2009-Räter und Römer - Burgenverein Untervaz

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Untervazer Burgenverein Untervaz
Texte zur Dorfgeschichte
von Untervaz
2009
Räter und Römer
Email: [email protected]. Weitere Texte zur Dorfgeschichte sind im Internet unter
http://www.burgenverein-untervaz.ch/dorfgeschichte erhältlich. Beilagen der Jahresberichte „Anno Domini“ unter
http://www.burgenverein-untervaz.ch/annodomini.
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2009
Martin Bundi
Bundi Martin: Rätische Landschaften, Alpensagen und Geschichte.
Calven-Verlag Chur 2009. Seite 273-283.
Räter und Römer
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Räter und Römer
S. 273:
Die Nachbarschaft der Römer war den Rätern, insbesonders den südlich des
Alpenkammes wohnenden Stämmen, seit ca. 200 v.Chr. gut vertraut. Das war
die Zeit, da sich Rom der Poebene bemächtigte und die dort seit ca. zwei
Jahrhunderten siedelnden Kelten unter seine Herrschaft zwang. So unterwarfen
die Römer um 200 v.Chr. den Keltenstamm der Cenomani nördlich des Po und
sicherten sich die Plätze Cremona, Mantua, Verona und Brescia (Brixia), 196
gliederten sie auch Bergamo in ihren Machtbereich ein. Die keltische Stadt
Como besetzten sie 195 v.Chr. und bauten sie zu einer starken Festung gegen
die Räter aus. Diese römische Militäranlage wurde jedoch 94 v.Chr. durch die
Räter zerstört. Der Raum Como scheint für die nördlich benachbarten
Alpenbewohner ein über Tausende von Jahren gleich gebliebenes Angriffsziel
gewesen zu sein, noch vom 14. bis frühen 16. Jahrhundert n.Chr. erlitt es
wiederholt Einfälle und Übergriffe von Seiten bündnerischer
Truppenkontingente! Die Römer bauten Como um 90 v.Chr. wieder auf, und
Caesar verlieh diesem Ort und den weiteren obgenannten
«transpadanischen»Städten 48 v.Chr. durch die Lex Iulia das römische
Bürgerrecht.
Die Räter waren nicht die einzigen, die in römisches Gebiet im Süden
einfielen. Germanen und Kelten unternahmen viel weitreichendere und
schwerwiegendere Kampagnen. Berühmt ist der Zug des germanischen
Volksstammes der Kimbern 101 v.Chr. über die Alpen. Die Kimbern drangen
über Osttirol am Rande des rätischen Gebietes in die Poebene vor, wo sie von
den vereinigten Heeren der römischen Feldherren Catulus und Marius auf den
Raudii Campi bei Vercelli mit grösster Mühe geschlagen wurden. Vom
keltischen Volk der Helvetier, das im 2. Jahrhundert v.Chr. in Süddeutschland
wohnte, zog der Stamm der Rauriker in die Rheingegend um Basel, während
die Tiguriner 107 v.Chr., angeführt vom jungen Divico, nach Gallien
wanderten und dort an der mittleren Garonne ein römisches Heer erfolgreich
besiegten, in der Folge siedelten sich die helvetischen Tiguriner im Gebiet des
heutigen schweizerischen Mittellandes an. 58 v.Chr. fasste das ganze Volk der
Tiguriner den Entschluss, nach Gallien auszuwandern. Dort schlug sie Caesar
bei Bibracte und zwang das stark geschwächte Volk zur Rückkehr, ihre
Hauptstadt unter römischem Regime wurde Aventicum (Avenches).1
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S. 274: Der von Caesar zum Statthalter von Gallien eingesetzte römische Legat
Munatius Plancus unterwarf die helvetischen Rauriker schliesslich vollständig
und gründete um 44/43 v.Chr. die Kolonie Augusta Raurica (Basel, Augst).
Von ihm wird überliefert, dass er einen «Triumph» über die Räter errungen
habe. Ernst Meyer verwies in diesem Zusammenhang auf von Strabon
genannte Einfälle rätischer Stämme in Gebiete der Helvetier und setzte die
Schlacht des römischen Feldherrn Plancus gegen die Räter auf den Sommer 44
v.Chr. an.2 Es ist insofern durchaus denkbar, dass rätische Unternehmungen im
Raume Bodensee/Oberrhein oder westlich der Walenseesenke in erster Linie
Reaktionen auf Provokationen der unruhigen helvetischen Tiguriner
darstellten.
Der Alpenfeldzug gegen die Räter
Mit zunehmender Expansion des Römischen Reiches südlich und nordwestlich
der Alpen rückten die Römer den Rätern immer näher. Zwischen 58-51 v.Chr.
war ganz Gallien römisch geworden, d.h. die römische Grenze erstreckte sich
bis zum Atlantik und bis zum Rhein. Bis 44 v.Chr. gehörte auch fast ganz
Helvetien zur römischen Herrschaft. 25 v.Chr. besiegte Aulus Terentius Varro
eine Reihe von alpinen keltischen Stämmen, darunter die Salasser im Wallis.
Damit war fast das gesamte französisch- und deutschsprachige Gebiet der
heutigen Schweiz bis zur Linie Bodensee - Gotthard römisch.
Die Römer wehrten in der Folge im südlichen Ostalpengebiet erfolgreich
Einfälle von Seiten pannonischer und norischer Volksstämme ab, und sie
dehnten ihren Einfluss im mittleren südlichen Abschnitt der Alpen weiter aus.
Schon vor 15 v.Chr. waren einzelne rätische Stämme am Fusse der Alpen um
Trient und nördlich von Como, so die Bergaleer im Bergell, von Rom
abhängig. Jetzt fasste Kaiser Augustus den Entschluss, einen umfassenden
Alpenfeldzug gegen die Räter und die nördlich von diesen wohnenden
Vindeliker zu unternehmen. In der Strategie Roms, welche eine Abrundung der
Territorien bis zur Donau anstrebte, bildeten die Kerngebiete der Räter ein
störendes Hindernis, das es zu beseitigen galt. Auf dem Weg zum Donauraum
wollten sich die Römer ungehindert der rätischen Alpenpässe bedienen
können. Die Räter sollten auch für ihre diversen Einfälle in römisches Gebiet
bestraft und inskünftig ruhiggestellt werden. Der eigentliche Alpenfeldzug
wurde durch eine Expedition des Feldherrn Publius Silius Nerva,
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der soeben Noricum «befriedet» hatte, eingeleitet und vorbereitet. Nerva
eroberte im Jahre 16 v.Chr. von Brescia aus die Val Camonica und die Val
Trompia, unterwarf also die rätischen Stämme der Camuni und der Trumpilini,
zog dann vermutlich über den Apricapass ins Veltlin und schlug dort den
Stamm der Venones. In diesem Zusammenhang sind wohl auch die Lepontier
im Tessin und in der Mesolcina bezwungen worden.
S. 275: Im Jahre 15 v.Chr. brachen im Namen von Kaiser Augustus dessen Sohn Nero
Claudius Drusus (23-jährig) und dessen Stiefsohn und Halbbruder, Claudius
Nero Tiberius (27-jährig), zum grossen Alpenfeldzug auf.3 Erkundigungen und
Vorbereitungen dazu waren von langer Hand getätigt worden. Ein Tross von
Strassen- und Brückenbauern begleitete die römischen Legionen nach Norden,
und besondere Abteilungen sorgten kontinuierlich für den nötigen Nachschub.
Die genaue Routenwahl der Heeresabteilungen und der örtliche und zeitliche
Ablauf der Schlachten sind nur in Umrissen bekannt. Auch neuere
ausgreifende Untersuchungen des Alpenfeldzuges vermögen nicht definitive
Klarheit zu verschaffen und begnügen sich teilweise mit Vermutungen.4
Aufgrund der literarischen Quellen römischer Autoren und der Aufzählung der
besiegten Alpenvölker auf dem Siegesdenkmal von La Turbie 12 v.Chr. kann
aber auf das folgende Szenario geschlossen werden:
Drusus zog mit mehreren Legionen aus dem Raume Trient nach Norden und
besetzte zunächst Bozen und Umgebung (inklusive Nonsbergtal), dort liess er
eine Brücke über den Eisack schlagen «pons Drusi» / Drususbrücke). Er selbst
oder einer seiner Legaten machte sich mit einer Abteilung auf den Weg durch
das Eisacktal, wo die Festungen der Isarker eingenommen wurden, und weiter
über den Brenner in die Gebiete der Breuni und Genauni im Inntal, während er
selbst oder ein Legat nach Meran und in den Vinschgau zog und daselbst die
Venostes bezwang. Hierauf begab sich vermutlich ein Teil dieser
Heeresabteilung ins Münstertal und Unterengadin und, nach Bezwingung der
dortigen Patnals, über den Fengapass ins Paznaun und von da in den
rheintalischen Walgau, während der andere Teil über den Reschenpass in
Richtung Landeck marschierte und sich dort der Heeresgruppe Ost anschloss.
Eine These lautet dahingehend, dass Drusus von Innsbruck aus über den
Fernpass nach Norden weitergezogen sei, während eine andere postuliert, dass
er über den Arlberg zog und dabei den Alpenstamm der Licates im Lechtal
niederschlug und sich schliesslich im Vorarlberg mit der ersten Abteilung
vereinigte.
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Die zweite Variante scheint uns naheliegender. Im vorarlbergischen Walgau
soll nahe beim Einfluss der Ill in den Rhein die grösste und blutigste offene
Feldschlacht gegen die Räter am 1. August stattgefunden haben. - Eine
westliche Route benutzte Tiberius mit einem eigenen Heer. Gemäss der einen
These marschierte er über Gallien ins südliche Bodenseegebiet und untere
Alpenrheintal. Der anderen These zufolge brach er von Como aus über den
Septimerpass - auch Julier- und Splügenpass stehen zur Diskussion - nach
Mittelbünden ein, die rätischen Festungen der Rigusker im Oberhalbstein,
alsdann der Suaneten im Hinter- und Vorderrheingebiet einnehmend, um
schliesslich die Festungen der Caluconen im Churer Rheintal und im Sarganser
Becken zu erobern, ebenfalls in Betracht gezogen wird ein Zug durch die
Walenseesenke nach Zürich. Die neuesten in der Crap-Ses-Schlucht südlich
von Tiefencastel
S. 276: und auf dem Septimerpass gemachten Funde von Schleuderbleien, welche die
Stempel der 3. und 12. römischen Legion tragen, bezeugen nun klar die
Benutzung der Septimerroute durch augustäische Truppen.5 Wahrscheinlich
gemeinsam mit Drusus bezwang Tiberius die Vennones, Brixenetes und
Briganti im Unterrheintal. Tiberius oblag es in der Folge, diverse Stämme der
Vindeliker, darunter nicht namentlich genannte («Vindelicorum gentes
quattuor»), nördlich des rätischen Siedlungsgebietes zu bezwingen. Der
gesamte bestens organisierte Feldzug vollzog sich in kurzer Zeit, nämlich vom
Juni bis August des Jahres 15 v.Chr. Es ist aber anzunehmen, dass an diversen
abseits gelegenen, befestigten Orten, wie z. B. bei den Patnals in Vrin oder
Seewis im Prättigau, der rätische Widerstand noch jahrelang anhielt und es die
Aufgabe von römischen Besatzungstruppen war, denselben endgültig zu
brechen.
Eine gewisse Logik des geschilderten Ablaufes spiegelt sich teilweise in der
Anordnung der rätischen Völker auf dem erwähnten Denkmal von La Turbie.
Die erste Kolonne führt zunächst die 16 v.Chr. bezwungenen Trumpiliner und
Camuni auf, alsdann folgen die von Drusus 15. v.Chr. besiegten Stämme der
Venostes, Vennonetes (ein Sprung ins Rheintal ), der Isarci, Breuni und
Genaunes, auf der zweiten Säule erscheinen nebst den Licati fünf namentlich
genannte und vier allgemein erwähnte vindelikische Stämme, die meisten von
Tiberius bezwungen, die dritte Säule schliesslich hält die Namen der
bündnerrätischen Rigusci, Suanetes und Calucones fest sowie der Brixenetes
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im unteren Rheintal und der Lepontier im Raum Tessin-Mesolcina (16. v.Chr.
besiegt), teils von Tiberius, teils gemeinsam mit Drusus bezwungene Stämme,
schliesslich figurieren auf der dritten Säule noch die Namen von drei Walliser
Gebirgsstämmen, der Uberi, Nantuates und Seduni, die vermutlich wegen
Aufruhr gegen Rom im Nachgang zum Hauptfeldzug noch durch eine
römische Sonderabteilung definitiv bezwungen wurden.
Auf heftigen Widerstand stiessen die Römer gemäss antiken Quellen
insbesondere in den Gebieten am Eisack (Dolomitentäler), im Vinschgau und
im Alpenrheintal. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in diesen
Landschaften auch das dichteste Netz von rätischen befestigten Plätzen
(Patnals) und Siedlungen (Kastelruth, Val Gherdeina, Brixen, St. LorenzenFestungen bei Meran und in Schluderns, Mals, Taufers - Patnals in Seewis,
Trimmis und Untervaz, Mels, Balzers und Wartau) anzutreffen war. Die
trutzigen Burgfestungen in den Alpen, «arces alpibus impositas tremendae»,
wie sie Horaz in einem Gedicht kurz nach dem Feldzug nannte, flössten den
Römern Furcht und Schrecken ein. Die Schlachten verliefen denn auch
äusserst grausam und blutig. Gemäss der «Consolatio», einem anonymen
Gedicht zum Tode des Drusus (9 v.Chr.), färbte sich das Wasser des Eisack
trübe vom schwarzen Blut der Gefallenen, dasselbe traf auch auf den Rhein
und dessen Alpentäler zu. Sowohl Horaz als auch Ovid, die beiden klassischen
zeitgenössischen Dichter,
S. 277: erwähnten in ihren Lobgesängen über die Taten des Augustus und seiner
Feldherren die blutigen Kämpfe im Rheintal und in der Nähe des Bodensees.
Um ein wildes und grauenhaftes Gemetzel soll es sich bei der Hauptschlacht
vom 1. August gehandelt haben.6 Diese vollzog sich wohl im vorderen
Walgau, unfern von Feldkirch, in einer Landschaft, die bis weit ins Mittelalter
hinein den Namen des römischen Feldherrn Drusus trug: Vallis Drusianae
(romanisch Val Druschauna).7 Von der Wildheit der rätischen Krieger
berichtet ferner Vellerius Paterculus, der Tiberius auf seinem Alpenfeldzug
begleitet hatte und dessen Taten um 30 n.Chr., nachdem Tiberius Kaiser
geworden war, verherrlichte. Es gehörte in der Folge zur Tradition fast aller
römischen Geschichtsschreiber, den Rätern einen Zug der Grausamkeit
anzudichten, wohl eine bewusste Übertreibung, um die Erfolge der Sieger
umso glänzender erscheinen zu lassen.
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Die Räter als römische Untertanen
Im Detail ist das Schicksal der geschlagenen rätischen Stämme nicht bekannt.
Ihre Niederlagen basierten vermutlich darauf, dass sie keine einheitliche
politische oder militärische Organisation und Führung besassen, grösstenteils
unkoordiniert operierten und damit von den Römern gegeneinander ausgespielt
und einzeln besiegt werden konnten, diese Taktik hatte Caesar mit Erfolg
gegen die keltischen Stämme in Gallien angewandt. Wohl bestanden unter
einzelnen rätischen Stämmen gewisse Bündnisse, diese reichten aber zu einer
gemeinsamen Abwehr nicht aus. Wie römische Autoren berichten, wohnten
die Räter in (befestigten) Städten und geschlossenen Dörfern. Als Sesshafte
stellten sie - im Gegensatz zu den nomadisierenden Völkern der Kelten und
Germanen - einen statischen Faktor dar. Sie wurden nach der Unterwerfung
zum Wiederaufbau ihrer Siedlungen verpflichtet.
Die Behandlung der Räter durch die Römer kann nur andeutungsweise
rekonstruiert werden:
- Zweifellos übten die Römer unbarmherzige Rache an jenen Stämmen, die
unerbittlichen Widerstand geleistet hatten, ein grosser Teil von deren
Bevölkerung wurde dezimiert, in gewissen Fällen wurden auch alle
männlichen Jugendlichen getötet.
- Kooperierende Stämme konnten auf milde Behandlung zählen.
- Ein grosser Teil der jungen Männer wurde zum Kriegsdienst in römischen
Armeen verpflichtet.
- Insgesamt erhielten die Räter den Status von tributpflichtigen
(steuerpflichtigen) Untertanen, deren Gebiete wurden durch römische
Funktionäre verwaltet. Erst im Laufe des 2. Jahrhunderts n.Chr. erhielten die
Bewohner der Provinz Raetia Prima das römische Bürgerrecht.8
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S. 278:
- 10 -
S. 279:
Strabo stellte um 18 n.Chr. fest: «Heute, nach 33 Jahren, verhalten sich alle
diese Stämme ruhig.»9 Ein erst vor kurzer Zeit gefundenes Zeugnis zum
Alpenfeldzug in der Kaiserkultstätte Sebasteion in Aphrodisias in
Südwestkleinasien zählt die von Rom bezwungenen Völker auf. Dieses datiert
aus dem ersten Jahrhundert nach Chr., also aus julisch-claudischer Zeit, und
nennt an 12. Stelle die Räter und an 13. Stelle die Trumpliner. Es ist singulär,
dass hier die Räter als ein Volksganzes genannt werden.10
S. 280: Über den Kriegsdienst von Rätern in römischen Heeren gibt es eine Menge
Hinweise. So berichtet eine Inschrift in Saintes in Südfrankreich schon 14
n.Chr. von 600 rätischen Geschosswerfern, die im Kastell Ircavium im
Donaugebiet in römischem Dienst standen. In der Zeit des Kaisers Vespasian
(69-79 n.Chr.) befanden sich rätische Kohorten in Vindonissa und in Bayern.
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Vom 21. Mai 74 datiert ein Zeugnis, wonach Vespasian den Veteranen der 7.
rätischen Kohorte, die in Germanien weilte, wegen ihrer Verdienste das
römische Bürgerrecht verlieh (auch an deren Frauen und Kinder). In der Zeit
des Kaisers Hadrian existierte gar ein Rätisches Heer («Exercitus Raeticus»),
wovon eine Sesterzmünze aus dem Jahre 121 zeugt, und den auserlesenen
rätischen Kohorten in römischen Legionen wurde zur selben Zeit befohlen, den
Kriegsruf in «rätischer Sprache» auszustossen.11 Von besonderer Aussagekraft
ist das im Landesmuseum in Zürich aufbewahrte Militärdiplom und Medaillon
des Kaisers Antoninus Pius, eine Bürgerrechtsverleihung und
Entlassungsurkunde für einen Soldaten der I. Rätischen Kohorte, ausgestellt in
Rom 148 n.Chr. Die Spuren dieser Truppe fanden sich im Donauraum und in
Kleinasien.12 Die Präsenz rätischer Truppen in römischem Kriegsdienst ist
ferner in Palästina, Syrien, Moesien (Bulgarien), Illyrien (Dalmatien),
Pannonien (Ungarn), Rom, Mauretanien, Eritrea und Cyrenaica verbürgt. Die
Räter kamen somit weit in der Welt herum. Viele starben auf den
Schlachtfeldern, und nur wenige kehrten in ihre Heimat zurück. Unter diesen
sind einzelne Veteranen zu zählen, die gemäss römischer Gewohnheit nach 25
Jahren Kriegsdienst mit einem Landgut beschenkt wurden und für sich und
ihre Familien das Bürgerrecht erhielten.13
Zweifellos waren die Veränderungen und das Leid des rätischen Volkes in den
Anfangszeiten der Knechtschaft tiefgreifend und aufwühlend. Trotz
Beibehaltung zahlreicher Traditionen sahen sie sich gezwungen, sich in die
römische Zivilisation zu fügen. Dazu gehörte die Übernahme der Sprache der
Regenten, des Lateins. Dies führte zur Romanisierung ihrer Gebiete,
allmählich bildete sich durch Vermischung von Rätisch und Latein die Sprache
des Rätoromanischen heraus. Ferner bereitete die römische Herrschaft den
Weg für die Aufnahme römisch-griechischen Kulturgutes und der christlichen
Botschaft. Romanisierung und Christianisierung bildeten die beiden
entscheidenden Prägungen des rätischen Geisteslebens. Wesentliche Impulse
auf kulturellem Gebiet empfing Churrätien schliesslich aus dem
byzantinischen Kulturkreis: Churrätien wurde um 500 nicht in das Imperium
des westgotischen Königs Theoderich integriert, sondern blieb mit Italien,
Noricum, Pannonien und Dalmatien Bestandteil des Römischen Reiches.14
Weitab vom Machtzentrum Konstantinopel konnte sich der vorher
- 12 -
unterdrückte Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit wieder entfalten.
Besonders deutlich manifestierte er sich nach der formellen Unterordnung
Churrätiens unter das Fränkische Reich
S. 281: (etwa seit dem 7. Jahrhundert): So gelang es der rätischen Bevölkerung im
Frühmittelalter, unter merowingischer Schirmherrschaft eine weitgehend
republikanische Staatsordnung einzurichten. Über drei Jahrhunderte (6. Jh. bis
806) hinweg erfreute sich dieses Rätien eines Zeitalters eigenständiger
Selbstverwaltung, des Friedens und einer kulturellen Blütezeit.
ANMERKUNGEN
1
Die meisten Angaben zu den Ausführungen bis hierher stammen aus: Hiltbrunner,
Kleines Lexikon der Antike, 1946.
2
Meyer, Die geschichtlichen Nachrichten, 1971, S. 5.
3
Hiltbrunner, Kleines Lexikon der Antike, 1946, S. 144 und 486. Drusus wurde als
Sohn der Livia aus 1. Ehe drei Monate nach ihrer zweiten Vermählung mit
Augustus 38 v.Chr. geboren. Nach seinem Feldzug - zusammen mit seinem
Halbbruder gegen die Räter und gegen Noricum kämpfte er 12 bis 9 v.Chr. gegen
die Germanen am Niederrhein und stiess bis zur Eibe vor. Auf dem Rückweg starb
er 9 v.Chr. infolge eines Unfalls. - Tiberius, aus erster Ehe der Livia 42 v.Chr.
geboren, war ein Stiefsohn des Augustus. Ihm werden vor allem die Siege über
Räter und Vindeliker 15 v.Chr. sowie gegen die Pannonier 12-10 v.Chr. und gegen
die Germanen 8 vor bis 5 n.Chr. zugeschrieben. Er wurde 4 n.Chr. von Augustus
zum Adoptivsohn angenommen und mit dem Titel Tiberius Julius Caesar geehrt,
von 14 bis 37 n.Chr. war er römischer Kaiser.
4
Die umfassendste Untersuchung stammt von: Schön, Der Beginn der römischen
Herrschaft in Rätien, 1986. Schön hat sämtliche antike Literatur zum Thema
herangezogen und Vergleiche weit über den engeren rätischen Raum hinaus
angestellt. Trotz akribischer Arbeit und auch wegen der teilweise widersprüchlichen
Aussagen der Quellen vermochte der Autor in vielen Fällen keine eindeutigen
Schlüsse zu ziehen und musste sich des Öfteren mit Vermutungen begnügen. - Vgl.
auch: Caviezel, Der rätisch-vindelikische Krieg, 1984, S. 100.
5
Rageth, Zeugnisse des Alpenfeldzuges des Kaisers Augustus, 37/2006, S. 117 134.VgI. auch: Pajarola, Dem Lager der Legionäre auf der Spur, 2008, S. 7. Der
Bericht beschreibt neueste Funde römischer Bewaffnung auf dem Septimerpass aus
der Zeit des zweiten Jahres des Alpenfeldzugs. Zahlreiche Eisenfunde wie
Zeltheringe, Pilum- oder Lanzenspitzen, Schleuderbleie der 3., 10. und 12. Legion
sowie Münzen und Steininschriften stellen die Relikte einer römischen
Militärstation dar. - Vgl. ferner: Schön, Der Beginn der römischen Herrschaft in
Rätien, 1986, S. 42 bis 46 mit entsprechenden Routenkarten.
6
Fontes ad historiam regionis in Planis, Franz Perret, Bd. 1, 1932, S. 7 ff. - Schön,
Der Beginn der römischen Herrschaft in Rätien, 1986, S. 45, versuchte darzulegen,
dass es einen Flussnamen Isarcus im Altertum gar nicht gegeben habe, die
handschriftliche Überlieferung Itargus sei als Visurgus zu lesen und beziehe sich
eher auf einen Fluss im Rhein- oder Donaueinzugsgebiet. Auch wollte Schön das
von Horaz überlieferte Datum vom 1. August für eine Hauptschlacht («grave
proelium») nicht als historisch annehmen (S. 56) und den Namen des Walgaues
(«Vallis Drusiana» auf einen Grundherrn und nicht auf den Feldherrn Drusus
bezogen wissen (S. 50).
- 13 7
Bündner Urkundenbuch, Bd. I, 1955-2001, S. 376f. Im Reichsguturbar von ca. 840
figuriert der Verwaltungsbezirk Walgau als «Vallis Drusianae». Schorta, Rätisches
Namenbuch, Bd. 11, 1964, S. 678, verweist den Namen Drusa in die Kategorie
unbekannter Herkunft. Gemäss Hubschmied, ebendort, beziehe sich Drusa auf gall.
*droso, *drusso (Bergerle). In der Tat leiten sich sehr viele Flurnamen vom
vorrömischen «drausa» (Alpenerle) ab. Im Falle des Walgaues ist aber kaum
anzunehmen, dass der 840 erstmals überlieferte Talname insgesamt für eine
Erlengegend stand, hier liegt eine Bezugnahme auf Drusus näher. - Vgl. im Übrigen
zu den diversen Überlieferungen römischer Autoren, Fontes ad historiam regionis
in Planis, Franz Perret, Bd. I, 1932, S. 4 -76.
8
Vgl. Fontes ad historiam regionis in Planis, Franz Perret, Bd. I, 1932, S. 35f. und S.
71, Bericht des Florus (unter Hadrian, 117 -138 n.Chr.), wonach die rätischen
Frauen, als die Wurfgeschosse ausgingen, ihre eigenen Kinder den Feinden
entgegenschleuderten. - Vgl. auch: Gleirscher, Neues zur Räterfrage, 1995, S. 697 701, S. 701 Bezugnahme auf den Bericht des Florus. - Vgl. den ausschmückenden
Bericht des Cassius Dio Coeccejanus (etwa 150-235 n.Chr.) bei: Elwet, Raetia
antiqua et moderna, Bde. VII - X.
9
Fontes ad historiam regionis in Planis, Franz Perret, Bd. I, 1932, S. 29.
Ausführungen Strabons um 18 n.Chr., der sich auch zu Ausrottungen räuberischer
rätischer Stämme äusserte.
10
Frei-Stolba, Ein neues Zeugnis zum Alpenfeldzug, 1993, S. 64-85. - Gleirscher,
Neues zur Räterfrage, 1995, S. 697: Hier sind die Räter erstmals in einer Inschrift
ausdrücklich als Volk genannt. - Die Tatsache, dass die Trumpilini in Kleinasien
gesondert als Volk aufgeführt sind, hat wohl damit zu tun, dass dieser rätische
Stamm schon im Jahre zuvor, 16 v.Chr., durch Nerva besiegt wurde.
11
Lansel, Die Rätoromanen, 1936, S. 6f. Lansel verweist auf Aussagen des Flavius
Arrianus, eines römischen Offiziers, Konsuls, Statthalters in Kappadokien, und
Schriftstellers in seinem Werk «Ectaxis». Vgl. auch Hiltbrunner, Kleines Lexikon
der Antike, 1946, S. 70: Arrianus Flavius.
12
Vgl. Informationsblätter des Schweizerischen Landesmuseums in Zürich zum
Objekt im Raum 69. DE 19385.
13
Vgl. Fontes ad historiam regionis in Planis, Franz Perret, Bd. I, 1932, S. 40 bis 76:
Diverse Beispiele für rätische Truppenpräsenz im Römischen Reich. - Vgl. auch:
Caviezel, Der rätisch-vindelikische Krieg, 1984, S. 104.
14
Jochen, Spätantike und Volkerwanderung, 1995, S. 50f. «Italien - und mit ihm die
beiden Rätien, Noricum, Pannonia Savia und Dalmatien - blieb Bestandteil des
Reiches». Gemäss Jochen (S. 52) übernahm Theoderich um 506 die
Schutzherrschaft über die Alemannen Rätiens (nicht aber über die romanische
Bevölkerung Rätiens!). - Vgl. ferner: Unter dem Titel «Beiträge zur Raetia
Romana, Voraussetzungen und Folgen der Eingliederung Rätiens ins Römische
Reich» erschien 1987 ein von der Historisch-antiquarischen Gesellschaft von
Graubünden herausgegebenes Buch mit einer Aufsatzsammlung verschiedener
Autoren. Die Verfasser behandelten darin die römische Provinzorganisation,
Verkehrswege und Siedlungen, heidnische Religion und christlichen Glauben,
römisches Recht in Churrätien und die Entwicklung vom Vulgärlatein zum
Rätoromanischen. Während die Folgen der Eingliederung ausführlich behandelt
sind, wurden die Voraussetzungen nur am Rande gestreift.
Internet-Bearbeitung: K. J.
Version 12/2010
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