Ein europäischer Musiker

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Ein europäischer Musiker:
Jan Ladislav Dusík
(Johann Ludwig [oder Ladislaus] Dussek, Jean Louis Dussek)
Abschnitt:
Seite:
1. Einführung
2
2. Zur Biographie
3
3. Zum kompositorischen Werk
7
4. Zur musikhistorischen Bedeutung
9
5. Londoner Klaviere und Dusíks Einfluß auf sie
13
6. Zu meinen eigenen Erfahrungen
und den späten Klaviersonaten
15
7. Zur Persönlichkeit
23
8. Zu den Musikbeispielen
25
9. Quellen
28
1. Einführung
Bei der Vorstellung dieses großen Musikers erlaube ich mir, den
Vorgang meines eigenen Bekanntwerdens mit seiner Biographie und
seinem Werk einfließen zu lassen, weil dieser bei einem solcherart in
Vergessenheit geratenen Genie vielleicht etwas Typisches an sich hat.
Als Kind liebte ich seine reizvolle Sonatine in G-Dur Op. 19 Nr. 1
(manchmal auch als Op. 20 gezählt), dazu auch noch die Sonatine F-Dur
Op. 19 Nr. 3 (von insgesamt 6 Sonatinen Op. 19), die mir gegenüber
anderen kleineren Werken der Klassik schon eine leicht fremdartige
Originalität aufzuweisen schien.
Wie auch bei Muzio Clementi lag die Frage nahe, wie ein scheinbarer
"Kleinmeister" so vollendete Werke der Kleinkunst schaffen konnte.
Mit zunehmendem Alter und auch durch die heutige Aktivität vieler
professioneller Interpreten angestachelt, wuchs in mir der Wunsch, zu
den mir seit Jahrzehnten vertrauten Klavierwerken noch solche hinzu zu
entdecken, die für mich - wenn auch alt - Neuland bedeuteten.
So genügte mir ein kleiner Anstoß, mich mit den Werken unseres
Meisters zu befassen: Die Volksstimme, Magdeburg, ehrte ihn im Jahre
2010 anläßlich seines 250. Geburtstages mit einem Beitrag von ReginaBianca Kubitschek: Nach der Ankündigung "Ein bekannter Musiker war
eine Zeit lang Wahl-Magdeburger" lautete der Titel: "Erfand den 'PianoDreh' seitlich zum Publikum" mit der folgenden Zusammenfassung: "Vor
250 Jahren wurde Johann Ludwig Dussek geboren - der Komponist und
Pianist lebte im Gefolge des Prinzen Louis Ferdinand in Magdeburg". [1]
2. Zur Biographie
In [2] findet man eine erstaunlich umfangreiche Biographie des Meisters,
so daß hier eine Beschränkung auf einige ausgewählte Aspekte erfolgen
soll. Weitere Informationen stehen mir aus Beitexten von Noten und von
CDs zur Verfügung.
Zunächst sei ein wichtiger Hinweis von [2] übernommen: " ... nicht zu
verwechseln mit Mozarts Prager Freund Franz Xaver Duschek
(tschechisch: František Xaver Dušek)". Mir ist es tatsächlich wiederholt
passiert, daß auf meine Frage hin die Antwort kam, Dusík sei dem
Gesprächspartner bekannt, aber der ältere Mozartfreund gemeint war.
Dusík wurde am 12.2.1760 in Tschaslau in Böhmen geboren und starb
am 20.3.1812 in Saint-Germain-en-Laye bei Paris.
Sein Leben ist durch viele Stationen in diversen europäischen
Ländern geprägt, wobei er immer wieder in Diensten von Königs- und
Adelshäusern anzutreffen ist, wie dem Statthalter Wilhelm V. von
Oranien in den Niederlanden, der Zarin Katharina der Großen in St.
Petersburg und dem Fürsten Radziwiłł im heutigen Weißrußland, bis er
nach erfolgreichen Konzerten, besonders in etlichen deutschen Städten,
"von 1786 bis 1789 ... als Pianist, Komponist und Pädagoge in Paris
tätig" war, "wo er ein überaus enger Freund des französischen
Königspaares und vieler anderer französischer Persönlichkeiten war (er
verkehrte auch im Salon Beaumarchais) ...1788 führte ihn eine
Konzerttournee durch mehrere italienische Städte bis nach Mailand." [2]
1789, nach [2] sehr wahrscheinlich noch vor Ausbruch der französischen
Revolution, ging Dusík nach London. Mit Blick auf sein privates und
öffentliches Leben dort kann sein folgendes Lebensjahrzehnt als
besonders glücklich und erfolgreich bezeichnet werden.
Noch einmal zurückblickend auf die Zeit vor dem Pariser Aufenthalt, sei
Regula Rapp wie folgt zitiert:
"... 1782 finden wir ihn als namhaften Virtuosen in Hamburg wieder. In
der musikalisch-kulturell lebendigen Hansestadt soll er die Bekanntschaft
Carl Philipp Emanuel Bachs gemacht haben, vielleicht hat dieser ihn
sogar unterrichtet."
Etwas später "..., startete Dussek eine ausgedehnte Konzerttour durch
ganz Deutschland, auf der er nicht nur als Klavier-, sondern auch als
Glasharmonika-Virtuose brillierte. Ende 1786 begleitete Dussek den
Hofmeister des französischen Gesandten in Deutschland in die
Musikhauptstadt Paris, wo er bis 1789 am Hofe und speziell vor Marie
Antoinette als Pianist auftrat und ein gefragter Musiklehrer war. Die
engen Kontakte zum Adel machten ihn bei den Revolutionären
verdächtig, und so floh Dussek (wie viele seiner Kollegen) beim
Ausbruch der Französischen Revolution nach England." [6]
So bleibt es fraglich, ob es Dusík schon vor der Revolution und
unabhängig von ihr nach London trieb oder ob seine Gefährdung dafür
ursächlich war.
Von dem letzteren geht auch Andreas Staier aus: "Zwei Städte sind es,
in denen er sich für längere Zeit niederläßt: Paris und London. 1786 bis
1789 lebt er in der französischen Hauptstadt. Er verläßt sie während der
revolutionären Wirren, wohl zu Recht fürchtend, sein enger Kontakt zu
Marie-Antoinette könnte ihm dort zum Verhängnis werden. ...[5]
In diesem Zusammenhang erfahren wir von Staier noch das folgende
interessante biographische Detail: "Hier fragt man sich, ob der anfangs
zitierte Autor - übrigens der Pariser Korrespondent der 'Allgemeinen
musikalischen Zeitung' (Leipzig) - in seinem Nachruf auf Dussek recht
damit hat, wenn er Dussek umstandslos als 'deutschen Komponisten'
vereinnahmt. Denn besagter Salonton kommt wohl eher aus Paris oder
London als aus Wien, und erstaunlicherweise ist gerade Wien das
einzige große Musikzentrum, das der weitgereiste Virtuose nie betreten
hat." [5]
Seit 1792 mit einer Musikerin, einer ehemaligen Schülerin, verheiratet,
betrieb er in London später gemeinsam mit seinem Schwiegervater
einen Musikverlag und Musikalienhandel.
Wurde 1799 noch seine Tochter geboren, so ging die Londoner Zeit im
gleichen Jahr auf dramatische Weise zu Ende. Wegen drohenden
Konkurses der Firma floh der Meister, während sein Schwiegervater in
Haft kam. Frau und Tochter hat Dusík niemals wiedergesehen, wobei
seine Ehe leider durch Untreue beider Partner bereits zerrüttet war.
Überhaupt gab es wohl in Dusíks Leben noch einige weitere LiebesAffären. Das ist bedauerlich, eine moralische Bewertung aber nicht
unsere Sache. Unsere Sache ist eine große Dankbarkeit für das uns
überkommene Lebenswerk des Musikers.
Anfang des Jahres 1800 kam er in Hamburg in Kontakt mit dem
preußischen Prinzen Louis Ferdinand, der als Neffe Friedrichs des
Großen selbst ein begabter Musiker war und vormals Unterricht bei
Beethoven gehabt hatte.
Lorenz Luyken schrieb über den Prinzen: "Louis Ferdinand, eine
charismatische, vielfältig begabte Person, musizierte nach Beethovens
berühmtem Urteil 'gar nicht prinzlich oder königlich, sondern wie ein
tüchtiger Klavierspieler'...". [8]
Von Regula Rapp erfahren wir: "Wenig später brach Dussek zu einer
triumphalen Konzert-Tournee in seine böhmische Heimat auf; die
Kritiken sprachen von einem 'non plus ultra der Kunst'." [6]
Dann "nahm Louis Ferdinand ihn" im Mai 1804 "mit in die Garnisonsstadt
Magdeburg. Von da an bis zu Louis Ferdinands Tod war Dusík Lehrer,
Kammermusikpartner, Kapellmeister, Gesellschafter und auch
Zechkumpan des Prinzen, ohne daß ein fester Vertrag zustande
gekommen war. Durch die Beziehungen Louis Ferdinands hatte Dusík
auch Zugang in Kreise so prominenter Persönlichkeiten wie Johann
Wolfgang von Goethe und Louis Spohr." [2]
Für die Magdeburger Zeit sei noch ohne Kommentar ein längeres Zitat
aus dem einleitend erwähnten Volksstimme-Beitrag angefügt:
"Zeitzeugen berichten, wie der Prinz im Morgengrauen aufstand, nur in
Hemd und Unterhose sich vor dem Klavier niederließ und gemeinsam
mit dem nur mit einem Schlafrock bekleideten Dussek musizierte. Das
taten sie auch noch, als sich der Empfangssaal im Fürstenbau der
Dompropstei im Laufe des Vormittags mit Offizieren füllte. Der Musiker
paßte sich schnell dem ausschweifenden Lebensstil seines preußischen
Freundes an. Dussek verfiel immer mehr dem Alkohol, der im Hause des
Prinzen quasi in Strömen floß. Prinz Louis Ferdinand fiel im Oktober
1806 in der Schlacht von Saalfeld.
Neben dem Musiker Louis Spohr wird auch Dussek nachgesagt, als
erster den Pianoflügel seitlich zum Publikum aufgestellt zu haben, um
durch den angehobenen Deckel den Schall besser ins Publikum zu
leiten. Da sich die beiden Musiker im Hause des Prinzen Louis
Ferdinand in Magdeburg begegnet waren, mag die Idee vielleicht in
einem gemeinsamen Gedankenaustausch geboren worden sein." [1]
Für mich als Magdeburger ist interessant, daß Dusíks Magdeburger Zeit
auch in [2] durch folgende Passage mit Gewicht versehen ist:
"Daß ein sehr freundschaftliches und vertrautes Verhältnis zwischen
dem Böhmen und dem Prinzen bestanden haben muß, steht außer
Zweifel; man nehme als Beispiel eine Notiz von Louis Ferdinands
Adjutanten Carl Graf von Nostiz:
„[…] und um 6 Uhr Tafel. Hier erwarteten uns Frauen und die
Gesellschaft munterer Männer […] Ausgewählte Speisen und guter
Wein, besonders Champagner […], stillte Hunger und Durst, doch das
Mahl […] wurde durch Musik und den Wechsel heiterer Erholung weit
über das gewöhnliche Maß verlängert. Neben dem Prinzen stand ein
Piano. Eine Wendung und er fiel in die Unterhaltung mit Tonakkorden
ein, die dann Dussek auf einem anderen Instrument weiter fortführte. So
entstand oft zwischen beiden ein musikalischer Wettkampf, ein
musikalisches Gespräch konnte man es nennen, das alle durch Worte
angeregte Empfindungen der Seele in bezaubernden Tönen lebhafter
fortklingen ließ.“ "
Folgen wir schließlich nochmals der Quelle [2], die hier offenbar recht
zuverlässig informiert.
Danach ging diese musikalisch intensive Partnerschaft jäh zu Ende, als
der Prinz am 10.10.1806, 4 Tage vor der Schlacht bei Jena und
Auerstedt, als Kommandant einer preußischen Vorhut im Kampf mit
Napoleonischen Truppen fiel.
Weiter heißt es: "Nach dem Tod des Prinzen war Dusík eine kurze Zeit
beim Prinzen von Isenburg angestellt, bevor er erneut nach Paris zog,
wo er die letzten Jahre seines Lebens vom französischen Minister
Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord abhängig war." [2]
Für diese Zeit erfahren wir noch: "Er soll viel zu korpulent gewesen sein
in diesen letzten Lebensjahren, und er soll zu viel getrunken haben. Am
20. März ist Jan Ladislav Dussek an Gicht gestorben, betrauert von der
musikalischen Gesellschaft in ganz Europa." [6]
3. Zum kompositorischen Werk
Da auf spezielle Werke später detaillierter eingegangen werden soll, folgt
hier zunächst die Wiedergabe einer überblicksmäßigen
Gesamtdarstellung:
"Jan Ladislav Dusík war sein Leben lang von seinem kompositorischen
Schaffen unabhängig. Er war in erster Linie ein gefeierter Virtuose, der
ganz Europa bereiste und darin eine gewisse Unabhängigkeit erreichte
(er stellt zweifelsohne einen, wenn nicht den ersten Liszt-Vorgänger dar,
welcher rund 30 Jahre später Europa in seinen Bann ziehen wird).
Sein recht umfangreiches Werk (Das C.-Verzeichnis nach Craw nennt
immerhin 287 + 17 Werke) kann, wenn man seine große Bedeutung
repräsentieren will, auf eine beträchtlich kleinere Auswahl reduziert
werden. Als Virtuose komponierte er überwiegend für sein Instrument,
neben Solostücken auch eine Klavier-Kammermusik und Solokonzerte.
Lediglich einige Ouvertüren, eine Osterkantate und die Streichquartette
op. 60 gehören dem Genre der klavierlosen Orchester- bzw.
Instrumentalmusik an. Ein leider relativ großer Teil seiner
Soloklaviermusik war hauptsächlich auf oberflächliche Technik
ausgelegt; Werke, die schnell niedergeschrieben und gut zu spielen
waren (Die meisten dieser 'sonatinenhaften' Sonaten finden sich in den
Jahren 1789 bis 1799)." [2]
Nach einer bestimmten Zählung wird die Anzahl seiner Klaviersonaten
mit 31 oder 32 angegeben.
Interessant ist der Hinweis: "Unter den frühen Sonaten, zwischen 1786
und 1789 entstanden, finden sich überraschenderweise die virtuosesten
und technisch anspruchsvollsten Stücke, obgleich die größten Erfolge
als Pianist erst über die kommenden Jahre eintreten sollten." [2]
"Die fünf späten Sonaten, von der Élégie harmonique in fis-Moll op. 61
bis zur L'invocation in f-Moll op. 77 gehören (bis auf die Sonate in D-Dur
op. 69/3) zu Dusíks bedeutendsten Werken, stehen in ihrer Qualität den
Klaviersonaten anderer Meister jener Zeit in nichts nach. Während die
Élégie harmonique ein freies, fast rhapsodisches Werk ist, präsentieren
die drei Sonaten in As-Dur op. 64 (geschrieben anläßlich seiner
Rückkehr nach Paris; auch als op. 71), Es-Dur op. 75 und f-Moll op.77
den typischen späten Dusíkschen Spätstil, der sich u. a. im letzten
Klavierkonzert in Es-Dur op. 70 oder der Sonate zu vier Händen in B-Dur
op. 74 findet, welcher sich durch elegante, fast schon salonhafte Brillanz,
höchst anspruchsvolle Mehrstimmigkeit (z. B. in der Sonate op. 64: Eine
sich aufwärtsschraubende Sechzehntel-Linie bei gleichzeitig darüber
aufsteigenden Vierteln in der rechten Hand), ungewohnt dichte
thematische Ausarbeitung und kühne Harmonik auszeichnet. Die Nähe
zu Johann Nepomuk Hummel, Franz Schubert und Carl Maria von
Weber, aber vereinzelt sogar zu Fryderyk Chopin, Robert Schumann und
gar Johannes Brahms, kann diesen späten Werken nicht abgesprochen
werden." [2]
Neben dem Klavier ist auch die Harfe ein Instrument, zu dem Dusík eine
enge Beziehung hatte:
"Von Bedeutung ist auch die – im Vergleich zu anderen Komponisten –
hohe Anzahl der Kompositionen für Harfe. Dusík war lange Phasen
seines Lebens von Harfenistinnen umgeben: Schon seine Mutter war
eine talentierte Harfenistin, des Weiteren seine Frau Sophia Corri,
schließlich seine Tochter Olivia (Komponistin einer Großen Sonate für
Harfe solo, die lange Zeit Dusík zugeschrieben wurde)." [2]
Deswegen findet man auch eine Reihe von Aufnahmen von Dusík mit
Harfe bei youtube.
Auch was bei einem Verlag hoch angesehen war, ist eine wichtige
Aussage über das Werk des Komponisten: "Eine Sammlung seiner
Kompositionen, bestehend aus zwölf Konzerten, einer konzertierenden
Symphonie für zwei Klaviere, einem Quintett und Quartett, zahlreichen
Trios, Sonaten, Fantasien und anderen Werken, erschien in neun
Bänden in Leipzig bei Breitkopf u. Härtel sowie bei Litolff." [2]
Mit den Konzerten sind hier Klavierkonzerte gemeint, unter Quintett und
Quartett sind Klavierquintett und -quartett zu verstehen.
4. Zur musikhistorischen Bedeutung
Entgegen der geringen Bekanntheit Dusíks heutigentags muß ihm eine
enorme musikhistorische Bedeutung zuerkannt werden.
Eine Reihe von Komplimenten verschiedener Autoren an den
Komponisten wurde oben bereits zitiert.
Auf ein Lob von Altmeister Haydn, welches in ähnlicher Form nur noch
gegenüber Mozart bekannt ist, geht Andreas Staier ein:
" 'Dussek hat fast so viel, als J. Haydn, und wenigstens nicht weniger, als
Mozart, dazu beygetragen, daß deutsche Tonkunst im Auslande gekannt
und geehrt werde ...', 'le beau Dussek...', 'one of the most accomplished
gentlemen of the day ...'- über Mangel an Komplimenten seitens seiner
Zeitgenossen brauchte Dussek sich wahrlich nicht zu beklagen. Das in
unseren Augen gewichtigste erhielt er vom alten Meister Haydn selbst.
Beide hatten sich 1792 in London kennengelernt. Dussek hatte dem
berühmten Kollegen, solange sich dieser in London aufhielt, seinen
Broadwood-Flügel zur Verfügung gestellt, und Haydn schreibt nach
dieser Bekanntschaft an Dusseks Vater: 'Ich schätze mich glücklich, Sie
zu versichern, daß sie den rechtschaffendsten, gesittetsten, und in der
Tonkunst vortrefflichsten Mann zum Sohne haben. Ich liebe denselben
eben so wie Sie, weil er es ganz verdient.' Solch Lob verwundert fast,
denn eigentlich liegen zwischen beiden Komponisten Welten. Dussek
verkörpert - gleichzeitig mit M. Clementi - einen neuen Musikertypus: den
des ganz Europa quer durchreisenden, überall gefeierten
Klaviervirtuosen. Er hatte es nicht nötig, wie Haydn Jahrzehnte brav in
einer Provinzresidenz zu dienen, und ihm gelingt, worum ihn Mozart
beneidet haben dürfte: immer zur rechten Zeit einen liquiden Grafen zur
Hand zu haben, der für erhöhten Lebensstandard und ausgiebige
Tafelfreuden aufkommt. Champagner ist ein Leitmotiv in Dusseks
Briefen." [5]
Bedenkt man, daß Dusík gerade einmal 4 Jahre jünger als Mozart, aber
fast 11 Jahre älter als Beethoven war, so erstaunt um so mehr, was der
Pianist Staier an Dusíks Musik preisen kann [Op.-Zahl-Angaben in
eckigen Klammern nicht original]:
"Scheint Dusseks Biographie vorweggenommenes 19. Jahrhundert zu
sein, so gilt für seine Musik in vieler Hinsicht dasselbe: tragen nicht die
Anfangssätze der c-moll- und G-Dur-Sonate [ Op. 35, 2 und 3] in ihrem
Heroismus und ihrer triumphalen Antithetik Züge des mittleren
Beethoven? Aber dieser hatte 1796 gerade erst seine Sonaten op. 2
veröffentlicht, und Dussek wird diese Werke wohl kaum gekannt haben.
Und erinnert nicht der erste Satz der B-Dur-Sonate [Op. 35,1] in seiner
rhapsodischen Auffassung von der Sonatenform, mit seiner Vorliebe für
farbige Modulationen anstelle thematischer Durchführung an
Schubertsche Konzeptionen? Aber 1797 ist Schuberts Geburtsjahr! Andere Charakteristika seiner Musik weisen noch weiter in die Zukunft:
ein spezifischer 'Salonton', besonders in den böhmisch-folkloristischen
Schlußsätzen von Op. 31,2 und Op. 35,1 und 3, läßt sich über J. Field
bis Chopin verfolgen, der Jahrzehnte später die Pariser high-society mit
polnischen Mazurken beglückte." [5]
Das sei durch ein Urteil des tschechischen Pianisten Hanuš Bartoň
ergänzt:
"Die interessantesten Bestandteile [von] Dusíks Stil bilden Harmonie und
Rhythmus. Dusík geht in seinen Avantgardewerken chromatisch vor und
verwendet Modulationen, die zu dessen Zeit nur schwer zu erklären
waren und die noch heute nach der Erfahrung des Zerlegens der
Tonalen Ordnung nicht alltäglich wirken. Für die rhythmische
Eingliederung ist eine häufige Verwendung der unterschiedlichsten
Synkopearten charakteristisch. Das reicht manchmal so weit, daß in
bestimmten Augenblicken das Bewußtsein des guten Taktteils
verschwindet, was der Autor meist mit der Gradation des dramatischen
Ausdrucks verbindet." [4]
Ein längeres Zitat nach Lorenz Luyken soll den hohen Rang des
Komponisten noch einmal bestätigen:
"Es gibt Komponistenpersönlichkeiten, deren Werk so schillert, daß sie
uns an unseren gewohnten und bewährten musikgeschichtlichen
Kategorien irrewerden lassen und so Kunsterlebnisse besonderer Art
ermöglichen. Dazu zählt auch Jan Ladislav Dussek (1760-1812). Von
seiner Lebensspanne her gehört er zur Generation der klassischen
Komponisten, vieles an seinen besten Kompositionen weist jedoch weit
über seine Zeit, auf Chopin, Schumann und Smetana hinaus. Obwohl in
Böhmen geboren, entzieht er sich doch gänzlich dem provinziellen
Klischee eines 'böhmischen Musikanten'. Wie viele seiner Landsleute,
denen die europäische Musik des 18. und frühen 19. Jahrhunderts so
viel zu verdanken hat, mußte er sein Auskommen fern der Heimat
suchen. Den Haag, Hamburg, St. Petersburg, Paris, Mailand, London,
Berlin und schließlich wieder Paris wurden seine Wirkungsstätten, und
hier entwickelte er unter dem Einfluß Johann Sebastian und Carl Philipp
Emanuel Bachs, Haydns, Mozarts, Scarlattis und Clementis einen
eigenwilligen, gleichsam kosmopolitischen Klavierstil, den buchstäblich
'die ganze Welt' verstand - viele Quellen sprechen dafür, daß Dussek
einer der bekanntesten und anerkanntesten Musiker seiner Zeit gewesen
ist. Der virtuose Stil vieler seiner Stücke wie auch deren häufige
'charakteristische' Titel zeugen davon, daß er sowohl dem Sensations-
als auch dem Bedeutungshunger des breiten Publikums
entgegenzukommen wußte, die Kenner aber gleichermaßen zufrieden
stellte, die - wiederum in seinen besten Werken - in seinen enormen
technischen Anforderungen weniger eitlen Selbstzweck als machtvolles
Ausdrucksmittel, in seinen Titeln mehr poetische Andeutung als platte
Illustration finden konnten. Nicht zuletzt spiegelt sein unruhiger
Lebenslauf beinahe prototypisch die revolutionären sozialen und
politischen seiner Zeit wieder, die wir angesichts der
wohlproportionierten, erhabenen und stilisierten Hervorbringungen
klassischer Kunst allzu gerne zu vergessen bereit sind: Dusseks erste
Schritte in den Musikerberuf finden noch unter der feudalen Patronage
böhmischer Adliger statt, seinen Ruhm begründet er indes als reisender
Klaviervirtuose gleichermaßen beim bürgerlichen Publikum der großen
Handelsstädte wie an den Fürstenhöfen Europas. Buchstäblich am
Vorabend der französischen Revolution gelingt es ihm, in England unter
den Bedingungen einer fortgeschrittenen bürgerlichen, sozial und
wirtschaftlich vergleichsweise liberalen Gesellschaft eine zunächst
glänzende Existenz als freier Unternehmer aufzubauen und sich dabei
erfolgreich als Konzertpianist, Klavierpädagoge, Komponist und Verleger
zu betätigen, bis ihn der wirtschaftliche Ruin seines Verlages schließlich
zur Rückkehr auf den Kontinent zwingt. Dort krönt und beschließt er
seine Laufbahn in Diensten zweier ebenso kunstsinniger wie
geltungsbedürftiger Aristokraten, des Prinzen Louis Ferdinand von
Preußen und des französischen Ministers Graf Talleyrand." [8]
Hinsichtlich seiner letzten Jahre konstatiert Regula Rapp:
"In den Jahren 1807 bis zu seinem Tode gab Dussek noch einige sehr
beachtete Konzerte. Bereits nach seinem ersten Pariser Auftritt war in
der Allgemeinen musikalischen Zeitung über 'einen der Schöpfer des
wahren Pianofortespiels' zu lesen: 'So war es denn wirklich etwas sehr
Erwünschtes, das ein Mann, wie Dussek, hieher kam, das Spiel zu
reformieren, und das Instrument seiner natürlichen Bestimmung, Würde
und Eigentümlichkeit wieder zuzuführen.' Außerdem unterrichtete der
berühmte Musiker einige Schüler und komponierte Sonaten, Fantasien
und Konzerte." [6]
Eine glänzende Bestätigung der großen Bedeutung der Klavierwerke
Dusíks geben die folgenden Ausführungen:
"..., daß die erste zwölfbändige Ausgabe der Klavierwerke J. L. Dusíks
bei Breitkopf & Härtel in der Zeit vom Juni 1813 bis Juni 1817 erschienen
ist. Eine Ankündigung für den Bezug dieser Edition hat die Firma
Breitkopf & Härtel im Intelligenz Blatt schon im März 1813 abgedruckt.
Daraus erfahren wir, daß Dusík anläßlich seines letzten Aufenthaltes in
Leipzig im Jahre 1807 mit dem Verlag persönliche, freundschaftliche
Verbindung angeknüpft und ein Übereinkommen nicht nur wegen
Herausgabe seiner Werke abgeschlossen hat, sondern auch hinsichtlich
der Vorbereitung ihrer Manuskripte für den Druck, was ein unwiderleglicher Beweis dafür ist, daß Dusík aktiv bei der Editionsarbeit seiner
Klavierwerke mitgewirkt hat. Diese Feststellung bekräftigt den QuellenWert der Dusík-Edition der Firma Breikopf & Härtel. Dusíks Tod i. J. 1812
konnte die Vorbereitung des Materials für den Druck offenbar nicht mehr
ernstlich gefährden, da die Edition im großen und ganzen schon
vorbereitet und vom Autor genehmigt war. Im übrigen bestätigen auch
die Quellen über die letzten Lebensjahre Dusíks einstimmig, daß sich
der Komponist gerade in dieser Epoche mit der Ordnung seiner Werke
beschäftigte, was nur so aufzufassen ist, daß er die Gesamtausgabe
seiner Klavierwerke vorbereitete. ... Gleichzeitig kündigte die Firma
Breitkopf damals an, daß sie sich voll der Edition von Dusíks Werken
widme, und stellt z. B. bedeutende Editionen Haydnscher und
Mozartscher Werke zurück. Dies ist gleichzeitig ein Beleg dafür, welch
bedeutenden Widerhall in der Welt das im Stil so Neues durchsetzende
Klavierwerk Dusíks hatte." [3]
Hier ist die Zurückstellung der Editionen von Werken Haydns und
Mozarts zugunsten der Werke Dusíks besonders hervorzuheben. Die
Vorbereitung der Ausgaben durch Dusík persönlich in seinen letzten
Lebensjahren relativiert auch etwas die oben wiedergegebenen Berichte
über seinen Verfall im Zusammenhang mit massivem Alkoholkonsum.
Die Frage, weshalb Dusík heute recht wenig bekannt ist, kann nicht
allein durch das Vorherrschen von Klavierwerken in seinem
Gesamtwerk, also eine gewisse Einseitigkeit, beantwortet werden, wie
durch Vergleich mit Chopin leicht zu belegen ist. In gewissem Sinne
kann man seine Klavierwerke in Konkurrenz zu Beethoven sehen, der
sich bei der Nachwelt eindeutig durchgesetzt hat. Hierbei ist aber auch
der andersartige Charakter der Werke zu beachten. Trotz seiner weit
vorauseilenden Fortschrittlichkeit in Stil und musikalischen Erfindungen
ist Dusíks Musik kaum durch revolutionären Pathos und Tabubrüche,
sondern eher durch Noblesse, edle Empfindungen und Gesanglichkeit,
aber auch durch Virtuosität und herzhafte Volkstümlichkeit
gekennzeichnet.
5. Londoner Klaviere und Dusíks Einfluß auf sie
Mehrfach erfahren wir aus den herangezogenen Quellen Interessantes
über den Unterschied in Bau und Klang zwischen den Londoner und den
Wiener Klavieren. Der Pianist Andreas Staier äußert sich dazu wie folgt:
"Auch wirkt er ausgesprochen modern in seiner ausgreifenden Virtuosität
und Vollstimmigkeit, verglichen mit der klaren Transparenz der Wiener
Klaviermusik vor 1800. Hier haben wir ein gutes Beispiel für die
wechselseitige Beeinflussung von Instrument und Spieler/Komponist: die
englischen Instrumente - die Dussek ausdrücklich bevorzugt - erlauben
in der Tat eine viel 'modernere', expansivere Spielweise als die
gleichzeitigen Wiener Flügel." [5]
Man beachte, daß Beethoven im Jahre 1817 ein Londoner BroadwoodKlavier geschenkt wurde.
Dusíks Ruhm wie sein bewußtes Ausnutzen der Möglichkeiten des
Instrumentes waren Chance und Anlaß, auch auf den Klavierbau direkt
Einfluß zu nehmen: "London bedeutete für Dussek, der hier elf Jahre
verbrachte, den Gipfel seines Ruhms. Er trat in zahlreichen Konzerten
der bedeutenden Konzertreihen auf und wurde einer der beliebtesten
Musikpädagogen seiner Zeit. Schon bald nach seinem ersten Auftritt in
den Hannover Square Rooms kannte die Begeisterung der Kritiker keine
Grenzen mehr. ... Und er überzeugte den renommierten Londoner
Klavierbauer John Broadwood davon, den Tastenumfang seiner
Instrumente zu erweitern - im Jahr 1791 von fünf auf fünfeinhalb Oktaven
und 1794 um eine weitere halbe Oktave auf sechs Oktaven." [6]
Noch ausführlicher berichtet Christopher Clarke:
"Dussek lebte in den Jahren 1789 bis 1799 in London. Während dieser
Zeit schloß er mit dem Klavierbauer Broadwood Freundschaft...
Die englischen und die Wiener Klaviere aus dieser Zeit unterscheiden
sich grundlegend. Die englischen Instrumente sind laut, rund, volltönend,
dramatisch, vielleicht sogar ein wenig gewöhnlich; die Wiener sind
weicher, mit mehr hohen Farbtönen, behende, fein und irgendwie
beherrscht. Bei einem Wiener Klavier ist der Rahmen massiv und starr,
im Gegensatz zum Resonanzboden, der leicht und flexibel ist. Trotz
seiner eher massiven Erscheinung ist ein englisches Instrument
tatsächlich von recht leichter und flexibler Bauart, hat aber einen
Resonanzboden, der drei- bis viermal so dick ist wie der seines Wiener
Gegenstücks. Daher vibriert das gesamte Instrument mit den Saiten,
einer Violine vergleichbar. Die anderen Unterschiede liegen in der
Mechanik; die leichten, an den Tasten befestigten Hämmer streifen die
Saiten ziemlich am Ende und erzeugen eine stark nuancierte,
abwechslungsreiche Klangfarbe. Die schwerere, an der Leiste
befestigten englischen Hämmer streifen die Saiten mehr in der Mitte;
dies ergibt einen dumpferen, weniger nuancierten, doch sehr viel
kräftigeren Klang. Schließlich waren die englischen Dämpfer im
Unterschied zu der präzisen Dämpfung der Wiener Instrumente
absichtlich wirkungslos belassen und ergeben so einen beständigen
Nachklang, der die 'lebendige' und angeregte Klangqualität verstärkt heute wirkt dies auf uns irgendwie beunruhigend. Insgesamt hört sich ein
klassisches englisches Klavier für unsere Ohren überraschend 'modern'
an.
Dussek, der mit deutschen/österreichischen Klaviermodellen
aufgewachsen war, freute sich über die dramatischen Möglichkeiten der
ihm angebotenen englischen Instrumente und nutzte sie; seine
öffentlichen Auftritte erforderten die Klangintensität, die zu dieser Zeit nur
ein englisches Klavier bieten konnte. Um dieselbe Intensität zu
erreichen, mußte man die Wiener Klaviere 'sempre fortissimo' spielen
und verlor so die ganze Vielfalt an Nuancen, die ihren Hauptvorzug
darstellen." [7]
6. Zu meinen eigenen Erfahrungen und den späten Klaviersonaten
Durch solcherlei Informationen angeregt, wünschte ich, in den Besitz von
CDs, besonders aber von Noten zu gelangen.
Dafür, daß Dusík in gewissen Kreisen auch heute doch nicht so
unbekannt ist, wie es allgemein den Anschein hat, spricht, daß die
Einspielungen ausgewählter seiner Klavierwerke durch den Pianisten
Andreas Staier, berühmt durch seine Interpretationen auf dem
Hammerflügel, vergriffen sind. Er spielte auf einem BroadwoodHammerflügel von 1805, wodurch diese Aufnahmen uns das Spiel von
Dusík selbst eindrucksvoll besonders nahe bringen.
Vorher gefielen mir aber Interpretationen auf einem modernen Flügel
schon sehr, zunächst durch die CD [4] mit Hanuš Bartoň und dem
Streichquartett Apollon, die außer Dusíks letzter Sonate Op. 77 noch das
Klavierquintett Op. 41 in f-moll und das dem Prinzen Louis Ferdinand
gewidmete Klavierquartett Op.56 in Es-Dur enthält, die auch beide sehr
hörenswert sind.
Um Interpretationen von Dusíks Klaviersonaten auf dem modernen
Konzertflügel hat sich der Hannoveraner Pianist Markus Becker sehr
verdient gemacht. Eine CD enthält die 3 frühen Sonaten Op. 9 und
wiederum die Sonate Op. 77, die andere die 3 großen Sonaten Op. 44,
61 und 64 [8]. Auch hier ist das Zuhören ein Genuß; und schließlich
werden ja auch Beethovens Klaviersonaten weit überwiegend auf
modernen Flügeln dargeboten.
Später gelang es mir doch noch, die Staier-CDs aufzutreiben, eine mit
den sehr gelobten früheren 3 Sonaten Op. 35 sowie der Sonate Op. 32,
Nr. 2, die zweite mit Fantasie und Fuge f-moll Op. 55, gleichzeitig sehr
virtuos und eindrucksvoll, und wiederum der Sonate Op. 64 [5].
Schließlich beeindruckt auch noch eine CD mit Andreas Staier und
Concerto Köln mit den Klavierkonzerten Op. 22 in B-Dur und Op. 49 in gmoll, wobei besonders das zweite durch Originalität aufhorchen läßt und
sich rasch einprägt, [6] bzw. [7]. Diese CD enthält aber außerdem das
oben bereits erwähnte Werk Tableau "Marie Antoinette" Op. 23 mit
Andreas Staier und dem Sprecher Jean-Michel Forest.
An Noten besaß ich schon seit längerem die 6 Sonatinen Op. 19, alle
sehr reizvoll, verlegt bei The Associated Board of the Royal Schools of
Music.
In deutschen Verlagen fand ich dann nur, und das gleich bei mehreren
Verlagen, das alleinstehende Rondo "Les Adieux" in B-Dur. Bei diesem
Stück fallen einem Begriffe wie Ohrwurm oder Gassenhauer ein, es ist
ein hübscher und wohl komponierter Schlager, der früher bei Laien und
Klavierlehrern recht beliebt gewesen sein muß. Meine Ausgabe vom
Verlag Schott Musik International, Mainz, stammt von 1912 (!). Die
Bekanntheit dieses Stückes war für den Ruf des Komponisten Dusík
vielleicht ebenso nachteilig, wie die Bekanntheit "des Menuetts" von Luigi
Boccherini, der ein enormes kompositorisches Werk hinterlassen hat.
Aber recht dringend war nun mein Wunsch nach Noten von DusíkSonaten. Diese mußten aus Prag bezogen werden, siehe [3], und waren
ein wenig "preisintensiv", weshalb ich mich auf die Bände 3 und 4 von 4
Bänden beschränkte. So bin ich nun aber Besitzer der Noten aller
großen späten Sonaten, die hierzulande vermutlich sehr wenig verbreitet
sind.
Zunächst möchte ich in kürze den Inhalt der Bände durchgehen:
Der dritte Band beginnt mit der als "Grande Sonate" gekennzeichneten,
2-sätzigen Sonate Op. 43 in A-Dur, die sehr originell und teilweise
regelrecht orchestral angelegt ist und für die mir leider bisher keine
Einspielung bekannt geworden ist.
Dann folgt als herausragendes Massiv die Sonate Op. 44 in Es-Dur,
"Grande Sonate The Farewell", ein 4-sätziges Riesenwerk, das in der
davor liegenden Zeit wohl seinesgleichen sucht.
Darauf folgen die 3 kleineren Sonaten Op. 45, für die trotzdem in [3]
verschiedene Neuheiten gelobt werden.
Über die beiden Sonaten Op. 47 lesen wir in [3], sie gehörten "durch
ihren leichten und technisch aufgelockerten, mozartisch-klassizierenden
Ausdruck zu den Werken der schöpferischen Atempause, u. zw.
Unmittelbar bevor Dusík die Gipfelsonaten der letzten Schaffensperiode
in Angriff nimmt".
Der 4. Band beginnt mit der oben bereits mehrfach erwähnten 2-sätzigen
Sonate Op. 61 in fis-moll, "Élégie harmonique sur la mort de son Altesse
Royale le Prince Louis Ferdinand de Prusse". Einzigartig in ihrem
Charakter, hinterläßt sie schon beim ersten Hören einen
unvergleichlichen Eindruck.
Nach der Sonate Op. 69, No. 3 in D-Dur, die wieder traditionell gehalten
ist, folgt die grandiose und außerordentlich gerühmte 4-sätzige Sonate
Op. 70 in As-Dur "Le retour à Paris", deren Virtuosität und Brillanz nicht
äußerlich bleibt, sondern einem tiefen musikalischen Inhalt dient.
Ein weiteres großes Werk ist die 3-sätzige Sonate Op. 75 in Es-Dur,
"Grande Sonate", die jedoch einen völlig anderen Charakter aufweist:
Salonmusik im positiven Sinne mit großer Noblesse, die mit John Field
oder Carl Maria von Weber in Verbindung gebracht werden könnte.
Schließlich finden wir als Dusíks vermutlich letztes Werk die tiefgründige
Sonate Op. 77 in f-moll mit dem etwas rätselhaften oder geheimnisvollen
Titel "L'invocation".
Als Appendix ist diesem Band noch eine ganz frühe, aber auch
aufschlußreiche und technisch anspruchsvolle Sonate Op. 5, No. 3 in
As-Dur angefügt.
Man kann demnach die Bedeutung der Klaviermusik Jan Ladislav Dusíks
ganz wesentlich anhand der 4 mit besonderen Titeln versehenen
Sonaten herausstellen!
Deshalb seien diese mittels Zitaten der verwendeten Quellen noch
tiefergehend charakterisiert. Redundanzen werden dabei bewußt in Kauf
genommen, werden doch immer wieder weitere Aspekte herausgestellt:
Zur Gesamtheit aller 4 Sonaten ist in [4] zu lesen:
"Es sind vor allem vier kulminierende Programmklaviersonaten, in denen
Dusík suggestiv die künftige Musiksprache voraussieht (op. 44 Es-Dur
'The Farewell', op. 61 fis-Moll 'Elegie harmonique sur la mort se son
altesse Royale Prince Louis Ferdinand de Prusse' - gewidmet dem
Prinzen Lobkovic, Herzog von Roudnice, op. 70 As-Dur 'Le retour a
Paris' und op. 77 f-Moll 'L'invocation'). Diese Kompositionen, welche
entweder Ende des 18. Jahrhunderts oder in der ersten Dekade des 19.
Jahrhunderts entstanden waren, erreichen eine Entwicklungsstufe, die
bereits dem Romantikstil entspricht. Dusíks Stil ist markant eigenlebig.
Der Klaviersatz der progressiven Dusík-Kompositionen ist reicher und
klangvoller, als in den Werken der meisten Zeitgenossen, allerdings stellt
er ebenso höhere technische Ansprüche. Dusík war vom Mechanikklang
[in der wohl zutreffenderen englischen Übersetzung: by the sound of the
mechanics] der englischen Instrumente beeinflußt worden, welche er
während seines Wirkens in London kennengelernt hatte. Vielleicht
verstand er es als erster, deren Vorteile voll zu würdigen und in seinem
Schaffen die bis zu jener Zeit unbekannten Klangmöglichkeiten zu
nutzen."
Ohne Berücksichtigung der letzten Sonate gilt auch nach [8]:
"Alle diese vielfältigen Aspekte des Dussekschen Schaffens fokussieren
sich wie in einem Brennglas in den drei in dieser Aufnahme
versammelten Klaviersonaten, die wohl zu Dusseks besten Werken
gehören. Alle drei tragen sie Titel, die in unmittelbaren Zusammenhang
zu einschneidenden Ereignissen in Dusseks Leben stehen."
Die tschechischen Autoren von [3] würdigen die Farewell-Sonate wie
folgt:
"Besonders die Sonate Es dur op. 44 weist auf die monumentale
Konzeption und das großartige dramatische Pathos der letzten,
krönenden Sonatenwerke Dusíks hin."
Im Detail heißt es dann:
"Die Sonate Es dur op. 44 (Grande Sonate) mit dem programmatischen
Titel The Farewell ist dem berühmten Pianisten Muzio Clementi (1752 1832) gewidmet, der von seinem neunten Lebensjahre an auf dem Gut
des Sir Peter Beckford in Fonthill Abbey lebte und vom Jahre 1773 an in
London wirkte. Die Dedikation hat hier nicht eine äußerlich formelle
Bedeutung, denn zwischen Dusík und Clementi haben sich
ungewöhnlich herzliche freundschaftliche Beziehungen entwickelt. Die
Sonate Es dur gehört zweifellos zu den Gipfelwerken der
Klavierschöpfungen Dusíks. Es ist sicherlich bemerkenswert und
interessant, daß sie nicht nur durch ihre programmatische Benennung,
sondern auch durch ihre Tonart und durch ihren Ausdruck der
gleichartigen Sonate Beethovens Les Adieux (Es dur op. 81a)
nahekommt, die allerdings viel später - i. J. 1809-10 - entstanden ist.
Man muß sich dessen bewußt werden, da Dusíks Sonate Es dur noch an
der Neige des 18. Jahrhunderts geschrieben wurde. Vor allem fesselt sie
durch ihren reifen romantischen Ausdruck und durch ihre eigenartigen
subjektiven Gefühlsmotivationen. In dem prachtvollen zweiten Satz
(Molto adagio e sostenuto) kommt in der Melodie die böhmische
Volksliedweise zur Geltung. Neben dem Beethovenschen Pathos
können wir hier in der kühnen Harmonik sogar schon schüchterne
Elemente der impressionistischen Klangfarbigkeit feststellen. Einen
Beethovenschen Ausdruck hat auch der wunderschöne Menuettsatz und
der abschließende Rondoteil. Das Walzertrio des dritten Satzes weist
bereits Chopinsche Faktur auf und im Finalsatz melden sich neben
Anklängen an Schumann und Brahms sogar Töne eines an Smetana
gemahnenden Lyrismus. Eric Blom hat die Identität der Invention im
Ausdruck und in der Stimmungsatmosphäre dieses Satzes mit dem
Finalsatz des Brahmsschen Sextetts B dur, op.18, Nr. 1 aus d. J. 1860
festgestellt. Diese zu Unrecht übersehene und bis heute nicht voll
gewürdigte Sonate überragt an Bedeutung alles, was in dieser
Schaffensperiode Dusíks entstanden ist. Erst viel später, in der Sonate
fis moll op. 61 (Élégie harmonique) erreichte Dusík eine gleichartige
Tiefe der Ideen und Originalität."
Großes Lob wird dieser Sonate auch in [8] entgegengebracht:
"Die Sonate Es-Dur op. 44 - chronologisch die erste der drei, ist 1800
erstmals erschienen und trägt den Untertitel The Farewell/ A New Grand
Sonata. Ein Jahr zuvor war Dussek mit seinem zusammen mit dem
Schwiegervater betriebenen Londoner Verlag gescheitert und mußte vor
seinen Gläubigern auf das Festland fliehen. Auf der Insel ließ er nicht nur
Frau und Tochter zurück, sondern auch Muzio Clementi,
Widmungsträger und erster Verleger der Sonate, der ihm gleichermaßen
schärfster Rivale wie auch Inspirationsquelle und enger Freund
geworden war. Anders als in der elf Jahre später veröffentlichten "Les
Adieux"-Sonate von Beethoven ist der Hintergrund jedoch nur Anlaß und
nicht Gegenstand der Komposition - Dusseks Musik enthält so gut wie
keine darstellenden Elemente.
Seine wahrhaft 'große' Sonate ist mit ihren vier Sätzen und etwa einer
halben Stunde Spieldauer Dusseks bis dahin ambitioniertester Versuch
in der Sonatenkomposition."
Zu der Trauersonate für Prinz Louis Ferdinand bemerken die
tschechischen Autoren in [3]:
"Die Sonate fis moll op. 61 (Élégie harmonique) ist nach 1806 zum
Gedächtnis an Dusíks Freund, den preußischen Kronprinzen Fürst
Ludwig Ferdinand (1778-1806), entstanden, der am 10. Oktober 1806 in
der Schlacht bei Saalfeld gefallen war. ... Ohne Zweifel gehört die
Sonate fis moll zu den gedanklich bedeutendsten Klavierkompositionen
Dusíks. Sie hat einen ausgeprägt romantischen Charakter, denn sie ist
von poetisch gesteigertem musikalischem Ausdruck durchdrungen, hat
eine ziemlich lose Form und plastisch-farbige Modulation. In der
melodischen und harmonischen Struktur erweist sie eine ungewöhnliche
musikalische Vorstellungskraft."
Und in [8] heißt es dazu:
"Auch ein Farewell, allerdings der besonderen Art, stellt die Sonate fismoll op. 61 dar. Dussek komponierte sie als Élégie auf den Tod des
Prinzen Louis Ferdinand von Preußen, der im Oktober 1806 im Kampf
gegen napoleonische Truppen gefallen war. Im Jahr 1804 war Dussek in
die Dienste des Prinzen getreten. Ihr Verhältnis scheint jedoch nicht
herrschaftlicher, sondern kollegialer, ja freundschaftlicher Natur gewesen
zu sein. Theodor Fontane hat dieser Freundschaft in einer Episode
seines Romans 'Schach von Wuthenow' ein schönes Denkmal gesetzt."
Hier werden auch die beiden Sätze einzeln zutreffend charakterisiert.
Der erste Satz wird wie folgt bschrieben:
"Allen diesen Gestalten fehlt eine periodische Rundung, sie wirken
unvollständig, vorläufig, in ihrem zäsurlosen Nacheinander wie eine
Abfolge trost- und ruheloser Seelenzustände, flüchtige Episoden eines
Traums."
Für den zweiten Satz wird diagnostiziert:
"Als eindrucksvolles Sinnbild einer verzweifelten, ausweglosen Trauer
sucht dieser Satz nicht nur in der zeitgenössischen Musik
seinesgleichen."
Es sei auch wiedergegeben, was die große Sonate Op.70 in [3] gerühmt
wird:
"Die Sonate As dur op. 70 (Le retour à Paris) wurde i. J. 1807 nach
Dusíks Rückkehr nach Paris nach einer 18jährigen Abwesenheit von
Frankreich geschrieben und ist der Prinzessin von Benevent
zugeeignet.... Hier handelt es sich um eines der Gipfelwerke der
Klavierkompositionen Dusíks, u. zw. sowohl wegen seines gedanklichen
Inhalts, als auch hinsichtlich seines Umfangs und der baulichen
Konzeption des Ganzen. Auch in der Welt-Klavierliteratur nimmt die
Sonate einen bedeutenden Platz ein, vor allem wegen ihrer kühnen
harmonischen Struktur und ihrer bahnbrechenden chromatischen
Modulationen, die schon Vorläufer des Klavierstiles Schuberts,
Schumanns, Chopins und Smetanas sind und in der Klavierstilisierung
sogar den musikalischen Ausdruck Brahms' vorwegnehmen."
Ähnlich urteilt Lorenz Luyken in [8]:
"Nur wenig später nach diesem Ausnahmewerk [gemeint ist Op. 61] muß
Dussek seine 1807 erschienene Sonate As-Dur op. 64 geschrieben
haben. Ihr Untertitel 'Le Retour à Paris' bezieht sich auf eine neuerliche
Wende in Dusseks Leben: nachdem er 20 Jahre zuvor im Paris des
Ancien Régime seine großen ersten internationalen Erfolge feiern und
die Gunst der Königin Marie Antoinette erringen konnte, kehrt er im Jahr
der As-Dur-Sonate endgültig in die nunmehrige Hauptstadt des Empire
zurück und tritt in die Dienste des napoleonischen Außenministers
Talleyrand - dieser selbst ein Mann mit dem erstaunlichen Talent, Ancien
Régime, Revolution, napoleonische Herrschaft und bourbonische
Restauration nicht nur unbeschadet an Leib und Leben, sondern sogar
mit wachsendem politischen Einfluß überstehen zu können."
Hier wird auch ein Parallele zur Farewell-Sonate gezogen:
"Dussek übernimmt für sein neues Werk das Konzept der FarewellSonate, erweitert dieses jedoch beträchtlich auf Ausdehnung, Klangfülle
(für das unter Dusseks Einfluß im Umfang erheblich erweiterte Klavier),
pianistischen Anspruch und Lizenzen gegenüber der musikalischen
Konvention."
Die Begeisterung der Zeitgenossen für diese Sonate sei noch einmal
belegt durch den letzten Abschnitt des Textes:
"1810 würdigte ein anonymer Kritiker der Leipziger Allgemeinen
musikalischen Zeitung die Sonate mit folgenden Worten: 'Sie ist in
Momenten mit wahrer Weihe empfangen ausgeführt mit festem,
beharrlichem Sinn nur auf das Bedeutende, Große, Edle, Erhabene
dieser herrlichen Erfindung, und verziert wie es nur eine so rege
Einbildungskraft vermag - überschwenglich reich und sehr elegant, hart
an die Überladung streifend, jedoch ohne sie wirklich zu berühren ... Sie
ist ein genialisches Product wie es wenige giebt; eins der
charaktervollsten Gedichte, das seinen Werth behalten wird, so lange es
Musik giebt, gute Pianofortes und vollendet Klavierspieler.' Seine
Prophezeiung erfüllte sich mit dieser Aufnahme." [8]
Gemeint sind die Aufnahmen mit dem Pianisten Markus Becker.
Hinsichtlich Dusíks Schwanengesang Op. 77 können gleich 3 Quellen
zitiert werden, zunächst [3]:
"Die Sonate f moll op. 77 (L'invocation) wurde in der Zeit nach 1811
geschrieben, da sie zum erstenmal schon i. J. 1812 erwähnt wird. Sie ist
demnach eines der letzten Werke Dusíks und ist in einer ungünstigen
psychischen Situation entstanden, denn kurz nach ihrer Vollendung
erkrankte Dusík und verfiel in krankhafte Apathie, wiewohl er erst 50
Jahre alt war. Daher vielleicht auch ihre eigentümliche programmatische
Benennung L'invocation, eine trotzige Aufforderung oder ein Widerstand
dem schweren Lebensschicksal. ... Es ist dies ohne Zweifel eine der
bedeutendsten Schöpfungen Dusíks überhaupt. Sie hat einen
ausgesprochen romantischen Programminhalt, der sich durch eine
erstaunliche Tiefe der Inspiration, sowie durch eine ungewöhnliche
kompositorische und bauliche Vollkommenheit auszeichnet, durch die
sie eine konzentrierte, fast monothematische Geschlossenheit erreicht.
An Noblesse des musikalischen Ausdrucks, vollendeter Durcharbeitung
der einzelnen Details und an poetischer Stimmung läßt sie sich vielleicht
nur mit Chopin oder Schumann vergleichen. ... Wir können daher sagen,
daß Dusíks Sonate L'invocation nicht nur eine der Gipfeläußerungen des
eigenen Schaffens, sondern auch der tschechischen Klavierproduktion
vor Smetana darstellt."
Der Pianist Hanuš Bartoň beschreibt im Detail:
"Die Sonate f-Moll op. 77 'L'Invocation' gehört zum Höhepunkt [von]
Dusíks Schaffen. Die umfangreiche viersätzige Komposition stellt eine
gewisse Summe [von] Dusíks Suchereifer dar. Die Tondichtung bringt
große Kontraste in sämtlichen Bestandteilen der Musiksprache mit sich z. B. kann die beinahe Liszt ähnlich klingende Passage aus der
Durchführung des ersten Satzes mit dem Kanon des zweiten Satzes, der
an den Barockstil erinnert, verglichen werden. Die chromatischen
Führungen befinden sich stellenweise fast an der Logikgrenze des
klassisch-romantischen Systems (z. B. die komplizierten Gebilde im
Maggiore des Schlußsatzes). Trotzdem wirkt die Musik einheitlich und
bei geeigneter Interpretation auch baulich abgerundet."
Eine außerordentliche Würdigung erfährt diese Sonate auch in [8]:
"Im Vergleich mit dem früheren opus verkörpert L'Invocation, die mit
ihren vier ausgewachsenen Sätzen und einer knappen halben Stunde
Spieldauer dem zeitgleichen Sonatenschaffen auch Beethovens an
Ausdehnung und Gewicht nicht nachsteht, eindrucksvoll diesen Aufstieg.
Die Sonate führt wie ihre Vorgänger ... einen Untertitel, von dem man
annehmen kann, daß er wie dort auf einen biographischen Kontext
verweist. Sollte es einen solchen Kontext geben, so bleibt er jedoch im
Falle von L'Invocation im Dunkeln, da die Sonate keine darstellenden
Elemente enthält, die sich auf den Titel beziehen ließen. Sie scheint
Dusseks letztes vollendetes Werk gewesen zu sein, und so ist man
verführt, ihr nicht nur den Nimbus des Spätwerks, sondern gar eines
letzten Wortes zuzusprechen und ihren merkwürdigen Titel in diesem
Sinne zu deuten. Angesichts der kurzen, zum Tode führenden Krankheit,
von der die Nachrufe berichten, ist diese Interpretation jedoch nicht
überzeugend."
7. Zur Persönlichkeit
Die wenigen Nachrichten über die Person Jan Ladislav Dusík lassen
sehr stark vermuten, daß er hauptsächlich ein hoch gefeierter
passionierter und charismatischer Künstler war. Seine meistens sehr
wohltuende Musik läßt aber auch einen Menschenfreund vermuten, der
nicht nur sich selbst, sondern auch seinen Zuhörern wirklich Freude und
Genuß in verschiedensten Stimmungen bringen wollte.
Welcher Weltanschauung mag der Künstler darüber hinaus gewesen
sein?
Von Hanuš Bartoň [4] erfahren wir:
"Jan Ladislav Dusík (Dussek) gehört zu den bedeutendsten böhmischen
Komponisten, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts und zu
beginn des 19. Jahrhunderts im Ausland wirkten. Er wurde 1760 in
Čáslav (Tschaslau) geboren, wo er auch die musikalische
Grundausbildung bei seinen Eltern erwarb. Mit siebzehn Jahren ging er
nach Jihlava (Iglau), wo ihn der Regenschori bei den Minoriten, Ladislav
Spinar, fachlich anleitete. Sein Studium setzte er im Jesuitenseminar in
Kutná Hora fort, und er dachte wohl auch daran, dem Zisterzienser
Kloster in Žďár nad Sázavou beizutreten. Schließlich überwogen die
musikalischen Neigungen und Dusík entschied sich ganz für die
Laufbahn eines professionellen Künstlers."
In [2] weiß man noch zu berichten:
"Von 1776 bis 1778 besuchte er das Neustädter Gymnasium (dasselbe
wie rund einhundert Jahre später Gustav Mahler) und studierte danach
an der Prager Universität, wohl durch Willen seines Vaters, für ein
Semester Theologie und Philosophie und nahm eine erste Anstellung als
Organist in Kuttenberg an."
In der Jugend hatte er also auch engeren Bezug zur christlichen
Religion.
Da er außer einer Kantate keinerlei vokale sakrale Musik komponiert hat,
können wir aus seinem Werk keine engeren religiösen Glaubensbezüge
ableiten.
Einen kleinen Hinweis in dieser Richtung gibt uns allerdings Andreas
Staier [5] mit seiner Bemerkung bezüglich des Prinzen Louis Ferdinand:
"Dussek setzt ihm in seiner 'Elégie Harmonique' ein ergreifendes
Denkmal. In den ersten Noten zitiert er das 'Consummatum est' aus
Haydns 'Die sieben letzten Worte'."
Auch muß Dusík wohl mehr den konkreten Menschen im Blick gehabt
haben - im Gegensatz zu Revolutionsträumen, Klassenkampf und
Weltverbesserungsplänen. Hanuš Bartoň [4] meint, ohne dies zu
belegen: "Während der französische Revolution engagierte er sich
politisch auf der Seite der Bourbonen. Ergeben war er insbesondere
Marie Antoinette, deren Andenken er eine seiner Klaviersonaten
widmete." Das letzte scheint mir auf jeden Fall ein Hinweis dafür zu sein,
daß er menschliche Zuneigung und Treue über den Tod hinaus
unabhängig von der Seite, auf der die jeweilige Person stand,
hochschätzte.
Zu dem Andenken an Marie Antoinette erfahren wir noch von Regula
Rapp [6]: "Das 'Tableau de la Situation de Marie Antoinette Reine de
France', eine Programm-Musik für Fortepiano solo mit erläuternden
Zwischenüberschriften stellt mit den damals üblichen lautmalerischen
Figuren und Floskeln Gefangennahme und Hinrichtung der Königin von
Frankreich dar. Dieses Werk, das Dussek 1793 in England als Opus 23
erstmals veröffentlichte, ist aber auch ein musikalischer Reflex auf einen
bedeutenden Abschnitt seiner eigenen Biographie: Dussek hatte als
Musiker im Kreis um Marie Antoinette gewirkt und mußte wegen dieser
Nähe zum Hofe 1789 nach England fliehen; erst achtzehn Jahre später
sollte er nach Paris zurückkehren."
Der Text vor dem vorletzten Satz (No. 9) vom Tableau "Marie Antoinette"
Op. 23 lautet: "Die Königin betet den Allmächtigen im Augenblick des
Todes an. Die Guillotine fällt."
Eine solche persönliche Würdigung einer Persönlichkeit, mit der er
engen Kontakt hatte, nach deren tragischem Tod, gab es ja unter ganz
anderen Umständen gleich noch ein zweites Mal in Bezug zu Prinz Louis
Ferdinand, der hier ein letztes Mal erwähnt werden soll. Nach Lorenz
Luyken [8] "harmonierte" der Prinz "mit Dussek offenbar so prachtvoll,
daß er diesen auch in seinem Feldlager nicht missen wollte. Des Prinzen
Soldatentod, den er so aus unmittelbarer Nähe miterlebte, muß Dussek
zutiefst erschüttert haben. Seine wenig später entstandene Sonate legt
beredtes Zeugnis davon ab."
Und auch Luyken erwähnt in diesem Zusammenhang das HaydnOratorium: "Durch ein Haydn-Zitat stellt Dussek das Stück gleich zu
Beginn in einen unmißverständlichen Kontext. Es handelt sich dabei um
das 'Consummatum est' aus dem seinerzeit sehr populären Oratorium
'Die sieben Worte des Erlösers am Kreuz'. Was den solchermaßen
eingestimmten Hörer dann erwartet, hat mit Sonatenkonventionen nicht
mehr viel gemein."
8. Zu den Musikbeispielen
Die Musikbeispiele können natürlich nur einen sehr kleinen Einblick in
die üppige Welt der Dusíkschen Musik liefern. Vor allem aus
Speicherplatzgründen habe ich 3 kürzere Sonatensätze ausgewählt.
Musikbeispiel 1:
3. Satz aus der Sonate Es-Dur Op. 44, Grande Sonate The Farewell:
Tempo di Menuetto più tosto Allegro, gis-moll,
Trio - con molta espressione, As-Dur,
Wiederholung des Menuetts
Es soll noch einmal wiederholt werden, daß dieser "wunderschöne
Menuettsatz" nach [3] "einen Beethovenschen Ausdruck" habe.
Auch in [8] ist ein direkter Hinweis auf diesen Satz zu finden:
"Das rhythmisch und kontrapunktisch vertrackte Menuett in gis-moll
umschließt ein zartes As-Dur-Trio, in dem die Eleganz Chopinscher
Walzer vorweggenommen zu sein scheint."
Ich habe mich gefragt, ob die Sonate The Farewell nicht vielleicht doch,
wie Beethovens Sonate "Les Adieux", die Thematik der Überschrift auch
musikalisch zum Ausdruck bringt. Schließlich wird der 1. Satz mit
Introduzione Grave in der sehr fernen tragischen Tonart es-moll in
barockem Stil, der an Bach denken läßt, eingeleitet. Dann könnte der
schnellere Teil des ersten Satzes (Allegro moderato) in Es-Dur die
innere ambivalente Bewegtheit beim Abschied und der ungewöhnlich
mächtige langsame 2. Satz (Molto adagio e sostenuto) in H-Dur mit
seinen stürmischen Bewegungen im Mittelteil den Zustand der Trennung
charakterisieren.
Ich empfinde den hier vorgestellten 3. Satz als eine Auflehnung gegen
den Zustand der Trennung und habe deshalb den lieblichen As-Dur-TrioMittelteil (con molta espressione!) im Tempo etwas zurückgenommen im Unterschied vielleicht zu der im obigen Zitat vermuteten
Vorwegnahme des Charakters von Chopin-Walzern -, um eine
Interpretation im Sinne einer Erinnerung an die Zeit vor der Trennung zu
ermöglichen.
Der letzte Satz Rondo Allegro moderato ed espressivo hat tatsächlich in
dem im Sinne des Rondos immer wiederkehrenden Motiv etwas von
Freude und Genugtuung, vielleicht im Gedanken an ein Wiedersehen.
Ich bin fest überzeugt, daß dieser Satz in diesem Sinne interpretiert
werden kann. Die Freude nach Trauer und Tragik musikalisch
auszudrücken, ist wohl besonders schwer. In herrlicher Weise ist das
Mozart gelungen, in vollendeter Weise im schnellen Teil des letzten
Satzes seines g-moll-Streich-Quintetts KV 516. Ohne hier zu hohe
Maßstäbe anlegen zu wollen, könnte man den Charakter von Dusíks
letztem Satz vielleicht in dieser Richtung interpretieren.
Musikbeispiel 2:
3. Satz aus der Sonate f-moll Op. 77, L'invocation:
Adagio non troppo ma solenne
Des-Dur - cis-moll - Des-Dur
In dieser Sonate ist die Reihenfolge von langsamem Satz und Menuett
oder Scherzo vertauscht, wie schon bei Haydn, besonders häufig aber
bei Beethoven und späteren Komponisten.
Lorenz Luyken geht auf diesen Satz wie folgt ausführlich ein:
"Worum es Dussek ging, wird am ehesten in der Vortragsbezeichnung
des 3. Satzes, Adagio ma non troppo, ma solenne, deutlich. Das
Feierliche, was dieses Adagio demnach zum Ausdruck zu bringen hat,
ist eines der leisen Töne, nach innen gerichtet, mehr auf Andacht und
Kontemplation als auf Repräsentation bedacht. Dussek schreibt hier
wieder im Stil einer dreiteiligen da-capo-Arie, der Vergleich mit dem
analog gehaltenen Larghetto aus der Sonate op. 9, Nr. 2 verdeutlicht
jedoch, in welchem Maße seine Musik in innerem und äußerem Format
gewonnen hat. Der Satz beginnt sotto voce mit einer einfach und klar
gehaltenen Kantilene in Des-Dur. Die vielen Punktierungen und der
subtil ausdifferenzierte, sich jedoch nie in den Vordergrund drängende
Begleitsatz verleihen diesem edlen Gesang eine hymnische
Eindringlichkeit, die durch die Molleintrübungen im Mittelteil eigentümlich
gesteigert wird. Der hier anklingende schmerzliche Affekt kommt dann im
cis-moll-minore-Teil des Satzes zum Ausbruch: über einer heftig
bewegten Begleitung löst sich die anfangs noch sehr ebenmäßige
Melodielinie in immer verschlungenere Figurationen auf und steigert sich
schließlich zu bewegender Deklamation. Die Erregung verebbt bis hin
zur Wiederaufnahme des Dur-Anfangs, wirkt jedoch unterschwellig in
den unruhigen Baßgängen weiter.
Die verhaltene Leidenschaft des Adagios wirkt auch in den anderen
Sätzen der Sonate."
Ich scheue mich jedoch nicht, statt an Andacht und Kontemplation direkt
auch ein tiefes Gebet für möglich zu halten, das Gebet eines Menschen,
dessen Kräfte zu Ende gehen, auch wenn Dusík seinen nahen Tod noch
nicht direkt vorausgesehen haben mag.
Dieser Satz hat mich schon beim ersten Hören sehr bewegt, und er
gehört seitdem zu meinen liebsten Klavierstücken.
Hanuš Bartoň spielt ihn noch etwas langsamer als Markus Becker; so
muß wohl jeder Interpret "sein" richtiges Tempo finden.
Musikbeispiel 3:
2. Satz aus der Sonate D-Dur Op. 45, No 3
Larghetto con moto, G-Dur - g-moll - G-dur
Wenn die übrigen Sonaten Dusíks auch mit Begriffen wie traditionell
oder schöpferische Pause in Verbindung gebracht werden, so freut sich
der Laie doch sehr über die Möglichkeit, neue klassische Werke
kennenlernen und spielen zu können. Man muß diese sicher zutreffende
Einordnung ja auch nicht abwertend verstehen; wie beliebt sind nicht
z. B. Beethovens Sonatinen Op. 49 oder seine "Kuckucks-Sonate", die
Sonatine Op. 79, deren langsamen g-moll-Satz wohl niemand mit den
langsamen Sätzen der nachfolgenden großen Sonaten vergleichen
würde.
Der vorgestellte Satz soll einen kleinen Eindruck von den genannten
Freuden des Liebhabers vermitteln.
Wenn auch deutlich schlichter in seinem Charakter, ist das Stück von
gleicher Struktur wie Musikbeispiel 2. Wenn nach der fortissimoDramatik zum Ende des g-moll-Mittelteils das einfache Anfangsthema
wieder erklungen ist, wird über einer Triolenbegleitung ebenso wie dort
ein schöner Melodiefluß hörbar.
--Daß alle drei Musikbeispiele 3-teilig sind und die Tonartenfolge
moll-Dur-moll bzw. Dur-moll-Dur, jeweils mit dem gleichen Grundton,
aufweisen, ist Zufall und sollte keinen falschen Eindruck gegen den
Erfindungsreichtum Dusíks auch im Hinblick auf die Satzstrukturen
hervorrufen.
Es wäre schön, wenn jemand Gefallen findet an dieser Eintragung in
meinem Web-Bereich!
Lutz Sperling
Quellen
[1]
Regina-Bianca Kubitschek:
"Ein bekannter Musiker war eine Zeit lang Wahl-Magdeburger/
Erfand den 'Piano-Dreh' seitlich zum Publikum",
Volksstimme Magdeburg, 2010
[2]
Wikipedia: Jan Ladislav Dusík
[3]
Jan Racek und Václav Jan Sýkora:
Einführende Texte zu den Notenbänden
"Jan Ladislav Dusík Sonate XVII - XXII" und
"Jan Ladislav Dusík Sonate XXIV - XXIX",
MUSICA ANTIQUA BOHEMICA, Editio 1962 und 1963
[4]
Hanuš Bartoň: "Jan Ladislav Dusík",
Beitext zur CD "Jan Ladislav Dusík/ Chamber Music for Piano
Hanuš Bartoň/ Quartett Apollon",
Studio MATOUŠ 1995
[5]
Andreas Staier: "Dussek-Sonaten",
Beitext zu den CDs von Dussek-Sonaten
mit Andreas Staier auf einem Broadwood-Hammerflügel von 1805
Ariola Classics GmbH 2005
[6]
Regula Rapp, Musikakademie Basel:
" '... der rechtschaffenste, gesittetste und in der Tonkunst der
vortrefflichste Mann...' ",
und " 'Er ist ebenso stark in seinem Satze, als stark und rein in
seinem Spiele ...' "
Beitext zur CD
"Dussek Klavierkonzerte mit Andreas Staier und Concerto Köln",
1995 CAPRICCIO - Delta Music GmbH Frechen
[7]
Christopher Clarke: "Dussek und das englische Klavier",
Beitext zur CD
"Dussek Klavierkonzerte mit Andreas Staier und Concerto Köln",
1995 CAPRICCIO - Delta Music GmnH Frechen
[8]
Lorenz Luyken: Beitexte zu den CDs
"Jan Ladislav Dussek, Piano Sonatas opp. 9 & 77, Markus Becker"
und "Jan Ladislav Dussek, 3 Piano Sonatas, Markus Becker",
cpo/radiobremen
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