Sonderpublikation von Ausgabe August 2016 MAGAZIN ZUM 10. DEUTSCHEN MARKEN-SUMMIT MARKEN AUS DER KRISE FÜHREN MARKENBEGEGNUNGEN SCHAFFEN BRANDING IN DER POLITIK DIGITALISIERUNG UND MARKE FOKUS: WENN ALTE GEWISSHEITEN WANKEN WIE MARKEN LERNEN. UND VERGESSEN. 10. DAS MAGAZIN www.marken-summit.de Inhalt/Impressum 06 Marken können vergessen 04 Eine neue Dekade bricht an: Was lernen Marken von Filmen? 06 „Nur in einem kulturfeindlichen Umfeld gedeihen Fehler“ Alexander Möller, Mitglied der Geschäftsführung, ADAC e.V. 10 08 Wandel wird zur Gewissheit – Marken müssen Schritt halten 10 Raus aus der Commodity-Falle Alexander Schlaubitz, Vice President Marketing, Deutsche Lufthansa AG Von Marken lernen 11 „Der Kunde führt Regie“ Nachgefragt bei Christian Rummel, Deputy Global Head of Brand Communications & Corporate Citizenship, Deutsche Bank AG 12 Digitale Transformation als Treiber für das Business 14 Im Hochamt der Kommunikation Frank Stauss, Buchautor und Wahlkampf-Profi Marken und Trends 14 15„Es gibt keine Blaupause“ Nachgefragt bei Jens Grefen, Executive Director Creation, Interbrand 16 Am Smartphone informieren, aber dann im Laden kaufen 18„Markenrecht fordert immer Wachsamkeit“ Nachgefragt bei Dr. Christoph Holzbach, Partner, FPS Rubriken 03Editorial 13Impressionen 19 Kurzgefasst: Trends für starke Marken 16 HERAUSGEBER/VERLAG FRANKFURT BUSINESS MEDIA GmbH – Der F.A.Z.-Fachverlag Frankenallee 68–72 60327 Frankfurt am Main E-Mail: [email protected] Tel.: (069) 75 91-21 67 PROJEKTLEITUNG Cornelia Klaas 2 REDAKTION Dr. Tobias Anslinger (toa), Cornelia Klaas (verantw.; ckl), Nico Kunkel (nic), Kai Praum (kpm) GESTALTUNG Sandra Reich FOTOS/QUELLEN © Dirk Beichert BusinessPhoto mit Ausnahme von: Titelbild: © Deutsche Bank AG Seite 7:© ADAC/Rasmus Kaessmann Seite 10:© Deutsche Lufthansa AG Seite 12:© 2016 www.teambits.de – interactivate your event DRUCK & VERARBEITUNG Boschen Offsetdruck GmbH, Frankfurt am Main 10. Deutscher Marken-Summit 2016 Editorial 10. Deutscher Marken-Summit: Zum Auftakt der Jubiläumsveranstaltung trafen sich Markenentscheider im Deutschen Filmmuseum. Spannende Insights zu Marketingstrategien und Trends der Visualisierung boten Abwechslung und Anregung in oscarreifem Ambiente. WIE MARKEN LERNEN. UND VERGESSEN. „Irrend lernt man“, erkannte schon Johann Wolfgang von Goethe. Und tatsächlich lernen wir oft durch mehr oder minder schmerzhafte Erfahrungen. Worauf aber können wir bauen, wenn alte Gewissheiten wanken, Geschäftsmodelle wegbrechen oder Kommunikationskrisen drohen? Als Unternehmer wie Markenmanager sind wir dann besonders gefordert: Wir müssen unsere Komfortzone verlassen und uns dem Dialog mit kritischen Kunden stellen, und zwar in Echtzeit und multimedial. Daher stand der Austausch im Mittelpunkt unseres Jubiläums: Beim „10. Deutschen Marken-Summit“ am 9. Juni 2016 diskutierten wir mit knapp 200 Markenverantwortlichen darüber, wie Marken lernen, vergessen und was von ihnen abprallt. Dr. Tobias Anslinger Für die vielen wertvolle Einsichten und Impulse danken wir allen Teilnehmern, auch im Namen unserer Mitveranstalter Deutsche Bank, Interbrand und FPS. Im vorliegenden Magazin haben wir für Sie die zentralen Thesen und Argumente zusammengestellt: Lesen Sie nach, was Markenstrategen in Umbruchzeiten bewegt. Wir wünschen Ihnen für das nächste Jahr einen klaren Kurs in unruhigem Fahrwasser und freuen uns schon heute auf den Austausch beim „11. Deutschen Marken-Summit“ 2017. Cornelia Klaas Dr. Tobias Anslinger Cornelia Klaas Leitender Redakteur Kommunikation, Marketing, CSR Projektleiterin Marken-Summit FRANKFURT BUSINESS MEDIA GmbH – FRANKFURT BUSINESS MEDIA GmbH – Der F.A.Z.-Fachverlag Der F.A.Z.-Fachverlag 10. Deutscher Marken-Summit 2016 3 EINE NEUE DEKADE BRICHT AN: WAS LERNEN MARKEN VON FILMEN? Die Filmindustrie bekam in den vergangenen Jahren zu spüren, was es heißt, wenn alte Gewissheiten wanken. Dennoch bleibt die Begeisterung für einen „guten Film“ ungebrochen. Wie für einen guten Film gilt auch für eine starke Marke: Die Story muss das Publikum begeistern und von der ersten Sekunde in seinen Bann ziehen. Diskussionsrunde im Deutschen Filmmuseum: Moderator Dr. Tobias Anslinger, Jennifer TreiberRuckenbrod, Nicolas Paalzow und Andy Payne (v.l.). Können Sie sich an Ihren letzten Kinobesuch Der Verbindung von Film und Marke ist viel- relevant und auffallend wollen und müssen erinnern? Welche Marken haben Sie da wahr- fältig und facettenreich. Und beide, sowohl beide sein. genommen, oder wie haben Marken Sie bei die Filmindustrie als auch die Markenfüh- diesem Kinobesuch beeinflusst? Waren es rung, haben in den vergangenen Jahren ver- Storytelling als Verbindungselement Marken im Film – im Sinne von Product- stärkt erfahren müssen, dass alte Gewisshei- Einer, der weiß, wovon er redet, ist Andy Placement –, die Sie am nächsten Tag in die ten wanken: Technische Revolutionen haben Payne. Der Global Chief Creative Officer von Verkaufsräume eines Autohauses oder zum Einzug gehalten; das Kundenverhalten hat Interbrand, der noch dazu privat als passio- Juwelier getrieben haben? Oder waren es Fil- sich verändert; die Vernetzung ist allgegen- nierter Cineast gilt, schlägt eine interessan- me, die längst zur Marke geworden sind, oder wärtig; neue Lebens- und Arbeitskonzepte te Brücke zwischen Film und Marke. „Brands Typen, Schauspieler als Marken, die auch Vor- sind entstanden. Marken müssen lernen, sie need to rethink the way they are creating bildfunktion für Sie haben – weswegen Sie müssen vergessen und sich immer wieder content“, sagt er und deutet damit auch überhaupt erst ins Kino gegangen sind? neu inszenieren – genauso wie Filme. Echt, schon an, dass Marken heute ohne gute und 4 10. Deutscher Marken-Summit 2016 starke Inhalte nicht mehr überleben können. en Umgang bei der Kreation von Inhalten. hundertjährigen Geschichte geschafft hat, Marken müssen genauso wie Filme gute Ge- Unternehmen sollten sich überlegen, Exper- eine ganz besondere Beziehung zu ihren Kun- schichten erzählen und eine visuelle Welt tise einzukaufen, um gute Inhalte zu produ- den herzustellen, ist BMW. „Die einzige Kon- kreieren. Dabei müssen sie sich vor allem da- zieren. Filme zeigten eindrucksvoll, dass Leu- stante ist die Veränderung“, sagt Jennifer rüber Gedanken machen, welche Geschich- te bereit seien, für guten Content Geld zu Treiber-Ruckenbrod und gibt Einblicke in die ten das sein sollen. bezahlen. Markenstrategie der BMW Group. Sie verantwortet die strategische Ausrichtung des Mar- Die „Audience“, das Publikum, ist laut Payne Jenseits angestammter Geschäfte kenportfolios und die Markenmessung. Sei es besonders wichtig und sollte eine möglichst Das Publikum für die Marke zu begeistern, gestern das Automobil als Produkt gewesen, enge Beziehung zu der Marke haben: „We die Zielgruppe dort zu erreichen, wo sie sich das im Fokus der Markenarbeit stand, sei es bewegt, das können starke Marken oft be- heute das „inte-grierte Auto“. „Und in den sonders gut. Erfolgreiche Marken, man wür- kommenden Jahren wird sich das immer stär- de von „Personal Brands“ sprechen, sind ker in Richtung Produkt- und Erlebniswelten auch die beiden Berliner Matthias Schweig- entwickeln“, ist Treiber-Ruckenbrod über- höfer und Joachim „Joko“ Winterscheidt. zeugt und gibt gleich einen Ausblick auf die Entertainer, beste Freunde und Kollegen – nächsten 100 BMW-Jahre. und seit kurzem auch Agenturinhaber. Gemeinsam mit Nicolas Paalzow, dem ehemaligen Geschäftsführer des Fernsehsenders „Film is so great in storytelling because Sat.1, haben sie die Agentur Creative Cos- it puts the audience right in the center. mos 15 gegründet. Doch warum überhaupt? Everything that is done in the film is for you, the viewer.“ Marketing und Werbung haben sich drastisch verändert. TV-Spots und Zeitungsanzeigen verlieren immer mehr an Bedeutung. Eine Vielfalt an Kanälen, Formaten und Nut- Andy Payne, Global Chief Creative Officer, Interbrand zungsmöglichkeiten entsteht. Marken werden so zu eigenen Medien und Medienhäusern. Und in dieser Gemengelage lassen sich Ergänzung für das Portfolio bekannte „Personal Brands“ einfach gut Die Marken der Gruppe seien heute längst nutzen: „Das Talent von Matthias und Joko nicht mehr nur die bekannten Automobilmar- wäre verschwendet, würde man es nur für ken BMW, Mini und Rolls Royce, sondern TV-Produktionen nutzen“, sagt Paalzow und würden ergänzt um sogenannte Servicemar- deutet damit an, dass starke Marken auch ken, die Megatrends wie Urbanisierung, Indi- auf Geschäftsfelder jenseits der angestamm- vidualisierung oder vernetztes Fahren in die ten Bereiche ausgedehnt werden können – Markenwelt der Mobilität von morgen inte- allerdings muss laut Paalzow eines gesichert grieren. bleiben: die Authentizität. „Wenn bei uns etwas Neues entsteht, dann sind die beiden Der jungen Zielgruppe der Generation Y sei want our audience to be engaged with our nicht nur damit einverstanden, sondern ha- es dabei immer weniger wichtig, ein Auto brands.“ Ein guter Film beschäftige das Pub- ben es mitentwickelt“, erläutert er. tatsächlich zu besitzen. Sie wolle vielmehr likum von der ersten Sekunde an – mit einer unkomplizierten und individuellen Zugang überraschenden Handlung, einer Frage oder Kundenbeziehungsmanagement zu Mobilität. Teilen statt besitzen. Der Kun- dem „Bösen“. Denn das Publikum urteile Marken mit Tradition, meist starke Marken, de müsse dabei mehr denn je im Mittel- schnell und an Ort und Stelle im Kinosaal haben sich über die Jahre eine bestimmte Re- punkt jeglicher Aktivitäten der Marke ste- über „live or die“. In diesem Zusammenhang putation erarbeitet, die sich oft auf ein paar hen. Sie müsse zu seiner Problemlösung betont Payne auch die Innovationen, mit de- wenige Attribute zusammenfassen lässt. beitragen. (kpm) nen Filme immer wieder aufwarten. „We Doch die Kanäle und Touchpoints, mit denen need new to entertain us“, sagt er und rät man über eine Marke sprechen kann, werden Markenverantwortlichen auch zu einem neu- immer vielfältiger. Eine Marke, die es in ihrer 10. Deutscher Marken-Summit 2016 5 „NUR IN EINEM KULTURFEINDLICHEN UMFELD GEDEIHEN FEHLER“ Dem ADAC vertrauten die Deutschen mehr als jeder anderen Institution in Deutschland. Anfang 2014 verlor die Traditionsmarke quasi über Nacht ihr einzigartiges Image. Mit seiner selbstauferlegten „Reform für Vertrauen“ kämpfte sich der Club zurück. Wie die Organisation die Krise gemanagt hat und was das für die Traditionsmarke ADAC bedeutet, darüber sprach Alexander Möller in seiner bemerkenswert selbstkritischen Keynote beim „Deutschen Marken-Summit“. Es waren die Manipulationen beim Leserpreis nehmen in der Krise tun, ist, Leute zu entlas- staltung des ADAC, der Verleihung des „Gelber Engel“, die die Marke ADAC unter sen. Es wird zu beleuchten sein, ob das immer ­„Goldenen Engels“, hatte die „Süddeutschen Druck gesetzt hatten – die größte Herausfor- klug ist. Wir sehen derzeit bei VW, wie schwer Zeitung“ behauptet, der ADAC habe bei der derung in der jüngeren Geschichte von Euro- sich Unternehmen mit radikalen Schnitten ­Ermittlung des Gewinners der Verleihung ge- pas größtem Automobilclub mit 19 Millionen tun. Das spricht dafür, Personal auszutau- logen – hinsichtlich der Anzahl der abstim- Mitgliedern. In der Folge gab es Berichte über schen.“ Aber so gehe auch historisches Wis- menden Mitglieder und hinsichtlich der Dienstflüge von Funktionären mit dem Ret- sen verloren, und man laufe Gefahr, „das zu ­Reihenfolge. Und die Wirtschaftsprüfer von tungshubschrauber und Pannenhelfer, die reformieren, was gut gelaufen ist. Das trägt Deloitte bestätigten umfangreiche Manipula- Mitglieder falsch beraten haben sollen. Jede erheblich zu Verunsicherung bei“. tionen. Rücktritte, Aufhebungen von Arbeits- Menge schlechte Presse also. verträgen und strafrechtliche Untersuchungen beim ADAC folgten. Das über 100 Jahre mühsam aufgebaute Bild „Markenschutz kann des vertrauenswürdigen Pannenhelfers be- unwissentlich verschwinden.“ „Interessanterweise hat uns selbst in der kam Risse. Es folgte: „Eine Reform für Vertrau- Hochphase der Krise über die Hälfte der Deut- en“, wie es der ADAC selbst nannte – und das schen vertraut. Wir erklären uns das so, dass Ringen um Vertrauen in die Marke. An die Spitze der Bewegung setzte sich auch Alexan- Dr. Christoph Holzbach, Partner, FPS der Möller, ehemals bei der Deutschen Bahn offensichtlich die Kernleistungen des ADAC – Luftrettung, Pannenhilfe – zu jeder Zeit so gut waren, dass es keinen Grund gab, unserer beschäftigt und seit dem 1. Januar 2015 Mit- Dass nicht alles schlecht gelaufen sei beim Kernkompetenz zu misstrauen“, sagt Möller. glied der ADAC-Geschäftsführung, der in sei- ADAC, belegen unter anderem hohe Vertrau- Das Vertrauen in den Club allerdings sei ner Keynote auf dem „10. Deutschen Marken- enswerte in die Marke – vor der Krise: 2013 lag massiv erschüttert gewesen und habe das ­ Summit“ gewinnend und mit selbstkritischem der Automobilclub bei einem Vertrauenswert ­Ansehen der Marke stark beschädigt. Ton auftritt. von 86 Prozent. 2011 und 2013 landete die Marke zweimal unter den Top 10 der jährlichen „Neben den erwiesenen Betrügereien wurde Der alte ADAC sei auch durch Arroganz aufge- Best-Brands-Awards von der GfK und stand im Zuge der Krise sehr schnell deutlich, dass fallen, und so habe die Krise nicht etwa in den nach außen glänzend da; die Mitgliederzahlen der ADAC an vielen Stellen zu Recht kritisiert manipulierten Mitgliederbefragungen seinen waren kontinuierlich im Aufwind. „Man hatte wurde und dass sich Dinge verbessern und Anfang genommen, sondern weit früher – sich eine teure, überdimensionierte Zentrale in entwickeln müssen, die schon gar nichts mehr zum Beispiel in überheblichen Äußerungen München gebaut – von der ich heute profitiere mit diesem Anlass zu tun haben, sondern die von Führungskräften in der Öffentlichkeit. – und war ein anerkannter Gesprächspartner in eine kulturelle Frage aufwarfen“, so Möller. Sachen Mobilität.“ Der umfassende Personalaustausch, bis hin Aber auch „all das Positive wurde negativ be- zur Führungsspitze, hat auch Schattenseiten, Der 16. Januar 2014, ein Donnerstag, änderte wertet“, stellt Möller fest. Diese Tatsache erläutert Möller. „Denn das Erste, was Unter- das. Bereits zwei Tage vor der zentralen Veran- hemme den Kulturwandel im Haus erheblich, Alexander Möller im Interview auf unserem YouTube-Channel 6 10. Deutscher Marken-Summit 2016 „weil wir unseren Mitarbeitern verständlich Straße unterstützen? „Das sind Zukunftsfra- Wo Produktunterschiede in der Informations- machen mussten, dass das, wofür sie noch gen, die wir als ADAC in den vergangenen flut versinken und Versicherer oder Automo- vor einigen Jahren auf Partys auf die Schulter zwei Jahren sträflich vernachlässigt haben, bilhersteller in das Kerngeschäft dringen, dort geklopft bekommen hatten, plötzlich kritisch um uns auf uns selbst zu konzentrieren.“ unterscheide sich der ADAC durch emotionale gesehen wurde“. Bindung, so Möller: „Tausende Mitarbeiter, Die aktuellen Anliegen der Mitglieder zwi- die täglich für uns auf der Straße unterwegs Neben einem externen Beirat und einer neu- schen Verbraucherschutz und technischen sind, sind unsere Markenbotschafter, auch für en Compliance-Richtlinie ist dieser Kultur- Fragen sieht Möller als klares Signal, dass die diese Veränderung – und wir schicken sie wandel das Herz der ADAC-Reform. Die neue Marke ADAC als Orientierung in einer Welt im nicht in den Batterieverkauf, sondern sie leis- Dachstrategie drückt sich in einem Drei-Säu- Wandel gebraucht werde und als wichtigen ten Vertrauensarbeit für den ADAC.“ len-Modell aus, in das der ADAC kommerzielle Gradmesser, „der anzeigt, dass unsere Marke Aktivitäten, Vereinsgeschäft und die Stiftung trotz aller Beschädigungen stark ist.“ Allein Derzeit liege der ADAC bei einer Vertrauens- gliedert. in der Hochphase des VW-Abgasskandals quote bei 79 Prozent. Gegenüber den Werten frequentierten laut Möller verunsicherte ­ vor der Vertrauenskrise hat der Automobilclub Im Haus setzt die neue Führung Leitlinien um, ­Verbraucher die Hotlines des ADAC täglich zu also noch aufzuholen. Dennoch sehe er in für die sie die Überschriften Vertrauen, Ver- ­Tausenden. dem angestoßenen Transformationsprozess antwortung, Selbständigkeit gewählt hat. Das die Chance, eine gesellschaftliche Relevanz zu seien „keine Begriffe, bei denen die Mitarbei- „Wir versuchen, die Tradition des ADAC mit entwickeln, sagt Möller. „Denn wir wissen, ter automatisch wissen, was wir von i­hnen Moderne zu verbinden, weil wir glauben, dass dass die meisten Mitglieder eben nicht bei wollen“, sagt Möller. „Wir erarbeiten uns in unsere Stärke ist, diesen Mobilitätsdschungel uns sind, damit wir ‚freie Fahrt für freie einem sehr mühevollen Prozess jeden dieser zu kennen und unseren Mitgliedern eine ­Bürger‘ durchsetzen. Diese Zeit liegt hinter Werte neu – weil unser Haus früher mit ge- Schneise zu schlagen“, sagt Möller, der den uns.“ (nic) genseitigem Misstrauen funktioniert hat“, ADAC langfristig als Schnittstelle zwischen sagt Möller. Es sei eine Herausforderung, die- Mitgliedern und neuen zukunftsweisenden ses System zu brechen. Mobilitätskonzepten sieht. „Wir wissen, dass das, was wir tun, für die brei- Es gebe eine Bandbreite junger Start-ups, die te Masse nicht von Interesse ist. Allerdings: in das Geschäft des ADAC drängen, und man Würden wir all das nicht tun, liefen wir Gefahr, versuche, von ihnen zu lernen. „Auch das ist in alte Muster zu verfallen. Nur in einem kultur- der neue ADAC“, sagt Möller. Denn: „Wir ha- feindlichen Umfeld gedeihen Fehler, und des- ben keinen wirklichen Wettbewerb in halb gehen wir diesen Prozess an.“ Deutschland. Und wenn man als Marktführer beinahe ohne Wettbewerb handelt, dann Über den Kulturwandel hinaus treiben Möller wird man satt“, räumt er ein. die Zukunftsfragen des ADAC an. Technologische Umbrüche und veränderte Erwartungshaltungen von Kunden und Gesellschaft bedrohen das Geschäftsmodell des Automobilclubs. „Die Deutsche Bahn fährt am Tag so viele Sitzplätze durch Deutschland wie auf Mitfahrzentralen im Internet angeboten werden. Die Generation der 15- bis 30-Jährigen ist immer ­weniger bereit, sich an Unternehmen zu binden. Wir merken, dass wir es mit einem Um- Alexander Möller, ist Mitglied der ­ eschäftsführung des ADAC e.V. G feld zu tun haben, in der alte Marken und alte Gewissheiten nicht mehr funktionieren.“ Was erwarten ADAC-Mitglieder künftig? Reicht die Pannenhilfe, wenn das automatisierte Fahren diese gar nicht mehr erfordert? Wie kann die Pannenhilfe E-Mobilität auf der 7 WANDEL WIRD ZUR GEWISSHEIT– MARKEN MÜSSEN SCHRITT HALTEN Bei Merck läutete eine neue Marke einen internen Kulturwandel ein. Damit tun sich Traditionsmarken nicht immer leicht. Entscheidend ist in allen Veränderungsprozessen die Unterstützung durch die Unternehmensspitze. Und in vergleichsweise jungen Unternehmen hält meist der Gründer als oberster „Change-Agent“ die Marke jung und frisch. Was Marken brauchen, um zu lernen und sich Oktober mit einer bunten und verspielten konzern sollte die Marke Schritt halten. Be- zu verändern, steht für Michael Hähnel, Vor- Wortmarke interne und externe Stakeholder sonders im Blick hatte das B2B-Unternehmen sitzender der Geschäftsleitung bei Bahlsen, gleichermaßen überraschte. dabei das Employer-Branding und die interne Deutschland fest: Menschen. Denn Menschen Kultur. „In den Gesprächen mit dem CEO verändern Marken. „Dafür bedarf es Haltung Kulturwandel schaffen wurde schnell klar, dass wir kein reines Mar- und Raum für neue Denkweisen“, erklärt er Der Weg dorthin begann zwei Jahre zuvor. Als kenprojekt, sondern ein Kulturprojekt voran- die Unternehmenskultur des Keksproduzen- erster Markenchef des Unternehmens über- treiben“, sagt Axel Löber. ten. Im Wettbewerb mit der Konkurrenz käme haupt musste Axel Löber mit seinem Team es nicht darauf an, mehr Geld auszugeben. zunächst interne Aufklärungsarbeit leisten. Produktinnovation halten jung Auch hier sind für Hähnel vielmehr die Fähig- „Um zu polarisieren, habe ich am Anfang des Nicht für jede Marke ist ein solch drastischer keiten der Mitarbeiter gefragt: „Wir wollen Entwicklungsprozesses gesagt: Wir haben Relaunch erforderlich, um dynamisch zu blei- smarter sein am Markt.“ keine Marke, wir haben ein Logo und ein De- ben. „Marken bleiben jung und frisch, wenn sign“, sagt der Leiter Branding & Communi- sie den Kunden überraschen und immer Neu- Erstmals strategische Markenführung cation Strategy bei Merck. Die Geschäftslei- es bieten können“, erklärt Alexander C. Der Wettbewerb beim Pharmaunternehmen tung musste Löber allerdings nicht erst über- Schmidt, Geschäftsführer DACH von Dyson, Merck ist ein anderer. Der DAX-Konzern aus zeugen. Von ihr kam nämlich die Feststellung, das Mantra des selbsternannten „Erfinderun- Darmstadt, der 2018 seinen 350. Geburtstag dass sich das Unternehmen anpassen muss, ternehmens“. Der Staubsauger ohne Beutel feiern wird, kam lange ohne strategische um erfolgreich zu sein, und damit ein klarer ist bis heute die bekannteste Produktrevoluti- Markenführung aus. Im vergangenen Jahr er- Auftrag an Löber. Denn mit dem Wandel vom on des Gründers James Dyson. Bis es so weit regte Merck dann Aufsehen, als das Unter- mittelständisch geprägten Pharmaunterneh- war, brauchte der Brite allerdings 5.127 Ver- nehmen am Tag des Marken-Launches Mitte men zum Wissenschafts- und Technologie- suche. „Diese Zahl ist das Erste, was man bei Michael Hähnel ist Vorsitzender der Geschäftsleitung bei Bahlsen Deutschland. 8 Axel Löber ist Leiter Branding & Communications Strategy der Merck KGaA. Alexander C. Schmidt ist Geschäftsführer DACH der Dyson GmbH. 10. Deutscher Marken-Summit 2016 Dyson lernt. Erst der 5.128. Prototyp brachte Unternehmen auf, die von Markenexperten beschreibt Michael Hähnel den Rückenwind, den Durchbruch“, sagt Schmidt. Daraus leitet verstärkt gefordert wird: Mit offenen Augen den er bei Bahlsen erfährt. Seine Erfahrungen sich bei Dyson die Attitüde ab, bloß nicht ei- und Ohren am Markt und mit mutigen neuen aus der Konzernwelt will der ehemalige Bei- nen Tag zu früh mit der Entwicklung aufzuhö- Produkten gelingt es Marken, langfristig er- ersdorf-Manager nicht missen. Die Entschei- ren. Den Innovationsteams des Technikunter- folgreich zu. Eine Abkehr von der Tradition ist dungsfindung in großen Unternehmen ver- nehmens gewährt der Gründer, was er als am damit nicht automatisch verbunden, wie gleicht er dabei mit einem durchrauschenden Wichtigsten für Erfindergeist erachtet: Zeit Bahlsen ebenfalls beweist. „Tradition hat viel ICE – im Gegensatz zum inhabergeführten und Geld. „Mit diesem Umfeld setzen wir uns mit Liebe, Leidenschaft und Marke zu tun“, Unternehmen, in dem der „Entscheidungs- auch vom Wettbewerb ab“, sagt Alexander C. erklärt Hähnel und empfiehlt Traditionsmar- Bus“ an jeder Haltestelle anhält. „Diese Schmidt. ken, sich ihrer Stärken bewusst zu sein. Schleifen muss man berücksichtigen, sie bringen aber auch Vorteile mit“, sagt der Ge- 4 Jahre, 103 Ingenieure schäftsleiter. So wird das Unternehmen aus Dabei sind die Innovatoren des Unterneh- „Da weder die Strategie noch das Um- Hannover mittlerweile in der dritten Genera- mens nicht immer auf der Suche nach einer feld eines Unternehmens statisch sind, tion geführt. neuen Produktkategorie, sondern nach einer brauchen Marken Flexibilität und die neuen Lösung, um die Produkte für ihre Kun- Fähigkeit, sich weiterzuentwickeln.“ Markenarchitektur differenzieren den besser zu machen. Die neueste Innovati- Die Inhaberfamilie Bahlsen spielt beim Unter- on soll nun den Haartrocknermarkt revolutio- nehmen auch in der Frage der Markenarchi- nieren. Der neuentwickelte Minimotor für das tektur eine Rolle. Lange war das Verhältnis Gerät ist so klein, dass er in den Griff passt und nicht wie bisher üblich im Kopf eines Axel Löber, Leiter Branding & Communications Strategy, Merck KGaA Haartrockners verstaut werden muss. Das der Unternehmensmarke zu den Produktmarken und -kategorien für die Hannoveraner kein vordergründiges Thema. Das soll sich macht den Fön in Donut-Optik leichter und Gründer als Veränderer nun ändern, aber trotzdem nicht gleich zu leiser. Vier Jahre hat die Entwicklung gedau- Die Tradition bei Dyson heißt Veränderung. einem Verlust der Unternehmensmarke füh- ert. 103 Ingenieure waren beteiligt. „Dyson Gründer James Dyson ist kein Bewahrer einer ren. „Das Verhältnis muss sauber differen- kennt es nicht anders. Ein Nein akzeptieren starren Struktur, sondern der „oberste ziert sein. Die Unternehmensmarke spielt un- wir nicht“, erklärt Deutschland-Geschäfts- Change-Agent“, wie Alexander C. Schmidt ter anderem beim Employer-Branding eine führer Schmidt. Ob sich das Gerät bei einem begeistert berichtet: „Es zeichnet ihn eine wichtige Rolle“, deutet Michael Hähnel den Preis von 400 US-Dollar im Einstiegsmarkt gesunde Ungeduld aus. Wenn Dinge zu ein- Weg an, den Bahlsen gehen möchte. Japan durchsetzt, bleibt abzuwarten. fach sind und zu glattgehen, rüttelt er uns auf und fordert: Bleibt anders!“ Gründer Dyson Für die Zukunft gewappnet Sinneswandel und Tradition gibt seinem Unternehmen dabei eine Lehre Für den Mischkonzern Merck ist die Unter- Vier Jahre Entwicklungszeit für neue Produk- mit, die ihn erfolgreich gemacht hat. So sei es nehmensmarke der Anker. Dennoch brauch- te – bei Bahlsen gibt es das nicht mehr. Dort ihm stets gelungen, sich durchzusetzen, te es in der jüngeren Vergangenheit auch im hat man die Innovationszyklen deutlich ver- wenn er das Gegenteil von dem gemacht Portfolio eine starke Veränderung, um zu- kürzt. Benötigte die Entwicklung neuer Pro- habe, was ihm vermeintliche Experten gera- künftig erfolgreich zu bleiben. Dadurch hat dukte in der Vergangenheit tatsächlich noch ten hatten. „Nur indem er dramatisch anders sich auch der Wettbewerb verändert. „Der bis zu fünf Jahre, so gelingt es dem Unterneh- war, konnte er sich mit seiner kleinen ‚Chal- Wandel vom Pillendreher zum Technologie- men mittlerweile nach sechs bis zwölf Mona- lenger-Brand‘ gegen starke und gewachsene unternehmen bringt Konkurrenten wie ten, fabrikneue Süßwaren auf den Markt zu Marken durchsetzen“, erklärt Schmidt den Google und Apple mit sich“, sagt Axel Lö- bringen. Von Spöttern in der Vergangenheit Mut des Gründers. ber. Durch den angestoßenen Marken- und noch als Maschinenbauunternehmen mit an- Kulturwandel sieht Löber die Darmstädter gehängter Keksproduktion bezeichnet, hat Führung mit klarer Vision für die anstehenden Herausforderungen ge- sich in Hannover einiges getan: „Wir haben Prägende Inhaber mit einer klaren Vision ver- wappnet. (kpm) in unserer offenen, modernisierten Zentrale binden die Unternehmen Merck, Dyson und eine eigene Versuchsküche und sind weg von Bahlsen. Und alle drei Beispiele zeigen, dass der Maschinenbau-Denkweise hin zu Kun- Veränderung besonders dann möglich ist, den-Insights“, deutet Michael Hähnel den wenn die Unternehmensspitze dahintersteht. Sinneswandel an. Mit der Abkehr vom Bin- „Wenn die Marke in der Unternehmensstra- nenbezug als Selbstzweck zeigt der Bahlsen- tegie eine Rolle spielt, machen alle mit, und Geschäftsleiter eine Entwicklung im eigenen Marketing wird zur Herzensangelegenheit“, 10. Deutscher Marken-Summit 2016 9 RAUS AUS DER COMMODITY-FALLE Die Lufthansa als Vollsortimenter – das funktioniert immer weniger. Viel entscheidender ist, in einer sich wandelnden Luftfahrtbranche, in der sich viele Produkte und Dienstleistungen immer ähnlicher werden, den Reisenden und seine Bedürfnisse konsequent in den Mittelpunkt zu stellen. Das lässt sich eines Tages nämlich auch monetarisieren. 23 Streiktage in 18 Monaten, ein Marken- Lufthansa auf eine größtmögliche Differenzie- andersetzung mit der Lufthansa hat das Un- wertverlust von etwa einer Milliarde Euro: Die rung ihrer Angebote. „Wir fokussieren uns dabei ternehmen ein eigenes Programm aufgesetzt. Lufthansa hat in den vergangenen zwei Jah- auf die Grundbedürfnisse der Reisenden“, sagt Ziel ist es, besser zu ergründen, wie und wo ren schmerzhaft erfahren müssen, was es Schlaubitz. „Human Centricity“, dieses In-den- eigentlich der Kontakt zwischen Unterneh- heißt, wenn alte Gewissheiten wanken. Jede Mittelpunkt-Stellen der menschlichen Bedürfnis- men und Reisendem entsteht. 85 interne, teils neue Streikwelle zog den Markenwert noch se, hätten die Onlineunternehmen vorgemacht. sehr heterogene Datenbanken wurden dafür weiter hinunter. Die Marketeers konnten zu- zusammengeführt. Reisesituation und Bedürf- nächst nur hilflos zusehen: „Zunächst ging es Schlaubitz richtet nun auch das Marketing der nisse der Kunden können nun viel genauer nur darum, den Flugbetrieb zu sichern“, sagt Lufthansa konsequent auf die Kundenzentriert- analysiert und vorhergesagt werden. Alexander Schlaubitz. heit aus. Dafür hat das Unternehmen ein „Bedürfnisrad“ entwickelt, das als Werkzeug für Für Schlaubitz hat die Individualisierung für das Streiks sind auch ein Zeichen einer sich wan- diese Arbeit dient. Am Anfang stehe stets die Ins- Marketing das Zeug zur Zeitenwende: raus aus delnden Branche, auch wenn Schlaubitz Streiks piration des Reisenden, die es zu anzusprechen dem reinen Kostenstellen-Denken hin zum Mo- in der Vergangenheit zeitweise schon fast als gelte. „Manchmal beginnt diese schon am Ende netarisierungspunkt. Das Regel und weniger als Ausnahme betrachten der letzten Reise, das müssen wir wissen“, sagt Marketing sehe alle muss. Umso glücklicher ist Schlaubitz, dass er der Marketingleiter. Den Planungsprozess einer Kontaktpunkte und das Lufthansa-Marketing jetzt endlich wieder Reise zu unterstützen, dabei sieht er noch gewis- könne Zusammen- hochfahren und daran arbeiten kann, das Kun- se Defizite: Intransparenz und fehlende Flexibili- hänge im Sinne der denversprechen einzulösen – trotz immer stär- tät ermöglichten es Dritten, sich zwischen die „Human Centricity“ ker differenzierter Rahmenbedingungen. Lufthansa und ihre Kunden zu schieben. knüpfen. (toa) Der Vollsortimenter Wer den Menschen in den Mittelpunkt stelle, Der Megatrend Individualisierung macht auch der könne auch eine „Airport Experience“, vor dem Reisen nicht Halt. Exklusivität auf der wie sie Schlaubitz nennt, schaffen. Durchsa- Langstrecke für wenig preissensible Kunden gen, Sicherheitskontrollen, Polizei: Eine Reise muss die Lufthansa genauso bieten wie einen habe immer noch viele Friktionspunkte, am günstigen Flug in einen Kurzurlaub übers Wo- Flughafen fühlten sich viele überfordert. An- chenende, möglichst an den Tagesrandzeiten, dererseits hätten Menschen aber auch Zeit damit die Zeit am Urlaubsort großzügig ausge- und gäben lockerer Geld aus. Beides ließe sich nutzt werden kann. „Die Lufthansa war lange vom Marketing aufgreifen. Drei Grundstim- ein Vollsortimenter, wir haben alles unter einer mungen von Menschen an Flughäfen müssten Marke abgedeckt“, sagt Schlaubitz. Das sei im- dabei berücksichtigt werden: aufgeregt (Busi- mer weniger möglich. Mit Eurowings hat das ness), freudvoll (Urlaub) und traurig (Ab- Unternehmen bereits darauf reagiert. schied). Flughäfen werden sich immer ähnlicher und 85 Datenbanken zusammengeführt Flugzeuge außen und innen ebenso. Um aus der Für die Individualisierung oder zumindest die Commodity-Falle herauszukommen, setzt die Kontextualisierung der Reise und der Ausein- Alexander Schlaubitz verantwortet als Vice President das gesamte Marketing von Lufthansa. Alexander Schlaubitz im Interview auf unserem YouTube-Channel 10 10. Deutscher Marken-Summit 2016 Nachgefragt „DER KUNDE FÜHRT REGIE“ Eine starke Marke hat Signalwirkung. In Zeiten der Veränderung ist sie daher ein entscheidender Faktor. Christian Rummel erklärt, wie die Deutsche Bank digital affine Menschen erreicht und welche Rolle die Vergangenheit beim Blick in die Zukunft hat. Das Interview führte Kai Praum. Herr Rummel, auf welche Stärken kann Kann ein Tanker wie die Deutsche Bank tiger sich im Übrigen Medien und Kanäle ent- die Marke sich in Zeiten der Verände- glaubwürdig im dynamischen Markt der wickeln, desto entscheidender ist eine starke rung verlassen? digital Affinen überzeugen? Marke, die sich zwar den Umfeldern anpasst, Die Marke ist ein entscheidender Faktor in Um digital affine Zielgruppen zu erreichen, Phasen der Veränderung. Die Marke muss gilt es für eine Marke, den Menschen zuzuhö- eine Signalwirkung geben, denn sie hat ei- ren und auf ihre Bedürfnisse einzugehen und Wie lässt sich dabei die Marke gezielt in nen Leuchtturmcharakter. Je diversifizierter sich dann auch weiterzuentwickeln und zu die Zukunft „transferieren“? die Kanäle werden, über die man Menschen verändern. Im Hinblick auf die digitale Strate- erreicht, über die Kunden mit Marken inter- gie der Deutschen Bank ist beispielsweise die Um den Blick in die Zukunft zu wagen, hilft agieren, umso wichtiger ist es, dass die Erweiterung der klassischen Beratung um der Blick in die Vergangenheit. Jedes Unter- Marke für etwas steht und Haltung hat. Die- führende digitale Lösungen entscheidend. nehmen hat seinen Ursprung, seine Historie, se Haltung sorgt dafür, dass sich Menschen Für die Entwicklung dieser digitalen Angebo- darin begründet sich meist auch die DNA der mit einer Marke auseinandersetzen, sich te ist insbesondere der intensive Dialog mit Marke. Darin steckt eine Menge Kraft und bestenfalls mit ihr identifizieren, auch emo- Kunden und Technologiepartnern wichtig. Stärke, und die gilt es dann, glaubwürdig in tional – das gilt sowohl für Mitarbeiter als Dafür geht die Bank neue Wege, beispiels- die Zukunft zu transferieren. Starke Marken auch für Kunden. Grundlage für die Ausrich- weise mit der Gründung von Innovation-Labs verfügen dabei über eine ausgeprägte Identi- tung der Marke sind zunächst die Strategie in Berlin, London, San Francisco, der Digital- tät oder Persönlichkeit, die oft auf der Ge- und das Geschäftsmodell des Unterneh- fabrik in Frankfurt am Main und auch in der schichte des Unternehmens, seiner Gründer, mens und auch die Vision. Marken müssen Zusammenarbeit mit Fintechs. Diese offene, deren Überzeugungen, Werte und Visionen sich entwickeln, strategische Veränderun- dialogorientierte Haltung spiegelt sich auch aufbaut. gen des Unternehmens, Bedürfnisse und in der Markenkommunikation wider. aber konsistent über all diese Touchpoints auftritt. Wo liegen die Grenzen von Veränderung Lebenswelten der Kunden sowie der Gesellschaft als Ganzes reflektieren. Die Finanz- Was bedeuten neue Touchpoints für die krise zum Beispiel hat dazu geführt, dass Marke Deutsche Bank? Banken wieder zeigen müssen, dass sie ei- im Hinblick auf Marken? Die DNA des Unternehmens kann sich weiter- nen Nutzen und Mehrwert für Wirtschaft Letztlich sind es die Kunden, deren Einstellun- entwickeln, darf dabei aber die prägenden und Gesellschaft haben. Wir nehmen diese gen und Bedürfnisse sich in der Markenkom- Eigenschaften nicht verlieren. Dabei gilt es, notwendige Veränderung sehr ernst und munikation widerspiegeln müssen. Der Kun- sich an die neuen Bedürfnisse der Gesell- stellen die Kunden und ihre Bedürfnisse bei de führt Regie, er wählt aus. Wir als Bank schaft, die klassischen und sozialen Medien all unserem Handeln in den Mittelpunkt. bieten ihm mit Online, Mobile, Telefon und und letztlich die Kunden anzupassen, um mit Filiale jederzeit flexible Zugangswege. Dort dem Zeitgeist gehen zu können. Und dies, trifft er auf eine zeitgemäße, dialogbereite ohne die Historie zu leugnen, sondern um mit und zukunftsgerichtete Marke. Umso vielfäl- ihr zu arbeiten. Christian Rummel im Interview auf unserem YouTube-Channel 10. Deutscher Marken-Summit 2016 11 DIGITALE TRANSFORMATION ALS TREIBER FÜR DAS BUSINESS Während des „10. Deutschen Marken-Summits“ befragten wir die 200 Teilnehmer nach den größten Herausforderungen, die sie künftig für ihr Markenmanagement sehen. Kulturwandel managen und Vertrauen erhalten sind wesentlich, wenn es gilt, die digitale Transformation zu bewältigen und Geschäftsmodelle wie Kundenkommunikation darauf auszurichten. Die Wordcloud, die während der Veranstaltung entstanden ist, stellt eine Zusammenfassung aus allem dar, was die Teilnehmer des „MarkenSummits 2016“ während der Veranstaltung bewegt hat. Sie ist eine Visualisierung der Stichpunkte und Schlagworte zum Leitthema „Wenn alte Gewissheiten wanken. Wie Marken lernen. Und vergessen.“ Vergessen und verändern Vertrauen vs. Misstrauen Markenstärke Mut zur Veränderung Storytelling Markenmanagement Zeitlos Share Identifikation Markenpositionierung New decade Aufräumen Glaubwürdigkeit Wanken Bindung Geschmack Experimentieren Mut Werte Zuhören können Geschwindigkeit Best Brand Emotional Echtes Bedürfnis erkennen Reform Global aktiv Zeitlosigkeit Neue Struktur Brandmanagement Erdbeere Ehrlich Markenkern Time to market Anstrengend Invest Markenschutz Markenstrategie Innovation Markenbotschaft Personal Branding Nutzen aufzeigen Digitale Transformation Brand-Engagement Bedürfniswelten Fans Abschied Kommunikation Neue Geschäftsmodelle Neugierde Consumer-Closeness Kontaktpunkte besser nutzen Ressort Ehrlichkeit Gewissheiten Dynamik Reformieren und restrukturieren Fragmentierung Krise Krisenmodus Kundenverhalten Kulturwandel Veränderer Wertschöpfungskette Individualisierung Unsicherheit Zusammenhalt Resilienz Strategie Führung Hochphase Stärke im Alltag Unverbindlich volatil Ungewissheit Image Viele Player Lernbereitschaft Politik Vertrauensquote Commitment Marken-DNA nicht Logo Gewissheit neue Marken für neue Zielgruppen Erdbeeren Markenführung Change Veränderungsprozess Austausch Klare Markenbotschaft Mitarbeiter als Markenbotschafter IT und Prozesse verbessern Start-up-Spirit Feedbackfähigkeit Emotionen Wahrnehmung Frühjahrsputz Brands Neuanfang Digital Journey Flexibilität alte Marken entstauben Im Fokus der Öffentlichkeit Spirit Kooperation Markenbotschafter Neue Customer-Journey Individualität Contentmanagement Markenentwicklung Transformation Veränderung Digitalisierung Dialog Vertrauen Marken in Gefahr: Nur reaktiv handeln reicht nicht Permanente Anpassung ist gefordert. Die Teilnehmerbefragung zeigt, dass die Markenstrategie zwar langfristig gedacht, aber laufend adaptiert werden muss. Dabei dürfen die Risiken eines rein situativen Ansatzes nicht unterschätzt werden: Denn ohne klare Haltung laufen Markenmanager Gefahr, Marken-DNA wie Markenkern aufs Spiel zu setzen. Wie beeinflussen interne oder externe Unsicherheiten bzw. Umbrüche Ihre Markenstrategie? Gar nicht, die Strategie ist über drei Jahre oder länger festgelegt und wird exekutiert. 14% 38% 7% Wir passen die operative Ausgestaltung der Markenstrategie jährlich an. 41% Wir passen die operative Ausgestaltung der Markenstrategie laufend an. Wir haben aufgrund der vielen Umbrüche gar keine festgelegte Markenstrategie mehr, sondern entscheiden situativ. Die Grafik zeigt ein Ergebnis der Teilnehmerumfrage beim „10. Deutschen Marken-­ Summit“, durchgeführt von MTI Machwürth Team umd teambits. 12 10. Deutscher Marken-Summit 2016 Impressionen des 10. Deutschen Marken-Summits 2016 Teilnehmer bei der Führung durch das Deutsche Filmmuseum Gekonnte Markeninszenierung: der BrandSpace der Deutschen Bank Reger Austausch beim Networking im Deutschen Filmmuseum Zu Gast in der Zentrale der Deutschen Bank im Herzen von Frankfurt Nicolas Paalzow, CEO, Creative Cosmos, und Andy Payne, Global Chief Creative Officer, Interbrand Christian Rummel, Deputy Global Head of Brand Communications & Corporate Citizenship, Deutsche Bank AG, im Gespräch Wie Marken lernen und vergessen: Spannende Vorträge fanden regen Zuspruch 10. Deutscher Marken-Summit 2016 Gabriele Eick, Ehrenpräsidentin und Kuratoriumsvorsitzende, Marketing-Club Frankfurt, beim Networking Jennifer Treiber-Ruckenbrod, Leitung Markenportfolio Strategie und Markenmessung, BMW Group, im Gespräch mit Dr. Gero Kalt, Geschäftsführer, F.A.Z.-Institut 13 IM HOCHAMT DER KOMMUNIKATION Wahlkampf ist die größte Dialogveranstaltung der Republik. Eine Spielwiese für Markenbildung und Kampagnen, aber auch für Parteilichkeit, Skandalisierung und Störaktionen. Wer das durchhält und weniger Fehler macht, steht am Ende als Sieger dar – auch wenn er schon als Verlierer galt. Markenprofilierung unter Dauerstress. „Haben Sie schon mal gekifft, sind besoffen und schützen. Dass die Realität hinter der „Clown-Affäre“ von Kanzlerkandidat Peer Auto gefahren oder sich von Ihrem Partner Kommunikation tatsächlich aber oft eine an- Steinbrück im Bundestagswahlkampf 2013 nicht im Guten getrennt?“, fragt Frank dere sei, sei eher sekundär: Klaus Wowereit deutlich, als dieser an einem lauen Sommer- Stauss. „Wenn Sie all diese Fragen mit Nein habe in Berlin seinerzeit das Image des Party- abend in Schleswig-Holstein in einem Neben- beantworten können, dann könnten Sie viel- Bürgermeisters gehabt. „Obwohl er ein har- satz Beppe Grillo und Silvio Berlusconi als leicht nochmals über eine politische Karriere ter Arbeiter und Aktenfresser war“, sagt „Clowns“ bezeichnete. „Da war ich nicht nachdenken.“ Frank Stauss hat weit über 20 Stauss. Das müsse kommunikativ berücksich- dabei, deshalb kann ich lästern“, sagt Stauss Wahlkämpfe kommunikativ geführt und be- tigt werden. Dafür würden alle Kanäle im schmunzelnd. gleitet, eine Vielzahl davon für die SPD. Ein Vorfeld bedient, jeder Einzelne könne dem jeder aufs Neue ein „Höllenritt“, wie er sein Kandidaten, der Partei, letztlich dem gesam- Zwischendrin ein Bier Buch betitelte. ten Wahlkampfteam aber zum Verhängnis Nach jedem beendeten Wahlkampf ist Frank werden, weil keine Aussage, keine Botschaft Stauss froh, dann auch mal wieder eine Kam- Von der grauen Maus zur Marke ungefiltert und ohne mediale Begleitung pagne für einen Joghurt oder ein Bier zu ma- Wahlkampf, das bedeute Markenbildung und beim Empfänger ankomme. chen, um zu entspannen. Nicht dass das nicht -profilierung in knapper Zeit und unter er- auch schwierig wäre, aber die Spielregeln schwerten Bedingungen. Etwa 30 Millionen Alles auf einmal seien andere. Kein Dauerfeuer. Und die Euro stellten die beiden Volksparteien für Marken- und Kommunikationsmanager, die nächste Wahl kommt sowieso wieder schnel- eine Bundestagswahl jeweils zur Verfügung, für Unternehmen arbeiteten und nicht gera- ler als gedacht. (toa) richtig werblich werde es erst in den letzten de im „Krisenmodus“ seien, könnten sich sechs Wochen. Davor sei Kommunikation mit auch gern mal auf Teilprojekte beschränken: anderen Mitteln gefragt. Wahlkampf, das sei CEO-Positionierung, Social Media, Agenda- deshalb auch die größte Dialogveranstaltung setting, Eventmarketing, klassische Wer- der Republik. Und gerade in dieser könnten bung, um nur eine Auswahl zu nennen. farblose Spitzenpolitiker zu echten Marken Wahlkampf hingegen sei alles auf einmal. werden, wenn sie richtig inszeniert werden, Dafür sei aber auch fast alles erlaubt: weiß Stauss. vergleichende Werbung, offensive Par- teilichkeit, das Durchstechen von InforSchwachstellen am „Produkt“ stellten dabei mationen, die Skandalisierung von Er- kein Problem, sondern lediglich eine zusätzli- eignissen und Themen des politischen che Herausforderung dar: „Wenn man die Gegners, egal wie lange sie auch her Schwachstellen nicht abstellen kann, muss seien, und das Abwehren von Angriffen man damit umgehen können“, sagt Stauss – 24/7 während des gesamten Wahl- und macht damit auch allen Markenmana- kampfes. Die Fehleranfälligkeit steige da- gern Mut, die mit alten Gewissheiten, die durch bei allen Akteuren. Und wie schnell nicht mehr gelten, hadern oder deren Marken sich eine unüberlegte Bemerkung wie mit Imageproblemen kämpfen. Auf eines legt ein Lauffeuer verbreitet, macht Frank Stauss aber schon großen Wert, näm- Stauss anhand der lich auf Konsistenz: „Person, Partei und Programm müssen bitte zusammenpassen.“ Eine Kampagne müsse eine Botschaft orchestrieren und verbreiten, aber auch erhalten 14 Frank Stauss, Agenturinhaber und Buchautor, gilt als profiliertester Wahlkampfexperte. Er hat weit über 20 Wahlkämpfe kommunikativ bestritten. 10. Deutscher Marken-Summit 2016 Nachgefragt „ES GIBT KEINE BLAUPAUSE“ Marken haben durch die Digitalisierung immer mehr Möglichkeiten, zu kommunizieren und zugleich die Kundenwünsche zu antizipieren. Jens Grefen fordert CMOs auf, dem Kunden daher zuzuhören, um als wichtigster Treiber der Markenführung Wachstum für Marke und Unternehmen zu generieren. Das Interview führte Kai Praum. Herr Grefen, in welcher Form verändert gement – und daher ist eine Organisation not- für die Einführung neuer Organisationsmodel- die Digitalisierung die Markenführung? wendig, in der alle Unternehmensbereiche eng le gibt es nicht – gerade bei der Entwicklung zusammenarbeiten können, um nahtlose, stim- eines stimmigen Operating Models, dass die Aus Markensicht ist die Digitalisierung eine mige und bestenfalls sinnstiftende Markenkon- Markenwahrnehmung in den Mittelpunkt komplexere Art der Kommunikation. Es kom- takte zu ermöglichen. Dazu tragen andere stellt und wesentliche Funktionen daran aus- men für die Marke weitere Kanäle hinzu, auf Funktionen wie Vertrieb, Personal oder Finance richtet, gilt: „Structure follows strategy.“ Ex- denen sie kommunizieren kann, wenn nicht genauso bei wie das klassische Marketing. perimentieren, Lernen und Anpassen werden sogar muss. Denn wir wissen alle: Die Welt auch hier zu entscheidenden Erfolgsfaktoren. dreht sich schneller, die Kunden haben andere Können Sie die Rolle des CMO dabei Ansprüche an Marken und an den Dialog mit konkretisieren? Was können etablierte Markenunternehmen von Start-ups und den großen Marken. In Zeiten der digitalen Transformation ist Markenarbeit daher ein konstanter Prozess. Der CMO ist der wichtigste Treiber moderner Digitalplayern wie Amazon, Facebook Eine der Hauptaufgaben von Markenverant- Markenführung. Er ist Gestalter, Impulsgeber, oder Google lernen? wortlichen ist es daher heute, lern- und reakti- Rahmen- und Sinngeber. Der CMO muss sich da- onsfähige Strukturen aufzubauen, die es der bei viel stärker die Brille des Kunden aufsetzen, Ein Traditionsunternehmen, das seit 100 Jahren Marke ermöglichen, sich iterativ weiterzuent- um den Kunden zu verstehen und die Marke füh- in seiner Branche besteht, hat bereits bewiesen, wickeln und dabei in jedem Schritt dazuzuler- ren zu können. Denn er bringt Menschen zusam- innovativ zu sein und auf Kundenbedürfnisse ein- nen. Die Komplexität der Touchpoints können men, um Wachstum für die Marke und das Un- zugehen. Das darf man nicht vergessen. Auf der wir nicht mehr rein planerisch bewältigen – es ternehmen zu ermöglichen. Er wird somit auch anderen Seite haben die angesprochenen Mar- gilt, auch Experimente zuzulassen und die Mar- zum Chief Growth Officer jeder Organisation. ken die digitale Welt viel besser verstanden und ke gleichzeitig als Orientierungs- und Filterfunktion für die eigenen Aktivitäten zu begreifen. somit auch mitgeprägt. Sie können auf dieser Was bedeutet das für die Organisation Ebene besser bestehen und gehören mittlerweile strategischer Markenführung? zu den wichtigsten und bedeutendsten Marken Welche Auswirkungen hat diese Komplexität auf die Rolle der Marke? der heutigen Welt. Sie verfügen über sehr starke Um mit den vielen Veränderungen bei Verbrau- Alleinstellungsmerkmale – und waren daher in chern, Wettbewerbern und Medien Schritt hal- der Vergangenheit in der Lage, auf Markenkom- Für Marken gilt es, mit Komplexität, Unsicher- ten zu können, gilt es auch, die eigenen munikation, die vor allem das Produkt sprechen heit und konstantem Wandel konstruktiv umzu- „Brand Capabilities“ zu hinterfragen – dies lässt, zu fokussieren. Alle drei Marken haben es in gehen. Kernaufgabe von Marken ist es, Wachs- betrifft gleichermaßen Führung, Struktur und der Vergangenheit geschafft, für die von ihnen tum zu treiben – der Chief Marketing Officer Organisationsform der Markenfunktionen. Die geschaffene Kategorie zu stehen. Das ist aller- (CMO) wird dabei noch stärker zum kanalneu- eigene Marke ist dabei Treiber des Wandels – dings sehr selten. Immer dann, wenn Wettbe- tralen Chief Experience Officer. Schließlich be- und hat daher großen Einfluss auf die ganze werb entsteht, wird auch die Kommunikation trifft seine Aufgabe viel mehr als das Marke- Organisation, die Kultur und die zukünftige der Marke noch emotionaler daherkommen ting-Silo: Im Mittelpunkt steht Customer-Enga- Geschäftsstrategie. Allerdings: Eine Blaupause müssen. Jens Grefen im Interview auf unserem YouTube-Channel 10. Deutscher Marken-Summit 2016 15 AM SMARTPHONE INFORMIEREN, ABER DANN IM LADEN KAUFEN Die Digitalisierung verändert das Kundenverhalten und damit die Geschäftsmodelle. Was bedeutet das für den Kaufentscheidungsprozess? Wann entscheiden sich Menschen für eine bestimmte Marke und warum? Der Analyse des Kundenverhaltens und seinem Verständnis kommt auch in der digitalisierten Welt eine ungebrochen hohe Bedeutung zu. Das Informations- und Mediennutzungsver- städten der deutschen Metropolen, etwa auf große Anstrengung nötig, um diesen Sinn des halten und auch das Kaufverhalten der Men- der Frankfurter Zeil. „Die Offlinekanäle ha- Unternehmens für die Gesellschaft herauszu- schen sind heute insgesamt deutlich komple- ben für uns nach wie vor eine große Bedeu- arbeiten. „Man konzentriert sich in Deutsch- xer geworden. Sie verlagern sich zunehmend tung“, sagt Sabine Kloos, Director Brand & land eher stärker auf das ‚Was‘ und auf das in den digitalen Bereich. Doch will man Nä- Communications bei Telefónica Deutschland. ‚Wie‘ – Stichwort Ingenieurskunst –, aber we- heres über einzelne Gruppen der Gesellschaft Was sie feststellt, ist, dass die Kunden zwi- niger auf das ‚Warum‘“, sagt Berthold-Krem- erfahren, muss man schon genauer hinsehen. schen den On- und Offlinekanälen variieren. ser. Erfolgreiche Marken kommunizieren nicht, Digitalisierung ist ein Treiber, dem sich ohne Was die Menschen wollten, seien Transpa- was der Kunde kaufen kann, sondern was den Zweifel alle Unternehmen zu stellen haben. renz und schnelle Wechselmöglichkeiten zwi- Kunden erfolgreich macht, dessen Leben er- „Allerdings darf nicht übersehen werden, schen den Kanälen. In drei Viertel aller Fälle leichtert. Und selbst in der Diskussion um das dass viele Menschen noch gar nicht in der beginne die „Customer-Journey“ jedoch on- „Warum“ seien bei Siemens erste Antworten digitalen Welt angekommen sind“, sagt Co- line, auch wenn die Kunden danach stationär oft rein ökonomisch getrieben gewesen – Um- rinna Güllner, Geschäftsführerin des Markt- beim nächsten O2-Shop einkaufen würden. satz als der Ursinn allen Handelns. forschungsinstituts forsa. Kritische Betrachtung Gar nicht online seien 20 Prozent der Gesamt- „Je vielfältiger sich Kanäle entwickeln, Braucht jedes Unternehmen und jede Marke bevölkerung. Von den 80 Prozent mit Internet- desto entscheidender ist eine Marke, die immer einen höheren Sinn, weil es die Ver- zugang seien 10–15 Prozent sehr zurückhal- sich den Umfeldern anpasst und konsis- braucher wollen? Eine pauschale Antwort tend, checkten einmal wöchentlich Mails und tent über alle Touchpoints auftritt.“ darauf ist nicht möglich. „Für Gründer und recherchierten ab und an. „Mit Onlinemarke- junge Unternehmer ist es oftmals leichter, ting kann man diese Menschen aber nicht er- diesen Zweck zu finden, als für ältere Unter- reichen“, sagt Güllner. Der Rest bewege sich zwischen „Digital Natives“ und „Digital Immigrants“, die sehr genau darauf achten, was sie im Internet machen, und die Möglichkeiten nehmen“, sagt die Ex-Siemens-Managerin Christian Rummel, Deputy Global Head of Brand Communications & Corporate Citizenship, Deutsche Bank AG Berthold-Kremser. Im Prozess der Revitalisierung einer Marke sollte man deshalb immer fest einen Fuß in der Vergangenheit und ei- sehr bewusst einsetzen. Darauf sollten Unter- Höherer Zweck nen in der Zukunft haben. Den höheren Sinn nehmen bei der Ausrichtung und Gestaltung Was treibt Menschen aber überhaupt dazu, einer Unternehmung zu hinterfragen, bevor ihrer Markenkommunikation stets achten. sich für eine Marke und ein Unternehmen man sich bewusst für die eine oder andere und damit gegen eine andere Marke zu ent- Marke entscheidet, wird vor allem der Gene- Klischees greifen zu kurz scheiden? „Es ist der ‚Purpose‘, ein höherer ration Y nachgesagt. Dass jüngere Zielgrup- Die Klassifizierung „jung und online“ vs. „alt Zweck, der den Menschen sinnvoll vermittelt pen Unternehmen und ihrem Zweck beson- und offline“ greift der Expertin zufolge aber werden muss“, betont Birgit Berthold-Krem- ders kritisch gegenüberstehen, lässt sich laut auch zu kurz. Auch junge Menschen würden ser, die bis vor kurzem noch die Markenkam- Güllner so aber nicht feststellen. „Preissen- bei der Information über Produkte nach wie pagnen bei Siemens verantwortete. sible Gruppen achten nicht zu sehr auf Sozial- vor stark auf persönliche Gespräche setzen standards“, sagt sie. und sich je nach Produkt auch gern beraten Der „Purpose“ konkretisiert die Existenzbe- lassen. Telefónica mit seiner Ankermarke O2 rechtigung des Unternehmens und beantwor- Sabine Kloos hingegen kann bei der jüngeren investiert daher beispielsweise nach wie vor tet die Frage, wie es das Leben des Kunden Generation schon einen Wertewandel erken- stark in seine Flagshipstores in den Innen- bereichern kann. Auch bei Siemens war eine nen. Als verbindendes Element sieht sie den 16 10. Deutscher Marken-Summit 2016 „Corporate Trust“, der im besten Fall einen deutlich früher, als man in der Markenkommu- Einfach mal machen Einfluss auf die Kaufentscheidung hat. Grei- nikation darauf reagiert und als man es daher Muss man sich daher vielleicht mehr trauen fen Markenkommunikation und Corporate wahrnimmt“, sagt Kloos. Die Fusion von O2 in der Markenführung, wenn sich Geschäfts- Trust ineinander, verstärken sie sich gegen- und E-Plus habe man ihr zufolge als Sprung- modelle und Kundenverhalten ändern? Alte seitig. brett genutzt, die Digitalisierung im eigenen Hierarchien und eingefahrene Prozesse än- Unternehmen voranzutreiben. Eines Tages wür- dern sich nicht von heute auf morgen. „Es ist den Maschinen vollautomatisiert individuelle allen klar, dass nicht jeder Social-Media-Post Tarife zusammenstellen, gibt Kloos einen klei- durch mehrere Freigabeschleifen sollte“, sagt nen Ausblick in die Zukunft. Der vielzitierten Birgit Berthold-Kremser. Deutschland sei in Losgröße 1, also der Möglichkeit, Produkte bis dieser Hinsicht sehr kontrollverliebt. Die Un- zur kleinstmöglichen Produktionsmenge indivi- ternehmenssprache sieht sie hier als Hebel, duell zu spezifizieren, kommt das schon sehr gegenseitiges Vertrauen im Unternehmen zu nahe. Die Mehrmarkenstrategie von Telefónica, fördern und einen entsprechenden Kultur- auf die das Unternehmen auch künftig setzen wandel zu initiieren. (toa) möchte, ist dafür sicherlich auch hilfreich. Strategieentwicklung parallel Die Markenstrategie muss aber nicht nur der Unternehmensstrategie folgen, sondern im besten Fall gleichzeitig und gemeinsam entBirgit Berthold-Kremser war Head of Brand and Campaigns bei Siemens und verantwortete u.a. das weltweite Markenprogramm. wickelt werden, betont Birgit Berthold-Kremser. „Bei Siemens haben dafür die Kommunikations- und die Strategieabteilung ganz eng zusammengearbeitet“, sagt sie und weist Großer Wandel kommt noch darauf hin, wie wichtig es war, auch die HR- Sind viele Unternehmen andererseits aber viel- Abteilung ins Boot zu holen, um auch die leicht zu „jugendzentriert“ in ihrer Kundenan- Ansprache der künftigen Fach- und Füh- sprache? Das glaubt Corinna Güllner nicht. Die rungskräfte konform mit der Strategie zu ge- Unternehmen wüssten schon sehr gut, wie stalten. In der Praxis sei ein solches Vorgehen und wo sie ihre unterschiedlichen Zielgruppen freilich sonst noch selten. Oft müsse es erst am besten erreichen. „Aber es ist schon so, zu einer Krise kommen, damit sich Unterneh- dass wir uns an den Digital Natives orientie- men über Abteilungsgrenzen hinweg Gedan- ren, weil sie die Kunden der Zukunft sind“, ken über eine einheitliche Strategie machten. Sabine Kloos ist Director Brand & Communications bei Telefónica Deutschland. sagt Sabine Kloos, die aber auch weiß, dass Unternehmen wie Telefónica dort heute noch nicht sind. Klassische TV-Werbung beispielsweise sei deshalb aktuell immer noch wichtig, verändere sich aber von Jahr zu Jahr. Kloos rechnet damit, dass sich ein größerer Wandel hin zum Digitalen in den kommenden fünf Jahren vollziehen wird. „Das hängt auch davon ab, wie schnell die Medien der Digitalisierung nachkommen“, sagt die Branding-Expertin. Die punktgenaue Zielgruppenansprache auch im TV nennt sie dabei als konkretes Beispiel. Abseits der stärker marketingkommunikativen Elemente helfen die vielen Daten, die durch die Digitalisierung (re-)produziert werden, natürlich auch dabei, den Kunden ein noch passge- Corinna Güllner ist Geschäftsführerin des Marktforschungsinstituts forsa in Frankfurt und Berlin. naueres Angebot zu stricken. „Das passiert 10. Deutscher Marken-Summit 2016 17 Nachgefragt „MARKENRECHT FORDERT IMMER WACHSAMKEIT“ Marken und Geschäftsmodelle sind einem ständigen Wandel ausgesetzt. Der Markenschutz ist dabei der Anker, um Marken systematisch weiterentwickeln zu können. Das Interview führte Kai Praum. Geschäftsmodelle ändern sich – ändert ständliche, dauerhafte und objektive Dar- forderungen entspricht, denn weltweite Stra- sich der Markenschutz mit? stellung an. tegien sind gefragt wie nie. In unserer zunehmend dynamischen und Können Sie konkrete Beispiele nennen? Unter welchen Voraussetzungen kann ein Markeninhaber seinen Markenschutz und ­globalisierten Wirtschaft sind Unternehmen heute mehr denn je gefordert ihre Marken Die mangelnde grafische Darstellbarkeit die Ansprüche daraus sogar unwissent- laufend weiterzuentwickeln und neue Felder war der Grund, warum Geruchs- und Ge- lich verlieren? und Märkte zu erschließen. Marken sind nicht schmacksmarken statisch. Sie entwickeln sich, verändern sich, ­gescheitert sind. Wurde bisher dem Geruch Das Markenrecht fordert immer eine gewisse werden auf neue Geschäftsmodelle erwei- einer reifen Erdbeere der markenrechtliche Wachsamkeit der Markeninhaber. Insbeson- tert. Dies bringt natürlich auch für das Mar- Schutz noch verwehrt, so kann es in Zukunft dere bei der Weiterentwicklung von Marken kenrecht neue Herausforderungen und not- durchaus möglich sein, solche Gerüche regist- und der Erweiterung der Marke auf neue wendige Änderungen mit sich. rieren zu lassen. Doch nicht nur Geruchs- und ­Geschäftsmodelle verändern sich im Laufe an der Registrierung Geschmacksmarken werden von dieser No- der Zeit das Logo, der Schriftzug oder die Wa- Die EU möchte ab September 2017 den vellierung profitieren, sondern auch Klang- ren und Dienstleistungen. Diese Änderungen Markenschutz unkonventioneller Marken marken. Bei Klangmarken wird statt der Ein- ­mögen oft nur geringfügig sein, jedoch kann stärken. Was hat es damit auf sich? reichung von Transkriptionen die Einreichung es im Laufe der Zeit so weit kommen, dass die von Klangdateien ausreichen. benutzte Marke nicht mehr mit derjenigen Nachdem neben Logos und Worten auch identisch ist, die eingetragen wurde. Falls die konturlose Farben und Farbkombinationen Mit welchen rechtlichen Änderungen ist aktuelle Form der Marke zu stark von der geschützt werden konnten, reicht der Schutz in naher Zukunft noch zu rechnen? ­registrierten Form abweicht oder der Marken- jetzt noch weiter. Durch das Inkrafttreten inhaber beispielsweise sechs Jahre nach der der EU-Markenrechtsreform wurde unter Die EU möchte bis 2019 das europäische Markenanmeldung ganz andere Waren her- anderem auch die Markendefinition liberali- Markensystem mit einer umfassenden Mar- stellt als bei der Anmeldung, muss er eine siert. Künftig wird die grafische Darstellbar- kenrechtsreform harmonisieren, modernisie- neue Marke anmelden. keit einer Marke keine erforderliche Voraus- ren und international stärken. Ziele sind die setzung für ihre Eintragung darstellen. Ein Schaffung von mehr Effizienz und Rechtssi- Zeichen soll in jeder geeigneten Form unter cherheit im EU-Markensystem und die Stär- Verwendung allgemein zugänglicher Tech- kung der Rechte der Markeninhaber. Seit der nologie dargestellt werden dürfen. Es Markenrechtsreform besteht in Deutschland kommt daher auf eine eindeutige, präzise, in ein modernes Schutzsystem, das der interna- sich abgeschlossene, leicht zugängliche, ver- tionalen Entwicklung und den aktuellen An- Dr. Christoph Holzbach im Interview auf unserem YouTube-Channel 18 10. Deutscher Marken-Summit 2016 Kurzgefasst: Trends für starke Marken DIGITALE TRANSFORMATION ALS CHANCE FÜR STARKE MARKEN Thomas Lindner, Vorsitzender der Geschäftsführung, Frankfurter Allgemeine Zeitung Die digitale Transformation ist eine herausragende Chance für starke Marken – wenn sie sich an den Kundenbedürfnissen und Markenwerten orientiert. Gerade die Phase der Transformation erfordert sehr hohe Aufmerksamkeit, was die Führung der Marke anbetrifft, denn viele Parameter ändern sich – und das oft gleichzeitig. Die „DNA“ der Marke liegt dabei sowohl im Unternehmen selbst und in seinen Menschen als auch im Markt und seinen Nutzern, deshalb muss man sie mit dem Blick auf beide Seiten klug und bewusst führen. Das betrifft die digital induzierten Transformationen ebenso wie die „analogen“ Entwicklungen. ZIELGRUPPEN IM BLICK BEHALTEN Corinna Güllner, Geschäftsführerin, forsa-Institut Das Mediennutzungsverhalten hat sich stark verändert. Markenverantwortliche sind jedoch wohlberaten, die Unterschiede im Nutzungsverhalten einzelner Gruppen zu berücksichtigen, sonst droht die Gefahr, wichtige Zielgruppen nicht zu erreichen. Neben den „Digital Natives“ gibt es Gruppen, die sich gar nicht, weniger oder defensiver im Internet bewegen: 20 Prozent der deutschen Bevölkerung haben gar keinen Internetzugang, 10-15 Prozent nutzen das Internet nur einschränkt (Digital Outsider) und 20 Prozent mit Vorsicht (Digital Immigrants). Für eine Marke mit breiter Zielgruppe gilt es daher, nicht nur auf Onlinekommunikationskanäle zu setzen, sondern auch bewährte Kommunikationsmedien zu nutzen. Auch wenn sich Kauf und Recherche zunehmend ins Internet verlagern, spielen der stationäre Handel und die persönliche Beratung bei der Kaufentscheidung nach wie vor eine wichtige Rolle. Für die Messung des Markenerfolgs wird vor allem die Markenbekanntheit abgefragt. Dieses Messkriterium reicht aber allein nicht aus. In Marken- und Imageuntersuchungen werden daher weitere Parameter berücksichtigt, wie Wahrnehmung, Image, Kommunikationsmaßnahmen, Vertrauen, tatsächliche und zukünftige Nutzung und Weiterempfehlung. Die einzelnen Dimensionen werden zu einem Gesamtbild zusammengefügt und als Steuerungsinstrument genutzt. 10. Deutscher Marken-Summit 2016 19 VeranstalterMitinitiator Mitveranstalter Partner Supporter Partner für das interaktive Voting Kooperationspartner Wir danken unseren Fachbeiräten Hauptmedienpartner Medienpartner Professor Dr. Christian Belz Gabriele Eick Universität St. Gallen, Geschäftsführender Direktor, Institut für Marketing Ehrenpräsidentin und Kuratoriumsvorsitzende, Marketing-Club Frankfurt, Beiratsvorsitzende, CLUK (Cluster der Kreativwirtschaft in Hessen) Inhaberin, Executive Communications