Ein europäischer Musiker: Jan Ladislav Dusík (Johann Ludwig [oder Ladislaus] Dussek, Jean Louis Dussek) Abschnitt: Seite: 1. Einführung 2 2. Zur Biographie 3 3. Zum kompositorischen Werk 7 4. Zur musikhistorischen Bedeutung 9 5. Londoner Klaviere und Dusíks Einfluß auf sie 13 6. Zu meinen eigenen Erfahrungen und den späten Klaviersonaten 15 7. Zur Persönlichkeit 23 8. Zu den Musikbeispielen 25 9. Quellen 28 1. Einführung Bei der Vorstellung dieses großen Musikers erlaube ich mir, den Vorgang meines eigenen Bekanntwerdens mit seiner Biographie und seinem Werk einfließen zu lassen, weil dieser bei einem solcherart in Vergessenheit geratenen Genie vielleicht etwas Typisches an sich hat. Als Kind liebte ich seine reizvolle Sonatine in G-Dur Op. 19 Nr. 1 (manchmal auch als Op. 20 gezählt), dazu auch noch die Sonatine F-Dur Op. 19 Nr. 3 (von insgesamt 6 Sonatinen Op. 19), die mir gegenüber anderen kleineren Werken der Klassik schon eine leicht fremdartige Originalität aufzuweisen schien. Wie auch bei Muzio Clementi lag die Frage nahe, wie ein scheinbarer "Kleinmeister" so vollendete Werke der Kleinkunst schaffen konnte. Mit zunehmendem Alter und auch durch die heutige Aktivität vieler professioneller Interpreten angestachelt, wuchs in mir der Wunsch, zu den mir seit Jahrzehnten vertrauten Klavierwerken noch solche hinzu zu entdecken, die für mich - wenn auch alt - Neuland bedeuteten. So genügte mir ein kleiner Anstoß, mich mit den Werken unseres Meisters zu befassen: Die Volksstimme, Magdeburg, ehrte ihn im Jahre 2010 anläßlich seines 250. Geburtstages mit einem Beitrag von ReginaBianca Kubitschek: Nach der Ankündigung "Ein bekannter Musiker war eine Zeit lang Wahl-Magdeburger" lautete der Titel: "Erfand den 'PianoDreh' seitlich zum Publikum" mit der folgenden Zusammenfassung: "Vor 250 Jahren wurde Johann Ludwig Dussek geboren - der Komponist und Pianist lebte im Gefolge des Prinzen Louis Ferdinand in Magdeburg". [1] 2. Zur Biographie In [2] findet man eine erstaunlich umfangreiche Biographie des Meisters, so daß hier eine Beschränkung auf einige ausgewählte Aspekte erfolgen soll. Weitere Informationen stehen mir aus Beitexten von Noten und von CDs zur Verfügung. Zunächst sei ein wichtiger Hinweis von [2] übernommen: " ... nicht zu verwechseln mit Mozarts Prager Freund Franz Xaver Duschek (tschechisch: František Xaver Dušek)". Mir ist es tatsächlich wiederholt passiert, daß auf meine Frage hin die Antwort kam, Dusík sei dem Gesprächspartner bekannt, aber der ältere Mozartfreund gemeint war. Dusík wurde am 12.2.1760 in Tschaslau in Böhmen geboren und starb am 20.3.1812 in Saint-Germain-en-Laye bei Paris. Sein Leben ist durch viele Stationen in diversen europäischen Ländern geprägt, wobei er immer wieder in Diensten von Königs- und Adelshäusern anzutreffen ist, wie dem Statthalter Wilhelm V. von Oranien in den Niederlanden, der Zarin Katharina der Großen in St. Petersburg und dem Fürsten Radziwiłł im heutigen Weißrußland, bis er nach erfolgreichen Konzerten, besonders in etlichen deutschen Städten, "von 1786 bis 1789 ... als Pianist, Komponist und Pädagoge in Paris tätig" war, "wo er ein überaus enger Freund des französischen Königspaares und vieler anderer französischer Persönlichkeiten war (er verkehrte auch im Salon Beaumarchais) ...1788 führte ihn eine Konzerttournee durch mehrere italienische Städte bis nach Mailand." [2] 1789, nach [2] sehr wahrscheinlich noch vor Ausbruch der französischen Revolution, ging Dusík nach London. Mit Blick auf sein privates und öffentliches Leben dort kann sein folgendes Lebensjahrzehnt als besonders glücklich und erfolgreich bezeichnet werden. Noch einmal zurückblickend auf die Zeit vor dem Pariser Aufenthalt, sei Regula Rapp wie folgt zitiert: "... 1782 finden wir ihn als namhaften Virtuosen in Hamburg wieder. In der musikalisch-kulturell lebendigen Hansestadt soll er die Bekanntschaft Carl Philipp Emanuel Bachs gemacht haben, vielleicht hat dieser ihn sogar unterrichtet." Etwas später "..., startete Dussek eine ausgedehnte Konzerttour durch ganz Deutschland, auf der er nicht nur als Klavier-, sondern auch als Glasharmonika-Virtuose brillierte. Ende 1786 begleitete Dussek den Hofmeister des französischen Gesandten in Deutschland in die Musikhauptstadt Paris, wo er bis 1789 am Hofe und speziell vor Marie Antoinette als Pianist auftrat und ein gefragter Musiklehrer war. Die engen Kontakte zum Adel machten ihn bei den Revolutionären verdächtig, und so floh Dussek (wie viele seiner Kollegen) beim Ausbruch der Französischen Revolution nach England." [6] So bleibt es fraglich, ob es Dusík schon vor der Revolution und unabhängig von ihr nach London trieb oder ob seine Gefährdung dafür ursächlich war. Von dem letzteren geht auch Andreas Staier aus: "Zwei Städte sind es, in denen er sich für längere Zeit niederläßt: Paris und London. 1786 bis 1789 lebt er in der französischen Hauptstadt. Er verläßt sie während der revolutionären Wirren, wohl zu Recht fürchtend, sein enger Kontakt zu Marie-Antoinette könnte ihm dort zum Verhängnis werden. ...[5] In diesem Zusammenhang erfahren wir von Staier noch das folgende interessante biographische Detail: "Hier fragt man sich, ob der anfangs zitierte Autor - übrigens der Pariser Korrespondent der 'Allgemeinen musikalischen Zeitung' (Leipzig) - in seinem Nachruf auf Dussek recht damit hat, wenn er Dussek umstandslos als 'deutschen Komponisten' vereinnahmt. Denn besagter Salonton kommt wohl eher aus Paris oder London als aus Wien, und erstaunlicherweise ist gerade Wien das einzige große Musikzentrum, das der weitgereiste Virtuose nie betreten hat." [5] Seit 1792 mit einer Musikerin, einer ehemaligen Schülerin, verheiratet, betrieb er in London später gemeinsam mit seinem Schwiegervater einen Musikverlag und Musikalienhandel. Wurde 1799 noch seine Tochter geboren, so ging die Londoner Zeit im gleichen Jahr auf dramatische Weise zu Ende. Wegen drohenden Konkurses der Firma floh der Meister, während sein Schwiegervater in Haft kam. Frau und Tochter hat Dusík niemals wiedergesehen, wobei seine Ehe leider durch Untreue beider Partner bereits zerrüttet war. Überhaupt gab es wohl in Dusíks Leben noch einige weitere LiebesAffären. Das ist bedauerlich, eine moralische Bewertung aber nicht unsere Sache. Unsere Sache ist eine große Dankbarkeit für das uns überkommene Lebenswerk des Musikers. Anfang des Jahres 1800 kam er in Hamburg in Kontakt mit dem preußischen Prinzen Louis Ferdinand, der als Neffe Friedrichs des Großen selbst ein begabter Musiker war und vormals Unterricht bei Beethoven gehabt hatte. Lorenz Luyken schrieb über den Prinzen: "Louis Ferdinand, eine charismatische, vielfältig begabte Person, musizierte nach Beethovens berühmtem Urteil 'gar nicht prinzlich oder königlich, sondern wie ein tüchtiger Klavierspieler'...". [8] Von Regula Rapp erfahren wir: "Wenig später brach Dussek zu einer triumphalen Konzert-Tournee in seine böhmische Heimat auf; die Kritiken sprachen von einem 'non plus ultra der Kunst'." [6] Dann "nahm Louis Ferdinand ihn" im Mai 1804 "mit in die Garnisonsstadt Magdeburg. Von da an bis zu Louis Ferdinands Tod war Dusík Lehrer, Kammermusikpartner, Kapellmeister, Gesellschafter und auch Zechkumpan des Prinzen, ohne daß ein fester Vertrag zustande gekommen war. Durch die Beziehungen Louis Ferdinands hatte Dusík auch Zugang in Kreise so prominenter Persönlichkeiten wie Johann Wolfgang von Goethe und Louis Spohr." [2] Für die Magdeburger Zeit sei noch ohne Kommentar ein längeres Zitat aus dem einleitend erwähnten Volksstimme-Beitrag angefügt: "Zeitzeugen berichten, wie der Prinz im Morgengrauen aufstand, nur in Hemd und Unterhose sich vor dem Klavier niederließ und gemeinsam mit dem nur mit einem Schlafrock bekleideten Dussek musizierte. Das taten sie auch noch, als sich der Empfangssaal im Fürstenbau der Dompropstei im Laufe des Vormittags mit Offizieren füllte. Der Musiker paßte sich schnell dem ausschweifenden Lebensstil seines preußischen Freundes an. Dussek verfiel immer mehr dem Alkohol, der im Hause des Prinzen quasi in Strömen floß. Prinz Louis Ferdinand fiel im Oktober 1806 in der Schlacht von Saalfeld. Neben dem Musiker Louis Spohr wird auch Dussek nachgesagt, als erster den Pianoflügel seitlich zum Publikum aufgestellt zu haben, um durch den angehobenen Deckel den Schall besser ins Publikum zu leiten. Da sich die beiden Musiker im Hause des Prinzen Louis Ferdinand in Magdeburg begegnet waren, mag die Idee vielleicht in einem gemeinsamen Gedankenaustausch geboren worden sein." [1] Für mich als Magdeburger ist interessant, daß Dusíks Magdeburger Zeit auch in [2] durch folgende Passage mit Gewicht versehen ist: "Daß ein sehr freundschaftliches und vertrautes Verhältnis zwischen dem Böhmen und dem Prinzen bestanden haben muß, steht außer Zweifel; man nehme als Beispiel eine Notiz von Louis Ferdinands Adjutanten Carl Graf von Nostiz: „[…] und um 6 Uhr Tafel. Hier erwarteten uns Frauen und die Gesellschaft munterer Männer […] Ausgewählte Speisen und guter Wein, besonders Champagner […], stillte Hunger und Durst, doch das Mahl […] wurde durch Musik und den Wechsel heiterer Erholung weit über das gewöhnliche Maß verlängert. Neben dem Prinzen stand ein Piano. Eine Wendung und er fiel in die Unterhaltung mit Tonakkorden ein, die dann Dussek auf einem anderen Instrument weiter fortführte. So entstand oft zwischen beiden ein musikalischer Wettkampf, ein musikalisches Gespräch konnte man es nennen, das alle durch Worte angeregte Empfindungen der Seele in bezaubernden Tönen lebhafter fortklingen ließ.“ " Folgen wir schließlich nochmals der Quelle [2], die hier offenbar recht zuverlässig informiert. Danach ging diese musikalisch intensive Partnerschaft jäh zu Ende, als der Prinz am 10.10.1806, 4 Tage vor der Schlacht bei Jena und Auerstedt, als Kommandant einer preußischen Vorhut im Kampf mit Napoleonischen Truppen fiel. Weiter heißt es: "Nach dem Tod des Prinzen war Dusík eine kurze Zeit beim Prinzen von Isenburg angestellt, bevor er erneut nach Paris zog, wo er die letzten Jahre seines Lebens vom französischen Minister Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord abhängig war." [2] Für diese Zeit erfahren wir noch: "Er soll viel zu korpulent gewesen sein in diesen letzten Lebensjahren, und er soll zu viel getrunken haben. Am 20. März ist Jan Ladislav Dussek an Gicht gestorben, betrauert von der musikalischen Gesellschaft in ganz Europa." [6] 3. Zum kompositorischen Werk Da auf spezielle Werke später detaillierter eingegangen werden soll, folgt hier zunächst die Wiedergabe einer überblicksmäßigen Gesamtdarstellung: "Jan Ladislav Dusík war sein Leben lang von seinem kompositorischen Schaffen unabhängig. Er war in erster Linie ein gefeierter Virtuose, der ganz Europa bereiste und darin eine gewisse Unabhängigkeit erreichte (er stellt zweifelsohne einen, wenn nicht den ersten Liszt-Vorgänger dar, welcher rund 30 Jahre später Europa in seinen Bann ziehen wird). Sein recht umfangreiches Werk (Das C.-Verzeichnis nach Craw nennt immerhin 287 + 17 Werke) kann, wenn man seine große Bedeutung repräsentieren will, auf eine beträchtlich kleinere Auswahl reduziert werden. Als Virtuose komponierte er überwiegend für sein Instrument, neben Solostücken auch eine Klavier-Kammermusik und Solokonzerte. Lediglich einige Ouvertüren, eine Osterkantate und die Streichquartette op. 60 gehören dem Genre der klavierlosen Orchester- bzw. Instrumentalmusik an. Ein leider relativ großer Teil seiner Soloklaviermusik war hauptsächlich auf oberflächliche Technik ausgelegt; Werke, die schnell niedergeschrieben und gut zu spielen waren (Die meisten dieser 'sonatinenhaften' Sonaten finden sich in den Jahren 1789 bis 1799)." [2] Nach einer bestimmten Zählung wird die Anzahl seiner Klaviersonaten mit 31 oder 32 angegeben. Interessant ist der Hinweis: "Unter den frühen Sonaten, zwischen 1786 und 1789 entstanden, finden sich überraschenderweise die virtuosesten und technisch anspruchsvollsten Stücke, obgleich die größten Erfolge als Pianist erst über die kommenden Jahre eintreten sollten." [2] "Die fünf späten Sonaten, von der Élégie harmonique in fis-Moll op. 61 bis zur L'invocation in f-Moll op. 77 gehören (bis auf die Sonate in D-Dur op. 69/3) zu Dusíks bedeutendsten Werken, stehen in ihrer Qualität den Klaviersonaten anderer Meister jener Zeit in nichts nach. Während die Élégie harmonique ein freies, fast rhapsodisches Werk ist, präsentieren die drei Sonaten in As-Dur op. 64 (geschrieben anläßlich seiner Rückkehr nach Paris; auch als op. 71), Es-Dur op. 75 und f-Moll op.77 den typischen späten Dusíkschen Spätstil, der sich u. a. im letzten Klavierkonzert in Es-Dur op. 70 oder der Sonate zu vier Händen in B-Dur op. 74 findet, welcher sich durch elegante, fast schon salonhafte Brillanz, höchst anspruchsvolle Mehrstimmigkeit (z. B. in der Sonate op. 64: Eine sich aufwärtsschraubende Sechzehntel-Linie bei gleichzeitig darüber aufsteigenden Vierteln in der rechten Hand), ungewohnt dichte thematische Ausarbeitung und kühne Harmonik auszeichnet. Die Nähe zu Johann Nepomuk Hummel, Franz Schubert und Carl Maria von Weber, aber vereinzelt sogar zu Fryderyk Chopin, Robert Schumann und gar Johannes Brahms, kann diesen späten Werken nicht abgesprochen werden." [2] Neben dem Klavier ist auch die Harfe ein Instrument, zu dem Dusík eine enge Beziehung hatte: "Von Bedeutung ist auch die – im Vergleich zu anderen Komponisten – hohe Anzahl der Kompositionen für Harfe. Dusík war lange Phasen seines Lebens von Harfenistinnen umgeben: Schon seine Mutter war eine talentierte Harfenistin, des Weiteren seine Frau Sophia Corri, schließlich seine Tochter Olivia (Komponistin einer Großen Sonate für Harfe solo, die lange Zeit Dusík zugeschrieben wurde)." [2] Deswegen findet man auch eine Reihe von Aufnahmen von Dusík mit Harfe bei youtube. Auch was bei einem Verlag hoch angesehen war, ist eine wichtige Aussage über das Werk des Komponisten: "Eine Sammlung seiner Kompositionen, bestehend aus zwölf Konzerten, einer konzertierenden Symphonie für zwei Klaviere, einem Quintett und Quartett, zahlreichen Trios, Sonaten, Fantasien und anderen Werken, erschien in neun Bänden in Leipzig bei Breitkopf u. Härtel sowie bei Litolff." [2] Mit den Konzerten sind hier Klavierkonzerte gemeint, unter Quintett und Quartett sind Klavierquintett und -quartett zu verstehen. 4. Zur musikhistorischen Bedeutung Entgegen der geringen Bekanntheit Dusíks heutigentags muß ihm eine enorme musikhistorische Bedeutung zuerkannt werden. Eine Reihe von Komplimenten verschiedener Autoren an den Komponisten wurde oben bereits zitiert. Auf ein Lob von Altmeister Haydn, welches in ähnlicher Form nur noch gegenüber Mozart bekannt ist, geht Andreas Staier ein: " 'Dussek hat fast so viel, als J. Haydn, und wenigstens nicht weniger, als Mozart, dazu beygetragen, daß deutsche Tonkunst im Auslande gekannt und geehrt werde ...', 'le beau Dussek...', 'one of the most accomplished gentlemen of the day ...'- über Mangel an Komplimenten seitens seiner Zeitgenossen brauchte Dussek sich wahrlich nicht zu beklagen. Das in unseren Augen gewichtigste erhielt er vom alten Meister Haydn selbst. Beide hatten sich 1792 in London kennengelernt. Dussek hatte dem berühmten Kollegen, solange sich dieser in London aufhielt, seinen Broadwood-Flügel zur Verfügung gestellt, und Haydn schreibt nach dieser Bekanntschaft an Dusseks Vater: 'Ich schätze mich glücklich, Sie zu versichern, daß sie den rechtschaffendsten, gesittetsten, und in der Tonkunst vortrefflichsten Mann zum Sohne haben. Ich liebe denselben eben so wie Sie, weil er es ganz verdient.' Solch Lob verwundert fast, denn eigentlich liegen zwischen beiden Komponisten Welten. Dussek verkörpert - gleichzeitig mit M. Clementi - einen neuen Musikertypus: den des ganz Europa quer durchreisenden, überall gefeierten Klaviervirtuosen. Er hatte es nicht nötig, wie Haydn Jahrzehnte brav in einer Provinzresidenz zu dienen, und ihm gelingt, worum ihn Mozart beneidet haben dürfte: immer zur rechten Zeit einen liquiden Grafen zur Hand zu haben, der für erhöhten Lebensstandard und ausgiebige Tafelfreuden aufkommt. Champagner ist ein Leitmotiv in Dusseks Briefen." [5] Bedenkt man, daß Dusík gerade einmal 4 Jahre jünger als Mozart, aber fast 11 Jahre älter als Beethoven war, so erstaunt um so mehr, was der Pianist Staier an Dusíks Musik preisen kann [Op.-Zahl-Angaben in eckigen Klammern nicht original]: "Scheint Dusseks Biographie vorweggenommenes 19. Jahrhundert zu sein, so gilt für seine Musik in vieler Hinsicht dasselbe: tragen nicht die Anfangssätze der c-moll- und G-Dur-Sonate [ Op. 35, 2 und 3] in ihrem Heroismus und ihrer triumphalen Antithetik Züge des mittleren Beethoven? Aber dieser hatte 1796 gerade erst seine Sonaten op. 2 veröffentlicht, und Dussek wird diese Werke wohl kaum gekannt haben. Und erinnert nicht der erste Satz der B-Dur-Sonate [Op. 35,1] in seiner rhapsodischen Auffassung von der Sonatenform, mit seiner Vorliebe für farbige Modulationen anstelle thematischer Durchführung an Schubertsche Konzeptionen? Aber 1797 ist Schuberts Geburtsjahr! Andere Charakteristika seiner Musik weisen noch weiter in die Zukunft: ein spezifischer 'Salonton', besonders in den böhmisch-folkloristischen Schlußsätzen von Op. 31,2 und Op. 35,1 und 3, läßt sich über J. Field bis Chopin verfolgen, der Jahrzehnte später die Pariser high-society mit polnischen Mazurken beglückte." [5] Das sei durch ein Urteil des tschechischen Pianisten Hanuš Bartoň ergänzt: "Die interessantesten Bestandteile [von] Dusíks Stil bilden Harmonie und Rhythmus. Dusík geht in seinen Avantgardewerken chromatisch vor und verwendet Modulationen, die zu dessen Zeit nur schwer zu erklären waren und die noch heute nach der Erfahrung des Zerlegens der Tonalen Ordnung nicht alltäglich wirken. Für die rhythmische Eingliederung ist eine häufige Verwendung der unterschiedlichsten Synkopearten charakteristisch. Das reicht manchmal so weit, daß in bestimmten Augenblicken das Bewußtsein des guten Taktteils verschwindet, was der Autor meist mit der Gradation des dramatischen Ausdrucks verbindet." [4] Ein längeres Zitat nach Lorenz Luyken soll den hohen Rang des Komponisten noch einmal bestätigen: "Es gibt Komponistenpersönlichkeiten, deren Werk so schillert, daß sie uns an unseren gewohnten und bewährten musikgeschichtlichen Kategorien irrewerden lassen und so Kunsterlebnisse besonderer Art ermöglichen. Dazu zählt auch Jan Ladislav Dussek (1760-1812). Von seiner Lebensspanne her gehört er zur Generation der klassischen Komponisten, vieles an seinen besten Kompositionen weist jedoch weit über seine Zeit, auf Chopin, Schumann und Smetana hinaus. Obwohl in Böhmen geboren, entzieht er sich doch gänzlich dem provinziellen Klischee eines 'böhmischen Musikanten'. Wie viele seiner Landsleute, denen die europäische Musik des 18. und frühen 19. Jahrhunderts so viel zu verdanken hat, mußte er sein Auskommen fern der Heimat suchen. Den Haag, Hamburg, St. Petersburg, Paris, Mailand, London, Berlin und schließlich wieder Paris wurden seine Wirkungsstätten, und hier entwickelte er unter dem Einfluß Johann Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bachs, Haydns, Mozarts, Scarlattis und Clementis einen eigenwilligen, gleichsam kosmopolitischen Klavierstil, den buchstäblich 'die ganze Welt' verstand - viele Quellen sprechen dafür, daß Dussek einer der bekanntesten und anerkanntesten Musiker seiner Zeit gewesen ist. Der virtuose Stil vieler seiner Stücke wie auch deren häufige 'charakteristische' Titel zeugen davon, daß er sowohl dem Sensations- als auch dem Bedeutungshunger des breiten Publikums entgegenzukommen wußte, die Kenner aber gleichermaßen zufrieden stellte, die - wiederum in seinen besten Werken - in seinen enormen technischen Anforderungen weniger eitlen Selbstzweck als machtvolles Ausdrucksmittel, in seinen Titeln mehr poetische Andeutung als platte Illustration finden konnten. Nicht zuletzt spiegelt sein unruhiger Lebenslauf beinahe prototypisch die revolutionären sozialen und politischen seiner Zeit wieder, die wir angesichts der wohlproportionierten, erhabenen und stilisierten Hervorbringungen klassischer Kunst allzu gerne zu vergessen bereit sind: Dusseks erste Schritte in den Musikerberuf finden noch unter der feudalen Patronage böhmischer Adliger statt, seinen Ruhm begründet er indes als reisender Klaviervirtuose gleichermaßen beim bürgerlichen Publikum der großen Handelsstädte wie an den Fürstenhöfen Europas. Buchstäblich am Vorabend der französischen Revolution gelingt es ihm, in England unter den Bedingungen einer fortgeschrittenen bürgerlichen, sozial und wirtschaftlich vergleichsweise liberalen Gesellschaft eine zunächst glänzende Existenz als freier Unternehmer aufzubauen und sich dabei erfolgreich als Konzertpianist, Klavierpädagoge, Komponist und Verleger zu betätigen, bis ihn der wirtschaftliche Ruin seines Verlages schließlich zur Rückkehr auf den Kontinent zwingt. Dort krönt und beschließt er seine Laufbahn in Diensten zweier ebenso kunstsinniger wie geltungsbedürftiger Aristokraten, des Prinzen Louis Ferdinand von Preußen und des französischen Ministers Graf Talleyrand." [8] Hinsichtlich seiner letzten Jahre konstatiert Regula Rapp: "In den Jahren 1807 bis zu seinem Tode gab Dussek noch einige sehr beachtete Konzerte. Bereits nach seinem ersten Pariser Auftritt war in der Allgemeinen musikalischen Zeitung über 'einen der Schöpfer des wahren Pianofortespiels' zu lesen: 'So war es denn wirklich etwas sehr Erwünschtes, das ein Mann, wie Dussek, hieher kam, das Spiel zu reformieren, und das Instrument seiner natürlichen Bestimmung, Würde und Eigentümlichkeit wieder zuzuführen.' Außerdem unterrichtete der berühmte Musiker einige Schüler und komponierte Sonaten, Fantasien und Konzerte." [6] Eine glänzende Bestätigung der großen Bedeutung der Klavierwerke Dusíks geben die folgenden Ausführungen: "..., daß die erste zwölfbändige Ausgabe der Klavierwerke J. L. Dusíks bei Breitkopf & Härtel in der Zeit vom Juni 1813 bis Juni 1817 erschienen ist. Eine Ankündigung für den Bezug dieser Edition hat die Firma Breitkopf & Härtel im Intelligenz Blatt schon im März 1813 abgedruckt. Daraus erfahren wir, daß Dusík anläßlich seines letzten Aufenthaltes in Leipzig im Jahre 1807 mit dem Verlag persönliche, freundschaftliche Verbindung angeknüpft und ein Übereinkommen nicht nur wegen Herausgabe seiner Werke abgeschlossen hat, sondern auch hinsichtlich der Vorbereitung ihrer Manuskripte für den Druck, was ein unwiderleglicher Beweis dafür ist, daß Dusík aktiv bei der Editionsarbeit seiner Klavierwerke mitgewirkt hat. Diese Feststellung bekräftigt den QuellenWert der Dusík-Edition der Firma Breikopf & Härtel. Dusíks Tod i. J. 1812 konnte die Vorbereitung des Materials für den Druck offenbar nicht mehr ernstlich gefährden, da die Edition im großen und ganzen schon vorbereitet und vom Autor genehmigt war. Im übrigen bestätigen auch die Quellen über die letzten Lebensjahre Dusíks einstimmig, daß sich der Komponist gerade in dieser Epoche mit der Ordnung seiner Werke beschäftigte, was nur so aufzufassen ist, daß er die Gesamtausgabe seiner Klavierwerke vorbereitete. ... Gleichzeitig kündigte die Firma Breitkopf damals an, daß sie sich voll der Edition von Dusíks Werken widme, und stellt z. B. bedeutende Editionen Haydnscher und Mozartscher Werke zurück. Dies ist gleichzeitig ein Beleg dafür, welch bedeutenden Widerhall in der Welt das im Stil so Neues durchsetzende Klavierwerk Dusíks hatte." [3] Hier ist die Zurückstellung der Editionen von Werken Haydns und Mozarts zugunsten der Werke Dusíks besonders hervorzuheben. Die Vorbereitung der Ausgaben durch Dusík persönlich in seinen letzten Lebensjahren relativiert auch etwas die oben wiedergegebenen Berichte über seinen Verfall im Zusammenhang mit massivem Alkoholkonsum. Die Frage, weshalb Dusík heute recht wenig bekannt ist, kann nicht allein durch das Vorherrschen von Klavierwerken in seinem Gesamtwerk, also eine gewisse Einseitigkeit, beantwortet werden, wie durch Vergleich mit Chopin leicht zu belegen ist. In gewissem Sinne kann man seine Klavierwerke in Konkurrenz zu Beethoven sehen, der sich bei der Nachwelt eindeutig durchgesetzt hat. Hierbei ist aber auch der andersartige Charakter der Werke zu beachten. Trotz seiner weit vorauseilenden Fortschrittlichkeit in Stil und musikalischen Erfindungen ist Dusíks Musik kaum durch revolutionären Pathos und Tabubrüche, sondern eher durch Noblesse, edle Empfindungen und Gesanglichkeit, aber auch durch Virtuosität und herzhafte Volkstümlichkeit gekennzeichnet. 5. Londoner Klaviere und Dusíks Einfluß auf sie Mehrfach erfahren wir aus den herangezogenen Quellen Interessantes über den Unterschied in Bau und Klang zwischen den Londoner und den Wiener Klavieren. Der Pianist Andreas Staier äußert sich dazu wie folgt: "Auch wirkt er ausgesprochen modern in seiner ausgreifenden Virtuosität und Vollstimmigkeit, verglichen mit der klaren Transparenz der Wiener Klaviermusik vor 1800. Hier haben wir ein gutes Beispiel für die wechselseitige Beeinflussung von Instrument und Spieler/Komponist: die englischen Instrumente - die Dussek ausdrücklich bevorzugt - erlauben in der Tat eine viel 'modernere', expansivere Spielweise als die gleichzeitigen Wiener Flügel." [5] Man beachte, daß Beethoven im Jahre 1817 ein Londoner BroadwoodKlavier geschenkt wurde. Dusíks Ruhm wie sein bewußtes Ausnutzen der Möglichkeiten des Instrumentes waren Chance und Anlaß, auch auf den Klavierbau direkt Einfluß zu nehmen: "London bedeutete für Dussek, der hier elf Jahre verbrachte, den Gipfel seines Ruhms. Er trat in zahlreichen Konzerten der bedeutenden Konzertreihen auf und wurde einer der beliebtesten Musikpädagogen seiner Zeit. Schon bald nach seinem ersten Auftritt in den Hannover Square Rooms kannte die Begeisterung der Kritiker keine Grenzen mehr. ... Und er überzeugte den renommierten Londoner Klavierbauer John Broadwood davon, den Tastenumfang seiner Instrumente zu erweitern - im Jahr 1791 von fünf auf fünfeinhalb Oktaven und 1794 um eine weitere halbe Oktave auf sechs Oktaven." [6] Noch ausführlicher berichtet Christopher Clarke: "Dussek lebte in den Jahren 1789 bis 1799 in London. Während dieser Zeit schloß er mit dem Klavierbauer Broadwood Freundschaft... Die englischen und die Wiener Klaviere aus dieser Zeit unterscheiden sich grundlegend. Die englischen Instrumente sind laut, rund, volltönend, dramatisch, vielleicht sogar ein wenig gewöhnlich; die Wiener sind weicher, mit mehr hohen Farbtönen, behende, fein und irgendwie beherrscht. Bei einem Wiener Klavier ist der Rahmen massiv und starr, im Gegensatz zum Resonanzboden, der leicht und flexibel ist. Trotz seiner eher massiven Erscheinung ist ein englisches Instrument tatsächlich von recht leichter und flexibler Bauart, hat aber einen Resonanzboden, der drei- bis viermal so dick ist wie der seines Wiener Gegenstücks. Daher vibriert das gesamte Instrument mit den Saiten, einer Violine vergleichbar. Die anderen Unterschiede liegen in der Mechanik; die leichten, an den Tasten befestigten Hämmer streifen die Saiten ziemlich am Ende und erzeugen eine stark nuancierte, abwechslungsreiche Klangfarbe. Die schwerere, an der Leiste befestigten englischen Hämmer streifen die Saiten mehr in der Mitte; dies ergibt einen dumpferen, weniger nuancierten, doch sehr viel kräftigeren Klang. Schließlich waren die englischen Dämpfer im Unterschied zu der präzisen Dämpfung der Wiener Instrumente absichtlich wirkungslos belassen und ergeben so einen beständigen Nachklang, der die 'lebendige' und angeregte Klangqualität verstärkt heute wirkt dies auf uns irgendwie beunruhigend. Insgesamt hört sich ein klassisches englisches Klavier für unsere Ohren überraschend 'modern' an. Dussek, der mit deutschen/österreichischen Klaviermodellen aufgewachsen war, freute sich über die dramatischen Möglichkeiten der ihm angebotenen englischen Instrumente und nutzte sie; seine öffentlichen Auftritte erforderten die Klangintensität, die zu dieser Zeit nur ein englisches Klavier bieten konnte. Um dieselbe Intensität zu erreichen, mußte man die Wiener Klaviere 'sempre fortissimo' spielen und verlor so die ganze Vielfalt an Nuancen, die ihren Hauptvorzug darstellen." [7] 6. Zu meinen eigenen Erfahrungen und den späten Klaviersonaten Durch solcherlei Informationen angeregt, wünschte ich, in den Besitz von CDs, besonders aber von Noten zu gelangen. Dafür, daß Dusík in gewissen Kreisen auch heute doch nicht so unbekannt ist, wie es allgemein den Anschein hat, spricht, daß die Einspielungen ausgewählter seiner Klavierwerke durch den Pianisten Andreas Staier, berühmt durch seine Interpretationen auf dem Hammerflügel, vergriffen sind. Er spielte auf einem BroadwoodHammerflügel von 1805, wodurch diese Aufnahmen uns das Spiel von Dusík selbst eindrucksvoll besonders nahe bringen. Vorher gefielen mir aber Interpretationen auf einem modernen Flügel schon sehr, zunächst durch die CD [4] mit Hanuš Bartoň und dem Streichquartett Apollon, die außer Dusíks letzter Sonate Op. 77 noch das Klavierquintett Op. 41 in f-moll und das dem Prinzen Louis Ferdinand gewidmete Klavierquartett Op.56 in Es-Dur enthält, die auch beide sehr hörenswert sind. Um Interpretationen von Dusíks Klaviersonaten auf dem modernen Konzertflügel hat sich der Hannoveraner Pianist Markus Becker sehr verdient gemacht. Eine CD enthält die 3 frühen Sonaten Op. 9 und wiederum die Sonate Op. 77, die andere die 3 großen Sonaten Op. 44, 61 und 64 [8]. Auch hier ist das Zuhören ein Genuß; und schließlich werden ja auch Beethovens Klaviersonaten weit überwiegend auf modernen Flügeln dargeboten. Später gelang es mir doch noch, die Staier-CDs aufzutreiben, eine mit den sehr gelobten früheren 3 Sonaten Op. 35 sowie der Sonate Op. 32, Nr. 2, die zweite mit Fantasie und Fuge f-moll Op. 55, gleichzeitig sehr virtuos und eindrucksvoll, und wiederum der Sonate Op. 64 [5]. Schließlich beeindruckt auch noch eine CD mit Andreas Staier und Concerto Köln mit den Klavierkonzerten Op. 22 in B-Dur und Op. 49 in gmoll, wobei besonders das zweite durch Originalität aufhorchen läßt und sich rasch einprägt, [6] bzw. [7]. Diese CD enthält aber außerdem das oben bereits erwähnte Werk Tableau "Marie Antoinette" Op. 23 mit Andreas Staier und dem Sprecher Jean-Michel Forest. An Noten besaß ich schon seit längerem die 6 Sonatinen Op. 19, alle sehr reizvoll, verlegt bei The Associated Board of the Royal Schools of Music. In deutschen Verlagen fand ich dann nur, und das gleich bei mehreren Verlagen, das alleinstehende Rondo "Les Adieux" in B-Dur. Bei diesem Stück fallen einem Begriffe wie Ohrwurm oder Gassenhauer ein, es ist ein hübscher und wohl komponierter Schlager, der früher bei Laien und Klavierlehrern recht beliebt gewesen sein muß. Meine Ausgabe vom Verlag Schott Musik International, Mainz, stammt von 1912 (!). Die Bekanntheit dieses Stückes war für den Ruf des Komponisten Dusík vielleicht ebenso nachteilig, wie die Bekanntheit "des Menuetts" von Luigi Boccherini, der ein enormes kompositorisches Werk hinterlassen hat. Aber recht dringend war nun mein Wunsch nach Noten von DusíkSonaten. Diese mußten aus Prag bezogen werden, siehe [3], und waren ein wenig "preisintensiv", weshalb ich mich auf die Bände 3 und 4 von 4 Bänden beschränkte. So bin ich nun aber Besitzer der Noten aller großen späten Sonaten, die hierzulande vermutlich sehr wenig verbreitet sind. Zunächst möchte ich in kürze den Inhalt der Bände durchgehen: Der dritte Band beginnt mit der als "Grande Sonate" gekennzeichneten, 2-sätzigen Sonate Op. 43 in A-Dur, die sehr originell und teilweise regelrecht orchestral angelegt ist und für die mir leider bisher keine Einspielung bekannt geworden ist. Dann folgt als herausragendes Massiv die Sonate Op. 44 in Es-Dur, "Grande Sonate The Farewell", ein 4-sätziges Riesenwerk, das in der davor liegenden Zeit wohl seinesgleichen sucht. Darauf folgen die 3 kleineren Sonaten Op. 45, für die trotzdem in [3] verschiedene Neuheiten gelobt werden. Über die beiden Sonaten Op. 47 lesen wir in [3], sie gehörten "durch ihren leichten und technisch aufgelockerten, mozartisch-klassizierenden Ausdruck zu den Werken der schöpferischen Atempause, u. zw. Unmittelbar bevor Dusík die Gipfelsonaten der letzten Schaffensperiode in Angriff nimmt". Der 4. Band beginnt mit der oben bereits mehrfach erwähnten 2-sätzigen Sonate Op. 61 in fis-moll, "Élégie harmonique sur la mort de son Altesse Royale le Prince Louis Ferdinand de Prusse". Einzigartig in ihrem Charakter, hinterläßt sie schon beim ersten Hören einen unvergleichlichen Eindruck. Nach der Sonate Op. 69, No. 3 in D-Dur, die wieder traditionell gehalten ist, folgt die grandiose und außerordentlich gerühmte 4-sätzige Sonate Op. 70 in As-Dur "Le retour à Paris", deren Virtuosität und Brillanz nicht äußerlich bleibt, sondern einem tiefen musikalischen Inhalt dient. Ein weiteres großes Werk ist die 3-sätzige Sonate Op. 75 in Es-Dur, "Grande Sonate", die jedoch einen völlig anderen Charakter aufweist: Salonmusik im positiven Sinne mit großer Noblesse, die mit John Field oder Carl Maria von Weber in Verbindung gebracht werden könnte. Schließlich finden wir als Dusíks vermutlich letztes Werk die tiefgründige Sonate Op. 77 in f-moll mit dem etwas rätselhaften oder geheimnisvollen Titel "L'invocation". Als Appendix ist diesem Band noch eine ganz frühe, aber auch aufschlußreiche und technisch anspruchsvolle Sonate Op. 5, No. 3 in As-Dur angefügt. Man kann demnach die Bedeutung der Klaviermusik Jan Ladislav Dusíks ganz wesentlich anhand der 4 mit besonderen Titeln versehenen Sonaten herausstellen! Deshalb seien diese mittels Zitaten der verwendeten Quellen noch tiefergehend charakterisiert. Redundanzen werden dabei bewußt in Kauf genommen, werden doch immer wieder weitere Aspekte herausgestellt: Zur Gesamtheit aller 4 Sonaten ist in [4] zu lesen: "Es sind vor allem vier kulminierende Programmklaviersonaten, in denen Dusík suggestiv die künftige Musiksprache voraussieht (op. 44 Es-Dur 'The Farewell', op. 61 fis-Moll 'Elegie harmonique sur la mort se son altesse Royale Prince Louis Ferdinand de Prusse' - gewidmet dem Prinzen Lobkovic, Herzog von Roudnice, op. 70 As-Dur 'Le retour a Paris' und op. 77 f-Moll 'L'invocation'). Diese Kompositionen, welche entweder Ende des 18. Jahrhunderts oder in der ersten Dekade des 19. Jahrhunderts entstanden waren, erreichen eine Entwicklungsstufe, die bereits dem Romantikstil entspricht. Dusíks Stil ist markant eigenlebig. Der Klaviersatz der progressiven Dusík-Kompositionen ist reicher und klangvoller, als in den Werken der meisten Zeitgenossen, allerdings stellt er ebenso höhere technische Ansprüche. Dusík war vom Mechanikklang [in der wohl zutreffenderen englischen Übersetzung: by the sound of the mechanics] der englischen Instrumente beeinflußt worden, welche er während seines Wirkens in London kennengelernt hatte. Vielleicht verstand er es als erster, deren Vorteile voll zu würdigen und in seinem Schaffen die bis zu jener Zeit unbekannten Klangmöglichkeiten zu nutzen." Ohne Berücksichtigung der letzten Sonate gilt auch nach [8]: "Alle diese vielfältigen Aspekte des Dussekschen Schaffens fokussieren sich wie in einem Brennglas in den drei in dieser Aufnahme versammelten Klaviersonaten, die wohl zu Dusseks besten Werken gehören. Alle drei tragen sie Titel, die in unmittelbaren Zusammenhang zu einschneidenden Ereignissen in Dusseks Leben stehen." Die tschechischen Autoren von [3] würdigen die Farewell-Sonate wie folgt: "Besonders die Sonate Es dur op. 44 weist auf die monumentale Konzeption und das großartige dramatische Pathos der letzten, krönenden Sonatenwerke Dusíks hin." Im Detail heißt es dann: "Die Sonate Es dur op. 44 (Grande Sonate) mit dem programmatischen Titel The Farewell ist dem berühmten Pianisten Muzio Clementi (1752 1832) gewidmet, der von seinem neunten Lebensjahre an auf dem Gut des Sir Peter Beckford in Fonthill Abbey lebte und vom Jahre 1773 an in London wirkte. Die Dedikation hat hier nicht eine äußerlich formelle Bedeutung, denn zwischen Dusík und Clementi haben sich ungewöhnlich herzliche freundschaftliche Beziehungen entwickelt. Die Sonate Es dur gehört zweifellos zu den Gipfelwerken der Klavierschöpfungen Dusíks. Es ist sicherlich bemerkenswert und interessant, daß sie nicht nur durch ihre programmatische Benennung, sondern auch durch ihre Tonart und durch ihren Ausdruck der gleichartigen Sonate Beethovens Les Adieux (Es dur op. 81a) nahekommt, die allerdings viel später - i. J. 1809-10 - entstanden ist. Man muß sich dessen bewußt werden, da Dusíks Sonate Es dur noch an der Neige des 18. Jahrhunderts geschrieben wurde. Vor allem fesselt sie durch ihren reifen romantischen Ausdruck und durch ihre eigenartigen subjektiven Gefühlsmotivationen. In dem prachtvollen zweiten Satz (Molto adagio e sostenuto) kommt in der Melodie die böhmische Volksliedweise zur Geltung. Neben dem Beethovenschen Pathos können wir hier in der kühnen Harmonik sogar schon schüchterne Elemente der impressionistischen Klangfarbigkeit feststellen. Einen Beethovenschen Ausdruck hat auch der wunderschöne Menuettsatz und der abschließende Rondoteil. Das Walzertrio des dritten Satzes weist bereits Chopinsche Faktur auf und im Finalsatz melden sich neben Anklängen an Schumann und Brahms sogar Töne eines an Smetana gemahnenden Lyrismus. Eric Blom hat die Identität der Invention im Ausdruck und in der Stimmungsatmosphäre dieses Satzes mit dem Finalsatz des Brahmsschen Sextetts B dur, op.18, Nr. 1 aus d. J. 1860 festgestellt. Diese zu Unrecht übersehene und bis heute nicht voll gewürdigte Sonate überragt an Bedeutung alles, was in dieser Schaffensperiode Dusíks entstanden ist. Erst viel später, in der Sonate fis moll op. 61 (Élégie harmonique) erreichte Dusík eine gleichartige Tiefe der Ideen und Originalität." Großes Lob wird dieser Sonate auch in [8] entgegengebracht: "Die Sonate Es-Dur op. 44 - chronologisch die erste der drei, ist 1800 erstmals erschienen und trägt den Untertitel The Farewell/ A New Grand Sonata. Ein Jahr zuvor war Dussek mit seinem zusammen mit dem Schwiegervater betriebenen Londoner Verlag gescheitert und mußte vor seinen Gläubigern auf das Festland fliehen. Auf der Insel ließ er nicht nur Frau und Tochter zurück, sondern auch Muzio Clementi, Widmungsträger und erster Verleger der Sonate, der ihm gleichermaßen schärfster Rivale wie auch Inspirationsquelle und enger Freund geworden war. Anders als in der elf Jahre später veröffentlichten "Les Adieux"-Sonate von Beethoven ist der Hintergrund jedoch nur Anlaß und nicht Gegenstand der Komposition - Dusseks Musik enthält so gut wie keine darstellenden Elemente. Seine wahrhaft 'große' Sonate ist mit ihren vier Sätzen und etwa einer halben Stunde Spieldauer Dusseks bis dahin ambitioniertester Versuch in der Sonatenkomposition." Zu der Trauersonate für Prinz Louis Ferdinand bemerken die tschechischen Autoren in [3]: "Die Sonate fis moll op. 61 (Élégie harmonique) ist nach 1806 zum Gedächtnis an Dusíks Freund, den preußischen Kronprinzen Fürst Ludwig Ferdinand (1778-1806), entstanden, der am 10. Oktober 1806 in der Schlacht bei Saalfeld gefallen war. ... Ohne Zweifel gehört die Sonate fis moll zu den gedanklich bedeutendsten Klavierkompositionen Dusíks. Sie hat einen ausgeprägt romantischen Charakter, denn sie ist von poetisch gesteigertem musikalischem Ausdruck durchdrungen, hat eine ziemlich lose Form und plastisch-farbige Modulation. In der melodischen und harmonischen Struktur erweist sie eine ungewöhnliche musikalische Vorstellungskraft." Und in [8] heißt es dazu: "Auch ein Farewell, allerdings der besonderen Art, stellt die Sonate fismoll op. 61 dar. Dussek komponierte sie als Élégie auf den Tod des Prinzen Louis Ferdinand von Preußen, der im Oktober 1806 im Kampf gegen napoleonische Truppen gefallen war. Im Jahr 1804 war Dussek in die Dienste des Prinzen getreten. Ihr Verhältnis scheint jedoch nicht herrschaftlicher, sondern kollegialer, ja freundschaftlicher Natur gewesen zu sein. Theodor Fontane hat dieser Freundschaft in einer Episode seines Romans 'Schach von Wuthenow' ein schönes Denkmal gesetzt." Hier werden auch die beiden Sätze einzeln zutreffend charakterisiert. Der erste Satz wird wie folgt bschrieben: "Allen diesen Gestalten fehlt eine periodische Rundung, sie wirken unvollständig, vorläufig, in ihrem zäsurlosen Nacheinander wie eine Abfolge trost- und ruheloser Seelenzustände, flüchtige Episoden eines Traums." Für den zweiten Satz wird diagnostiziert: "Als eindrucksvolles Sinnbild einer verzweifelten, ausweglosen Trauer sucht dieser Satz nicht nur in der zeitgenössischen Musik seinesgleichen." Es sei auch wiedergegeben, was die große Sonate Op.70 in [3] gerühmt wird: "Die Sonate As dur op. 70 (Le retour à Paris) wurde i. J. 1807 nach Dusíks Rückkehr nach Paris nach einer 18jährigen Abwesenheit von Frankreich geschrieben und ist der Prinzessin von Benevent zugeeignet.... Hier handelt es sich um eines der Gipfelwerke der Klavierkompositionen Dusíks, u. zw. sowohl wegen seines gedanklichen Inhalts, als auch hinsichtlich seines Umfangs und der baulichen Konzeption des Ganzen. Auch in der Welt-Klavierliteratur nimmt die Sonate einen bedeutenden Platz ein, vor allem wegen ihrer kühnen harmonischen Struktur und ihrer bahnbrechenden chromatischen Modulationen, die schon Vorläufer des Klavierstiles Schuberts, Schumanns, Chopins und Smetanas sind und in der Klavierstilisierung sogar den musikalischen Ausdruck Brahms' vorwegnehmen." Ähnlich urteilt Lorenz Luyken in [8]: "Nur wenig später nach diesem Ausnahmewerk [gemeint ist Op. 61] muß Dussek seine 1807 erschienene Sonate As-Dur op. 64 geschrieben haben. Ihr Untertitel 'Le Retour à Paris' bezieht sich auf eine neuerliche Wende in Dusseks Leben: nachdem er 20 Jahre zuvor im Paris des Ancien Régime seine großen ersten internationalen Erfolge feiern und die Gunst der Königin Marie Antoinette erringen konnte, kehrt er im Jahr der As-Dur-Sonate endgültig in die nunmehrige Hauptstadt des Empire zurück und tritt in die Dienste des napoleonischen Außenministers Talleyrand - dieser selbst ein Mann mit dem erstaunlichen Talent, Ancien Régime, Revolution, napoleonische Herrschaft und bourbonische Restauration nicht nur unbeschadet an Leib und Leben, sondern sogar mit wachsendem politischen Einfluß überstehen zu können." Hier wird auch ein Parallele zur Farewell-Sonate gezogen: "Dussek übernimmt für sein neues Werk das Konzept der FarewellSonate, erweitert dieses jedoch beträchtlich auf Ausdehnung, Klangfülle (für das unter Dusseks Einfluß im Umfang erheblich erweiterte Klavier), pianistischen Anspruch und Lizenzen gegenüber der musikalischen Konvention." Die Begeisterung der Zeitgenossen für diese Sonate sei noch einmal belegt durch den letzten Abschnitt des Textes: "1810 würdigte ein anonymer Kritiker der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung die Sonate mit folgenden Worten: 'Sie ist in Momenten mit wahrer Weihe empfangen ausgeführt mit festem, beharrlichem Sinn nur auf das Bedeutende, Große, Edle, Erhabene dieser herrlichen Erfindung, und verziert wie es nur eine so rege Einbildungskraft vermag - überschwenglich reich und sehr elegant, hart an die Überladung streifend, jedoch ohne sie wirklich zu berühren ... Sie ist ein genialisches Product wie es wenige giebt; eins der charaktervollsten Gedichte, das seinen Werth behalten wird, so lange es Musik giebt, gute Pianofortes und vollendet Klavierspieler.' Seine Prophezeiung erfüllte sich mit dieser Aufnahme." [8] Gemeint sind die Aufnahmen mit dem Pianisten Markus Becker. Hinsichtlich Dusíks Schwanengesang Op. 77 können gleich 3 Quellen zitiert werden, zunächst [3]: "Die Sonate f moll op. 77 (L'invocation) wurde in der Zeit nach 1811 geschrieben, da sie zum erstenmal schon i. J. 1812 erwähnt wird. Sie ist demnach eines der letzten Werke Dusíks und ist in einer ungünstigen psychischen Situation entstanden, denn kurz nach ihrer Vollendung erkrankte Dusík und verfiel in krankhafte Apathie, wiewohl er erst 50 Jahre alt war. Daher vielleicht auch ihre eigentümliche programmatische Benennung L'invocation, eine trotzige Aufforderung oder ein Widerstand dem schweren Lebensschicksal. ... Es ist dies ohne Zweifel eine der bedeutendsten Schöpfungen Dusíks überhaupt. Sie hat einen ausgesprochen romantischen Programminhalt, der sich durch eine erstaunliche Tiefe der Inspiration, sowie durch eine ungewöhnliche kompositorische und bauliche Vollkommenheit auszeichnet, durch die sie eine konzentrierte, fast monothematische Geschlossenheit erreicht. An Noblesse des musikalischen Ausdrucks, vollendeter Durcharbeitung der einzelnen Details und an poetischer Stimmung läßt sie sich vielleicht nur mit Chopin oder Schumann vergleichen. ... Wir können daher sagen, daß Dusíks Sonate L'invocation nicht nur eine der Gipfeläußerungen des eigenen Schaffens, sondern auch der tschechischen Klavierproduktion vor Smetana darstellt." Der Pianist Hanuš Bartoň beschreibt im Detail: "Die Sonate f-Moll op. 77 'L'Invocation' gehört zum Höhepunkt [von] Dusíks Schaffen. Die umfangreiche viersätzige Komposition stellt eine gewisse Summe [von] Dusíks Suchereifer dar. Die Tondichtung bringt große Kontraste in sämtlichen Bestandteilen der Musiksprache mit sich z. B. kann die beinahe Liszt ähnlich klingende Passage aus der Durchführung des ersten Satzes mit dem Kanon des zweiten Satzes, der an den Barockstil erinnert, verglichen werden. Die chromatischen Führungen befinden sich stellenweise fast an der Logikgrenze des klassisch-romantischen Systems (z. B. die komplizierten Gebilde im Maggiore des Schlußsatzes). Trotzdem wirkt die Musik einheitlich und bei geeigneter Interpretation auch baulich abgerundet." Eine außerordentliche Würdigung erfährt diese Sonate auch in [8]: "Im Vergleich mit dem früheren opus verkörpert L'Invocation, die mit ihren vier ausgewachsenen Sätzen und einer knappen halben Stunde Spieldauer dem zeitgleichen Sonatenschaffen auch Beethovens an Ausdehnung und Gewicht nicht nachsteht, eindrucksvoll diesen Aufstieg. Die Sonate führt wie ihre Vorgänger ... einen Untertitel, von dem man annehmen kann, daß er wie dort auf einen biographischen Kontext verweist. Sollte es einen solchen Kontext geben, so bleibt er jedoch im Falle von L'Invocation im Dunkeln, da die Sonate keine darstellenden Elemente enthält, die sich auf den Titel beziehen ließen. Sie scheint Dusseks letztes vollendetes Werk gewesen zu sein, und so ist man verführt, ihr nicht nur den Nimbus des Spätwerks, sondern gar eines letzten Wortes zuzusprechen und ihren merkwürdigen Titel in diesem Sinne zu deuten. Angesichts der kurzen, zum Tode führenden Krankheit, von der die Nachrufe berichten, ist diese Interpretation jedoch nicht überzeugend." 7. Zur Persönlichkeit Die wenigen Nachrichten über die Person Jan Ladislav Dusík lassen sehr stark vermuten, daß er hauptsächlich ein hoch gefeierter passionierter und charismatischer Künstler war. Seine meistens sehr wohltuende Musik läßt aber auch einen Menschenfreund vermuten, der nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Zuhörern wirklich Freude und Genuß in verschiedensten Stimmungen bringen wollte. Welcher Weltanschauung mag der Künstler darüber hinaus gewesen sein? Von Hanuš Bartoň [4] erfahren wir: "Jan Ladislav Dusík (Dussek) gehört zu den bedeutendsten böhmischen Komponisten, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und zu beginn des 19. Jahrhunderts im Ausland wirkten. Er wurde 1760 in Čáslav (Tschaslau) geboren, wo er auch die musikalische Grundausbildung bei seinen Eltern erwarb. Mit siebzehn Jahren ging er nach Jihlava (Iglau), wo ihn der Regenschori bei den Minoriten, Ladislav Spinar, fachlich anleitete. Sein Studium setzte er im Jesuitenseminar in Kutná Hora fort, und er dachte wohl auch daran, dem Zisterzienser Kloster in Žďár nad Sázavou beizutreten. Schließlich überwogen die musikalischen Neigungen und Dusík entschied sich ganz für die Laufbahn eines professionellen Künstlers." In [2] weiß man noch zu berichten: "Von 1776 bis 1778 besuchte er das Neustädter Gymnasium (dasselbe wie rund einhundert Jahre später Gustav Mahler) und studierte danach an der Prager Universität, wohl durch Willen seines Vaters, für ein Semester Theologie und Philosophie und nahm eine erste Anstellung als Organist in Kuttenberg an." In der Jugend hatte er also auch engeren Bezug zur christlichen Religion. Da er außer einer Kantate keinerlei vokale sakrale Musik komponiert hat, können wir aus seinem Werk keine engeren religiösen Glaubensbezüge ableiten. Einen kleinen Hinweis in dieser Richtung gibt uns allerdings Andreas Staier [5] mit seiner Bemerkung bezüglich des Prinzen Louis Ferdinand: "Dussek setzt ihm in seiner 'Elégie Harmonique' ein ergreifendes Denkmal. In den ersten Noten zitiert er das 'Consummatum est' aus Haydns 'Die sieben letzten Worte'." Auch muß Dusík wohl mehr den konkreten Menschen im Blick gehabt haben - im Gegensatz zu Revolutionsträumen, Klassenkampf und Weltverbesserungsplänen. Hanuš Bartoň [4] meint, ohne dies zu belegen: "Während der französische Revolution engagierte er sich politisch auf der Seite der Bourbonen. Ergeben war er insbesondere Marie Antoinette, deren Andenken er eine seiner Klaviersonaten widmete." Das letzte scheint mir auf jeden Fall ein Hinweis dafür zu sein, daß er menschliche Zuneigung und Treue über den Tod hinaus unabhängig von der Seite, auf der die jeweilige Person stand, hochschätzte. Zu dem Andenken an Marie Antoinette erfahren wir noch von Regula Rapp [6]: "Das 'Tableau de la Situation de Marie Antoinette Reine de France', eine Programm-Musik für Fortepiano solo mit erläuternden Zwischenüberschriften stellt mit den damals üblichen lautmalerischen Figuren und Floskeln Gefangennahme und Hinrichtung der Königin von Frankreich dar. Dieses Werk, das Dussek 1793 in England als Opus 23 erstmals veröffentlichte, ist aber auch ein musikalischer Reflex auf einen bedeutenden Abschnitt seiner eigenen Biographie: Dussek hatte als Musiker im Kreis um Marie Antoinette gewirkt und mußte wegen dieser Nähe zum Hofe 1789 nach England fliehen; erst achtzehn Jahre später sollte er nach Paris zurückkehren." Der Text vor dem vorletzten Satz (No. 9) vom Tableau "Marie Antoinette" Op. 23 lautet: "Die Königin betet den Allmächtigen im Augenblick des Todes an. Die Guillotine fällt." Eine solche persönliche Würdigung einer Persönlichkeit, mit der er engen Kontakt hatte, nach deren tragischem Tod, gab es ja unter ganz anderen Umständen gleich noch ein zweites Mal in Bezug zu Prinz Louis Ferdinand, der hier ein letztes Mal erwähnt werden soll. Nach Lorenz Luyken [8] "harmonierte" der Prinz "mit Dussek offenbar so prachtvoll, daß er diesen auch in seinem Feldlager nicht missen wollte. Des Prinzen Soldatentod, den er so aus unmittelbarer Nähe miterlebte, muß Dussek zutiefst erschüttert haben. Seine wenig später entstandene Sonate legt beredtes Zeugnis davon ab." Und auch Luyken erwähnt in diesem Zusammenhang das HaydnOratorium: "Durch ein Haydn-Zitat stellt Dussek das Stück gleich zu Beginn in einen unmißverständlichen Kontext. Es handelt sich dabei um das 'Consummatum est' aus dem seinerzeit sehr populären Oratorium 'Die sieben Worte des Erlösers am Kreuz'. Was den solchermaßen eingestimmten Hörer dann erwartet, hat mit Sonatenkonventionen nicht mehr viel gemein." 8. Zu den Musikbeispielen Die Musikbeispiele können natürlich nur einen sehr kleinen Einblick in die üppige Welt der Dusíkschen Musik liefern. Vor allem aus Speicherplatzgründen habe ich 3 kürzere Sonatensätze ausgewählt. Musikbeispiel 1: 3. Satz aus der Sonate Es-Dur Op. 44, Grande Sonate The Farewell: Tempo di Menuetto più tosto Allegro, gis-moll, Trio - con molta espressione, As-Dur, Wiederholung des Menuetts Es soll noch einmal wiederholt werden, daß dieser "wunderschöne Menuettsatz" nach [3] "einen Beethovenschen Ausdruck" habe. Auch in [8] ist ein direkter Hinweis auf diesen Satz zu finden: "Das rhythmisch und kontrapunktisch vertrackte Menuett in gis-moll umschließt ein zartes As-Dur-Trio, in dem die Eleganz Chopinscher Walzer vorweggenommen zu sein scheint." Ich habe mich gefragt, ob die Sonate The Farewell nicht vielleicht doch, wie Beethovens Sonate "Les Adieux", die Thematik der Überschrift auch musikalisch zum Ausdruck bringt. Schließlich wird der 1. Satz mit Introduzione Grave in der sehr fernen tragischen Tonart es-moll in barockem Stil, der an Bach denken läßt, eingeleitet. Dann könnte der schnellere Teil des ersten Satzes (Allegro moderato) in Es-Dur die innere ambivalente Bewegtheit beim Abschied und der ungewöhnlich mächtige langsame 2. Satz (Molto adagio e sostenuto) in H-Dur mit seinen stürmischen Bewegungen im Mittelteil den Zustand der Trennung charakterisieren. Ich empfinde den hier vorgestellten 3. Satz als eine Auflehnung gegen den Zustand der Trennung und habe deshalb den lieblichen As-Dur-TrioMittelteil (con molta espressione!) im Tempo etwas zurückgenommen im Unterschied vielleicht zu der im obigen Zitat vermuteten Vorwegnahme des Charakters von Chopin-Walzern -, um eine Interpretation im Sinne einer Erinnerung an die Zeit vor der Trennung zu ermöglichen. Der letzte Satz Rondo Allegro moderato ed espressivo hat tatsächlich in dem im Sinne des Rondos immer wiederkehrenden Motiv etwas von Freude und Genugtuung, vielleicht im Gedanken an ein Wiedersehen. Ich bin fest überzeugt, daß dieser Satz in diesem Sinne interpretiert werden kann. Die Freude nach Trauer und Tragik musikalisch auszudrücken, ist wohl besonders schwer. In herrlicher Weise ist das Mozart gelungen, in vollendeter Weise im schnellen Teil des letzten Satzes seines g-moll-Streich-Quintetts KV 516. Ohne hier zu hohe Maßstäbe anlegen zu wollen, könnte man den Charakter von Dusíks letztem Satz vielleicht in dieser Richtung interpretieren. Musikbeispiel 2: 3. Satz aus der Sonate f-moll Op. 77, L'invocation: Adagio non troppo ma solenne Des-Dur - cis-moll - Des-Dur In dieser Sonate ist die Reihenfolge von langsamem Satz und Menuett oder Scherzo vertauscht, wie schon bei Haydn, besonders häufig aber bei Beethoven und späteren Komponisten. Lorenz Luyken geht auf diesen Satz wie folgt ausführlich ein: "Worum es Dussek ging, wird am ehesten in der Vortragsbezeichnung des 3. Satzes, Adagio ma non troppo, ma solenne, deutlich. Das Feierliche, was dieses Adagio demnach zum Ausdruck zu bringen hat, ist eines der leisen Töne, nach innen gerichtet, mehr auf Andacht und Kontemplation als auf Repräsentation bedacht. Dussek schreibt hier wieder im Stil einer dreiteiligen da-capo-Arie, der Vergleich mit dem analog gehaltenen Larghetto aus der Sonate op. 9, Nr. 2 verdeutlicht jedoch, in welchem Maße seine Musik in innerem und äußerem Format gewonnen hat. Der Satz beginnt sotto voce mit einer einfach und klar gehaltenen Kantilene in Des-Dur. Die vielen Punktierungen und der subtil ausdifferenzierte, sich jedoch nie in den Vordergrund drängende Begleitsatz verleihen diesem edlen Gesang eine hymnische Eindringlichkeit, die durch die Molleintrübungen im Mittelteil eigentümlich gesteigert wird. Der hier anklingende schmerzliche Affekt kommt dann im cis-moll-minore-Teil des Satzes zum Ausbruch: über einer heftig bewegten Begleitung löst sich die anfangs noch sehr ebenmäßige Melodielinie in immer verschlungenere Figurationen auf und steigert sich schließlich zu bewegender Deklamation. Die Erregung verebbt bis hin zur Wiederaufnahme des Dur-Anfangs, wirkt jedoch unterschwellig in den unruhigen Baßgängen weiter. Die verhaltene Leidenschaft des Adagios wirkt auch in den anderen Sätzen der Sonate." Ich scheue mich jedoch nicht, statt an Andacht und Kontemplation direkt auch ein tiefes Gebet für möglich zu halten, das Gebet eines Menschen, dessen Kräfte zu Ende gehen, auch wenn Dusík seinen nahen Tod noch nicht direkt vorausgesehen haben mag. Dieser Satz hat mich schon beim ersten Hören sehr bewegt, und er gehört seitdem zu meinen liebsten Klavierstücken. Hanuš Bartoň spielt ihn noch etwas langsamer als Markus Becker; so muß wohl jeder Interpret "sein" richtiges Tempo finden. Musikbeispiel 3: 2. Satz aus der Sonate D-Dur Op. 45, No 3 Larghetto con moto, G-Dur - g-moll - G-dur Wenn die übrigen Sonaten Dusíks auch mit Begriffen wie traditionell oder schöpferische Pause in Verbindung gebracht werden, so freut sich der Laie doch sehr über die Möglichkeit, neue klassische Werke kennenlernen und spielen zu können. Man muß diese sicher zutreffende Einordnung ja auch nicht abwertend verstehen; wie beliebt sind nicht z. B. Beethovens Sonatinen Op. 49 oder seine "Kuckucks-Sonate", die Sonatine Op. 79, deren langsamen g-moll-Satz wohl niemand mit den langsamen Sätzen der nachfolgenden großen Sonaten vergleichen würde. Der vorgestellte Satz soll einen kleinen Eindruck von den genannten Freuden des Liebhabers vermitteln. Wenn auch deutlich schlichter in seinem Charakter, ist das Stück von gleicher Struktur wie Musikbeispiel 2. Wenn nach der fortissimoDramatik zum Ende des g-moll-Mittelteils das einfache Anfangsthema wieder erklungen ist, wird über einer Triolenbegleitung ebenso wie dort ein schöner Melodiefluß hörbar. --Daß alle drei Musikbeispiele 3-teilig sind und die Tonartenfolge moll-Dur-moll bzw. Dur-moll-Dur, jeweils mit dem gleichen Grundton, aufweisen, ist Zufall und sollte keinen falschen Eindruck gegen den Erfindungsreichtum Dusíks auch im Hinblick auf die Satzstrukturen hervorrufen. Es wäre schön, wenn jemand Gefallen findet an dieser Eintragung in meinem Web-Bereich! Lutz Sperling Quellen [1] Regina-Bianca Kubitschek: "Ein bekannter Musiker war eine Zeit lang Wahl-Magdeburger/ Erfand den 'Piano-Dreh' seitlich zum Publikum", Volksstimme Magdeburg, 2010 [2] Wikipedia: Jan Ladislav Dusík [3] Jan Racek und Václav Jan Sýkora: Einführende Texte zu den Notenbänden "Jan Ladislav Dusík Sonate XVII - XXII" und "Jan Ladislav Dusík Sonate XXIV - XXIX", MUSICA ANTIQUA BOHEMICA, Editio 1962 und 1963 [4] Hanuš Bartoň: "Jan Ladislav Dusík", Beitext zur CD "Jan Ladislav Dusík/ Chamber Music for Piano Hanuš Bartoň/ Quartett Apollon", Studio MATOUŠ 1995 [5] Andreas Staier: "Dussek-Sonaten", Beitext zu den CDs von Dussek-Sonaten mit Andreas Staier auf einem Broadwood-Hammerflügel von 1805 Ariola Classics GmbH 2005 [6] Regula Rapp, Musikakademie Basel: " '... der rechtschaffenste, gesittetste und in der Tonkunst der vortrefflichste Mann...' ", und " 'Er ist ebenso stark in seinem Satze, als stark und rein in seinem Spiele ...' " Beitext zur CD "Dussek Klavierkonzerte mit Andreas Staier und Concerto Köln", 1995 CAPRICCIO - Delta Music GmbH Frechen [7] Christopher Clarke: "Dussek und das englische Klavier", Beitext zur CD "Dussek Klavierkonzerte mit Andreas Staier und Concerto Köln", 1995 CAPRICCIO - Delta Music GmnH Frechen [8] Lorenz Luyken: Beitexte zu den CDs "Jan Ladislav Dussek, Piano Sonatas opp. 9 & 77, Markus Becker" und "Jan Ladislav Dussek, 3 Piano Sonatas, Markus Becker", cpo/radiobremen