6. Philharmonisches Konzert Reihe B Donnerstag, 2. Juni 2011 20 Uhr Volkshaus »The Adventures of a Trumpet« Aaron Copland (1900-1990) Appalachian Spring – Ballettsuite Aaron Copland »Hoe-Down« aus Rodeo Wolf Kerschek (*1969) Variations on a Simple Song für Jazztrio und Orchester Uraufführung Pause Wolf Kerschek Adventures of a Trumpet für Trompete, Jazztrio und Orchester Dirigent: Wolf Kerschek Trompete: Matthias Höfs Jazztrio Klavier: Boris Netsvetaev Schlagzeug: Konrad Ullrich Bass: Omar Rodriguez Calvo Der Dirigent Wolf Kerschek begreift sich im weitesten Sinne als 'Weltmusiker', der fortwährend versucht, möglichst viel über Musik verschiedener Kulturen zu erfahren und diese in sein Spiel und seine Kompositionen mit einfließen zu lassen. Er spielte, schrieb und dirigierte u.a. für das BundesJazzOrchester unter der Leitung von Peter Herbholzheimer, war mit unterschiedlichsten Formationen auf Tourneen in den USA, Russland, dem Baltikum, Spanien, Portugal, Finnland, Skandinavien, England, den Beneluxstaaten, der Schweiz, wo er u.a. auf dem Montreux Jazz Festival spielte, unternahm Studienreisen nach Brasilien, Indonesien und Afrika, trat in Radio und Fernsehen mit Musikern wie John Taylor, Jeorge Degas, Arkadi Shilkloper, Trilok Gurtu, Joe Gallardo auf und spielte bis heute über 50 CDs ein. Wolf Kerschek studierte und graduierte an der Musikhochschule Hamburg und absolvierte danach ein Studium als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes am Berklee College of Music in den Fächern Vibraphone, Contemporary Writing and Production und Filmscoring. Seit seiner Rückkehr aus den USA gastiert er als Musiker, Arrangeur und Dirigent bei den Big Bands des Norddeutschen, Westdeutschen und Hessischen Rundfunks, verfertigt Auftragskompositionen, arrangiert und dirigiert Orchesterproduktionen für unterschiedliche Auftraggeber und ist Professor für Jazztheorie und Ensembleleitung sowie Dozent für Filmmusik an der Hamburger Musikhochschule. 2006 orchestrierte und dirigierte er die FIFA Hymne (die vor jedem WM-Spiel eingespielt wurde) und erhielt einen Klassik-Echo-Preis für seine musikalische Arbeit an der TV Serie Little Amadeus, 2008 erhielt er einen weiteren Echo für »Save our Songs« (SOS) mit dem Vokalensemble Singer Pur. Zu seinen letzten Arbeiten gehören Orchestrierungen für die aktuellen Tourneen von Helene Fischer und Roger Cicero. Die Solisten Matthias Höfs studierte bei Prof. Peter Kallensee an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, wo er das Konzertexamen mit Auszeichnung abschloss. Danach wechselte er zu Konradin Groth an die Karajan-Akademie der Berliner Philharmoniker. Schon früh machte er international auf sich aufmerksam: Jeweils erste Preise wurden ihm 1987 beim Wettbewerb der Musikhochschulen sowie 1990 beim Internationalen Musikwettbewerb in Markneukirchen verliehen. 1983 erhielt er den HanseKulturpreis der Stadt Lübeck, 1988 den Eduard-Söhring-Preis und 1989 ein Stipendium des Deutschen Musikrats und der Mozartgesellschaft. Ein Schwerpunkt seiner musikalischen Tätigkeit liegt unter anderem in regelmäßigen Konzerten mit dem international renommierten Blechbläserensemble GERMAN BRASS. Seit 1985 ist Matthias Höfs Mitglied dieses Ausnahme-Ensembles und zeichnet seitdem als Co-Arrangeur mit Enrique Crespo für das Repertoire verantwortlich. Bis zur Berufung als Professor für Trompete und Kammermusik an die Hochschule für Musik und Theater Hamburg im Jahr 2000 war Matthias Höfs Solo-Trompeter des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg und ist dort auch jetzt noch gern gesehener Gast. Weiterhin wird er regelmäßig von den bedeutenden deutschen Sinfonieorchestern wie z.B. bei den Berliner und Münchener Philharmonikern eingeladen. Als Gastdozent ist er rund um die Welt gefragt. Einladung wie z.B. an das Tschaikowsky- Konservatorium Moskau, zur Sommerakademie des SchleswigHolstein-Musikfestivals, an das Königliche Musikkonservatorium Kopenhagen, nach Mexiko oder Japan bestätigen dies. Als renommierter Solist konzertiert er international. Reisen führen ihn auf nahezu alle Kontinente der Welt – neben Japan sind auch die USA ein Schwerpunkt seiner musikalischen Tätigkeit. Seine erste Solo-CD »Un Concerto Italiano« für Trompete und Orgel erschien 1995. Weitere CDAufnahmen waren 2002 die Solo-CD »An English Concert« für Trompete und Orgel, 2005 »Fagottkonzerte des 20. Jahrhunderts«, 2006 gemeinsam mit Hans Gansch »Gansch Meets Höfs«, 2007 »Trumpet Acrobatics« Sound mit dem für diese Produktion gegründeten Ensemble Hamburg Philharmonic Soloists, 2009 »The Trumpet Shall« Sound und 2010 »Solo de Concours« mit dem Pianisten Stephan Kiefer. Neben dem gängigen klassischen und barocken Repertoire der Trompetenliteratur widmet sich Matthias Höfs auch der zeitgenössischen Literatur für sein Instrument. So schrieben namhafte Komponisten wie Eino Tamberg, Peter Lawrence, Christian Mühlbach, Dieter Einfeldt und Enrique Crespo ihm Werke auf den Leib, die Matthias Höfs dann auch uraufführte. Boris Netsvetaev wurde im russischen Sankt Petersburg geboren, wo er bereits Musiktheorie und Komposition studierte. Nach seinem Umzug nach Hamburg konzentrierte er sich vor allem auf den Jazz und spielte bald mit Größen der Szene wie Steve Reid und Wolfgang Schlüter. Neben seiner Tätigkeit als Pianist und Keyboarder, die ihn auf eine Vielzahl internationaler Jazzfestivals führte, komponiert Netsvetaev und leitet eigene Projekte. Im Jahr 2000 gewann er den Jugendmusikpreis MEDICA-pro-Musica und 2006 das Dr. Langner Jazzstipendium. Konrad Ullrich, 1983 in Neubrandenburg geboren, spielte in seiner Schulzeit in diversen Rock- und Popformationen der Umgebung. Inspiriert durch eine Musikschulbigband begann die ausführliche Beschäftigung mit der Jazzmusik, woraus der Wunsch zum Musikstudium entstand. Daraufhin erhielt er Unterricht beim renommierten Berliner Schlagzeuger Holger Nell. Nach der Beendigung der Schulausbildung folgte das Studium an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg, wo er von Schlagzeugern wie Danny Gottlieb, Tom Rainy, Mark Walker, Wolfgang Haffner und Gary Husband unterrichtet wurde. Gleichzeitig spielte er auch im Bundesjugend Jazzorchester unter der Leitung von Peter Herbolzheimer. 2006 wurde er mit dem Jazzstipendium der Dr. E.A. Langner-Stiftung ausgezeichnet, was ihm einen Studienaufenthalt in New York ermöglichte. Der Schlagzeuger arbeitet zur Zeit in vielen Projekten der Hamburger und Berliner Jazzszene und konzertiert national und international mit namhaften Musikern. Omar Rodriguez Calvo wurde 1973 in Mantanzas auf Kuba geboren. Dort begann er auch mit der Musik, bevor er in Havanna Kontrabass und E-Bass in Klassik, Jazz und populärer Musik studierte. Seit 1994 lebt er in Hamburg und spielt seitdem mit bekannten Musikern des Jazz wie Joe Gallardo, Nils Landgren, Roy Hargrove und Mike Stern, den Big Bands des NDR und HR wie auch verschiedenen Sinfonieorchestern. Die Komponisten und ihre Werke Der amerikanische Modernist Aaron Coplandentstammt einer litauisch-jüdischen Einwanderfamilie und wurde 1900 als jüngstes von fünf Kindern in New York geboren. Durch das musikalische Interesse seiner Mutter kam Copland, der auch als Kind schon viel las, zur Musik. Durch sein Umfeld war er mit jüdischer Musik und dem populären Jazz der Zeit vertraut. Das Erlebnis eines Konzerts des Pianisten Ignaz Paderewski führte ihn mit 15 zur Entscheidung, Komponist zu werden. Durch Rubin Goldmark erhielt er seine grundlegende musikalische Ausbildung mit besonderem Augenmerk auf die deutsche Tradition. Stilistisch ging er bald über seinen konservativen Lehrer, den er auch später noch sehr schätzte, hinaus. Regelmäßige Opern- und Konzertbesuche sowie ein musikalischer Freundeskreis ergänzten seinen Unterricht. Nach dem Schulabschluss spielte er zunächst in Tanzkapellen und komponierte in seiner Freizeit. Sein Interesse an zeitgenössischer Musik führte zur Entscheidung, in Paris Musik zu studieren. Dort wurde er Schüler der berühmten Nadia Boulanger, für die er nach anfänglichem Zögern eine starke Bewunderung entwickelte: „Diese intellektuelle Amazone ist nicht nur Professorin am Conservatoire, nicht nur vertraut mit der ganzen Musik von Bach bis Strawinsky, sondern auch offen für die schrecklichsten Dissonanzen. Aber täusch' Dich nicht … eine charmantere, femininere Frau hat es nie gegeben.“ Ihr war es vor allem zu verdanken, dass Copland statt einem Jahr drei in Paris verbrachte, wo er natürlich auch viele amerikanische und europäische Künstler von Weltrang kennenlernte. Nach einer Rückkehr nach New York siedelte er sich in der Nähe der Carnegie Hall an, um nahe am musikalischen Herzen der Stadt zu sein. Mit Stipendien, Auszeichnungen, kleinen Kompositionsaufträgen, Vorträgen, Konzerten und Unterricht fristete er seinen Lebensunterhalt. Zunächst versuchte er, sich in der Avantgarde junger amerikanischer Komponisten zu etablieren. Er sah sich einer Idee verpflichtet, die das Spezifische der amerikanischen Demokratie reflektierte. Dafür gab es in der klassischen Musik nur wenige Vorbilder, so dass zwangsläufig Elemente des Jazz zum unverzichtbaren Bestandteil seiner Musik wurden. Bald schon wurde Copland auch dieses Idiom suspekt und er versuchte, mit zeitgenössischen klassischen Techniken einen eigenen Weg zu finden. Mit konzertant-sinfonischer Musik war er jedoch sowohl öffentlich als auch in der eigenen Wahrnehmung nicht dauerhaft erfolgreich, da diese an die Grenzen des fassbaren und spielbaren stießen, weshalb er sich in den 1930er Jahren der sogenannten Gebrauchsmusik widmete, die einerseits leicht erlernbare Musik für den Unterricht umfasste und zum anderen zweckgebundene Musik für Bühne, Film und Radio. Die politischen Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und mehrere Reisen nach Mexiko wandten Coplands Modernismus in eine populärere Richtung, die aber auf charakteristischen Elementen und den Erfahrungen früherer Werke aufbauten und ihr erstes Ergebnis in »El Salón México« (1936) fanden. In der Folge arbeitete er häufiger für die Bühne und schrieb 1939 seine ersten Filmmusiken für Hollywood. Mit Kompositionen für das Ballett wie Billy the Kid und Rodeo gelang es ihm, ein Repertoire zu schaffen, das gerade in der Zeit des Zweiten Weltkrieges wichtig als kulturelles Symbol für die nationale Identifikation wurde. Die Choreographin und Tänzerin Martha Graham bat Copland 1942 um die Musik für eine neues Ballett nach ihren Vorstellungen. Das Geld dafür stellte Elizabeth Collidge mit ihrer Stiftung zur Verfügung. In einem Brief an sie drückte der Komponist seine Freude über die baldige Zusammenarbeit mit der Tanzikone Graham aus: „Ich bin seit vielen Jahren ein Bewunderer der Arbeit von Miss Graham und habe mehr als einmal gehofft, wir würden zusammenarbeiten.“ Die ersten Entwürfe Grahams streiften religiöse und indianische Motive und den Bürgerkrieg, bald aber konzentrierten sie sich auf den amerikanischen Pioniergeist. Im vollendeten Ballett steht ein junges Paar im Mittelpunkt, das seinen Platz in der Gemeinschaft finden muss und sich ein Zuhause in Form eines Farmhauses aufbaut. Konfliktpotential findet sich vor allem in der Härte des Landlebens und der Auseinandersetzung mit religiösen Vorstellungen. Wie in anderen Werken versuchte Copland, den Geist der einfachen Menschen, wie sie in der Musik porträtiert werden, durch die Verwendung einer Volksmelodie einzufangen. Mit Simple Gifts fand er ein Lied der Shakergemeinde, das seinen Vorstellungen entsprach und das er effektvoll in fünf Variationen verarbeitet. Aaron Copland vollendete die Ballettmusik, die bis dahin bei ihm einfach »Ballet for Martha« hieß, 1944 und das Werk wurde Ende Oktober des Jahres uraufgeführt. Der Titel »Appalachian Spring« geht wiederum auf Martha Graham zurück, die eine Strophe aus dem epischen, expressionistischen Gedicht »Die Brücke« von Hart Crane vorschlug. Im Abschnitt Der Tanz finden sich dort folgende Zeilen, die auch mit der verbreiteten Vorstellung aufräumen, dass hier der Frühling in den Appalachen beschrieben würde: Oh Quelle der Appalachen! Ich erreichte den Vorsprung; Steiles, unzugängliches Lächeln, das sich nach Osten beugt Und nordwärts greift in den violetten Keil der Adirondackberge! Das verwendete Kammerorchester besteht nur aus 13 Musikern, doch dem Komponisten gelang es, ein Höchstmaß an klanglichen Nuancierungen zu erzeugen. 1945 erhielt er für seine Komposition den Pulitzerpreis für Musik und formte diese zudem zu einer Orchestersuite um, die den Großteil der Ballettmusik verwendet und diese damit einem größerem Publikum zugänglich macht. Die achtteilige Suite besticht vor allem durch ihre Einfachheit und Eindringlichkeit, die den Stil Coplands in seiner post-modernistischen Phase charakterisiert. Der »Hoe-Down« ist ein Volkstanz der Appalachen, den Copland für das Finale seiner Ballettmusik »Rodeo« verwendete. Er selbst bezeichnete das Ballett als die Cowboy-Version von Shakespeares »Der Widerspenstigen Zähmung«. Fast hätte Copland den Auftrag abgelehnt, da er sich nach »Billy the Kid«nicht wieder im gleichen Milieu versuchen wollte. Schließlich wurde »Rode«o zu einem seiner größten Erfolge, was nicht zuletzt den vielen populären Melodien geschuldet ist, die Copland verarbeitet. Sein Vorbild war für »Hoe-Down« im wesentlichen »Bonyparte oder Bonaparte's Retreat« in der Interpretation von William H Stepp. Deutlich hörbar geht dieses Stück auf die irische Tradition der Jig, einem Springtanz zurück, der im amerikanischen Kontext zu einem Wettbewerb der besten Tänzer wurde. In »Hoe-Down« selbst gibt es vor dem Kehraus eine kurze Beruhigung, in der eine weitere Melodie zitiert wird, »McLeod's Reel«. Besonders wirkungsvoll ist hier die Verbindung der Streicher mit dem Xylophone und anderen Schlaginstrumenten. Wolf Kerschek ist vor allem Komponist aus Leidenschaft. In seinen Werken verbindet er die vielfältigen Erfahrungen seiner musikalischen Laufbahn, sowohl was stilistische Einflüsse als auch persönliche Begegnungen betrifft. Auf der Grundlage der europäischen Klassik werden Jazz, südamerikanische Musik, weitere folkloristische Traditionen und Experimentelles zu einem integrierten Ganzen und verschmelzen mit den individuellen Fähigkeiten der Interpreten. Im Vordergrund steht für ihn jedoch die Kommunikation und Ausdruck, das Erzählen einer musikalischen Geschichte, in deren Dienst die Vielfalt der Mittel steht. Adventures of a Trumpet entstand im Jahre 2009 für Matthias Höfs, dem das Werk auch gewidmet ist. Es wurde im Rahmen des Projektes »Instrument des Jahres« des Landesmusikrates SchleswigHolstein, in dem 2009 die Trompete im Mittelpunkt stand, in Lübeck uraufgeführt und begeistert aufgenommen. Die individuellen und virtuosen Fähigkeiten Höfs fanden Eingang in die Komposition und entsprechend wurde die Leistung des Solisten auch, wie hier durch die Kieler Nachrichten, gewürdigt: »Welch hohe Töne er seinen vier Instrumenten entlockte, welch halsbrecherische Skalen er absolvierte, welch Zwiegespräch er mit sich selbst auf der zweikanaligen Doppeltrichtertrompete hielt«. Dabei begibt sich der Solist tatsächlich auf ein Abenteuer, da für den klassischen Trompeter musikalische Wege begangen werden, die auch für ihn neu sind und ihn entsprechend neu fordern. Wie auch in anderen Werken fließen moderne Klänge und Spieltechniken in die Komposition ein, die jedoch nicht Selbstzweck sind, sondern sich der musikalischen und dramaturgischen Entwicklung unterordnen. Auch die »Variations on a Simple Song«, die speziell für dieses Konzert entstanden, sind auf die Interpreten zugeschnitten. Einerseits schrieb Kerschek den Orchesterpart für die Jenaer Philharmonie in der Kenntnis deren Erfahrung mit Musik, die außerhalb der klassischen Tradition steht, und stellt somit höhere Anforderungen an das Orchester, als er es für ein beliebiges anderes getan hätte. Zum anderen will der Komponist in diesem Werk die Möglichkeiten des Bassisten im Jazztrio hervorheben, die ihm zu oft im Hintergrund verschwinden. Dabei nutzt Kerschek vor allem die Vertrautheit des Bassisten mit süd- und lateinamerikanischen Musikstilen. Auch die Freiheit und Experimentierfreudigkeit des Jazz finden natürlich ihren Platz in der Anlage des Werkes. Frank Meier