Johann Strauss „Die Fledermaus“

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Filip PALUCHOWSKI
Johann Strauss „Die Fledermaus“
Darstellung einer Spaßgesellschaft
KÜNSTLERISCHE DIPLOMARBEIT
Schriftlicher Teil
zur Erlangung des akademischen Grades
Magister artium
Studium: Dirigieren; Studienzweig Orchesterdirigieren
Institut: Institut für Musikleitung
Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
Betreuer: Mayr, Alexander Josef, Mag.art. Mag.art. Mag.art. Mag.phil
Wien 2014
Inhaltsverzeichnis
Seite
A) Einleitung
2
B) Geschichtlicher Hintergrund
3
C) Illusion und Betrug als Ausgangspunkt der Operette
5
D) Darstellung einzelner Personen
8
1. Gabriel von Eisenstein
8
2. Rosalinde
9
3. Adele
10
4. Alfred
11
5. Prinz Orlofsky
11
E) Alkoholkonsum
13
F) Happy End oder Fortführung der Illusion
15
G) Beziehung zwischen der Gesellschaft der Fledermaus und der Gesellschaft
der Gründerzeit
16
H) Fazit
18
I) Literaturverzeichnis
19
J) Anhang
1. Besetzungslisten von Johann Strauss „Die Fledermaus“ am
Schlosstheater Schönbrunn unter der Leitung von Filip Paluchowski
2. DVD Trackliste
20
21
1
Einleitung
Als ich im Oktober 2012 begann die Sänger auf die Produktion der Fledermaus im
Schlosstheater Schönbrunn im März 2013 vorzubereiten, glaubte ich, dass die einzige Absicht
des Werks das Amüsement der Zuschauer sei. Mit fortschreitender Probenarbeit stellten sich
mir mehrere Fragen, die ich näher erforschen möchte.
Hauptsächlich möchte ich ermitteln, ob eine Parallele zwischen der Spaßgesellschaft der
Fledermaus und der Gesellschaft ihrer Zeit besteht. Um dies näher beleuchten zu können,
werde ich die geschichtliche Situation vor und zur Zeit der Uraufführung 1874 erforschen.
Im ersten Akt fasziniert mich besonders das Terzett Nr.4 mit der C-Dur Polka. Dieses Stück
ist voll des Betrugs und der Ironie. Diese Betrugsmotivik zieht sich durch den ganzen ersten
Akt. Zu erforschen ist, wie es Strauss gelingt dies in der Musik darzustellen und wie die
Personen sich in ihrem Umfeld benehmen. Daher möchte ich einige Personen näher
charakterisieren.
Welche Bedeutung der Alkoholkonsum, der auch in unserer Spaßgesellschaft einen hohen
Stellenwert einnimmt, spielt, zeigt sich vor allem im Finale II. Er zieht sich aber durch alle
drei Akte. Daher sollte auch er einer näheren Betrachtung unterzogen werden.
Ich möchte mich hauptsächlich auf die musikalische Seite der Operette konzentrieren,
wodurch die Rolle des Frosch für diese Arbeit unbedeutend ist. Von höherem Interesse ist für
mich die Finalsituation der Operette. Ist die Auflösung des Rachespiels von Dr. Falke ein
zufriedenstellendes Happy End oder bleiben viele Situationen unaufgelöst. Zusätzlich stellt
sich die Frage, ob die Fledermaus ein reines Unterhaltungswerk ist oder ob man die Operette
auch auf einer anderen Ebene interpretieren kann.
2
Geschichtlicher Hintergrund
Um die Situation der Gesellschaft, die sich am 5. April 1874 am Theater an der Wien zur
Uraufführung der Fledermaus eingefunden hat, besser zu verstehen, muss man auf den Beginn
der liberalen Ära zurückblicken und deren Auswirkungen erfassen.
Mit der Niederlage des österreichischen Heeres bei Königgrätz am 3. Juli 1866, kam es zum
Ende
der
konservativen,
von
der
Aristokratie
beherrschten
Politik. 1
Mit
der
Dezemberverfassung vom 21. Dezember 1867 wurden den cisleithanischen Ländern
„Gleichheit vor dem Gesetz, Glaubens- und Gewissensfreiheit und die Egalität aller
Volksstämme im Hinblick auf Wahrung und Pflege ihrer nationalen Sprache“ 2 zuerkannt.
Durch die Gebietsverluste in Italien und Deutschland stellte sich auch eine finanzielle
Erleichterung ein. Somit begann gleich nach der Schlacht bei Königgrätz ein starkes
Wirtschaftswachstum, auch die sieben fetten Jahre genannt. In diesen Jahren kam das
Großbürgertum zu immer mehr Ansehen und Macht. Die immer wohlhabenderen
Großunternehmer konnten sogar einen Adelstitel erkaufen. Aber nicht nur dem
Großbürgertum ging es in diesen Jahren besser. Mit der Gründerzeit kamen auch den
Kleinbürgern viele Neuerungen zu Gute: der Stadtpark, neue Wasserleitungen, Kaufhäuser
und vieles mehr.3
In dieser Zeit des Aufschwungs florierte auch das künstlerische Leben in Wien. Johannes
Brahms, Anton Bruckner und Richard Wagner wirkten in Wien. Die Unterhaltungsmusik und
Tanz- und Vergnügungsetablissements erfuhren einen regelrechten Boom.
Mit neuem Selbstbewusstsein und dem Bedürfnis die Leistungen der k. u. k.
Doppelmonarchie zu zeigen, liefen die Vorbereitungen für die Weltausstellung, die am 1. Mai
1873 im Wiener Prater eröffnet wurde. Diese sollte Besucher aus aller Welt nach Wien
bringen und Österreich-Ungarn als aufstrebende und fortschrittliche Macht präsentieren. 4 Mit
der Weltausstellung stiegen die Lebensmittelpreise und Mietkosten so stark, dass sich ein
Arbeiter nach einer 15-stündigen Schicht lediglich 1kg Brot und 0,6kg Kartoffeln leisten
konnte.5 Trotz der hohen Investition blieb ein Erfolg der Weltausstellung aus.
1
2
3
4
5
vgl. STEGEMANN, Thorsten: „Wenn man das Leben durchs Champagnerglas betrachtet...“ . Textbücher
der Wiener Operette zwischen Provokation und Reaktion.. Frankfurt am Main, Wien u.a.: Lang, 1995. [=
Europäische Hochschulschriften: Reihe 18, Vergleichende Literaturwissenschaft Bd. 80]. S. 84
ebd. S.85
vgl. ebd. S. 88
vgl. ebd. S. 87
vgl. DUSEK, Peter: „Glücklich ist, wer vergisst...“ und die soziale Realität 1870-1874. In Programmheft
3
Am 5. Mai 1873, 4 Tage nach der Eröffnung der Weltausstellung, gab es erste Kursverluste,
die durch nicht gezahlte Nominale der Franko-Ungarischen Bank und versprochene, aber
nicht ausgezahlte Sonderdividenden entstanden. Allein am 9. Mai kam es zu 120 Insolvenzen,
die einen Börsenkrach zur Folge hatten. An diesem Freitag, der als erster Schwarze Freitag
Österreichs in die Geschichte einging, wurde die Wiener Börse um 13:00 Uhr polizeilich
geschlossen.6
Somit war die Ausgangslage für die Uraufführung der Fledermaus vorbelastet. Viele der noch
zuvor im Prunk lebenden Bürger erlitten finanzielle Verluste und gingen mit getrübter
Stimmung ins Theater. Sie wollten in die guten Zeiten zurückversetzt werden. Dies gelingt der
Fledermaus. Sie versetzt den Zuschauer in eine Zeit, die vor kurzem noch Realität war und die
man sich zurückwünscht.
An dieser Stelle sollte die in Umlauf gebrachte Information, dass die Fledermaus keinen
anfänglichen Erfolg verzeichnen konnte, richtig gestellt werden. Die Fledermaus sollte vorerst
in den späteren Herbstmonaten des Jahres 1874 aufgeführt werden. Da man sich am Theater
an der Wien mit einer Aufführung einen großen finanziellen Erfolg erhoffte, wurde, aufgrund
von durch den Börsenkrach verursachten finanziellen Schwierigkeiten des Theaters, die
Aufführung vorverlegt. Dass das Stück nicht ohne Unterbrechungen im Programm stand, lag
an einem Gastspiel eines italienischen Ensembles und Neubesetzungen einiger Rollen der
Fledermaus. Wenn man aber die Einnahmen der späten Vorstellungen mit der sehr
erfolgreichen Premiere, die 1550 Gulden einbrachte, vergleicht, sieht man, dass die
Fledermaus ein sehr beliebtes Stück war.
„Die 58. Aufführung am 24. November 1875 erzielte 1429 Gulden, fast das gleiche
kommerzielle Ergebnis erbrachte die 67. Vorstellung (29. Dezember 1875),[...].“7
6
7
der Wiener Staatsoper zu »Johann Strauss, Die Fledermaus« der Saison 1979/80 (Premiere: 31. Dezember
1979). Red. Lothar Knessl. Wien: Österreichischer Bundestheaterverband 1979.
vgl. Der Crash der Finanzmärkte nach der Gründerzeit. o. Hrsg. URL http://www.geschichteoesterreich.com/ereignisse/1873/gruenderkrach.html
PANAGL, Oswald; SCHWEIGER, Fritz: Die Fledermaus. Die wahre Geschichte einer Operette. Wien,
Köln, u.a.: Böhlau Verlag, 1999. S. 108
4
Illusion und Betrug als Ausgangspunkt der Operette
„Glücklich macht uns Illusion, ist auch kurz die ganze Freud: Sei getrost ich glaub` dir schon
und bin glücklich heut'!“ (Nr.5, T.81-88) Ein Lebensmotto, das nicht nur der Fledermaus,
sondern dem ganzen Großbürgertum, welches sich nach dem Börsenkrach mit einer neuen,
unbequemeren Realität konfrontiert sah, als Merkmal dienen könnte. Dabei ähnelt die
Fledermaus dem Baustil der Makart-Zeit: So wie der Prunk der Ringstraßengebäude nur
wenigen vorbehalten war, war auch die ausgeprägte Realitätsflucht nur einigen möglich. Die
Kluft zwischen Arbeitern und Großbürgertum wurde immer größer. Die Fabriken „sind – mit
wenigen Ausnahmen – die Quellen des größten Reichtums und die Heereslager des tiefsten
Elends.“8 Die Arbeiter hatten kaum Geld zum Essen. In einer 35m² großen Garçonnière lebten
nicht selten zehn bis zwölf Menschen, die Arbeitstage dauerten oftmals 16, manchmal sogar
bis zu 18 Stunden; „Bäckergehilfen hatten eine 105-Stunden-Woche[...].“9 Illusion erlaubte es
dem Großbürgertum sich in eine angenehmere Zeit zu versetzen. Sie belogen sich selbst. Der
von Betrug und Täuschung geprägte Alltag findet sich auch in der Fledermaus wieder.
Bereits in der ersten Nummer nimmt der Zuschauer die erste Täuschung, die er zum Zeitpunkt
des Geschehens noch nicht als Täuschung erlebt, wahr. Adele liest eine Einladung zu einem
„Grand Souper“ beim Prinzen Orlofsky vor, die sie angeblich von ihrer Schwester Ida
erhalten hat, die sich aber im späteren Verlauf als von Dr. Falke geschrieben herausstellt. Um
zu diesem Fest gehen zu können, lügt Adele ihrer „Gnäd`gen“ Rosalinde vor, dass sie sich um
ihre kranke Tante kümmern müsse.
Im Dialog vor dem Duett zwischen Frank und Eisenstein werden wir Zeuge einer weitaus
größeren Lüge. Eisenstein, der ins Gefängnis gehen sollte, beschließt mit Falke zum Souper
zu gehen, um dort noch einmal, vor seiner Inhaftierung, ein wenig weibliche Ablenkung zu
genießen. Seine Frau lässt er in dem Glauben, dass er auf dem Weg zum Gefängnis ist.
Das folgende Terzett Rosalinde, Adele, Eisenstein, zeigt auf beeindruckende Weise, wie es
Johann Strauss verstand, diese Betrugsmotivik in der Musik auszudrücken. Zur Zeit dieses
Terzetts erwartet Rosalinde ihren ehemaligen Geliebten Alfred. Um diesen in Ruhe sehen zu
8
9
GÖHRING, Walter: Der Gründungsparteitag der Sozialdemokraten. Neudörfl 1874. S. 63 – In DUSEK,
Peter: „Glücklich ist, wer vergisst...“ und die soziale Realität 1870-1874. In Programmheft der Wiener
Staatsoper zu »Johann Strauss, Die Fledermaus« der Saison 1979/80 (Premiere: 31. Dezember 1979). Red.
Lothar Knessl. Wien: Österreichischer Bundestheaterverband 1979. o. S.
DUSEK, Peter: „Glücklich ist, wer vergisst...“ und die soziale Realität 1870-1874. In Programmheft der
Wiener Staatsoper zu »Johann Strauss, Die Fledermaus« der Saison 1979/80 (Premiere: 31. Dezember 1979).
Red. Lothar Knessl. Wien: Österreichischer Bundestheaterverband 1979. o. S.
5
können, gab sie Adele frei, welche sich somit auf das bevorstehende Souper freut. Auch
Eisenstein freut sich bald zum Fest zu gehen. Dabei steht das innere Geschehen in einem
starken Kontrast zum äußeren Schein: Adeles Tante ist scheinbar krank, Rosalinde tieftraurig,
dass ihr Ehemann in den Arrest gehen muss und Eisenstein aufgrund seiner bevorstehenden
Inhaftierung schlecht gelaunt.
Das Terzett beginnt mit einer Zurschaustellung Rosalindes Trauer über ihre bevorstehende
Einsamkeit („So muß allein ich bleiben...“ Nr.4, T.5ff) in Moll. Jedoch wird dieses Moll
immer wieder durch kurze Dur Sequenzen („Wie soll ich dir beschreiben“ Nr.4, T.9/10)
durchbrochen. Sie versucht ihre Trauer auszudrücken, kann aber ihre Freude dabei nicht
vollkommen verbergen. Die Begleitung der Violinen und Bratsche helfen ihr mit
übertriebenen Seufzern die Illusion der Trauer aufrecht zu erhalten (Nr. 4, T. 13-16). Mit dem
Septimsprung „O Gott“ (T. 18/19) bleibt dann kein Zweifel mehr, dass sie die Trauer nicht
ernst meint, wobei durch die absolute Übertreibung der Seufzer ein Beigeschmack von Ironie
hinterlassen wird. „Ich werde dein gedenken des Morgens beim Kaffee, wenn ich dir ein will
schenken, die leere Tasse seh`, kann keinen Gruß dir winken! Aus Jammer werd` ich g`wiß
ihn schwarz und bitter trinken!“ (T.20-28) Als sei dieser Text, der den ersten Trauerausbruch
Rosalindes beendet, nicht ironisch genug, wird dieser durch Akzentuierung des Vorhalts auf
„Jammer“ und drei, vom Ambitus immer größer werdende, Seufzer-Figuren bei „g`wiß ihn
schwarz und bitter“ noch mehr ins Lächerliche gezogen.
Nun folgt das berühmte Polkathema „O je, o je, wie rührt mich dies“ (T.34ff), anhand dessen
die enge Zusammenarbeit von Strauss und Richard Genée verdeutlicht werden kann. An
dieser Stelle empfand Strauss die Musik als zu ernst und sentimental und fügte daher den Text
und die Musik der C-Dur Polka ein. 10 Dieser geniale Einfall könnte keine bessere Darstellung
der illusorischen Situation sein. Jede der handelnden Figuren ist sich sicher, die Anderen auf
überzeugende Weise täuschen zu können. Dabei sind sie zu geblendet von der eigenen,
vermeintlich guten, schauspielerischen Leistung, sodass sie überhaupt nicht bemerken, dass
sie selbst getäuscht werden. Da alle so sehr mit ihrem eigenen Täuschungsversuch beschäftigt
sind und die Anderen nicht beachten, können die Figuren fröhlich in C-Dur singen, ohne
aufzufallen. Der einzige Versuch Bedauern auszudrücken, liegt in der Betonung der Worte
„je“ und „rührt“, welche sich bei der Wiederholung des Satzes jeweils in fröhliche StaccatoSprünge auflöst. (Nr. 4, T. 34-41) Rosalinde kann ihr Glück über ihr vermutlich gelungenes
10
vgl. PANAGL; SCHWEIGER: Die Fledermaus. Die wahre Geschichte einer Operette. S. 100
6
Schwindeln nicht länger verbergen und bricht in ein fröhliches „La-la“ aus. (Nr.4, T. 42-48)
Nach einer dramatischen Generalpause benutzt Rosalinde ihr ganzes theatralisches Können,
um noch einmal all ihren Schmerz über die besonders schwierigen nächsten acht Tage ohne
ihren Mann auszudrücken. „Zum Rindfleisch, wie zur Suppe, zum Braten keinen Mann! Und
sinkt der nächt’ge Schleier, gibt`s wieder mir’nen Riß,- mein Schmerz wird Ungeheuer!“
(Nr.4, T.54-65) Eine erste Steigerung kulminiert beim „Riß“ mit einem Abreißen des
Orchesters auf einem fz-Akkord. (Nr.4, T.54-61) Ein pathetischer Sololauf zum Wort
„ungeheuer“ folgt und wird auf dem g'' von einem Tremolo der ersten Geigen unterstützt.
(Nr.4, T.62/63) Um die Ironie dieser Situation zu steigern, folgt ein weiteres Mal die C-Dur
Polka.
Den folgenden Abschnitt beschreibt Dietrich Stoverock auf exzellente Weise:
„Den Trost präsentiert Adele in schulmädchenhafter Naivität: 'Es gibt ein Wiedersehen!' Hier
wird Strauß umwerfend komisch: Er läßt sie mit dem Brustton der Überzeugung eine Weise
singen, deren hohles Pathos nicht zu überbieten ist. Den I-Punkt setzt der Schalk im
Orchester, das Fagott: Zum hochpathetischen Gesang spielt es eine lustige Begleitung mit
Achtel- und Sechzentelbewegung!“11 (Nr. 4, T.104-112)
Danach hören wir ein letztes Mal „O je, o je, wie rührt mich dies“.
Im Finale I zieht sich der Betrug fort. Nachdem Rosalinde alleine geblieben ist, kommt ihr
ehemaliger Geliebter Alfred hinzu. Nach einiger Zeit, die die Beiden alleine verbringen,
kommt der Gefängnisdirektor Frank, um Eisenstein abzuholen. Rosalinde versucht Frank
davon zu überzeugen, dass Alfred ihr Ehemann ist. „Mit mir so spät im Tête-a-tête ganz
traulich und allein, in dem Kostüm so ganz intim kann nur allein der Gatte sein.“ (Nr.5, T.
206f) Musikalisch ist es der erste Walzer, den wir nach dem Walzer in der Ouvertüre hören.
Mit diesem gelingt es Rosalinde Frank von ihrer Unschuld zu überzeugen, worauf Alfred
anstelle Eisensteins in Franks „schönes großes Vogelhaus“ (Nr.5, T.288ff) abgeführt wird.
Am Ende dieses Akts ist, bis auf den Advokaten und den Gefängnisdirektor Frank, jeder
gleichzeitig Betrüger und Betrogener. Im zweiten Akt setzt sich dies in verstärkter Weise fort,
indem jeder vorgibt jemand Anderes zu sein. Eisenstein und Frank werden zu französischen
Adeligen, Adele tritt als feine Dame auf, Rosalinde als ungarische Fürstin. Den Höhepunkt
der Illusion markiert das „Dui-du“-Ensemble.
11
STOVEROCK, Dietrich; CORNLISSEN, Thilo: Die Oper. Schriftenreihe über musikalische Bühnenwerke.
Die Fledermaus. Operette von Johann Strauss. Berlin-Lichterfelde: Robert Lienau, 1973. S. 60
7
Darstellung einzelner Personen
Die folgenden Kurzprofile einiger handelnder Personen der Operette sollen einen Querschnitt
der Gesellschaft der Fledermaus darstellen.
Gabriel von Eisenstein
Gabriel von Eisenstein ist einer der wenigen, dessen Nachnamen wir kennen. Trotzdem bleibt
er eine sehr blass gezeichnete Figur. Der Rentier kann sehr gut von seinen Kapitalerträgen
leben und ist somit ein typischer Vertreter der Gründerzeit. Mit ihm beginnt und endet die
Geschichte der Fledermaus. Ursprünglich sollte die Operette Die Rache der Fledermaus
heißen. Eisenstein hat Dr. Falke an einem Badeort nahe einer großen Stadt, „blamiert, als er
ihn nach einem Maskenball betrunken und als Fledermaus verkleidet durch die Straßen nach
Hause gehen ließ.“12 Für diese Aktion möchte sich Dr. Falke rächen. Mit dieser Vorgeschichte
erlebt man einen Wandel Eisensteins von einer aktiven zu einer passiven Person. Vor der
eigentlichen Handlung der Fledermaus war er die agierende und bestimmende Person.
Wenn wir das Duett Nr. 2 genauer beleuchten, erkennen wir, dass er mittlerweile sogar der zur
Belustigung dienenden Figur des Dr. Blind unterlegen ist. Dr. Blind, der aufgrund seines
Stotterns und seines äußeren Erscheinungsbild, und nicht aufgrund seiner Intelligenz, beurteilt
wird, beweist im Terzett Nr.3, dass er einige Fähigkeiten besitzt: „Rekurrieren, appellieren,
reklamieren, revidieren, rezipieren, subvertieren, devolvieren, insolvieren, protestieren,
liquidieren, exzerpieren, extorquieren, arbitrieren, resummieren, exkulpieren, inkulpieren,
kalkulieren, konzipieren und Sie müssen triumphieren.“ (T.129-148) Darauf kann Eisenstein
nur antworten: „Wenn Sie jetzt nicht retirieren, muss ich Sie hinausbugsieren und vielleicht
noch schließlich maulschelieren!“ (T.148-160) Diese Aussage zeigt einerseits das erhöhte
Aggressionspotential Eisensteins, andererseits, dass er beim Versuch Dr. Blind zu parieren,
völlig hilflos ist.13 Dass er zu Gewaltausbrüchen fähig ist zeigt seine Arreststrafe. Er wurde
zum Arrest verurteilt, „weil er einem Amtsdiener ein paar Hiebe mit der Reitpeitsche gegeben
12
13
Inhaltsangabe. ̶ In Programmheft der Wiener Staatsoper zu »Johann Strauss, Die Fledermaus« der Saison
1979/80 (Premiere: 31. Dezember 1979). Red. Lothar Knessl. Wien: Österreichischer Bundestheaterverband
1979. o. S.
vgl. PANAGL; SCHWEIGER: Die Fledermaus. Die wahre Geschichte einer Operette. S. 161
8
und ihn einen Stockfisch genannt hat.“
Im weiteren Verlauf der Operette wird seine Degradierung zu einer marionettenhaften Figur
immer deutlicher. Der, der damals mit seiner Uhr Frauen imponieren konnte, wird im
Uhrenduett von seiner Ehefrau seiner Macht beraubt, indem diese ihm die Uhr abnimmt.
Der eben noch entmachtete Eisenstein, bricht ein einziges Mal aus dem Marionettendasein
aus. In dem Terzett Nr. 15 wird er zum rachsüchtigen Ehemann. Dabei ist dieser
Racheausbruch auch ein Ausbruch aus der Passivität. „Erzittert, ihr Verbrecher, die Strafe
bricht herein! Hier stehe ich als Rächer, ich selbst bin Eisenstein!“ (Nr.15, T.226-233) Dieser
Ausbruch wird von stürmischen Tremoli der Streicher und ff-Akkorden der Bläser unterstützt.
Kurz darauf wird er schnell wieder in seiner Realität der Machtlosigkeit zurückgeworfen.
Rosalinde ist die, die ihm verzeiht und nimmt so wieder die aktive Rolle der Ehe und
Handlung ein.
Obwohl Eisenstein wenig Aktion übernimmt, ist er die wichtigste Person der Operette. Er
fungiert als eine Art Kontrastfolie, die durch die ihm entgegengebrachten Handlungen, das
Innere der anderen Figuren verdeutlicht. Er selbst handelt dabei nicht, andere handeln über
ihn, andere manipulieren ihn. Rosalinde betrügt ihn mit Alfred, Dr. Falke plant den Racheakt
an ihm, Orlofsky lacht über ihn. Die wahre Identität Rosalindes, Alfreds, Falkes und
Orlofskys verstehen wir, weil es Eisenstein gibt.
Rosalinde
Rosalinde, die Ehefrau von Gabriel von Eisenstein, ist die wahre Schauspielerin dieser
Operette. Sie macht sich die Welt um sich herum, wie sie sie braucht und ist dabei extrem
überzeugend. Natürlich funktioniert ihr Plan deshalb so gut, weil alle sich gegenseitig
betrügen und somit nicht hinterfragen, was die Anderen sagen. Wenn wir uns Rosalindes
Musik anschauen, erkennen wir, dass sich der Stil ihrer Musik ständig verändert . Er passt
sich der Situation an.
Im Duett Nr.2 beweist sie schon, dass sie sich an den Rest der Personen anpassen kann (Nr.2,
T.1f), indem sie die Phrasen Eisensteins und Blinds auf selbverständliche Weise im Stil und in
der Aussage nachahmt. Gleichermaßen kann sie auch in kurzer Zeit, abhängig von der Person,
die sie anspricht, von einem Stil zum anderen wechseln. Erst hören wir das etwas abschätzige
9
„Das Beste wär', sie geh'n hinaus“ zu Blind (Nr.2, T.68-82), worauf gleich ein sehr
einfühlsames „Beruh'ge endlich diese Wut!“ zur Besänftigung Eisensteins folgt (Nr.2, T.8592).
Ein weiteres Beispiel des Stilwechsels ist das neckische „Mein Herr, was dächten Sie von
mir“ (Nr.5, T.185-205), mit welchem sie die Beschuldigung Franks, Alfred sei nicht ihr Mann,
ins Bizarre ziehen möchte.
Der Höhepunkt der Schauspielerei von Seiten Rosalindes ist ihr Csardás. Dies ist eine nahezu
perfekte Nachahmung des ungarischen Stils.
Dabei ist sie keine richtige Schauspielerin im Sinne Adeles. Rosalinde glaubt so stark an ihre
subjektive Wahrheit, dass sie nicht bemerkt, wie stark sie sich und andere betrügt. Dies
können wir vor allem im Terzett Nr. 15 beobachten. Sie, die ihren Mann mit Alfred betrügen
wollte, sieht sich berechtigt Eisenstein zu verurteilen, da dieser auf dem Souper anderen
Frauen nachschauen wollte. Dies legt sie sehr überzeugend, und in einem komplett neuen Stil,
dar, wenn sie singt: „Kratz' ich ihm erst die Augen aus und dann, und dann laß ich mich
scheiden“ (Nr.15, T.189f).
Adele
Die Kammerzofe Adele ist ein einfaches Mädchen mit einem Talent. Ihr Gesangstalent zeigt
sie gleich zu Beginn in ihrer Kadenz, welche sie auf den Text „Ha ha ha ach“ singt (Nr.1,
T.38-40). Ihr sprachliches Talent ist dabei, wie eben schon bemerkt, eher limitiert. Ihr Versuch
einen Reim für „nie da“ zu finden, endet in einem, Knittelvers: „Langeweile gibt es nie da, so
schreibt meine Schwester Ida!“14 (Nr.1, T.68-71)
Im dritten Akt versucht Adele ihr schauspielerisches Talent in einem Couplet zu beweisen.
Dabei ist eine interessante Beobachtung zu machen, wenn man Adeles anfängliches „Wenn
ich jenes Täubchen wär“ (Nr.1, T.80ff) mit der „Unschuld vom Lande“ (Nr.14, T.1ff)
vergleicht. Beide Stücke basieren auf dem selben Rhythmus und sind im selben Tempo. Das
könnte zeigen, dass sie selbst die Unschuld vom Lande ist und diese als Erste ihrer Rollen
darstellt, weil sie als sie selbst am besten überzeugen kann. 15 Auch als sie die Königin spielt,
14
15
vgl. PANAGL; SCHWEIGER: Die Fledermaus. Die wahre Geschichte einer Operette. S.156
vgl. ZIMMERSCHIED, Dieter: Operette. Phänomen und Entwicklung. Bd. 15. Wiesbaden: Breitkopf &
Härtel, 1988. S.88
10
erkennt man eine ihrem Einwurf „Es gibt ein Wiedersehen“ (Nr.4, T.104-107) ähnliche Musik.
In ihrem letzten Versuch ihr schauspielerisches Talent als „Dame von Paris“ unter Beweis zu
stellen, hört man ähnliche Koloraturen, die man auf „ach“ schon bei ihrem ersten Auftritt
hören konnte. Ohne Frage erkennt man die verschiedenen Stile ihres Couplets, jedoch könnte
der Verdacht aufkommen, dass sie ein sehr limitiertes schauspielerisches Talent hat, mit
welchem sie immer wieder auf die selben Mittel zurückgreifen muss.
Alfred
Der Tenor Alfred ist der ehemalige Geliebte von Rosalinde. Aus Rosalindes Aussage „vor
seinem hohen B(!) schmilzt meine Kraft dahin“ kann ableitet werden, dass seine guten Tage
als Sänger vorbei sind,.16
Im Tête-a-tête mit Rosalinde zeigt er sich nicht von einer besonders charmanten Seite. Der
Wein soll den Sinn trüben und helfen zu verschmerzen, dass heiße Liebe nur ein Traum und
ewige Treue nur Schaum ist (Nr.5, T.13-18). Mit diesem Hintergedanken stimmt er ein für die
Operette, und wahrscheinlich auch für viele im Publikum Sitzende, sehr wichtiges Thema an:
„Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“ (Nr.5, T. 31-38).
„Er füllt sein Glas, bekleidet sich mit Schlafrock und Haube des Gatten, ißt und trinkt, nennt
die Geliebte 'liebe Alte', trifft Anordnungen für das Frühstück – kein Wort von Liebe,
Verlangen, Zärtlichkeit, sondern 'trinken wir (einschenkend) und singen wir dazu!' Musik
erweckt nicht Liebe, sondern ersetzt sie.“17 Er ist der Einzige, der versucht ehrlich zu sein. Er
täuscht Rosalinde keine große Liebe vor, sondern gibt offen zu, dass es möglich ist sich in die
Illusion einer schöneren, von Liebe erfüllten Welt hinein zu trinken. Als Gefängnisdirektor
Frank erscheint, sagt er: „Ich bin nicht Herr von Eisenstein, bin nicht der den Sie suchen.“
(Nr.5, T.170-173) Er will niemanden anlügen, er will einfach sein Leben so gut es geht
genießen, auch wenn das nur mit Vergessen möglich ist. In seiner Ehrlichkeit hat er einen
gewissen Charme, der nicht nur Rosalinde bewegt, mehrere Personen zu hintergehen, sondern
auch den Gefängnisdirektor dazu bringt nach seinem stürmischen Eingang mit dem Marziale
(Nr. 5, T.103ff), mit Alfred ein Lied anzustimmen (Nr.5, T.103.f).
16
17
vgl. ZIMMERSCHIED: Operette. Phänomen und Entwicklung. S.88
WEIGEL, Hans: Flucht vor der Größe. Beiträge zur Erkenntnis und Selbsterkenntnis Österreichs. Sechs
Variationen über die Vollendung im Unvollendeten. Wien 1960, S.267 – In ZIMMERSCHIED: Operette.
Phänomen und Entwicklung.
11
Prinz Orlofsky
„Ich habe in meinen 18 Jahren vierzig durchlebt, Doktor. Alles langweilt mich; ich kann nicht
mehr lachen. Meine Millionen sind mein Unglück.“
Das ist der erste Satz, den wir von Orlofsky hören. Orlofsky ist eine zarte, junge Person, die
voller Lebensüberdruss ist und aufgrund der Feste berüchtigt ist. 18 In meiner Zusammenarbeit
mit Herrn Professor Uwe Theimer, wurde ich auf ein interessantes Phänomen im
Zusammenhang mit der Person Orlofskys aufmerksam gemacht, die ein weiteres Merkmal des
sehr subtilen Humors Strauss ist. Im Couplet des Prinzen singt dieser immer wieder die
Sextsprünge b' – g'' aufwärts, die für die Rolle meist sehr unangenehm zu singen sind. Wenn
man davon ausgeht, dass Strauss genau wusste, wie er mit einer Stimme umzugehen hat und
dass er sich bewusst war, dass es schwierig ist eine Sexte aufwärts zu singen, die dazu noch
im Übergang liegt, und wir uns vorstellen, welchen Klang man von einem Jungen erwarten
kann, könnten wir folgenden Rückschluss haben: Prinz Orlofsky ist eine Person voller
Gegensätze: Jung und alt zugleich, reich an Geld, arm an Emotionen.
Obwohl er im Innern älter wirkt, macht sein äußeres Auftreten einen jüngeren Eindruck. Seine
Stimme ist noch nicht voll entwickelt und er kickst (die Sextsprünge) beim Singen, was für
Jugendliche im Stimmbruch typisch ist. Diese Annahme wird auch durch die Besetzung als
Hosenrolle unterstützt. Wenn wir das Finale des dritten Akts mit dem Couplet vergleichen,
fallen diese Kickser weg. Wir erleben somit Orlofskys Transformation zum Mann. Diese Idee
von Herrn Prof. Theimer ist natürlich nur eine Vermutung, die aber bei der Interpretation der
Rolle helfen kann.
Was man aber mit Sicherheit sagen kann, ist, dass Orlofsky ein gelangweilter und reicher
Prinz ist, der ständig Feste veranstaltet, weil seine finanzielle Lage ihm das erlaubt. Er ist auf
der Suche nach Aufheiterung und kann diese nicht finden. Sein höchstes Ziel ist es, endlich
einmal wieder zu lachen.
Orlofsky ist eine kleinere, aber omnipräsent Rolle. Sein Couplet gibt ein so starkes
Persönlichkeitsprofil, welches in einer solchen zusammengefassten Form bei keiner anderen
Rolle zu finden ist. Die Instrumentation mit den pianissimo Hörnern, Posaunen, Fagotten und
Streichern in tiefer Lage erweckt einen fremden Charakter (Nr.7, T.3f). Sehr raffiniert ist auch
der Gebrauch des Tamburins und der großen Trommel. Der Rhythmus des Tamburins wird bei
18
vgl. PANAGL; SCHWEIGER: Die Fledermaus. Die wahre Geschichte einer Operette. S.183
12
„langweil'“ (Nr.7, T.13) auf nur noch einen Schlag pro Takt von der großen Trommel
reduziert, was die Langeweile des Prinzen verdeutlicht. 19 Noch ein Zeichen der raffinierten
Instrumentation von Strauss ist der Paukenwirbel in T.25/26 und T.29/30, der das
Hinauswerfen, oder in der zweiten Strophe das Flaschewerfen, nachahmt. Dass der Prinz auf
seinem Fest die bestimmende Person ist, macht er nicht zu einem Geheimnis. Er bestimmt die
Regeln des Festes: Man hat sich zu amüsieren und zu trinken.
Orlofsky könnte man als Personifizierung des Großbürgertums der Gründerzeit vor dem
schwarzen Freitag ansehen. Er sucht ständig nach Amüsement, kann sich aber nicht wirklich
amüsieren. Er tut es, weil er es sich leisten kann, weil er sonst nichts besseres zu tun hat. Die
Anderen interessieren ihn nicht wirklich, so lange sie sich an seine Regeln halten.
Alkoholkonsum
„Die drei Akte scheinen von drei verschiedenen Alkoholika bestimmt zu sei: Der erste vom
Wein, der als Einstiegsdroge ('Trinke Liebchen, trinke schnell') die erste Hemmschwelle
beseitigt, der zweite vom Champagner, der 'Majestät' des göttlichen Rausches, und der dritte
vom Slibowitz, der eher an 'Kater' danach denken läßt.“20
In der Gesellschaft der Fledermaus ist Realitätsflucht ein zentrales Thema. Um diese Flucht
zu fördern, bedient man sich des Alkohols. Der Spannungsbogen und Verlauf des Konsums ist
dabei in dem folgenden Zitat sehr gut zusammengefasst. „Flieht auch manche Illusion, die dir
einst dein Herz erfreut, gibt der Wein dir Tröstung schon durch Vergessenheit.“ (Nr.5, T.2128) Damit wird von Alfred ganz deutlich hervorgehoben, dass mit dem Wein versucht wird,
die Wahrheit zu vergessen, da diese nicht der Realität entspricht, die er und Rosalinde sich
damals vorgestellt haben. Wenn man die Illusion eines guten Lebens nicht mehr aufrecht
erhalten kann, dann ist die beste Lösung die Realität zu vergessen.
Diese Begebenheit wird im zweiten Akt gelebt. Zu Beginn des zweiten Akts hören wir noch:
„Es heißt ja hier das Lösungswort: Amüs'ment.“ (Nr.6, T.96f) Wie von Orlofsky bestimmt, ist
man verpflichtet zu trinken, um sich amüsieren zu dürfen. Das Finale II kulminiert in einer
19
20
vgl. STOVEROCK; CORNLISSEN: Die Oper. Schriftenreihe über musikalische Bühnenwerke. Die
Fledermaus. Operette von Johann Strauss. S. 64
ZIMMERSCHIED: Operette. Phänomen und Entwicklung. S.86
13
einzigen Glorifizierung der „Majestät“, dem Champagner. Vom „Mönch in stiller Zelle“, bis
zu den Königen und Kaisern bereichert sich jeder „an dem Quelle“. Daher „lebe Champagner
der Erste!“ (Nr. 11a, T.1ff)
Die folgenden Entwicklungen sind erstaunlich. Erst soll die Gesellschaft, die aus
verschiedenen Ständen besteht, ein „großer Verein von Schwestern und Brüdern“ werden.
(Nr.11a, T.97f) Im Rausch des Alkohols werden nun alle zu „Brüderlein und Schwesterlein“
(Nr.11a, T. 119f), geben sich gegenseitig Küsse und Duzen sich. Das Ganze endet in einem
großen „Dui-du, dui-du, la la la“ Gelalle.21 Diese „Dui-du-Illusion des 'glänzenden Elends'
(eine Formulierung von Immanuel Kant)“22 ist „für die Ewigkeit immer so wie heut', wenn
wir morgen noch dran denken.“ (Nr11a, T.179f) Mit dieser Aussage versteht man besser,
warum diese Annäherung der Stände ohne Probleme möglich ist. Sie wird nur diesen einen
Abend halten, da sich morgen niemand mehr daran erinnern wird und wenn doch, wird die
Erinnerung so verschleiert sein, dass sie eher einem Traum, als der Realität gleichen wird. Auf
der Bühne wird ein Traum dargestellt, den viele Großbürger zur Zeit der Uraufführung
träumen. Auch wenn sie die wirtschaftlich stärkste Klasse waren, war der Adel immer noch in
der Führungsposition und zog somit den Neid auf sich. Die Bürger wollten eins mit dem Adel
sein und konnten dieses Gefühl im Dui-du Ensemble erleben.23
Wenn wir dieses Ensemble näher beleuchten, erkennen wir die Absurdität und Ironie dahinter.
Strauss und Genée wussten um die Irrealität des Gespielten und haben dieses versteckt zum
Ausdruck gebracht. Nicht nur, dass ganz klar ist, dass der Alkohol zu solch einer Situation
geführt hat, auch die Wortwahl könnte ironischer nicht sein. Man kann eine Anlehnung an die
Ode an die Freude vermuten, in der auch alle zu Brüdern werden. Stellen wir uns vor, dass
der Text anstatt „Alle Menschen werden Brüder“ zu „Alle Menschen werden Brüder[lein]“
werden würde, erkennen wir die Intention hinter dem „Brüderlein und Schwesterlein“. Es ist
eine weitere Beleuchtung einer großen Illusion, die in der Fledermaus allgegenwärtig ist.24
In der Katerstimmung des dritten Akts, wird alles Geschehene in einem aufbrausenden und
lustigen Finale auf den Alkoholeinfluss heruntergespielt. „Champagner hat's verschuldet,
tralalalalalalala.“
21
22
23
24
vgl. PANAGL; SCHWEIGER: Die Fledermaus. Die wahre Geschichte einer Operette. S.168
ADAM, Erik; RAINER, Willi (Hrsg.): Das Land des Glücks. Österreich und seine Operetten. Klagenfurt,
Ljubljana, Wien: Verlag Hermagoras 1997. S.7
vgl. ZIMMERSCHIED: Operette – Phänomen und Entwicklung. S.35
vgl. ebd. S. 90
14
Happy End oder Fortführung der Illusion
Kann eine solche Aussage ein wirkliches Happy End sein? Kann man das Geschehene
wirklich vergessen und normal weiterleben oder gibt es doch Konsequenzen?
Beleuchtet man die Schlusssituation näher gelangt man zur folgenden Situation. Rosalinde hat
ihren Ehemann betrogen. Dieser muss ins Gefängnis und dient als Gespött einer ganzen
Gesellschaft. Alfred dachte seine ehemalige Geliebte wieder zurückgewonnen zu haben, muss
jedoch miterleben, wie diese zu ihrem Mann zurückkehrt. Sein Versuch ehrlich zu sein, hat
sich nicht ausgezahlt. Alfred, der bereit war mit jeder Konsequenz seines Handels zu leben,
wird in der Auflösung der Situation durch Dr. Falke übergangen. Die Auflösung der Affäre
mit Rosalinde bleibt aus. Es wird getan, als habe diese nie stattgefunden. Weder die
Gesellschaft interessiert, was mit Alfred passiert, noch zeigt Rosalinde Interesse an ihm,
sobald sie am Ende den Schein einer erfolgreichen Ehe aufrecht erhalten kann. „War auch
grad' nicht alles so, wir wollen ihm den Glauben, der ihn beglückt, nicht rauben.“ (Nr.16,
T.59-64)
Es gibt aber auch Gewinner. Adele hat einen Mäzen in Orlofsky gefunden, Dr. Falke konnte
seine Rachegelüste stillen, Orlofsky und die restliche Gesellschaft haben sich köstlich
amüsiert.
„Champagner hat's verschuldet, trala la la la la la la, was wir heut erduldet, [… ]. Doch gab er
mir auch Wahrheit und zeigt' in vollster Klarheit mir meines Gatten Treue und führte ihn zu
Reue.“ (Nr.16, T.92-107) Diese Aussage Rosalindes bestätigt, dass sie lieber in einer Illusion
lebt, als die Realität, dass ihre Ehe mit Eisenstein brüchig ist, zu akzeptieren. Das Happy End
kann nur funktionieren, wenn „Glücklich ist, wer vergisst“. Schaut man genauer hin, sieht
man, dass das Happy End eine weitere große Illusion dieser Operette ist.
Die Spaßgesellschaft erfreut sich am Schmerz eines anderen. Sogar Prinz Orlofsky kann
wieder lachen. Niemanden interessiert, dass die einzige empfundene Freude, eine
Schadenfreude ist. Schließlich lebt man ohne Konsequenzen, wenn das einzige Ziel ist, sich
zu amüsieren. Die Realität in der Fledermaus bleibt genau so ernüchternd, wie die Realität der
Besucher. Die Probleme des Börsenkrachs und der Unterschied zwischen Adel und Bürgertum
ließen sich nur in einem „märchenhaften Happy End“25 lösen.
25
CSÁKY, Moritz: Zwischen Märchenwelt und Wirklichkeit. Zur Ideologie der „Wiener“ Operette. ¬ In
ADAM; RAINER: Das Land des Glücks. Österreich und seine Operetten.. S. 55
15
Beziehung zwischen der Gesellschaft der Fledermaus und der
Gesellschaft der Gründerzeit
Auf den ersten Blick macht die Fledermaus den Eindruck nicht viel mehr zu wollen, als zu
unterhalten. Wenn man sich länger mit der Operette befasst, erkennt man, dass auch dies eine
weitere Täuschung ist. Es befindet sich auch eine versteckte politische Komponente in dem
Stück.
Das Arbeitsverhältnis der handelnden Personen, die zum Souper geladen sind, wird
größtenteils ausgeblendet.26 Diejenige, die arbeitet, beklagt ihren niederen Stand als
Kammerjungfer. Diejenigen, die zum Ball gehen, wollen vergessen, „was doch nicht zu
ändern ist: ihren Alltag und die Rolle, die er ihnen auferlegt.“ 27 Zur Zeit der Fledermaus war
das Amüsement zu einem eigenen Industriezweig gewachsen, in dem es den Leuten möglich
war, ihrem Alltag zu entkommen.28 Jedoch ist dieses Entkommen nicht für die Ewigkeit
bestimmt. In der Operette begrenzt es sich auf die Dauer des Soupers, sowie den Ort des
Festes. Sobald dieser verlassen wird, ist man wieder zurück in seiner Rolle als Ehefrau,
Gefängnisdirektor oder Verurteilter.
Interessant ist, dass die eigene Situation beklagt wird, aber, mit Ausnahme von Adele, nichts
dagegen unternommen wird. Es ist ein gutes Gefühl, wenn alle gleich sind und sich das Du
anbieten, aber es wird nicht gekämpft, dieses Gefühl aufrecht zu erhalten. Wozu sollte man
auch für seine Gleichberechtigung kämpfen, wenn sich schnell herausstellt, dass man der
Rolle des Marquis und Chevailliers oder der ungarischen Gräfin nicht gewachsen ist. Man ist
nicht einmal der französischen, beziehungsweise ungarischen Sprache mächtig. 29 Für die
Gesellschaft Orlofskys ist das Souper genau das Selbe, wie der Operettenabend für seine
Gäste: eine Flucht vor der Realität.30
Strauss und Genée haben wahrscheinlich keinen Versuch gemacht, mit dieser Operette zu
provozieren, sondern die Situation der Gesellschaft erkannt und wiedergegeben. 31 Immerhin
war Strauss in gewisser Hinsicht selbst abhängig vom Adel. Mehrere seiner Stücke sind für
26
27
28
29
30
31
vgl. STEGEMANN: „Wenn man das Leben durchs Champagnerglas betrachtet...“ - Textbücher der Wiener
Operette zwischen Provokation und Reaktion. S.100
ebd. S.101
vgl. ebd. S.102
vgl. ebd. S.104
vgl. ebd. S.104
vgl. ebd. S.105
16
Monarchen komponiert, wie zum Beispiel der Kaiser Franz Joseph Marsch op.67. Zudem
bekleidete
„die
Strauss-Dynastie
[…]
jahrzehntelang
das
Amt
des
Hofballmusikdirektors[...].“32
Es kann angezweifelt werden, dass die Zuschauer die Kritik an sich selbst erkannt habe.
Wahrscheinlich lebten sie in einer ähnlichen Situation, wie die Personen in der „O je, o je“
Polka. Sie waren zu beschäftigt die eigene Illusion von Glück und Amüsement
aufrechtzuerhalten, um die Ironie der Operette zu erkennen. Die Wahrheit war so schmerzhaft,
dass ein Abend des Vergessens, an dem man die Zeit vor dem Börsenkrach wieder erleben
konnte, zu willkommen war, um Kritik zuzulassen. Diese Vermutung wird bestätigt, da
Strauss zu seiner Zeit vorgeworfen wurde, die kritische Komponente der offenbachschen
Operette aus seinem Werk verbannt zu haben. Daher sah Strauss sich mit Vorwürfen wie
diesen von Egon Friedell konfrontiert: „Der Haupteinwand gegen die 'Fledermaus' aber liegt
darin, daß sie gänzlich domestiziert, problemlos unrevolutionär ist.“33
32
33
ebd. S.106
WEIGEL, Hans: Kleiner Versuch über die „Fledermaus“. ̶ In Programmheft der Wiener Staatsoper zu
»Johann Strauss, Die Fledermaus« der Saison 1979/80 (Premiere: 31. Dezember 1979). Red. Lothar Knessl.
Wien: Österreichischer Bundestheaterverband 1979.
17
Fazit
Bei einer einmaligen Konfrontation mit dem Stück können obengenannte Vorwürfe leicht
entstehen. Es kann nicht von dem Zuschauer verlangt werden, sofort die Kritik an der
Gesellschaft zu erkennen und zu erleben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Operette als
einziges Amüsement empfunden wird. Wenn man sich aber auf das Thema der
Gesellschaftskritik einlässt, kann man diese überall erkennen. Für mich macht gerade diese
Möglichkeit grundverschiedener Betrachtungsweisen die Genialität der Fledermaus aus.
Sogar nach einer sehr intensiven Proben- und Aufführungszeit finde ich immer wieder neue
Aspekte, die es sich zu erforschen lohnt.
18
Literaturverzeichnis
ADAM, Erik; RAINER, Willi (Hrsg.): Das Land des Glücks. Österreich und seine Operetten.
Klagenfurt, Ljubljana, Wien: Verlag Hermagoras 1997
PANAGL, Oswald; SCHWEIGER, Fritz: Die Fledermaus. Die wahre Geschichte einer
Operette. Wien, Köln, u.a.: Böhlau Verlag, 1999,
STEGEMANN, Thorsten: „Wenn man das Leben durchs Champagnerglas betrachtet...“ Textbücher der Wiener Operette zwischen Provokation und Reaktion. Frankfurt am Main,
Wien u.a.: Lang 1995. [= Europäische Hochschulschriften: Reihe 18, Vergleichende
Literaturwissenschaft Bd. 80].
STOVEROCK, Dietrich; CORNLISSEN, Thilo: Die Oper – Schriftenreihe über musikalische
Bühnenwerke – Die Fledermaus – Operette von Johann Strauss. Berlin-Lichterfelde:
Robert Lienau
STRAUSS, Johann: Johann Strauss (Sohn) Gesamtausgabe. Hrsg. von der Johann-Strauss
Gesellschaft Wien unter der Leitung von Fritz Racek. Serie II: Bühnen- und Vokalwerke.
Bd. 3: Die Fledermaus. Wien: Doblinger/ Universal Edition, 1974
ZIMMERSCHIED, Dieter: Operette. Phänomen und Entwicklung. Bd. 15. Wiesbaden:
Breitkopf & Härtel
Der Crash der Finanzmärkte nach der Gründerzeit. o.Hrsg. URL http://www.geschichteoesterreich.com/ereignisse/1873/gruenderkrach.html
Programmheft der Wiener Staatsoper zu »Johann Strauss, Die Fledermaus« der Saison
1979/80 (Premiere: 31. Dezember 1979). Red. Lothar Knessl. Wien: Österreichischer
Bundestheaterverband 1979.
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Besetzungslisten
von
Johann
Strauss
„Die
Fledermaus“
am
Schlosstheater Schönbrunn unter der Leitung von Filip Paluchowski
Samstag, 23. März 2013
Eisenstein
Till von Orlowsky
Rosalinde
Ana Raquel Paulo
Frank
Florian Pejrimovsky
Orlofsky
Irena Weber
Alfred
Yohan Cho
Dr. Falke
Philippe Spiegel
Blind
David Jagodic
Adele
Theresa Krügl
Frosch
Florian Haslinger
Ida
Alice Waginger
Sonntag, 24. März 2013
Eisenstein
Martin Hulan
Rosalinde
Bettina Schweiger
Frank
Matthias Hoffmann
Orlofsky
Laura Schneiderhan
Alfred
Yohan Cho
Dr. Falke
Lothar Burtscher
Blind
David Jagodic
Adele
Theresa Krügl
Frosch
Florian Haslinger
Ida
Alice Waginger
20
DVD Trackliste
Track Titel
Aufführungstag
1
Nr. 1a Introduktion (Adele, Alfred)
23. März
2
Nr. 4 Terzett (Rosalinde, Eisenstein, Blind)
23. März
3
Nr. 5 Finale I (Rosalinde, Alfred, Frank)
ab Marziale T.103 bis T.250
23. März
4
Nr. 7 Couplet (Orlofsky)
24. März
5
Nr. 10 Csárdás (Rosalinde)
23. März
6
Nr. 11a Finale II: Ensemble mit Chor (Rosalinde, Adele, Ida, 24. März
Orlofsky, Eisenstein, Frank, Falke, Chor mit Soli)
7
Nr. 14 Couplet (Adele)
23. März
8
Nr. 15 Terzett (Rosalinde, Alfred, Eisenstein)
ab T.165 bis Ende
23. März
9
Nr. 16 Finale III. (Rosalinde, Adele, Ida, Orlofsky, Alfred 23.03.14
Eisenstein, Frank, Falke, Chor mit Soli)
21
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