Gefängnisschule wurde zum Opernhaus

Werbung
6
Freitag, 30. Dezember 2011
NECKAR−ODENWALD
Rhein-Neckar-Zeitung / Nr. 302
Gefängnisschule wurde
zum Opernhaus
Einzigartiges Gemeinschaftsprojekt mit dem Landesjugendorchester
in Vollzugsanstalt Adelsheim – Begeisterndes Musiktheater
Adelsheim. (ub) Zu einem Opernhaus
wurde für eine Woche die Gefängnisschule der JVA Adelsheim. Grund war ein
Gemeinschaftsprojekt mit dem Landesjugendorchester. Höhepunkt war die
Aufführung eines Musiktheaterstücks.
Beziehungsreich begann das Musiktheater, das in der Jugendvollzugsanstalt
Uraufführung hatte. Drei Strafgefangene jonglierten mit Bällen; darauf die
Buchstaben JVA (für Jugendvollzugsanstalt) und LJO (Landesjugendorchester). Damit waren die Protagonistengruppen benannt. Das Spiel begann. Titel: „Himmelsgeigen und Höllenfeuer“.
Gespielt, gesungen, musiziert, getanzt, gerappt wurden Szenen aus dem
Leben des Geigenbauvirtuosen Jakob
Stainer, der von 1618 bis 1683 lebte. Politisch gesehen ist dies die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, musikalisch befindet man sich im Frühbarock. Stainer, der
wegen „ketzerischer Bicher“ in Konflikt
mit der Kirche kam, sei als sozialer Außenseiter, als Handwerker, als freiheitlich denkender Mensch eine Identifikationsfigur für die Insassen, begründen die
Macher das einzigartige Projekt.
Aber: Barockmusik im Knast – geht das
zusammen? Es geht. Im Mehrzweckraum
der soeben renovierten Anstaltsschule
erlebten schließlich rund 100 begeisterte
Zuhörer eine Uraufführung.
Eine Woche lang hatten 20 Insassen
der JVA (Schüler des künftigen Hauptschulkurses) zusammen mit Mitgliedern
des Landesjugendorchesters geprobt.
Dirigentin Anna-Sophie Brüning, musikalische Leiterin des Experiments, sah die
Gefängnisschule für eine Woche in ein
Opernhaus verwandelt. Und mehr noch:
Regisseurin Paula Fünfeck hatte mit den
jungen Straftätern eine Dramaturgie erarbeitet, Stimmtraining durchgeführt,
Choreographien ausgetüftelt, chorisches
Singen und Sprechen geübt. Auch wurden Ideen und Talente der Darsteller in
das Stück eingebaut; Breakdance, Liegestütze, Rap. Außerdem galt es, Bühnenbild und Beleuchtung einzurichten. In
Rektor Udo Helbig und weiteren Mitarbeitern der Anstalt fanden sich engagierte Helfer. In die Produktion einbezogen waren zudem die JVA-eigene Filmcrew und die internen Zeitungsmacher.
Die Jungs aus der JVA agierten in
schwarzen Klamotten, der Hauptdarsteller trug anfangs die Kluft eines Geigenbauers und Liebesgott Cupido hatte
man auf seinen athletischen Oberkörper
ein Organza-Flügelpaar geschnallt.
Die weibliche Hauptrolle, Stainers
Angebetete Margarete, wurde von der 16jährigen Daniela Töws (Möckmühl), Musikerin des Landesjugendorchesters, mit
jugendlichem Liebreiz gespielt. Eben-
Die Aufführung des Musiktheaterstücks „Himmelsgeigen und Höllenfeuer“ war der krönende Abschluss eines Gemeinschaftsprojekts der Vollzugsanstalt Adelsheim und des Landesjugendorchesters. Foto: Ursula Brinkmann
falls aus den Reihen des LJO wurde die
Rolle des Geige spielenden Todes sowie
des Sprechers besetzt.
Dass Paula Fünfeck ausgebildete
Opernsängerin ist, das bekamen die Zuhörer klanggewaltig zu hören. Als liebestolle Valentina versucht sie den jungen Geigenbauvirtuosen mit Witz und
Raffinesse zu becircen. Immer wieder
nahm das Stück mit der Musik des Barockkomponisten Heinrich Biber Bezug
zum Heute, auf Hartz IV oder DSDS.
„Die haben was gemacht, was sie noch
nie gemacht haben“, beschrieb Regisseurin Paula Fünfeck das Spiel der JVAInsassen. Nachdem Anna-Sophie Brüning im Juli 2011 mit einem 80-köpfigen
LJO-Ensemble in der JVA auf offene Ohren für klassische Musik gestoßen war,
entstand die Idee für das ungewöhnliche
Kooperationsprojekt in Adelsheim.
Dass daraus etwas Begeisterndes, Be-
reicherndes für alle entstehen kann, das
hat die Uraufführung bewiesen. Die Erfahrung, dass Musik Gefühle mobilisieren kann, die Erfahrung, dass Anstrengung und Kreativität, dass Disziplin und
Spaß keine Gegensatzpaare sind, haben
die Künstler auf beiden Seiten gemacht.
Nach Ansicht der Regisseurin haben die
jungen Gefangenen im Theaterspiel –
trotz objektiver Unfreiheit – innere Freiheit errungen.
Herunterladen