TOP I D E E N , I M P U L S E U N D I N N O VAT I O N E N 23 SPANNUNGSREICHES WECHSELSPIEL Das neue Staatsarchiv in Stade vereint die hohen Anforderungen eines Archivgebäudes mit ansprechendem und funktionalem Design. Der kubische Bau fügt sich dank der strukturierten Klinkerfassade in das traditionelle Stadtbild der Umgebung ein und bringt Transparenz und Geschlossenheit in architektonische Harmonie. In ihrem Entwurf stellte das pbr Planungsbüro Rohling aus Osnabrück eine optimale Verbindung von Raumangebot, Schutz der Archivalien und Nachhaltigkeit her. FÜR ARCHITEKTEN MASSIVITÄT UND TRANSPARENZ Mit seiner klaren Formensprache fügt sich der Neubau des Niedersächsischen Landesarchivs am Standort Stade harmonisch in das bestehende Stadtbild ein. Prägend für den Entwurf des Osnabrücker Planungsbüros pbr Rohling ist das funktionsabhängige Wechselspiel dreier verbundener Baukörper. Während der Archiv-Bereich durch seine fensterlose, monolithische Geschlossenheit Schutz ausstrahlt, präsentiert sich der Verwaltungsbereich mit partieller Transparenz. Das Foyer mit großzügigen Glasflächen wirkt hell und einladend. Aus der Kombination verschiedener Fassadenelemente ergibt sich ein spannungsreiches Wechselspiel von geschlossenen und offenen Partien. Original Kohlebrand-Klinker der Sortierung „Lübeck“ mit kräftigen Aufschmauchungen lässt das Staatsarchiv zwischen den üppigen Grünanlagen hervorstechen. Der von dunklen Rottönen bis hin zu gelb-grünlichen Nuancen changierende Klinker ist im wilden Verband vermauert und bekleidet insgesamt eine Fläche von 3.200 m². Das Material verleiht dem Komplex einen massiven, schützenden Charakter und schlägt gleichzeitig eine Brücke zum ziegelgeprägten Stadtgebiet. Die Architekten entschieden sich zudem für diesen Baustoff, da er eine langfristige und nachhaltige Nutzung bei geringem Instandhaltungsaufwand gewährleistet. Die hinterlüftete Klinker-Fassade am Verwaltungsblock wird ergänzt durch Fensterelemente sowie Pfosten-Riegel-Konstruktionen aus Aluminium. Fugen und die Anordnung von Blechpaneelen gliedern den fensterlosen Baukörper des fünfgeschossigen Archivgebäudes. Der Neubau ist nicht nur aus architektonischer Sicht besonders: Die länderübergreifende Zusammenarbeit im Archivwesen zwischen der Landesregierung Niedersachsens und der Freien Hansestadt Hamburg ist bundesweit einzigartig. Im alten Staatsarchiv Stade, das Mitte der 60er-Jahre entstand, waren die räumlichen Kapazitäten für die Aufbewahrung von Grundbüchern und Akten erschöpft. Außerdem entsprach das Archiv nicht den Anforderungen einer fachgerechten Aufbewahrung von Archivgut. Das neue Gebäude zeichnet sich neben Raum für 50 Regalkilometer, durch kurze Wege sowie eine moderne Ausstattung aus. Die Planer setzten auf das Prinzip der natürlichen, passiven Klimatisierung, die ein selbst stabilisierendes Raumklima generiert. Durch diesen Schritt werden Betriebskosten gespart und die Nachhaltigkeit aus ökologischer Sicht sichergestellt. Die Ausschreibung übernahm das staatliche Baumanagement Osnabrück-Emsland, das auch Bauherr des Landesarchivs ist. Mit ihrem eleganten Konzept setzte sich die pbr AG gegen Mitbewerber aus ganz Europa durch. S taats ar c h i v, S tade »Der Klinker von Hagemeister eignet sich als Baumaterial sehr gut. Die Qualität und Dauerhaftigkeit sind für einen solchen Bau ideal.« Robert Flettschock, Geschäftsführer EngFle Baugesellschaft Projektdaten Staatsarchiv Stade Architektur pbr Planungsbüro Rohling AG, Osnabrück Auftraggeber Landesregierungen Niedersachsens und der Freien Hansestadt Hamburg Klinker „Lübeck“ Verklinkerte Fläche ca. 3.200 m2 Projektdaten Nieuw Crooswijk, Rotterdam Architektur Geurst & Schulze, Den Haag Projektarchitekt Jeroen Geurst Auftraggeber OntwikkelCombinatie Nieuw Crooswijk (OCNC) Masterplan West8 Architekten Geurst & Schulze Architecten, Brink Architecten, De Zwarte Hond, NL Architecten, Jeroen Schipper Architecten, Drost & van Veen Architecten, Paul Cox (kunstenaar), Architectenbureau Kollhoff Klinker „Gent“ WF (210 x 100 x 52 mm) Verklinkerte Fläche ca. 1.500 m2 »Mit Klinker als Fassadenverkleidung kann man einem Gebäude auf unterschiedlichste Art und Weise Charakter verleihen. Man hat eine enorme Freiheit bei der Planung – durch die Struktur, die Farbe, den Verband, oder die Gestaltung der Fugen. Mit Klinker als Baumaterial kann man sich identifizieren und dadurch auch mit dem Gebäude selbst.« Jeroen Geurst, Geurst & Schulze Architekten, Den Haag Ni e u w C r o o s wi j k , R o tte r dam INDIVIDUALITÄT IM GROSSEN MASSSTAB In bester Lage zwischen Rotterdams Innenstadt und dem Park Crooswijk entsteht im neu strukturierten Viertel Nieuw Crooswijk eine vielseitige Stadtlandschaft nach dem Masterplan der Städtebauer und Landschaftsarchitekten von West8. Mit Hilfe der Architektur wollen die Entwickler bis 2021 durch „unterschiedliche Wohnungstypologien, hochwertige Architekturstile und detaillierte Fassadengestaltung“ für ein positives Wohn- und Lebensumfeld in dem einstigen Problembezirk sorgen. Das Büro komponierte eine dynamische Skulptur aus gemauerten Volumen mit unterschiedlichen Höhen, Breiten und Tiefen, die in zwei geschlossenen Baublöcken angeordnet sind. 660 Wohnungen verteilen sich auf eine Kombination aus Appartementanlagen, Wohn- türmen und hochwertigen Einfamilienhäusern. Während die Bauvolumen und Grundrisse von West8 vorgegeben waren, haben sieben weitere Architekturbüros die Planung der Fassaden übernommen. Das Ergebnis ist ein abwechslungsreicher Mix unterschiedlicher Klinkerflächen, die im Gesamtbild eine harmonische Einheit bilden. Jeroen Geurst vom Den Haager Büro Geurst & Schulze Architecten gestaltete die Fassaden dreier Gebäudekomplexe: eine Appartementanlage auf einem Eckgrundstück, einen hoch aufragenden Turm mit Wohnungen unter drei Satteldächern und sieben Reihenhäuser. Er befürwortet die Vorgehensweise von West8: „Das entspricht nicht dem, was man als Architekt gewohnt ist, aber es gibt einem dennoch Raum, etwas Schönes zu entwerfen. Die Effizienz des zentralen Entwerfens von Wohnungstypologien und standardisierten Grundrissen bedeutet auch, dass besonderen Fassaden mehr Raum und Aufmerksamkeit geschenkt werden kann.” Mit Hagemeister-Klinker der Sortierung „Gent“ nutzt der Architekt die formellen Möglichkeiten des Materials in vollen Zügen aus. Während die Vorderseite des Klinkers eine sandige, dunkelrote Farbe zeigt, befindet sich auf der Rückseite ein bronzener Farbton mit leichten Kohlebrandaufschmauchungen. Jeroen Geurst entschied, die helle Rückseite nach Außen zu kehren und damit die großen Fassadenflächen zu gestalten. Im Halbsteinverband gemauert und mit anthrazitfarbenen Fugen versehen, erhält das Mauerwerk eine dezente Basis. Die dunklere Vorderseite des Ziegels sparte der Architekt für schmückende Akzente und zur Strukturierung der Fassaden auf. Gemauerte Fensterrahmen, vergrößern die Fensteröffnungen optisch. Diagonale, herausragende Streifen bilden ein kontrastreiches Wabenmuster und zieren ausgewählte Fassadenflächen. Der Architekt ist bekannt als Planer, der gern mit Klinker arbeitet. Er schätzt das Material für seine Individualität und für den Maßstab, den er einem Gebäude verleiht. Mit einer Fülle an kunstvollen Motiven bringt der Architekt Bewegung in die Gesamtgestaltung und verleiht der Wohnskulptur Leichtigkeit. »KLINKER IST EIN DISZIPLINIERENDES MATERIAL.« Wie würden Sie Ihre Architektur beschreiben? Jan Peter Wingender: »In unserem Büro interessieren wir uns besonders für gewöhnliche Gebäude. Die Stadt ist auf Grundlage solcher Bauten geschaffen. Wir verstehen darunter Architektur, die sich nicht in den Vordergrund drängt, sondern sich mit dem städtebaulichen Kontext auseinandersetz und in das Stadtgefüge integriert. Häufig werden solche Objekte fälschlicherweise als normal oder sogar banal eingestuft. Jedoch sind sie nicht einfach zu entwickeln. Hinter ihrer vermeintlichen Gewöhnlichkeit steckt eine Raffinesse, die ihnen schließlich einen Sinn verleiht. Sorgfältige Studien des Ortes und eine starke formale, materielle Präsenz charakterisieren unsere Designs.« Fotos: © Stefan Josef Mueller Jan Peter Wingender Mitgründer Office Winhov, Amsterdam An welchen Leitbildern orientieren sich ihre Entwürfe? Jan Peter Wingender: »Ich glaube, der eigentliche Wert von Architektur und Bauen ist der, etwas zu schaffen, das über Jahrzehnte und Jahrhunderte erhalten bleibt. Unsere Städte benötigen Gebäude, die sich langfristig bewähren und zu einem untrennbaren Teil ihrer Umgebung werden. Das bedeutet auch, dass sie im Laufe der Zeit an Bedeutung gewinnen, weil wir sie brauchen und uns immer mehr zu eigen machen, wie einen Alltagsgegenstand. Erst wenn wir die Räume nutzen, fällt uns auf, wie besonders sie eigentlich sind. Am Die Architekten Alison und Peter Smithson nannten dies „Designing By The Thinking Of The Making“. Das ist ein extrem schöner Satz. Ich habe immer gedacht: Das ist es, was es braucht. In Zeiten von Renderings und digitalen Visualisierungen, die das Image von Architektur maßgeblich dominieren, empfinde ich diese Art zu arbeiten wichtiger als jemals zuvor. Das Denken in einem Material ist es, was ich meinen Studenten mitgebe.« Hat sich die Auseinandersetzung der jüngeren Generation mit Architektur und Materialität verändert? Und wenn ja, inwiefern? Jan Peter Wingender: »Der Einfluss, den die digitale Welt auf Architektur nimmt, ist nicht zu unterschätzen. Leider wird Klinker dadurch oft nur eine Option als Oberfläche in einem Rendering. In einer digitalen Welt kann er ohne Konsequenzen durch jedes andere Material ersetzt werden. Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn ein Student ein super Rendering macht und sich in der allerletzten Sekunde erst für eine Textur entscheidet. Dann ist es wirklich kein Baustoff mehr, sondern einfach nur ein Pixel. Aber Architektur ist nicht das Aufstocken von Pixeln, sondern das Aufstocken von Material. Für die jüngere Generation, die kein Leben ohne Computer und Smartphone mehr kennt, ist es schwieriger denn je, eine Brücke zwischen digitalem Design und materiellem, realen Denken zu schlagen. Gleichzeitig mag ich aber die Freiheit, die die Studenten heute Beständige, funktionale und zum Ort passende Bauten charakterisieren die Architektur von Jan Peter Wingender, Mitgründer des Amsterdamer Büros Office Winhov. Im Interview spricht der Architekt, Hochschuldozent und Buchautor über Materialdenken, Veränderungen und Trends in der niederländischen Baukultur sowie seinen besonderen Bezug zum Baustoff Klinker. besten kann man das mit einem guten Messer oder einem hochwertigen Topf vergleichen: Tagtäglich machen sie das Leben leichter und besitzen dabei ihren eigenen Wert und ihre eigene Schönheit. Ebenso ist unsere Architektur: Sie ist elegant, robust und vor allem nützlich. Das ist die Essenz unserer Arbeiten.« Sie engagieren sich in der architektonischen Lehre und haben europaweit an Universitäten unterrichtet. Was geben Sie Ihren Studenten mit auf den Weg? Jan Peter Wingender: »Ich komme aus einer Generation in Holland, in der das Image von Architektur stark vom Superdutch geprägt war, das für eine sehr programmatische Herangehensweise steht. Oftmals war die Frage der Materialisierung nicht entwickelt oder einfach schlecht. Heute lassen wir unsere Studenten gerne mit Materialien experimentieren und spielen. So haben wir es auch mit Klinker gemacht. Durch das instinktive und intuitive Verständnis des Baustoffs werden genau durchdachte Ideen und Designs generiert, die in einem gewöhnlichen Entstehungsprozess nie so ausgereift sein könnten. Ich sehe, dass meine Studenten architektonische Lösungen und Ideen bringen, die wirklich neu sind und einen weiteren Schritt machen. im Bezug auf die Materialität haben. Ihre Freude am Entdecken dekorativer Möglichkeiten empfinde ich als Inspiration.« Welche Bedeutung hat Klinker für Ihre Architektur? Jan Peter Wingender: »Für mich ist Klinker als verbindendes Material extrem interessant. Er besitzt die Fähigkeit, einen starken Bezug zwischen einem Neubau und dem bestehenden Umfeld herzustellen. Er hilft, das Gebäude in einen Kontext zu setzen. Gleichzeitig bietet er enorme Möglichkeiten, sich auch mit aktuellen Themen der Architektur auseinanderzusetzen. Durch die Gestaltung des Mauerwerks mit Texturen, Verbänden, Reliefs und Farben wird der Ausdruck eines Bauwerks besonders verfeinert. Daraus kann eine sehr einzigartige Architektur entstehen. Ich glaube, dass nur wenige Materialien diese Eigenschaft haben. Letztendlich ist Klinker aber auch ein forderndes, disziplinierendes Material. Man muss seine Ideen verschärfen und sie den speziellen Anforderungen des Baustoffs anpassen. Klinker ist beständig und man kann eine Menge mit ihm machen. Jedoch muss man dabei stets der spezifischen Logik des Materials folgen. Während unserer täglichen Arbeit macht gerade diese Herausforderung viel Freude.« I n te r v i e w Jan P e te r W i n g e n de r Altenwohnheim Maisbaai, Middelburg Im Zentrum der niederländischen Stadt Middelburg hat das Team vom Office Winhov einen Wohnkomplex für ältere Menschen mit psychischen Erkrankungen realisiert. Mit der konsistenten, formalen und materiellen Sprache sowie der eleganten Verbindung von Klinker-Fassaden und -Balkonen haben die Architekten ein ruhiges Ensemble geschaffen. Trotz der unterschiedlichen Funktionen innerhalb des Gebäudes, liest sich der Komplex als einheitliches Ganzes. Wodurch ist die niederländische Architektur allgemein geprägt? Stellen Sie besondere Trends und Entwicklungen fest? Jan Peter Wingender: »Die niederländische Architektur ist natürlich eine Backstein-Architektur. Backstein ist ein Material, das sich extrem gut bewährt hat in unseren Delta-Landschaften. Hier ist es nass, es ist wasserkalt und dieser robuste Baustoff hat die Herausforderungen über Jahre hinweg einfach gut gemeistert. Klinker ist immer präsent: Er gehört zur Landschaft, er gehört zum Bauen, er gehört zur Kultur. Das internationale Image niederländischer Architektur ist nach wie vor vom Stichwort Superdurch geprägt – extravagante Architektur und programmatische Konzepte verbunden mit aufmerksamkeitsstarkem Material. In den Niederlanden sehe ich eine Generation von Architekten, die derzeit den Kontrapunkt erforschen. Wo Superdurch als Materialisierung einer dominanten Entwurfsplanung charakterisiert werden kann, beschäftigen sich diese Architekten zunächst mit der Konzeptionierung eines Materials.« Projekt 27 Appartments, 3 Pflegewohngruppen, 1 Pflegegebäude Architektur Office Winhov, Amsterdam Bauherr Woongoed Middelburg/SVRZ Middelburg Klinker Wie hat sich die Rolle des Baumaterials Objektsortierung „Middelburg“ Klinker in der Geschichte der niederländiFormat schen Architektur verändert? WF (210 x 100 x 51 mm) Jan Peter Wingender: »In Nachkriegszeiten Verklinkerte Fläche war Ziegel ein schwieriges Material. Es steck150.000 Stk. te fest in einer Kontroverse zwischen Tradition ~ 2.100 m2 und Moderne. In den Niederlanden wurde Klinker lange Zeit als unmodern angesehen. Geschäfte und Apartments Utrecht Das Winkelcenturm Terwijde in Utrecht bildet eine harmonische Kombination aus Einkaufsmeile und Wohnquartier. Acht Baublöcke sind mit Fassaden aus rotem und sandgelbem Klinker gestaltet. Das robuste Mauerwerk nimmt explizit Bezug zur Tradition der postklassischen Gebäude der Umgebung. Projekt 5.276 m2 Geschäfte, 134 Wohnungen, 8 Einfamilienhäuser, 177 Parkplätze Architektur Office Winhov, Amsterdam Bauherr MAB Development, Den Haag Klinker „Lübeck“ 2DF/DF/WF „Münsterland“ BA DF/WF „Kopenhagen“ BA + FU WF/DF Format 2DF (240 x 115 x 113 mm) DF (240 x 115 x 52 mm) WF (210 x 100 x 51 mm) Verklinkerte Fläche Fläche: ca. 1,3 Mio. Klinker Nur wenige Architekten, wie Aldo van Eyck und Dom Hans van der Laan, erprobten dessen Möglichkeiten. Die Generation nach 1990 griff das Material erneut auf. Jedoch hatte sich dessen Rolle vom umfassenden Baustoff zum fassadenverkleidenden Element gewandelt. In den letzten Jahrzehnten wurden die Möglichkeiten von Klinker als Material der Verkleidung intensiv weiterentwickelt. Ich denke, dabei sind viele inspirierende Beispiele entstanden. Ein weiterer Trend in den Niederlanden, aber auch in der Schweiz und in Deutschland, ist, dass die Fassade immer selbstständiger wird. Dies resultiert aus den zunehmenden Nachhaltigkeitsnormierungen. Damit bekommt die Gebäudehülle eine ganz neue Bedeutung, denn sie wird zu einer freistehenden Fassade. Das ist etwas, was Klinker als einziges Material kann. Das Projekt Freilager in Zürich, das wir momentan mit Hagemeister realisieren, hat ebenfalls eine freistehende Fassade. Alle Balkone sind konstruktiv im Klinkermauerwerk verankert und nicht mehr mit der Hauptkonstruktion verbunden. Ich glaube, das wird ein großer Schritt in der Entwicklung des Klinkerbaus in Nordeuropa sein.« Welche Eigenschaften des Klinkers sind es, die Sie überzeugen? Jan Peter Wingender: »Wir interessieren uns insbesondere für robuste Gebäude, denen der Lauf der Zeit nichts anhaben kann. Dafür ist Klinker optimal geeignet. Weiterhin bietet er vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten. Er ist Fassadenkonstruktion und Verkleidung gleichzeitig, er ist nachhaltig, er ist schön und er bleibt.« Welche Rolle spielen Klinkerformate und Oberflächen? Jan Peter Wingender: »Das Zusammenspiel von Format, Muster und Oberfläche ist maßgeblich für das Bauen mit Klinker. Wenn wir aus weiter Entfernung einen Baukörper betrachten, so scheint er einen keramischen Charakter zu haben. Sobald man jedoch näher an das Objekt herangeht, erkennt man den Verband und die individuelle Größe der Steine. Bei noch näherer Betrachtung sind auch die unterschiedlichen Nuancen, Variationen und Texturen deutlich zu sehen. Ich kenne nur wenige Materialien, mit denen man so schön spielen kann, die einen so einzigartigen Reichtum bieten und so vielfältig wahrgenommen werden.« Für welche Bauwerke eignet sich Klinker besonders und für welche eignet er sich weniger? Jan Peter Wingender: »Das ist der Bund zwischen holländischer Architektur und Klinker... Wenn es nach uns geht, kann man alle Bauten mit Klinker realisieren. Für mich gibt es kein typologisches oder programmatisches Limit. Bei temporären Gebäuden kann der Gebrauch von Ziegel eine grundsätzliche Herausforderung darstellen. Aber ich denke, für Gebäude, die nachhaltig und dauerhaft sein sollen, ist Klinker die optimale Wahl.« Welches Klinkerbauwerk hat für Sie herausragende Bedeutung? Jan Peter Wingender: »Es gibt eine Reihe an Klinkerbauwerken, die einen tiefgreifenden Einfluss auf mich ausüben. Die Palette reicht von den anonymen georgianischen und viktorianischen Wohnhäusern in UK bis hin zur Architektur des Niederländers Berlage. Auch der norddeutsche Expressionismus mit dem Chilehaus und zahlreichen Bauten in Hamburg und Bremen ist sehr inspirierend. Ganz besonders schätze ich die fantastischen Arbeiten von Hans Döllgast in München. Er hat gezeigt, wie man mit einem Material ein ganz bestimmtes Vokabular in der Architektur entwickeln kann. Die Geschichte ist voll mit tollen Beispielen. Jeden Tag begegne ich neuen Entwürfen und Bauten, die mich überraschen und inspirieren.« Was macht die Besonderheit des Klinkerwerkes Hagemeister und seiner Produkte aus? Jan Peter Wingender: »Die heutigen Produktionsanlagen ermöglichen uns, projektspezifische Klinkersortierungen zu fertigen. Hagemeister bietet ein breites Spektrum an qualitativ hochwertigen Klinkerprodukten. Es ist eines der Werke, die den Klinker auf Kundenwunsch speziell herstellen können. Die Tatsache mit einem Hersteller so eng zusammenarbeiten zu können, empfinde ich immer als besonders interessant. Gemeinsam findet man Lösungen, die man alleine nie gefunden hätte. Mit Hagemeister waren wir in der Lage, Vorstellungen für die Fassaden der Geschäfte und Apartments in Utrecht, der Elderly Homes in Middelburg und der Apartmentgebäude im Freilager Zürich umzusetzen. Nicht nur als produzierender Partner, sondern auch als kreativer Kopf war Hagemeister ein wichtiger Unterstützer in der Realisierung dieser Projekte.« Sie haben ein Buch über Backstein als Verkleidungsmaterial verfasst, das in Kürze erscheinen wird. Worum geht es in diesem Buch konkret? Jan Peter Wingender: »Das Buch ist aus einem Lehrauftrag hervorgegangen, den ich an der Amsterdamer Academie für Baukunst erhalten habe. Ich habe vorgeschlagen, das Thema Backstein als Verkleidungsmaterial zu analysieren, zu dokumentieren und auch fundamental zu hinterfragen. Das Buch ist in Kooperation mit einer Gruppe von Studenten und Architektenkollegen entstanden. Wir haben eine Serie von Gebäuden vorgestellt und reflektieren städtebauliche, architektonische und theoretische Aspekte wie Tektoniken. Das Buch beantwortet auch ganz praktische Fragen wie die Lösung einer Dehnungsfuge oder die Möglichkeiten von Verbänden. Es ist kein Fotobuch, sondern vielmehr wie ein Lehrbuch für Architekten und Studenten, die sich mit dem Material Klinker auseinandersetzen möchten.« ISBN 9789461400277, Publisher Architectura & Natura STADT IN DER STADT Grafik: © bka I bleckmann und krys architekekten Projektdaten Wohnsiedlung Lohausbach, Münster Architektur bka | bleckmann und krys architekten, Münster Bauherr Holz GmbH Klinker „Mauritz“ (290 x 115 x 63 mm) Grundstücksfläche 44.500 m2 Als eine zeitgenössische Fortsetzung der Siedlungsidee ist am östlichen Stadtrand von Münster auf 44.500 m2 ein neues Wohnquartier entstanden. Dazu hat das Münsteraner Büro bka | bleckmann und krys architekten, Gewinner des ausgelobten Wettbewerbs, die homogenen Strukturen der Reformarchitektur der 20er und 30er Jahre aufgegriffen und um die Möglichkeit individueller Ausdrucksweise erweitert. Eine durchgängige, sehr klare Formensprache, die an die Bauhausmoderne erinnert, prägt das Quartier mit der Kombination aus Stadthäusern, Doppelhaushälften und einem Wohnund Geschäftshaus. In Anlehnung an die damalige Siedlungsarchitektur mit ihrer großen Nachhaltigkeit und anhaltenden Akzeptanz bei der Bewohnerschaft, versuchten die Architekten, den vertrauten Habitus in die Moderne zu transportieren. Dazu haben die Planer den städtebaulichen Maßstab der umliegenden Quartiere aufgenommen, das Konzept der Wohnsiedlung jedoch neu interpretiert. „Eine klare Hierarchie der städtebaulichen Elemente ermöglicht das Nebeneinander unterschiedlicher Nachbarschaften mit unterschiedlichen Bedürfnissen“, erklären bleckmann und krys die Entwurfsidee. Um die bauliche Vielfalt im Hinblick auf Formen, Materialien und Farben zu ordnen, haben die Architekten Gestaltungsrichtlinien für die Siedlung entwickelt. Als signifikantestes Merkmal dieser Richtlinien präsentiert sich an den Hausfassaden eigens für das Wohnquartier entwickelter Hagemeister Klinker der Sortierung „Mauritz“. Mit der konsequenten Verwendung des Materials als ganzheitliches, verbindendes Element entsteht eine starke und unübersehbare Zusammengehörigkeit. „Die robuste Oberfläche des Klinkers versinnbildlicht die solide Bauweise, die changierende Farbe steht für den Generationsmix, der hier erfolgreich verfolgt wird“, beschreiben die Architekten die Bedeutung des Klinkers für die Entwurfsidee. Der Klinker „Mauritz“ mit markanten Kohleaufschmauchungen und orangeroten bis graubraunen Changierungen gibt den Siedlungshäusern eine traditionelle, zum Ort passende Anmutung. Alle Fassaden wurden im wilden Verband mit einem überlangen Format (290 x 115 x 63 mm) gemauert. Das feine Fassadennetz der Formats- und Verbandsstruktur erzeugt eine nachvollziehbare Maßstäblichkeit im urbanen Umfeld. Die Herausforderung bestand darin, eine Wohnform zu entwickeln, die dem Individuum, trotz der ganzheitlichen Gestaltung, die Möglichkeit zur persönlichen Ausdrucksweise gibt. So haben die Architekten alle Grundrisse in Absprache mit den Bauherren individuell konzipiert und auf die persönlichen Bedürfnisse des Einzelnen abgestimmt. Fotos: © bka I bleckmann und krys architekekten Grafik: © bka I bleckmann und krys architekekten Wo h n s i e dl u n g L o h au s bac h , M ü n s te r »Die Verwendung des Materials Klinker erlaubt eine starke Verortung eines an sich modernen und zeitgenössischen Architekturansatzes mit der Tradition und Eigenart der Region. Darüber hinaus ist mit der Wahl eine große Nachhaltigkeit und Verbindlichkeit gegeben.« bka | bleckmann und krys architekten, Münster Fotos: © Ralf Heidenreich Grafik: © Diehl Architekten, Gießen Projektdaten Sophie-Scholl-Schule, Gießen Architektur Dipl.-Ing. Peter Diehl, Diehl Architekten, Gießen Bauherr Sophie-Scholl-Schulen Immobilien GmbH & Co. KG Objekt-Klinker „Esbjerg“ (240 x 115 x 90 mm) und (240 x 115 x 40 mm) „Arhues“ (240 x 115 x 90 mm) und (240 x 115 x 40 mm) „Visby“ (240 x 115 x 90 mm) und (240 x 115 x 40 mm) Planung 2011 - 2013 Ausführung 2012 - 2013 Baukosten 7.960.000 € Verklinkerte Fläche BGF: 5.854 m2 HNF: 3.557 m2 BRI: 21.173 m2 »Die Nachhaltigkeit und Beständigkeit eines Ziegelsteins sollte man nicht vergessen. Er speichert tagsüber die Wärme und gibt sie nachts wieder ab. Auch im Bereich des Brandschutzes rangiert das zweischalige Mauerwerk ganz oben.« Dipl.-Ing. Peter Diehl, Diehl Architekten, Gießen S o ph i e - S c h o l l - S c h u l e , G i e ß e n KLINKER IN DER DRITTEN DIMENSION Für den Neubau der Sekundarschule hat das Gießener Architekturbüro Diehl ein Gebäudekonzept entwickelt, das in Form, Funktion und Materialsprache den Gemeinschaftsgedanken stützt und gleichzeitig Raum für Individualität lässt. Drei kubische Baukörper sind durch einen zentral angeordneten Erschließungstrakt verbunden. Entwurfsidee war, die verschiedenen Funktionen der einzelnen Baukörper durch Diversität auch in der Fassade sichtbar werden zu lassen. Gleichzeitig sollte die starke Verbundenheit des Ensembles äußerlich erhalten bleiben. Um diese Spannung zwischen Einheit und Eigenständigkeit in Harmonie zu bringen, haben die Architekten Klinkerverblendmauerwerk als Fassadenmaterial gewählt und in drei leicht variierenden Farbtönen ausgeführt. Hagemeister Klinker der Objektsortierungen „Esbjerg“, „Arhues“ und „Visby“ kleiden die drei Kuben in eine freundliche Farbkomposition aus hellen Sand-, Beige- und Brauntönen, die sich ruhig in die natürliche Umgebung einfügen. Besondere Lebendigkeit haben die Planer dem Komplex verliehen, indem sie die Fassaden mit jeweils zwei unterschiedlichen Klinkerformaten gestalteten: 240 x 115 x 90 mm und 240 x 115 x 40 mm. Diese wurden wechselseitig im Verhältnis ein Drittel zu zwei Drittel verarbeitet. Ein Drittel der Fassadenfläche ist mit einem Übersatz der Steine von ca. 20 Millimetern gemauert. „Durch diesen Versatz haben wir eine interessante Dreidimensionalität erzeugt“, beschreibt Geschäftsführer und Architekt Dipl.-Ing. Peter Diehl das Fassadenkonzept. „Der stellenweise Einsatz des besonders schmalen Formats sorgt für zusätzliche Spannung.“ Ihre Materialwahl begründen die Architekten mit den gestalterischen Möglichkeiten des Baustoffs Klinker sowie seiner Langlebigkeit und Nachhaltigkeit. „Die Entscheidung, die Fassade mit Klinker zu gestalten, fiel relativ schnell, da er aus einem der natürlichsten Baustoffe der Welt besteht, dem Ton“, erklärt Architekt Peter Diehl. Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Entwurfsidee war, Offenheit auszudrücken. Daher haben die Planer die massive Außenfassade mit großen Fenster- und Türenfronten kombiniert, die einen Weitblick in die grüne Umgebung eröffnen. Auch der verbindende, zentrale Baukörper besteht gebäudehoch aus einer Pfosten-Riegel-Fassade. Den Architekten ist es gelungen, ein nachhaltiges Schulgebäude in Passivhausweise zu errichten. Der Neubau integriert sich in die natürliche Umgebung, bietet vielfältigen Raum zum Lernen und steht gleichzeitig für einen Ort des Zusammenhalts und der Individualität. Grafik: © Diehl Architekten Gießen Zusammenhalt und Vielfältigkeit charakterisieren das mehrfach ausgezeichnete Konzept der integrativen Sophie-Scholl-Schulen in Gießen. Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Förderschwerpunkten werden hier inklusiv und klassenübergreifend unterrichtet. Der Neubau der Sekundarschule am Stadtrand von Gießen knüpft an den Erfolg der bestehenden SophieScholl-Grundschule an und ist eine Antwort auf die hohe Nachfrage dieser Schulform bis zur zehnten Klasse. 300 Mädchen und Jungen haben nun Raum zum integrativen Lernen. M od e h aus H.B . Jensen, Sylt Projektdaten Modehaus Sylt Architektur Stefan Kunze, KUNZE architektur + design Auftraggeber Modehaus H.B. Jensen, Sylt Klinker „Weimar HS“ DF (240 x 115 x 52 mm) + Formsteine Gemauerte Fassadenfläche ca. 250 m2 MIT NORDISCH-RAUEM CHARME Dünen, Weite und Ausblick, das sich ständig verändernde Meer und die Klarheit der Seeluft – das traditionsreiche Sylter Modehaus „H.B. Jensen“ nimmt den Facettenreichtum der Nordseeinsel in sich auf. Bei ihrem Entwurf für den Umbau des Bestandsgebäudes ließen sich die Architekten von KUNZE architektur + design in Elmshorn von der Stärke des Ortes inspirieren. Formen, Farben und Materialien sind inspiriert von langgezogenen Sandstränden sowie dem Meer und Wind mit ihrer Lebendigkeit und Reinheit. Dieses Bild haben die Architekten in einem eleganten Zusammenspiel aus Klinker, Glas und Formensprache auf die Fassaden übertragen. Große transparente Flächen stehen für die Klarheit des Wassers. Weiße Metallprofile und Rahmen erinnern an die Schaumkronen auf der Nordsee. Im Kontrast dazu strahlt die Klinkerfassade als Abbild des Sandes mit ihrer leichten Farbgebung Ruhe aus und nimmt sich insgesamt zurück. Fließende Formen, Vor- und Rücksprünge sowie Rundungen an den Gebäudeecken zeichnen das Bild einer Dünenlandschaft nach. Klinker der Sortierung „Weimar“ nimmt die Farbigkeit der Strände und Dünen auf. Einzeln betrachtet unterscheiden sich die Steine farblich. Wie Sandkörner ergeben sie in der Fläche ein einheitliches Bild. Die Nuancen changieren von beinahe Weiß über Beige bis hin zu hellen Gelbtönen. Die Oberfläche in „Ziegel-Handstrich“ mit unregelmäßigen Kanten vereint Haptik und Aussehen ursprünglicher Handwerkskunst. Diese Struktur der Klinkerfassade erzeugt ein spannendes Schattenspiel in der Sylter Sonne. „Das Gebäude sollte eine Fassade erhalten, die eine Veränderung zeigt, aber dennoch Ruhe ausstrahlt, um nicht abzulenken“, erklärt Architekt Stefan Kunze. „Zudem sollte das Material die vom Bauherren gewünschten pflegeleichten Eigenschaften besitzen, dauerhaft ansehnlich bleiben und dem harten Klima an der Nordseeküste mit salzhaltiger Luft, Regen und Wind standhalten.“ »Mit der zeitgemäßen Architektursprache sollte ein neuer Anfangspunkt in der Friedrichstraße geschaffen werden. Es ist ein Gebäude entstanden, das zum Betreten und Kennenlernen einlädt, ein Gebäude, das strahlt, ohne beim Kunden oder Besucher eine Schwellenangst zu erzeugen.« Stefan Kunze, KUNZE architektur + design Die Architekten haben mit der Auswahl des hellen Klinkers bewusst neue Akzente in der sonst von rotem Backstein geprägten Umgebung gesetzt. Der Ziegel nimmt das Bild der Natur auf und lässt das Gebäude freundlich, strahlend und einladend anmuten. Herausgeber: Hagemeister GmbH & Co. KG, Klinkerwerk Buxtrup 3 · D-48301 Nottuln Telefon 00 49 - 2502 8040 Telefax 00 49 - 2502 7990 [email protected] www.hagemeister.de Redaktion und Grafik-Design: presigno GmbH, Dortmund Fotos: Ulrich Metelmann, Ratingen Weitere Fotonachweise am Bildrand