therapie) [105]. Die Non-Adhärenz (Non-Compliance) kann unterschiedliche Ausprägungen haben. [157] Arten von Non-Compliance [157] Auslassen (Vergessen einzelner Arzneidosen), auch bei täglicher Einmalapplikation. Abweichen von der verordneten Einnahmezeit und Dosierungsintervallen. Einnahmepausen; vom Patienten initiierte »Drug holidays« (≥ 2 aufeinanderfolgende Tage). Abbruch jedweder Therapie/Einnahme. Mindereinnahme (Unterdosierung), diese ist häufiger als Mehreinnahme (Überdosierung). Morgendliche Einnahme ist regelmäßiger als abendliche Einnahme. Weniger regelmäßige Einnahme ist häufig im Intervall zwischen Arztbesuchen, regelmäßige Einnahme in engem zeitlichen Zusammenhang mit Arztbesuch (sog. Toothbrush-effect, White coat compliance). Bei auftretenden Therapieproblemen denken Sie bitte auch an Non-Adhärenz. Prüfen Sie deshalb in festgelegten Intervallen, was der Patient über die Medikamente weiß, ob Bedenken gegen die Einahme bestehen und ob der Patient der Auffassung ist, dass die Medikamente weiterhin für ihn von Nutzen sind [105]. Bedenken Sie, dass Patienten manchmal ihre eigenen Wege gehen, und die Wirkung der Medikamente austesten wollen, z. B. indem sie selbstständig Arzneimittel absetzen bzw. ansetzen. Aus einer empfohlenen Dauertherapie kann so u. U. eine symptomorientierte Bedarfstherapie werden. Mit den folgenden Fragen können Sie das Problem der Non-Adhärenz eingrenzen. Fragen Sie beispielsweise, ob der Patient mit der bisherigen Medikation zurecht gekommen ist, ob es bei der Anwendung der Arzneimittel Probleme gibt, z. B. Öffnen der Packung, Tropfenzählen, Tablettenteilen, Einnehmen (z. B. Schlucken [122]), ob der Patient versteht, warum die Medikamente verordnet wurden, ob er die Einnahme der Medikamente weiterhin für sinnvoll hält, ob der Patient die Dosierung selbstständig erhöht oder erniedrigt, Seite 37 ob schon einmal ein Auslassversuch gemacht wurde, wie der Patient die Medikamente für den Tag/die Woche zusammenstellt, damit nichts vergessen oder doppelt genommen wird, wie er sich verhält, wenn eine Einnahme vergessen wurde. Versuchen Sie ein Gesprächsklima herzustellen, in dem es dem Patienten nicht peinlich sein muss, Unverständnis oder fehlende Zustimmung zum Therapieregime oder praktische Probleme zuzugeben! Klären Sie mögliche Gründe der Non-Adhärenz und stimmen Sie alle Maßnahmen, einschließlich der Verlaufskontrollen, mit dem Patienten ab. Weitere Hinweise, was Sie tun können, um die Adhärenz zu verbessern, gibt die Leitlinie »Medicine adherence« des National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE Guideline 76 [105]). Schritt 2: Medikationsbewertung Zentraler Bestandteil im Prozess der Verordnungsentscheidung ist die kritische Prüfung und Bewertung der vorhandenen Medikation für jeden Patienten. Je nach Komplexität der Patientensituation (Multimedikation, Therapieprobleme) wird die Medikationsbewertung mit unterschiedlicher Intensität erfolgen: von der Routineüberprüfung bis hin zum intensiven Medikamentenreview und ggf. anschließender Priorisierung der Arzneimittel. Generell sollte bei Patienten mit Multimedikation (z. B. ≥ fünf Arzneimitteln, ≥ 3 chronischen Erkrankungen, eine evidenzbasierte Empfehlung gibt es hierzu nicht) mindestens einmal im Jahr eine umfassende Erfassung und Medikationsbewertung durchgeführt werden [133]. Bei Ihnen bekannten Patienten ohne aktuelle Hinweise auf Medikationsprobleme sollte eine Multimedikation kritisch begleitet werden. Empfohlen wird eine regelmäßige Überprüfung des Medikationsplanes. Umfassende Medikationsbewertung bzw. Medikamentenreview: Hilfreich hierfür sind Leitfragen, die die Verordnungsentscheidung lenken. In der Literatur werden verschiedene Vorgehensweisen [36, 123] und Instrumente beschrieben, mit denen dies in einer strukturierten Form erfolgen kann, wie z.B. VASS [154], der Medication Appropriateness Index (MAI) [60], NoTears [90], Start-Stopp [48, 49]. Die Leitliniengruppe empfiehlt, die Fragen Seite 38 KVH • aktuell des Medication Appropriateness Index (MAI) [60] heranzuziehen (im Folgenden auch als MedikationAngemessenheit-Interventions-Instrument bezeichnet). Der MAI wurde verschiedentlich erprobt und evaluiert [41, 124, 137]. Er besteht aus Leitfragen, mittels derer unnötige Medikation erkannt, die Anwendungssicherheit erhöht und die Therapiequalität verbessert werden kann (zu MAI s. w. u.). Die Leitfragen werden Schritt für Schritt auf Basis der aktuellen Medikation abgearbeitet. Die auf diese Weise systematisch zusammengetragenen Informationen bilden die Basis für den neuen Verordnungsvorschlag. Eine Medikationsbewertung wird auch empfohlen bei: Patienten, bei denen eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes auftritt, Patienten mit Hinweisen auf Einnahmeprobleme (Adhärenz, Handhabung, kognitive Einschränkungen), Die Leitfragen des Medication Appropriateness Index Medikations neuen werden PatientenalsderInstrument Praxis mit zu Multimedikation, erfassung als Voraussetzung zur Bewertung der Patienten mit mehreren PsychopharmakaverAngemessenheit für gezielte Intervention ordnungen, empfohlen. Patienten mit komplexen Medikationsplänen Die kritische Überprüfung der Medikation mittels MAIDie beginnt mitÜberprüfung der Frage nach der Indikation für kritische der Medikation mittels die MAI verordneten anschliesbeginnt mitMedikamente. der Frage nach Daran der Indikation für senddiesollte geprüft werden, ob fürDaran die Wirksamkeit verordneten Medikamente. anschliesder send Arzneimittel, diewerden, auf dem Prüfstand stehen, sollte geprüft ob für die Wirksamkeit ausreichende Belegediefürauf dendem Nutzen existieren, der Arzneimittel, Prüfstand stehen,ob neue Erkenntnisse vorliegen sich die Bewerausreichende Belege für den oder Nutzen existieren, ob tungneue bereits existierender Studien durch Erkenntnisse vorliegen oder sich dieExperten Bewergegebenfalls hat.Studien Im Weiteren werden tung bereitsgeändert existierender durch Experten geändert hat. Im Weiteren werden alle gegebenfalls eingenommenen Medikamente auf mögliche alle eingenommenen Medikamente auf mögliche Interaktionen, Nebenwirkungen sowie die korrekte Nr. 1 / 2013 oder Arzneimitteln mit hohem Interaktionspotential und/oder enger therapeutischer Breite (z. B. Antikoagulanzien und Plättchenhemmer), Patienten mit unspezifischen Symptomen, Patienten mit Problemen desTherapieregimes. Medikationsprozess Eine individuelle Prioritätensetzung enthält der MAI nicht. Diese erfolgt erst nach der Anwendung des und2:nur bei besonderen Anlässen (s. hierzu den ÌMAI Schritt Medikationsbewertung Abschnitt Prioritätensetzung). In vielen Fällen wird sich nach Anwendung des MAI die Zahl der Arzneimittel verringern. Der MAI enthält auch keine expliziten Kriterien, ob einzelne Wirkstoffe indiziert und angemessen sind bzw. besondere Risiken aufweisen. Hierzu müssen ergänzend zusätzliche Instrumente (wie z. B. die PRISCUS-Liste oder die START-STOPPKriterien, s. u.) herangezogen werden. Die Leitfragen des Medication Appropriateness Index werden als zu MedikationserfasDie Zielgruppen undInstrument die zunehmende Intensiviesung als Voraussetzung zur Bewertung rung der Medikationsbewertung lassen sichder wieAngemessenheit für gezielte Intervention empfohlen. folgt visualisieren: Die Zielgruppen und die zunehmende Intensivierung der Medikationsbewertung lassen sich wie folgt visualisieren: Interaktionen, Nebenwirkungen sowie die korrekte Dosierungund und Dauer Verordnung Dosierung Dauer derder Verordnung oder oder Dop- Doppelverordnungen überprüft. pelverordnungen überprüft. Für die Medikationsbewertung erfolgt eine JaNein-Bewertung (ohne Summenscore), die vom Für die Medikationsbewertung erfolgt eine JaBehandler in Bezug die weitere Maßnahme zu Nein-Bewertung (ohneauf Summenscore), die vom bewerteninistBezug (absetzen, ändern zu etc.). Behandler auf die Dosierung weitere Maßnahme bewerten ist (absetzen, Dosierung ändern etc.). In den folgenden Abschnitten gehen wir näher auf In folgendenSchritte Abschnitten gehenein. wir näher auf dieden einzelnen des MAI die einzelnen Schritte des MAI ein. Medikationsprozess KVH • aktuellÌ Schritt 2: Medikationsbewertung Seite 39 Nr. 1 / 2013 Ì MAI: Medikation-Angemessenheit-Intervention: Instrument zur Medikationsbewertung Der Prozess der Medikationsbewertung umfasst eine Reihe von Fragen: Medication Appropriateness Index (MAI) (modifiziert nach Hanlon [60]) 22 Hausärztliche Leitlinie »Multimedikation« Version 1.00 I 16.01.2013 Seite 40 KVH • aktuell Mögliche Fragen zur Überprüfung der Indikation Ist die Diagnose noch gültig? Haben sich die Umstände oder Risikofaktoren geändert z. B. bei Hypertonie, Diabetes? Insbesondere bei betagten/schwerkranken Patienten: ist eine Medikation zur Risikoprävention mit Blick auf die eingeschränkte Lebenserwartung (noch) sinnvoll? Wie lang liegt das Ereignis (Brustkrebs, Osteoporose, Thrombose, Herzinfarkt, Schlaganfall) zurück? Welche Therapie ist weiterhin erforderlich? Gibt es Studien, die für eine lebenslange/ zeitlich begrenzte Therapie sprechen (z. B. Therapiedauer für Bisphosphonate: 3 Jahre [37])? Ist evtl. eine neue Erkrankung aufgetreten, die zu einer Kontraindikation einer bestehenden Medikation führt? Erfolgte eine Verordnung zur Behandlung einer Nebenwirkung? Werden lediglich klinisch nicht relevante Parameter (z. B. asymptomatische Hyperurikämie, Hypercholesterinämie ohne nennenswerte Risikoerhöhung) oder geringfügige Beschwerden (Befindlichkeitsstörungen) behandelt? Gibt es für das ausgewählte Präparat in der vorliegenden Indikation eine Evidenz? Hinweise zur Evidenz finden sich u. a. in Nationalen VersorgungsLeitlinien (NVL) Leitlinien der Leitliniengruppe Hessen DEGAM-Leitlinien Leitlinien der Arzneimittelkommission (AkdÄ) und der AWMF Hilfreich sind hierbei auch Cochrane Reviews, IQWIG-Berichte und Leitlinien aus anderen Ländern (NICE, SIGN). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass fehlende Studien zur Evidenz nicht zwangsläufig bedeuten, dass kein Nutzen vorliegt. Wenn Sie sich über eine Indikation, die Evidenz oder ein Vorgehen in der Behandlung nicht schlüssig sind, teilen Sie dem Patienten ruhig mit, dass Sie die Optionen in Ruhe überprüfen müssen und vereinbaren Sie einen neuen Termin! Der Ratgeber »PraxisWissen« ermutigt, auch im Beisein der Patienten, Informationen zu recherchieren oder nachzuprüfen. Die Patienten nehmen dies in der Regel positiv wahr [74]. Prüfen von Kontraindikationen In der ärztlichen Umgangsprache ist häufig von »absoluter« oder »relativer« Kontraindikation die Rede. Nr. 1 / 2013 Eine solche Unterscheidung gibt es in der Roten Liste und in den medicolegal bindenden Angaben der Fachinformation nicht. Eine als »absolut« zu verstehende Kontraindikation für ein Arzneimittel wird in der Roten Liste® und in der Fachinformation (dort unter 4.3) als »Gegenanzeige« bezeichnet. Ferner gibt es in der Roten Liste die Angaben zu »Anwendungsbeschränkungen«, die in der Fachinformation detaillierter unter »4.4. Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung« dargestellt sind. Neben diesen Angaben der Fachinformation sind aber auch unter dem Punkt 4.2 »Dosierung, Art und Dauer der Anwendung« dringend zu beachten, da hier nochmals Angaben zu Gegenanzeigen oder Vorsichtsmaßnahmen bei besonderen Patientengruppen (Ältere, Jugendliche, Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion etc.) gemacht werden. Häufiger werden hier in der Fachinformation Gegenanzeigen, die in der Roten Liste als solche dargestellt sind, z.B. durch spezielle Dosierungsangaben wieder relativiert. In der Regel gilt, dass nur die Angaben in der behördlich genehmigten Fachinformation unter juristischen Gesichtspunkten bindend sind! (Zugang zur Fachinformation: www.fachinfo.de) Die Überprüfung auf das Vorliegen von Gegenanzeigen ist unerlässlicher Bestandteil beim Medikationsprozess, da Fehler hier auch direkte juristische Implikationen haben. Die Verschreibung eines Wirkstoffes trotz Vorliegens einer in der Fachinformation hinterlegten Gegenanzeige ist nur statthaft, wenn der Patient in diese Anwendung nach Aufklärung einwilligt und dieses auch dokumentiert ist. Diese Situation dürfte sich selten ergeben, da für fast alle Konstellationen Wirkstoffalternativen vorhanden sind. Ausnahme: z. B. Metformin, für das tatsächlich die Gegenanzeige »Kreatinin-Clearance <60 ml/min« gilt, obwohl dieser sehr strenge Grenzwert durchaus umstritten ist. (Viele über-gewichtige Typ-2-Diabetiker würden sicherlich von dieser Therapie profitieren, erhalten dies aber wegen einer Kreatininclearance von <60, aber >50 ml/min nicht). Die Nationale Versorgungsleitlinie Diabetes empfiehlt Metformin nach entsprechender Information des Patienten über den out-oflabel-Einsatz und unter regelmäßigen Sicherheitskontrollen bis zu einer Kreatininclearance von 30 ml/min ([27] s. hierzu auch [66]). Ein Problem bei der Angabe zu Gegenanzeigen ist die Unbestimmtheit der Angaben, insbesondere bei älteren Wirkstoffen. So wird häufig eine nicht Nr. 1 / 2013 KVH • aktuell näher spezifizierte »Leberinsuffizienz« (z. B. bei Metformin) oder »Leberparenchym-Erkrankung« (z. B. bei Phenprocoumon) aufgeführt. Bei neuen Wirkstoffen wird wenigstens das Child-PughSchema zur Stadieneinteilung der Leberzirrhose verwendet. Mitunter sind die Angaben in der Roten Liste mit denen der Fachinformation nicht deckungsgleich: So gilt z. B. gemäß Roter Liste die »Leberinsuffizienz« als Gegenanzeige für Ramipril (hier Delix®) wegen unzureichender Therapieerfahrung, während in der Fachinformation unter 4.2 (Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion) steht: »Bei Patienten mit eingeschränkter Leberfunktion darf die Behandlung mit Delix® nur unter strenger medizinischer Überwachung eingeleitet werden, die Tageshöchstdosis beträgt 2,5mg Delix®«. Insgesamt sind die Angaben in der Roten Liste® somit restriktiver, d. h., aus defensiver Erwägung heraus macht es Sinn, zuerst die Rote Liste zu konsultieren und danach – wenn Zeit vorhanden – die Fachinformation. Zu beachten ist außerdem, dass sich Fachinformationen verschiedener Generika einer Substanz unterscheiden können. Es macht wenig Sinn, im Rahmen dieser Leitlinie eine Liste der wichtigsten Gegenanzeigen aufzuführen, zumal der Teufel bekanntermaßen im Detail steckt – d. h., bei wenig beachteten oder selten verordneten Wirkstoffen wird die Gegenanzeige übersehen, während eigentlich jeder weiß, dass man z. B. Verapamil nicht bei AV-Block (ab Grad II) geben darf. Auch sind Gegenanzeigen nicht immer innerhalb einer Wirkstoffklasse gleich, d. h., was z. B. für Ramipril gilt, muss nicht automatisch auch für Enalapril gelten. Fazit: Die Leitliniengruppe empfiehlt eine generelle Beschränkung des Medikationsportfolios, da dies dem Hausarzt die Übersicht erleichtert. Eine Reduktion der Verschreibung beim einzelnen Patienten wird die Zahl möglicher nicht erkannter Gegenanzeigen verringern. Überprüfen von Interaktionen In der Hausarztpraxis können Dauertherapien durch interkurrente Erkrankungen problematisch werden, indem kurzfristig parallel weitere Medikamente ins Spiel kommen. Anlässe hierfür können z. B. Infekte und Schmerzzustände sein. Interaktionen sind auch zu bedenken, wenn eine neue Dauertherapie angesetzt wird. Seite 41 Nicht immer treten Interaktionen, trotz vielfältiger Warnhinweise einschlägiger Software, obligat auf, und nicht immer haben Interaktionen eine klinische Relevanz. Manche interaktionsträchtige Kombinationen sind mitunter klinisch nicht zu vermeiden (z.B. Phenprocoumon und Amiodaron bei Vorhofflimmern). Bei den in der Tabelle auf den folgenden Seiten zusammengestellten Arzneimitteln/ Wirkstoffgruppen besteht allerdings eine klinisch relevante und auch durch epidemiologische Studien belegte Interaktionsgefahr. Folgende Strategien stehen in dieser Situation zur Verfügung: Für bestimmte Schlüsselindikationen einen interaktionsärmeren Partner einsetzen, z.B. Pantoprazol als PPI, Pravastatin als CSEHemmer, Azithromycin als Makrolid, einen Wirkstoff, wenn möglich pausieren (z. B.Statine während einer Antibiotikagabe), Dosisanpassung (sollte als Strategie ultimaratio sein, da nicht gut steuerbar). Hilfestellung für Interaktionschecks Es gibt eine ganze Reihe von elektronischen Interaktionsprüfern, die zum Teil im Hintergrund der Praxissoftware laufen und sich auf unwillkommene Weise durch multiple Warnhinweise aufdrängen. Das Unterdrücken dieser Vielfalt von ungefilterten Warnsignalen hat allerdings den Nachteil, dass die eine oder andere tatsächlich dann relevante Interaktion nicht erkannt wird. Das Problem liegt vor allem auch daran, dass zunehmend Interaktionen im Rahmen der Neuentwicklung von Arzneistoffen in vitro (z. B. durch Zellkulturen) geprüft werden und dann ohne klinischen Beleg oder wenigstens eine Probandenstudie Eingang in die Warnhinweise der Hersteller finden. Andere Interaktionsmeldungen beruhen dagegen auf – teilweise historischen – Einzelfallstudien, die sich durch wiederholte Zitierungen dann multiplizieren. Generell ist die Evidenz für klinisch relevante Interaktionen eher schwach Eine geeignete Software sollte daher bei der Überprüfung der Medikation stets die klinische Relevanz angeben können und auch Empfehlungen zum Management machen können, z.B. ob die Kombination unbedingt vermieden werden soll (was eher selten der Fall ist) oder ob es Alternativen gibt und welche Überwachung ggf. notwendig ist bzw. auf was der Patient selber achten soll. Generell sollte beim Umgang mit klinisch nicht brisanten Interaktionsrisiken bedacht werden, dass diese Risiken im Einzelfall nicht wahrscheinlich sind, aber insgesamt den Sicherheitsspielraum einer Medikation verringern können. Dies kann zum KVH • aktuell Seite 42 einen relevant werden, wenn weitere Risikosituationen beim Patienten entstehen (z. B. Infekte, Exsikkose, Veränderungen der Nierenfunktion). Zum anderen ist die hohe Zahl von Arzneimittelverordnungen einzubeziehen: auch seltene Reaktionen können sich angesichts der hohen Zahl an Verordnungen in der Hausarztpraxis auswirken. In der Reihe dieser elektronischen Instrumente weisen wir auf folgende Produkte oder Web-Portale hin: www.pharmatrix.de (entwickelt von der Krankenhausapotheke der Uniklinik Tübingen), www.hiv-druginteractions.org, http://www.azcert.org/medical-pros/ druginteractions.cfm. Für iPhonebesitzer und Androidnutzer gibt es im APP-Store eine hilfreiche APP, die unter vielen anderen Optionen einen raschen Interaktionscheck erlaubt, auch unterwegs beim Hausbesuch. Eine kostenlose Anmeldung ist sowohl für die Nutzung am PC als auch für die APP erforderlich (http:// www.medscape.com). Die nachstehende Tabelle gibt eine Übersicht zu häufigen Interaktionen, die gefährliche Folgen haben können. Die Auswahl beruht auf eigenen Einschätzungen der Leitlinienautoren. Für Grapefruitsaft und für JohanniskrautPräpa-rate (OTC und verordnungsfähige) sind multiple Interaktionen bekannt. Das Ausmaß des Risikos ist jedoch abhängig von der Herkunft/ Quelle (welcher Johanniskraut-Extrakt, welche Grapefruitsorte und Erntezeit) und somit kaum vorhersaG-BAr. Man sollte deshalb 1. multimedizierte Patienten generell vom Genuss von Grapefruitsaft abraten, zumindest sollte dieser nicht innerhalb von 2 Stunden vor und 4 Stunden nach einer Medikamenteneinnahme erfolgen und 2. bei Einnahme von Medikamenten vor gleichzeiti- Nr. 1 / 2013 ger Therapie mit Johanniskrautpräparaten (OTC!) warnen, bzw. bei Verordnung auf die Fachinformation hinsichtlich der Hinweise zur Interaktionsgefahr achten [7, 34]. Während viele Arzneistoffe durch ein oder mehrere Cytochrom-P-450-Isoenzyme metabolisiert werden, sind andere auch als Induktoren oder Hemmer (Inhibitoren) der Metabolisierung verschiedener Stoffe wirksam, was zu unterschiedlichen Wirkstoffkonzentrationen führt [31]. Dadurch kann es besonders bei Multimedikation zu Interaktionen kommen, die nicht immer vorhersehbar sind. Beispiele für Interaktion durch Zytochrom-P-450: CYP 3A4 wird u. a. durch Clarithromycin gehemmt. Eine gleichzeitige Behandlung mit Verapamil, das zur Metabolisierung CYP3A4 benötigt, führt durch CYP3A4-Mangel zu überhöhter Konzentration von Verapamil. Für viele Indikationen steht mit Amoxicillin eine interaktionsärmere Alternative zur Verfügung. Paroxetin benötigt CYP2D6 und CYP3A4, die ebenfalls von Metoprolol zur Metabolisierung benötigt werden. Bei gleichzeitiger Verordnung kommt es durch Konkurrenz bei der Metabolisierung zur Kumulation von Metoprolol, da die Verstoffwechselung durch CYPMangel behindert ist. Alternativ: Bisoprolol. Viele Wirkstoffe führen neben ihren Haupteffekten auch zu anticholinergen (parasympatikolytischen) Begleiteffekten (z. B. trizyklische Antidepressiva, ältere H1-Antihistaminika wie Hydrazin oder Promethazin). Spasmolytika (Butylscopolamin, Oxybutynin) haben als Hauptwirkung anticholinerge Effekte. Diese begründen Symtome wie Mundtrockenheit und »verstopfte« Nase, in schwereren Fällen kann sich ein sog. »Anticholinerges Syndrom« mit Verwirrtheit, Schwindel, Sehstörung und Hyperthermie ausbilden. Meistens tritt dieses Syndrom als Interaktion bei gemeinsamer Gabe mehrerer anticholinerger Arzneimittel (die teilweise auch als OTC verfüG-BAr sind) auf. Wirkstoff 1 Wirkstoff 2 (neu) Effekte Was tun? ACE-Hemmer/ AT1 Blocker NSAR/Coxibe (z. B. Diclofenac, Ibuprofen etc.) Wirkabschwächung des ACE- 1. Vermeiden Hemmers (z. B. Risiko einer 2. (Selbst)Kontrolle z. B. RR und akuten Dekompensation), Gewicht zusätzliche Nierenfunkti3. Wahl eines anderen Analgetikums onseinschränkung Diuretika NSAR/Coxibe (z. B. Diclofenac, Ibuprofen etc.) Wirkabschwächung des Diuretikums (z. B. Risiko einer akuten Dekompensation). 1. Vermeiden 2. (Selbst)Kontrolle z. B. RR und Gewicht 3. Wahl eines anderen Analgetikums KVH • aktuell Nr. 1 / 2013 Wirkstoff 1 Wirkstoff 2 (neu) Effekte Seite 43 Was tun? CSE-Hemmer (Pravastatin und Fluvastatin haben wenig relevante Interaktionen) Makrolidantibiotika (außer gegenseitige WirkverstärAzithromycin), Amiodakung, Risiko Rhabdomyolyse ron Fluconazol, Fibrate, Verapamil, 1. CSE-Hemmer während Antibiotika pausieren 2. Vermeiden 3. Bei Notwendigkeit zu gemeinsamer Gabe zu Pravastatin wechseln Phenprocoumon z. B. TMP, Cotrimoxazol, Blutungsrisiko, Verstärkung Metronidazol, Doxycyclin, oder Abschwächung der Amoxicilin/ClavulansäuWirkung reNSAR/Coxibe, Rifampicin, Phenylbutazon, Makrolidantibiotika (alle!), Ginseng, Ginkgo 1. Vermeiden 2. Generell: wenn ein neues Medikament dauerhaft zu Phenprocoumon gegeben wird, initial (14 Tage) INR engmaschig kontrollieren (wenigstens alle 7 Tage), vice versa Betablocker Verapamil, Diltiazem kann zu AV-Block III. Grades führen Kontraindiziert Glukokortikoide NSAR Risiko Blutung im Magen-Darm-Trakt 1. Vermeiden 2. wenn NSAR unumgänglich, PPI dazu SSRIs NSAR Blutung im Magen-Darm-Trakt 1. Vermeiden 2. wenn NSAR unumgänglich, PPI dazu. Theophyllin Gyrasehemmstoffe (alle), Konzentrationsanstieg von Erythromycin, Clarithromy- Theophyllin cin, Fluvoxamin 1. Vermeiden 2. wenn unumgänglich, Toxizitätszeichen beachten und ggf. Spiegelkontrolle am 3.Tag. PDE-Hemmer für erektile Dysfunktion Nitrate, PENT, Molsidomin unbehandelbare, ggf. letale Hypotonie Kontraindiziert QTc-Verlängerung (Terfenadin), Wirkverstärkung/ Konzentrationsanstieg (Loratadin), Terfenadin generell nicht bei Multimedikation Terfenadin, Lora- Makrolidantibiotika tadin etc. Dabigatran Ketoconazol, Ciclosporin A, Blutungsrisiko, Verstärkung Itraconazol oder Tacrolider Wirkung mus Kontraindiziert Rivaroxaban, Apixaban Blutungsrisiko, Verstärkung Azol- Antimykotika wie z. B. Ketoconazol, Itracona- der Wirkung zol und Proteasehemmer wie z. B. Ritonavir Kontraindiziert Trizyklische Antidepressiva Anticholinerge Spasmolyti- Potenzierung anticholinerger ka (z. B. Oxybutynin) Effekte (Mundtrockenheit, Schwindel, Verwirrtheit) 1. Erkennen 2. Vermeiden 3. wenn unumgänglich, auf Symtome achten Seite 44 KVH • aktuell Prodrugs Prodrugs, die erst durch die Metabolisierung in die wirksame Form überführt werden, können durch Hemmung oder Induktion der entsprechenden CYP-Isoenzyme die erwünschte Wirkung verlieren oder verstärken. Beispiel für Zytochrom-Interaktionen bei Prodrugs: das Prodrug Clopidogrel benötigt CYP2C19, damit es in die wirksame Form überführt wird. Dieses wird neben CYP3A4 auch von Omeprazol zu Metabolisierung benötigt. Relevanter Effekt: Wirkungsverlust von Clopidogrel. Auch für das Antiöstrogen Tamoxifen gilt, dass erst eine Bioaktivierung zu Endoxifen via CYP2D6 erfolgen muss. Dieser Schritt wird durch starke CYP2D6-Hemmstoffe wie Fluoxetin, Paroxetin oder Chinidin behindert. Es gibt aber zu Clopidogrel und Tamoxifen keine belastbaren klinischen Daten zur Relevanz dieses Interaktionstyps. Wenn möglich sollten entsprechende Kombinationen aber vermieden werden. Arzneimittel mit Gefahr der QT-Verlängerung [62]: Die medikamentenbedingte Verlängerung des QTIntervalls hat in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erregt. Nicht nur bei Medikamenten mit kardialer Indikation (Antiarrhythmika) sondern auch bei zahlreichen Medikamenten mit nichtkardialer Indikation ist sie eine gefürchtete unerwünschte Wirkung, da es zum Auftreten einer abnormen QT-Verlängerung und im Zusammenhang hiermit zum Auftreten von potenziell lebensbedrohlichen ventrikulären Herzrhythmusstörungen vom Typ der Torsade de pointes kommen kann. Die Liste der Medikamente, die in der Lage sind, das QT-Intervall zu verlängern, wird ständig erweitert. Zahlreiche Indikationsgruppe ZNS-Pharmaka Magen-Darm-Mittel Asthmamittel Antibiotika Virustatika antiparasitäre Mittel Antimykotika Antihistaminika andere Wirkstoffe Nr. 1 / 2013 unterschiedliche Medikamentengruppen sind betroffen. Nur zum Teil liegt ein Klasseneffekt vor; oft sind es nur einzelne Vertreter einer Medikamentenklasse, die klinisch zu einer QT-Intervall-Verlängerung führen können. Für den verschreibenden Arzt ist es nicht einfach, eine aktuelle Übersicht über Präparate, die das QT-Intervall verlängern können, zu erhalten. Die nachstehende Liste führt auffällig viele Neuroleptika auf. Dies ist kein Zufall, da ein großer Teil dieser Wirkstoffe mit dem Risiko der QT-Verlängerung behaftet ist. Patienten mit Neuroleptika sollten also diesbezüglich besonders überwacht werden. Hinweis: Das Risiko steigt bei Vorhandensein von Multimedikation. Frauen neigen eher zu QTVerlängerung. Vorhandene Therapien überprüfen, bei Patienten mit diesen Wirkstoffen ein EKG veranlassen. Patienten mit einer bereits verlängerten QT-Zeit sowie Patienten mit Elektrolytstörungen sollten diese Medikamente nicht erhalten. Der Erstverordner von problematischen Medikamenten sollte ein EKG veranlassen und Nachverordner darauf hinweisen. Tipp: Eine nützliche Quelle für Informationen über die Wirkung neuer und alter Medikamente auf das QT-Intervall ist im Internet unter http:// www.azcert.org zu finden. Besondere Beachtung ist hierbei den Interaktionen zu schenken, da die toxischen Spiegel oft erst unter Komedikation erreicht werden (z. B. Terfenadin zusammen mit Makroliden). Die systematische Dokumentation der frequenzkorrigierten QT-Zeit (QTc) bei der Befundung eines EKG sollte in der Praxis als Hilfe für das rechtzeitigen Erkennen von kardialen Nebenwirkungen eingeführt werden. Wirkstoffe (Beispiele) Amitriptylin, Chloralhydrat, Citalopram, Escitalopram, Chlorpromazin, Clomipramin, Doxepin, Felbamat, Fluoxetin, Flupentixol, Haloperidol, Imipramin, Levomepromazin, Lithium, Methadon, Methylphenidat, Nortriptylin, Olanzapin, Paroxetin, Quetiapin, Risperidon, Sertindol, Sertralin, Thioridazin, Tizanidin, Trimipramin, Venlafaxin Granisetron, Octreotid, Ondansetron Salbutamol, Salmeterol, Terbutalin Azithromycin, Clarithromycin, Erythromycin, Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin, Ofloxacin, Trimethoprim-Sulfamethoxazol Amantadin, Foscarnet Chinidin, Chloroquin, Mefloquin, Pentamidin Fluconazol, Itraconazol, Ketoconazol, Voriconazol Terfenadin Alfuzosin, Phenylephrin, Pseudoephedrin, Tacrolimus, Tamoxifen, Vardenafil Ausgewählte Pharmaka mit nicht-kardialer Indikation, die eine Verlängerung der QT-Zeit bewirken können (nach [4]). Siehe auch: http://www.azcert.org Nr. 1 / 2013 KVH • aktuell Überprüfen der Dosierung Bedenken Sie, dass im Alter die Nierenfunktion deutlich nachlassen kann (ab dem 30. Lebensjahr jährliche Abnahme der GFR um etwa 1%)! Eine ärztlich dokumentierte Niereninsuffizienz fand sich in einer Routinedatenanalyse bei ca. 7% der 60-Jährigen und Älteren, wobei mit zunehmendem Alter die Prävalenz ansteigt [77]. Schätzungsweise erfordern 17% der häufig verordneten Arzneimittel eine Anpassung der Dosierung [18, 39]. Es wird empfohlen zur Überprüfung der Nierenfunktion die z. B. mit der Cockcroft-Gault-Formel oder der MDRD-Formel errechnete glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) heranzuziehen, da der Kreatininwert im Serum allein von Alter, Geschlecht, Gewicht und Körperbau abhängig ist und niedrige Werte eine schlechte Nierenfunktion nicht ausschließen. Labore liefern heute mit für die hausärztlichen Zwecke ausreichender Genauigkeit eine eGFR, meist auf der Basis der MDRD-Formel, bei der kein Gewicht angegeben werden muss. Auch gibt es bei einigen Medikamenten Vorgaben zur Dosisanpassung bei > 75-jährigen Patienten (unabhängig von der aktuellen Nierenfunktion), z. B. bei Dabigatran und Prasugrel. Es empfiehlt sich, generell bei Patienten >65 Jahre (und natürlich auch bei jüngeren Patienten) mit potentiell nierenschädigenden Grunderkrankungen wie z. B. Diabetes mellitus mindestens einmal jährlich eine Kreatinin-Bestimmung und damit auch eine Berechnung der eGFR vorzunehmen. Liegen in Ihren Patientenunterlagen aktuelle Informationen zur Nierenfunktion des Patienten vor? Erhält der Patient ein Arzneimittel, bei dem eine Dosisanpassung notwendig ist? Wird die maximal zulässige Dosierung eingehalten? Nicht eingesetzt werden sollten bei einer GFR <60 ml/min: Methotrexat, Enoxaparin (in therapeutischer Dosis), Lithium. Für einige nierengängige Arzneistoffe gibt es Alternativen, die ggf. erwogen werden können wie z. B. Digitoxin statt Digoxin Rivaroxaban statt Dabigatran Bisoprolol statt Atenolol Weitere Hinweise hierzu sowie auch zur Reduktion der Dosierung bei Antidiabetika und Antikoagulanzien bei eingeschränkter Nierenfunktion, finden sich in Kielstein/Keller [75]. Seite 45 Praxistipps: Arzneimittel zur Dauertherapie bei älteren Patienten zu Beginn niedrig dosieren: Start low, go slow [75]. Überprüfung der Dosierung mittels www.dosing.de. Dieses ist ein einfaches und übersichtlich gestaltetes Web-Portal mit dem in wenigen Schritten (Auswahl des Arzneistoffes, Eingabe des Serum-Kreatinin-Wertes und des Gewichtes) die notwendige bzw. zugelassene Dosis bei Nierenfunktionseinschränkung ermittelt wird (open source). Die eGFR nach der MDRD kann vom Labor automatisch mit dem Kreatinin bestimmt und mit den Laborwerten in die Karteikarte importiert werden. Überprüfung der Angemessenheit der Therapie Bei zahlreichen Medikamenten ist die Wahrscheinlichkeit des Auftretens – zum Teil gravierender – unerwünschter Arzneimittelwirkungen im Vergleich zum möglichen Nutzen gerade bei älteren oder vulnerablen Patienten erheblich. Seit über zwanzig Jahren wird daher an Listen solcher »potentiell inadäquater Medikation« (PIM) für ältere Patienten gearbeitet (‚Beers-Liste’ [15, 16, 144]). Zwei inzwischen erheblich weiterentwickelte Instrumente sind für die Praxis tauglich: Die PRISCUS-Liste [67] hat den Vorteil, an deutsche Verordnungsrealitäten angepasst zu sein. Die sogenannten STOPP-Kriterien (Screening Tool of Older Persons Potentially inappropriate Prescriptions) [48, 49] sind organsystembezogen geordnet und beschreiben typische Anwendungssituationen, bei denen an die Absetzung einer Medikation gedacht werden sollte. Auf sie wird weiter unten (Schritt 4: Beenden einer Therapie) eingegangen. Die PRISCUS Liste umfasst 83 Arzneistoffe des deutschen Arzneimittelmarktes, die im Expertenkonsens als potentiell inadäquate Medikation (PIM) bei älteren Patienten eingestuft wurden, da die potenziellen Risiken den Nutzen übersteigen können. Häufige verordnete PIMs bei Älteren sind [3, 147]: Amitriptylin Acetyldigoxin Diazepam Doxazosin Nichtretardiertes Nifedipin Etoricoxib Seite 46 KVH • aktuell Die Liste kann kostenfrei unter http://priscus.net/ download/PRISCUS-Liste_PRISCUS-TP3_2011.pdf heruntergeladen werden (s. Abschnitt: Multimedikation im Alter). Die PRISCUS-Liste wurde in einem transparenten Prozess auf der Grundlage von Evidenzanalysen und einem Konsensbildungsprozess erstellt und bietet zu jeder kritisierten Medikation Alternativvorschläge an, deren Angemessenheit vom Verordner zu prüfen ist. Gegenüber Vorgängerlisten sind in diesem Sichtungsprozess psychotrope Arzneimittel noch stärker in den Vordergrund getreten; es darf angenommen werden, dass in diesem Bereich die größten Probleme unangemessener Verordnung liegen. Auch die PRISCUS-Liste ist sehr umfangreich und birgt die Gefahr der ‚Listenmedizin’, individuelle Therapiesituationen und Risikokonstellationen nicht ausreichend abbilden zu können. Obwohl es zahlreiche Erprobungsstudien zu früheren ‚Listen’ gab (für PRISCUS sind sie noch nicht abgeschlossen) ist der Nachweis, dass durch die Vermeidung von PIMs schwere unerwünschte Ereignisse (z. B. Stürze, Krankenhauseinweisungen) reduziert werden können, noch nicht generell, sondern nur in Teilbereichen (psychotrope Substanzen) erbracht worden. Dennoch führt die PRISCUS-Liste zahlreiche risikobehaftete, teilweise auch obsolete Therapien auf und kann deswegen als ein wertvoller Ansatzpunkt für die Medikamentenbewertung in der eigenen Praxis herangezogen werden. Ein weiteres Instrument zur Arzneimittelbewertung bei geriatrischen Patienten stellt für den deutschsprachigen Raum das FORTA-Konzept dar [47]. Grundgedanke ist hier, neben Medikamenten mit negativer Nutzen-Risiko-Bilanz auch solche mit unzweifelhaft positiver Bilanz aufzuführen. Auch hier steht eine Evaluierung noch aus. Etwa ein Drittel der zuhause lebenden älteren Menschen stürzt einmal pro Jahr. Insbesondere für so entstandene Femurfrakturen liegt die Letalitätsrate bei bis zu 25% [28]. Die meisten Sturzereignisse entstehen multifaktoriell. Alle Sturz begünstigenden Faktoren sollten also nach Möglichkeit präventiv beseitigt werden. Medikamente zählen zu den gut beeinflussbaren Nr. 1 / 2013 Sturz auslösenden Faktoren. In einzelnen Studien [23, 29], vor allem mit Pflegeheimpatienten, konnte gezeigt werden, dass sich die Sturzhäufigkeit dort durch Medikationsanpassungen um erhebliche Anteile reduzieren ließ. Arzneimittel, die in Verbindung mit Sturzereignissen stehen, werden als FRIDs »fall risk increasing drugs« bezeichnet. Es handelt sich v. a. um Anxiolytika, Neuroleptika, Antidepressiva und Antihypertensiva [13, 28]. Für alle Medikamente gilt, dass die Startdosis niedrig und die Dosissteigerung vorsichtig erfolgen sollte: »Start low, go slow.« Als besondere Risikogruppe gelten ältere Patienten mit neurologischen Systematrophien wie z. B. Morbus Parkinson oder Multisystematrophien. Bei diesen Patienten sollten Antihypertensiva besonders vorsichtig eingesetzt werden [28]. Die nachfolgende Tabelle zeigt eine Liste der Medikamente, die das Sturzrisiko bei älteren Menschen erhöhen. In der Regel bekommen ältere Menschen wenigstens ein Arzneimittel aus diesen Gruppen. Sturzrisiko fördernde Wirkstoff(gruppen) (Fall increasing drugs - FRID) Anxiolytika/Hypnotika/Sedativa Neuroleptika Antidepressiva (Trizyklika, SSRI, SSNRI, MAO-Hemmer) Antihypertensiva (Diuretika, ß-Blocker, b-Blocker, Ca-Antagonisten., ACE-Hemmer) Antiarrhythmika Nitrate und andere Vasodilatoren Digoxin Opioidanalgetika Anticholinerge Medikamente Antihistaminika Antivertiginosa Orale Antidiabetika Mod. nach [28] Eine Patienten-Info, die Ihnen die Prävention erleichtert Der Wert der Prävention ist für viele Patienten ziemlich abstrakt; folglich fällt es ihnen schwer, bei den präventiven Bemühung bei der Stange zu bleiben. Mit Hilfe des Risiko-Rechners arriba® lässt sich das Risiko ebenso wie der voraussichtliche Erfolg präventiven Verhaltens gut darstellen. Ohne Erklärung geht aber auch dies nicht – und deshalb finden Sie auf den beiden folgenden beiden Seiten - zum Kopieren und weitergeben an Patienten – einige leicht fassbare Informationen, die Ihre Risikopatienten auf arriba® vorbereiten. DEGAM Informationen für Patienten 181 Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin Er hat ein Diabetike Frau Sorge Frau 47 Jahre alt, Hausfrau 2 Kinder 181 Sorge 47 Jahre alt, neigt dazu, recht früh zu komHausfrau 181 Sie men, damit eine ernste Erkrankung ausgeschlossen wird. Dabei möchte 2 Kinder sie aber Odysseen durch Facharztpraxen vermeiden. Mo-einen erhöhten Blutdruck und ist Er hat Sie neigt dazu, Vor einigen naten hat sie eines dieser Apotheken-Plakate gesehenDiabetiker. „Lasst recht früh zu kommen, damit eine ernste euer Cholesterin messen!”. Jahre alt, Erkrankung ausgeschlossen wird. 47 Dabei Tatsächlich war ihr Cholesterin „hoch”, ihr wurde geraten, In seiner Umgebung sind in den letzten möchte sie aber Odysseen durch Hausfrau den Hausarzt aufzusuchen. Monaten mehrere Fälle von Herzinfarkt Frau Sorge Facharztpraxen vermeiden. 2 Kinder In seiner Monaten bzw. KH „Muss i Herz neh Bei Herrn deutlich h bzw. KHK mit Angina pectoris aufgetreten. „Muss ich jetzt Tabletten 181für mein Cholesterin nehVor einigen Monaten hat sie eines dieser men?” neigt dazu, „Muss ich mehr Rücksicht auf mein Apotheken-Plakate gesehen „LasstSie euer recht früh zu kommen, damit eine ernste Herz nehmen?“ Cholesterin messen!”. Bei Frau Sorge zeigt sich mit dem Kalkulationsprogramm ausgeschlossen wird. Dabei Tatsächlich ihrCholesterinwerten Cholesterin „hoch”, dasswar trotz umihr 260 mg% in den Er hat einen erhöhten Blutdruck und ist arriba®,Erkrankung Bei nur Herrn Süß stellt sich mit arriba ein nächsten 10 Jahren von 100 Frauen mit gleichem Risiko wurde geraten, den Hausarzt aufzusuchen. möchte sie aber Odysseen durch Diabetiker. deutlich 3 einenFacharztpraxen Herzinfarkt oder Schlaganfall vermeiden. bekommen – wenn alle höheres Risiko dar: 61 Jahre alt, 100 fürich 10jetzt JahreTabletten ein Statin für einnehmen, „Muss mein lässt sich eines der In seiner Umgebung verheiratet, sind indrei den letzten 3 Ereignisse verhindern (die Farbe Orange der Übersicht Cholesterin nehmen?” Vor einigen Monaten hat sie einesindieser große Kinder zeigt die Ereignisse, die durch die Intervention vermieden Monaten mehrere Fälle von Herzinfarkt Apotheken-Plakate gesehen „Lasst euer auspectoris dem aufgetreten. bzw. KHK mit (alle Angina alt, werden können). Diesich Zahlen Frau Sorge. 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Die verheiratet, drei Herr Süß ist als Außendienstmitvermiede Fortbewegung mit dem PKW gehören dazu. Bei Frau Sorge zeigt mit dem Haus) Zahlen beruhigen Frau Sorge. großesich Kinder arbeiter einer Firma der Chemie­ Kalkulationsprogramm dasszutrotz (alle ausarriba, dem branche gewohnt, hart arbeiten Cholesterinwerten um 260mg% in den und sich als Ausgleich etwas zu Herr Süß ist als Außendienstmitarbeiter Haus) tz nächsten 10 Jahren von 100 Frauen mit gönnen. Reichliche Geschäfts­ einer Firma der Chemiebranche gewohnt, dieser gleichem Risiko nur 3 einen Herzinfarkt essen, Rauchen und ausschließliche Fortbewegung mit Herr Süß ist als Außendienstmitarbeiter hart zu arbeiten und sich als Ausgleich euer demFirma PKW dazu. Er hatgewohnt, einen erhöhten Blutdruck odergehören Schlaganfall bekommen – wenn alle einer der Chemiebranche etwas zu gönnen. Reichliche Geschäftsundzuistarbeiten Diabetiker. In seiner Umgebung sind in den letzten Aber er sieht, dassRauchen bei einemund Rauchstopp 100 für 10 Jahre ein Statin einnehmen, lässt hart und sich als Ausgleich essen, ausschließliche och”, ihr Monaten mehrere Fälle von Herzinfarkt bzw. KHK mit mehr als 1/3 der 32 Herzinfarkte bzw. sich eines der 3 Ereignisse verhindern. Die etwas zu gönnen. Reichliche GeschäftsFortbewegung mit dem PKW gehören dazu. suchen. AnginaZahlen pectorisberuhigen aufgetreten. sst Schlaganfälle in seiner Risikogruppe Frau Sorge. essen, Rauchen und ausschließliche e 61 Jahre vermieden werden könnten … Fortbewegung mit dem PKW gehören dazu. alt, Herr Süß e n ass trotz den mit nfarkt nn alle men, lässt ern. Die Herr Süß Herr Süß Herr Süß „Muss ich mehr Rücksicht auf mein Herz nehmen?“ verheiratet, drei große Kinder Bei Herrn Süß stellt sich mit arriba® ein deutlich höheres dem Risiko dar: Aber er sieht, dass bei (alle einemaus Rauchstopp mehr Haus) als 1/3 der 32 Herzinfarkte bzw. Schlaganfälle in seiner Risikogruppe vermieden werden könnten … Herr Süß ist als Außendienstmitarbeiter einer Firma der Chemiebranche gewohnt, hart zu arbeiten und sich als Ausgleich etwas zu gönnen. Reichliche Geschäftsessen, Rauchen und ausschließliche Aber er sieht, dass bei einem Rauchstopp mehr als 1/3 der 32 Herzinfarkte bzw. Schlaganfälle in seiner Risikogruppe vermieden werden könnten … DEGAM Informationen für Patienten XtraDoc Verlag Dr. Wiedemann, Winzerstraße 9, 65207 Wiesbaden PVSt Deutsche Post AG, Entgelt bezahlt, 68689 Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin Dr. med. Uwe Popert / Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Reha-bilitative Medizin Die Erstellung der Information erfolgte unentgeltlich – es bestehen keine Interessenkonflikte. Diese Information wurde überreicht von arriba ist ein Programm, mit dem Hausärzte für Ihre Patienten eine individuelle Risikoprognose für Herzinfarkt und Schlaganfall erstellen können. Auszeich arriba w zwei Preis Merten-Pre PH863453V Die Wahrscheinlichkeit für einen Patienten Gesundhei einen Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden wird optisch demonstriert, die Effekte von Verhaltensänderungen oder medikamentöser Therapien werden anschaulich dargestellt. Wie hoch ist mein Herz- und Gefäß-Risiko? Hausärzte und Patienten können so über Werde ich einen Herzinfarkt oder Schlaganfall tisch demonstriert, die Effekte von Verhaltensänderungen eine dem objektiven kardiovaskulären oder medikamentöser Therapien werden anschaulich darbekommen? Gesamtrisiko und den subjektiven gestellt. Hausärzte und Patienten können so über eine dem Präferenzen des Patienten gleichermaßen kardiovaskulären Gesamtrisiko und den subjekNatürlich können wir die Zukunft nicht exakt vor- objektiven Rechnung tragende Therapie gemeinsam tiven Präferenzen des Patienten gleichermaßen Rechnung hersagen – aber inzwischen lässt sich das individuentscheiden. tragende Therapie gemeinsam entscheiden. elle Risiko für zukünftige „Gefäßereignisse“ relativ Ihre Hausa Entwickelt von den Abteilungen für gut einschätzen. Entwickelt wurde das Programm von den Abteilungen für wie diese B Allgemeinmedizin der Universitäten Allgemeinmedizin der Universitäten Marburg, Düsseldorf durchgefüh Marburg, Düsseldorf und Rostock. Die meisten Risikofaktoren (Nikotin, Mangel an Be- und Rostock. Gefördert wurde es vom Bundesministerium Gefördert vom Bundesministerium für wegung, Cholesterin, Blutdruck, Alter, Vererbung, für Bildung und Forschung. Bildung und Forschung. Überreich Diabetes, …) sind nicht nur bekannt, sondern lassen sich inzwischen in Formeln als „Gefäßrisiko“ errechnen und darstellen. Und noch mehr: man kann aus großen Studien auch ableiten, wie gut einzelne Therapieoptionen schützen können. 180 arriba® ist ein Programm, das auf den gerade erwähnten Formeln aufbaut. Mit ihm können individuelle ist einHausärzte Programm,für mitIhre demPatienten eine Auszeichnungen Risikoprognose für Herzinfarkt und Schlaganfall rzte für Ihre Patienten eine erstellen. Auszeichnungen duelle Risikoprognose für Herzinfarkt arriba wurde innerhalb kurzer Zeit mit arriba® wurde innerhalb kurzer Zeit mit zwei Preisen ausgechlaganfall erstellen können. zwei Preisen ausgezeichnet, dem RichardEine Patientenin Die Wahrscheinlichkeit für einen Patienten, einen zeichnet, dem Richard-Merten-Preis 2008- und dem Berliner Merten-Preis 2008 und dem Berliner Herzinfarkt oder Schlaganfall zu erleiden, wird op- Gesundheitspreis 2008. ahrscheinlichkeit für einen Patienten Herzinfarkt oder Schlaganfall zu n wird optisch demonstriert, die e von Verhaltensänderungen oder amentöser Therapien werden ulich dargestellt. Mein Gefäß Gesundheitspreis 2008. Werde ich einen oder Schlaganfall b Natürlich können wir a nicht exakt vorhers inzwischen lässt sich d Risiko für „Gefäßereignisse“ einschätzen. rzte und Patienten können so über em objektiven kardiovaskulären mtrisiko und den subjektiven enzen des Patienten gleichermaßen ung tragende Therapie gemeinsam eiden. Falls auch Sie Ihr persönliches Herz- und Gefäßrisiko kennen lernen möchten, sprechen Sie uns darauf an. Wir ermitteln gerne das Risiko mit arriba® und beraten Sie bei den Konsequenzen, Die meisten Risikofak die Abteilungen aus dem Ergebnis des Risiko-Kalkulators zu ziehen sind. so etwas imMangel Prinzip ablaufen an Bewegung Ihre Hausarztpraxis informiert SieWie gerne, ckelt von den für beiden Beispiele auf der Rückseite. wiedie diese Beratung mit arriba meinmedizin der Universitäten kann, zeigen Blutdruck, Alter, durchgeführt werden kann. rg, Düsseldorf und Rostock. Diabetes, …) sind nich dert vom Bundesministerium für sondern lassen sich g und Forschung. Überreicht durch: Formeln als „Gefäßris