Prof. DDr. Thomas Johann Bauer Welt und Umwelt des NT HS Universität Freiburg CH Theologische Fakultät Departement für Biblische Studien Neues Testament V. Vom Tod des Herodes zum Jüdischen Krieg . Die Herrschaft der Söhne des Herodes Herodes hatte mit Erlaubnis des Kaisers zwar testamentarisch seine Nachfolge geregelt, die letzte Entscheidung über das Testament des Herodes aber lag bei Kaiser Augustus. Nach dem Tod des Herodes teilte Kaiser Augustus das jüdische Territorium unter dessen Söhnen auf: () ARCHELAUS, Sohn des Herodes und seiner vierten Gattin Malthake – Ethnarch (wörtl. Volksfürst) von Judäa (mit Jerusalem), Samaria und Idumäa ( v.Chr. – n.Chr.). Der ihm von seinem Vater eigentlich zugedachte Königstitel wurde ihm vorenthalten. Wegen Unfähigkeit wurde er abgesetzt und sein Gebiet in eine römische Provinz umgewandelt. () ANTIPAS, der jüngere Bruder des Archelaos; im Neuen Testament mit dem von ihm geführten Herrschernamen Herodes genannt – Tetrarch (wörtl. Vier- bzw. Viertelfürst) von Galiläa und Peräa ( v.Chr. – n.Chr.), in seinem Herrschaftsgebiet traten Johannes der Täufer und Jesus auf. Die zweite Gattin des Antipas war seine Nichte Herodias (die Frau seines Halbbruders Herodes Boëthos und eine Tochter seines v.Chr. hingerichteten Halbbruders Aristobul). Da er sich für sie von seiner ersten Frau, einer Tochter des Nabatäerkönigs Aretas IV., trennte, brach der alte Grenzkonflikt von Neuem aus und führte zum Krieg, der im Jahr n. Chr. mit einer Niederlage des Antipas endete. Wegen angeblicher Verschwörung gegen Rom wurde er n.Chr. abgesetzt und nach Gallien verbannt; sein Gebiet erhielt Agrippa (I.), der Bruder seiner zweiten Gattin Herodias. () PHILIPPUS, Sohn des Herodes und seiner fünften Gattin Kleopatra – Tetrarch der Trachonitis und der übrigen Gebiete im Norden ( v.Chr. – n.Chr.). Verheiratet war er mit seiner bedeutend jüngeren Nichte Salome, der Tochter seines Halbbruders Herodes Boëthos und seiner Nichte Herodias. Als er kinderlos starb, wurde seine Tetrarchie zunächst mit der Provinz Syrien vereint, n.Chr. jedoch von Caligula seinem Jugendfreund Agrippa (I.), einem Enkel des Herodes, übergeben. . Judäa unter römischen Statthaltern Bei der Absetzung des Archelaos wurde sein Herrschaftsgebiet n.Chr. in die römische Provinz Judäa umgewandelt, die von einem römischen Statthalter aus dem Ritterstand verwaltet wurde (zunächst mit dem Titel Präfekt, seit Kaiser Claudius mit dem Titel Prokurator). Nach innen gestanden die Römer den Juden ein beachtliches Maß an Selbstverwaltung zu. Die Verantwortung Sitzungs-Paper Seite Thomas Johann Bauer Neutestamentliche Zeitgeschichte HS in inneren Angelegenheiten lag beim Hohenpriester, dem der siebzigköpfige Hoherat (Synedrium) zur Seite stand. Als Zeichen ihrer Loyalität gegenüber Rom mussten die Juden im Tempel von Jerusalem ihrem Gott täglich ein Opfer für das Wohl des Kaisers und des römischen Volkes darbringen. Da die Bewohner der neu eingerichteten Provinz Judäa ihre Steuern nun unmittelbar an Rom zahlen mussten, führte Quirinius in den Gebieten des Archelaus eine Vermögensschätzung (census) durch, um die Zahl der Steuerpflichtigen festzustellen und die Höhe der Kopfsteuer festzulegen. Da mit der Errichtung der Provinz Judäa die hier lebenden Juden unmittelbar der römischen Herrschaft unterstellt wurden, regte sich im Volk zunächst Widerstand gegen die römische Steuerschätzung als Zeichen der Unterwerfung und Knechtschaft. Als Reaktion auf die Steuerschätzung formierte sich unter Führung des Galiläers Judas und des Pharisäers Sadduk die antirömische Partei der Zeloten. Für das Neue Testament ist vor allem der Statthalter Pontius Pilatus (–) von Bedeutung, während dessen Amtszeit Jesus von Nazaret gekreuzigt wurde. Anders als seine Vorgänger bemühte sich Pilatus wenig um Rücksichtnahme auf das religiöse Empfinden der Juden. die Amtsführung des Pilatus war sicher von unbotmäßiger Härte und übertriebener Strenge geprägt. Dennoch kann man Pilatus selbst nicht einfach als grausam und willkürlich bezeichnen. Als Statthalter von Judäa war er seine Aufgabe, die Interessen des Kaisers und des römischen Volkes durchzusetzen und in seiner Provinz für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Widerstand und Aufruhr wurden deshalb schon beim ersten Aufkeimen mit militärischer Gewalt unterdrückt. . Die Wiederherstellung des jüdischen Königtums und Agrippa I. Agrippa I. (/– n.Chr.) war der Sohn von Aristobul, einem der beiden Söhne aus der Ehe des Herodes mit der Hasmonäerprinzessin Mariamme. Seine Mutter war Berenike, eine Tochter von Salome, der Schwester des Herodes. Er wurde in Rom erzogen, wo er enge Beziehungen zu Mitgliedern des Kaiserhauses knüpfte (Drusus, der Sohn des Tiberius, und der spätere Kaiser Claudius). Hochverschuldet musste er aus Rom fliehen; er fand Zuflucht bei seiner Schwester Herodias. Aus ihre Bitte hin ernannte ihn Antipas zum Marktaufseher von Tiberias. Nach einem Zerwürfnis mit Antipas suchte er sein Glück erneut in Rom. Hier gewann der die Freundschaft des späteren Kaisers Caligula. Von ihm erhielt n.Chr. Agrippa die ehemalige Tetrarchie des Philippus und den Königstitel; n.Chr. erhielt er auch das Herrschaftsgebiet des verbannten und abgesetzten Tetrarchen Herodes Antipas. Von Kaiser Claudius erhielt er n.Chr. zusätzlich das Gebiet der Provinz Judäa, d.h. das ehemalige Territorium des Archelaos. Damit herrschte Agrippa I. nahezu über das gesamte Gebiet, das einst zum Königreich seines Großvaters Herodes gehört hatte. Sitzungs-Paper Seite Thomas Johann Bauer Neutestamentliche Zeitgeschichte HS Mit großem Geschick gelang es König Agrippa I., durch Zeichen seiner Frömmigkeit und Gesetzestreue das Vertrauen und Wohlwollen seiner jüdischen Untertanen zu gewinnen. Agrippa I. erscheint auch in der Apostelgeschichte (hier mit dem Dynastennamen Herodes bezeichnet); sie berichtet, dass er zum Gefallen der Juden Mitglieder der christlichen Gemeinde von Jerusalem verhaften und foltern ließ (Apg ,–). Agrippa I. starb n.Chr. nach einer kurzen und schweren Krankheit in Caesarea am Meer; der Tod des Königs wurde von seinen Untertanen tief betrauert. Während der jüdische Historiker Flavius Josephus und die rabbinische Überlieferung König Agrippa I. durchweg positiv beurteilen, erscheint er in der Apostelgeschichte als grausamer Despot, den Gott wegen der blutigen Verfolgung der Christen und seiner Überheblichkeit mit einem grausamen Tod bestraft hat (Apg ,–). . Erneute Einrichtung der Provinz Judäa Nach dem Tod von König Agrippa I. n.Chr. wandelte Kaiser Claudius sein Herrschaftsgebiet erneut in die römische Provinz Judäa um (die nun anders als vor außer Judäa und Samaria auch die ehemaligen Tetrarchien des Antipas und Philippus umfasste). Von den Prokuratoren erscheinen zwei in Verbindung mit der Verhaftung und dem Prozess des Paulus in der Apostelgeschichte: () ANTONIUS FELIX war ein Bruder des einflussreichen kaiserlichen Finanzsekretärs Pallas; beide waren Freigelassene des Kaiserhauses. Einer seiner Ehefrauen war Drusilla, eine der Töchter des verstorbenen jüdischen Königs Agrippa I. Die Amtsführung des habgierigen, grausamen und ungerechten Felix trug wenig dazu bei, die gespannte Situation in Judäa zu beruhigen, obwohl er mit großer Härte gegen die antirömische Bewegung der Zeloten vorging. Während seiner Amtszeit begann in Jerusalem die radikalen Widerstandsbewegung der Sikarier mit ihrem Terror; ihren Namen hatten sie von den kleinen Dolchen (lateinisch sica), mit denen bewaffnet sie sich an den Festtagen unter das Volk mischten, um unerkannt ihre politischen Gegner niederzustechen. In die beiden letzten Jahre der Amtszeit des Felix fallen der Prozess und die Haft des Paulus. In der Darstellung der Apostelgeschichte ließ sich Felix zusammen mit seiner Gattin Drusilla vom gefangenen Paulus genau über den Glauben an Jesus Christus berichten. () Wann PORCIUS FESTUS die Nachfolge des Felix als Prokurator von Judäa antrat, ist nicht bekannt (/?). Er übte das Amt bis zu seinem Tod n.Chr. aus. Nach Flavius Josephus war seine Amtsführung im Vergleich mit Felix vorbildlich und gerecht. Festus mühte sich, den Terror der Sikarier einzudämmen, und ging entschieden gegen potentielle Unruhestifter vor. Nach der Darstellung des Paulus wurde unter Festus der von Felix verschleppte Prozess gegen Paulus wieder aufgenommen. Der Prozess endete mit der Appellation des Paulus an das Kaisergericht und seiner Überstellung nach Rom. Sitzungs-Paper Seite Thomas Johann Bauer Neutestamentliche Zeitgeschichte HS Unter den Nachfolgern des Festus, deren Amtsführung wenig zur Entspannung beitrug, spitzte sich die Lage in Palästina immer weiter zu. Sie eskalierte schließlich im Jüdischen Krieg der Jahre –, der mit der Zerstörung Jerusalems und des Tempels endete. . Agrippa II. Da Agrippa II., ein Sohn von Agrippa I., beim Tod seines Vaters noch minderjährig war, hatte ihn Kaiser Claudias auf Anraten seiner Berater nicht zum neuen jüdischen König ernannt. Als Kompensation erhielt er v.Chr. das kleine Königreich seines verstorbenen Onkels Herodes von Chalkis sowie die Aufsicht über den Tempel in Jerusalem mit dem Recht zur Ernennung des Hohenpriesters. Unter ihm kam es endlich zum Abschluss des Tempelbaus. Damit die Handwerker weiterhin ein Auskommen fanden, ließ er auf Kosten des Tempels die Straßen Jerusalems neu pflastern. Ein besonders enges Verhältnis hatte er zu seiner Schwerster Berenike, der Witwe seines Onkels Herodes von Chalkis und der späteren Geliebten des Kaisers Titus. Nach Apg f. suchten Agrippa II. und Berenike anlässlich ihres Besuches zum Amtsantritt des Festus auch den gefangenen Paulus auf. Politisch stand Agrippa II. von Anfang an loyal und bedingungslos auf römischer Seite. Bis zum Jahr war er mit allen Mitteln bemüht, einen offenen Aufstand der Juden und den Krieg mit Rom zu verhindern. Nach Ausbruch des Krieges kämpfte er mit seinen Truppen auf der Seite der Römer. Auch bei der Eroberung Jerusalems stand er an der Seite des römischen Feldherren und Oberbefehlhabers Titus. Die Römer dankten Agrippa II. seine Treue mit der Vergrößerung seines Herrschaftsgebietes (genaue Ausdehnung nicht bekannt). Mit seiner Schwester Berenike übersiedelte er n.Chr. nach Rom, wo er um das Jahr n.Chr. starb. Sitzungs-Paper Seite