Graciela Paraskevaídis Pionier der elektroakustischen Musik Zum Tod von Conrado Silva Der uruguayische, 1940 in Montevideo geborene Komponist und Akustiker Conrado Silva ist am 5. Januar in São Paulo, Brasilien, an einem Herzversagen infolge eines Krebsleidens gestorben. Silva, der als einer der Pioniere der elektroakustischen Musik in Lateinamerika gilt, hat sich in seiner Heimatstadt parallel zu Kompositionsstudien bei Héctor Tosar als Ingenieur ausbilden lassen. Als DAAD-Stipendiat war er 1962 bis 1964 Schüler von Boris Blacher, Hans Hartig und Hans Heinz Stuckenschmidt an der Berliner Musikhochschule und belegte darüberhinaus Kurse an der TU bei Fritz Winckel und Lothar Cremer, ferner bei Friedrich Spandöck und Werner Bürck an der Münchner Universität. 1963 und 1964 besuchte er die Darmstädter Ferienkurse für Neue Musik, wo er an den Seminaren von Stockhausen, Boulez, Pousseur, Berio, Ligeti, Babbitt und Kagel teilnahm. Bei der Biennale Zagreb im Mai 1963 machte er die Bekanntschaft von John Cage, dessen Einfluss in Werken wie „Música para diez radios portátiles“ (Musik für zehn Kofferradios, 1964) zu spüren ist. Dieser Komposition, die noch im Entstehungsjahr in Berlin uraufgeführt wurde, liegt eine Partitur zugrunde, die am Leibniz-Rechenzentrum der Bayerischen Akademie der Wissenschaften vom Computer generiert wurde. Conrado Silva war 1966 Mitbegründer des Núcleo Música Nueva de Montevideo und 1968 der Sociedad Uruguaya de Música Contemporánea, der nationalen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik. 1969 siedelte er nach Brasilien über, gründete dort das Núcleo Música Nova de São Paulo und war in den darauffolgenden Jahren eine treibende Kraft bei der Sociedade Brasileira de Música Eletroacústica (SBME), der Grupo de Acústicos Latinoamericanos (GALA), dem brasilianischen Label Tacape, den Cursos Latinoamericanos de Música Contemporánea, der International Computer Music Association, deren stellvertretender Vorsitzender er von 1997 bis 1999 war, und bei mehreren nicht institutionellen Lehr-Initiativen. Seine akademische Lehrtätigkeit begann schon in Montevideo an der Universidad de la República und setzte sie in an den Universitäten São Paulo (UNESP) und Brasília fort, wo er das elektronische Studio leitete und als Professor für Komposition und musikalische Akustik bis zu seiner Emeritierung tätig war. In Südamerika als Fachmann für Raumakustik weithin anerkannt, beteiligte Silva sich an der Planung und Restaurierung zahlreicher Konzert- und Kongresssäle, darunter - als Mitarbeiter von Oscar Niemeyer - das Memorial de América Latina in São Paulo und Brasília. Unter seinen Werken, die auf verschiedenen Tonträgern vor allem in Brasilien und Uruguay veröffentlicht wurden, zählen sowohl vorwiegend für Kammerensemble geschriebene Instrumentalstücke als auch elektronische Kompositionen, ein Umfeld, in dem er sich ganz wohl fühlte. Besonders vorzuheben sind darunter „Equus“ (1976), „Natal del Rey“ (Geburt Christi 1978–1981) und „Espaços habitados“ (Bewohnte Räume, 1994). „Equus“ war zunächst als Bühnenmusik zum gleichnamigen Stück von Peter Shaffer konzipiert: Die Stimmen der Schauspieler wurden zusammen mit verschiedenen Klangquellen und -körpern, zum Beispiel Schläuchen, verarbeitet. „Natal del Rey“, das in Bourges entworfen und später in São Paulo beendet wurde, beruht auf Mikrophonaufnahmen von „folguedos“, den afro-brasilianischen synkretischen Weihnachtsritualen und -umzügen. Mit „Espaços habitados“ schuf Silva schließlich ein 1 komplexes multimediales Werk, eine abendfüllende zehnteilige sogenannte „pluriópera“ nach Texten aus dem Buch „Galaxia“ (1984) des brasilianischen Dichters Haroldo de Campos. In: Musiktexte, 140, II-2014, 78. 2