26 AKADEMIETHEATER Nachrichten aus der Unterwelt KATHARINA LORENZ. Der Jungstar des Burgtheaters spielt in Matthias Hartmanns Inszenierung von Jelineks „Schatten (Eurydike sagt)“. W er kennt ihn nicht, den traurigen Die konzertante Uraufführung des AK ADEMIETHEATER Mythos vom Sänger Orpheus Schatten-Dramas fand im Rahmen eines und Eurydike, seiner Frau, die spartenübergreifenden Abends vor dem Elfriede Jelinek von einem Lüstling namens letzten Sommer im Saal der Essener PhilSchatten (Eurydike sagt) Aristaios sexuell belästigt wird, zu fliehen harmonie statt, die Elfriede Jelinek auch Do., 17. Jänner, 19.30 versucht, dabei auf eine Schlange tritt und den Stückauftrag erteilt hatte. Da thronte Regie: Matthias Hartmann sterben muss. Orpheus, der ohne EuryJohanna Wokalek auf einem Haufen KleiBühne: Johannes Schütz dike nicht leben kann, folgt ihr in den Hader und präsentierte als Eurydike in einer Besetzung: Elisabeth Augustin, Brigitta des und betört mit seinem Gesang die Art Lecture Performance eine einstündige Furgler, Sabine Haupt, Alexandra Henkel, Chefs der Unterwelt, selbst der dreiköpVersion des Textes. In der Wiener TheaterKatharina Lorenz, Christiane von Poelnitz, fige Höllenwachhund Cerberos hält die fassung werden nicht eine, sondern gleich Yohanna Schwertfeger, Lucas GregoroSchnauze, und bekommt Eurydike zurück sieben Eurydikes zu sehen sein (siehe Inwicz, Nikolaus Habjan unter der Bedingung, dass er sich auf dem terview mit Matthias Hartmann S. 28). Eine 20. 1., 18.00, 25., 30. 1., 19.30 Uhr Weg zurück ins Reich der Lebenden nicht davon ist der Jungstar Katharina Lorenz, umdreht, was er natürlich nicht schafft. die zuletzt als Fiona-Grasser-Verschnitt in Eurydike ist für immer verloren. Elfriede Jelineks furioser Aktualisierung von Oscar Wildes Ein idealer Mann zusamDieser Mythos nun wurde in den verschiedenen Künsten unzählige Male aufgegriffen und gestal- men mit dem Rest des Ensembles einen glorreichen Erfolg feitet, aber immer aus der Sicht des Orpheus mit Eurydike als erte und immer noch feiert. Jelinek-Texte scheinen ein guter meist stummem Objekt der Begierde. Damit macht nun El- Resonanzboden zu sein für die aparte Schauspielkünstlerin, friede Jelinek radikal Schluss. In ihrem neuen Stück, besser ge- die am Burgtheater ganz klassisch anfangen hätte sollen, in sagt, in ihrer neuen Textfläche Schatten (Eurydike sagt) meldet der Rolle aller Rollen, dem Gretchen in Goethes Faust. sich aus der Hölle die Nymphe zu Wort und zwar mit der beREGIEGROSSMEISTER rüchtigten Wortgewalt der Nobelpreisträgerin, die darauf hinEigentlich hatte Katharina Lorenz gar nicht geplant, am ausläuft, dass Eurydike den Mythos aus ihrer Sicht korrigiert, demontiert und überschreibt. Wie, das wird die Inszenierung Burgtheater zu landen. Die 1978 in Leverkusen geborene von Burgherr Matthias Hartmann zeigen, der die Erstauffüh- Schauspielerin – der berühmte Porträtmaler Kurt Lorenz war ihr Großvater – debütierte 2003 am Schauspiel Hannover. rung der Theaterfassung im Akademietheater herausbringt. Schon drei Jahre später wurde sie für ihre Rollen, die sie unter der Regie von Jürgen Gosch in Berlin und Hannover gespielt hatte, in der alljährlichen Kritiker-Umfrage von Theater heute zur Nachwuchsschauspielerin des Jahres gekürt. Der mittlerSCHATTEN (EURYDIKE SAGT). Katharina Lorenz als eine weile leider verstorbene Regiegroßmeister fragte sie dann der sieben Eurydikes in Matthias Hartmanns Inszenierung. auch, ob sie sich vorstellen könnte, das Gretchen in seinem Faust zu spielen. Katharina Lorenz konnte. Jürgen Gosch hätte im Herbst 2008 am Burgtheater noch in der Ära Bachler beide Teile des Klassikers inszenieren sollen, aber das verhinderte die Krebserkrankung, an der er schließlich auch starb. Damit war für Katharina Lorenz anscheinend auch das Gretchen gestorben, stattdessen erhielt sie vom Burgtheater das Angebot in Jan Bosses Ersatz-Inszenierung von Albees Wer hat Angst vor Virginia Woolf? mitzuspielen, was sie sich nicht entgehen ließ: „Das hat sich super gefügt. Ich hatte einige seiner Inszenierungen gesehen und wollte Jan Bosse immer schon mal kennenlernen und mit ihm arbeiten.“ Dann stand am Burgtheater der Amtsantritt von Matthias Hartmann bevor. Der designierte Intendant hatte sich vom schwerkranken Gosch die Erlaubnis für die Übernahme des bueh1301_AKADEMIETHATER Sc.indd 26 14.12.2012 11:25:52 Uhr FOTOS: REINHARD WERNER/BURGTHEATER (2) 27 Faust-Projekts eingeholt und wollte dabei auch das Gretchen mitnehmen. Und so kam es, dass Katharina Lorenz doch noch die Rolle aller Rollen spielte und von Tobias Moretti als Faust I verführt und in den Wahnsinn getrieben wurde. Jürgen Gosch allerdings bleibt in der Erinnerung der Regisseur, der eine prägende Rolle in der Entwicklung von Katharina Lorenz gespielt hat. „Er hat mich gelehrt“, denkt sie zurück, „sich niemals auszuruhen auf dem, was man meint, zu können oder gefunden zu haben in der Erkundung einer Figur, sondern immer noch weiter zu bohren und zu forschen.“ ENTDECKUNG DES ABENDS Auch die „tolle Arbeit“ mit Matthias Hartmann an Faust I zählt zu den wichtigen Stationen ihrer Entwicklung. Der Regisseur Hartmann hat ihr auf den Proben die Angst vor dem, von so vielen berühmten Vorgängerinnen belasteten Gretchen ge- nommen: „Er hat mich Dinge ausprobieren lassen, und wir haben zusammen so einen speziellen Humor entwickelt. Wir haben oft gelacht auf der Probe und die Rolle wurde dadurch entheiligt und entstaubt. Das hat sehr geholfen, die Direktheit und die Unmittelbarkeit zu finden, mit der ich das spielen wollte.“ Das Resultat bei der Premiere im September 2009 wurde von der Kritik als „Entdeckung des Abends“ und darüber hinaus als „Sensation“ gewertet: die „zugleich zeitgemäßeste und textnaheste Interpretation des Gretchens seit langem“, weil Katharina Lorenz kein einfältiges, dummes Ding, sondern eine selbstbewusste junge Frau zeigte. Die Schauspielkünstlerin blüht in der Regel dann auf, wenn es dem Regisseur gelingt, auf der Probe einen angstfreien Raum zu schaffen, in dem sie zusammen mit einem Ensemble ein Stück zum Leben erwecken kann. „Ich habe schnell Angst“, verrät sie, „und dann mache ich genauso schnell zu. Ebenso ¬ 2013 1 BÜHNE bueh1301_AKADEMIETHATER Sc.indd 27 14.12.2012 11:26:56 Uhr 28 AKADEMIETHEATER INTERVIEW ABGESANG DER LIEBE Matthias Hartmann über seine Inszenierung BÜHNE: In dem Stück unterzieht Elfriede Jelinek den Mythos von Orpheus und Eurydike einem Perspektiven- und Deutungswechsel. Worauf läuft dieser Wechsel hinaus? Anders gefragt: Worum geht es im Zentrum des Stücks? HARTMANN: Jelineks Eurydike ist eine Nachfolgerin von Jackie, BÜHNE: Was für eine Figur ist diese Eurydike in Ihrer Interpretation? HARTMANN: Sie ist aus meiner Sicht nicht EINE Figur, deshalb wird sie in meiner Inszenierung auch von sieben sehr unterschiedlichen Frauen verkörpert, weil ich denke, dass diese Stimme aus der Perspektive einer Frau keine singuläre ist. Sie erzählt gewissermaßen von einer kollektiven, weiblichen Erfahrung, die nicht nur komplex, sondern auch in sich widersprüchlich und ambivalent ist. Und genau da wird es dann interessant. BÜHNE: Dieselbe Frage stellt sich natürlich für Orpheus? Im Text erscheint er als eine Art Pop- oder Rockstar. Wollen Sie ihn als solchen zeigen? HARTMANN: Ja, unbedingt. Wir haben es ja hier mit einem Gegenwartstext zu tun. Die musikalische Ebene ist für mich als Regisseur natürlich entscheidend als Kontrast zu der Sprachgewalt der Autorin. Eurydike und Orpheus befinden sich nicht nur in zwei konträren Welten – also sie unten im Schattenreich und er oben, als Sohn Apolls im Reich der Sonne –, sondern sie äußern sich auch auf verschiedenen Ebenen. Sie kann nur endlos sprechen, er nur endlos singen. BÜHNE: Das Stück spielt im Hades, im Reich der Schatten, also Toten. Können und wollen Sie schon ein bisschen verraten, wie dieses Totenreich in Ihrer Inszenierung ausschaut? HARTMANN: Johannes Schütz hat eine sehr konsequente, minimalistische, schwarze Bühne gebaut. Ich hüte mich aber davor, mit dem Text kongruent zu gehen, deshalb probieren wir gerade vieles aus mit Kostümen, Perücken, einer sprechenden Puppe, Filmmaterial etc. Das erlaubt mir erst mal eine Verspieltheit, Leichtigkeit und auch Ironie, die ich brauche, um nicht erschlagen zu werden von der Schwere des Textes. Ich empfinde das als eine durchaus produktive Reibung. Eurydike spricht zwar aus dem Hades heraus, aber sie erinnert sich ja ständig an ihr Leben, den Biss der Schlange auf der Wiese, ihre Kleidersucht, die Groupies auf Orpheus’ Konzerten ... BÜHNE: Was soll unterm Strich der Inszenierung herauskommen? HARTMANN: Wenn ich das jetzt schon wüsste, würde ich hoffentlich aufhören, Theater zu machen, und mich stattdessen der Mathematik widmen. (loh) MATTHIAS HARTMANN: „Jelineks Eurydike ist eine Nachfolgerin von Jackie, Lady Di oder Schneewittchen.“ wenn ich merke, dass der Regisseur kein Vertrauen in mich hat oder ungeduldig wird, wenn ich für etwas zu lange brauche, dann ist es genauso aus. Aber man muss sich diese angstfreie Zone auch selber schaffen, indem man mutig bleibt und darauf pfeift, ob man jetzt etwas falsch macht oder nicht.“ KONSUMRAUSCH Die Schönheit mit den großen, unschuldigen Augen und der erfrischenden, ungekünstelten Natürlichkeit, die sie auch im Interview verströmt, wurde von Anbeginn ihrer Karriere in das Rollenklischee des arglosen Mädchens wie etwa Alice im Wunderland gesteckt. Der Anblick verleitet, in ihr die liebreizende Naive zu sehen, die sie aber nicht ist und der sie auf der Bühne mit Hilfe ihrer außergewöhnlichen Begabung immer wieder entkommt. Auch die zweite große Naive der Weltliteratur, die Katharina Lorenz dann gleich nach dem Gretchen am Akademietheater spielte, die Desdemona in Jan Bosses Othello zeigte sie nicht als erotisches Unschuldsopferlamm, sondern aufmüpfig, kratzbürstig und selbstbewusst. In Elfriede Jelineks Der ideale Mann wurde dann von Barbara Frey endlich ihr Talent als Mondäne entdeckt: Katharina Lorenz spielt Lady Chiltern atemberaubend als Fiona-GrasserImitat. „Zuerst bin ich erschrocken über den Plan“, erzählt sie, „weil ich gedacht habe, ich bin doch keine Kabarettistin, ich kann das nicht, aber dann hat es unglaublichen Spaß gemacht, das Sittenbild einer Society-Tussi zu zeigen, die Champagner schlürft, Chips isst und über verhungernde Kinder in Afrika lamentiert.“ Und nun ist Katharina Lorenz erstmals in das Abenteuer verwickelt, aus einer Jelinekschen Textfläche ein Stück mit Figuren zu basteln. Zum Zeitpunkt des Interviews kann sie noch nichts Definitives sagen, außer dass sie eine von sieben Eurydikes spielt, die jeweils die verschiedenen Themen personifizieren, die der Text anschlägt. Das Thema von Katharina Lorenz ist der Mode- und Konsumrausch, dem Eurydike auf Erden verfallen war: „Ich spreche darüber, dass sie ein Vermögen für ihre Kleider ausgegeben hat, nur um dahinter zu verschwinden und ihre Angst zu verbergen. Und dass sie ihre Kleider im Jenseits eigentlich viel mehr vermisst als ihren Mann, B den Sänger.“ LOTHAR LOHS FOTO: REINHARD WERNER/BURGTHEATER Lady Di oder Schneewittchen aus ihren Prinzessinnendramen Der Tod und das Mädchen I–V. Wieder verselbständigt sich eine Figur und bricht mit ihrem eigenen Mythos. So auch Eurydike. Sie vermisst zwar ihre Kleider im Schattenreich, aber um „nichts im Tod“ will sie von ihrem narzisstischen Sängergatten Orpheus zurückgeholt werden. Sein so genanntes reales Reich, in dem es nur so wimmelt von kreischenden Groupies, ist ihr unerträglich. Sie will von seinem fatalen Blick zurück nicht festgehalten werden. Erlöst gleitet sie zurück zu den Schatten, ins Körperlose, ins Nichts. Es gibt einen zentralen Satz: „Das Größte aber ist, nicht geliebt zu werden und nicht zu lieben.“ ¬ BÜHNE 1 2013 bueh1301_AKADEMIETHATER Sc.indd 28 14.12.2012 11:26:57 Uhr