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PRESSEINFORMATION
IL BARBIERE DI SIVIGLIA
21. März 2014
Stuttgart Liederhalle Mozart-Saal
Ein szenisches Konzert oder eine konzertante Szene
Komische Oper in zwei Akten von Gioachino Rossini. Libretto von Cesare Sterbini nach
dem gleichnamigen Schauspiel von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais
Ein szenisches Konzert oder eine konzertante Szene. Aufführung in italienischer Sprache
mit deutschen Dialogen. Textfassung: Wilhelm Keitel
BESETZUNG
Graf Almaviva
Bartolo
Rosina
Figaro
Basilio
Fiorillo
Marzellina
Pablo Cameselle
Dionysios Tsaousidis
Diana Haller
André Morsch
Christian Tschelebiew
Joachim Herrmann
Nastasja Dokalou
Mitglieder des Staatsopernchors Stuttgart
Stuttgarter Symphoniker
Regie Vikoria Knuth
Musikalische Leitung Wilhelm Keitel
Ein Komponist tritt auf. Braunlivriert, goldbestückt – wird ausgebuht. Ein Sänger tritt auf,
stürzt (unbeabsichtigt), schlägt sich die Nase auf, singt eine Arie (blutend) – wird
ausgebuht. Eine Katze tritt auf (unbeabsichtigt), zwei Sopranistinnen kreischen, treten ab
(fluchtartig) – Beifall!
Das waren Szenen eines freilich unfreiwilligen Humors bei der Uraufführung des Werkes,
das als Prototyp der komischen Oper überhaupt gilt: Rossinis Melodramma buffo IL
BARBIERE DI SIVIGLIA begeistert das Publikum heute genauso wie vor knapp 200
Jahren.
Und wenn dann noch die beiden Protagonisten so treffend besetzt sind, dann steht einem
außerordentlichen Vergnügen nichts mehr im Wege. Die „Nachwuchssängerin des Jahres
2013“, Diana Haller, die an der Staatsoper Stuttgart als „Cenerentola“ verzaubert, und
deren zukünftige Pläne auch die Salzburger Fest- spiele und die „Met“ umfassen, brilliert
in der Rolle der „Rosina“. Ihr zur Seite steht André Morsch als „Figaro“. Auch er
Staatsopern-erprobt und international tätig. Der Rossini-Experte Wilhelm Keitel leitet die
Stuttgarter Symphoniker durch Rossinis überschäumende Partitur.
1. Akt
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In Madrid sah Graf Almaviva ein junges Mädchen, in das er sich spontan verliebte. Er
folgte ihr nach Sevilla und steht nun, als Student verkleidet, in aller Herrgottsfrühe unter
ihrem Fenster. Das Mädchen heißt Rosina; sie lebt im Hause ihres Vormunds, des reichen
Dr. Bartolo. Der Alte ist beileibe nicht nur auf die hübsche junge Dame aus, sondern
spekuliert auch auf ihre beträchtliche Mitgift. Von Grund auf eifersüchtig auf jeden
jüngeren Mann, den er sofort als gefährlichen Rivalen betrachtet, hält er Rosina wie eine
Gefangene.
Graf Almaviva wendet allerlei Tricks an, um unbemerkt mit Rosina sprechen zu können.
(Immerhin hat diese – wenn auch zwangsläufig hinter verschlossenen Fenstern – seine
all- morgendlichen Ständchen aufmerksam verfolgt, manchen verbotenen Blick im
Rücken ihres Vormunds auf die Straße riskiert und dabei auch erfreut festgestellt, dass
der nimmermüde und gut gebaute Straßensänger eben jener ist, der ihr neulich in Madrid
so angenehm ins Auge fiel.) Bislang aber schlugen alle Versuche fehl.
Ein Mittelsmann muss also her: Figaro, gewitzter Barbier, anerkannter Witwen- und Mädchentröster, erfolgreicher Heiratsvermittler, ein wahrer Tausendsassa und prädestiniert
für des Grafen Abenteuer! Natürlich kennt er alle Welt – und diese ihn. Als der Graf ihm
nun von seinen Sorgen berichtet, platzt Figaro sogleich heraus: Erstens hört die
Angebetete auf den wunderschönen Namen Rosina, zweitens ist sie außer hübsch (das
wusste der Graf schon!) noch ausnehmend vermögend (das wusste er noch nicht!),
drittens ist sie nicht – wie vermutet – die Tochter des Griesgrams, sondern „nur“ dessen
Mündel, und schließlich viertens: allmorgendlich rasiert Figaro den Medizinmann, hat also
freien Zutritt zum Haus! Da müsste doch etwas zu machen sein! Gegen gutes Handgeld
lässt sich da Einiges arrangieren. Da erscheint die Heißersehnte am Fenster, wird aber
wieder zurückgerissen. Nun ist guter Rat teuer, zumal Bartolo, der gerade in wichtigen
Geschäften davon eilte (nicht, ohne sein Domizil fest zu verschließen), grimmig und
hörbar im Abgehen äußert: Quel bal- cone voglio far murare (Den Balkon lass ich noch
vermauern). Der Graf investiert flugs einige Scheinchen, die Figaros Geist erheblich
schärfen.
Figaro schlägt vor, dass sich Almaviva als Soldat mit Quartiersbefehl Eintritt in Bartolos
Haus verschaffen soll, bevor es zu spät ist. Denn voller Argwohn forciert der Doktor seine
Heiratspläne, indem er Don Basilio, seinen Freund und Rosinas Gesangslehrer (Figaro: È
un solenne imbroglion di matrimoni, un collo torto, un vero disperato sempre senza un
quattrino – Außen Schaf, innen Fuchs, ein Ehestifter, ein glatter Heuchler, ein rechter
Hungerleider, keinen Heller im Beutel!) zum Notar schickt.
Figaro hat das Gespräch zwischen Bartolo und Basilio belauscht: Der Doktor, der von der
Anwesenheit des Grafen in Sevilla gehört hat, befürchtet das Schlimmste; Basilio tröstet
ihn jedoch damit, dass er die Pläne des Grafen mit einer Verleumdungskampagne schon
vereiteln werde.
Die Zwangseinquartierung des »betrunkenen Soldaten« Almaviva wird von Bartolo
zurück- gewiesen, da ihn der Magistrat als Arzt von jeglicher Einquartierungspflicht
befreit hatte. Almaviva inszeniert einen Höllenlärm. Die Stadtwache wird herbeigerufen,
um den Ruhestörer hinter Schloss und Riegel zu bringen. Der Graf kann aber Rosina noch
ein Briefchen zuspielen. Zur Überraschung Bartolos und Basilios wird Almaviva jedoch
nicht verhaftet, da er sich gegenüber den Wachsoldaten als Conte d‘Almaviva zu
erkennen gibt.
2. Akt
Almaviva unternimmt einen weiteren Versuch, in die Bartolo-Festung einzudringen: Er
stellt sich als Schüler des plötzlich erkrankten Basilio, der Rosina Unterricht geben soll,
vor. So etwas gefällt dem Doktor natürlich, wenn auch er, von Natur aus misstrauisch,
dieses Tun argwöhnisch beäugt. Er beruhigt sich aber schnell, da der vermeintliche
Stimmbandspezialist als Beweis für seine Lauterkeit Bartolos Heiratspläne gutheißt und
ihm mit Unschuldsmiene den heimlichen Brief Rosinas an Almaviva zuspielt.
Figaro, der inzwischen ebenfalls eingetroffen ist, beginnt mit der morgendlichen Rasur
des Doktors. Fatalerweise – und kerngesund – kommt plötzlich der ahnungslose Basilio
zum gewohnten Unterricht. Figaros Überredungskunst und ein beachtliches Geldgeschenk
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veranlassen den Musikmeister zum schnellen Abgang. Doch der Doktor durchschaut zwischenzeitlich die Intrige und jagt Almaviva und Figaro aus dem Haus.
Erneut erscheint Basilio. Bartolo schickt ihn zum Notar, auf dass die Heirat sofort
vollzogen werde! Ein über der Stadt heraufziehendes Gewitter benutzen Figaro und
Almaviva, um in Bartolos Haus einzudringen und Rosina zu entführen. Fast wäre der Plan
an der gekränkten und sich gedemütigt fühlenden Rosina gescheitert. Erst als der Graf
seine wahre Identität preisgibt und Rosina seine aufrichtige Liebe versichert, willigt sie
ein.
Da erscheint der Notar (glücklicherweise mit Basilio). Basilio kann ein zweites Mal
bestochen werden – dafür spielt er sogar den Trauzeugen –, und der Ehekontrakt auf
Rosina und den Grafen kann endlich ausgestellt werden. Bartolo kommt zu spät, doch er
kann dies leicht verwinden, da ihm der Graf Rosinas Vermögen zum Geschenk macht.
Alle Beteiligten sind glücklich. Ende gut, alles gut.
ZUR ENTSTEHUNGSGESCHICHTE
Selten in der Operngeschichte hat sich der Satz „Aller Anfang ist schwer“ so bewahrheitet
wie bei diesem singenden und intrigierenden Figaro. 34 Jahre vor Rossini hatte Giovanni
Paisiello bereits seinen IL BARBIERE DI SIVIGLIA in Noten gekleidet. Für den damals
24-jährigen Rossini bedeutete es eine hohe Hürde, sich an den populären Stoff zu
wagen: denn der 75-jährige Paisiello war im Vergleich zum Nachwuchsstar Rossini auch
1816 noch eine Autorität des italienischen Musiktheaters.
Um Konfrontationen zu vermeiden – nichts fürchtete Rossini mehr, als eine aufgebrachte
Menge im Theater oder vor der eigenen Haustür – hofierte er vor der Erstaufführung
seines Barbiere in Rom dem alten Meister Paisiello brieflich. Rossini erinnerte sich später:
„Ich schrieb Paisiello einen Brief, in dem ich ihm erklärte, dass ich mir meiner
Minderwertigkeit bewusst sei und nicht in einen Wettbewerb mit ihm treten wolle,
sondern nur ein Thema, das mir Freude machte, behandeln und dabei nach Möglichkeit
die gleichen Episoden in seinem Libretto vermeiden wolle.“ Was für ein schmeichelnder
Lügner Rossini doch sein konnte!
Es half dennoch nichts. Am Abend der Uraufführung von Rossinis Barbiere war das Teatro
Argentina in Rom fest in der Hand von Paisiello Anhängern, die das Ansehen ihres Heros
gegenüber dem frechen Emporkömmling verteidigen und Rossinis Oper keine Chance
geben wollten. Der Zufall tat mit Stürzen und Katzen das Seine. Die Premiere war ein
hand- festes Fiasko. Heute ist Paisiello so gut wie vergessen, jedoch Rossinis Meisterwerk
vibriert vor ungebrochener Vitalität.
Mit einer Rossini-erprobten Sängerschar in der Inszenierung von Viktoria Knuth und
unter der musikalischen Leitung von Wilhelm Keitel erlebt dieses Werk jetzt eine
mitreißende, halbszenische Neuinterpretation. Entgegen der üblichen Meinung ist
Rossinis „Buffa“ vor allem eine musikalische Meisterkomödie, die ihre Attraktivität den
Melodien, Rhythmen und Harmonien verdankt. Das heitere Spiel um Liebe, Triebe und
Happy End findet zwar ohne Bühnenbild statt, die Sänger und Sängerinnen setzen den
Pep der Musik dennoch in einen höchst spritzigen Bewegungsreigen auf der Bühne um
und beziehen das Publikum mit ein.
IL BARBIERE DI SIVIGLIA als szenisches Konzert oder konzertante Szene folgt der
Idee: die Story auf das Eigentliche zu reduzieren, Rossinis Spiel im Spiel als pure
Bühnensituation sichtbar zu machen. Die Figuren der Oper werden nicht nur als Sänger,
sondern gleichermaßen als Schauspieler gefordert, die nicht zuletzt gegen Geld und für
Ruhm und (Lach-)Erfolg ihrer Arbeit nachgehen.
Sängerklischees, mit denen Rossini permanent spielt, werden zugespitzt aufgegriffen:
Figaro darf das sein, was er bei Rossini eigentlich ist, ein gekaufter Selbstdarsteller,
dessen szenischer Auftrag zwar der eines Impressario ist, der tief in die Klamottenkiste
greift und Almaviva billige Rollen und Kostüme anweist, dessen Handlungen aber kaum
über Selbstverliebtheit hinausgehen ... Rossini steht in dieser Opera buffa nicht hinter
seinen Figuren, er steht förmlich Augen zwinkernd über ihnen – quasi ein Vorgriff auf das
absurde Theater.
Die Musik ist scheinbar unbeteiligt und an der Szenerie vorbeikomponiert, erweist sich
allerdings gerade in ihrer Abgehobenheit als Kommentar. Sie fegt über alles hinweg und
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entwickelt aus nichtigen Anlässen allmählich und unversehens eine Turbulenz, die im
wach- senden Maße inmitten des Spaßes, katastrophische Züge annimmt, bis sie sich
schließlich in ein Nichts auflöst, das nicht ganz geheuer ist. Kein Naturalismus liegt
Rossini am Herzen, sondern Effekt und dieser ist, auch das macht die besondere Qualität
dieses Werkes aus, ironisch gebrochen.
In Viktoria Knuths Inszenierung von Rossinis Welterfolg ist (fast) alles möglich – nur
nicht das ganz Normale!
BEAUMARCHAIS‘ VORREDE ZU SEINEM BÜHNENSTÜCK
VORREDE I Möglichst vor Beginn der Vorstellung zu lesen!
Meine Herrschaften, ich habe die Ehre, Ihnen ein neues Werk meiner Produktion vorlegen
zu können. Ich hoffe, Sie dabei in jenem glücklichen Augenblicke anzutreffen, da Sie,
aller Sorgen ledig und beruhigt über Ihren Gesundheitszustand, zufrieden mit Ihren
Geschäften, Ihren Geliebten, Ihrer Mahlzeit und Ihrem Magen, für einen Moment an
meinem Barbier von Sevilla Gefallen finden werden; denn all dies braucht es, um sich
angenehm unterhalten zu lassen ...
Indessen, wenn irgendein widriger Umstand Ihre Gesundheit in Unordnung gebracht hat;
wenn Ihre Unternehmungen gefährdet sind; wenn die Schöne Ihres Herzens all ihre
Schwüre gebrochen hat; wenn Sie nach einem mächtigen Abendessen Beschwerden mit
Ihrer Verdauung haben – oh, dann lassen Sie die Finger von meinem Barbier, das ist
nicht der rechte Augenblick! Prüfen Sie lieber die Bilanz Ihrer Ausgaben, studieren Sie die
Darstellungen Ihres Gegners, lesen Sie jenes verräterische Billet noch einmal, mit dem
Sie Ihre Schöne ertappt haben, oder lesen Sie die Meisterwerke Tissots über
Enthaltsamkeit und stellen Sie politische, wirtschaftliche, ernährungswissenschaftliche,
philosophische oder moralische Überlegungen an ...
VORREDE II
Ein verliebter Alter will am anderen Morgen sein Mündel heiraten; ein junger und aufgeweckter Liebhaber kommt ihm zuvor und macht sie am gleichen Tag, vor der Nase und
im Haus des Vormundes zu seiner Frau. Das ist die ganze Geschichte, aus der man nun
mit gleichem Erfolg eine Tragödie oder eine Komödie, ein Rührstück oder eine Oper
machen könnte.
Mit dem leichten, scherzhaften Ton des Barbier von Sevilla versuchte ich, dem Theater
seine alte ungezwungene Heiterkeit zurückzugewinnen.
Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais
DEM PUBLIKUM ZUR NACHRICHT
In Rom, wo er noch im selben Jahr Trovaldo e Dorliska am Teatro Valle herausbrachte –
der Vertrag mit Barbaja gestand ihm solche Aufträge zu –, konnte er ohne Rücksicht auf
eine Operntradition, die es im Machtzentrum der Kirche sowieso kaum gab, seiner
Leidenschaft für die komische Oper frönen. Hier glaubte er sogar, sich eines
Kömodienstoffes neu bedienen zu dürfen, den vor ihm schon der hochverehrte Paisiello in
Töne gesetzt hatte: Il barbiere di Siviglia. Anderthalb Jahre zuvor hatte der
Grandseigneur der italienischen Oper mit diesem Werk seinen europaweiten Ruf
gefestigt. „Auch Napoleon hörte seine Musik gern,“ versichert uns Rossini und gibt seiner
eigenen Meinung in einer Kolportage Ausdruck, wo- nach Paisiello „aller Welt erzählte,
der große Kaiser liebe seine Musik ganz besonders, weil sie ihn nicht daran hindere, an
anderes dabei zu denken.“ Ein eigentümliches Lob. Indes war seine sanfte Musik zu ihrer
Zeit allgemein vorgezogen – jede Epoche hat eben ihren eigenen Geschmack. Aber mit
der Gemeinde der Paisiellisten wollte sich Rossini nun doch nicht anlegen. So
temperamentvoll er sich mitunter gebärdete, so sehr scheute er Konflikte und ging ihnen
gewissenhaft aus dem Weg. Sein gesellschaftliches und politisches Engagement reichte
stets nur so weit, als er sich des Beifalls sicher sein konnte, und nichts fürchtete er mehr
als eine aufgebrachte Menge im Theater – oder bei sich vor der Haustür.
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„Ich schrieb Paisiello einen Brief, in dem ich erklärte, dass ich mir meiner
Minderwertigkeit bewusst sei und nicht in einen Wettbewerb mit ihm treten wolle,
sondern nur ein Thema, das mir Freude machte, behandeln und dabei nach Möglichkeit
die gleichen Episoden in seinem Libretto vermeiden wolle.“ Ein weiterer Versuch, den
Ärger der Anhänger Paisiellos zu vermeiden, war das nachfolgende Avvertimento al
pubblico, das dem gedruckten Libretto des Almaviva, so hieß das Stück ursprünglich,
vorangestellt war:
„Dem Publikum zur Nachricht! Die Komödie des Herrn Beaumarchais, betitelt Der Barbier
von Sevilla oder Die nutzlose Vorsicht, wird in Rom als komisches Drama bearbeitet und
unter dem Titel Almaviva oder Die nutzlose Vorsicht aufgeführt, um das Publikum von
dem Gefühl der Achtung und Verehrung zu überzeugen, welche den Urheber der Musik
des Dramas gegenüber dem so berühmten Paisiello beseelen, der diesen Stoff bereits
unter seiner ursprünglichen Bezeichnung vertont hat. Der Herr Maestro Gioachino
Rossini, zur Übernahme dieses schwierigen Auftrages berufen, hat, um nicht der kühnen
Rivalität mit dem ihm vorangegangenen unsterblichen Verfasser bezichtigt zu werden,
ausdrücklich verlangt, dass der Barbier von Sevilla von neuem vollständig in Verse
gesetzt und dass einige neue musikalische Nummern eingefügt werden, da sich der
Geschmack seit jener Zeit, in der der bewährte Paisiello seine Musik schrieb, so sehr
geändert hat. Manch andere Verschiedenheit zwischen dem Gewebe des gegenwärtigen
Dramas und dem der oben genannten Komödie wurde durch die Notwendigkeit der
Einführung von Chören in die Handlung bedingt, so- wohl weil der moderne Geschmack
sie will, als auch, weil sie für die musikalische Wirkung in einem Theater von so
beträchtlichem Umfang unentbehrlich sind. Hiervon verständigt man das Publikum, um
auch den Verfasser des neuen Dramas zu entlasten, der ohne so
wichtige Gründe niemals gewagt hätte, die kleinste Veränderung des französischen
Stoffes vorzunehmen, der bereits durch den theatralischen Beifall auf allen Bühnen
Europas geheiligt ist.“
20. FEBRUAR 1816
Über den Premierenabend des 20. Februar 1816 gibt es die haarstäubendsten
Geschichten. Es war eine jener Nächte, in denen ein grausam gefühlloses oder völlig
unverständiges oder von vornherein zum Widerspruch gereiztes Publikum darauf wartet,
einem Meisterwerk die lautstärkste und kränkendste Ablehnung verpassen zu wollen. Das
mussten nicht wenige große Komponisten erfahren – Verdi mit La Traviata in Venedig,
Wagner mit Tannhäuser bei der französischen Premiere in Paris, Puccini mit Madame
Butterfly in Mailand, Strawinsky mit Le Sacre du printemps in Paris –, warum also nicht
auch Rossini? Wie aus der Aufzählung der vorstehenden Beispiele hervorgeht, helfen
dagegen weder Name noch Popularität oder Leistung.
Was an jenem Abend im Teatro Argentina in Rom wirklich geschah, vermag niemand
mehr zu rekonstruieren. Die Legende bemächtigte sich sofort der offenkundigen
Ablehnung und machte einen ungeheuren Skandal daraus. Der Darsteller des Basilio soll
bei seinem Auf- tritt gestürzt sein und seinen Part mit blutender Nase gesungen haben:
zweifellos Anlass zu einer stürmischen Heiterkeit, die von den Autoren nicht beabsichtigt
worden war. Eine Katze soll auf die Bühne gekommen, sich dort niedergelassen und
neugierig das Publikum betrachtet oder gar laut miaut haben. Als einer der Sänger sie
von dort mit einem Fußtritt in das Parkett beförderte – welch schlechter Schauspieler,
der das Tier ja nur hätte in das Spiel mit einbeziehen müssen! – und ein Zuschauer sie
auf die Bühne zurückgeworfen haben soll, war es um die Aufmerksamkeit vollends
geschehen.
Diese Erzählungen sind weitergegeben und ausgeschmückt worden; ob etwas Wahres
dar- an ist, weiß längst niemand mehr. Besprechungen von Theaterereignissen in den
Gazetten gab es nur ausnahmsweise. Fest steht nur, dass Rossinis Barbier von Sevilla
nicht gefiel. Da es am Werk nicht, an der Darstellung kaum gelegen haben konnte, bleibt
nur die Vermutung, das Publikum habe aus Treue zu Paesiello jede Vertonung des von
ihm zum Meisterwerk ge- stalteten Stoffes bedingungslos und von vornherein abgelehnt.
Ob diese Erklärung stimmt?
Sicher ist, dass Rossini sich nicht wesentlich gekränkt haben dürfte. Aber auch hier setzt
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die Legende ein. Sie erzählt, der außerordentlich beherrschte, ja phlegmatische
Komponist habe es am nächsten Abend vorgezogen, das Theater gar nicht mehr zu
betreten; mochte sein Werk ohne ihn in Szene gehen. Als er sich in seiner Herberge zur
Ruhe legte, sei er kurz danach durch einen Tumult vor seinem Fenster geweckt und im
Schlafrock auf den Balkon gerufen worden. Eine begeisterte Menge, die soeben aus dem
Theater strömte, brachte ihm eine stürmische Huldigung dar.
„Se non è vero è ben trovato“, sagen die Italiener in solchen Fällen: „Falls es nicht wahr
ist, so ist es jedenfalls gut erfunden!“
BRIEF AN ISABELLA COLBRAN
Ich wünschte, eine schöne Freundin wäre jetzt in Rom, um Zeugin meines Triumphes zu
sein. Mein „Barbier“ findet hier von Tag zu Tag mehr Beifall und weiß sich selbst bei den
eingefleischten Gegner der neuen Schule so einzuschmeicheln, dass sie den kecken
Burschen, ganz gegen ihren Willen, mehr und mehr liebgewinnen. Almavivas Serenade
tönt hier nachts in allen Strassen, Figaros große Arie „Largo al factotum“ ist das
Paradepferd aller Bassisten und Rosinas Kavatine „Una voce poco fa“ das Abendlied, mit
dem hier jede Schöne zu Bett geht, um morgens mit den Worten „Lindoro mio sarà“ zu
erwachen. Aber mehr als eine neue Oper wird Sie, teure Angélique, ein neuer Salat
interessieren, den ich unlängst zur Freude aller Feinschmecker erfunden habe. Ich beeile
mich, Ihnen das Rezept mitzuteilen: nehmen Sie eine Schüssel, tun Sie Provence-Öl,
englischen Senf, französischen Essig, etwas Zitronensaft, Pfeffer und Salz hinein, reiben
Sie alles bis zur vollkommenen Mischung durcheinander und würzen Sie es dann durch
kleingeschnittene Trüffeln. Diese verleihen dem Salat einen Feingeschmack, der jeden
Gourmand zur Bewunderung hinreißt. Der Kardinalssekretär, dessen Bekanntschaft ich
unlängst gemacht, erteilte mir für diese Erfindung seinen apostolischen Segen. Doch um
wieder zum »Barbier« zurückzukommen: im zweiten Akt gefallen vor allem das Duett
zwischen dem als Singmeister verkleideten Grafen und dem Doktor Bartolo »Pace e
gioia«, die Arie des alten Vormundes „Quando mi sei vicina“, worin ich die alte Schule
persifliert habe, und der Schluss des Terzettes zwischen Rosina, Almaviva und Figaro
„Zitti zitti, piano piano“ ... Versäumen Sie nicht, teure Angélique, sich je eher je lieber
von der Köstlichkeit meines neuen Salates zu überzeugen ... Im ganzen unterhalte ich
mich hier ziemlich gut, habe bei den Römerinnen mehr Glück als mir lieb ist, bin aber in
Verzweiflung, dass es hier wenig oder gar keine guten Austern gibt. Wenn Sie im
göttlichen Neapel im Wonnegefühl frischer Austern schwelgen, denken Sie auch einmal
an mich ... Das Wichtigste hätte ich beinahe vergessen: ich habe eine neue Oper
angefangen. Ich hoffe, sie fertig zu bringen. Bis dahin vergessen Sie nicht ganz
Ihren ergebensten Gioachino Rossini
ÜBER DAS KOMPONIEREN EINER OUVERTÜRE
„Das Vorspiel zum Otello habe ich in einem kleinen Zimmer des Palastes Barbaja
komponiert, wo der kahlköpfigste und wildeste aller Direktoren mich nur mit einer
Schüssel Makkaroni und unter der Drohung, mich nicht eher aus dem Zimmer
herauszulassen, bis ich die letzte Note geschrieben hätte, gewaltsam eingeschlossen
hatte.
Das Vorspiel zur Diebischen Elster habe ich am Tag der Uraufführung unter dem Dach der
Scala geschrieben, wo mich der Direktor gefangen gesetzt hatte. Ich wurde von vier
Maschinisten bewacht, die die Anweisung hatten, meinen Originaltext Blatt für Blatt den
Kopisten aus dem Fenster zuzuwerfen, die ihn unten zur Abschrift erwarteten. Falls das
Notenpapier ausbleiben sollte, hatten sie die Anweisung mich selbst aus dem Fenster zu
werfen.
Beim Barbier machte ich es mir einfacher; ich komponierte gar kein Vorspiel, sondern
nahm das für die halbernste Oper Elisabeth bestimmte. Das Publikum war höchst
zufrieden.
Das Vorspiel zum Graf Ory habe ich beim Fischfang mit den Füßen im Wasser in
Gesellschaft des Herrn Aguado geschrieben, während dieser mir einen Vortrag über die
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spanischen Finanzverhältnisse hielt.
Das Vorspiel zu Wilhelm Tell wurde unter fast ähnlichen Umständen geschrieben. Was
den Moses endlich anbetrifft, so schrieb ich dazu gar keins.“
(Antwort Rossinis an einen jungen Komponisten, der ihm die wenig geistreiche Frage
gestellt hatte, wann man am besten das Vorspiel zu einer Oper komponiere. Abgesehen
von der deutlich spürbaren Übertreibung um der Komik willen, hat Rossini tatsächlich oft
unter derartigen Umständen seine Werke geschaffen.)
ZITATE VON UND ZU ROSSINI
Glauben Sie nicht, dass ich grundsätzlich gegen das dramatische Element eingestellt sei.
Aber ich war ein Meister das italienischen Belcanto und teile die Meinung des großen
Voltaire, der bekennt: Alle Arten sind gut, ausgenommen die langweilige.
Was für die Liebe die Seele ist, das ist der Appetit für den Leib. Der Magen ist der
Kapellmeister, der das große Orchester unserer Leidenschaften dirigiert. Essen, Lieben,
Singen, Verdauen sind die vier Akte der komischen Oper, die das Leben heißt.
Wartet bis zum Abend vor dem Tag der Aufführung. Nichts regt die Eingebung mehr an
als die Notwendigkeit, die Gegenwart eines Kopisten, der auf Eure Arbeit wartet und das
Drängen eines geängstigten Impressarios, der sich in Büscheln die Haare ausrauft. Zu
meiner Zeit hatten in Italien alle Impressarien mit dreißig Jahren eine Glatze.
Gioachino Rossini
Rossini -, divino maestro, helios von Italien, der Du deine klingenden Strahlen über die
Welt verbreitest! Verzeih meinen Landsleuten, die Dich lästern auf Schreibpapier und
Löschpapier! Ich aber freue mich Deiner goldenen Töne, Deiner melodischen Lichter,
Deiner funkelnden Schmetterlingsträume, die mich so lieblich umgaukeln und mir das
Herz küssen wie mit Lippen der Grazien! Divino maestro, verzeih meinen armen
Landsleuten, die Deine Tiefe nicht sehen, weil Du sie mit Rosen bedeckst, und denen Du
nicht gedankenschwer und gründlich genug bist, weil Du so leicht flatterst, so
gottbeflügelt!
Heinrich Heine
PRESSE-RÜCKSCHAU
Das Orchester: eine von Keitels Hand verlesene Truppe, spielsicher, geistesgegenwärtig,
mit Leib und Seele bei der Sache. Die Solisten: ein überwiegend blutjunges
Team freischaffender Vokalisten, ausgepicht wie Alte Hasen, austrainiert und
unroutiniert, das mit Belcanto und Komödiantik unausgesetzt lustvolle Verschwendung
treibt. Regie, Bühne, Kostüme: zwingende Beweise, wie man aus praktisch gar nichts so
gut wie alles machen kann ... Die Parole lautet: sehen, hören, staunen.
Der Tagesspiegel, Berlin
Rossini Opernfestival Rügen Europäisches Musikfest Stuttgart Jahrhunderthalle FrankfurtHoechst Yehudi Menuhin Festival Gstaad Opera Enel Convento, La Palma-Kanaren
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