Zickenkrieg in der Kalahari - The Kalahari Meerkat Project

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Wissenschaft
TIERE
Zickenkrieg in der Kalahari
Erdmännchen sind die wohl sozialsten aller Säugetiere.
Bei ihnen regiert ein Weibchen, alle anderen füttern die Brut der
Königin. Ist die Spezies auf dem Weg zum Bienenstaat?
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liche Kombination macht die südwestafrikanischen Raubtierchen zum intensiv
studierten Forschungsobjekt. „Erdmännchen können uns entscheidende Einsichten in die Evolution der Kooperation
liefern“, erklärt Timothy Clutton-Brock
von der University of Cambridge. Seit
14 Jahren schon stellt der Zoologe den
kleinen Räubern aus der Kalahari nach,
wiegt, misst, beobachtet sie. Als intimer
Kenner von Blümchen und Co. ist er es
auch, der die Doku-Soap wissenschaftlich
begleitet.
Clutton-Brock will vor allem das Rätsel
der Arbeitsteilung aufklären: „Evolutionärer Logik zufolge bemisst sich der Erfolg
eines Individuums gewöhnlich nach der
Anzahl seiner Nachkommen.“ Warum
also, so fragt er, für anderer Leute Kinder
knechten, ohne selbst welche zeugen zu
dürfen?
NIGEL J. DENNIS / GALLO IMAGES / CORBIS
till, hoch aufgerichtet steht das kleine
Raubtier; sein Fell flimmert golden
im Abendlicht der Kalahari – dann
sprintet es los. Wie ein Sturmwind fällt
Blümchen über Mozart her; fiepend wirft
sich die Unterlegene in den Wüstensand,
ergibt sich der Raserei der anderen – es ist
ihre Mutter.
Blümchen beißt ihre Tochter Mozart,
mehrfach, immer in dieselbe, bereits blutig
verkrustete Wunde am Schwanzansatz.
Dann lässt sie ab. Es gibt noch mehr zu
tun: Sie wird gebraucht im Bandenkrieg
gegen die Grabowskis, und sie muss noch
die Babys der Buddelbrooks töten.
TV total aus der Kalahari – wie seinerzeit Flipper oder Clarence, der schielende
Löwe, sind Blümchen und Mozart erfolgreiche Serienstars. „Und täglich grüßt das
Erdmännchen“ heißt die Doku-Soap im
Bezahlfernsehen Premiere. Es geht um einen Erdmännchen-Clan in der rotsandigen
Halbwüste im südlichen Afrika.
In Big-Brother-Manier verfolgt die Kamera das Intimleben der Tiere bis in die
Tiefen ihres Baus. So erfolgreich läuft die
Serie, dass sich nun sogar zwei Kamerateams, von BBC und Discovery Channel, in
der Kalahari tummeln, um Spielfilme übers
Lieben, Kämpfen, Fressen und Sterben der
Erdmännchen zu drehen.
Die Tiere sind, mit ihren dunklen Augenringen im Heroin-Chic, nicht nur sehr
telegen – sie gelten auch biologisch als
Besonderheit: Das Erdmännchen ist eines
der sozialsten Säugetiere auf Erden. Nur
Nacktmulle, die wohl hässlichsten Nagetiere der Welt, können es in puncto Staatenbildung mit ihnen aufnehmen.
Ähnlich wie Ameisen oder Bienen teilen sich Angehörige einer ErdmännchenGruppe die Arbeit; im Team vermögen sie
sogar große Giftschlangen zu besiegen.
Doch die vielen Helfer im Clan zahlen einen hohen Preis: Sie verzichten weitgehend auf eigenen Nachwuchs.
Daher schwelt Krieg in den Großfamilien, eine brutale Auseinandersetzung um
das Privileg der Fortpflanzung. Und anders als bei fast allen anderen Säugetieren
spielt sich der Kampf hier vor allem unter
den Weibchen ab: Da schicken Mütter ihre
Töchter ins Verderben, Großmütter töten
ihre neugeborenen Enkel, Tanten beißen
ihre Nichten und Neffen tot.
Liebevolle Arbeitsteilung, gepaart mit
blutigem Zickenkrieg – diese eigentüm-
Drei wichtige Jobs hat ein bis zu 50köpfiger Erdmännchen-Clan zu vergeben:
Nahrungsbeschaffer, Babysitter, Wächter.
Solange die Jungtiere noch zu klein sind,
geht nur ein Teil der Gruppe auf die Jagd,
buddelt nach Larven, fängt Pfeifgeckos,
klaut Schildkröteneier. Ein oder zwei Kindergärtner passen unterdessen auf die Kleinen auf; weibliche Babysitter können sie
wie Ammen sogar säugen, auch wenn sie
selbst keinen Nachwuchs haben.
Wenn die Kleinen dann nach drei Wochen aus dem Bau kriechen, bekommen
sie Lektionen im Beutefang. Peu à peu
bringen ihnen die Älteren bei, wie sie zum
Beispiel mit dem Skorpion umzugehen
haben – einem speziellen Leckerbissen,
gleichsam der Hummer des Erdmännchens.
Unterdessen passen Kollegen auf den
ganzen Trupp auf: Aufrecht postiert auf
Baumstümpfen oder Dünengraten, die
Buddelarme vorm Bauch hängend, suchen
die Wächter unablässig den Himmel und
die Wüste ab.
„Bis zu fünf Kilometer weit können die
Erdmännchen gucken“, berichtet die Zürcher Zoologin Marta Manser, eine Kollegin
von Clutton-Brock. Naht eine afrikanische
Wildkatze, eine Giftschlange oder ein Habicht, warnen die Wächter ihre Kollegen
mit ganz spezifischen Rufen.
Die stürzen sich dann in die Höhlengänge ihres Baus, oder sie drücken sich flach an
Erdmännchen-Gruppe: Da schicken Mütter ihre Töchter ins Verderben, Großmütter töten Enkel,
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Tanten beißen Nichten und Neffen tot
ANDY YOUNG / UNIVERSITY OF CAMBRIDGE
WALTER BIERI / KEYSTONE ZÜRICH
den Wüstenboden, um sich unsichtbar zu
machen. Besonders verblüffend aber ist
eine dritte Strategie: Mitunter nämlich
schließen sich sämtliche Erdmännchen urplötzlich zu einem großen Pulk zusammen,
klettern aufeinander, klammern sich fest.
Sekunden zuvor noch furchtgelähmte und
fluchtbereite Einzelwesen, haben sie sich
jetzt vereint zu einem respekteinflößenden
Kollektivwesen – gemeinsam sind sie stark.
Die vorn stehenden Erdmännchen verneigen sich dabei arhythmisch, als zuckten da Dutzende Arme und Beine an dem
neugeschaffenen Monstergeschöpf. Biologin Manser hat beobachtet, wie die Tiere
auf diese Weise auch große Schlangen und
sogar einen Wüstenluchs in die Flucht geschlagen haben.
So gut aber der Zusammenhalt nach
außen funktioniert, so erbittert werden die
Konflikte im Innern ausgetragen. Mit Verbannung bestraft das dominante Weibchen,
in der TV-Serie als „Blümchen“ verniedlicht, jeden Versuch seiner Schwestern und
Töchter, eigenen Nachwuchs in die Welt
zu setzen. Die Exilantinnen folgen dem
Trupp dann meist in sicherer Entfernung,
versuchen immer wieder, ihre Königin zu
erweichen, indem sie sich vor ihr in den
Staub werfen oder anbieten, ihr das Fell zu
putzen.
Bis zu viermal gebärt die Chefin im Jahr
jeweils zwei bis sechs Junge. Und nie ist sie
Zoologin Manser, kämpfende Weibchen: Krieg ums Privileg der Fortpflanzung
so grantig wie zu der Zeit, wenn sie trächtig ist. Wehe, wenn dann eines der unterlegenen Weibchen ein Junges wirft. Oft ist
es im Handumdrehen totgebissen.
Der Erzeuger der Königinnenbrut ist
meist das dominante Männchen. Das hat
aber nicht ganz so viel zu sagen wie sie –
die Regentschaft des Paares ähnelt der von
Queen Elizabeth und Prince Philip.
Diese Rollenverteilung ist höchst ungewöhnlich. Meist sind es in der Tier- wie in
der Menschenwelt die Männchen, die mit
Geweih, Gebrüll oder Gezank um die Weibchen kämpfen; im Laufe der Evolution sind
sie bei den Säugetieren darum meist größer und stärker geworden als diese.
Ganz anders bei den Erdmännchen:
Hier sind die Chefinnen schwerer als die
Männchen, außerdem stärker und größer
als ihre unterlegenen Geschlechtsgenossinnen. Sogar mehr Testosteron fließt in
ihren Adern. Die dominanten Männchen
hingegen unterscheiden sich nicht von den
männlichen Vasallen. Warum nur?
„Die Weibchen haben mehr zu gewinnen von ihrer Dominanz“, erklärt Manser.
Wer wolle schon enden wie Mozart? Die
späht ständig zu ihrer alten Familie hinüber, jämmerlich dünn geworden, weil sie
kaum zum Fressen kommt. Sie muss ja
immer das Buddeln, Suchen und Schnuppern unterbrechen, um nach Kampfadlern
und Schakalen Ausschau zu halten. Und
ihr Köpfchen ist übersät von Zecken, da ihr
niemand mehr das Fell putzt.
Viel besser haben es da die Männchen.
Sie können ihre Gruppe verlassen und versuchen, bei einem Nachbarstamm Anschluss zu finden – und dort vielleicht sogar die Rolle des dominanten Männchens
erobern. Die Chancen dafür stehen nicht
schlecht, wenn die dortige Domina nur
noch Söhne um sich hat – ein tiefverankertes Inzuchtverbot hindert sie an der
Paarung mit ihnen.
Aber wie nun erklärt sich die aufopferungsvolle Hilfe bei der Aufzucht der Kinder des Alphaweibchens? Warum sollte
Mozart sich freiwillig dieser Fron unterziehen?
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Bei den Ameisen und einigen anderen
staatenbildenden Insekten ermöglicht ein
spezieller Erbgang ein sinnerfülltes Helferdasein: Da teilen die Arbeiterinnen mit
ihren Schwestern, den Jungköniginnen,
drei Viertel ihres Erbguts. Indem sie die
Prinzesschenlarven fettfüttern und großziehen, sorgen die fleißigen Jungfern dafür,
dass auch ihre eigenen Gene weitergetragen werden.
„Bei den Erdmännchen kann das nicht
alles erklären“, sagt Zoologe CluttonBrock. Bei ihnen, meint er, hülfen alle Angehörigen der Gruppe, ganz gleich ob verwandt oder zugereist, beim Babysitten und
Bewachen. „Hier gibt es eine andere Antwort, und die lautet: gegenseitige Abhängigkeit.“
Denn unter den harschen Lebensbedingungen der Halbwüste profitiert jedes Individuum von der Gruppe als solcher – je
größer, desto besser. Zum Beispiel kann
sich jedes Tier nur eine bis zwei Stunden
Wachdienst am Tag leisten; den Rest der
Zeit muss es Nahrung suchen. Daher sind
kleine Trüppchen gezwungen, eine ganze
Weile unbewacht nach Larven zu buddeln
– und verlieren entsprechend mehr Kollegen an Fressfeinde.
Auch gegen Angriffe der Nachbargangs,
die dabei oftmals sämtliche Jungtiere im
Bau totbeißen, kann sich eine größere
Gruppe besser wehren. Bei den Erdmännchen gilt: Wer die Brut der Königin füttert, zieht damit die eigenen Beschützer
groß. Und wer weiß, vielleicht passt ja
einmal das Timing und sie können unauffällig an der Chefin vorbei doch einen eigenen Wurf dem Clan einverleiben.
Insgesamt zahlt es sich aus, die Regentschaft der Chefin mit Gehorsam zu unterstützen. Denn die erfolgreichste Gruppe
ist die mit einer Königin, die fest im Sattel
sitzt. Bis zu zehn Jahre lang kann ein einziges Weibchen herrschen. Stirbt es, zerbricht oft das ganze Stammesgefüge.
Ganz anders hingegen, wenn das dominante Männchen stirbt: Dann nimmt sich
die Königin einfach ein neues.
Rafaela von Bredow
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