Die Medical Humanities im Kontext des medizinischen Fortschritts

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Die Medical Humanities im Kontext des medizinischen
Fortschritts
Der literarische Umgang mit ethisch relevanten Themen der modernen Medizin an Beispielen der Synthetischen Biologie und der ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
Christiane Vogel, M.A., M.mel.
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Interdisziplinäres Zentrum
Medizin-Ethik-Recht
Herausgegeben von
Prof. Dr. Hans Lilie
Prof. Dr. Hans Lilie (Hrsg.), Schriftenreihe Medizin-Ethik-Recht, Band 52, 2014
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek:
ISSN 1862-1619
ISBN 978-3-86829-717-1
Schutzgebühr Euro 5
Interdisziplinäres Zentrum Medizin-Ethik-Recht (MER)
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Universitätsplatz 5
D- 06108 Halle (Saale)
[email protected]
www.mer.jura.uni-halle.de
Tel. ++ 49(0)345-55 23 142
1
Gliederung
1 Kontextualisierung der Medical Humanities ............................................................ 2
2 Literarische Auseinandersetzung mit der Synthetischen Biologie ......................... 11
2.1
Olaf Fritsche „Die Neue Schöpfung“ ............................................................ 15
2.2
Hansjörg Anderegg „Nebenwirkungen“ ....................................................... 25
2.3
Vergleich...................................................................................................... 31
3 Literarische Umsetzung zur Frage nach der ökonomischen Bewertung von Leben
und Gesundheit ..................................................................................................... 35
3.1
Jörn Klare „Was bin ich wert?“..................................................................... 38
3.2
Ninni Holmqvist „Die Entbehrlichen“ ............................................................ 47
3.3
Vergleich...................................................................................................... 55
4 Fazit ...................................................................................................................... 59
Literaturverzeichnis................................................................................................... 67
2
1
Kontextualisierung der Medical Humanities
Methodik und Quellen
Der medizinische Dialog steht im kulturellen Zusammenhang mit anderen Diskursen.
Diese beanspruchen die Kompetenz, normbildend anzuberaumen, was angemessen
bzw. unpassend ist.1 Im Hinblick auf die Konkurrenz dieser diversifizierten Diskurse
in der Gesellschaft, ist es Ziel dieser Arbeit, sich spezifisch mit der Umsetzung
ethisch relevanter Themen der modernen Medizin in der Literatur auseinanderzusetzen und diese an Beispielen genauer zu eruieren. Dies geschieht anhand einer
exemplarischen Literaturanalyse, die der interdisziplinären Betrachtungsweise einen
zentralen Platz einräumt.
Diese Art der Untersuchung ermöglicht eine kritische Auseinandersetzung mit Problemkonstellationen, welche besonders gehäuft im Bereich medizinischer, ethischer
und rechtlicher Grenzgebiete auftreten. Fortwährende Erkenntnisse und Möglichkeiten durch die Synthetische Biologie sowie die ökonomische Bewertung von Leben
und Gesundheit bilden die beiden Themenkomplexe, die jeweils anhand von zwei
literarischen Werken der Gegenwart unterschiedlichen Genres betrachtet und innerhalb ihres Themenfeldes verglichen werden.
Das Sachbuch „Die Neue Schöpfung“ (2013) von dem deutschen Wissenschaftsjournalisten Olaf Fritsche sowie der Thriller „Nebenwirkungen“ (2008) vom Schweizer
Autor Hansjörg Anderegg dienen als Quelle bezüglich des ersten Komplexes. Die
zweite Thematik wird anhand des Sachbuches „Was bin ich wert?“ (2010) von dem
deutschen Journalisten Jörn Klare und des dystopischen Romans „Die Entbehrlichen“ (2006) von der schwedischen Autorin Ninni Holmqvist untersucht und verglichen.
Um den Forschungsgegenstand sowie seine Funktionen und Wechselbeziehungen
festzuhalten, erfolgt zu Beginn der Arbeit eine Kontextualisierung der Medical Humanities. Auf diese Ausarbeitungen wird im weiteren Verlauf der Literaturanalyse Bezug
genommen.
1
Vgl. Rudolf Käser, S. 14.
3
Das interdisziplinäre Feld der Medical Humanities
Die Medical Humanities beschreiben ein interdisziplinäres Forschungsfeld im Bereich
der Medizin, welches erstens die künstlerische Nutzbarmachung in der Therapie sowie die Auseinandersetzung des Kranken mit seinem Leiden einschließt. Dabei spielen sowohl die Literatur und Dichtung, aber auch die Musik und die Malerei eine zentrale Rolle. Zweitens können die Künste einen Beitrag dazu leisten, bedeutende Auskünfte hinsichtlich gesundheitsfördernder Maßnahmen verständlich an die Öffentlichkeit zu übermitteln. Drittens integrieren die Medical Humanities künstlerische und
humanwissenschaftliche Beiträge in die fächerübergreifende Forschung und zunehmend auch in die Ausbildung junger Medizinerinnen und Mediziner sowie anderweitig
Wirkender im Gesundheitswesen.2
Die Referenz zur Natur des Menschen innerhalb des Tätigkeitsfeldes der Medical
Humanities ist laut Jill Gordon unverzichtbar. Ohne die Inklusion geschichtlicher, philosophischer und soziologischer Wege des Denkens besteht die lauernde Gefahr,
den Patienten auf ein irrationales, ungeordnetes “other” zu reduzieren.3 Die Medizin
ist ohne Frage in der Lage jemanden zu schädigen, besonders beim Übersehen und
bei der Marginalisierung von bestimmten Individuen und Gruppen. In erster Linie ist
es wichtig nachzuvollziehen, dass die Gefahren medizinischer Interventionen dank
der Entwicklungen im Feld der Medical Humanities4 jetzt zunehmend erkannt und
verstanden werden.5
2
Vgl. Sandro Spinsanti, Sp. 516-517.
Vgl. Jill Gordon, S. 5.
4
Bereits seit Jahrzehnten im US-amerikanischen und britischen Raum auf dem Vormarsch, gewinnt
das Feld nun auch in anderen Ländern an Popularität. Die Herausbildung der Medical Humanities
erfolgte in den späten 1960iger Jahren vor allem auf Grund der allgemeinen Sorge um den überwältigenden Einsatz von technischer Gerätschaft und der beunruhigenden Tendenz der Depersonalisierung in der Medizin. Eine Gruppe von Reformatoren (Theologen, Krankenhausseelsorgern, Klinikärzten und Philosophen) generierte ein neues intellektuelles Feld, in dem eine Verbindung von humanistischen Idealen mit denen der professionellen Praxis in der Alltagswelt ihrer Zeit angestrebt wurde
(vgl. Ronald A. Carson, S. 321-322).
Für weitere Informationen zur Entstehungsgeschichte des interdisziplinären Feldes siehe u.a. Jane
Macnaughton: Medical Humanities‘ Challenge to Medicine. In: Journal of Evaluation in Clinical Practice 17 (2011), S. 927-932. Eine umfassende und maßgebliche Referenz bietet auch Martyn Evans
und Ilora G. Finlay (Hg.): Medical Humanities. London: BMJ 2001. Aktuelle, internationale Forschungsliteratur zum Thema: Cheryl L. McLean (Hg.): Creative Arts in Humane Medicine. Brush Education 2014. Ronald Schleifer, Jerry Vannatta (Hg.): The chief Concern of Medicine: The Integration of
the Medical Humanities and Narrative Knowledge into Medical Practices. Ann Arbor 2013. Vieda
Skultans (Hg.): Empathy and Healing: Essays in Medical and Narrative Anthropology. New York 2013.
5
Vgl. Jill Gordon, ebd.
3
4
Das internationale Interesse manifestiert sich u.a. in neu gegründeten Vereinigungen, Forschungsnetzwerken, Universitäten und verschiedenen Förderungsmöglichkeiten.6 Der Begriff bleibt aber weiterhin ambivalent. Dies macht sich mitunter auch in
den Zentren für Medical Humanities bemerkbar, die besetzt sind mit “affiliates, who
teach collaboratively across disciplines rather than being full-time staff who teach
only medical humanities as an ‛autonomous’ subject”. 7
Aus dem komplexen, interdisziplinären Forschungsfeld der Medical Humanities ist
die Rolle der Literaturwissenschaft, d. h. der Dialog zwischen der Medizin respektive
der Biowissenschaften und der Literatur in dieser Arbeit, von besonderem Interesse.
Das Potenzial dieser Beziehung wird nachfolgend vorgestellt und eruiert.
Abb. 1 Das interdisziplinäre Feld der Medical Humanities (eigene Darstellung)
Der Dialog zwischen Literatur und Medizin
Die Literatur greift seit jeher auf die Medizin als wertvolles Motiv zurück, so wie sich
auch umgekehrt die Medizin regelmäßig der Literatur behilft. 8 Beide Konstellationen
etablieren sich im aufstrebenden, interdisziplinären Wissenschaftsgebiet der Medical
Humanities. Sie dienen hier nicht nur dem Wissenschaftler, Arzt oder Schriftsteller
als Hilfestellung, sondern jedem interessierten Leser, der sich mit besagter Materie
auseinandersetzt. Des Weiteren ist die Literatur ein Medium, welches in der Lage ist,
6
Vgl. Victoria Bates, Sam Goodman, S. 3.
Das neu eingerichtete Graduiertenkolleg “Life Science – Life Writing: Grenzerfahrungen menschlichen
Lebens zwischen biomedizinischer Erklärung und lebensweltlicher Erfahrung” in Mainz soll hier beispielhaft Erwähnung finden.
7
Victoria Bates, Sam Goodman, ebd.
8
Vgl. Dietrich von Engelhardt 2004, S. 39.
5
eine Entwicklung vorwegzunehmen und „die Grundsituation der Medizin in ihrer Konkretheit und Symbolik [darzustellen]“.9 Dazu gehören durchaus auch kritische Manifestationen, die sich auf besorgniserregende Entwicklungen stützen und so als
Sprachrohr dienen. Sie diktieren nicht mit erhobenem Zeigefinger in eine bestimmte
Richtung, sondern regen primär einen Meinungs- und Erfahrungsaustausch an. Laut
Andrea Kottow sollte man Texte „nicht nur als Spiegel der Realität, sondern ebenso
als realitätskonstituierend“ verstehen, auf produktive und performative Art und Weise
an der Entstehung einer möglichen Krise beteiligt.10 Der literaturwissenschaftliche
Aspekt der Medical Humanities ist besonders reichhaltig dank des interdisziplinären
Zugangs zu dieser Thematik.11 Bei der Medizin handelt es sich um „(…) das vor allem schriftlich niedergelegte und deshalb tradierfähige Wissen über die Natur und
den Menschen (…)“; die Literatur „(…) ist als Poesie zu verstehen, die im Medium
fiktionaler Sprache Reales und Imaginäres aktualisiert (…)“.12
„Demnach durchkreuzen Literatur und Medizin einander im Feld der Sprache und
über ein Wissen, das beide auf ihre Weise beherbergen und mit dem beide auf ihre
Weise spezifisch umgehen: die Medizin in Theorie und Praxis vornehmlich zur Versorgung von Kranken; die Literatur in Ästhetik und ihrer Rezeption zur ‚intellektuellen
Versorgung von Neugierigen‘. Diese Durchkreuzung, so unterschiedlich auch zunächst die Zielrichtungen sein mögen, hat gewisse Schnittpunkte.“13
Letztere stehen im Mittelpunkt dieser Arbeit und der Literaturanalyse, die anhand von
zwei ethisch-relevanten Themenfeldern im Bereich des medizinischen Fortschritts im
Allgemeinen, speziell im biowissenschaftlichen Bereich sowie im gesundheitsökonomischen Bereich, stattfindet. Die Wahl der Literatur spiegelt dabei die bereits erwähnte Reichhaltigkeit wider und zeigt verschiedene Wege, beispielsweise durch die Wahl
eines bestimmten Genres, sich mit solchen Thematiken literarisch auseinanderzusetzen. Was dies mit der Leserschaft macht, ist eine zentrale Frage dieser Arbeit.
9
Ebd. 2005, Sp. 4.
Andrea Kottow, S. 27.
11
Vgl. Bettina von Jagow, Florian Steger 2009, S. 13.
12
Ebd. 2004, S. 53.
13
Bettina von Jagow, Florian Steger, ebd.
10
6
Die Funktionen der Beziehung von Literatur und Medizin
Die Funktionen der Beziehung von Literatur und Medizin werden von Dietrich von
Engelhardt in drei Gruppen geteilt. Die literarische (fiktionale) Funktion der Medizin, 14
die medizinische (szientifische) Funktion der Literatur15 sowie die genuine Funktion
der literarisierten Medizin.16 Vor allem letztere Funktion soll für diese Arbeit von Interesse sein, da sie sich mit den Anregungen für einen besseren „Umgang mit Krankheit und Tod sowie den diagnostisch-therapeutischen Möglichkeiten der Medizin
[auseinandersetzt]“17 sowie auf „Gefahren und Risiken der Medizin, auf Technisierung und Anonymisierung, auf den Verlust der Menschlichkeit [hinweist]“. 18 Dies sind
alles Themen, die in den zu untersuchenden Werken aufgegriffen werden. Die „Funktion der Literatur für ein allgemeines Verständnis der Medizin“ 19 weist ferner darauf
hin, dass „nicht nur Literaturwissenschaftler und Mediziner von Literatur angesprochen werden, sondern Literatur ‚alle Menschen‘ dazu anregt, das factum brutum des
je gegebenen medizinischen Denksystems und seiner Praktiken und Werte zu hinterfragen“.20
14
„Medizin und Medizingeschichte [können] zur Interpretation der Literatur einen Beitrag leisten;
Krankheiten, therapeutische Verfahren und medizinische Theorien im literarischen Werk können durch
entsprechende medizinische Kenntnisse und Erläuterungen verständlicher werden.“ (Bettina von
Jagow, Florian Steger 2009, S. 13).
15
„Literatur kommt (…) eine Bedeutung für die Medizin zu (…). Literarische Darstellungen des Arztes,
der Therapie und der medizinischen Institution, der Krankheit und v.a. des Kranken in seiner Subjektivität und individuellen Lebenssituation erinnern die Medizin stets von Neuem an die Einheit somatischer, psychischer, sozialer und geistiger Bereiche im kranken Menschen – eine Einheit, die in wissenschaftlicher Forschung und therapeutischer Tätigkeit wie auch in der medizinischen Ausbildung
meist zu wenig Beachtung findet. Literatur fordert zur Überprüfung therapeutischer Methoden und
Ziele auf und lässt über die Logik der Arzt-Patienten-Beziehung nachdenken.“ (Dietrich von Engelhardt 2005, Sp. 1-2) .
Florian Steger fasst diese Funktion als „Beschreibungsinventare von Krankheiten“, als didaktische
Hilfestellungen um „angehenden Medizinern durch literarische Darstellungen Verständnis von Kranksein und Sensibilität zu vermitteln“ und als „konkreten therapeutischen Wert“ zusammen. (2005, S.
111).
Auch Carsten Zelle kommentiert den funktionalistischen Ansatz, indem er der „(…) Literatur eine wichtige anthropologische Korrektivfunktion im Rahmen der medizinischen Ausbildung im Zuge der Medical Humanities [zukommen lässt], weil sie zur Überprüfung therapeutischer Methoden und Ziele sowie
zum Nachdenken über die Logik des Arzt-Patient-Verhältnisses einlädt“. (S. 89).
Im Zusammenhang mit dieser Funktion wurde in den letzten Jahren vermehrt der Aspekt der „literarischen Empathiefähigkeit“ untersucht. Siehe dazu u.a. P. Matthijs Bal, Martjin Veltkamp: How Does
Fiction Reading Influence Empathy? An Experimental Investigation on the Role of Emotional Transportation. In: Plos One 8.1 (2013), S. 1-12, Ralph Olsen: Das Phänomen Empathie beim Lesen literarischer Texte. Eine didaktisch-kompetenzorientierte Annäherung. In: Zeitschrift Ästhetische Bildung. 3.1 (2011), S. 1-16.
16
Vgl. Dietrich von Engelhardt 2005, Sp. 1-2; 2004, S. 39; 1991, S. 12 ff.
17
Ebd. 2004, S. 39.
18
Dietrich von Engelhardt 2005, Sp. 2.
19
Ebd. 1991, S. 12.
20
Carsten Zelle, S. 89-90.
7
Eine weitere Funktion des Verhältnisses zwischen Literatur und Medizin wird von
Bettina von Jagow und Florian Steger benannt. Es handelt sich dabei um die Repräsentationsfunktion der Medizin in der Literatur, welche sich durch eine diversifizierte
Anschlussfähigkeit auszeichnet.21 Diese literarischen Repräsentationen können die
Medizin widerspiegeln, „niemals aber Medizin an sich darstellen“.22
Literatur und Biowissenschaften (Life Science)
Entwicklungen in den Biowissenschaften nehmen in den letzten Jahren einen stetig
wachsenden Platz in der öffentlichen Diskussion ein. Dabei stehen die kritische Auseinandersetzung mit der schöpferischen Macht gentechnischer Versuche und die
Risiken, die damit verbunden werden, im Mittelpunkt. Die Forschung mit Stammzellen, die Sequenzierung des Humangenoms und die Präimplantationsdiagnostik nehmen entscheidenden Einfluss auf „(…) gesamtgesellschaftliche Rede- und Denkweisen, die Ursprung und Gestaltung von Leben und Bewusstsein betreffen (…)“. 23 Die
Literatur lässt sich maßgeblich davon beeindrucken und greift diese Thematiken immer häufiger auf:
„Was die Literatur betrifft, so hat sich der neue öffentliche Diskurs der Biotechnologie
in einer bereits unüberschaubaren Anzahl von Erzählungen, Romanen, Krimis, Thrillern und Theaterstücken niedergeschlagen, die sich mit verschiedensten Manipulationen von Bio-Organismen auseinandersetzen. (…) So stellen die Biowissenschaften
zweifellos ein thematisches Feld dar, auf das sich Schriftsteller seit Ende der 1990er
Jahre verstärkt einlassen und an dem sich neue Paradigmen in der Literatur herausbilden.“24
21
Vgl. Bettina von Jagow, Florian Steger 2004, S. 9.
Die Repräsentation von Medizin in der Literatur kann sich nach bestimmten Aspekten richten, beispielsweise „(…) nach den Aspekten Pathophänomenologie, Ätiologie, Subjektivität des Kranken,
Arztbild, Diagnose und Therapie, medizinische Institution, soziale Reaktion und Symbolik (…)“. (Ebd.).
22
Bettina von Jagow, Florian Steger, ebd.
23
Corina Caduff, Ulrike Vedder, S. 8.
24
Corina Caduff, S. 27-28.
Es folgt eine (inter-)nationale Auswahl an fiktionalen Texten, die den Diskurs der Biowissenschaften
aufgreifen, vor allem die Klon-Thematik. Andreas Eschbach: Perfect Copy. Die zweite Schöpfung.
2002, Charlotte Kerner: Blueprint – Blaupause. 1999, Eva Hoffman: The Secret. 2001 (deutsche
Übersetzung von Renate Orth-Guttmann 2004: Die kopierte Frau), John Darnton: The Experiment.
1999 (deutsche Übersetzung von Wulf Bergner 2001: Zwillingspark), Kazuo Ishiguro: Never let me go.
2005 (deutsche Übersetzung von Barbara Schaden 2006: Alles, was wir geben mussten), Ken Follet:
The Third Twin. 1997 (deutsche Übersetzung von Wolfgang Neuhaus, Lore Strassl und Till R.
Lohmeyer 1999: Der dritte Zwilling), Michael Crichton: Next. 2006 (deutsche Übersetzung von Ulrich
Wasel und Klaus Timmermann 2007: Next), Tanja Kinkel: Götterdämmerung. 2003.
8
Von besonderem Interesse ist die Beantwortung der Frage, wie sich szientifische
Aspekte in den verschiedensten Genres ausdrücken und wie die Autoren bei der literarischen Umsetzung mit diesen umgehen. Dabei artikulieren sich laut Corina Caduff
„(…) auch die traditionellen Künste, so sie die neuen Technologien thematisch aufnehmen, vorwiegend aus der Position des Nachträglichen: Sie antworten und kommentieren und weisen dabei im Wesentlichen ähnliche Denkprozesse wie Bioethik
und Politik auf: Reflexion, Kritik, Warnung.“25
Bei der Auseinandersetzung mit biowissenschaftlichen Themen in fiktionalen Texten
muss Fiktion nicht bedeuten, dass bekannte Naturgesetze weggedacht werden, im
Gegenteil, es handelt sich vielmehr um annehmbare Extrapolationen, die sich am
aktuellen Stand der Forschung und Technik orientieren und darüber hinaus über die
szientifischen Fakten spekulieren.26 So wird ein Plot „(…) über die Gegenwart und
die Realität hinaus“ um diesen aktuellen Wissenschaftsstand mit seinem mehr oder
weniger erkennbaren Auswirkungen für die Gesellschaft konstruiert. 27 Gesellschaftliche Grundfragen bzw. Probleme werden so zusammenhängend mit den Entwicklungen gesehen und indem „(…) Handlungen in der Zukunft oder auch in der nahen Zukunft spielen (…), eröffnen [sich] fiktionale Möglichkeitsräume des ‚Was wäre wenn’,
die tatsächlich mehr über die Gegenwart aussagen, als über mögliche Zukunftsverläufe“.28
Die Biowissenschaften werden von nicht wenigen Menschen mit angsteinflößenden
Szenarien in Verbindung gebracht – Bioterrorismus ist dabei nur ein prominenter Begriff. So sind es auch oft solche Szenarien, die in der Literatur verarbeitet werden,
was u.a. im folgenden Kapitel deutlich wird. Allerdings geht es weniger um die Frage,
ob die fiktive Auseinandersetzung als ethische Antwort für oder gegen die Biowissenschaften zu verstehen ist. Von Relevanz ist eher das Sichtbarmachen der „(…)
Denkmuster, Diskursbezüge und Imaginationsräume, die ein solches pro und contra
Aus literaturwissenschaftlicher Sicht, aber auch interdisziplinär betrachtet, empfiehlt sich vor diesem
Hintergrund das im Kulturverlag Kadmos Berlin 2008 erschienene ‟Engineering Life. Narrationen vom
Menschen in Biomedizin, Kultur und Literatur” herausgegeben von Claudia Breger, Irmela Marei Krüger-Fürhoff und Tanja Nusser.
25
Corinna Caduff, S. 30.
Sie erwähnt insbesondere das Genre der Dystopie, welches in der aktuellen literarischen Auseinandersetzung mit gen- und biotechnischen Inhalten imponiert (vgl. ebd.). Diesbezüglich wird unter 3.2
am Beispiel des dystopischen Romans von Ninni Holmqvist gesondert Bezug genommen.
26
Vgl. Katja Kailer, S. 18-19.
27
Katja Kailer, S. 19.
28
Ebd., S. 21-22.
9
formieren“.29 Durch die Auseinandersetzung mit der Thematik im Medium des geschriebenen Wortes werden Wünsche und Ängste, die mit der biowissenschaftlichen
Entwicklung in Verbindung gebracht werden, im Rahmen einer narrativen Darstellung
konkret zur Anschauung gebracht. In Bezug auf bioethische, politische und wissenschaftliche Diskussionen kann eine solche Anschauung nicht vorausgesetzt werden.30 Es zeigt sich diesbezüglich die Notwendigkeit einer Bioethik31 sowie gesetzlich
verankerter Sicherheitsmaßnahmen, die diesen angsteinflößenden Szenarien – neben der literarischen Vertiefung – entgegenwirken können.
Literatur und Wissen(-schaft)
Wie bereits deutlich wurde, hat die gegenwärtige Wissenschaft und Technologie einen großen Einfluss auf die Literatur, somit auch auf die literarische Fantasie. Literarische Auseinandersetzungen mit szientifischen Konzepten und Theorien drücken
sich daher in experimentellen Stilen und Gestaltungsformen aus. Untersuchungsgegenstand ist insbesondere die Art der szientifischen Darstellung in der literarischen
Fiktion – die Beziehung zwischen Fakt und Fiktion.32 Literatur und Wissenschaft stellen vergleichbare Fragen:
„Fragen nach dem menschlichen Wesen, nach der Existenz der Welt und nach dem
Sein. Der Vergleich zwischen Literatur und Wissenschaft bestätigt diese Konvergenz
der Grundinteressen. Er führt allerdings darüber hinaus zu der Entdeckung, daß das
Interesse literarischer Texte dann über das wissenschaftlicher Texte hinausgeht,
wenn die Literatur die Reflexion über Wissen, Erkenntnis und ‚Wahrheit‘ mit ethischen und politischen Diskursen verknüpft. Hier geht es dann nicht mehr allein um
29
Corina Caduff, S. 30.
Vgl. ebd., S. 30-31.
„Und gerade in solch konkretisierter Anschaulichkeit werden diese Wünsche und Ängste zugänglich
gemacht, sie werden zur Diskussion gestellt und dadurch vor allem auch kritisierbar.“ (Corina Caduff,
S. 31).
31
Für weitere Informationen siehe: <http://www.bioethik-diskurs.de/bioethik-definition/> (15.03.2014).
Laut Annemarie Pieper ist das Leben an sich Gegenstand der Bioethik, „nicht nur das menschliche
Leben im engeren Sinn, das im Zentrum der medizinischen Ethik steht, sondern das Leben aller in der
Natur als solcher vorkommenden Organismen. (…) Die Bioethik ist überall dort gefordert, wo in Wissenschaft und Forschung unabschätzbare Gefahren für Leib und Leben einerseits, für Freiheit und
Würde der Person andererseits durch die modernen Technologien drohen. Dem verantwortungslosen
technischen Machbarkeitswahn sind unter Berücksichtigung des Allgemeinwohls Grenzen zu ziehen
derart, daß letzteres nicht oder nur mit ausdrücklicher Zustimmung der betroffenen Bürger beeinträchtigt werden darf.“ (S. 95-97).
32
Vgl. Monika Schmitz-Emans, S. 42-45.
30
10
die Ordnung wissenschaftlich-technischen Wissens und deren Implikationen, sondern auch um die Folgen dieses Wissens und der Wissenden.“33
Auch die literarischen Texte, die keine fiktiven Welten imaginieren, wie beispielsweise das Sachbuch, welches in dieser Arbeit von hoher Relevanz ist, gehören der Literatur an. Scheinbar der Wirklichkeit verpflichtet, bleiben sie bei „aller suggerierten
Authentizität und Lebensnähe (…) Kompositionen, die Ausschnitte aus einer wie
auch immer beschaffenen Realität darstellen und perspektivisch konditionierte Einstellungen mit ästhetischen Wirkungsabsichten formieren“.34
Eine immer wiederkehrende Frage bezieht sich auf den Wahrheitsgehalt von fiktiven
Texten, ob durch das Lesen fiktionaler Literatur eine wahrhaftige Meinung gewonnen
werden kann. Laut Tilmann Köppe kann diese Frage bejaht werden – „[solche] Meinungen haben die Form genereller probabilistischer Konditionale, deren Wahrheitsbedingungen Tatsachen in unserer Welt sind“.35 Es muss berücksichtigt werden,
„welches Genre oder welche Gattung fiktionaler Literatur in Rede steht und um welche Wahrheiten es geht“.36 Die Herausforderung besteht letztendlich darin, zu zeigen, dass „solche Meinungen nicht nur wahr, sondern auch gerechtfertigt sein können, d.h. dass wir mit guten Gründen von ihrer Wahrheit ausgehen können“.37 Besonders fiktive Texte, die sich mit allgemeinmenschlichen Begebenheiten auseinandersetzen, sind gute Kandidaten „für von fiktionaler Literatur vermittelte Wahrheiten
(…)“.38
Im Folgenden werden verschiedene Funktionen von Literatur vorgestellt. Tilmann
Köppe zählt die nachfolgenden Funktionszuschreibungen auf, nicht ohne zu bemerken, dass ein Wissenserwerb abhängig ist von der jeweiligen Person, von dem bestimmten Text und nicht zuletzt von der „sonstige[n] epistemische[n] Situation [der
33
Monika Schmitz-Emans, S. 50-51.
Ralf Klausnitzer, S. 11-12.
35
Tilmann Köppe 2013, S. 232.
36
Ebd., S. 233.
37
Tilmann Köppe, ebd.
38
Ebd, S. 233.
34
11
Person] (d.h. ihr Vorwissen, die ihr zur Verfügung stehenden Rechtfertigungsressourcen usw.)“.39

Ergänzung/Erweiterung von Wissen,

Vermittlung von Wissen,

Veranschaulichung von Wissen,
 Popularisierung von Wissen,
 Problematisierung von Wissen,
 Antizipieren von Wissen,
 Partizipation an der Konzeptualisierung eines Wirklichkeitsbereichs,
 das Voraussetzen von Wissen,
 Wissen als Inhalt und
 Literatur als Form von Wissen.40
Nach der Kontextualisierung des interdisziplinären Feldes der Medical Humanities
(Kapitel 1), einschließlich näherer Betrachtungen bezüglich der Beziehung zwischen
Literatur und Medizin/Biowissenschaft sowie der Ausarbeitung zum Thema Literatur
und Wissen(-schaft), wird in den folgenden zwei Kapiteln, bezugnehmend auf das
bereits Erarbeitete, der Schwerpunkt erst auf die literarische Auseinandersetzung mit
der Synthetischen Biologie (Kapitel 2) und später auf die literarische Umsetzung zur
kritischen Fragestellung der ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit
(Kapitel 3) gelegt. Einige Aspekte überschneiden sich, worauf innerhalb der einzelnen Felder aber nicht eingegangen wird; diese Überschneidungen werden gesamtheitlich im Fazit betrachtet (Kapitel 4). Der Vergleich der Literatur zu den entsprechenden Themenfeldern findet ausschließlich in den entsprechenden Kapiteln statt
(2.3 und 3.3).
2
Literarische Auseinandersetzung mit der Synthetischen Biologie
Die Synthetische Biologie, aufbauend „auf den inhaltlichen Konzepten und den Methoden der Gentechnologie“41, wird in der Öffentlichkeit besonders in Bezug auf die
39
Tilmann Köppe 2011, S. 8.
Ebd., S. 5-6.
41
Norbert Arnold, S. 388.
40
12
ethischen Implikationen umstritten diskutiert. Chancen und Hoffnungen werden analog zu Ängsten und Sicherheitsgefahren in der öffentlichen Wahrnehmung konstatiert.42
Die Synthetische Biologie43 bietet sowohl Innovations- und Gefahrenpotenziale, vor
allem aber auch Imaginationspotenziale, welche dieses Forschungsfeld als Untersuchungsgegenstand aus literaturwissenschaftlicher Sicht besonders interessant
macht. Die positiven Aspekte, wie der medizinische Fortschritt durch die Entwicklung
von synthetisch produzierten Arzneistoffen, die beispielsweise Malaria bekämpfen, 44
stehen den negativen Auswirkungen gegenüber, die sich insbesondere im Missbrauchspotenzial ausdrücken.
Ethische Fragen, die durch die Synthetische Biologie aufgeworfen werden, müssen
insbesondere in Hinblick auf mögliche Auswirkungen für den Menschen untersucht
werden.45 Abgesehen vom möglichen Nutzen muss also auch der Gegenpol betrachtet werden,46 d.h. die denkbaren negativen Folgen, die Gregory E. Kaebnick in die
drei folgenden Kategorien unterteilt: „Fragen der Biosafety, Fragen der Biosecurity
und Fragen bezüglich umfassender ökonomischer und sozialer Verschiebungen“. 47
Bei den Gefahren bezüglich der Biosafety („Bio-Error“) handelt es sich um Unfälle,
bei denen synthetisierte Organismen unbeabsichtigt aus den Forschungslaboren und
ihren kontrollierten Umgebungen freigesetzt werden und so auf unterschiedlichste Art
und Weise Schaden verursachen können. Dabei wäre damit zu rechnen, dass sie in
der ihnen unbekannten Umgebung „(…) andere Eigenschaften als die beabsichtigten
und vorhergesagten zeigen“, möglicherweise „(…) würden sie auch mutieren und so
neue Eigenschaften erwerben“.48
42
Vgl. Katja Kailer, S. 29.
„[Unter] synthetischer Biologie lässt sich das Bestreben zusammenfassen, komplexe biologische
Systeme mit neuen Eigenschaften und neuen Funktionen in effizienter und planbarer Weise zu konstruieren.“ (Sonja Billerbeck, Sven Panke, S. 20).
44
„Mit der Synthetischen Biologie verbinden sich Möglichkeiten, Proteine gezielt so zu konstruieren
und zu synthetisieren, dass sie im pharmazeutisch-medizinischen Bereich als neuartige Enzyme, Medikamente oder Impfstoffe verwendet werden können.“ (Norbert Arnold, S. 390).
45
Vgl. Gregory E. Kaebnick, S. 51.
46
„Der mögliche Nutzen ist zu groß, als dass Befürchtungen uns lähmen sollten, gleichzeitig aber ist
der mögliche Schaden zu umfassend, als dass Euphorie die weitere Entwicklung bestimmen sollte.“
(Gregory E. Kaebnick, S. 56).
47
Gregory E. Kaebnick, S. 52.
48
Ebd., S. 54.
43
13
Gefahren bezüglich der Biosecurity („Bio-Terror“) beziehen sich auf die Fähigkeit der
Produktion von synthetischen Organismen ausschließlich aus Missbrauchsgründen
(beispielsweise die Herstellung pathogener Bakterien oder vollkommen neuartiger
Krankheitserreger, die dann als Waffe eingesetzt werden könnten). Hinzu kommt,
dass diese Gefahr „durch im Labor erzeugte Pathogene (…) nicht auf den Menschen
beschränkt sein [muss]. Solche Pathogene können auch auf den Bestand eines Landes an Nutzpflanzen, Nutztieren oder dessen natürliche Ressourcen gerichtet
sein“.49
Bedenken gegenüber der Synthetischen Biologie treffen drittens auch die möglichen
sozialen und ökonomischen Verschiebungen, die sich zum heutigen Zeitpunkt noch
nicht zeigen. Diese Gefahr beruht auf den Überlegungen, dass „mit der Synthetischen Biologie ein neues industrielles Zeitalter anbreche [und so] nicht nur unsere
Fähigkeiten [erweitert], sondern auch die bestehenden Verfahren zur Herstellung und
Verteilung so gewöhnlicher Waren wie [Kraftstoff] und [Kunststoff] überflüssig [macht]
(…) was unweigerlich diverse makroökonomische Folgen [hätte]“.50
Das Innovations- und Gefahrenpotenzial
Durch die Synthetische Biologie besteht die Möglichkeit, Erkrankungen, welche „(…)
auf Fehlern in den molekularen oder zellulären Abläufen beruhen, zu verstehen und
darauf aufbauend neue Behandlungsoptionen zu entwickeln“, es kann so dazu beigetragen werden, „ursächlich wirkende Therapien zu entwickeln“ (gegensätzlich zu
den heutigen Therapien, die sich größtenteils nach der Symptomatik richten). 51 Darüber hinaus ermöglicht die Synthetische Biologie die „(…) Synthese von einzelnen
Genen und den Aufbau von Genkombinationen die, in Mikroorganismen eingebracht,
neuartige Synthesewege ergeben“.52
„Damit geht die Erwartung einher, die derzeitigen gentechnikbasierten Verfahren des
‚Bioprocessing’ von pharmazeutisch wirksamen Substanzen weiter auszubauen und
zu optimieren. Es gibt bereits umfangreiche Sammlungen von sogenannten ‚biobricks’, von denen man hofft, dass sie sich zum Aufbau solcher neuer Biosynthese49
Gregory Kaebnick, S. 53.
Ebd., S. 55.
51
Norbert Arnold, S. 29.
52
Ebd., S. 31.
50
14
wege eignen. Erste positive medizinisch-relevante Ergebnisse liegen vor: Beispielsweise können Hydrocortison und das Anti-Malaria-Mittel Artemisinin auf diesem Wege hergestellt werden.“53
Hinter dem Innovationspotenzial stecken also in erster Linie die vielversprechenden
Möglichkeiten in Bezug auf die Bekämpfung von Krankheiten, denn ohne die biologische Grundlagenforschung ist Medizin nicht denkbar. Gesundheit gilt in unserer Gesellschaft als Fundamentalwert und so wundert es nicht, dass durch die Versprechen
von Heilung und Leidminderung die Synthetische Biologie nicht nur ihre Legitimation
findet, sondern auch eine besondere Wertschätzung erhält.54
Abgesehen vom Innovationspotenzial muss in Hinblick auf die biologische Sicherheit
das Gefahrenpotenzial55, welches von der Synthetischen Biologie ausgeht, Beachtung finden. Durch die vielfältigen Wege der DNA-Synthese kann, wie bereits unter
dem Stichwort Biosecurity eruiert wurde, die Gefahr des terroristischen Missbrauchs
bestehen.56 Das Gefahrenpotenzial spiegelt sich allerdings auch in den ungewollten
Risiken wider, die Margret Engelhard als biosafety risks benennt und die unter dem
Stichwort Biosafety bereits Erwähnung fanden. 57
Das Imaginationspotenzial
Die Synthetische Biologie bietet eine Grundlage für die Künste, sich ästhetisch mit
Laborprodukten (der „neuen Schöpfung“) auseinanderzusetzen. Im noch jungen
Genre der Bio-Künste wird sich „(…) auf zentrale Weise damit befasst, den Konnex
von Kunst und Gentechnologie manifest (…) zu machen, ihn zu formieren und zugleich zu erforschen“.58 Dies zeigt sich vermehrt in gegenwärtigen Thrillern (auch in
53
Norbert Arnold, S. 31.
Vgl. ebd., S. 32-33.
55
Siehe diesbezüglich auch Lucian Haas: Was ist Synthetische Biologie. Eine Einführung. In: Bernhard Vogel (Hg.): Die Politische Meinung 493 (2010), S. 5-10.
56
Vgl. Norbert Arnold, S. 397.
57
Vgl. Margret Engelhard, S. 19.
58
Corina Caduff, S. 28-29.
„In Berlin öffentlich thematisiert wird ein entsprechender Brückenschlag zwischen künstlerischer und
wissenschaftlicher Produktivität vom Zentrum für Literaturforschung mit der von Sigrid Weigel
2001 initiierten Veranstaltungsreihe der WissensKünste, in der (Bio-)Künstler und Wissenschaftler –
von der Biomechanik bis zur Künstlichen Intelligenz, von der Kybernetik bis zur Gen-Kunst – gemeinsam auftreten. Dabei geht es darum, ‚die künstlerischen Wahrnehmungen und Kommentare zu aktuellen Phänomenen als genuinen Beitrag zur Erforschung unserer Kultur zu betrachten, als eine
Art Science Studies mit künstlerischen Ausdrucksmitteln.‘ Als solcher Beitrag ist beispielsweise ein im
54
15
Hansjörg Andereggs „Nebenwirkungen“), die den Plot rund um molekularbiologische
Experimente spinnen und bei dem auf kurz oder lang das Labor als „Ort der Delinquenz“ dargestellt wird.59 Durch den „Imaginations-Transfer“ können für die Gesellschaft wesentliche, moralische, rechtliche und sinnbildliche Werte in einem neuen
Setting thematisiert und mit einem kritischen Blick betrachtet werden. 60
Mit Blick auf die hier aufgezählten Potenziale und die bereits eruierten Fakten zur
Beziehung zwischen Literatur und (Bio-)Wissenschaften soll folgend das Augenmerk
auf die zwei zur Untersuchung stehenden literarischen Werke gelegt werden – beginnend mit dem Sachbuch „Die Neue Schöpfung“ von Olaf Fritsche und gefolgt von
Hansjörg Andereggs Thriller „Nebenwirkungen“.
2.1
Olaf Fritsche „Die Neue Schöpfung“
„Mögen wir auch technisch in der Lage sein, das Leben zu manipulieren, zu programmieren und vielleicht sogar zu erschaffen – offen bleibt, ob wir auch die moralische Größe haben, unsere neue Macht zu beherrschen.“61
Der deutsche Biophysiker, promovierte Biologe und Wissenschaftsjournalist Olaf
Fritsche beschreibt in seinem 271-seitigen Sachbuch „Die Neue Schöpfung“ (2013)
wie Bio-Ingenieure unser zukünftiges Leben neu gestalten und revolutionieren. Die
Synthetische Biologie – als bestimmende Wissenschaft des 21. Jahrhunderts – steht
dabei mit einer Vielzahl von Anwendungsbeispielen im Mittelpunkt. Untergliedert in
zwei Hauptkapitel und neun Unterkapitel, nutzt Fritsche sowohl mögliche Zukunftsszenarien,62 beschreibt aber auch den gegenwärtigen Stand der Wissenschaft. Letz-
Jahr 2000 geborenes grünfluoreszierendes Kaninchen zu betrachten – sein Kaninchenname ist Alba,
als Kunstwerk trägt es den Titel GFP Bunny.“ (Ebd., S. 29).
59
Corina Caduff, S. 30.
60
Vgl. ebd., S. 38, 40.
61
Olaf Fritsche, S. 95.
62
„Minimalzellen, Gen-Bausteine, erweiterte genetische Codes . . . Das alles klingt utopisch, abstrakt
und fern von unserem alltäglichen Leben. Doch der Eindruck täuscht. Um eine Ahnung zu entwickeln,
wie die Biologie unsere Arbeit, das Familienleben und unsere Freizeit verändern wird, beginnen wir
deshalb jedes Kapitel in diesem Buch mit einer fiktiven Szene aus einer möglichen Zukunft. Anschließend erfahren wir, wie weit reale heutige Forscher mit ihrer Science auf dem Weg zu unserer Fiction
bereits gekommen sind.“ (Olaf Fritsche, S. 16).
16
teren stellt er beispielsweise dar, indem er eine Gruppe junger Wissenschaftler, die
am iGEM-Wettbewerb63 teilnehmen, durch das ganze Buch begleitet.
„Zwischen den Kapiteln streifen wir uns die weißen Laborkittel über. Um an einem
konkreten Beispiel mitzuerleben, wie Wissenschaft wirklich funktioniert, sind wir live
dabei, wenn eine Gruppe von Forschern der Zukunft an der Zukunft der Forschung
arbeitet. Der international Genetically Engineered Machine Competition oder kurz
iGEM genannte Wettbewerb ist eine Spielwiese für Visionen, auf der junge Nachwuchswissenschaftler jenseits der eingefahrenen Schienen des regulären Forschungsbetriebs ihre eigenen Ideen entwickeln und umsetzen dürfen.
Wer sein Team gefunden und finanziert hat, darf sich selbst aussuchen, welche biologische ‚Maschine‘ er kreieren will. Erlaubt ist alles, was nicht durch nationale Gesetze oder Bestimmungen verboten ist. Entsprechend phantasievoll ist das Spektrum
der Beiträge. Es reicht von Bakterien, die in allen Regenbogenfarben leuchten oder
nach Banane riechen, über Biosensoren, die giftige Arsenverbindungen im Wasser
aufspüren, bis hin zu einem Impfstoff gegen den Erreger von Magengeschwüren
(…).“64
Ähnlich der Begleitung des Teams vom iGEM-Wettbewerb, durchzieht sich durch das
gesamte Werk ein „Laborbuch“, welches wissenschaftlich-technische Zusammenhänge näher erläutert und anhand von Überblickstafeln, Abbildungen und Zeichnungen „(…) selbst komplexe Abläufe der Synthetischen Biologie verstehen lässt“. 65 So
wird beispielsweise der Aufbau der DNA, die Funktionsweise von Leuchtgenen, der
gezielte Angriff von Viren und die Unterschiede zwischen top-down – und bottom-up63
Beim iGEM-Wettbewerb, „[der] vom Massachusetts Institute of Technology ins Leben gerufen [wurde]“, handelt es sich um einen Wettbewerb, bei dem „Teams von jungen Studierenden aufgefordert
[sind], bakterielle Organismen mit DNA-Sequenzen so zu verändern, dass sie neuartige, von diesen
Organismen bisher nicht gekannte Eigenschaften zeigen. (…) Zusätzlich sollen die verwendeten DNASequenzen (…) in einer Open-Source-Datenbank [Bauteileregister] abgelegt werden, aus der sich alle
Teams wiederum auch selbst bedienen können.“ (Joachim Boldt, S. 78). Auch Sonja Billerbeck und
Sven Panke äußern sich bezüglich des iGEM-Wettbewerbs in ihrem Artikel: „Der Wettbewerb ist eine
aus den Ingenieurswissenschaften entliehene, in der Biologie sehr untypische Ausbildungsform, die
zum einen Studenten sehr früh an selbstbestimmte Projektarbeit heranführt, zum anderen aber auch
eher ‚konstruktiv‘ denkende junge Menschen für die Biotechnologie zu begeistern vermag. Zusätzlich
wird schon unter den jungen Studenten der Gedanke der interdisziplinären Zusammenarbeit gefördert,
was dazu beitragen wird, disziplinäre Grenzen in Zukunft immer mehr aufzuweichen und dadurch
neuen, innovativen Denkansätzen Platz zu bieten. Hier kommt dem Bauteileregister eine Schlüsselfunktion zu.“ (S. 38).
64
Olaf Fritsche, S. 16-17, S. 102.
65
Ebd., S. 16.
17
Verfahren sehr anschaulich beschrieben. In den Texten nimmt Fritsche dann Bezug
zu diesen Einschüben und verweist auf die jeweiligen Laborbücher, damit der Zusammenhang von der Leserschaft besser und komplexer verstanden wird.
Das erste Kapitel, unterteilt in drei Unterkapitel, trägt den Titel „Die Zukunft der Vergangenheit“66 und beschreibt bezugnehmend auf Michael Crichtons/Steven Spielbergs Jurassic Park, „(…) die Erfolgsaussichten für die Neuschöpfung einer ausgestorbenen Art (…)“67 am Beispiel des Mammutgenoms (Mammoth Genome Project),
des Langzeitprojekts im Nordosten Sibiriens – dem Pleistozän-Park (Pleistocene
Park) und der Genom-Sequenzierung des Neandertalers (Neandertal Genome Project). Eingebettet in diese Diskurse finden außerdem George Churchs „Evolutionsmaschine“ MAGE – Multiplex Automated Genome Engineering,68 die wissenschaftliche Disziplin der Museomic,69 die Thematik der Biodiversität,70 Frozen ArkProjekte,71 Transgenic Art und GloFish72 u.v.m. Erwähnung.
Von besonderem Interesse für diese Arbeit soll allerdings primär das zweite Kapitel
sein, welches sich in sechs Unterkapitel unterteilt. Fritsche widmet sich hier der
Thematik der Schaffung neuen Lebens mit Hilfe der Synthetischen Biologie. Dabei
wird die biologische Revolution unter den Gesichtspunkten von Chancen und Risiken
(u.a. Bioterrorismus) näher beleuchtet.
„Wir werden in den folgenden Kapiteln lesen, wie unbeirrbare Ingenieure und enthusiastische Nachwuchsforscher daran arbeiten, das Leben zu zähmen, zu normieren
und umzuformen. Nachdem die Biologie jahrhundertelang über die Fülle der Lebensformen gestaunt, sie mit Schmetterlingsnetz oder Flinte gejagt, auf Nadeln gespießt
oder ausgestopft und sie gesichtet, geordnet und ausgestellt hat, nachdem Forscher
66
Olaf Fritsche, S. 21 ff.
Ebd., S. 22.
68
Olaf Fritsche, S. 42 ff.
69
Ebd., S. 52.
70
Olaf Fritsche, S. 55.
Ausführliche Informationen zu dieser Thematik finden sich im Sachstandbericht des Deutschen Referenzzentrum für Ethik in den Biowissenschaften: Dirk Lanzerath, Jens Mutke, Wilhelm Barthlott, Stefan
Baumgärtner, Christian Becker, Tade M. Spranger (Hg.): Biodiversität. Band 5. Freiburg: Karl Alber,
2008.
71
Ebd., S. 56.
72
Olaf Fritsche, S. 66 ff.
Olaf Fritsche nimmt ähnlich wie Corina Caduff Bezug auf das Leuchtkaninchen Alba und erklärt weiterhin auch die Bedeutung des GFP (grün fluoreszierendes Protein) für die Gentechnik als „kleine
Signallampe“ (S. 69).
67
18
seit der Erfindung des Mikroskops die Zelle als Grundlage des Lebens erkannt und
ihre Komponenten in immer feineren Details untersucht haben, gehen Synthetische
Biologen nun dazu über, aktiv neue Lebensformen zu gestalten. Sie lassen dabei die
klassische Gentechnik weit hinter sich, indem sie Zellen und Lebewesen nach den
Prinzipien der Ingenieurwissenschaft gestalten.“73
Durch die diversen Ansatzpunkte, die Fritsche nutzt, um der Leserschaft das Feld der
Synthetischen Biologie näherzubringen, wird ein interdisziplinäres Bild von der Thematik gezeichnet. Insbesondere die ethische Seite der Forschung bzw. der Biowissenschaften und mögliche gesellschaftliche Auswirkungen werden thematisiert. Oft
stellt sich dabei die Frage, ob wir wirklich tun sollten, was wir können.
„Unsere Toleranz gegenüber dem Leben und der Natur wird bedenklich abnehmen,
Organismen werden zu technischen Konstrukten degradiert und die Natur zu einer
Kulisse. Schon heute haben wir uns an eine Nahrungsmittelindustrie gewöhnt, die in
Massentierhaltung Fleisch produziert, als würde es sich um Autos oder Fernseher
vom Fließband handeln. (…) Was wir heute mit chemischen Substanzen, Arzneistoffen und Gendoping anstreben, wollen wir übermorgen mit synthetischen Leben erreichen. (…) Echtes Leben ist ein funktionierendes Chaos, und so werden auch unsere
künstlichen Zellen, synthetischen Lebewesen und optimierten Körper weiterhin von
Viren und Bakterien befallen, die sich keine Gedanken machen, ob ihre Wirte aus der
Natur oder der Retorte stammen.“74
Aus rechtlicher Sicht wird beispielsweise der Streit um die Patentierung von synthetischen Zellen diskutiert, besonders im Zusammenhang mit der „wissenschaftlichen
Rampensau“75 Craig Venter. Dem US-Amerikanischen Biochemiker wird von der
ETC-Group76 vorgeworfen, aufgrund seiner unzähligen Patentanmeldungen eine
Monopolstellung auf dem Gebiet der Synthetischen Biologie anzustreben. 77 Was be-
73
Ebd., S. 95.
Olaf Fritsche, S. 191.
75
Ebd., S. 132.
76
Eine kanadische Aktivistenvereinigung, „die es sich zur Aufgabe gemacht hat, biotechnologische
Entwicklungen kritisch zu beobachten“ (Olaf Fritsche, S. 151). Für weitere Informationen siehe:
<http://www.etcgroup.org/> (03.03.2014).
77
Olaf Fritsche, S. 151.
74
19
sonders deutlich wird, ist, dass es „höchste Zeit [ist] für eine belastbare rechtliche
Regelung auf internationaler Ebene“.78
„Für die Europäische Union setzt eine Richtlinie einen Rahmen für die nationalen
Patentgesetze ihrer Mitgliedstaaten. Danach sind Pflanzensorten und Tierrassen
ebenso wenig patentierbar wie im Wesentlichen biologische Züchtungsverfahren.
Von dieser Regelung sind allerdings mikrobiologische Vorgehensweisen explizit ausgenommen. Aus Sicht der Synthetischen Biologie bleiben die entscheidenden Fragen damit weiterhin offen. (…) Die Regierungen der Industrienationen müssen sich
beeilen, wenn ihre Gesetzgebung mit der Forschung Schritt halten will.“79
Das Thema Sicherheit wird separat in zwei Unterkapiteln besprochen, 80 wobei die
Begriffe Security und Safety zur Sprache kommen, wie sie bereits in den einführenden Worten zu diesem Kapitel beschrieben wurden. Fritsche nimmt seine Leserschaft mit ins Boot, spricht sie persönlich an und erklärt: „[Wir werden] versuchen
herauszufinden, welche Risiken tatsächlich von der Synthetischen Biologie ausgehen
könnten und mit welchen Methoden Wissenschaftler versuchen, die Gefahren möglichst gering zu halten.“81 Um das Gefahrenpotenzial zu verdeutlichen, welches von
der Synthetischen Biologie ausgehen kann, bezieht er sich auf eine Begebenheit aus
dem Jahr 2006, in der der Guardian-Redakteur James Randerson problemlos per
Internet ein Stück der Pockenvirus-DNA in Bestellung gab und diese auch erhielt –
was in falschen, unbefugten Händen einer Katastrophe gleichkäme, bedenkt man die
Möglichkeiten der biologischen Waffen und des Bioterrorismus. 82 Noch interessanter
ist allerdings, wie Fritsche diese Anekdote nutzt, um der Erkrankung mit dem Pockenvirus Orthopoxvirus variola einen besonderen Platz einzuräumen und der Leserschaft so einen verständlichen epidemiologischen Exkurs zu bieten:
78
Ebd., S. 152.
Olaf Fritsche, S. 152-153.
Siehe dazu auch: Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998
über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen.
80
„Die Dunkle Seite der Neuen Macht“ (Olaf Fritsche, S. 196 ff.) und „Ist ‚Sicher ist Sicher‘ Sicher genug?“ (Ebd., S. 228 ff.).
81
Olaf Fritsche, S. 199.
82
Vgl. ebd., S. 200-203.
79
20
„Durch Tröpfcheninfektion oder beim Einatmen von virenverseuchtem Staub (…) gelangt das Virus in den Körper. Dort bleibt es im Schnitt um die zwei Wochen verborgen, bis die ersten Symptome auftreten. Die Patienten fühlen sich furchtbar krank,
haben Kreuzschmerzen, Fieber, Schüttelfrost. Trotz des recht unspezifischen Krankheitsbildes sind sie bereits hoch ansteckend, was diese erste Phase besonders gefährlich macht. Nach einigen Tagen sinkt das Fieber vorübergehend und kehrt dann
wieder, jetzt begleitet von den typischen Bläschen und Pusteln. Wenn der Patient
Glück hat, ebbt die Krankheit nach zwei weiteren Wochen allmählich ab und hinterlässt nur auffällige Narben. Bei schwereren Fällen kommt es zu Schädigungen des
Hirns, Blindheit, Gehörlosigkeit oder Lähmungen. Etwa die Hälfte der Infizierten stirbt
an den Pocken (…). Noch im 20. Jahrhundert kamen weltweit über 300 Millionen
Menschen durch Pocken ums Leben – das entspricht mehr als der Hälfte der Einwohner der Europäischen Union.“83
Allein in den letzten drei Sätzen des Absatzes nimmt Fritsche Bezug auf epidemiologische, medizingeschichtliche und demografische Tatsachen und erfüllt somit die
szientifische Funktion der Literatur im hohen Maße.
Erwähnung im Diskurs um den Bioterrorismus findet auch die „zweischneidige Forschung“ („dual use research“)84 sowie programmierte Killer, sogenannte „ethnische
Waffen“85. Das Stichwort Sicherheit unterstreicht Fritsche anhand der geschichtlichen
Entwicklung des „[Streits] um die Freisetzung selbstgeschaffener Lebewesen“. 86 Dabei geht er insbesondere auf die Asilomar Konferenz im Februar 1975 ein, die aufgrund der möglichen „Freisetzung potenziell gefährlicher Organismen (…)“ einberu-
83
Olaf Fritsche, S. 201.
„Das Werkzeug des Guten wie des Bösen (…)“ – „Richtig angewandt könnte das Wissen [um beispielsweise die Entstehung eines Killervirus] womöglich eine zukünftige tödliche Pandemie verhindern
– in den falschen Händen könnte es genau solch eine Seuche auslösen.“ (Ebd., S. 207).
85
Diese intelligenten Killer würden „ausschließlich bestimmte Bevölkerungsgruppen krank machen,
während die restliche Menschheit unbehelligt bliebe. Ein derartiges Virus könnte beispielsweise gezielt blonde Menschen angreifen oder Gruppen, die keine Milch vertragen.“ (Olaf Fritsche, S. 210) Auf
der folgenden Seite zeigt Fritsche am Beispiel des HLA-Systems und des Coronavirus, welches SARS
auslöst, „dass Krankheitserreger durchaus auf bestimmte Populationen als Zielgruppe genetisch programmiert werden können“ (Ebd., S. 211).
86
Olaf Fritsche, S. 233.
84
21
fen wurde.87 Heute können dank der verschiedenen Sicherheitsstufen (Sicherheitsstufe 1, z.B. bei Einsteiger-praktika-Experimenten oder bei den iGEM-Teams bis hin
zum S4-Labor, in dem beispielsweise Experimente mit Ebola-Viren durchgeführt
werden) und der „(…) doppelten Sicherheitsstrategie, die in Asilomar entwickelt wurde“88, schwerwiegende Unfälle vermieden werden.
In dem abschließenden Kapitel „An der Schwelle“89 weist Fritsche darauf hin, dass
sich die Zukunft zwar nicht vorhersagen lässt, aber dass wir (die Leserschaft), in der
Lage sind, diese mitzugestalten – auch in Anbetracht der Chancen und Risiken der
Synthetischen Biologie. Anschließend folgen zehn Seiten mit weiterführenden Informationen in Form von allgemeinverständlichen Texten, Fachartikeln und Internetadressen.
Im Folgenden werden die typischen Charakteristika des Sachbuch-Genres analog
auf Fritsches Werk angewandt, um zu untersuchen, inwieweit der Autor sich in den
genretypischen Grenzen bewegt und wie er sich diese Merkmale zu Nutze macht,
um den Ansprüchen der Leserschaft gerecht zu werden.
Genre Sachbuch
Im Vordergrund stehen die Ausführungen von Ute König, die verschiedene Ansätze
verfolgt, um das Genre Sachbuch zu charakterisieren. So fragt sie, wer mit einem
Sachbuch wie angesprochen wird und beantwortet diese Frage folgendermaßen:
„Ein Sachbuch möchte mit seinem Thema alle Interessierten ansprechen. Da das
Publikum beim Sachbuch zum großen Teil aus Laien besteht, muss das Thema leicht
verständlich aufbereitet sein.“90
87
150 Forscher, Juristen sowie Journalisten trafen sich an der Pazifikküste, um klare Richtlinien für
das zukünftige Arbeiten mit veränderter DNA zu schaffen, „an denen sich Forscher orientieren konnten“. (Ebd., S. 235-236).
88
„Physikalische Barrieren sollen die Organismen daran hindern, dass [sic] Labor zu verlassen, und
biologische Mängel sollen es ihnen unmöglich machen, in Freiheit zu überleben, falls doch einmal
eine Zelle entkommt.“ (Olaf Fritsche, S. 238-239).
In dem Artikel „Wissenschaftsbasierte Diagnostik hochpathogener Erreger“ geht Dr. Sabine Schmoldt
in Management und Krankenhaus (Ausgabe 10/2013, Weinheim: GIT Verlag) auf die Diagnostik im
medizinischen B-Schutz ein und beschreibt die Arbeit mit Erregern im Laboratorium der Schutzstufe 3
(BSL3), die das Potenzial biologischer Kampfstoffe haben.
89
Olaf Fritsche, S. 267 ff.
90
Ute König.
22
Fritsche richtet sich mit seinem wissenschaftlichen inspirierten Sachbuch an Erwachsene, die Interesse an den neuen Entwicklungen der Gentechnik, insbesondere der
Synthetischen Biologie, und deren möglichen Auswirkungen haben. Bei der Leserschaft handelt es sich um interessierte Laien, die gerne hinter die spannende Kulisse
der Forschung blicken und ferner über die dunkle Seite der Wissenschaft informiert
werden wollen. Viele der Leser werden kein Biologiestudium absolviert haben oder
selbst direkt in der Forschung tätig sein; ihre Neugier für wissenschaftliche Themen
und der Drang ihren Horizont zu erweitern, lässt allerdings viele zum unterhaltenden
Sachbuch greifen. Damit der Unterhaltungswert allerdings nicht verloren geht, muss
der Autor darauf achten, seine Leserschaft nicht mit zu vielen Fachtermini zu verwirren. Fritsche findet eine gute Balance zwischen nötigem Fachjargon und verständlicher Aufbereitung. Er bedient sich zahlreicher Anekdoten und geschichtlicher Ereignisse in verständlicher Sprache (zum Teil anhand von Umgangssprache und einem
Hauch Sarkasmus 91), die irgendwann in den Medien bereits unterbewusst aufgeschnappt wurden und aktiviert damit den Anreiz weiterzulesen, um einen tieferen
Einblick in die Geschehnisse zu erhalten. Der Ausblick auf die Wissenserweiterung
durch den Leseprozess motiviert den Leser wesentlich. Der Spannungsbogen wird
so auf einem konstant hohen Level gehalten. Die Leserschaft fühlt sich nicht überfordert, sondern vom Autor mitgenommen auf eine transparente Reise in die Welt der
sonst mysteriösen, undurchsichtigen Forschung und Wissenschaft.
Ein weiteres Merkmal des Sachbuches ist laut Ute König der Trendfaktor, welcher
der Thematik innewohnt, was wiederum die Problematik der Schnelllebigkeit auf den
Plan ruft:
„Charakteristisch für ein Sachbuch ist, dass es allein durch seine Thematik Auskunft
gibt über gesellschaftliche Probleme und Trends. [Es] beschäftigt sich immer mit einem Thema seiner Zeit und spiegelt somit Entwicklungen in der Gesellschaft wider.
Wie kein anderes Genre ist das Sachbuch auf das ‚Heute‘ fokussiert, es will dem Leser jetzt etwas nahe bringen, ihn in seiner jetzigen Situation ansprechen. (…) Damit
ein Sachbuch erfolgreich ist, muss es sich mit einem aktuellen Thema beschäftigen,
91
Textbeispiel: „Egal, wie gut erhalten ein Mammut [ist] – das Schlimmste, was ihm passieren kann,
ist: gefunden zu werden. Spätestens wenn es freigelegt wird, setzt ein zerstörerischer Zerfallsprozess
ein. Eiskristalle zerfetzen die empfindlichen Strukturen der Zellen, und Bakterien lassen Fleisch und
Innereien verfaulen.“ (Olaf Fritsche, S. 30).
23
das die Menschen umtreibt. Da sich Trends und Entwicklungen schnell ändern können, muss solch ein Buchprojekt in kurzer Zeit verwirklicht werden. Deshalb ist es im
Sachbuchbereich besonders wichtig, dass der Autor schnell schreiben kann. Autoren
von Sachbüchern sind oft Journalisten, zum einen weil sie an Termindruck gewöhnt
sind, zum anderen weil sie gegenwartsorientiert und trendbewusst sind.“92
Fritsche ist als Wissenschaftsjournalist mit dieser Schnelllebigkeit vertraut und hat
mit der „neuen Schöpfung“ ein aktuelles, wissenschaftliches Thema - für den Laien
verständlich – bearbeitet und so für ein breites Publikum zugänglich gemacht. Er
geht sowohl auf Probleme der neuen Entwicklungen ein (Stichwort Sicherheit), erkennt aber auch die „Trends“, die hinter diesen Entwicklungen warten. Anhand zahlreicher Zukunftsszenarien (z.B. der „Taste-Styler“93) bereitet er diese für die Leserschaft transparent auf. In Zeiten, in denen sich immer öfter die Frage gestellt wird,
wie weit die Wissenschaft gehen darf, äußert Fritsche – nicht medienunwirksam dass Gott Konkurrenz bekommen hat, und bestätigt so die hohe Relevanz seiner
Themenwahl, die sich auch im theologischen Diskurs94 ausdrückt.
Um aus Fachwissen anwendbares Wissen zu bereiten, muss der Autor nicht nur „(…)
im Vorfeld Informationen sortieren und Wissen vereinfachen“, er muss den Leser
auch unterhalten. „Dies kann der Autor zum Beispiel dadurch erreichen, dass er Personen durch die Geschichte führen lässt oder ungewöhnliche Perspektiven einnimmt.“ 95 Durch die Begleitung des iGEM-Teams durch das gesamte Buch schafft
Fritsche diese außergewöhnliche Perspektive, da der Leserschaft so ein ganz besonderer Einblick in die Welt der Wissenschaft und junger, ambitionierter Forscher
geboten wird. Der Leser ist gespannt nach jedem Kapitel Neues über die Fortschritte
(durchaus auch Rückschläge) der Gruppe zu erfahren und fiebert mit, als wäre er/sie
selbst involviert. Mit Hilfe des Laborbuchs „Checkliste für das Heimlabor“96 schafft es
Fritsche beispielsweise, die Leserschaft in die Welt von Biohackern einzuführen, die
sich „(…) ihre Labore auf Dachböden, in Kellern, Küchen und natürlich Garagen [er92
Ute König.
Olaf Fritsche, S. 96.
94
Siehe dazu z.B. Peter Dabrock: Wird in der Synthetischen Biologie „Gott gespielt“? Theologische
und ethische Perspektiven. In: Joachim Boldt, Oliver Müller, Giovanni Maio (Hg.): Leben schaffen?
Philosophische und ethische Reflexionen zur Synthetischen Biologie. Paderborn: Mentis 2012, S. 195215.
95
Ute König.
96
Olaf Fritsche, S. 120.
93
24
richten]“.97 Außerdem nutzt er, abgesehen von den anschaulichen Laborbüchern,
auch viele Fotos, die er zwischen den Texten einbaut. Diese reflektieren u.a. Szenen
in Laboratorien und zeigen prominente Forscher an ihren Gerätschaften, z.B. Webb
Miller und Stephan Schuster mit ihrem DNA-Sequenzer98 sowie George Church an
seiner „Evolutionsmaschine“99. So erhält der Leser eine lebendige Teilhaberschaft
am szientifischen Prozess, denn er „(…) will zusammen mit dem Autor, dem Forscher bei seiner Arbeit gewissermaßen über die Schulter blicken, bei ihm einkehren,
sein Gast sein, sich vom Sog der Probleme mitreißen lassen und auf diese Weise
Belehrung sozusagen aus erster Hand erfahren“.100
Als letztes Charakteristikum soll die Struktur des Sachbuchs genauer betrachtet werden. Klaus Reinhardt beschreibt die Struktur bei Fach- und Sachbüchern als offensichtlicher, „[die] Einzelteile tragen Überschriften; sie sind in Kapitel, Unterkapitel,
Unter-Unter-Kapitel gegliedert. Daneben springen weitere strukturierende Merkmale
ins Auge: Tabellen, Abbildungen, Kästen, Aufzählungen, fettgedruckte Wörter
usw.“101 Diese Strukturmerkmale lassen sich in Fritsches Sachbuch reichlich finden,
was dem Werk eine abwechslungsreiche, informative Aufmachung verleiht und so
Langeweile beim Leser nicht zulässt.
Es wird deutlich, dass Fritsche sich der Charakteristiken des Sachbuchs bedient und
sie gekonnt einsetzt, um die Leserschaft anhand eines roten Fadens durch das komplexe Themengebiet der Synthetischen Biologie zu führen.
Die gleiche Thematik mit besonderem Fokus auf der Malariabekämpfung findet sich
im Werk „Nebenwirkungen“ von Hansjörg Anderegg, der das Genre der Kriminalliteratur wählt, um sich mit dem Gegenstand der Synthetischen Biologie auseinanderzusetzen. Im Folgenden soll dieser Thriller analysiert werden, bevor beide Werke verglichen werden, um diesen Themenkomplex abzuschließen.
97
Ebd., S. 118.
Olaf Fritsche, S. 39.
99
Ebd., S. 43.
100
Pörtner zit. in Erwin Barth von Wehrenalp, S. 608.
101
Klaus Reinhardt, S. 65.
98
25
2.2
Hansjörg Anderegg „Nebenwirkungen“
„Die Anophelesmücke ist zwar ein großes Problem, da sie die Krankheit [Malaria]
überträgt, doch sie ist nicht der Erreger. Die Krankheit wird durch Plasmodium, einen
Parasiten, der sich in der Mücke vermehrt, ausgelöst. Wir haben gewissermaßen
eine Malaria-resistente Mücke erschaffen, indem wir ihr ein synthetisches Gen eingepflanzt haben, das den Entwicklungszyklus dieser Plasmodien unterbricht.“102
Der in der Schweiz geborene Autor Hansjörg Anderegg, ein studierter Mathematiker,
widmet sich in seinem 342-Seiten langen Wissenschafts-Thriller „Nebenwirkungen“
(2008) dem Themenfeld der Synthetischen Biologie, insbesondere im Zusammenhang mit der Malariabekämpfung.103 Dabei lässt sich im Hintergrund der fiktiven
Handlung ein interdisziplinärer Umgang mit der Thematik eruieren, da sowohl Chancen und Risiken der Genforschung, die ethische Seite der Forschung sowie die Einbeziehung von Politik und Gesetzgeber thematisiert werden.
Der Thriller, aufgeteilt in zwölf Kapitel, verfolgt mehrere Handlungsstränge, die sich
wie folgt darstellen lassen:
Abb. 2 Vielfalt der Schauplätze, oft Raum der Großstadt (eigene Darstellung)
Dabei baut sich die rasante Handlung primär rund um eine Dreiecksbeziehung auf,
die zwischen der Biochemiefirma BiosynQ (Wirtschaftsunternehmen), dem Heidelberger Institut für Biologie (universitäre Einrichtung) und den Redakteuren des britischen Magazins Life! (Journalismus) herrscht. Im Mittelpunkt der Handlung steht die
102
Hansjörg Anderegg, S. 24-25.
Nähere Informationen zu Autor und Werk siehe: <http://www.hjanderegg.ch/home> und
<http://www.hjanderegg.ch/nebenwirkungen> (26.03.2014).
103
26
Bekämpfung der Malaria mit Hilfe der Synthetischen Biologie, welche von BiosynQ in
Auftrag gegeben und unterstützt wird und die durch die Wissenschaftler des Heidelberger Instituts im Feldversuch in Botswana, Afrika mit der Anophelesmücke erprobt
werden soll. Ein Bericht über den aktuellen Stand der Gentechnik involviert die Redakteure des Londoner Life! Magazins in die Geschehnisse. Sehr schnell zeigt sich,
dass hinter dem Biochemieriesen BiosynQ ein skrupelloser Geschäftemacher steckt,
der vor kriminellen Machenschaften nicht zurückschreckt und auch die Gefahr einer
globalen Katastrophe leichtfertig in Kauf nimmt.
Ähnlich wie beim Sachbuch sollen im Folgenden die typischen Charakteristika des
Kriminalliteratur- Genres (Subgenre Thriller) analog auf Andereggs Werk angewandt
werden, um auch hier zu untersuchen, inwieweit der Autor sich die genretypischen
Charakteristika zu Nutze macht, wie er sich mit der aktuellen Thematik im Text auseinandersetzt und wie er es schafft, die Leserschaft an das Buch zu fesseln.
Genre Kriminalliteratur – Subgenre Thriller
Laut Klaus-Peter Walter dient auch die Kriminalliteratur dazu, „gesellschaftliche Zustände und Wandlungen zu erkennen und zu benennen“, wobei „(…) im Zentrum eines belletristischen Werkes ein crimen, ein Verbrechen [steht]“.104 Diesbezüglich
macht auch „Nebenwirkungen“ keine Ausnahme. Die aktuelle Forschungsarbeit, die
mit Hilfe der Synthetischen Biologie betrieben wird, ist keine reine Fiktion – sie findet
tatsächlich statt und unterstreicht die Brisanz der Thematik. Der fiktive Zustand, wie
ihn Anderegg beschreibt, könnte bereits heute real werden und so erkennt und benennt er die Wandlungen, welche die Synthetische Biologie – die rasante Entwicklung der Medizin und Technik – mit sich bringt. Das Verbrechen wird dabei durch die
rücksichtslosen Handlungen von BiosynQ symbolisiert, was in Anbetracht des wirtschaftlichen Drucks, welcher auf vielen Firmen lastet, auch nicht weit von der Realität
entfernt ist.105
Die „Darstellung der Verfolgung des Verbrechens“ steht beim Thriller im Mittelpunkt
und schlägt sich in einer „vorwärtsgerichteten, chronologischen Erzählweise“ nie104
Klaus-Peter Walter, S. 8.
Viele Thriller „zeichnen sich nicht nur durch eine bemerkenswerte Realitätsnähe und –fülle aus, es
können von ihnen auch unter Beibehaltung ihrer unterhaltenden Qualitäten aufklärerische Impulse
ausgehen, die etablierte Normen der Anschauung und des Urteils zu durchbrechen helfen.“ (Peter
Nusser, S. 10-11).
105
27
der,106 was wiederum eine „Aneinanderreihung immer neuer Abenteuer der Protagonisten [erlaubt]“ und „beim Leser eine sich auf und ab bewegende Spannungsintensität [bewirkt]“.107 So auch in Andereggs gesplittetem Plot, in dem sich nach und nach
die Stränge zusammenziehen und so ein großer Showdown initiiert werden kann.
Das Verbrechen bleibt nicht bis zur letzten Seite verborgen, sondern die Leserschaft
„erlebt unmittelbar, als Zeuge, seine Ausführung oder nimmt an seiner Vorbereitung
teil“.108
Das Verbrechen der outgroup109 wird zur Bedrohung der ingroup und löst deren Reaktionen aus. Es ist dieses Ankämpfen gegen die Bedrohung, das im Leser eine
Faszination auslöst.110 Durch die vielen Handlungsstränge wird der Thriller im perspektivischen Wechsel narrativiert, also „abwechselnd aus der Perspektive der ingroup und outgroup“ erzählt, wobei sich die Handlungen in bestimmten Situationen
auch überkreuzen können.111
Die Rolle des sidekick in der ingroup sowie analog dazu die Rolle des master criminal in der outgroup sind mit einigen stereotypischen Darstellungen 112 verbunden, die
auch in Andereggs Thriller nicht verborgen bleiben. So agieren Prof. Robert Barnard
(emeritierter Zoologe der Universität von Cambridge) und Kyle Randolph (Journalist
des Life! Magazins) als sidekick, da sie keine allwissenden Erzähler sind bzw. weniger Wissen bezüglich des zutreffenden Wissenschaftsgebietes haben. Sie sind aktiv
ins Geschehen eingebunden und verhelfen der Leserschaft zu mehr Expertenwissen, da durch ihre Fragen viele Dialoge entstehen, durch die auch der Leser mehr
Input bezüglich der Thematik erhält.113 Die Rolle des master criminal übernimmt der
106
Ebd., S. 3-4.
Peter Nusser, S. 6.
108
Ebd., S. 51.
109
„Die Figuren des Thrillers stehen sich in bipolarer Anordnung gegenüber. Sie werden – wenn nicht
sofort, so doch mehr oder weniger schnell (…) - als Angehörige der ingroup oder outgroup erkennbar.“
(Peter Nusser, S. 56).
110
Ebd., S. 51.
111
Peter Nusser, S. 55.
112
Vgl. ebd., S. 57.
113
Textbeispiele: „Kyle erinnerte sich plötzlich an seine Notizen aus der Vorbesprechung mit Samantha. Er meldete sich: ‚Können Sie eine Aussage über mögliche Nebenwirkungen ihrer Methode
der Malariabekämpfung machen?‘“ (Hansjörg Anderegg, S. 51) „Robert schaute die beiden fragend
an. Er verstand nicht, was Heike mit dem Begriff Label, oder Etikett, sagen wollte. Sie erklärte es ihm:
‚In der Biologie werden Molekülketten mit ganz bestimmten Eigenschaften, die sie leicht auffindbar
machen, als Markierungen oder Labels verwendet. Man kann damit zum Beispiel Stoffwechselvorgänge elegant analysieren. Man verfolgt gewissermaßen einfach den Weg dieser Labels durch die Zellen
und Organe.‘“ (Ebd., S. 302).
107
28
Charakter Nils Nolte, ein Sicherheitsbeauftragter von BiosynQ, der durch sein hünenhaftes Auftreten den Eindruck erweckt, besonders stark und brutal zu sein. Seine
kriminellen Handlungen spiegeln sich in Vorurteilen, Alpträumen und Bedrohungsängsten der Leserschaft wider. Das Feindbild, welches durch ihn gezeichnet wird,
lässt im Leser Aggressionen aufsteigen, welche die Spannung auf den Showdown
zusätzlich erhöhen.114
Peter Nusser erwähnt, dass ein Opfer im Thriller durchaus auch dem Kreis der outgroup angehören kann, „zumal wenn sich diese [Person] im Handlungsverlauf aus
(…) Angst selbst zugrunde richtet“.115 Ein solcher Charakter ist Pierre Marchand,
dessen scheinbarer Selbstmord auf einem Kongress über biologische Grundlagenforschung als Einstieg in die Geschichte dient. Im Verlauf stellt sich heraus, dass der
Franzose für BiosynQ tätig war und in der gleichen Forschungsstation in Botswana
bereits an einem geheimen AIDS-Impfstoff gearbeitet hatte – ein Forschungsvorhaben, welches schreckliche Auswirkungen nach sich zog und ein ganzes afrikanisches
Dorf auslöschte, was wiederum von BiosynQ vertuscht wurde.116
Durch die vielen Nebenschauplätze und die Fülle an Charakteren ist die Story immer
in Bewegung – dies verursacht das „Mitgehen“ der Leserschaft und beeinflusst ihre
Neugierde. Dies liegt u.a. auch daran, dass Zusammenhänge nicht immer sofort zu
erkennen sind oder vom Autor erklärt werden. Handlungen, die darauf abzielen, gegen das Verbrechen anzukämpfen, haben auch nicht immer Erfolg. 117 Im Gegenteil,
einige wichtige Charaktere aus der ingroup müssen ihr Leben lassen, so z.B. Kyle
Randolph und Prof. Dr. Heike Wolff.
Ein gänzlich neuer Handlungsstrang ergibt sich, als der Feldversuch in Botswana
tatsächlich fehlschlägt118 und sich - ausgehend von Südafrika - Ausbreitungsszenarien rund um die Welt abspielen. Besonders in den letzten Kapiteln scheinen sich die
Ereignisse zu überschlagen. Die Leserschaft verfolgt die rasante Entwicklung begin114
Vgl. Peter Nusser, S. 58.
Ebd., S. 57.
116
„Er glaubte jetzt zu wissen, was der Franzose mit der Bezeichnung ‚L100‘ für das Dorf der Toten,
wie er es inzwischen nannte, gemeint hatte. L100 stand wohl für Letal 100%, also hundert Prozent
Todesfälle unter den bedauernswerten Versuchspersonen.“ (Hansjörg Anderegg, S. 80).
117
Vgl. Peter Nusser, S. 63.
118
„Die synthetischen Gene waren offensichtlich nicht stabil. Ihre Vererbung führte überdurchschnittlich häufig zu Mutationen, die sie unwirksam machten.“ (Hansjörg Anderegg, S. 84).
115
29
nend mit den Übertragungswegen bis hin zu dem globalen Ausmaß dieser Katastrophe, in denen vor allem auch die behördlichen Schwierigkeiten thematisiert werden,
mit solch einer Katastrophe umzugehen und der Versuch, sie möglichst schnell einzudämmen.
Die Schreckensvisionen und die „kommerziell motivierte[n] biotechnische[n] Skrupellosigkeiten“, die von Anderegg in seinem Thriller gezeichnet werden, sind oft Gegenstand in diesem Genre.119
„Es gilt nicht, vor einer schlechten, durch Bio- und Gentechnik geprägten Zukunft zu
warnen, sondern es gilt, uns mittels Bio- und Gentechnik von der schlechten Gegenwart zu erlösen. Grundsätzlich stellen die aktuellen Biowissenschaften eine besondere Herausforderung für die Literatur dar, die zum einen deren Probleme und Erkenntnisse aufnimmt und zum anderen jene Fiktionen, Metaphern und rhetorischen Strategien thematisiert, die in den ‚harten‘ Wissenschaften an der Hervorbringung von
Daten und Erklärungsmodellen entscheidend beteiligt sind.“120
Probleme und Erkenntnisse der Synthetischen Biologie werden in Andereggs Thriller,
der Fakt und Fiktion verschmelzen lässt, vielfach thematisiert. Dabei kommt die szientifische Prosa zum Einsatz. Durch die Fiktionalisierung der wissenschaftlichen
Sprache und deren Einbindung in den Plot, können auch Laien dank dieser Kombinationsform ein übergreifendes Verständnis für den Text entwickeln. So wird die Leserschaft nicht nur unterhalten sondern auch unterrichtet bzw. in ein neues Wissenschaftsgebiet eingeführt. Beispielsweise wird die Rolle der Disposition 121 besprochen,
die auch bei Fritsche im Zusammenhang mit ethnischen Waffen thematisiert wurde.
Des Weiteren wird auch die Security-Problematik aufgegriffen:
„Wir Biologen sind uns der Gefahren dieser neuen Disziplin sehr wohl bewusst. Es
sind schon große Anstrengungen unternommen worden, die Risiken zu minimieren.
119
Corina Caduff, Ulrike Vedder, S. 8.
Ebd.
121
„Es scheint so, dass du die Seuche zwar in dir trägst, dein Genmaterial sie aber gewissermaßen
inaktiviert hat. Bildlich gesprochen bilden deine Gene einen Schutzschild um die gefährlichen Komponenten.“ (Hansjörg Anderegg, S. 220).
120
30
(…) Überdies ist es uns mit den heutigen Mitteln ohne weiteres möglich, synthetische
Organismen so zu präparieren, dass sie außerhalb ihres vorgesehenen Wirkungsbereichs schlicht nicht lebensfähig sind.“122
In diesem Zusammenhang wird die Produktion von gefährlichen Vektoren thematisiert:
„[Prof. Wolff] hatte sich seit Stunden im Innersten ihres Hochsicherheitslabors eingeschlossen und brütete über den höchst alarmierenden Hinweisen auf Nebenwirkungen ihrer synthetischen Gensequenz. In ihren diskret durchgeführten Versuchsreihen
mit den infizierten Blutproben hatte sie inzwischen eindeutig nachweisen können,
dass die gefährliche Vektoren produzierten, die relativ leicht von Mensch zu Mensch
übertragbar waren. Da es sich um neuartige, synthetische Vektoren handelte, die in
der Natur sonst nicht vorkamen, durfte sie weitere Übertragungswege nicht mehr
ausschließen.“123
Wenn wissenschaftliche Aspekte im fiktionalen Rahmen bearbeitet werden, dann
sind laut Carl Djerassi zwar die Handlungen und Personen frei erfunden, die Tatsachen an sich sind jedoch nicht zu verharmlosen.124 Interessanterweise baut Anderegg, abgesehen von seinen fiktiven Charakteren und deren Handlungen, wirkliche
bzw. wahre Fakten in den Plot ein, um die Präsenz der Thematik zu verdeutlichen
und um dem interessierten Leser Begebenheiten in Forschung und Wissenschaft aus
erster Hand zu präsentieren. Dieser mögliche Wiedererkennungswert, der bei der
Leserschaft ausgelöst wird, bindet diese noch enger an das Buch. Beispiele für diese
wahren Begebenheiten in Andereggs Thriller sind die Erwähnung der Person Craig
Venter und des Journalisten, „der eine bestimmte Gensequenz per Internet bestellen
konnte und [diese] ohne weiteres für ein paar Dollar zugesandt bekam. Es war die
Erbsubstanz, die DNA des Pockenvirus.“125 Außerdem spielen auch die folgenden
Äußerungen auf die wirklich stattfindende Forschung an:
122
Hansjörg Anderegg, S. 26.
Ebd., S. 246.
124
Carl Djerassi, S. 72.
125
Hansjörg Anderegg, S. 16.
123
31
„Wie sie sicher wissen, gibt es zwar seit langem Medikamente zur Vorbeugung und
zur Behandlung der Krankheit [Malaria]. Der wichtigste Wirkstoff bei der Behandlung
ist Artemisin, ein Stoff, der mit enormem Aufwand aus einem Beifußgewächs, Artemisia annua, gewonnen wird. (…) Mittlerweile ist es unseren Kollegen in Berkeley
gelungen, Kolibakterien durch den Einbau synthetischer DNA so umzuprogrammieren, dass sie billiges Artemisin erzeugen. Das sind phantastische Errungenschaften
(…) Damit hat man die Behandlung wirklich im Griff. Wir gehen aber einen Schritt
weiter.“126
Bezugnehmend auf das Themenfeld der Ethik und Ökonomie in den Biowissenschaften lässt sich folgendes konfliktträchtiges Beispiel finden: „Dieser Triumph über die
Malaria und der zu erwartende Geldsegen aus der Patentierung waren ihre [Celia
Mathieu – Direktorin der BiosynQ Konzernzentrale in Paris] goldene Eintrittskarte in
den exklusiven Klub der Generäle von BiosynQ.“127
Im Folgenden wird der Themenkomplex der literarischen Auseinandersetzung mit der
synthetischen Biologie anhand eines Vergleichs beider Werke nach den Gesichtspunkten, die in der Einführung zur Thematik angeführt wurden, abgeschlossen. Dabei soll auch eine Analyse der verschiedenen Erzählperspektiven vorgenommen
werden, um die Wirkung zu untersuchen, welche die jeweilige Perspektive auf die
Leser hat.
2.3
Vergleich
Beide Werke beschäftigen sich mit dem Wissenschaftsgebiet der Synthetischen Biologie als thematisch-motivischen Inhalt. Wie bereits durch einige Beispiele exemplifiziert, lassen sich zahlreiche Überschneidungen eruieren.128 Dies ist besonders hervorzuheben, da die Literaturauswahl unabhängig voneinander geschehen ist und es
126
Ebd., S. 24.
Siehe dazu: Dae-Kyun Ro, Eric M. Paradise, Mario Ouellet, et al.: Production of the antimalarial drug
precursor artemisinic acid in engineered yeast. In: Nature 440 (2006), S. 940–943.
127
Hansjörg Anderegg, S. 233-234.
128
Dabei taucht u.a. der Genetiker Craig Venter, die Bestellung von Gensequenzen per Internet
(Bruchstücke der Pockenvirus-Erbsubstanz) und die Problematik der Patentanmeldung und des Zulassungsverfahrens in beiden Werken auf.
32
sich um zwei gänzlich verschiedene Genres und Stile handelt. Abgesehen vom medizinisch-naturwissenschaftlichen Blick, thematisieren sowohl Fritsche als auch Anderegg ethische Fragestellungen, die sich in den Biowissenschaften stellen sowie
rechtliche Handhabungen, die auf dem Gebiet der Synthetischen Biologie vermehrt
zum Einsatz kommen. Somit trifft für beide Werke – durch bioethische und politische
Denkprozesse – eine interdisziplinäre Herangehensweise im Umgang mit den aktuellen Entwicklungen der Gentechnik zu.
Während sich Fritsche auf mehrere Ausführungen in Bezug auf das Innovationspotenzial der Medizin/Gentechnik, u.a. durch die zahlreichen Zukunftsszenarien, bezieht, konzentriert sich Anderegg primär auf einen bestimmten Anwendungsbereich
der Synthetischen Biologie – die Bekämpfung der Malaria durch synthetisch verändertes Genmaterial. Bezüglich des Gefahrenpotenzials kann Anderegg anhand seiner fiktionalen Rahmenhandlung den Bogen ziemlich weit spannen, siehe anhand
des Horrorszenarios einer Pandemie. Fritsche thematisiert diesbezüglich die obligatorischen Sicherheitschecks, inklusive der geschichtlichen Entwicklung, die vor allem
die in diesem Bereich tätigen Firmen zu beachten haben, damit es zu keiner Katastrophe oder zum Missbrauch kommt.
Auf verschiedene Art und Weise werden der Leserschaft sowohl die positiven als
auch die negativen Auswirkungen der Synthetischen Biologie für den Menschen vor
Augen geführt. Die Literatur dient erwiesenermaßen in beiden Beispielen der Reflexion, der Kritik und der Warnung.129 Bezüglich der Funktionen der Literatur schließen
diese Umstände vor allem die Vermittlung, die Veranschaulichung und die Problematisierung von Wissen ein.130 In diesem Zusammenhang zeigt sich auch die Omnipräsenz der genuinen Funktion der literarisierten Medizin, da beide Autoren durch das
Mittel der Sprache, Anregungen einbauen, die sich auf einen besseren „Umgang mit
Krankheit und Tod sowie den diagnostisch-therapeutischen Möglichkeiten der Medizin [auseinandersetzen]“131 sowie auf „Gefahren und Risiken der Medizin, auf Technisierung und Anonymisierung, auf den Verlust der Menschlichkeit [hinweisen]“132.
129
Corina Caduff, S. 30.
Tilmann Köppe, S. 5-6.
131
Dietrich von Engelhardt 2004, S. 39.
132
Ebd. 2005, Sp. 2.
130
33
Beide Autoren nutzen eine vereinfachte Sprache, um komplizierte wissenschaftliche
Tatsachen auch für den Laien verständlich zu machen und um den Lesefluss nicht
unnötig zu unterbrechen. Interessant ist diesbezüglich, dass Anderegg – für einen
Thriller untypisch – Fußnoten133 einsetzt, um beispielsweise komplizierte Begrifflichkeiten näher zu erklären. Während sich Fritsche dank des typischen strukturellen
Aufbaus eines Sachbuchs „austoben“ kann, nutzt Anderegg – abgesehen von den
Fußnoten – kursiv gedruckte Textpassagen, um die Relevanz von bestimmten Briefen, Emails, Ausschnitten aus Zeitungsartikeln oder hinterlassenen Notizen 134 zu
verdeutlichen.
Analyse der verschiedenen Erzählperspektiven
„Wenn wir wissen wollen, was mit der neuen Biologie auf uns zukommt, wie wir in der
Zukunft leben werden, dürfen wir also nicht spekulieren – wir müssen spekulieren.“135
In Fritsches Sachbuch kommt die außergewöhnliche, aber innovative WirErzählperspektive zum Einsatz. Dieses „wir“ ist als Figur im erzählten Geschehen
des Sachbuchs involviert, es handelt sich also um einen homodiegetischen Erzähler,
der als Beobachter an dem von ihm Erzählten beteiligt ist. 136 Es wird zwar die Sicht
eines Kollektivs impliziert, dennoch lässt sich schnell feststellen, „dass hinter dem
Text (…) ein „ich“ steht, also eine einzelne Person, die die Geschichte in Wirklichkeit
erzählt.137 Durch die Wahl dieser Perspektive ist Fritsche stets in der Lage – und
praktiziert dies auch – die Leserschaft persönlich anzusprechen und ihnen das Gefühl zu geben, ein wichtiger Bestandteil im Diskurs um die „neue Schöpfung“ zu sein,
zum Teil mit appellierendem Charakter, wie die Wahl des o.a. Zitats unterstreicht.
Demnach fühlt sich der Leser auch persönlich angesprochen und findet so schneller
den Einstieg und Bezug zur Thematik.
„In immer kürzeren Abständen berichtete die Fachpresse über Fortschritte und
Durchbrüche auf dem weiten Gebiet der Biologie, der Wissenschaft vom Leben, seinem Spezialgebiet. Die Entwicklung der modernen biologischen Forschung hatte
133
Siehe Hansjörg Anderegg, S.183, 198, 220, 281 und 299.
Siehe ebd., S. 98-99, 148, 171, 207, 243-244, 252 und 332.
135
Olaf Fritsche, S. 11.
136
Vgl. Katrin Just, S. 3, 5.
137
Ebd., S. 6.
134
34
Robert in den letzten Jahren nur noch aus Kurzmeldungen und Zusammenfassungen
verfolgen können. Er hasste diese Oberflächlichkeit.“138
„‚Sie haben einen modifizierten NRTI Strang hergestellt’, antwortete Peter lächelnd.
‚Das war etwas zu kurz’, musste Robert eingestehen. Er hatte keine Ahnung, was
sein Kollege eben gesagt hatte. (…) ‚NRTI ist eine praktische Abkürzung für Nukleosidische Reverse Transkriptase-Inhibitoren. Diese Moleküle verhindern die Bildung
doppelsträngiger DNA durch das HI-Virus im Menschen. Das heißt, NRTI ist ein Versuch, das Aids-Virus unschädlich zu machen.’“139
Anderegg wählt dagegen für seinen Thriller die personale Erzählperspektive (ErErzählung, Heterodiegetisches Erzählen). Um einer Monotonie entgegenzuwirken,
nutzt er ferner das Gestaltungsmittel des Dialogs. So ist der Blickwinkel nicht ausschließlich auf eine bestimmte Person festgelegt, was sich suggestiv auf den Leser
auswirkt. Die Dialoge – ähnlich der Rolle des sidekick – vermitteln Erkenntnisse und
Wissen, welche der Leser so sonst nicht bekommen hätte, was der o.a. Dialog ausdrückt. Dies trägt wiederum dazu bei, dass die Leserschaft sich vom Autor abgeholt
fühlt – mitgenommen auf die Reise von in- und outgroup und hineinversetzt in das
jeweilige Geschehen.
Es zeigt sich, dass – unabhängig vom gewählten Genre und der jeweiligen Erzählperspektive – dem Leser das Themenfeld der Synthetischen Biologie, auch im Rahmen szientifischer Erklärungen, auf verständliche, abwechslungsreiche und unterhaltsame Art und Weise näher gebracht wird. Natürlich ist weder der Leser des
Sachbuchs noch der des Thrillers am Ende ein Experte auf dem Gebiet, aber er erhält einen Einblick, inwieweit sich durch die rasanten Entwicklungen unserer Zeit das
Leben ändern kann – im Positiven sowie im Negativen.
Im Anschluss folgt der zweite Themenkomplex, der sich mit der literarischen Umsetzung zur Frage nach der ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit auseinandersetzt. Dabei erfolgt analog zum ersten Themengebiet zunächst eine The-
138
139
Hansjörg Anderegg, S. 7.
Ebd., S. 48.
35
meneinführung nach interdisziplinären Gesichtspunkten. Anschließend werden auch
in diesem Bereich zwei literarische Werke untersucht und verglichen.
3
Literarische Umsetzung zur Frage nach der ökonomischen Bewertung
von Leben und Gesundheit
„Die Terminologie der Gesundheitsökonomie stellt eine kalte, wissenschaftliche Begriffswelt dar, die ohne Schwierigkeiten auch auf die Produktion und den Verkauf, auf
das Marketing von Möbeln oder von Kraftfahrzeugen anwendbar ist. Sie hat längst
und in bestürzendem Maße Einzug in die Sprache unseres Gesundheitssystems und
unserer Gesundheitspolitik gehalten, die gleichzeitig nach mehr Ganzheitlichkeit,
menschlicher Wärme und Zuwendung verlangen. So wird die Frage erlaubt sein, ob
sich die Gesundheitsökonomie dieses Ungleichgewichts, dieses Widerspruchs und
dieser Verantwortung, die sich durch das Maß der Einmischung in unser Gesundheitssystem übernommen hat, bewußt ist, nämlich die Frage nach der Ethik der Gesundheitsökonomie.“140
„Gesundheit ist ein hohes Gut, aber sie ist keine Ware – Ärzte sind keine Anbieter,
Patienten sind keine Kunden. Die medizinische Versorgung darf nicht auf eine
Dienstleistung reduziert werden.“141 Ökonomische und gesundheitspolitische Aspekte
nehmen einen immer größer werdenden Raum ein im Diskurs um Gesundheit, Therapie, Heilung und letztendlich auch um Leben – einem Bereich, der durch Artikel 2
Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes142 geschützt ist. Ulrich Bauer postuliert ähnlich
wie Johannes Rau das Gut der Gesundheit als „(…) das wahrscheinlich sensibelste
vitale menschliche Bedürfnis (…)“.143 Die Frage, ob es zum Privileg wird, sich einer
medizinischen Behandlung zu unterziehen, um zu gesunden, ist unter den Gesichtspunkten von DRG-Fallpauschalen144, der QALY-Debatte145 und der Existenz eines
140
Friedrich-Wilhelm Kolkmann, S. XII.
Johannes Rau zit. in Guido Offermanns, S. 41.
142
Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
143
Ulrich Bauer, S. 98.
144
Zum 01. Januar 2004 wurde das prospektive DRG-Vergütungssystem (Diagnosis Related Groups)
eingeführt. Vorher wurde über das retrospektive System der Einzelleistungsvergütung abgerechnet.
Auf Basis von DRGs „(…) werden Patienten anhand ihrer primären Diagnose, der durchgeführten
Behandlungen und ihres patienten-spezifischen Schweregrads einer Fallgruppe zugeordnet. Die Fallgruppen sind (…) nach dem Prinzip der Kostenhomogenität strukturiert. Alle Behandlungsfälle einer
Fallgruppe werden einheitlich mit einer Pauschale vergütet, die sich an den landesweit durchschnittlichen Aufwendungen bemisst. Durch die Systemumstellung gewinnen wirtschaftliche Aspekte für das
141
36
Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) 146, durchaus berechtigt.
Als Wirtschaftszweig von bedeutender Größe sieht sich das Gesundheitswesen und
damit verbunden der Ökonomisierungsbegriff mit erheblichen Konflikten zwischen
wirtschaftlicher und ethischer Betrachtungsweise konfrontiert. 147 „Die Abwägung zwischen der Erhaltung und Verlängerung menschlichen Lebens und dem Einsatz
knapper Mittel (…)“ steht auf der täglichen Agenda in Krankenhäusern und Arztpraxen. Aufgrund dieser Abwägungstendenzen wurden in den letzten Jahren Verfahren
der Evaluation entwickelt, die „den Nutzen einer Gesundheitsmaßnahme mit ihren
Kosten [vergleicht]“.148 Hier stellt sich die Frage, inwieweit das Leben in Geld aufgerechnet werden kann bzw. soll.149
Allokationsproblematik
Der technische Fortschritt und damit verbunden die vielfältigen neuen Therapiemöglichkeiten respektive die erhöhten Heilungschancen sind für die Medizin an sich sehr
positiv und allgemein als Chance zu betrachten, aber sie zeigen nur eine Seite der
Medaille. Einerseits wird der Rahmen durch die Kosten gesprengt, die mit einer solchen Technisierung einhergehen, andererseits stehen nicht genügend Ressourcen
Krankenhaus an Bedeutung. Das DRG-System überträgt die Kostenverantwortung den Krankenhäusern und setzt dadurch starke Kostensenkungsanreize.“ (Sina Hilgers, S. 2). In diesem Zusammenhang fallen oft Begriffe wie „Upcoding“, wenn ein Patient in eine höher bewertete Fallgruppe eingeordnet wird (Überkodieren); „Fallsplit“, wenn mehrere kurze Aufenthalte aus einem längerem gemacht
werden (Drehtür-Effekt) und „Blutige Entlassung“, da der Anreiz zur frühzeitigen Entlassung gesetzt
wird. Für mehr Informationen siehe das Kooperationsprojekt der Arbeitsgruppe Public Health des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und des Zentrums für Sozialpolitik der Universität Bremen: „Wandel von Medizin und Pflege im DRG-System (WAMP). Sozialwissenschaftliche Längsschnittanalyse der Auswirkungen des DRG-Systems auf den pflegerischen und medizinischen Dienstleistungsprozess und die Versorgungsqualität im Krankenhaus“ (2008).
145
QALYs – Quality Adjusted Life Years – verweisen „(…) auf den Aspekt der Lebensqualität (…) im
Sinne eines operationalisierbaren und zumindest prinzipiell berechtigten Bewertungskriteriums medizinischer Entscheidungen“ (Edgar Rosenmayer, S. 17). „Die unterschiedlichen Modelle der Lebensqualitätsmessung sollen dazu beitragen, vor allem teure und knappe medizinische Ressourcen, wie
etwa intensivmedizinische, onkologische oder transplantationsmedizinische Behandlungen, möglichst
effizient nach gesundheitsökonomischen Gesichtspunkten zu verteilen.“ (Ebd., S. 36). Laut Rosenmayer muss das Problem der Lebensqualität „auch in Verbindung mit Fragen nach dem Wert des
menschlichen Leben [gesehen werden], da es aufgrund zunehmender Ressourcenknappheit staatlicher Gesundheitssysteme durchaus legitim erscheint, auch über Grenzen der Pflicht zu helfen und zu
heilen, nachzudenken“ (S. 18). Probleme ergeben sich bei dieser Evaluation „in erster Linie in der
eingeschränkten Messbarkeit und Vergleichbarkeit der einzelnen Lebensqualitätsindizes zueinander.
(…) Darüber hinaus divergieren bei Fragen zur Lebensqualität die Selbsteinschätzung des Patienten
mit der Fremdeinschätzung durch den Arzt (…)“ (S. 39).
146
Für mehr Informationen siehe: <https://www.iqwig.de/> (17.03.2014).
147
Friedrich Breyer, Peter Zweifel, Mathias Kifmann, S. 2-3.
148
Ebd., S. 19, 21.
149
Vgl. Hartmut Kliemt, S. 373-374.
37
zur Verfügung, beispielsweise bei dringend benötigten Organtransplantationen – obwohl die technische Befähigung, eine solche Transplantation durchzuführen, durch
die hohen Standards vorhanden ist. Allokationsprobleme auf den unterschiedlichen
Ebenen wirken sich umgehend aufeinander aus, da die Bedingungen auf der Makroebene „nun einmal entscheidende Bedeutung für das Handeln auf der Mikroebene“
haben.150 Dies wiederum geht einher mit Rationierung151 und Rationalisierung152 –
„und zwar auch im Bereich nicht-überlebenswichtiger medizinischer Versorgung“.153
Das Grundproblem der medizinischen Diskussion rund um die Allokationsproblematik
ist die Spannung, die zwischen Gerechtigkeitsorientierung und Nutzenoptimierung
herrscht.154
Umkehrung der Zweck-Mittel-Relation
Bereits seit Jahren lässt sich eine „(…) kontinuierliche Verschiebung in der Beziehung zwischen Geldanreizen und Versorgungsqualität diagnostizier[en]“, dabei handelt es sich um eine Umkehrung der Zweck-Mittel-Relation.155 „Geld bleibt nicht Mittel
zur Sicherstellung der Versorgung, sondern die Versorgung von Kranken wird tendenziell zum Mittel, durch das Gewinn erzielt werden kann.“ 156 Dieser in Gang gesetzte Ökonomisierungsprozess trägt nachhaltig auch zur Kommerzialisierung sowie
Kommodifizierung des Gesundheitssystems bei.157
150
Michael Arnold, S. 4.
Die Rationierung im Gesundheitswesen ist „die Verweigerung von bzw. die Erschwerung des Zugangs zu medizinischen und pflegerischen Maßnahmen, die einen unbestrittenen Nutzen haben“
(Guido Offermanns, S. 48). Dabei lässt sich eine Anzahl von Abstufungen eruieren, die den Prozess
der Rationierung nach bestimmten Formen unterscheidet: „harte“ und „weiche“, „scharfe“ und „schwache“, „personenorientierte“ oder „ressourcenorientierte“ bzw. „direkte“ oder „indirekte“ sowie „explizite“
oder „implizite“ Rationierung. Für nähere Ausführungen dazu, siehe: Ebd., S. 48-49.
Hagen Kühn erwähnt, dass der Begriff der Rationierung „(…) durch die neutraler klingende
‛Priorisierung’ medizinischer Leistungen ersetzt“ wurde. (S. 8).
152
„[Unter] Rationalisierung wird im Allgemeinen die Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven,
d.h. die Verbesserung der Effizienz bzw. der Produktivität der Prozesse verstanden.“ (Guido Offermanns, S. 49).
153
Edgar Rosenmayer, S. 15.
154
Ebd.
„Inwieweit Nutzen- und Effizienzabwägungen bei der Allokation medizinischer Ressourcen auch
ethisch vertretbar sind, kennzeichnet das eigentliche Hauptproblem einer gerechten Allokation im
Gesundheitswesen. (…) In Extremfällen sollten – nicht zuletzt aus Gründen zunehmender Ressourcenknappheit – auch Nutzenüberlegungen einen integrierten Bestandteil von Allokationsentscheidungen bilden. (…) Der Aspekt der Zweckmäßigkeit lässt sich (…) im Kontext von Allokationsfragen (…)
als ‚Brückenprinzip‘ zwischen Nutzenoptimierung und Gerechtigkeitsorientierung diskutieren. Im Falle
begrenzt verfügbarer Ressourcen fordert der Aspekt der Zweckmäßigkeit jedenfalls einen effizienten
Einsatz.“ (Edgar Rosenmayer, S. 15-16).
155
Ulrich Bauer, S. 100.
156
Hagen Kühn zit. in ebd.
157
Ulrich Bauer, S. 113.
151
38
Diese ökonomischen Eigeninteressen lassen sich weder mit dem hippokratischen
Eid, das Ethos der Ärzteschaft noch mit der ärztlichen Berufsordnung vereinbaren. 158
Welche Gefahren können entstehen, „wenn ethische Gesichtspunkte einer Geldlogik
völlig untergeordnet werden“?159 Es lässt sich kaum bestreiten, dass „(…) Geldmittel
dorthin fließen, wo Leistungen entsprechend hoch vergütet werden, und nicht dorthin, wo ein höherer gesundheitlicher Nutzen für die Patienten entstehen würde“. 160
Der Intransparenz des Systems sowie der asymmetrischen Information zwischen
Arzt und Patient geschuldet, kann diesem „Moneyismus“ nur schwer entgegengewirkt
werden.161
Mit Blick auf die o.a. Ökonomisierungstendenzen im Gesundheitswesen und die bereits eruierten Fakten zur Beziehung zwischen Literatur und Wissenschaft soll folgend das Augenmerk auf die zwei zur Untersuchung stehenden literarischen Werke
„Was bin ich wert?“ von Jörn Klare und „Die Entbehrlichen“ von Ninni Holmqvist und
deren Umsetzung zur Frage nach der ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit gelegt werden.
3.1
Jörn Klare „Was bin ich wert?“
„Die Gefahr ist, daß sich aus den Berechnungen eine Norm entwickelt, bei der derjenige, der sie nicht erfüllt, aus dem Raster fällt. Was auch immer das bedeutet, ob
diese Person dann keine Hüfte bekommt oder eben Schlimmeres.“162
Der deutsche Journalist Jörn Klare163 begibt sich mit seinem Sachbuch „Was bin ich
wert?“ (2010) auf eine Recherchetour, um die Antwort auf die Frage nach dem monetären Wert eines Menschen zu finden. Auf 273 Seiten und strukturiert in 47 knapp158
Das zunehmende Denken in ökonomischen Kategorien wirkt sich negativ auf das ärztliche Ethos
aus, mit negativen Auswirkungen bezüglich der Arzt-Patienten-Beziehung und der sinkenden Empathie des Arztes gegenüber dem Patienten. Des Weiteren besteht die Gefahr der Entwicklung einer
Zweiklassenmedizin, welche in Abhängigkeit zur Zahlungskraft des Patienten steht. Die Achtung der
Menschenwürde laut Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 Grundgesetz ist unter solchen Umständen nicht gewährleistet. (Siegfried Geyer, S. 45-46).
159
Guido Offermanns, S. 41.
160
Ebd., S. 46.
161
Vgl. Guido Offermanns, S. 46-47.
162
Thorsten Halling zit. in Jörn Klare, S. 160.
163
Informationen zu Autor und Werk siehe: <http://www.joern-klare.de/start.php.> (22.03.2014).
39
gehaltenen Kapiteln, in denen jeweils ein Ansatz zur Berechnung des Wertes eines
Menschen verfolgt wird, trifft und interviewt Klare unzählige Experten aus den verschiedensten Berufsfeldern.164 Diese andauernde Evaluierung vom Menschen wird
unterlegt mit Zahlen und Statistiken, Tabellen, Diagrammen, mathematischen Formeln, Rechnungen und Archivstücken165. Sachlich, amüsant, aufklärerisch, unmoralisch – eine wirkungsvolle Mischung aus beißendem Sarkasmus und bitterem Ernst
verdeutlicht in Klares Buch die Aktualität der Monetarisierungstendenzen vom
menschlichen Leben. Vor dem Hintergrund begrenzter Ressourcen im Gesundheitswesen, gesundheitsökonomischer Werte (beispielsweise der QALY-Wert) und der
ökonomischen Relativierung der Menschenwürde möchte es Klare – auf Euro und
Cent genau – wissen. Dabei schreckt er nicht davor zurück auch bei seiner eigenen
Familie166, bei Obdachlosen167, bei Prostituierten168 und bei in Gefangenschaft lebenden Mördern169 nach dem Wert des Lebens zu fragen. Seine zum Teil sonderbaren Ansätze170 bieten nichtsdestotrotz einen außergewöhnlichen und unterhaltsamen
Einblick in eine mögliche Preisermittlung, bei welcher von Anfang an deutlich wird,
dass es am Ende keinen solchen Betrag geben kann. Schließlich lässt sich ein legitim ökonomisch ausgerechneter Wert eines Menschen nicht mit der Menschenwürde
vereinbaren.
In Anbetracht der Relevanz für diese Arbeit werden im Folgenden insbesondere die
Kapitel untersucht, welche sich ausschließlich mit der gesundheitsökonomischen
Auseinandersetzung seiner Fragestellung beschäftigen. Die Ausführungen sollen
sich auf einige Beispiele begrenzen, bei denen gleichzeitig der Untersuchung der
genretypischen Umsetzung Platz eingeräumt wird.
164
Darunter lassen sich u.a. Folgende finden: Betriebswirt (S. 20-25), Politiker (S. 37-44), Volkswirt
(S. 57-67, S. 191-198 und S. 199-209), Philosoph (S. 71-77 und S. 254-257), Anatom (S. 82-88),
Medizinhistoriker (S. 152-160), Hausärztin (S. 210-215), Gesundheitsökonom (S. 216-225 und S. 236244) und Pfarrer (S. 229-235).
165
Siehe dazu Jörn Klare, S. 17, „Die erste Rechnung. Eine Warnung“ – Hierbei handelt es sich um
eine Rentabilitätsberechnung aus dem Jahr 1941. Eine Kalkulation, die „von der SS-Führung im Konzentrationslager Buchenwald [vorgenommen wurde]“ (Ebd.).
166
Siehe ebd., S. 18 f. (Frau), S. 20 ff. (Schwager), S. 45 ff. (Mutter), S. 258 f. (Lebensgefährte der
Mutter) und S.273 (Tochter).
167
Siehe Jörn Klare, S. 226 ff.
168
Siehe ebd., S. 189 f.
169
Siehe Jörn Klare, S. 53 ff.
170
Hier sei beispielhaft die Berechnung der chemischen Substanzen seines Körpers angeführt (Ebd.,
S. 68 ff.).
40
Im Gespräch mit einem Philosophen – Kapitel 14
Beim Besuch der Jahrestagung des Deutschen Ethikrates erhofft sich Klare, „den
Zusammenhang oder auch die Abgründe zwischen Ökonomie, Ethik und dem Wert
des Menschen zu verstehen“.171 Auf die Fragen, „was der Mensch wert ist und wer
das wie berechnen darf“172, bekommt er hier keine Antworten. Im Gespräch mit dem
Philosophen Volker Gerhardt erfährt er, dass nach Kant jeder Mensch auch ein Mittel
ist: „(…) in dieser Mittelfunktion kann er für die Ökonomie, für die Freunde, für die
Familie als wertvoll und vorteilhaft eingeschätzt werden. Und da kann alles seinen
Affektionspreis und auch seinen Marktpreis haben.“173 Damit die Leserschaft ohne
Verständigungsprobleme folgen kann und versteht, um welche Art von „Preis“ es sich
dabei handelt, schiebt Klare zwischen den Dialog, den er mit Volker Gerhardt führt,
einen Absatz, um der Leserschaft diesbezüglich Definitionen zu bieten. Dies reflektiert die Sachbuch-Charakteristik der leicht verständlichen Aufbereitung von Fachwissen für ein breites Publikum174:
„Affektionspreis, lese ich später nach, wird als Wert definiert, der einer Sache oder
Leistung mit Rücksicht auf das Gefühl des Besitzers oder Leistenden beigelegt wird.
(…) Im Gegensatz dazu bezieht sich der Marktpreis, den Gerhardt anspricht (…) zum
Beispiel auf die Tatsache, daß für Arbeitskraft – aber nicht für den Menschen als solchen – auf dem Markt durchaus unterschiedlich hohe Summen bezahlt werden.“175
Der weitere Dialog176 bietet dem Leser einen exklusiven Einblick in das Arbeitsfeld
eines Philosophen und wie sich ein solcher mit Kant, den Utilitarismus (Bentham und
Mill), der Eigenständigkeit des Einzelnen (Freiheit, Recht und Würde) etc. an das
171
Jörn Klare, S. 71.
Ebd., S. 72.
173
Volker Gerhardt zit. in Jörn Klare, S. 73.
174
Ute König
175
Jörn Klare, S. 73.
176
Textbeispiele: „Aber es kommt darauf an, den Menschen immer auch als einen Zweck an sich selber zu begreifen. Und insofern kann man ihn zwar als Mittel schätzen, als Freund, als Vater, als Sohn.
Aber man muß sehen, daß er vor allem ein Mensch ist. Und als dieser Mensch geht sein Wert gleichsam gegen unendlich. (…) Hinter der Einschätzung eines Wertes eines menschlichen Lebens steht
die moderne Diskussion über den Begriff der Würde. Dieser Wert der Würde kann grundsätzlich nicht
verrechnet werden. Dementsprechend heißt es im ersten Artikel des Grundgesetztes, die Würde ist
unantastbar. Hier hat also alles Abwägen und Verrechnen ein Ende.“ (Volker Gerhardt zit. in Jörn
Klare, S. 73). „Wir müssen bei der Verteilung elementarer Güter – wie etwa Gesundheit – dafür sorgen, daß der einzelne nicht ungerecht behandelt wird (…). Wenn wir die Selbstbestimmung aus ökonomischen Kalkül abschaffen, geben wir das Grundprinzip einer Gesellschaft auf, die auf Freiheit,
grundsätzliche Gleichheit und die Achtung der menschlichen Würde setzt.“ (Ebd., S. 76).
172
41
Themenfeld der gerechten Verteilung von knappen Gütern herantastet und argumentiert. Beiläufig bietet Klare immer wieder Ergänzungen, z.B. eine Definition aus dem
Brockhaus zur Würde177 oder einen geschichtlichen Abriss zum Utilitarismus 178.
Durch diese Kombination aus (philosophischem) Fachwissen und sortierten, vereinfachten Informationen, kommt dem Leser ein erheblicher Mehrwert zu – besonders
aus interdisziplinärer Sicht, da sich u.a. auch rechtliche, sprachwissenschaftliche,
soziologische, ökonomische und geschichtliche Bereiche kreuzen. Sein Unbehagen,
wie die Frage nach dem Wert des Menschen nun beantwortet werden könnte, äußert
Klare anhand eines stilistischen Vergleichs: „Die Abwägungen, wann es vertretbar
ist, zu rechnen, und wann nicht, klingen für mich nach einer Art Gratwanderung ohne
Aussicht auf eine sichere Berghütte (…)“.179
Im Gespräch mit einem Gesundheitsökonomen – Kapitel 37
Ein Gespräch mit Friedrich Breyer bietet Klare die Möglichkeit, von einem Gesundheitsökonomen aus erster Hand zu erfahren, auf welche Art und Weise die Entscheidungen getroffen werden, ob jemand einer Behandlung unterzogen wird oder nicht.
Dabei beziehen sich beide im Dialog und auch in den weiterführenden Erläuterungen
von Klare auf gesellschaftliche Probleme und Entwicklungen – eine SachbuchCharakteristik, wie sie Ute König beschreibt – die durch die Rationierung im Gesundheitswesen entsteht. Laut Breyer bedeutet Rationierung nicht „Vorenthaltung“ sondern eher „begrenzte Zuteilung“:
„Es kann aber nicht jeder alles, was möglich ist, kostenlos erhalten, sonst bricht das
System zusammen. Es muß Grenzen geben, also eine Zuteilung, die begrenzt ist. Es
geht insofern nicht darum, ob wir rationieren oder nicht, sondern ob wir implizit oder
explizit rationieren. Die Ökonomen empfehlen, das explizit zu machen.“180
Im weiteren Verlauf geht Klare näher auf diese Unterscheidung ein, um den Leser an
dieser Stelle nicht zu verlieren und erklärt:
177
Siehe Jörn Klare, S. 74.
Siehe ebd., S. 75.
179
Jörn Klare, S. 76.
180
Friedrich Breyer zit. in Jörn Klare, S. 217-218.
178
42
„Explizit bedeutet in diesem Zusammenhang, daß die Entscheidungen, wer was
wann bekommt, grundsätzlich im Vorfeld und für alle getroffen werden. Zum Beispiel,
daß ein bestimmtes Medikament oder eine bestimmte Operation aus dem Leistungskatalog gestrichen wird. Oder aber, daß zum Beispiel schon heute verkündet wird,
daß über 70jährige in dreißig Jahren keine künstliche Hüfte mehr bekommen. Die
implizite Variante ist hingegen eher eine „barmherzige Verschleierung“, bei der im
Einzelfall der Arzt oder die Ärzte nach eigenem Ermessen entscheiden, was eventuell nicht gemacht wird.“181
Auch die in der Einführung zu diesem Themenkomplex bereits erwähnten QALYs
finden in diesem Kapitel im Rahmen der Kosten-Nutzen-Analyse im Gesundheitswesen Erwähnung – als „qualitäts-korrigiertes Lebensjahr“, als Konzept, mit dem Gesundheitsökonomen wie Breyer ein Lebensjahr im Verhältnis zur Gesundheit bewerten können.182 Klare lässt seine Leser teilhaben am ökonomisch-mathematischen
Konzept, welches sich hinter dem Akronym QALY versteckt:
„Dazu werden alle möglichen Gesundheitszustände auf einer Skala bewertet, auf
welcher der Tod den Nullpunkt und der Zustand vollkommener Gesundheit den Wert
1 einnimmt. Die QALYs entstehen nun aus der Multiplikation der entsprechenden
Lebensjahre mit dem Faktor des entsprechenden Gesundheitszustandes. Vier Lebensjahre mit einem Gesundheitsstatus von 0,5 entsprechen demnach zwei Lebensjahren in völliger Gesundheit.“183
Was sich zuerst kompliziert für den ökonomischen Laien anhört, wird so transparent
gemacht und durch den Autor verständlich dargestellt. Damit ist die Diskussion um
die QALYs allerdings noch nicht beendet. Des Weiteren wird die Vorgehensweise
des National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE) in England vorgestellt, bei der eine QALY mit etwa 30.000 Pfund bewertet wird. 184 „Soviel dürfen also
Medikamente und Behandlungen für ein zusätzliches Lebensjahr in optimaler Ge-
181
Jörn Klare, S. 218.
Vgl. ebd., S. 218-219.
183
Jörn Klare, S. 219.
184
Vgl. Jörn Klare, S. 221.
182
43
sundheit – oder zum Beispiel zwei Jahre in genau mittelmäßiger Verfassung – kosten. Behandlungen, die teurer sind, werden meist nicht zugelassen.“ 185 Damit ist die
Aktualität dieses Evaluationsverfahrens belegt, da es in England bereits im klinischen
Alltag integriert wird und auf dessen Berechnungen medizinische Entscheidungen
gefällt werden. Breyer würde sich wünschen, dass einer QALY auch in Deutschland
ein bestimmter Geldwert im Sinne einer solchen wirtschaftlichen Kosten-NutzenRechnung zugeordnet wird, betont aber auch, dass er sich generell mehr Transparenz wünscht.186 Klare versäumt es nicht, auf die Nachteile einer solchen Berechnung zu verweisen:
„[Vor] einer Behandlung [wird prinzipiell] eine Art Kosten-Nutzen-Rechnung angestellt
(…), indem das zu investierende Geld (die Behandlung beziehungsweise Operation)
in Relation zu dem zu erwartenden QALY-Gewinn (prognostizierte „qualitätskorrigierte“ Restlebenszeit) gesetzt wird. Der dabei ermittelte Euro-Wert pro QALY darf dann
die festgelegte Summe nicht überschreiten. Ältere Patienten wären dabei benachteiligt, weil ihre Rechnung aufgrund der geringeren Restlebenszeit tendenziell schlechter ausfällt, so daß sich Investitionen in ihre Gesundheit in der Regel weniger lohnen.“187
Eine solche Diskriminierung ist besonders in Anbetracht des demografischen Wandels kritisch zu hinterfragen. Abschließend stellt Klare die Frage, ob die Probleme,
die im Gesundheitswesen vorherrschen, eher ökonomische oder ethische sind. 188
Darauf antwortet Breyer, dass er dies nicht trenne, da es um das vernunftgemäße
Balancieren von Vor- und Nachteilen einer Handlung geht und dass er bemüht ist,
herauszufinden, „was für den Menschen gut ist“; für ihn ist Ökonomie angewandte
Ethik.189 Klare spekuliert, um welche Ethik genau es sich handelt. „Es ist (…) die
Ethik der Utilitaristen, die auf das ‚größte Glück der größten Zahl‘ zielt, dabei aber
den Willen und auch die Würde des einzelnen im Zweifelsfall übergeht.“ 190
185
Ebd.
Vgl. Jörn Klare, S. 221.
187
Ebd., S. 222.
188
Vgl. Jörn Klare, S. 224.
189
Ebd.
190
Jörn Klare, S. 224.
186
44
Zum Thema Organtransplantation – Kapitel 40
„Das Problem ist, daß mehr Organe benötigt als gespendet werden. (…) Von etwa
50 000 Menschen, die ein fremdes Organ brauchen, schaffen es etwa 12 000 auf die
offizielle Warteliste. Es können aber jährlich nur ca. 4000 Transplantationen durchgeführt werden. Trotz aller Bemühungen, die Zahl der Spenden zu erhöhen, wartet somit etwa jeder Dritte vergeblich. (…) Es gibt allerdings einen internationalen, weitgehend illegalen Organhandel. Zahlungskräftige Kranke aus den Industriestaaten kaufen sich über dubiose Vermittler Organe von notleidenden Menschen in Osteuropa
oder aus vorwiegend asiatischen Entwicklungsländern (…).“191
Auch in diesem Kapitel ist der Gesprächspartner – Peter Oberender – ein Gesundheitsökonom. Aus gesundheitsökonomischer Sicht ist – wie o.a. Zitat unterstreicht –
der Diskurs rund um die Thematik der Organtransplantation vor allem in Anbetracht
der knappen (Organ-)Ressourcen und des illegalen Organhandels von Bedeutung.
Bevor es zum Gespräch kommt, führt Klare einleitend in das Themenfeld. Von der
ersten erfolgreichen Organtransplantation und resultierend der Nobelpreis für Medizin über den Unterschied von Lebendspenden 192 und Organen, die nur bei Hirntoten
entnommen werden193, finden auch das Transplantationsgesetz, Eurotransplant und
die komplexen Vergabekriterien (vorwiegend Dringlichkeit und Wartezeit) Erwähnung.194
Bezüglich des illegalen Organhandels bezieht sich Klare auf einige Fälle, die durch
die Medien bekannt geworden sind, kann aber auch auf persönliche Geschichten
zurückgreifen, die er während einer Recherchereise in Dubai erlebt hat: „Im Jahr
2008 traf ich (…) auf einen indischen Bauarbeiter, der aufgrund seiner hohen Schulden einen Käufer für seine Niere suchte. Er hoffte auf einen Erlös von etwa 800 Euro. In Indien selbst gibt es das Organ auch schon für die Hälfte dieser Summe
191
Ebd., S. 237.
Die Situation hat sich in Deutschland aufgrund des „Organspende-Skandals“ (was eigentlich ein Organallokations-Skandal ist) dramatisch verschlechtert.
192
„Da jeder Mensch zwei Nieren hat, ist grundsätzlich möglich, eine zu spenden und trotzdem weiterzuleben. Das gleiche betrifft die Leber. Man kann einen Teil von ihr verpflanzen, da sich die ‚Restleber‘ des Spenders regeneriert.“ (Jörn Klare, S. 236)
193
„Bei den anderen transplantierten Organen – Herz, Lunge, Dünndarm, Bauchspeicheldrüse – ist
das nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich.“ (Ebd.)
194
Jörn Klare, S. 236-237.
45
(…)“.195 Vor dem Hintergrund dieser Tatsachen, erwähnt Klare – um seinen Gesprächspartner anzukündigen – dass, „(…) es eine wachsende Zahl von Medizinern,
Juristen und Gesundheitsökonomen [gibt], die sich für einen zumindest geregelten
Organmarkt aussprechen“.196
Einen solchen Markt beschreibt Oberender folgendermaßen: „Ein Markt, der funktioniert wie eine Börse mit entsprechenden Maklern. Die Niere würde dann wie ein
Wertpapier auch richtig begutachtet. (…) Da könnten natürlich auch unsere Krankenkassen mitbieten, damit die Armen hier nicht auf der Strecke bleiben. Für die Kassen
macht das ja auch Sinn, weil sie Kosten für die Dialyse sparen.“ 197 Diesbezüglich
bezieht sich Klare nochmals auf Breyer, der ebenfalls pro legalisierten „Organankauf“
ist: „Wenn man von einer durchschnittlichen Funktionsdauer des transplantierten Organs von zehn Jahren ausgeht – zumindest liegt der Median derzeit bei diesem Wert
– dann kostet die Transplantation über diesen Zeitraum 150 000 Euro und damit eine
Viertelmillion Euro weniger als zehn Jahre Dialyse“.198 Laut Oberender soll nicht nur
denen geholfen werden, die ohne Organtransplantation versterben würden, sondern
auch denen, die woanders für ihre Organe ausgebeutet und damit auch geschädigt
werden.199 Die Möglichkeiten dieser „Organbörse“, welche der Leserschaft hier präsentiert werden, regen zum Nachdenken an, werden mitunter auch Kopfschütteln
verursachen, sind hochaktuell und konfliktgeladen. Schließlich steht die Kommodifizierung des menschlichen Körpers, der Mensch als Ware, hier der freien Verfügung
des eigenen Körpers gegenüber. Zwar ist diese Art von Handel mit Blut (u.a. Blutplasma) längst anerkannt und etabliert, die Frage bleibt aber, wie weit darf dieser
Handel „getrieben“ werden? Kann noch von Freiwilligkeit gesprochen werden, wenn
das Selbstbestimmungsrecht durch eine Notlage eingeschränkt ist und ähnlich wie
bei dem erwähnten indischen Bauarbeiter eigentlich ein Zwang, eine Nötigung besteht, sein Organ diesem Markt zur Verfügung zu stellen? Klare thematisiert hier eine
hochbrisante Angelegenheit, die in den Diskurs um die Monetarisierungstendenzen
bestens hineinpasst.
195
Jörn Klare, S. 237.
Ebd., S. 238-239.
197
Peter Oberender zit. in Jörn Klare, S. 242-243.
198
Friedrich Breyer zit. in ebd., S. 243.
199
Vgl. Jörn Klare, S. 244.
196
46
Des Weiteren widmet sich Klare in dem Kapitel „Körpervermietung im Dienst der Forschung. 2680 Euro für eine Spritze“200 dem Beispiel der medizinischen Forschung
und der Umstände der Entlohnung bzw. Aufwandsentschädigung dafür. Im 27. Kapitel201 trifft er auf die Medizinhistoriker Thorsten Halling und Jörg Vögele, wobei die
Problematik der Pränataldiagnostik (PND) im Zusammenhang mit dem DownSyndrom thematisiert wird. Ein Besuch bei seiner Hausärztin in Kapitel 27202 zeigt
ihm auf, dass Gesundheit in Berlin aktuell 43,48 Euro pro Patient kosten darf.
Klare bietet seinem Leser eine Vielzahl an Beispielen, quer durch die verschiedensten Berufsfelder und Charaktere, wie in den verschiedensten Zweigen mit der Bewertung des menschlichen Lebens umgegangen wird. Dabei kommt es oft zu unmoralischen, ethisch fragwürdigen Methoden, die nichtsdestotrotz in der Wissenschaft diskutiert werden und möglicherweise schon in naher Zukunft auf uns zukommen. Dies
dem Leser vor Augen zu führen scheint in Anbetracht seines letzten Kapitels 203 ein
Ziel von Klare zu sein. Hier fragt er seine sechsjährige Tochter, die die erste Klasse
besucht und die natürlich mitbekommen hat, womit er sich in den letzten Monaten
beschäftigt hat:
„(…) Was bin ich wert?
Einhundert-einhundertzwanzig-einhundertdreißig-zweihundertundzehn Euro.
Sie kennt noch nicht so viele Zahlen. Ich weiß aber, daß es für sie größer nicht geht.
Warum denn Einhundert-einhundertzwanzig-einhundertdreißig-zweihundertundzehn
Euro?
Weil du mein Papa bist. (…)
[Das] ist die schönste Zahl, die ich mir vorstellen kann. Unendlich groß und befreiend
sinnlos.“204
Unmoralische, ethisch fragwürdige Methoden bezüglich der Bewertung eines Menschenlebens lassen sich auch im zweiten Textbeispiel dieses Themenkomplexes
eruieren. Im Folgenden soll der Roman „Die Entbehrlichen“ von Ninni Holmqvist lite200
Jörn Klare, S. 139 ff.
Ebd., S. 152 ff.
202
Jörn Klare, S. 210 ff.
203
Ebd., S. 273.
204
Ebd.
201
47
rarisch analysiert werden, bevor beide Werke anhand der Gesichtspunkte, die in der
Einführung zu diesem Kapitel deutlich geworden sind, miteinander verglichen werden.
3.2
Ninni Holmqvist „Die Entbehrlichen“
„Das Leben und das Dasein haben keinen Wert an sich. Wir haben keine Bedeutung,
nicht einmal die Benötigten haben eine Bedeutung. Das Einzige, was wirklich wertvoll
ist, ist das, was wir produzieren. Oder besser gesagt: dass wir produzieren (…).“205
Die schwedische Schriftstellerin Ninni Holmqvist beschreibt in ihrem 2006 veröffentlichten Roman „Enhet“ (deutsche Übersetzung von Angelika Gundlach 2008: „Die
Entbehrlichen“) eine beängstigende Vision von einer Welt in naher Zukunft, in der die
Mitglieder einer Gesellschaft nicht mehr gleich viel wert sind. Auf 269 Seiten und untergliedert in vier Teile206 zeichnet Holmqvist eine Dystopie, in der eine Kategorisierung vorherrscht, welche die Menschen in entbehrliche und benötigte Bürger einteilt
– einen Umstand, der auf einen politischen Umbruch zurückzuführen ist, welcher die
Politik sehr ökonomisch ausrichtet:
„[Als] das neue Gesetz in Kraft trat, war ich schon reichlich über dreißig. Ich war eine
fertige Person mit einer fertig ausgebildeten Persönlichkeit und leider mehr von dem
Zeitgeist geprägt, in dem ich aufgewachsen war, als von dem, der in der aktuellen
Lage herrschte. (…) Zuerst kam das Gesetz, dass Eltern bei jedem Kind die Elternzeit während der ersten achtzehn Monate jedes Kindes genau gleich zwischen sich
aufzuteilen haben. Dann wurden für alle Kinder zwischen achtzehn Monaten und
sechs Jahren acht Stunden Kindergarten am Tag obligatorisch. (…) Es gibt keine
Entschuldigung mehr dafür, keine Kinder zu bekommen. Es gibt auch keine Entschuldigung mehr dafür, nicht berufstätig zu sein, wenn man Kinder hat.“207
205
Ninni Holmqvist, S. 118-119.
Teil Eins (S. 6-60): Ankunft in der Einheit, erste Eindrücke, Vorgeschichte. Teil Zwei (S. 64-218):
Leben in der Einheit mit vereinzelten Rückblicken, Liebesbeziehung zu Johannes. Teil Drei (S. 222262): Entwicklungen in der Welt draußen und in der Einheit, Umgang mit der Schwangerschaft, Ausbruchsversuch. Teil Vier (S. 266-269): Zurück in der Einheit, Geburt, kurz vor der Endspende.
207
Ninni Holmqvist, S. 26, 28-29.
206
48
Alle Frauen ab fünfzig sowie alle Männer ab sechzig Jahren, die weder Kinder noch
einen für die Wirtschaft bedeutenden Beruf haben, gehören der Gruppe der Entbehrlichen an.208 Im Laufe der Geschichte kommt es diesbezüglich bereits zu Entwicklungen, die gesetzliche Veränderungen mit sich ziehen:
„Die Anzahl kinderloser Fünfzig- beziehungsweise Sechzigjähriger sank drastisch,
und Entbehrliche wurden inzwischen aus früher gänzlich geschützten Berufsgruppen
rekrutiert. Es half nicht mehr, Lehrer oder Kindergärtner oder Fürsorgerin oder Krankenschwester oder etwas anderes im Dienst von Menschen zu sein; (…) war man
kinderlos, dann war man es, Punktum. (…) [Es] wird darüber geredet, das Entbehrlichkeitsalter zu senken.“209
Die Fünfzigjährige, kinderlose Protagonistin Dorrit Wegner, eine weniger erfolgreiche
Schriftstellerin, die sich oft mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten musste, gehört
der Gruppe der Entbehrlichen an, da sie weder Familie noch einen wichtigen Job
vorzuweisen hat und damit für die Gesellschaft nur in der Rolle der Entbehrlichen
interessant ist.
Letztere verbringen ihr Leben nach Erreichen der Altersgrenze in einer Art luxuriösem Sanatorium, in dem sie ständig und überall videoüberwacht werden. In dieser
„Einheit“, stationiert unter einer scheinbar riesigen Kuppel, wird den Menschen das
Leben so komfortabel und angenehm wie möglich gemacht.210 Der Preis dafür ist
allerdings sehr hoch. Abgesehen von den Annehmlichkeiten wie die zahlreichen Einkaufsmöglichkeiten, Schwimmbad, Bibliothek, Fitnesszentrum und Trainingsanlage,
Kino, Theater, Kunsthalle, wunderschöne Grünanlagen, ausgezeichnetes Essen und
der Möglichkeit, sämtlichen Hobbies und Beschäftigungen nachzugehen, ist es Aufgabe der Entbehrlichen, ihre Körper in den Dienst der Benötigten zu stellen. Dies
geschieht anfangs anhand medizinischer, pharmazeutischer und psychologischer
Tests, steigert sich mit Fortbestehen in der Einheit in Form einzelner Lebendorgan208
Die Grenze bei Männern ist erst bei sechzig angesetzt. „Das ist ganz natürlich; sie produzieren ja
weitaus später im Leben noch lebensfähige Spermien, als wir Eizellen produzieren.“ (Ebd., S. 20).
209
Ninni Holmqvist, S. 224.
210
„Wir sind wie glückliche Kühe oder freilaufende Hühner. Der einzige Unterschied ist, dass die Kühe
und die Hühner (…) das Glück haben, von etwas anderem als dem Jetzt nichts zu wissen.“ (Ninni
Holmqvist, S. 55).
49
spenden u. Ä.211 bis hin zur „Endspende“ – die nicht nur das Ende des Aufenthalts in
der Einheit bedeutet, sondern den Tod.212 „Je länger sich eine entbehrliche Person in
einer Reservebankeinheit aufgehalten hat, desto riskanter die Humanversuche, an
denen teilzunehmen von ihr erwartet wird, während sie gleichzeitig in der Reihe der
Spender vitaler Organe immer weiter nach vorn gerückt wird.213
Das beschriebene Szenario erinnert an Kazuo Ishiguros „Never let me go“ von 2005
(deutsche Übersetzung von Barbara Schaden 2006: „Alles, was wir geben mussten“).
Nur, dass es sich bei Holmqvist nicht um einen Klon-Roman handelt, sondern um
„normale“ Menschen, die als Ersatzteillager dienen, was dieses Szenario umso erschreckender macht.214 Der Roman thematisiert die Frage nach der Gleichheit der
Menschen und dem Wert eines Menschenlebens. Die Geschichte provoziert im Leser
Befürchtungen, dass, bereits ausgelöst durch einen simplen politischen Umsturz, die
fortschrittlichen Möglichkeiten der medizinischen Technologien und damit einhergehend die Transplantationsmedizin, derart desaströse Auswirkungen auf die Gesellschaft haben kann. Das geht bis hin zur Kommodifizierung des menschlichen Lebens
bzw. bis hin zur Gleichsetzung des Menschen als Humankapital.
Ethische Grenzen werden überschritten, wenn der Mensch unerbittlich als Objekt, als
Produkt gesehen und dementsprechend behandelt wird. Da kann auch ein luxuriöses
Umfeld nicht über die Taubheit, die Müdigkeit, den Schwindel etc. hinweghelfen, die
durch sämtliche Spenden und wissenschaftliche Tests hervorgerufen werden. Was
Holmqvist hier verdeutlicht ist, dass medizinische Forschung und klinische Studien
zwar ein wichtiger Bestandteil in der Bekämpfung von Krankheiten und der Entwicklung von wirkungsvollen Medikamenten sind, aber die Menschenwürde dabei nicht
211
Blut- und Plasmaspenden, Knochenmarkspenden, Sperma für die Samenbank, „Niere für einen
Gundschullehrer, Vater von fünf Kindern“, Eizellen für die Stammzellforschung, Gehörknöchelchen im
Rahmen einer Gewebespende (Ebd., S. 30-31, 111, 134).
212
„Bauchspeicheldrüse für eine Krankenschwester mit vier Kindern“ (Ninni Holmqvist, S. 31). „Und
eine Menge mehr ist herausgenommen und zur Aufbewahrung in unserer Organ- und Gewebebanken
gegangen. Ein einziger hirntoter Körper kann bis zu acht Personen das Leben retten. Die Entfernung
und die Transplantation der übrigen Organe und Gewebe ist sozusagen ein Bonus (…).“ (Ebd., S.
104-105). „Johannes Alby [wurde] heute Nachmittag aufgenommen (…), um seine Leber einem
Bauschreiner mit drei Kindern und sechs Enkeln zu spenden.“ (Ninni Holmqvist, S. 188). „Ein Junge
mit Diabetes erhielt Langerhanns’sche Zellen aus ihrer Bauchspeicheldrüse und eine der populärsten
Fernsehpersönlichkeiten des Landes, zugleich Mutter von zwei Kindern, ihre übriggebliebene Niere.“
(Ebd., S. 238).
213
Ninni Holmqvist, S. 226.
214
In Holmqvists Gesellschaft sind besonders die Intellektuellen prädestiniert dafür, als entbehrlich
eingeordnet zu werden: „Es gibt ziemlich viele Intellektuelle hier. Leute, die Bücher lesen. (…) Leute,
die Bücher lesen (…) tendieren dazu, entbehrlich zu werden. In hohem Maß.“ (Ebd., S. 49-50).
50
vergessen werden darf. In der Realität spielen hier Ethikkommissionen eine entsprechende Rolle, da diese die Rechte der Versuchspersonen und Probanden im Auge
behalten.215
Im Folgenden werden typische Charakteristika des dystopischen Romans in
Holmqvists Werk analysiert, um zu verdeutlichen, wie die Autorin die Begebenheiten
des Genres nutzt, um der Leserschaft ihr fiktionales Szenario näher zu bringen. Dabei sollen die Ausarbeitungen von Elena Zeißler und Thomas Neumann zum dystopischen Roman als Leitfaden dienen.
Genre Roman – Subgenre dystopischer Roman
Holmqvist wählt für ihren Roman das Subgenre der Dystopie, eine „fiktionale, in der
Zukunft spielende Erzählung“216, die zahlreiche Anstöße zur Diskussion über das,
was einen Menschen wirklich ausmacht, bietet. Durch den gesellschaftskritischen
Blick, den Holmqvist auf die Welt wirft, zeigt sich auf beklemmende Art und Weise,
wie schnell aus einer Volksabstimmung eine Gesellschaft entstehen kann, in der
zwei Klassen von Menschen vor dem Hintergrund ihres ökonomischen Wertes kategorisiert werden. Ein Szenario, welches über das Themenfeld der legalen Blut- und
Organspende weit hinausgeht.
Typisch für das Subgenre ist die „[zunehmende] kritische Bewertung von Wissenschaft und Technik (…), die gegenüber dem blinden Fortschrittsoptimismus und dem
Glauben an die Lösbarkeit der Menschheitsprobleme durch Technik die negativen
Folgen [dieser] betont.“217 Die Möglichkeiten, die sich durch den technischen Fortschritt auch der Transplantationsmedizin bieten, zeigen sich bei Holmqvist deutlich in
dem Repertoire an medizinischen Eingriffen, welche an den Entbehrlichen durchgeführt werden. Meist sind diese auf den technischen Fortschritt und den daraus resultierenden Gerätschaften, Operationstechniken etc. zurückzuführen. Schon allein der
215
Gesetzliche Regelungen zur klinischen Forschung am Menschen finden sich in §§ 40 ff. AMG, 20
ff. MPG und 41 Strahlenschutz VO. Im TPG werden des Weiteren sämtliche Regelungen zum Ablauf
von Organspenden- und Transplantationen geregelt (z.B. Aufklärung, Zulässigkeit, Qualitäts- und
Sicherheitsrahmen, Entnahmekrankenhäuser, Transplantationsbeauftragter, Transplantationszentren,
Organ- und Spendercharakterisierung, Organtransport etc.)
216
<http://www.duden.de/rechtschreibung/Dystopie> (19.3.2014).
217
Thomas Neumann, S. 6.
51
medizintechnische Aufwand, der für die „obligatorische Gesundheitsuntersuchung für
Neuankömmlinge“218 betrieben wird, unterstreicht diesen Fakt.
„Wir wurden gewogen und gemessen. Gemessen wurden auch Puls und Blutdruck,
Blut- und Speichelproben zur DNA-Analyse wurden entnommen, EKG, Lungenröntgen und Mammographie durchgeführt. Sehkraft, Gehör und Kniereflexe getestet. Wir
absolvierten eine komplette gynäkologische Untersuchung mit Zellproben, HIV-,
Klamydien-, Syphilis- und Gonorrhö-Test. (…) [Um es für den Leser noch anschaulicher zu machen, nutzt die Autorin folgenden Vergleich:] Es war eine Art Zirkeltraining, nur dass Bock, Kasten, Springseil, Hanteln, Schwebebalken und Trainingsmatten gegen verschiedene Krankenschwestern und Ärzte mit verschiedenen Instrumenten wie Kanüle und Reagenzglas, Blutdruckmanschette und Stethoskop, Röntgenausrüstung, gynäkologischer Stuhl und anderes ausgetauscht wurde.“219
Ein weiteres Merkmal der Dystopie ist, dass „(…) die Erfahrung einer wachsenden
Beherrschbarkeit der Welt, der aber keine gestiegene Fähigkeit zum humanen Umgang mit den technischen Möglichkeiten korrespondiert, zu Zweifeln an der Verantwortungsfähigkeit des Menschen [führt]“.220 Diese herabgesetzte Fähigkeit der
menschlichen Beziehungen untereinander sowie deren fehl gerichtetes Verantwortungsgefühl wird bei Holmqvist vom vorherrschenden politischen Staat reflektiert, der
seine Ziele weit entfernt von humanen Werten, nur auf Basis ökonomischer Funktionalität ausrichtet.
„Ich habe wohl geglaubt, mein Leben ist mein Besitz (…). Etwas, über das ich frei
verfüge und über das niemand anders etwas zu sagen hat. Aber jetzt denke ich anders. Mir gehört mein Leben überhaupt nicht, es gehört anderen. (…) Der Staat oder
die Wirtschaft oder das Kapital. Oder die Massenmedien. Oder alle vier. Oder sind
Wirtschaft und Kapital dasselbe? Wie auch immer: Diejenigen, die das Wachstum
und die Demokratie und den Wohlstand sichern, die sind es, denen mein Leben gehört. Ihnen gehört das Leben von allen. Und Leben ist Kapital. Ein Kapital, das unter
218
Ninni Holmqvist, S. 67.
Ebd., S. 69-70.
220
Thomas Neumann, S. 6.
219
52
den Bürgern gerecht verteilt werden muss, auf eine Weise, die Reproduktion und
Wachstum, Wohlstand und Demokratie begünstigt. Ich selbst bin nur ein Verwalter;
ich verwalte meine gesunden Organe. (…) Ich lebe und sterbe dafür, dass das Bruttoinlandsprodukt steigt, und wenn ich das nicht als sinnvoll empfände, wäre das Dasein unerträglich.“221
Es wird deutlich, dass Holmqvist mit ihrem Werk „(…) Kritik an [den] negativen Tendenzen der gegenwärtigen Gesellschaft“222 übt. Dafür entwirft sie eine Gesellschaft,
wie sie im o.a. Zitat beschrieben wird. Die negativen Tendenzen haben sich in dieser
fiktiven Gesellschaft verwirklicht, womit die gedachte Welt schlechter beurteilt wird
als die gegenwärtige.223 Damit regt der dystopische Roman nicht nur zum Nachdenken an, er fungiert auch als Warnung für den Leser. Eine Warnung, wie es sein könnte, wenn die Ökonomisierungstendenzen in den Bereichen der Gesundheit, Politik,
Wirtschaft und im sozialen Bereich Überhand nehmen und folglich eine Gesetzgebung in Kraft tritt, die den Menschen zur Ware degradiert. Ein pessimistischer Unterton, der den Plot umgibt, soll die Aufmerksamkeit der Leserschaft auf einem konstant
hohen Level halten.
Elena Zeißler hat sich in ihrer Dissertation „Dunkle Welten. Die Dystopie auf dem
Weg ins 21. Jahrhundert“ umfassend mit dem Genre auseinandergesetzt 224 und konstatiert, dass der Protagonist im Verlauf der Handlung, angestoßen durch den Prozess einer Liebesbeziehung, „die als höchster Ausdruck einer privaten Regung dem
grausamen, unpersönlichen Staat gegenübergestellt wird“, zum Außenseiter werden
kann.225 Diese Ausführungen lassen sich zum Teil in Holmqvists Dystopie wiederfinden, halten sich aber nicht streng an den Ablauf, wie ihn Zeißler vorgibt. Der Leser
erfährt hier früh, nicht erst in der zweiten Hälfte der Handlung, dass der Staat den
Menschen, vor allem aus ethischer Sicht, mit seiner nach ökonomischen Gesichtspunkten ausgerichteten Politik, unrecht und vor allem ungleich behandelt. Anfangs
221
Ninni Holmqvist, S. 102-103.
Thomas Neumann, S. 7.
223
Vgl. ebd.
224
„Nicht selten wird der dystopische Staat mit einem Ameisenhaufen, Bienenstock oder einem Mechanismus verglichen, der das Individuum auf seine gesellschaftliche Funktion reduziert.“ (Elena Zeißler, S. 25) Eine der wichtigsten Funktionen einer Dystopie ist laut Zeißler „(…) die Warnung vor möglichen Auswüchsen zeitgenössischer Entwicklungen“ (Ebd., S. 31).
225
Elena Zeißler, S. 31, 218.
222
53
versucht Dorrit sich die Umstände in der Einheit schön zu reden, indem sie versucht
einen Zweck hinter dem System zu erkennen.
„Entbehrliche bilden ja eine Reserve, und man flickt in erster Linie schwerkranke,
benötigte Menschen mit Hilfe von Organen zusammen, die aus ihren eigenen
Stammzellen aufgebaut werden, und in den Fällen, in denen das nicht möglich ist,
wartet man auf Organe jüngerer Menschen, die durch Unfälle hirntot sind. Die Entbehrlichen werden erst eingesetzt, wenn für einen bestimmten Patienten mit einer
schweren Krankheit keine andere Methode machbar und kein anderes Material zu
haben oder wenn es sehr eilig ist. Mit anderen Worten, das Ganze (…) ist erheblich
humaner, als ich mir zunächst hatte vorstellen können.“226
Doch als sich eine Liebesbeziehung mit einem männlichen Entbehrlichen aus der
Einheit entwickelt und sie sogar schwanger von ihm wird, bricht dieses Kartenhaus in
sich zusammen. Zum einen, da Johannes, ihr Partner, kurz nachdem er erfährt, dass
er Vater wird, seine Endspende antritt. Zum anderen, weil die Freunde, die sie in der
Einheit gewonnen hatte, mit dieser Situation nur schwer umgehen können und Dorrit
so tatsächlich eine Außenseiterrolle einnimmt. Die Schwangerschaft ist auch nicht als
zwanghafter Versuch zu interpretieren, den Status als Entbehrliche zu verlieren. Was
diese Schwangerschaft im zweiten Teil des Buches aber verdeutlicht, ist die wirkliche
Unmenschlichkeit, die sich hinter dem System verbirgt.
„Du sollst nicht abtreiben (…). Zumindest nicht, bis wir eine Fruchtwasseruntersuchung vorgenommen haben, was wir ja tun müssen, wie du sicher verstehst. Und
diverse andere Tests – heutzutage kann man nämlich durch relativ risikolose Probenentnahmen eine Menge verschiedener Fehler und Mängel am Kind entdecken.
(…) Die Möglichkeiten, zwischen denen du zu wählen hast, bestehen darin, den Fötus zur Transplantation zu spenden oder ihn auszutragen und zur Adoption freizugeben. (…) Es besteht die große Gefahr, dass das Kind meint, es sei anders, und dass
es ausgestoßen wird, vielleicht sogar gemobbt. Außerdem sind entbehrliche Eltern
kaum ein gutes Beispiel für ein Kind. (…) Ihr wärt keine guten Vorbilder (…). Ihr wür-
226
Ninni Holmqvist, S. 112.
54
det – auf irgendeine Weise – eine Belastung für euer Kind sein, Dorrit. Etwas, wofür
man … sich schämen muss.“227
Aus der Schwangerschafts-Thematik ergibt sich ein weiteres Beispiel, welches einen
Einblick in den Gedankenapparat des Staates ermöglicht. Dabei handelt es sich um
die Geschichte von Melinda, eine Freundin von Dorrit, die „draußen in der Gesellschaft (…) mit siebenundvierzig schwanger geworden [war]“. 228 Dabei kommt besonders der Status behinderter Kinder zum Vorschein, die für die Gesellschaft eine
enorme monetäre Last darstellen. Von dieser Freundin hat sie damals erfahren, dass
„alle Frauen, die mit über vierzig schwanger werden (…) den Rat bekommen, „für alle
Fälle“ abzutreiben, was eigentlich kein Wunder ist, wenn man darüber nachdenkt,
weil das Risiko verschiedener Missbildungen und Störungen beim Kind mit dem Alter
der Mutter zunimmt, ebenso wie das Risiko von Frühgeburten und anderen verteuernden Komplikationen. [Kinder mit geistiger Behinderung] kosten die Gesellschaft
enorme Summen Geld, und wenn man die gesamte Anzahl von Schäden und Komplikationen auf ein Minimum reduzieren kann, ist hier ein kräftiger Gewinn zu machen. Es sind (…) ein paar hundert Kinder im Jahr betroffen, die für die Gesellschaft
zu reinen Verlusten werden.“229
Diese Ausführungen beschreiben minutiös die drastischen Einstellungen eines Systems, in dem Zeugungs- und Arbeitskraft höchste Priorität haben und in dem der Einzelne, vor allem wenn er gehandicapt ist, keinen Wert oder maximal einen negativen
Wert besitzt. Anhand des Beispiels „gefährdeter“ Schwangerschaften treibt Holmqvist
das Spiel des fehl geleiteten Staates auf die Spitze. Spätestens hier wird der Leser
aufgerüttelt eine solche Art von Gesellschaft sehr kritisch zu hinterfragen.
Es überrascht, dass sich Dorrit nach der Geburt ihrer Tochter, die zur Adoption freigegeben wurde, scheinbar mit ihrer Rolle als Entbehrliche abgefunden hat und ihrem
Schicksal, welches sie mit der Endspende erwartet, furchtlos entgegensieht. „Morgen
227
Ninni Holmqvist, S. 184, 186-187.
Ebd., S. 182.
229
Ninni Holmqvist, S. 182-183.
228
55
um diese Zeit gehören mein Herz und meine Lungen einer anderen, genauer gesagt,
einer Kommunalpolitikerin und Mutter von zwei Kindern.“230 Dieser Umstand wird besonders unterstrichen, da sie kurz vor der Entbindung die Möglichkeit gehabt hätte,
aus der Einheit auszubrechen,231 sie dies aber nur für einen einstündigen Spaziergang in Freiheit nutzte.
Um den Themenkomplex der literarischen Umsetzung zur Frage nach der ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit abzuschließen, werden anschließend
beide Werke nach den Gesichtspunkten, die in der Einführung zur Thematik angesprochen wurden, verglichen. Dabei soll auch der Analyse der verschiedenen Erzählperspektiven Platz eingeräumt werden, mit Blick auf die Wirkung, die die jeweilige Perspektive auf den Leser erzielt.
3.3
Vergleich
Für beide Werke spielt die Frage nach dem Wert eines Menschenlebens eine elementare Rolle – auf ganz unterschiedliche Art und Weise. Während Jörn Klare auf
Recherchetour geht, die ihm seine Wertigkeit im Hier und Jetzt veranschaulichen soll
und die gleichzeitig ein Bild von den derzeitigen Wechselbeziehungen zwischen
Ökonomie und Ethik zeichnet, geht Ninni Holmqvist einen Schritt weiter, indem sie
die heute bereits bestehenden negativen Tendenzen unserer Gesellschaft anhand
eines Zukunftsszenarios ausufern lässt. Vor dem Hintergrund der ethisch sehr kritisch zu betrachtenden ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit, wie sie
in unserer Gesellschaft zunehmend praktiziert wird und wie sie in den einführenden
Worten des Kapitels dargestellt wurden, scheinen sich beide Autoren bewusst mit
diesen aktuellen Begebenheiten auseinanderzusetzen. Sie nehmen den Leser mit
auf die Reise nach der Antwort auf die Frage, ob man den Menschen überhaupt
ökonomisch bewerten kann bzw. soll. In beiden Werken spiegeln sich dementsprechend vor allem folgende Funktionen der Literatur wider: die Vermittlung, die Veranschaulichung und die Problematisierung von Wissen.
230
Ninni Holmqvist, S. 268.
Dorrit hatte im Verlauf der Geschichte eine Schlüsselkarte von einem Pfleger erhalten, der die Ungerechtigkeit, die im System herrscht und welche sich besonders in Dorrits Fall bemerkbar machte,
nicht mehr tragen wollte und ihr deshalb die Chance auf Freiheit einräumte.
231
56
Die genuine Funktion der literarisierten Medizin, wie sie im ersten Kapitel beschrieben wurde, kommt bei Klare besonders in den Kapiteln, die den Umgang mit Patienten thematisieren, zum Vorschein.232 Bei Holmqvist lässt sich diese Funktion vor allem mit der Transplantationsmedizin in Verbindung setzen, die in ihrem Roman allgegenwärtig ist und in Form der Endspende eine Art Drohung darstellt. Ganz klassisch erfüllt Holmqvist die Funktion, wie sie von Dietrich von Engelhardt beschrieben
wird – als Hinweis auf die „Gefahren und Risiken der Medizin, auf Technisierung und
Anonymisierung, auf den Verlust der Menschlichkeit“.233
Die Struktur des Sachbuchs erlaubt es Klare, der Leserschaft anhand fächerübergreifenden Inputs das Themenfeld aus verschiedenen Perspektiven näher zu bringen.
Dies ist Holmqvist in diesem Maße nicht möglich, doch sie kann dank des fiktionalen
Rahmens ein sehr genaues Bild von einer möglichen Zukunft zeichnen und der Frage nachgehen: Was wäre, wenn? In beiden Fällen werden die strukturellen Bedingungen genutzt, um das Bewusstsein des Lesers anzuregen.
Es ist fast erschreckend, wie viele Parallelen sich zwischen beiden Büchern ziehen
lassen, da auch hier die Auswahl gänzlich unabhängig voneinander geschehen ist.
Am offensichtlichsten und auch herausragendsten ist wohl die Tatsache, dass Klare
in einem Kapitel, in dem Organspende und Organhandel thematisiert werden, das
Werk von Holmqvist erwähnt:
„Was [Gesundheitsökonom Peter] Oberender da vorschlägt, entspricht einer Art sozialer Selektion und erinnert mich an eine beklemmende Vision, die die schwedische
Autorin Ninni Holmqvist in ihrem 2008 im Fahrenheit-Verlag erschienenen Roman
Die Entbehrlichen ausformuliert hat. [Es folgt eine kurze Rezension]. Das Erschreckende der Geschichte liegt nicht in dramatischen Gewaltszenen, denn solche gibt
es gar nicht, sondern in dem subtilen Geschick, mit dem Holmqvist bekannte Ansätze
konsequent und phantasievoll zu Ende denkt.“234
232
Beispielhaft seien hier die Thematisierung der Transplantationsmedizin und medizinischen Forschung sowie die Gespräche mit den Gesundheitsökonomen und der Hausärztin angeführt.
233
Dietrich von Engelhardt 2005, Sp. 2.
234
Jörn Klare, S. 241.
57
Hervorzuheben ist diese Textstelle insbesondere, da belletristische Literatur an keiner anderen Stelle des Sachbuchs Erwähnung findet.
Pekuniarisierung und Humankapital
In beiden Werken wird der Trend zur „Pekuniarisierung“ der Gesellschaft deutlich –
Klare benennt diese Entwicklung, der er auf den Grund gehen möchte, als „das Vordringen ökonomischer Prinzipien, monetärer Berechnungen und Bewertungen in Lebensbereiche, in denen wir diese Prinzipien gar nicht vermuten würden und vermutlich auch gar nicht wollen“.235 Bei Holmqvist ist sie, nach dieser Definition, zwischen
den Zeilen erkennbar, spiegelt sich gewissermaßen in der Gesetzgebung und politischen Einstellung des fiktiven Staates wider. Monetäre Berechnungen finden sich bei
Klare in verschiedenen Formen, wie etwa die bereits erwähnte Rentabilitätsberechnung aus NS-Zeiten, sämtliche QALY-Berechnungen oder die „Saarbrücker Formel“236, mit der man das Humankapital messen kann. In Holmqvists Geschichte dient
vor allem die Anekdote bezüglich Dorrits Freundin Melinda als Impuls für eine Berechnung:
„Melinda hatte – schwarz auf weiß – erfahren, wie viel die Entscheidung, das Kind
auszutragen, die Gesellschaft kosten würde, wenn das Kind mit irgendeiner Funktionsbehinderung belastet war. Sie zeigte mir die Berechnung, und die sprach wahrlich eine deutliche Sprache; es ging um Zehntausende Millionen Verlust – und das
nur für ein einziges funktionsbehindertes Individuum von null bis fünfzig Jahren.“237
Auch das Nomen Humankapital wird in den erwähnten Zusammenhängen von
Holmqvist verwendet: „Ich wusste, dass ich als Entbehrliche wertvoll war; ich war
völlig gesund, hatte ausgezeichnete Werte, eine gute Kondition, noch fast alle Organe, und ich trug außerdem ein Kind – neues Humankapital – unter dem Herzen. Ich
war, buchstäblich gesagt, mein Gewicht in Gold wert.“238 Passend hierzu ist die Äußerung von Guido Offermanns, der – ähnlich wie Klare und Holmqvist – kritisch in die
Zukunft blickt und die Notwendigkeit sieht, künftig Diskurse auf gesellschaftlicher
235
Ebd., S. 16.
Jörn Klare, S. 104.
237
Ninni Holmqvist, S. 183.
238
Ninni Holmqvist, S. 191.
236
58
Ebene zu führen, welche Politiker, Wissenschaftler, aber auch die „normalen“ Bürger
involviert: Solche Diskurse dienen der Klärung, „wie viel Ethik (oder Gesundheit) sich
unsere Gesellschaft noch leisten will oder ob sich die Monetik, wie in anderen Gesellschaftsbereichen, immer stärker durchsetzen wird“.239 Mehr oder weniger
Holmqvists Szenario beschreibend, schlussfolgert er: „Dies wäre der Schritt zur totalen ‚Geldgesellschaft‘. Geld würde dann über Lebenserwartung und über die Qualität
des Lebens schlechthin maßgeblich bestimmend sein, eine Chancengleichheit in der
Gesellschaft wäre quasi nicht mehr gegeben.“240
Analyse der verschiedenen Erzählperspektiven
„Was ist ein Leben wert? Genauer: Wieviel ist ein Leben wert? Die Frage ist schwierig, wirkt böse, und sie verfolgt mich. Genauer gesagt, ich begegne ihr immer wieder.
(…) Ich nehme Stift und Papier, versuche eine Bilanz, eine vage Abrechnung meiner
Lebensleistungen. (…) Also: Wieviel Euro bin ich wert?“241 Bei Klare handelt es sich
um ein in Ich-Form verfasstes Sachbuch, wobei der recherchierende Autor mit der
Hauptfigur gleichzusetzen ist. Damit ist Klare als Figur, die durch das Sachbuch führt,
auch stets involviert und bringt u.a. Gefühle mit ein. Dies ermöglicht dem Leser, sich
mit ihm, dem recherchierenden Individuum, zu identifizieren und selbst auf die Reise
zu gehen. Klare wohnt ein fester Platz inne, den er sich durch die Vorgehensweise –
in Form vieler Interviews und einer interdisziplinären Betrachtungsweise der Aufgabenstellung – selbst gegeben hat. Um auch hier der Eintönigkeit entgegenzuwirken,
kann er anhand der Interviews Dialoge situativ einbetten und bringt somit Abwechslung bzw. Perspektivenwechsel in den Leseprozess.
„Ich bin nicht jemand, der andere verrät. Ich habe zum Beispiel hier in meiner Erzählung nicht die wirklichen Umstände geschildert, unter denen ich die Schlüsselkarte in
die Hand bekommen habe. (…) [Ich] wollte (…) diese Erzählung schreiben – auch
wenn sie wahrscheinlich eines der Manuskripte sein wird, die unverzüglich in einem
der unterirdischen Gänge unter der Königlichen Bibliothek in Stockholm landen werden. Das heißt, wenn es überhaupt irgendwo landet und nicht zerstört wird.“242
239
Guido Offermanns, S. 53.
Ebd.
241
Jörn Klare, S. 11-14.
242
Ninni Holmqvist, S. 253, 267-268.
240
59
Die Erzählperspektive in Holmqvists Roman bekommt auf den letzten Seiten des Buches einen besonderen Twist, was Einfluss auf die Aufmerksamkeit des Lesers
nimmt. Die Protagonistin Dorrit Wegner ist die Ich-Erzählerin der Geschichte und
kann aufgrund des o.a. Zitats als unreliable narrator gelten. Ihre Äußerungen wenden
sich, sollte das Manuskript nach ihrer Endspende veröffentlicht werden, an eine Leserschaft, die aus ihrer Gesellschaft stammt. Daher ist auch gut nachzuvollziehen,
dass es bezüglich des Lebens außerhalb der Einheit nicht viel Input ihrerseits gibt.
Das wiederum regt die Fantasie des Lesers an, wie es in einer solchen Gesellschaft
aussehen könnte. Ähnlich wie Klare nutzt Holmqvist, vor allem ab dem zweiten Teil,
vermehrt die Dialogform. Hier soll vor allem aus Sicht anderer Mitbewohner der Einheit der Alltag beschrieben werden, über den Dorrit anfangs ja selber noch nicht viel
berichten kann. So bekommt der Leser ein umfassendes Bild vom Leben in der Einheit, mit all seinen positiven wie negativen Aspekten.
Nachdem in den jeweiligen Unterkapiteln (2.3 und 3.3) die Werke bereits im Rahmen
ihres Themenkomplexes miteinander verglichen wurden, werden im Fazit (4.) die
Überschneidungen aller Werke, über die Themengrenzen hinweg, betrachtet. Dabei
sollen insbesondere die Ausarbeitungen aus dem ersten Kapitel als Leitfaden dienen. Die Ergebnisse der Arbeit werden in Thesen zusammengefasst.
4
Fazit
In dieser Arbeit stand die Literatur als beliebtes und öffentlichkeitswirksames Medium
des fächerübergreifenden Feldes der Medical Humanities im Mittelpunkt der Betrachtung. Im Hinblick auf die rasanten Entwicklungen der modernen Medizin wurde anhand der Beispiele der Synthetischen Biologie sowie der ökonomischen Bewertung
von Leben und Gesundheit der literarische Umgang mit diesen ethisch relevanten
Themen textanalytisch erforscht.
Um den Forschungsgegenstand sowie seine Funktionen und Wechselbeziehungen
festzuhalten, erfolgte zu Beginn der Arbeit eine Kontextualisierung der Medical Humanities. Auf diese Ausarbeitungen wurde im späteren Praxisteil wiederholt Bezug
genommen. Die Themenkomplexe wurden jeweils hinsichtlich interdisziplinärer Ge-
60
sichtspunkte vorgestellt und anschließend anhand je zweier literarischer Werke der
Gegenwart unterschiedlichen Genres untersucht und miteinander verglichen.
Dabei zeigte sich (Thesenzusammenfassung), dass die Literatur schafft, was in der
Politik und Öffentlichkeit oft so schwer fällt: die Entfaltung durch eine fächerübergreifende Betrachtungsweise (These 1), das Erkennen und Benennen von positiven sowie negativen Potenzialen (These 2) und das Äußern produktiver Kritik (These 3).
Diese Muster lassen sich trotz der unabhängig voneinander gewählten Lektüre und
der zwei unterschiedlichen Themenbereiche in allen vier Werken eruieren. Damit
zeichnet sich ein vielversprechendes Reservoir für das Feld der Medical Humanities
ab, welches durch den Dialog zwischen Literatur und Wissenschaft genährt werden
kann (These 4).
1.
These
Es ließ sich evaluieren, dass das Medium der Sprache Raum für interdisziplinäre Betrachtungen gewährt. Es handelt sich bei beiden Komplexen um kritische Auseinandersetzungen mit Problemkonstellationen, die sich vor allem im (bio-) medizinischen,
ethischen und rechtlichen Bereich kreuzen. So war es trotz der unterschiedlichen
Thematiken nicht untypisch, dass sich die gleichen Fragen stellten: Handelt es sich
um einen menschenwürdigen Fortschritt? Entfremden wir uns gar durch die technischen Möglichkeiten vom elementaren zwischenmenschlichen Umgang? Wo liegen
bzw. wo sollen die Grenzen der medizinischen Möglichkeiten liegen? Florian Steger
weist nicht unbegründet darauf hin, dass sich durch die aktuellen Entwicklungen in
Wissenschaft und Technik der Handlungsspielraum beteiligter Akteure auffällig geweitet hat und sich daraus folgern lässt, dass das Ausrichten des eigenen Handelns
an bestimmten ethischen Standards, „(…) einen professionellen Diskurs um Moral
erforderlich [macht]“.243 Diese Forderung wird – teils passiv zwischen den Zeilen, teils
aktiv – ebenfalls in der betrachteten Literatur geäußert.
Handelt es sich um einen menschenwürdigen Fortschritt? Entfremden wir uns gar
durch die technischen Möglichkeiten vom elementaren zwischenmenschlichen Umgang?
243
Florian Steger 2013, S. 7.
61
In beiden Themenbereichen werden medizinische Bereiche thematisiert, welche
durch den technischen Fortschritt erheblich Fahrt aufnehmen konnten, wodurch wiederum medizinische Eingriffe möglich sind, die vor Jahrzehnten nicht annähernd
durchführbar oder denkbar gewesen wären.
Im ersten untersuchten Themenfeld handelt es sich dabei um die Synthetische Biologie mit ihren möglichen Auswirkungen auf den Menschen. Beide Werke, die diesbezüglich untersucht wurden, zeigen deutliche Anzeichen, dass die Möglichkeiten, die
sich durch die Synthetische Biologie ergeben, mit bedeutender Vorsicht in Anbetracht der Menschenwürde zu betrachten sind. Dies wird besonders deutlich, wenn
Fritsche die Patentierung von Leben, die Person Craig Venter und die Notwendigkeit
von bestimmten Sicherheitsmaßnahmen thematisiert. Bei Anderegg zeigt sich die
Problematik eher zwischen den Zeilen, wenn beispielsweise ans Licht kommt, dass
wirtschaftliche Faktoren bei Feldversuchen mit synthetisch veränderten Genen höher
gewertet werden als das Überleben eines ganzen afrikanischen Dorfes – und betrachtet man den pandemischen Ausbruch, gar das Leben der ganzen Bevölkerung.
Hier zeigen sich also auch Überschneidungen mit dem zweiten Themenfeld, der
Ökonomisierung von Leben und Gesundheit.
Im zweiten untersuchten Themenfeld handelt es sich primär um die Transplantationsmedizin und die Möglichkeiten, die sich durch diese ergeben. Vor allem ökonomische Problematiken werden diesbezüglich in den Mittelpunkt gestellt. Gerade in diesem Bereich wurde deutlich, dass die Frage nach einem menschenwürdigen Fortschritt sehr wichtig ist. Sicherlich hätte Klare sonst gar nicht erst gefragt, was für einen Wert er hat. Anhand seines interdisziplinären Einblicks in die verschiedenen Berechnungen zur Ermittlung der Wertigkeit eines Menschenlebens, mit deren Hilfe
entschieden werden könnte und zum Teil auch schon entschieden wird, ob eine medizinische Maßnahme durchgeführt wird oder nicht, schwebt die Frage nach einem
menschenwürdigen Handeln stets über der aufgeschlagenen Seite. Noch deutlicher
kann Holmqvist, ähnlich wie Anderegg mit seinem fiktiven Zukunftsszenario, die
Wichtigkeit dieser Frage wiedergeben. Sie zeichnet mit ihrer Dystopie nicht nur mögliche Auswirkungen, die durch den Einsatz fortschrittlicher Technik möglich wären.
Sie zeigt auch die Auswirkungen auf die Gesellschaft, die in diesem Fall größeren
Wert auf den ökonomischen Input ihrer Mitglieder legt als auf deren Menschenwürde.
62
Die Frage nach dem zwischenmenschlichen Umgang zielt speziell darauf ab zu erfahren, wie sich durch den medizinischen Fortschritt die zwischenmenschlichen Beziehungen ändern können. Dabei sind es eher die negativen Auswirkungen auf den
Umgang untereinander, die hier im Vordergrund stehen. Zwar lassen sich diese Tendenzen auch im ersten Komplex eruieren, doch besonders im zweiten Themenfeld
treten sie prominent hervor, denn hier wird die Kluft zwischen ethischem Verhalten
und wirtschaftlichem Kalkül sehr deutlich. Und diese Kluft ergibt sich im medizinischen Bereich oft erst durch den technischen Fortschritt, der prinzipiell helfen könnte,
aber aufgrund der knappen Ressourcen nicht allen zur Verfügung stehen kann.
Wo liegen bzw. wo sollen die Grenzen der medizinischen Möglichkeiten liegen?
Ausnahmslos und unmissverständlich beschäftigen sich alle vier Werke eindringlich
mit dieser Frage. Im ersten Themenbereich wird dies in der Auseinandersetzung mit
dem Leistungsvermögen der Synthetischen Biologie deutlich. Besonders in Anbetracht der Gefahrenpotenziale, die in dieser modernen Technologie stecken, kommt
diese Frage zum Vorschein. Neben der Frage, ob wir wirklich tun sollten, was wir
können, äußert Fritsche allerdings auch folgende Befürchtung: „Unser Überleben
hängt weniger von unserem technischen Können ab als von der Fähigkeit, zufrieden
zu sein.“244 In Andereggs Thriller spiegelt sich die Frage besonders in den Machenschaften der Biochemiefirma BiosynQ wider, die aus ökonomischen Gründen weit
über die Grenzen des legal Machbaren hinausgeht und damit Menschenleben in Gefahr bringt. Im Prinzip bekommt die Befürchtung, die Fritsche äußert, hier ein fiktives
Gerüst.
Im zweiten Themenbereich bezieht sich die Frage darauf, welche Rolle wirtschaftliche Entscheidungen beim Einsatz dieser (bio-)medizinischen Möglichkeiten spielen
sollten. Dabei wird deutlich, dass eigentliche (ethische) Grenzen aus ökonomischen
Gründen zu oft überschritten werden. Klare thematisiert das beispielhaft mit dem illegalen Organhandel und verweist sogar auf Holmqvists „beklemmende Vision“ 245, in
der entbehrliche Menschen ihre Organe und Gewebe den Benötigten, welche die
Wirtschaft in der Gesellschaft ankurbeln, zur Verfügung stellen müssen.
244
245
Olaf Fritsche, S. 155.
Jörn Klare, S. 241.
63
2.
These
Beide Thematiken beinhalten das negative Potenzial unethischer Verhaltensweisen
sowie strafrechtlich relevanter Tatbestände. Die ausgewählte Lektüre reagiert darauf,
indem diese Gefahrenpotenziale erkannt und benannt werden. Die literarische Auseinandersetzung mit der jeweiligen Thematik antwortet aber nicht nur mit einer Warnung. Abgesehen von der negativen Wirkungsfähigkeit, die sich sowohl in der Synthetischen Biologie als auch in der ökonomischen Bewertung von Leben und Gesundheit zeigen, geht die Literatur auch der Funktion nach, Innovationspotenziale in
diesen Bereichen zu erschließen. Bezogen auf letzteren Bereich fällt der Fokus auf
dieses Potenzial indes weitaus geringer aus.
Fritsche und Anderegg beziehen sich bezüglich der Gefahrenpotenziale der Synthetischen Biologie u.a. auf die Möglichkeiten des Bioterrorismus, den Einsatz ethnischer Waffen, Sicherheitsschlupflöcher und die Gefahren bezüglich des genetischen
Wettrüstens. Bezüglich der Innovationskraft steht vor allem der Wert für die Medizin246 in Form der Bekämpfung von schweren Krankheiten, z.B. der Malaria, im Vordergrund.
Klare und Holmqvist äußern die Gefahr einer Ökonomisierungstendenz, die in Bezug
auf Leben und Gesundheit schwerwiegende Auswirkungen für den Menschen nach
sich zieht. Wenn allein Berechnungen nach gesundheitsökonomischen Richtlinien
und Kosten-Nutzen-Werten über die Gesundheit eines Menschen entscheiden, dann
dauert es nicht lange, bis die Vision von Holmqvist nicht mehr nur eine Fiktion darstellt. Ein Innovationspotenzial lässt sich insofern erkennen, als dass solche Berechnungen eine mögliche Hilfestellung in einer Entscheidungsfindung sein können, aber
sicherlich darf es sich nicht um eine alleinige Grundlage der letztendlichen Entscheidung handeln.
246
„Wer Bakterien entwickelt, die im Darm von Mücken ein Toxin gegen den Malariaerreger abgeben
(Team EPF Lausanne 2010), möchte, dass dieser Ansatz weiterverfolgt und schließlich im Kampf
gegen die Krankheit, an der jedes Jahr Millionen Menschen sterben, eingesetzt wird.“ (Olaf Fritsche,
S. 108-109).
Für weitere Informationen diesbezüglich siehe: <http://2010.igem.org/Team:EPF_Lausanne/Project>
(27.03.2014).
64
3.
These
Es zeigte sich in allen vier Werken, dass die Literatur als Sprachrohr dienen kann,
um am medizinischen Fortschritt Kritik zu üben bzw. auf bestehende Missstände hinzuweisen. Insbesondere anhand der genuinen Funktion der literarisierten Medizin
nach Dietrich von Engelhardt konnte diese These belegt werden. Alle vier Autoren
nutzen, unabhängig vom Genre, das geschriebene Wort, um Anregungen in den Text
einzubauen, die sich mit einem besseren „Umgang mit Krankheit und Tod sowie den
diagnostisch-therapeutischen Möglichkeiten der Medizin [auseinandersetzen]“ 247 sowie auf „Gefahren und Risiken der Medizin, auf Technisierung und Anonymisierung,
auf den Verlust der Menschlichkeit [hinweisen].“248 Diese These steht im engen Zusammenhang mit den Ausführungen der vorherigen These.
4.
These
All die o.a. Muster, die sich in der Lektüre evaluieren ließen, lassen darauf schließen,
worauf bereits mit Hilfe des Kapitels zur Kontextualisierung der Medical Humanities
aufmerksam gemacht wurde: Die literarische Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen bzw. medizinischen Themen bietet eine vielversprechende Grundlage bezüglich
des Untersuchungsgegenstandes innerhalb des Feldes der Medical Humanities. Ein
hohes Potenzial lässt sich aus den bereits erwähnten Funktionen der Literatur für die
Leser ziehen. Vor allem die genuine Funktion der literarisierten Medizin, die szientifische Funktion der Literatur sowie die Repräsentationsfunktion der Medizin ließen
sich in der untersuchten Lektüre nachforschen. Aufgrund der Gefahrenpotenziale, die
sich hinter beiden Themengebieten verbarg, lag der Fokus auf ersterer Funktion.
Nichtsdestotrotz sollen folgend auch die anderen Funktionen beispielhaft angeführt
werden. Die medizinische Metaphorik und der Einsatz szientifischer Prosa waren in
allen vier Werken präsent, wobei die Repräsentationsfunktion in den belletristischen
Werken häufiger zum Vorschein kam als in den Sachbüchern. Hier lag der Fokus
eher auf den medizinischen/szientifischen Episoden im Text.
Anderegg nutzt z.B. zahlreiche Pandemie-Szenarien, um anhand verschiedener internationaler Fälle die Wirkungsweisen bzw. die „Nebenwirkungen“ der hervorgerufenen Pseudomalaria für die Leserschaft real darzustellen. „Nach anfänglichen kurzen
247
248
Dietrich von Engelhardt 2004, S. 39.
Ebd. 2005, Sp. 2.
65
Schüben hohen Fiebers treten ähnliche Symptome wie bei der Creutzfeldt-Jacob
Krankheit auf. Das Hirn der Patienten wird angegriffen und sie verlieren schnell die
Kontrolle über zentrale Körperfunktionen (…).“249
Holmqvist präsentiert medizinischen Input vor allem, wenn im Diskurs um die Endspende erwähnt wird, welche medizinische Indikation der oder die Benötigte zur anstehenden Organverpflanzung gebracht hat. „Die Frau hat Diabetes Typ eins; er ist
also nicht selbstverursacht (…). Die Insulinproduktion hat bei dieser Patientin nie
normal funktioniert, und seit einiger Zeit beginnt auch die zweite Funktion der Bauchspeicheldrüse zu versagen. Die Nährstoffspaltung funktioniert also nicht so, wie sie
müsste.“ 250 Fritsche bietet neben den fiktiven Zukunftsszenarien, die das komplexe
Feld der synthetischen Biologie etwas verständlicher machen sollen, auch simpel
erklärte Ansätze, indem er bei bestimmten Themenfeldern etwas weiter ausholt, was
folgendes Zitat zum Thema Pockenimpfung unterstreicht:
„Sind die Pocken erst einmal ausgebrochen, ist der Patient auf sich gestellt. Ein
Heilmittel gegen die Infektion gibt es nicht. Die einzige Waffe der Mediziner gegen
den Erreger ist eine Impfung, die auch noch einige Tage nach der Infektion helfen
kann. Dafür werden ‚lebende‛ Kuhpockenviren gespritzt, die beim Menschen in der
Regel nur leichte Symptome auslösen, aber vor einer späteren Infektion mit Echten
Pocken schützen.“251
Auch Klare nutzt szientifischen Input etwa, um Zusammenhänge besser zu erklären
oder um der Leserschaft eine Allegorie zum besseren Verständnis anzubieten, so
z.B. im Falle der Erläuterung zu dem Thema „Triage“:
„‚Frauen und Kinder zuerst!‛ - das klassische Leitmotiv jeder Katastrophenrettung,
zumindest in den Filmen, die ich kenne. Nach dem Humankapitalansatz wäre das die
pure Verschwendung. Aber wie funktioniert das außerhalb der Filme, im echten Leben? Ein Stichwort dazu stammt ursprünglich aus der Militärmedizin und lautet ‚Tria249
Hansjörg Anderegg, S. 243-244.
Ninni Holmqvist, S. 105.
251
Olaf Fritsche, S. 201.
250
66
ge‛, was aus dem Französischen kommt und soviel wie Sichtung, Einteilung oder
auch Auswahl bedeutet. So steht die Triage für die Aufgabe, etwa bei einem Massenunfall so schnell wie möglich zu entscheiden, wer wie behandelt wird und wer im
Zweifelsfall – das heißt bei zu knappen materiellen und/oder personellen Mitteln –
eben keine Behandlung bekommt. (…) [Mediziner müssen innerhalb von Minuten]
existentielle Entscheidungen (…) fällen. Allgemein sollen möglichst viele Personen
das Ereignis mit möglichst wenig Schaden überstehen. Zu aufwendige Maßnahmen
sollen bei weniger schwer Geschädigten ebenso vermieden werden wie bei den vermeintlich ‚aussichtslosen‛ Fällen. Zumindest so lange, bis ausreichende Ressourcen
zur Verfügung stehen.“252
Es zeigte sich, dass es nicht unbedingt die unbestreitbar effektive Mischung aus Fakt
und Fiktion ist, wie sie in einem Roman oder Thriller geboten wird, auf die es ankommt. Auch ein Sachbuch, welches gänzlich ohne fiktive Szenarien auskommt,
kann diese Muster auf den Leser projizieren.
252
Jörn Klare, S. 117.
67
Literaturverzeichnis
Quellen
Hansjörg Anderegg: Nebenwirkungen. Scotts Valley: Createspace 2008.
Jörn Klare: Was bin ich Wert? Eine Preisermittlung. Berlin: Suhrkamp 2010.
Ninni Holmqvist: Die Entbehrlichen. Aus dem Schwedischen von Angelika Gundlach.
München: Fahrenheit 2008.
Olaf Fritsche: Die neue Schöpfung. Wie Gen-Ingenieure unser Leben revolutionieren.
Hamburg: Rowohlt 2013.
Sekundärliteratur
Andrea Kottow: Der kranke Mann. Medizin und Geschlecht in der Literatur um 1900.
In: Andreas Frewer (Hg.): Kultur der Medizin. Geschichte –Theorie –Ethik.
Frankfurt: Campus 2006.
Annemarie Pieper: Einführung in die Ethik. 6. Auflage. Tübingen: Francke 2007.
Bettina von Jagow, Florian Steger (Hg.): Was treibt die Literatur zur Medizin? Ein
kulturwissenschaftlicher Dialog. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009.
Bettina von Jagow, Florian Steger (Hg.): Literatur und Medizin. Ein Lexikon. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005.
Bettina von Jagow, Florian Steger: Bilder des Menschen zwischen Selbstbestimmung
und Fremdsteuerung: Ulrike Draesners autopilot-Gedichte. In: Bettina von
Jagow, Florian Steger (Hg.): Repräsentationen. Medizin und Ethik in Literatur
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Bettina von Jagow, Florian Steger (Hg.): Repräsentationen. Medizin und Ethik in
Literatur und Kunst der Moderne. Heidelberg: Winter 2004.
Carl Djerassi: Science-in-fiction ist nicht Science Fiction. Ist sie Autobiographie? In:
Wendelin Schmidt- Dengler (Hg.): Fiction in Science – Science in Fiction. Zum
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Carsten Zelle: Medizin. In: Roland Borgards, Harald Neumeyer, Nicolas Pethes,
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Corina Caduff: Die Literatur und das Problem der Zweiten Schöpfung. In: Corina
Caduff, Ulrike Vedder (Hg.): Chiffre 2000 – Neue Paradigmen der Gegenwartsliteratur. München: Fink 2005, S. 27-42.
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Dietrich von Engelhardt: Geleitwort. In: Bettina von Jagow, Florian Steger (Hg.):
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Dietrich von Engelhardt: Vom Dialog der Medizin und Literatur im 20. Jahrhundert. In:
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Dietrich von Engelhardt: Medizin in der Literatur der Neuzeit. Bd. 1: Darstellung und
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Edgar Rosenmayer: Gerechte Verteilung medizinischer Ressourcen. Ethische Aspekte der Mikroallokation. Saarbrücken: Akademikerverlag 2012.
Elena Zeißler: Dunkle Welten. Die Dystopie auf dem Weg ins 21. Jahrhundert. Marburg: Tectum 2008.
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Beispiel einer neuen Biotechnologie. In: Florian Steger (Hg.): Medizin und
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Joachim Boldt, Oliver Müller, Giovanni Maio (Hg.): Leben schaffen? Philosophische
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Michael Arnold: Warum stellt sich das Thema „Ethik der Gesundheitsökonomie“? In:
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Monika Schmitz-Emans (Hg.): Literature and Science. Literatur und Wissenschaft.
Würzburg: Königshausen & Neumann 2008.
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(Hg.): Literature and Science. Literatur und Wissenschaft. Würzburg: Königshausen & Neumann 2008, S. 35-57.
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(Hg.): Medicine, Health and the Arts. Approaches to the medical humanities.
Oxford: Routledge 2014, S. 3-14.
Victoria Bates, Alan Bleakley und Sam Goodman (Hg.): Medicine, Health and the
Arts. Approaches to the medical humanities. Oxford: Routledge 2014.
Die Autorin:
Christiane Vogel ist Absolventin im Masterstudiengang Amerikanistik der Universität
Leipzig (2013) sowie im Masterstudiengang Medizin-Ethik-Recht der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg (2014). Das interdisziplinäre Themenfeld der Medical
Humanities, insbesondere den philologischen Blick auf den medizinischen Fortschritt,
wird sie vertiefend im Rahmen einer komparatistisch-ausgerichteten Promotion untersuchen und bearbeiten.
72
Schriftenreihe Medizin-Ethik-Recht
In dieser Reihe sind bisher folgende Bände erschienen:
Band 1
Prof. Dr. Gerfried Fischer „Medizinische Versuche am Menschen“, 2006
Band 2
Verena Ritz „Harmonisierung der rechtlichen Regelungen über den
Umgang mit humanen embryonalen Stammzellen in der EG: Bioethik im
Spannungsfeld von Konstitutionalisierung, Menschenwürde und
Kompetenzen“, 2006
Band 3
Dunja Lautenschläger „Die Gesetzesvorlagen des Arbeitskreises
Alternativentwurf zur Sterbehilfe aus den Jahren 1986 und 2005“, 2006
Band 4
Dr. Jens Soukup, Dr. Karsten Jentzsch, Prof. Dr. Joachim Radke
„Schließen sich Ethik und Ökonomie aus“, 2007
Band 5
Prof. Dr. Hans Lilie (Hrsg.) „Patientenrechte contra Ökonomisierung in
der Medizin“, 2007
Band 6
Gesetz über die Spende, Entnahme und Übertragung von Organen und
Geweben (Transplantationsgesetz – TPG)
Auszug aus dem Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln
(Arzneimittelgesetz - AMG)
Gesetz zur Regelung des Transfusionswesens (Transfusionsgesetz TFG), 2007
Band 7
Dr. Erich Steffen „Mit uns Juristen auf Leben und Tod“, 2007
Band 8
Dr. Jorge Guerra Gonzalez, Dr. Christoph Mandla „Das spanische
Transplantationsgesetz und das Königliche Dekret zur Regelung der
Transplantation“, 2008
Band 9
Dr. Eva Barber „Neue Fortschritte im Rahmen der Biomedizin in
Spanien:
Künstliche
Befruchtung,
Präembryonen
und
Transplantationsmedizin“ und „Embryonale Stammzellen - Deutschland
und Spanien in rechtsvergleichender Perspektive“, 2008
Band 10
Prof. Dr. Dr. Eckhard Nagel „Was ist der Mensch? Gedanken zur
aktuellen Debatte in der Transplantationsmedizin aus ethischer Sicht“
Prof. Dr. Hans Lilie „10 Jahre Transplantationsgesetz - Verbesserung
der Patientenversorgung oder Kommerzialisierung?“, 2008
Band 11
Prof. Dr. Hans Lilie, Prof. Dr. Christoph Fuchs „Gesetzestexte zum
Medizinrecht“, 3. Auflage, 2011
73
Band 12
PD Dr. Matthias Krüger „Das Verbot der post-mortem-Befruchtung - § 4
Abs. 1 Nr. 3 Embryonenschutzgesetz –Tatbestandliche Fragen,
Rechtsgut und verfassungsrechtliche Rechtfertigung“, 2010
Band 13
Prof. Dr. Jörg-Dietrich Hoppe, Dr. Marlis Hübner „Ärztlich assistierter
Suizid - Tötung auf Verlangen. Ethisch verantwortetes ärztliches
Handeln und der Wille des Patienten“, 2010
Band 14
Philipp Skarupinski „Medizinische, ethische und rechtliche Aspekte der
Notwendigkeit einer Kinderarzneimittelforschung vor dem Hintergrund
der EG-Verordnung 1901/2006“, 2010
Band 15
Stefan Bauer „Indikationserfordernis und ärztliche Therapiefreiheit:
Berufsrechtlich festgelegte Indikation als Einschränkung ärztlicher
Berufsfreiheit? Dargestellt am Beispiel der Richtlinie zur assistierten
Reproduktion“, 2010
Band 16
Heidi Ankermann „Das Phänomen Transsexualität – Eine kritische
Reflexion des zeitgenössischen medizinischen und juristischen
Umgangs mit dem Geschlechtswechsel als Krankheitskategorie“, 2010
Band 17
Sven Wedlich „Konflikt oder Synthese zwischen dem medizinisch
ethischen Selbstverständnis des Arztes und den rechtlich ethischen
Aspekten der Patientenverfügung“, 2010
Band 18
Dr. Andreas Walker „Platons Patient – Ein Beitrag zur Archäologie des
Arzt-Patienten-Verhältnisses“, 2010
Band 19
Romy Petzold „Zu Therapieentscheidungen am Lebensende von
Intensivpatienten – eine retrospektive Analyse“, 2010
Band 20
Dr. Andreas Linsa „Autonomie und Demenz“, 2010
Band 21
Stephanie Schmidt „Die Beeinflussung ärztlicher Tätigkeit“, 2010
Band 22
Dr. Cerrie Scheler „Der Kaiserschnitt im Wandel – von der Notoperation
zum Wunscheingriff“, 2010
Band 23
Lysann Hennig „Wenn sich Kinder den Traumkörper wünschen –
Schönheitsoperationen,
Piercings
und
Tätowierungen
bei
Minderjährigen“, 2010
Band 24
Dr. Michael Lehmann „Begründen und Argumentieren in der Ethik",
2011
Band 25
Dr. Susanne Kuhlmann „Der Dialyseabbruch: Medizinische, ethische
und juristische Aspekte", 2011
Band 26
Dr. Katharina Eger „Off-label use - Eine Übersicht mit Beispielen aus
dem Fachgebiet Neurologie", 2011
74
Band 27
Annette Börner „Die Macht der Sachverständigen im Arzthaftungsfall Rolle und Auswirkungen der Sachverständigengutachten unter
besonderer Berücksichtigung von Medizin, Ethik und Recht", 2011
Band 28
Susanne Weidemann „Von der Wirkmacht der Messwerte.
Überlegungen zum verschwundenen Einzelfall in der medizinischen
Praxis", 2011
Band 29
Christian Albrecht „Das Patientenverfügungsgesetz - Eine Bilanz der
praktischen Umsetzung", 2011
Band 30
Dr. Erich Steffen „Macht
Arzthaftungsrecht", 2011
Band 31
Franziska Kelle „Widerspruchslösung und Menschenwürde Eine
verfassungsrechtliche Untersuchung zur Begründbarkeit einer
Organspendepflicht und zur Vereinbarkeit von Menschenwürde und
Widerspruchslösung
unter
Berücksichtigung
ethischer
und
medizinischer Aspekte“, 2011
Band 32
Maria Busse „Transsexualität als Krankheit? Einordnung im
Leistungsrecht
der
gesetzlichen
Krankenversicherung
unter
Berücksichtigung medizinischer und ethischer Aspekte“, 2011
Band 33
Dr. Daniel Ammann „Psychotherapie im System der gesetzlichen
Krankenversicherung. Eine interdisziplinäre Analyse struktureller
Versorgungsprobleme und möglicher sozialrechtlicher Lösungsansätze
insbesondere am Beispiel der unipolaren Depression und der
Borderline-Persönlichkeitsstörung“, 2011
Band 34
Clemens Heyder „Das Verbot der heterologen Eizellspende", 2012
Band 35
Dr. Uta Baddack „Der Patient zwischen Autonomie und Compliance",
2012
Andreas Raschke „Der intensivpflichtige Patient und die ärztliche
Schweigepflicht", 2012
Band 36
und
Ohnmacht
des
Richters
im
Band 37
Prof. Dr. Klaus Peter Rippe „Ethik der Tierversuche Auf der Suche nach
einem neuen Paradigma“, 2012
Band 38
Johannes Zins „Altersabhängige
Gesundheitswesen“, 2012
Band 39
Marlen Asch, „Personale Selbstbestimmung und
Demenzkranken Eine Interdisziplinäre Analyse“, 2012
Band 40
Dr. Claudia C. Hülsemann, „Composite Tissue. Medizinische
Möglichkeiten, rechtliche Grundlagen und ethische Implikationen”, 2012
Band 41
Julia Reimers, „Substitution im Strafvollzug - Eine Betrachtung unter
medizinischen, ethischen und rechtlichen Gesichtspunkten“, 2013
Rationierung
im
öffentlichen
Identität
bei
75
Band 42
Robert Briske, „Die Patentierbarkeit von menschlichen embryonalen
Stammzellen“, 2012
Band 43
Anna Genske, Robert Briske, Jorma Brünner, Sven Mühlberg, Andreas
Raschke, "Die Beratung bei der Erstellung von Vorsorgeverfügungen ein Leitfaden", 2012
Band 44
Anna Genske, "Drittnützige Studien mit bewusstlosen Intensivpatienten
- Legitimation und Grenzen", 2013
Band 45
Anja Thyrolf, „Ambient Assisted Living, Möglichkeiten, Grenzen und
Voraussetzung
einer
gerechten
Verteilung
altersgerechter
Assistenzsysteme“, 2013
Band 46
Dr. Johannes T. Höcker,
Risikoaufklärung“, 2013
Band 47
Anna Kostroman, „Die Umsetzung des Patientenwillens im Rahmen
einer
Patientenverfügung.
Eigene
Erfahrungen
aus
der
Krankenhauspraxis“, 2014
Band 48
Franziska Wagener, „Mater semper certa est? Zur Rolle der Mutter und
zur Frage, ob die Einführung einer Möglichkeit zur Statuskorrektur notwendig ist“, 2014
Band 49
Jana Schäfer-Kuczynski, „Vom Objekt zum Subjekt – Perspektivwechsel zum Rechtsträger Kind am Beispiel der Debatte über die rituelle Beschneidung Minderjähriger“, 2014
Band 50
Sven Wedlich, „Nationale Präventionsmaßnahmen zur Erreichung des
WHO-Impfziels bei Masern“, 2014
Band 51
Prof. Dr. Karl-Peter Ringel, Kathrin Meyer, „§ 266a StGB - Sonderstraftatbestand der Frauenbeschneidung & verfassungswidrige Ungleichbehandlung“, 2014
„Neue
Impulse
zur
Gestaltung
der
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