Untervazer Burgenverein Untervaz Texte zur Dorfgeschichte von Untervaz 2009 Räter und Römer Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini. -2- 2009 Martin Bundi Bundi Martin: Rätische Landschaften, Alpensagen und Geschichte. Calven-Verlag Chur 2009. Seite 273-283. Räter und Römer -3- Räter und Römer S. 273: Die Nachbarschaft der Römer war den Rätern, insbesonders den südlich des Alpenkammes wohnenden Stämmen, seit ca. 200 v.Chr. gut vertraut. Das war die Zeit, da sich Rom der Poebene bemächtigte und die dort seit ca. zwei Jahrhunderten siedelnden Kelten unter seine Herrschaft zwang. So unterwarfen die Römer um 200 v.Chr. den Keltenstamm der Cenomani nördlich des Po und sicherten sich die Plätze Cremona, Mantua, Verona und Brescia (Brixia), 196 gliederten sie auch Bergamo in ihren Machtbereich ein. Die keltische Stadt Como besetzten sie 195 v.Chr. und bauten sie zu einer starken Festung gegen die Räter aus. Diese römische Militäranlage wurde jedoch 94 v.Chr. durch die Räter zerstört. Der Raum Como scheint für die nördlich benachbarten Alpenbewohner ein über Tausende von Jahren gleich gebliebenes Angriffsziel gewesen zu sein, noch vom 14. bis frühen 16. Jahrhundert n.Chr. erlitt es wiederholt Einfälle und Übergriffe von Seiten bündnerischer Truppenkontingente! Die Römer bauten Como um 90 v.Chr. wieder auf, und Caesar verlieh diesem Ort und den weiteren obgenannten «transpadanischen»Städten 48 v.Chr. durch die Lex Iulia das römische Bürgerrecht. Die Räter waren nicht die einzigen, die in römisches Gebiet im Süden einfielen. Germanen und Kelten unternahmen viel weitreichendere und schwerwiegendere Kampagnen. Berühmt ist der Zug des germanischen Volksstammes der Kimbern 101 v.Chr. über die Alpen. Die Kimbern drangen über Osttirol am Rande des rätischen Gebietes in die Poebene vor, wo sie von den vereinigten Heeren der römischen Feldherren Catulus und Marius auf den Raudii Campi bei Vercelli mit grösster Mühe geschlagen wurden. Vom keltischen Volk der Helvetier, das im 2. Jahrhundert v.Chr. in Süddeutschland wohnte, zog der Stamm der Rauriker in die Rheingegend um Basel, während die Tiguriner 107 v.Chr., angeführt vom jungen Divico, nach Gallien wanderten und dort an der mittleren Garonne ein römisches Heer erfolgreich besiegten, in der Folge siedelten sich die helvetischen Tiguriner im Gebiet des heutigen schweizerischen Mittellandes an. 58 v.Chr. fasste das ganze Volk der Tiguriner den Entschluss, nach Gallien auszuwandern. Dort schlug sie Caesar bei Bibracte und zwang das stark geschwächte Volk zur Rückkehr, ihre Hauptstadt unter römischem Regime wurde Aventicum (Avenches).1 -4- S. 274: Der von Caesar zum Statthalter von Gallien eingesetzte römische Legat Munatius Plancus unterwarf die helvetischen Rauriker schliesslich vollständig und gründete um 44/43 v.Chr. die Kolonie Augusta Raurica (Basel, Augst). Von ihm wird überliefert, dass er einen «Triumph» über die Räter errungen habe. Ernst Meyer verwies in diesem Zusammenhang auf von Strabon genannte Einfälle rätischer Stämme in Gebiete der Helvetier und setzte die Schlacht des römischen Feldherrn Plancus gegen die Räter auf den Sommer 44 v.Chr. an.2 Es ist insofern durchaus denkbar, dass rätische Unternehmungen im Raume Bodensee/Oberrhein oder westlich der Walenseesenke in erster Linie Reaktionen auf Provokationen der unruhigen helvetischen Tiguriner darstellten. Der Alpenfeldzug gegen die Räter Mit zunehmender Expansion des Römischen Reiches südlich und nordwestlich der Alpen rückten die Römer den Rätern immer näher. Zwischen 58-51 v.Chr. war ganz Gallien römisch geworden, d.h. die römische Grenze erstreckte sich bis zum Atlantik und bis zum Rhein. Bis 44 v.Chr. gehörte auch fast ganz Helvetien zur römischen Herrschaft. 25 v.Chr. besiegte Aulus Terentius Varro eine Reihe von alpinen keltischen Stämmen, darunter die Salasser im Wallis. Damit war fast das gesamte französisch- und deutschsprachige Gebiet der heutigen Schweiz bis zur Linie Bodensee - Gotthard römisch. Die Römer wehrten in der Folge im südlichen Ostalpengebiet erfolgreich Einfälle von Seiten pannonischer und norischer Volksstämme ab, und sie dehnten ihren Einfluss im mittleren südlichen Abschnitt der Alpen weiter aus. Schon vor 15 v.Chr. waren einzelne rätische Stämme am Fusse der Alpen um Trient und nördlich von Como, so die Bergaleer im Bergell, von Rom abhängig. Jetzt fasste Kaiser Augustus den Entschluss, einen umfassenden Alpenfeldzug gegen die Räter und die nördlich von diesen wohnenden Vindeliker zu unternehmen. In der Strategie Roms, welche eine Abrundung der Territorien bis zur Donau anstrebte, bildeten die Kerngebiete der Räter ein störendes Hindernis, das es zu beseitigen galt. Auf dem Weg zum Donauraum wollten sich die Römer ungehindert der rätischen Alpenpässe bedienen können. Die Räter sollten auch für ihre diversen Einfälle in römisches Gebiet bestraft und inskünftig ruhiggestellt werden. Der eigentliche Alpenfeldzug wurde durch eine Expedition des Feldherrn Publius Silius Nerva, -5- der soeben Noricum «befriedet» hatte, eingeleitet und vorbereitet. Nerva eroberte im Jahre 16 v.Chr. von Brescia aus die Val Camonica und die Val Trompia, unterwarf also die rätischen Stämme der Camuni und der Trumpilini, zog dann vermutlich über den Apricapass ins Veltlin und schlug dort den Stamm der Venones. In diesem Zusammenhang sind wohl auch die Lepontier im Tessin und in der Mesolcina bezwungen worden. S. 275: Im Jahre 15 v.Chr. brachen im Namen von Kaiser Augustus dessen Sohn Nero Claudius Drusus (23-jährig) und dessen Stiefsohn und Halbbruder, Claudius Nero Tiberius (27-jährig), zum grossen Alpenfeldzug auf.3 Erkundigungen und Vorbereitungen dazu waren von langer Hand getätigt worden. Ein Tross von Strassen- und Brückenbauern begleitete die römischen Legionen nach Norden, und besondere Abteilungen sorgten kontinuierlich für den nötigen Nachschub. Die genaue Routenwahl der Heeresabteilungen und der örtliche und zeitliche Ablauf der Schlachten sind nur in Umrissen bekannt. Auch neuere ausgreifende Untersuchungen des Alpenfeldzuges vermögen nicht definitive Klarheit zu verschaffen und begnügen sich teilweise mit Vermutungen.4 Aufgrund der literarischen Quellen römischer Autoren und der Aufzählung der besiegten Alpenvölker auf dem Siegesdenkmal von La Turbie 12 v.Chr. kann aber auf das folgende Szenario geschlossen werden: Drusus zog mit mehreren Legionen aus dem Raume Trient nach Norden und besetzte zunächst Bozen und Umgebung (inklusive Nonsbergtal), dort liess er eine Brücke über den Eisack schlagen «pons Drusi» / Drususbrücke). Er selbst oder einer seiner Legaten machte sich mit einer Abteilung auf den Weg durch das Eisacktal, wo die Festungen der Isarker eingenommen wurden, und weiter über den Brenner in die Gebiete der Breuni und Genauni im Inntal, während er selbst oder ein Legat nach Meran und in den Vinschgau zog und daselbst die Venostes bezwang. Hierauf begab sich vermutlich ein Teil dieser Heeresabteilung ins Münstertal und Unterengadin und, nach Bezwingung der dortigen Patnals, über den Fengapass ins Paznaun und von da in den rheintalischen Walgau, während der andere Teil über den Reschenpass in Richtung Landeck marschierte und sich dort der Heeresgruppe Ost anschloss. Eine These lautet dahingehend, dass Drusus von Innsbruck aus über den Fernpass nach Norden weitergezogen sei, während eine andere postuliert, dass er über den Arlberg zog und dabei den Alpenstamm der Licates im Lechtal niederschlug und sich schliesslich im Vorarlberg mit der ersten Abteilung vereinigte. -6- Die zweite Variante scheint uns naheliegender. Im vorarlbergischen Walgau soll nahe beim Einfluss der Ill in den Rhein die grösste und blutigste offene Feldschlacht gegen die Räter am 1. August stattgefunden haben. - Eine westliche Route benutzte Tiberius mit einem eigenen Heer. Gemäss der einen These marschierte er über Gallien ins südliche Bodenseegebiet und untere Alpenrheintal. Der anderen These zufolge brach er von Como aus über den Septimerpass - auch Julier- und Splügenpass stehen zur Diskussion - nach Mittelbünden ein, die rätischen Festungen der Rigusker im Oberhalbstein, alsdann der Suaneten im Hinter- und Vorderrheingebiet einnehmend, um schliesslich die Festungen der Caluconen im Churer Rheintal und im Sarganser Becken zu erobern, ebenfalls in Betracht gezogen wird ein Zug durch die Walenseesenke nach Zürich. Die neuesten in der Crap-Ses-Schlucht südlich von Tiefencastel S. 276: und auf dem Septimerpass gemachten Funde von Schleuderbleien, welche die Stempel der 3. und 12. römischen Legion tragen, bezeugen nun klar die Benutzung der Septimerroute durch augustäische Truppen.5 Wahrscheinlich gemeinsam mit Drusus bezwang Tiberius die Vennones, Brixenetes und Briganti im Unterrheintal. Tiberius oblag es in der Folge, diverse Stämme der Vindeliker, darunter nicht namentlich genannte («Vindelicorum gentes quattuor»), nördlich des rätischen Siedlungsgebietes zu bezwingen. Der gesamte bestens organisierte Feldzug vollzog sich in kurzer Zeit, nämlich vom Juni bis August des Jahres 15 v.Chr. Es ist aber anzunehmen, dass an diversen abseits gelegenen, befestigten Orten, wie z. B. bei den Patnals in Vrin oder Seewis im Prättigau, der rätische Widerstand noch jahrelang anhielt und es die Aufgabe von römischen Besatzungstruppen war, denselben endgültig zu brechen. Eine gewisse Logik des geschilderten Ablaufes spiegelt sich teilweise in der Anordnung der rätischen Völker auf dem erwähnten Denkmal von La Turbie. Die erste Kolonne führt zunächst die 16 v.Chr. bezwungenen Trumpiliner und Camuni auf, alsdann folgen die von Drusus 15. v.Chr. besiegten Stämme der Venostes, Vennonetes (ein Sprung ins Rheintal ), der Isarci, Breuni und Genaunes, auf der zweiten Säule erscheinen nebst den Licati fünf namentlich genannte und vier allgemein erwähnte vindelikische Stämme, die meisten von Tiberius bezwungen, die dritte Säule schliesslich hält die Namen der bündnerrätischen Rigusci, Suanetes und Calucones fest sowie der Brixenetes -7- im unteren Rheintal und der Lepontier im Raum Tessin-Mesolcina (16. v.Chr. besiegt), teils von Tiberius, teils gemeinsam mit Drusus bezwungene Stämme, schliesslich figurieren auf der dritten Säule noch die Namen von drei Walliser Gebirgsstämmen, der Uberi, Nantuates und Seduni, die vermutlich wegen Aufruhr gegen Rom im Nachgang zum Hauptfeldzug noch durch eine römische Sonderabteilung definitiv bezwungen wurden. Auf heftigen Widerstand stiessen die Römer gemäss antiken Quellen insbesondere in den Gebieten am Eisack (Dolomitentäler), im Vinschgau und im Alpenrheintal. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in diesen Landschaften auch das dichteste Netz von rätischen befestigten Plätzen (Patnals) und Siedlungen (Kastelruth, Val Gherdeina, Brixen, St. LorenzenFestungen bei Meran und in Schluderns, Mals, Taufers - Patnals in Seewis, Trimmis und Untervaz, Mels, Balzers und Wartau) anzutreffen war. Die trutzigen Burgfestungen in den Alpen, «arces alpibus impositas tremendae», wie sie Horaz in einem Gedicht kurz nach dem Feldzug nannte, flössten den Römern Furcht und Schrecken ein. Die Schlachten verliefen denn auch äusserst grausam und blutig. Gemäss der «Consolatio», einem anonymen Gedicht zum Tode des Drusus (9 v.Chr.), färbte sich das Wasser des Eisack trübe vom schwarzen Blut der Gefallenen, dasselbe traf auch auf den Rhein und dessen Alpentäler zu. Sowohl Horaz als auch Ovid, die beiden klassischen zeitgenössischen Dichter, S. 277: erwähnten in ihren Lobgesängen über die Taten des Augustus und seiner Feldherren die blutigen Kämpfe im Rheintal und in der Nähe des Bodensees. Um ein wildes und grauenhaftes Gemetzel soll es sich bei der Hauptschlacht vom 1. August gehandelt haben.6 Diese vollzog sich wohl im vorderen Walgau, unfern von Feldkirch, in einer Landschaft, die bis weit ins Mittelalter hinein den Namen des römischen Feldherrn Drusus trug: Vallis Drusianae (romanisch Val Druschauna).7 Von der Wildheit der rätischen Krieger berichtet ferner Vellerius Paterculus, der Tiberius auf seinem Alpenfeldzug begleitet hatte und dessen Taten um 30 n.Chr., nachdem Tiberius Kaiser geworden war, verherrlichte. Es gehörte in der Folge zur Tradition fast aller römischen Geschichtsschreiber, den Rätern einen Zug der Grausamkeit anzudichten, wohl eine bewusste Übertreibung, um die Erfolge der Sieger umso glänzender erscheinen zu lassen. -8- Die Räter als römische Untertanen Im Detail ist das Schicksal der geschlagenen rätischen Stämme nicht bekannt. Ihre Niederlagen basierten vermutlich darauf, dass sie keine einheitliche politische oder militärische Organisation und Führung besassen, grösstenteils unkoordiniert operierten und damit von den Römern gegeneinander ausgespielt und einzeln besiegt werden konnten, diese Taktik hatte Caesar mit Erfolg gegen die keltischen Stämme in Gallien angewandt. Wohl bestanden unter einzelnen rätischen Stämmen gewisse Bündnisse, diese reichten aber zu einer gemeinsamen Abwehr nicht aus. Wie römische Autoren berichten, wohnten die Räter in (befestigten) Städten und geschlossenen Dörfern. Als Sesshafte stellten sie - im Gegensatz zu den nomadisierenden Völkern der Kelten und Germanen - einen statischen Faktor dar. Sie wurden nach der Unterwerfung zum Wiederaufbau ihrer Siedlungen verpflichtet. Die Behandlung der Räter durch die Römer kann nur andeutungsweise rekonstruiert werden: - Zweifellos übten die Römer unbarmherzige Rache an jenen Stämmen, die unerbittlichen Widerstand geleistet hatten, ein grosser Teil von deren Bevölkerung wurde dezimiert, in gewissen Fällen wurden auch alle männlichen Jugendlichen getötet. - Kooperierende Stämme konnten auf milde Behandlung zählen. - Ein grosser Teil der jungen Männer wurde zum Kriegsdienst in römischen Armeen verpflichtet. - Insgesamt erhielten die Räter den Status von tributpflichtigen (steuerpflichtigen) Untertanen, deren Gebiete wurden durch römische Funktionäre verwaltet. Erst im Laufe des 2. Jahrhunderts n.Chr. erhielten die Bewohner der Provinz Raetia Prima das römische Bürgerrecht.8 -9- S. 278: - 10 - S. 279: Strabo stellte um 18 n.Chr. fest: «Heute, nach 33 Jahren, verhalten sich alle diese Stämme ruhig.»9 Ein erst vor kurzer Zeit gefundenes Zeugnis zum Alpenfeldzug in der Kaiserkultstätte Sebasteion in Aphrodisias in Südwestkleinasien zählt die von Rom bezwungenen Völker auf. Dieses datiert aus dem ersten Jahrhundert nach Chr., also aus julisch-claudischer Zeit, und nennt an 12. Stelle die Räter und an 13. Stelle die Trumpliner. Es ist singulär, dass hier die Räter als ein Volksganzes genannt werden.10 S. 280: Über den Kriegsdienst von Rätern in römischen Heeren gibt es eine Menge Hinweise. So berichtet eine Inschrift in Saintes in Südfrankreich schon 14 n.Chr. von 600 rätischen Geschosswerfern, die im Kastell Ircavium im Donaugebiet in römischem Dienst standen. In der Zeit des Kaisers Vespasian (69-79 n.Chr.) befanden sich rätische Kohorten in Vindonissa und in Bayern. - 11 - Vom 21. Mai 74 datiert ein Zeugnis, wonach Vespasian den Veteranen der 7. rätischen Kohorte, die in Germanien weilte, wegen ihrer Verdienste das römische Bürgerrecht verlieh (auch an deren Frauen und Kinder). In der Zeit des Kaisers Hadrian existierte gar ein Rätisches Heer («Exercitus Raeticus»), wovon eine Sesterzmünze aus dem Jahre 121 zeugt, und den auserlesenen rätischen Kohorten in römischen Legionen wurde zur selben Zeit befohlen, den Kriegsruf in «rätischer Sprache» auszustossen.11 Von besonderer Aussagekraft ist das im Landesmuseum in Zürich aufbewahrte Militärdiplom und Medaillon des Kaisers Antoninus Pius, eine Bürgerrechtsverleihung und Entlassungsurkunde für einen Soldaten der I. Rätischen Kohorte, ausgestellt in Rom 148 n.Chr. Die Spuren dieser Truppe fanden sich im Donauraum und in Kleinasien.12 Die Präsenz rätischer Truppen in römischem Kriegsdienst ist ferner in Palästina, Syrien, Moesien (Bulgarien), Illyrien (Dalmatien), Pannonien (Ungarn), Rom, Mauretanien, Eritrea und Cyrenaica verbürgt. Die Räter kamen somit weit in der Welt herum. Viele starben auf den Schlachtfeldern, und nur wenige kehrten in ihre Heimat zurück. Unter diesen sind einzelne Veteranen zu zählen, die gemäss römischer Gewohnheit nach 25 Jahren Kriegsdienst mit einem Landgut beschenkt wurden und für sich und ihre Familien das Bürgerrecht erhielten.13 Zweifellos waren die Veränderungen und das Leid des rätischen Volkes in den Anfangszeiten der Knechtschaft tiefgreifend und aufwühlend. Trotz Beibehaltung zahlreicher Traditionen sahen sie sich gezwungen, sich in die römische Zivilisation zu fügen. Dazu gehörte die Übernahme der Sprache der Regenten, des Lateins. Dies führte zur Romanisierung ihrer Gebiete, allmählich bildete sich durch Vermischung von Rätisch und Latein die Sprache des Rätoromanischen heraus. Ferner bereitete die römische Herrschaft den Weg für die Aufnahme römisch-griechischen Kulturgutes und der christlichen Botschaft. Romanisierung und Christianisierung bildeten die beiden entscheidenden Prägungen des rätischen Geisteslebens. Wesentliche Impulse auf kulturellem Gebiet empfing Churrätien schliesslich aus dem byzantinischen Kulturkreis: Churrätien wurde um 500 nicht in das Imperium des westgotischen Königs Theoderich integriert, sondern blieb mit Italien, Noricum, Pannonien und Dalmatien Bestandteil des Römischen Reiches.14 Weitab vom Machtzentrum Konstantinopel konnte sich der vorher - 12 - unterdrückte Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit wieder entfalten. Besonders deutlich manifestierte er sich nach der formellen Unterordnung Churrätiens unter das Fränkische Reich S. 281: (etwa seit dem 7. Jahrhundert): So gelang es der rätischen Bevölkerung im Frühmittelalter, unter merowingischer Schirmherrschaft eine weitgehend republikanische Staatsordnung einzurichten. Über drei Jahrhunderte (6. Jh. bis 806) hinweg erfreute sich dieses Rätien eines Zeitalters eigenständiger Selbstverwaltung, des Friedens und einer kulturellen Blütezeit. ANMERKUNGEN 1 Die meisten Angaben zu den Ausführungen bis hierher stammen aus: Hiltbrunner, Kleines Lexikon der Antike, 1946. 2 Meyer, Die geschichtlichen Nachrichten, 1971, S. 5. 3 Hiltbrunner, Kleines Lexikon der Antike, 1946, S. 144 und 486. Drusus wurde als Sohn der Livia aus 1. Ehe drei Monate nach ihrer zweiten Vermählung mit Augustus 38 v.Chr. geboren. Nach seinem Feldzug - zusammen mit seinem Halbbruder gegen die Räter und gegen Noricum kämpfte er 12 bis 9 v.Chr. gegen die Germanen am Niederrhein und stiess bis zur Eibe vor. Auf dem Rückweg starb er 9 v.Chr. infolge eines Unfalls. - Tiberius, aus erster Ehe der Livia 42 v.Chr. geboren, war ein Stiefsohn des Augustus. Ihm werden vor allem die Siege über Räter und Vindeliker 15 v.Chr. sowie gegen die Pannonier 12-10 v.Chr. und gegen die Germanen 8 vor bis 5 n.Chr. zugeschrieben. Er wurde 4 n.Chr. von Augustus zum Adoptivsohn angenommen und mit dem Titel Tiberius Julius Caesar geehrt, von 14 bis 37 n.Chr. war er römischer Kaiser. 4 Die umfassendste Untersuchung stammt von: Schön, Der Beginn der römischen Herrschaft in Rätien, 1986. Schön hat sämtliche antike Literatur zum Thema herangezogen und Vergleiche weit über den engeren rätischen Raum hinaus angestellt. Trotz akribischer Arbeit und auch wegen der teilweise widersprüchlichen Aussagen der Quellen vermochte der Autor in vielen Fällen keine eindeutigen Schlüsse zu ziehen und musste sich des Öfteren mit Vermutungen begnügen. - Vgl. auch: Caviezel, Der rätisch-vindelikische Krieg, 1984, S. 100. 5 Rageth, Zeugnisse des Alpenfeldzuges des Kaisers Augustus, 37/2006, S. 117 134.VgI. auch: Pajarola, Dem Lager der Legionäre auf der Spur, 2008, S. 7. Der Bericht beschreibt neueste Funde römischer Bewaffnung auf dem Septimerpass aus der Zeit des zweiten Jahres des Alpenfeldzugs. Zahlreiche Eisenfunde wie Zeltheringe, Pilum- oder Lanzenspitzen, Schleuderbleie der 3., 10. und 12. Legion sowie Münzen und Steininschriften stellen die Relikte einer römischen Militärstation dar. - Vgl. ferner: Schön, Der Beginn der römischen Herrschaft in Rätien, 1986, S. 42 bis 46 mit entsprechenden Routenkarten. 6 Fontes ad historiam regionis in Planis, Franz Perret, Bd. 1, 1932, S. 7 ff. - Schön, Der Beginn der römischen Herrschaft in Rätien, 1986, S. 45, versuchte darzulegen, dass es einen Flussnamen Isarcus im Altertum gar nicht gegeben habe, die handschriftliche Überlieferung Itargus sei als Visurgus zu lesen und beziehe sich eher auf einen Fluss im Rhein- oder Donaueinzugsgebiet. Auch wollte Schön das von Horaz überlieferte Datum vom 1. August für eine Hauptschlacht («grave proelium») nicht als historisch annehmen (S. 56) und den Namen des Walgaues («Vallis Drusiana» auf einen Grundherrn und nicht auf den Feldherrn Drusus bezogen wissen (S. 50). - 13 7 Bündner Urkundenbuch, Bd. I, 1955-2001, S. 376f. Im Reichsguturbar von ca. 840 figuriert der Verwaltungsbezirk Walgau als «Vallis Drusianae». Schorta, Rätisches Namenbuch, Bd. 11, 1964, S. 678, verweist den Namen Drusa in die Kategorie unbekannter Herkunft. Gemäss Hubschmied, ebendort, beziehe sich Drusa auf gall. *droso, *drusso (Bergerle). In der Tat leiten sich sehr viele Flurnamen vom vorrömischen «drausa» (Alpenerle) ab. Im Falle des Walgaues ist aber kaum anzunehmen, dass der 840 erstmals überlieferte Talname insgesamt für eine Erlengegend stand, hier liegt eine Bezugnahme auf Drusus näher. - Vgl. im Übrigen zu den diversen Überlieferungen römischer Autoren, Fontes ad historiam regionis in Planis, Franz Perret, Bd. I, 1932, S. 4 -76. 8 Vgl. Fontes ad historiam regionis in Planis, Franz Perret, Bd. I, 1932, S. 35f. und S. 71, Bericht des Florus (unter Hadrian, 117 -138 n.Chr.), wonach die rätischen Frauen, als die Wurfgeschosse ausgingen, ihre eigenen Kinder den Feinden entgegenschleuderten. - Vgl. auch: Gleirscher, Neues zur Räterfrage, 1995, S. 697 701, S. 701 Bezugnahme auf den Bericht des Florus. - Vgl. den ausschmückenden Bericht des Cassius Dio Coeccejanus (etwa 150-235 n.Chr.) bei: Elwet, Raetia antiqua et moderna, Bde. VII - X. 9 Fontes ad historiam regionis in Planis, Franz Perret, Bd. I, 1932, S. 29. Ausführungen Strabons um 18 n.Chr., der sich auch zu Ausrottungen räuberischer rätischer Stämme äusserte. 10 Frei-Stolba, Ein neues Zeugnis zum Alpenfeldzug, 1993, S. 64-85. - Gleirscher, Neues zur Räterfrage, 1995, S. 697: Hier sind die Räter erstmals in einer Inschrift ausdrücklich als Volk genannt. - Die Tatsache, dass die Trumpilini in Kleinasien gesondert als Volk aufgeführt sind, hat wohl damit zu tun, dass dieser rätische Stamm schon im Jahre zuvor, 16 v.Chr., durch Nerva besiegt wurde. 11 Lansel, Die Rätoromanen, 1936, S. 6f. Lansel verweist auf Aussagen des Flavius Arrianus, eines römischen Offiziers, Konsuls, Statthalters in Kappadokien, und Schriftstellers in seinem Werk «Ectaxis». Vgl. auch Hiltbrunner, Kleines Lexikon der Antike, 1946, S. 70: Arrianus Flavius. 12 Vgl. Informationsblätter des Schweizerischen Landesmuseums in Zürich zum Objekt im Raum 69. DE 19385. 13 Vgl. Fontes ad historiam regionis in Planis, Franz Perret, Bd. I, 1932, S. 40 bis 76: Diverse Beispiele für rätische Truppenpräsenz im Römischen Reich. - Vgl. auch: Caviezel, Der rätisch-vindelikische Krieg, 1984, S. 104. 14 Jochen, Spätantike und Volkerwanderung, 1995, S. 50f. «Italien - und mit ihm die beiden Rätien, Noricum, Pannonia Savia und Dalmatien - blieb Bestandteil des Reiches». Gemäss Jochen (S. 52) übernahm Theoderich um 506 die Schutzherrschaft über die Alemannen Rätiens (nicht aber über die romanische Bevölkerung Rätiens!). - Vgl. ferner: Unter dem Titel «Beiträge zur Raetia Romana, Voraussetzungen und Folgen der Eingliederung Rätiens ins Römische Reich» erschien 1987 ein von der Historisch-antiquarischen Gesellschaft von Graubünden herausgegebenes Buch mit einer Aufsatzsammlung verschiedener Autoren. Die Verfasser behandelten darin die römische Provinzorganisation, Verkehrswege und Siedlungen, heidnische Religion und christlichen Glauben, römisches Recht in Churrätien und die Entwicklung vom Vulgärlatein zum Rätoromanischen. Während die Folgen der Eingliederung ausführlich behandelt sind, wurden die Voraussetzungen nur am Rande gestreift. Internet-Bearbeitung: K. J. Version 12/2010 --------