01|Überuns scinexx.de-DasWissensmagazin scinexx®-sprich['saineks],eineKombinationaus“science”und“next generation”-bietetalsOnlinemagazinseit1998einenumfassenden Einblick in die Welt des Wissens und der Wissenschaft. Mit einem breiten Mix aus News, Trends, Ergebnissen und Entwicklungen präsentiert scinexx.de anschaulich Informationen aus Forschung undWissenschaft. DieSchwerpunktthemenliegenindenBereichenGeowissenschaften, Biologie und Biotechnologie, Medizin, Astronomie, Physik, Technik sowie Energie- und Umweltforschung. Das Internetmagazin spricht allewissbegierigenUseran-obinBeruf,StudiumoderFreizeit. scinexx wurde 1998 als Gemeinschaftsprojekt der MMCD NEW MEDIA GmbH in Düsseldorf und des Heidelberger Springer Verlags gegründet und ist heute Teil der Konradin Mediengruppe mit dem bekannten Magazin Bild der Wissenschaft sowie den Wissensangeboten:wissen.de,wissenschaft.de,scienceblogs.de, natur.deunddamals.de. 02|Inhalt 01 02 ÜBERUNS INHALT 03 KLEINERHIRSCH,GROßESPROBLEM Asiatische Muntjaks breiten sich in Europaaus 04 IMPRESSUM 03|KleinerHirsch,großesProblem AsiatischeMuntjaks breitensichinEuropa aus VONKAIALTHOETMAR Vonfünfaufüber50.000:WeraninvasiveArtendenkt,demfallen HirschewohlnichtalsErstesein.DochderChinesischeMuntjak belehrtunseinesBesseren:ErhatsichinGroßbritannienbereits rasantausgebreitetundistdortzurechtenPlagegeworden.Das drohtsichnuninKontinentaleuropazuwiederholen. RASANTERSIEGESZUG W iesichdieMuntjaksüberGroßbritannienausgebreitet haben. Der Chinesische Muntjak, auch Zwergmuntjak genannt, ist mit 50 Zentimeter Schulterhöhe die kleinste Muntjakart aus der Familie der Hirsche. Muntjaks leben von Natur aus in Asien. Im 19. Jahrhundert waren wenige Einzeltiere von China nach England exportiert und dort in ZoosundTierschauengezeigtworden.ImLondonerZoovermehrten sichdieTiere. DieerstenbritischenMuntjaksgelangtenausdemZoovonBedfordindieFreiheit.©Big_ashb/CCby-sa2.0 Drastische Zunahme 1901 dann wurden aus einem Park in Bedfordshire, der vom Zoo Tiere übernommen hatte, die ersten elf Muntjaks in die Freiheit entlassen - die Gründerpopulation in Britanniens freier Wildbahn. Weitere später freigelassene Tiere gehörten ebenfalls zur Linie des Londoner Zoos. Forscher schätzen dieZahlderChinesischenMuntjaksimVereinigtenKönigreichheute konservativ auf 52.000. Zum Vergleich: Die Bestände in China und Taiwan sollen sich auf etwa 118.000 Tiere belaufen. Die Spezies hat laut Weltnaturschutzunion IUCN den Status „gering gefährdet“. Die Art breitet sich auf den britischen Inseln derzeit jährlich um einen Kilometer nordwärts aus und hat inzwischen die Grenze zu Schottland erreicht, erfolgreich Wales und Englands Südwesten erobert und kommt neuerdings sogar in Irland vor. Die Abschüsse durch Jäger stiegen derweil zwischen 1961 und 2009 um mehr als das Siebzehnfache.Spurensuche im Genom Forscher um Marianne Freeman von der Queen's University in Belfast wollten wissen, wie großdieUrsprungspopulationinEnglandwar.DamitsolltedieFrage geklärt werden, ob Hirscharten zur erfolgreichen invasiven Art werden können, wenn nur wenige Einzeltiere die Erstpopulation bilden. Für ihre Studie entnahmen die Forscher 176 britischen MuntjaksDNA-ProbenundanalysiertendieMikrosatellitenallerTiere -kurze,sichwiederholendeAbschnittederDNA. Sie entdeckten acht sogenannte mitochondriale D-Loop-Sequenzen. Dahinter verbergen sich Varianten einer Sequenz aus DNABausteinen auf ein und demselben Chromosom. Unter den acht Sequenzen wurden keine ungleichgewichtigen Verbindungen gefunden. Die genetische Distanz zwischen den untersuchten Muntjaks Muntjak,ertapptineinemenglischen Waldgebiet.©EvelynSimak/CC-by-sa2.0 war damit verschwindend gering. Zum Vergleich wurden Genproben der taiwanesischen UnterartMuntiacusreevesimicurusherangezogen.AmAnfangstand nur eine Handvoll Weibchen Im “Journal of Zoology” legte das fünfköpfige Team nun seine Erkenntnisse vor. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die ganze Invasion auf ein einziges Gründungsereignis unter Einbezug einer kleinen Zahl von Weibchen zurückgeführt werden kann“, schreiben die Forscher. Konkret sollen vier oder fünf Muntjak-WeibchendieGründermütterderheutigenPopulationsein. Die Forscher schlussfolgern daraus, dass selbst kleinste Freilassungsaktionenzueinerunumkehrbarenundkostenträchtigen invasionsartigen Ausbreitung der Spezies führen können - auch wenndiegenetischeVielfaltderausgesetztenTieresehrgeringist. EINPAARPIONIEREGENÜGEN D er “Flaschenhals” ist nicht immer ein Problem.Artenschutz-BiologensindinderVergangenheit davon ausgegangen, dass ein hohes Maß an Erbgutvielfalt und eine ganze Reihe von Aussetzungen oder Einwanderungsschüben zwingend nötig sind, damit sich eine eingewanderteoderneueingeführteArtaufDaueretablierenkann. Andernfalls drohe ein genetischer „Flaschenhalseffekt“, so dachte man: Populationen gehen dann auf wenige Gründer- oder Pionierindividuen zurück und können daher zum Beispiel anfälliger fürKrankheitensein.EinBeispielfürdenEffektsindAfrikasGeparde oder Europas Wisente - beides Arten, die einmal am Rande der Ausrottungstanden,aberdemArtentodentgangensind. EbenfallseinerfolgreicherInvasormitnurkleinenAnfangs-Populationen:dasausNordamerikanach EuropaeingeschleppteGrauhörnchen.©Sannse/CC-by-sa3.0 Algen,HörnchenundHirsche Aberdasistoffensichtlichnichtimmerso:BeispielefürinvasiveArten, diemiteinerkleinenZahlvonPionier-IndividuenNeulanderoberten, machten Forscher bereits einige aus, so die “Killeralge” Caulerpa taxifolia im Mittelmeer. Auch wurde schon nachgewiesen, dass die Freilassung eines einzigen Paares von Grauhörnchen mit mehr als 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit zur Gründung einer neuen Population führt. Im Reich der Hirsche beschränkt sich das Invasoren-Problem längst nicht mehr auf Muntjaks. Ein Viertel aller weltweiten Hirscharten wurde vom Menschen außerhalb der ursprünglichen Verbreitungsgebiete ausgesetzt. Ein Beispiel ist der von Natur aus in Ostasien heimische Sikahirsch, der heute auch in Europa,Australien,Neuseeland,denUSAundselbstinMarokkound aufMadagaskarvorkommt. “Wachsamkeitistgeboten” Die britischen Muntjak-Forscher um Marianne Freeman sehen ihre Erkenntnisse zu den britischen Muntjaks auch als Warnung vor der Gefahr, dass schädlichen invasiven Arten eine kleine Gründerpopulation genügen kann, um neues Terrain zu erobern. “SelbstbeikleinenFreisetzungsaktionenvonArtenwiedemMuntjak ist Wachsamkeit geboten”, warnen die Forscher. Andernfalls könne eszuirreversiblenbiologischenInvasionenkommen,ganzgleichwie klein der ursprüngliche Genpool sei. Zugleich sehen sie aber auch bessere Chancen für Wiederansiedlungen lokal ausgestorbener Arten.OftgenügtenschonwenigeIndividuen,umeinerSpezieseine neueChancezugeben,heißtesinderStudie.Erfolgsbeispieleseien der Sattelvogel in Neuseeland, der Alpensteinbock und in China der Davidshirsch, der in freier Wildbahn zwischenzeitlich ausgestorben war. VERMEHRUNGMITFOLGEN D ie Zwergmuntjaks profitieren davon, dass sie sich anders als andere Hirscharten - das ganze Jahr über vermehren und schon mit 36 Wochen geschlechtsreif werden. Bereits nach zwei Monaten sind die Kitze entwöhnt.DieLebenserwartunginfreierWildbahnbeträgtzudembis zu zwölf Jahre. Die Vielzahl von Generationen seit ihrer ersten FreilassunginEnglandmachtdamitdenursprünglichengenetischen “Flaschenhalseffekt”vergessen. Muntjak-Kitzewachsenschnellheranundwerdenschonmit36Wochengeschlechtsreif.©Packa/ CC-by-sa3.0 Den Zwerghirschen kommt zudem das atlantische, vom Golfstrom geprägte Klima Großbritanniens sehr entgegen: Die aus den SubtropenstammendenTierebrauchenmildeWinter,dieesdortin der Regel gibt. Zudem fressen sie liebend gern Wintergetreide, was zumindest in Westeuropa breitflächig angebaut wird. Schäden für NaturundLandwirtschaftDieAusbreitungderMuntjakshataufder Insel längst zu erheblichen wirtschaftlichen und ökologischen Schäden geführt. Die Forscher führen als Beispiele Kollisionen der ZwerghirschemitAutosan-geschätzt15.000proJahr.DieMuntjaks übertragen zudem, wie manche andere Wildtiere, die Erreger von Rinder-Tuberkulose und Maul-und-Klauenseuche. Dazu kommen ErnteschädenbeiBauernundderRückgangderBodenvegetationin Wäldern. Der Bodenvegetation und Waldverjüngung schaden die Zwergmuntjaks nach dem heutigen Stand der Forschung aber erst nachhaltig, wenn die Populationsdichte 25 und mehr Individuen je Quadratkilometer erreicht. Werden die einzelgängerischen, sich MuntjaksfressenvorallemLaub,aberauch meist im Dickicht Rinde,Früchteundsogar Vogelgelege.©Alfonsopazphoto/CC-byverbergenden Muntjaks sa3.0 jedoch nicht bejagt, können sie Populationsdichten von 20 bis 120 Tieren je Quadratkilometer erreichen. Muntjaks sind eher Laub-Äser als Grasfresser. Zu ihrer Kost zählen neben Blättern, Trieben, Samen, Rinden aber auch Blumen, Früchte - vor allem Brombeeren - und sogar die Gelege bodenbrütender Vögel. In Großbritannien sollen Muntjaks laut Untersuchungen für den lokalen Rückgang von Nachtigallen, DrosselnundGartengrasmückenmitverantwortlichsein. AUSSENSEITER-VORTEILE I n Großbritannien entwickelt sich der Muntjak inzwischen zur häufigsten Hirschart. Mit Rothirsch und Reh ist zwar eine Koexistenz möglich. In Südostengland wurde allerdings bei anderen Untersuchungen festgestellt, dass mit der verstärkten Präsenz von Muntjaks die Zahl, das durchschnittliches Gewicht und dieFruchtbarkeitvonRehendeutlichzurückgingen. MuntjaksfühlensichauchinParksundsogarGärtenwohl.©Thesupermat/CC-by-sa4.0 Weniger wählerisch als Rehe Einer der Gründe könnte in einem Konkurrenzvorteil der Zwerghirsche liegen: Ein von invasiven Arten ausgehendesRisikoist,dassdieseökologischeNischenbesetzen,die von verwandten Arten bislang gemieden wurden. Beim Muntjak ist dies der Fall: Die kleinen Hirsche eroberten in Großbritannien auch vomMenschenstarkveränderteLebensräume. Nicht nur Wald, auch Parks und Gärten sind ihnen als Lebensraum recht. Das verleiht den Muntjaks einen Vorteil gegenüber den scheuerenRehenundheimischenHirschen.BeiderBevölkerungsei das Problem kaum bekannt, sagt der Biologe Jim Provan von der Queen's University Belfast. Die Forschung stehe am Anfang. Kaum natürliche Feinde “Unbekannt” antwortet der Evolutionsgenetiker auch auf die Frage nach natürlichen Feinden des Muntjaks in Großbritannien. Angenommen wird, dass sich Füchse zuweilen an den Kitzen vergreifen. In ihrer Ursprungsheimat Asien haben die verschiedenen Muntjakarten in Tiger, Rothund, Krokodil und Python wesentlichbeeindruckendereFeinde. ObdieArtsichinSchottlandbehauptenwerde,seischwerzusagen, sagt Provan, “es gibt aber einige Nachweise.” Das Auftauchen der ZwerghirscheinIrlandsfreierWildbahnführterzumindestteilweise auf Tiere zurück, die aus Parks oder privaten Haltungen ausgebrochen seien. Illegale Auswilderungen könnten mitverantwortlich sein. “Die Leute scheuen sich darüber zu reden”, berichteter–“mitBlickaufdierechtlichenFolgen”. MUNTJAKSAUCHBEIUNS? D ieZwerghirschebreitensichauchaufdemKontinentaus InzwischenhabendieMuntjaksnichtnurGroßbritannien für sich erobert, sie breiten sich auch auf dem europäischenKontinentaus.InFrankreichgibtesbisher zwarnurinderBretagneeinesehrkleinePopulationvonMuntiacus reevesi und über deren Verbleib und Größe fehlen gesicherten Angaben. Frankreich,NiederlandeundBelgien–dieMuntjaksbreitensichweiteraus.©Galhampshire/CC-bysa2.0 Doch in den Niederlanden gab es bereits Ende der 1990er Jahre erste Sichtungen in freier Wildbahn, zunächst in der Veluwe, Hollands größtem Waldgebiet, und im Raum Achterhoek, beides GegendeninderProvinzGelderlandimzentralenOstendesLandes. Von dort ging es südwärts. In der Provinz Nordbrabant an der Grenze zu Belgien hat sich inzwischen eine Population von etwa 50 bis100TierenetabliertundentfaltetweiterenAusbreitungsdrang.In Belgien schon etabliert Vinciane Schockert von der der Forschungsstelle für Tiergeographie der Universität Lüttich und ihre Kolleginnen haben 2013 eine alarmierende Studie zur Ausbreitung derMuntjaksvorgelegt. “Die Möglichkeit, dass von der kleinen isolierten Population in den Niederlanden eine künftige Expansion ausgeht, gibt Grund zu der Sorge, dass weite Teile Kontinentaleuropas kolonisiert werden”, berichtendieForscherinnen.Mitallendamitverbundenennegativen Folgen. So werden aus Belgien bereits erste Verkehrsunfälle mit Muntjaks gemeldet. Die Tiere sind aus den Niederlanden eingewandert oder aus belgischen Tierparks durch undichte Zäune ausgebüxt. Die belgischen Forscherinnen machen auch Jäger verantwortlich, Muntjaks freizulassen - für anschließende Trophäenjagden. Sie halten eine natürliche Ausdehnung der holländischen Population nach Belgien für unausweichlich. In den Wäldern der belgischen ProvinzenAntwerpenundLimburgwerdendieZwerghirschebereits regelmäßiggesichtet.“SietolerierenStörungendurchdenMenschen, passen sich an Verkehr und Leute an”, berichten die Forscher. Sie bezeichnenalleRegionenBelgiensaußerdenArdennenals“optimal”, umvonMuntjaksbesiedeltzuwerden. AlsnächstesamNiederrheinundimMünsterland Auf lange Sicht könnten Tiere aus Holland oder Belgien auch nach Deutschland einwandern und in grenznahen Regionen wie dem Niederrhein oder dem Münsterland auftauchen. Für wahrscheinlicher hält Schockert es aber, dass Chinesische Muntjaks sichinDeutschlanderfolgreichansiedeln,sobaldeinekleineZahlvon Tieren aus Parks oder Privathaltungen entkommt oder absichtlich freigelassen wird. Gleiches gilt für Tieflagen in der Schweiz und Österreich mit milderen Wintern. Entscheidend sei das Klima. Die Zwerghirsche sind von Natur aus trockene Winter gewohnt. Schockert berichtet auf Nachfrage, in Südengland habe es während besonders harter Winter unter den dortigen Populationen eine hohe Sterblichkeit gegeben. WiesichderKlimawandelauf die Überlebenschancen der Art in Europa auswirkt, sei offen. “Wenn uns das InDeutschlandgibtesMuntjaksbishernur regnerische Sommer und inZoosundWildparks,hierimZoo Augsburg.Aberdaskannsichbald Winter bringt, wird dies für ändern.©Rufus46/CC-by-sa3.0 das Muntjak sicher nicht optimal sein”, sagt die 41jährige Zoologin. Trockenere Sommer und mildereWinteraberkämendenZwerghirschenzupass. " Ausrottengehtnicht mehr " Die Forscherinnen geben in ihrer Studie zu bedenken: “Es gibt bislangkeinBeispieleinererfolgreichenlokalenMuntjak-Ausrottung.” JederVersuchseiressourcenintensiv.EffektivseiennurDrückjagden, beidenenvieleJägerzuFußimEinsatzsind.Fallenjagdenseientabu, weildenenauchandereTierezumOpferfallen. Die Forscherinnen raten deshalb, Muntjaks in Zoos, Tierparks und Privathaltungen zu sterilisieren und zu registrieren, damit sich das britischeSzenarionichtaufdemeuropäischenKontinentwiederholt. NochkönntedasgegendieanpassungsfähigenInvasorenhelfen. 04|Impressum scinexx.de-DasWissensmagazin MMCDNEWMEDIAGmbH Elisabethstraße42 40217Düsseldorf Tel.0211-94217222 Fax03212-1262505 www.mmcd.de [email protected] Geschäftsführer:HaraldFrater,[email protected] Chefredakteurin:NadjaPodbregar,[email protected] Handelsregister: Düsseldorf,HRB56568;USt.-ID.:DE254927844; FinanzamtDüsseldorf-Mitte Konzeption/Programmierung YOUPUBLISHGmbH Werastrasse84 70190Stuttgart M:info(at)you-publish.com Geschäftsführer:AndreasDollmayer ©2016byKonradinMedienGmbH,Leinfelden-Echterdingen