PDF Datei - Les Cigales

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Tages-Anzeiger – Samstag, 13. September 2014
Wissen
Small Talk
«Heute ist man
zum Glück legerer»
Silvia Nägeli und ihre Kollegin
Kathrin Achermann zeigen
am Denkmaltag die Kultur
des richtigen Tischdeckens.
Mit Silvia Nägeli sprach Matthias Meili
Wieso machen Sie am Europäischen
Denkmaltag, der dieses Wochenende
stattfindet, mit?
Wir zeigen zwar kein Denkmal oder altes Haus, sondern den Ausdruck des
menschlichen Verhaltens beim Essen,
wovon das Gedeck ein Teil ist. Das richtige Tischdecken gehört zu unserer Kultur wie ein altes Haus.
Was zeigen Sie?
Verschiedene Gedecke für verschiedene
Anlässe, aber auch, wie man jemandem
mit der Zeichensprache des Gedecks
­gewisse Botschaften weitergibt, ohne zu
sprechen. Zudem präsentieren wir eine
Anzahl schriftlicher Regeln zu Tischsitten aus Vergangenheit und Gegenwart.
Zum Beispiel?
Zum Beispiel steht in einer Broschüre
von 1529 unter «Ratschläge für Knaben»:
«Nicht stütz dich auf die Ellenbogen, sitz
aufrecht und nicht spreiz die Ärm! Das
Angebissene tunk nicht wieder ein,
nicht leck an den Fingern, nag auch kein
Bein! . . . nicht bohr in der Nasen, noch
kratz dich im Haar . . .»
Murmeltiere begrüssen sich mit Nasenstupsen und Beschnuppern. Foto: Regina Kühne (Keystone)
Das Nickerchen der Murmeltiere
Schlafen wie ein Murmeltier — von wegen. Die meiste Zeit ihres mehrmonatigen Winterschlafs sind sie wach
und in einer Art Kältestarre. Ist im Winter wenig Schnee über ihrem Bau, zehrt es noch mehr an ihren Kräften.
Barbara Reye
In zwei, drei Wochen ist es so weit. Dann
verschwinden in den Alpen die Murmeltiere für mehrere Monate in ihren unterirdischen Schlafkesseln. Und der Winterschlaf ohne Fressen und Trinken beginnt. Eng aneinander gekuschelt liegen
die Jüngsten in der Mitte und werden
von den älteren Geschwistern und ihren
Eltern fürsorglich gewärmt.
Sechs bis sieben Monate harren sie
dort unten bei eisiger Kälte und in ewiger Finsternis aus. Um diese extremen
Bedingungen im Untergrund des Hochgebirges zu überstehen, sind sie fast die
ganze Zeit auf Energiesparmodus eingestellt und befinden sich ähnlich wie Reptilien in einer Art Kältestarre. Ihr Herz
schlägt nur noch langsam, sie atmen
kaum, die Körpertemperatur sinkt fast
auf den Gefrierpunkt, nämlich auf drei
bis sechs Grad hinunter.
«In diesem Zustand können sie jedoch nicht schlafen, sondern sind im
Prinzip wach», sagt der Schweizer Murmeltierforscher Fredy Frey-Roos von
der Universität für Bodenkultur Wien.
Es sei deshalb ein Trugschluss, zu glauben, dass Murmeltiere während des
Winterschlafs tatsächlich viel schliefen.
Denn sie könnten nur schlafen, wenn
ihre Körpertemperatur über 34 Grad
liege und somit nur geringfügig unter
der Normaltemperatur sei.
Etwa alle zwei Wochen unterbrechen
die grössten Nager der Hochalpen regelmässig die energiesparende Form der
Kältestarre und bringen ihre Stoffwechselvorgänge wieder auf Hochtouren.
«Dies können sie aber nur rund alle
14 Tage machen», sagt Frey-Roos, weil es
enorm viel Energie verbrauche und
stark an den Fettreserven der Tiere
zehre. Lediglich wenn die Tiere Normaltemperatur aufweisen, sind sie in der
Lage, ein mehrstündiges Nickerchen zu
machen. Zudem werden während dieser Zeit lebenswichtige Stoffe für die
nächste Kaltphase bereitgestellt.
Das Murmeltier in den Alpen, das in
Graslandschaften üblicherweise in 800
bis 3200 Meter Höhe lebt, frisst im Sommer vor allem Nahrung, die reich an Linolsäure ist, wie etwa Alpenklee, Alpenliebstock und Disteln. «Wir konnten zeigen, dass dies für die Tiere sehr nützlich
ist», sagt Frey-Roos. Denn je mehr Linolsäure ihr Körperfett enthalte, umso länger könnten sie ihre Temperaturen auf
niedrigem Niveau halten und müssten
sich seltener aufwärmen. Zudem seien
sie im Frühling fitter und hätten dadurch bessere Fortpflanzungschancen.
Auf der Hut sein
Droht Gefahr, können die Murmeltiere
blitzschnell im Bau verschwinden und
mit einem lauten Pfeifton andere Artgenossen warnen. Dennoch gelingt dies
nicht immer. Zu den grössten natürlichen
Feinden gehört etwa der Steinadler, der
an seine im Nest hockenden Jungtiere
rund 70 Murmeltiere verfüttert. Aber
auch der Mensch macht Jagd auf die Nager, um das Fleisch zu Ragout und das
Murmeltierfett zu Salben und Ölen zu
verarbeiten. Allein in der Schweiz wurden im letzten Jahr 6448 Murmeltiere geschossen.
Ob der Klimawandel den typischen
Vertretern der eiszeitlichen Tierwelt
zu schaffen macht, untersucht Cindy
Canale von der Universität Zürich gemeinsam mit Kollegen der Université
de Lyon im Naturschutzgebiet La Grande
Sassière, südlich der Mont-Blanc-Gruppe.
Auffällig sei, so die Forscherin, dass sie
seit dem Studienbeginn im Jahr 1990 beobachtet hätten, dass sich nicht nur die
Schneehöhe verringert habe, sondern
auch die Wurfgrösse. Der Grund: Ist die
Schneedecke nicht mehr dick genug, ist
es aufgrund der gerin­geren natürlichen
Jubiläumsbuch
Der Schweizerische Nationalpark
Vor 100 Jahren begann im Schweizerischen
Nationalpark (SNP) das Experiment, Natur
sich selbst zu überlassen und deren Entwicklung zu beobachten. Der «Atlas des Schweizerischen Nationalparks» zeigt, was im
170 Quadratkilometer grossen Naturreservat
im Kernraum der Alpen geschehen ist. Auch
Murmeltiere kommen im Buch vor. «Im
Nationalpark kann man Murmeltiere nicht
überall antreffen», sagt Flurin Filli vom SNP.
«Da, wo sie vorhanden sind, kann man sie
aber sehr gut beobachten.» (bry)
Atlas des Schweizerischen Nationalparks:
Die ersten 100 Jahre. Haupt-Verlag, 69 Fr.
Isolationsschicht kälter im Winterquartier der Murmeltier-Schlafgemeinschaft.
Die Tiere sind dadurch geschwächt und
entkräftet. «Dies führt dazu, dass die
Weibchen weniger Junge bekommen»,
erklärt Canale, die derzeit in Zürich ihre
Forschungsergebnisse der vergangenen
zwei Winter mit 45 untersuchten Murmeltieren aus acht Familien auswertet.
Um detaillierte Informationen über
die Körpertemperatur während des
Winterschlafs zu erhalten, hat sie Murmeltiere erst einmal fangen müssen.
Meist hat sie dies mit einer klassischen
Käfigfalle gemacht, die sie in der Nähe
des Baus aufgestellt hat. Die Jungtiere
hat sie jedoch ab und zu auch mit der
Hand gefangen. Danach sind die
jeweiligen Tiere unter Narkose untersucht worden. Zum einen für den üblichen Gesundheitscheck wie etwa
Grösse, Geschlecht und Gewicht. Und
zum anderen, um ihnen eine kleine, drei
bis fünf Gramm schwere Messsonde für
die Körpertemperatur unter die Haut zu
implantieren und eine Gewebeprobe für
eine genetische Analyse zu entnehmen.
«Im Frühling 2013 lagen im französischen Naturschutzgebiet auf 2280 Meter
Höhe noch 1,40 Meter Schnee, während
in diesem Jahr Mitte Mai kein Schnee
mehr dort war», sagt Canale. Mit ihrer
Studie wolle sie nun herausfinden, welchen Einfluss extreme Winter und auch
der Klimawandel für die Tiere hätten.
Denn obwohl sie wahre Überlebenskünstler seien und es sie schon seit Millionen Jahre gebe, seien sie auf Winter
mit wenig Schnee womöglich langfristig
nicht gut genug angepasst.
Inzucht innerhalb der Gruppe
Murmeltiere haben eine strikte Rangordnung in ihrem Familienverbund aus
bis zu 20 Individuen. Darin ist auch das
Recht auf Fortpflanzung geregelt. So ist
dies ausschliesslich dem ranghöchsten
Weibchen vorbehalten und überwiegend dem ranghöchsten Männchen. Das
dominante Weibchen bringt somit als
Einzige Nachwuchs auf die Welt.
«Mehr Junge hätten auch gar keine
Überlebenschance», sagt Frey-Roos, da
die Gruppe sie im Winter überhaupt
nicht wärmen könnte. Allerdings bedeute das nicht, dass sich andere Gruppenmitglieder untereinander nicht paa-
ren würden. Dies finde statt, doch die
Weibchen könnten sie nicht erfolgreich
austragen. Das «Chefweibchen» setze
andere trächtige Weibchen so unter
Stress, dass sie ihre Embryos verlieren
würden. Dennoch sei Inzucht bei Murmeltieren möglich, da das Alphaweibchen sich nicht nur mit dem ranghöchsten, sondern auch mit weiteren männ­
lichen Gruppenmitgliedern paare. Jedes
Männchen, das Paarungsakte gehabt
habe, könne somit der Vater eines der
Jungen sein und kümmere sich somit besonders um den Nachwuchs.
Aggressivere Weibchen
Doch damit nicht genug: Die Forscher in
Wien haben zudem herausgefunden,
dass dominante weibliche Tiere vom
Testo­steron ihrer Wurfbrüder profitieren. «Liegen weibliche Embryos direkt
neben männlichen im Uterus, geraten
sie während der Entwicklung unter den
Testosteroneinfluss der Brüder», sagt
Frey-Roos. Dies bewirkt, dass die Weibchen später aggressiver und kräftiger
werden und sich somit leichter eine höhere Position in der Rangordnung erobern. Denn nur so können sie sich später auch fortpflanzen.
Um erwachsen zu werden, brauchen
die Jungtiere drei Jahre. Danach versuchen sie meist entweder in der eigenen
Gruppe eine Führungsposition zu ergattern oder begeben sich auf eine gefährliche Wanderschaft, um dies auf einem
fremden Terrain zu versuchen. Mit der
Folge, dass ein junges, rangniederes Tier
das ältere Alphatier zu einem heftigen
Kampf herausfordert, der manchmal
aber nur ein paar Minuten dauert.
«Sie schenken sich dabei nichts», sagt
Frey-Roos. Es werde gebissen, gerauft,
gehauen, geschupst und den Hang hinuntergekugelt, was zu schweren Verletzungen führen könne. Doch häufig heilten diese relativ schnell, da das Murmeltier enorme Selbstheilungskräfte aufweise und geradezu eine wandelnde
Apotheke sei. Dies sei auch der Grund,
warum Murmeltieröl bei einigen Leuten
als therapeutisches Mittel so begehrt sei.
Video Aufnahmen aus dem
Schweizerischen Nationalpark
murmeltiere.tagesanzeiger.ch
Das gilt heute sogar für
Knaben und Mädchen.
Ja, klar. Aber allgemein haben sich die
Tischsitten sicher gelockert. Früher
wurde erst gegessen, wenn das Oberhaupt der Familie begonnen hat, die
Kinder durften kein Wort sagen. Heute
ist man zum Glück legerer.
Gilt das auch für das Tischgedeck?
Natürlich. Wir wollen eigentlich nur vermitteln, dass ein schönes Gedeck auch
Spass macht.
Trotzdem gibt es Regeln?
Die Hauptregel betrifft die Platzierung
des Bestecks. Alles weitere hängt natürlich davon ab, wie viele Gänge aufgetischt werden und welche Art Getränke
serviert werden.
Haben sich diese Regeln verändert?
An manchen Orten war es zum Beispiel
unschicklich, wenn die Zinken der Gabel
und die Messerspitzen auf das Gegenüber zeigten, deshalb legte man Gabel
und Messer umgekehrt hin.
Das Motto Ihrer Ausstellung heisst
«Die Zeichensprache des Gedecks».
Diese entwickelte sich hauptsächlich am
französischen Hof, weil die Herren nicht
mit den Bediensteten sprechen durften.
Gabel und Messer parallel auf dem
Teller bedeutet: Ich habe fertig . . .
Genau. Und Gabel und Messer gekreuzt
in 4-Uhr-8-Uhr-Stellung auf dem Teller
mit dem Messer über der Gabel bedeutet, dass man ein Supplement möchte.
Legt man das Messer unter die Gabel,
deren Zinken zudem nach unten
schauen, bedeutet dies, dass man eine
kleine Pause machen möchte, aber später doch noch einmal etwas essen will.
Gibt es noch andere Zeichen?
Wenn man sich vom Tisch erhebt, kann
man die Serviette links oder rechts neben den Teller legen. Links bedeutet,
dass man wiederkommt, rechts, dass
man fertig mit dem Essen ist.
Darf man sie auf den Teller legen?
Das ist ein No-go . . .
Und wie signalisiert man, wenn man
noch mehr Wein will?
Da muss man auf die Aufmerksamkeit
des Kellners oder Gastgebers hoffen.
Silvia Nägeli (49)
Die Näherin führt mit
Kathrin Achermann
das Atelier Les Cigales
in Dübendorf. Mit der
Ausstellung «Zeichensprache des Gedecks»
nehmen sie dieses Jahr
am Denkmaltag teil.
www.hereinspaziert.ch
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