Aspar: Barbarische Machtkämpfe

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Man kann sich die Szene direkt vorstellen: Viele Kinder sind mit Begeisterung
dabei, weil sie mitmachen dürfen, aber es gibt auch Geplärr, weil unweigerlich jemand seinen Palmwedel fallen lässt, der im Gewühl nicht wiederzufinden ist. Neben der Anschaulichkeit bietet aber auch diese Passage wieder interessante Informationen zur Kirchengeschichte. Die Feste des Kirchenjahres
wurden in der Jerusalemer Liturgie gezielt nach Ereignissen und Stationen im
Leben Jesu gestaltet, und dieser Nachvollzug geht soweit, dass an verschiedenen Stellen der Bischof quasi an seine Stelle tritt, wie hier beim Einzug in
Jerusalem.
Zu guter Letzt ist Egerias Bericht auch für die Sprachgeschichte interessant, denn er dokumentiert sehr schön das spätantike Vulgärlatein. Damit
ist nicht die Sprache des Pöbels gemeint, wie man denken könnte, der Ausdruck bezeichnet das gesprochene Latein im Gegensatz zur Schriftsprache.
Im Vulgärlatein, und zwar besonders in der Spätantike, gibt es schon jene
Tendenzen, die später in den romanischen Sprachen zur Norm werden, und
zwar in Grammatik, Syntax und Orthografie gleichermaßen. Egeria schreibt
z. B. sehr oft schon e, wo das klassische Latein ae erforderte: Bei ihr heißt es
bereits Egyptus und Palestina, statt Aegyptus, Palaestina.
Literatur: BADISCHES LANDESMUS. 2013, BLUDAU 1927, ELSNER 2000, FOERTMEYER 1989, GIEBEL
2000, KOCH 2014, LEMBKE et al. 2004, MULZER 1996, SCHMITZ & SIELER 2013, SIVAN 1988A,
SIVAN 1988B, SPINKS 2007
Aspar: Barbarische Machtkämpfe
Die Varusschlacht des Jahres 9 n. Chr. kennt fast jeder, und sie gilt allgemein
als bedeutsamer historischer Wendepunkt. Die Niederlage für Rom war sicher schwerwiegend. Dass diese spezielle Schlacht aber wirklich den Lauf der
Weltgeschichte entschieden hat, darf man bezweifeln: Angenommen, die Römer hätten ihre Grenze bis an die Elbe vorverlegt, wie ursprünglich geplant –
was hätte das daran geändert, dass drei Jahrhunderte später die Hunnen aus
den Tiefen Eurasiens auftauchten und viele Völkerschaften in der Peripherie
des Imperiums vor sich her trieben, darunter auch die Goten, die ihrerseits
Druck auf die römischen Grenzen ausübten und sogar ihre Ansiedlung auf
Reichsgebiet erzwangen?
Die Schlacht von Adrianopel vom 9. August 378 n. Chr. ist quasi ein genaues Gegenteil zum Teutoburger Wald: Sie ist eigentlich nur in Zirkeln von
Fachleuten und Geschichtsfans bekannt, hat aber den weiteren Verlauf der
Geschichte tatsächlich signifikant verändert. Große Teile des östlichen FeldAspar: Barbarische Machtkämpfe
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heeres wurden vernichtet, auch Kaiser Valens fiel im Kampf gegen die Ostgoten. In Folge der Niederlage musste erstmalig die Landnahme eines barbarischen Volkes als geschlossener Verband auf römischem Gebiet akzeptiert
werden. Ansiedlung von Barbaren hatte es auch früher gegeben, aber immer
nach römischen Spielregeln: Gruppen von Alemannen, Franken und auch
Sarmaten waren so ins Reich gelangt.
Interessant ist, wie der spätrömische Staat rechtlich mit dem massenhaften Zustrom von Fremden in der Völkerwanderungszeit umging. Mit der
„Constitutio Antoniniana“ war ja allen freien Nichtrömern im Reich das Bürgerrecht verliehen worden (siehe das Kapitel über Diphilianus); nun tauchten
aber erneut Fremde ohne civitas in großer Zahl auf. Inzwischen hatte sich jedoch die Auffassung durchgesetzt, dass jeder Freie auf Reichsboden grundsätzlich die gleichen Rechte wie ein römischer Bürger habe.
Römische Gesetzgeber hatten schon immer großen Wert auf die Unterscheidung der Statusgruppen wie Freie, Freigelassene und Sklaven gelegt.
In der Spätantike verstärkte sich dieser Trend, und das System wurde noch
ausdifferenziert: Nun gab es z. B. eine neue Schicht halbfreier Bauern, die
zwar keine Sklaven waren, aber an ihre Scholle gebunden – das Mittelalter
mit seinen Leibeigenen und Hörigen wirft schon seinen Schatten voraus. Solche vertikalen Unterschiede waren dem spätantiken Staat extrem wichtig, so
galt beispielsweise ein strenges Verbot von Heiraten über Standesgrenzen
hinweg. Der aus unserer Sicht grundlegende Unterschied Römer – Barbaren
hingegen interessierte juristisch nicht besonders.
Mischehen waren deshalb häufig, zumindest in den Führungsschichten,
für die es besonders reichhaltige Quellen gibt. Es entstand eine neue, militarisierte Aristokratie – auch hierin kündigt sich schon das Mittelalter an – sie
setzte sich aus Römern und Barbaren gleichermaßen zusammen. Im 4. Jh.
n. Chr. war das neue Amt des Heermeisters (magister militum) geschaffen
worden, vergleichbar etwa einem Fünfsternegeneral oder Feldmarschall.
Etwa die Hälfte dieser magistri militum war barbarischer Herkunft.
Auch unter den einfachen Soldaten fanden sich zahlreiche Barbaren, Stammesverbände wurden oft en bloc in römische Dienste übernommen. Damit
erreichte man zweierlei: Zum einen sollten sie ihre Energien für das Reich
einsetzen, nicht dagegen, wenn man sie schon nicht wieder loswurde. Zum
anderen konnte die spätrömische Armee so die Probleme bei der Rekrutierung umgehen, die wir im Kapitel über Abinnaeus gesehen haben.
Also war alles gut im Zusammenleben von Römern und Zugewanderten?
Nicht ganz, denn ethnische Spannungen gab es durchaus. Sie entstanden vor
allem da, wo große Kontingente barbarischer Truppen ihre Macht ausspielten und ein Eigenleben als Staat im Staate führten.
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Gravierend waren die langfristigen politischen Folgen, als in der Westhälfte des Imperiums eigenständige germanische Staaten entstanden. Die Königreiche der Franken, Vandalen, Ost- und Westgoten erkannten zwar immer
noch die Oberhoheit der Kaiser an, aber effektiv herrschten diese nur noch
über die Osthälfte. Treibende Kraft dabei waren die starken Männer der Epoche, gleich, ob sie ursprünglich Römer, Germanen, Hunnen oder Sarmaten
waren, und ganz egal, ob sie sich mit Titeln wie Konsul, patricius und magister militum begnügten oder sich am Ende zum König ausrufen ließen: Das
Kriterium für einen „wahren Römer“ in diesen wirren Zeiten war politisch,
nicht ethnisch. Als Römer konnten jeweils diejenigen durchgehen, die loyal
zu Kaiser und Reich standen, während Barbaren all jene waren, die auf eigene
Rechnung kämpften.
Denn zur Spätantike gehört auch, dass der aristokratische Anführer mit
seiner Gefolgschaft wieder erscheint, wie wir ihn am Anfang des Buches in
Gestalt von Attus Clausus trafen. Der Vertreter dieser Spezies, den wir jetzt
näher unter die Lupe nehmen werden, hieß Aspar und war gotisch-alanischer
Abstammung. Die Alanen waren ein sarmatischer Stamm, der nördlich des
Schwarzen Meeres gelebt hatte, bis er etwa 370 n. Chr. von den Hunnen überrannt worden war. Auch Alanen hatten sich in größerer Zahl auf römisches
Gebiet geflüchtet und waren bis nach Gallien, Spanien und Nordafrika gelangt. Aspars Leben ist eng mit den Ereignissen im 5. Jh. n. Chr. verbunden,
die dazu führten, dass sich das römische Ostreich stabilisierte und nicht wie
der Westteil verschwand.
Mit vollem Namen nannte er sich Flavius Ardaburius Aspar (zur Bedeutung des Flavier-Namens siehe Abinnaeus), er betritt die historische Bühne
im Jahr 424 n. Chr. zusammen mit seinem Vater Flavius Ardabur. Dieser war
als magister militum an der Spitze eines Heeres in den Westen geschickt worden, um gegen den Usurpator Iohannes zu kämpfen, der nach dem Tod von
Kaiser Honorius nach der Macht gegriffen hatte. Das Unternehmen ließ sich
zunächst nicht gut an, Ardabur geriet sofort in Gefangenschaft.
Aspar jedoch führte mit seiner Heeresabteilung die Operationen fort, er
konnte 425 n. Chr. Ravenna einnehmen und seinen Vater befreien. Iohannes, der dabei seinerseits in Gefangenschaft geriet, wurde exekutiert. Dann
jedoch erschien der eigentliche starke Mann des Westens, der Heermeister
Flavius Aetius, mit einer Truppe von 6.000 Hunnen auf dem Kriegsschauplatz. Aetius war in jungen Jahren als Geisel bei den Hunnen gewesen, er
unterhielt nach wie vor beste Beziehungen zu ihnen und war nun von Iohannes ausgesandt worden, hunnische Verbündete anzuwerben. Das hatte zwar
funktioniert, erwies sich aber mit dem Abgang des Usurpators als eigentlich
obsolet. Das Problem wurde durch eine großzügige Zahlung an die Hunnen
gelöst, die daraufhin kampflos abzogen; Aetius erhielt Pardon.
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Abb. 25: Dieser etwa 42 cm große Silberschild (missorium) verewigt Aspars Konsulat im Jahr
434 n. Chr. Neben ihm sein Sohn Ardabur Iunior, der im gleichen Jahr Prätor war („pretor“ –
bestes Vulgärlatein). Über den beiden schweben Aspars Vater Ardabur und Großvater
Plinta. Die kaisergleiche Pose und die Präsentation einer ganzen Dynastie lassen an Aspars
Machtanspruch keinen Zweifel (Florenz, Museo Archeologico Nazionale, Inv. 2588).
Ardabur und Aspar kehrten nach Konstantinopel zurück; der Vater wurde
427 n. Chr. mit dem Konsulat geehrt, sein Sohn sieben Jahre später (Abb. 25).
Aspar war spätestens ab 431 n. Chr. selbst Heermeister, er war in den folgenden Jahren in allerlei Kämpfe verwickelt, stets in Diensten des oströmischen
Kaisers Theodosius II. (408–450 n. Chr.), so in Nordafrika gegen die Vandalen,
später auch gegen die Hunnen.
Richtig spannend wird seine Geschichte jedoch, als Theodosius stirbt: Der
Alane Flavius Ardaburius Aspar ist mittlerweile die Graue Eminenz von Konstantinopel, gegen ihn und ohne seinen Einfluss geht nichts. Interessant ist,
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dass er – wie viele Warlords – mit einer Rolle als Macht hinter dem Thron
zufrieden ist, er greift nicht selbst nach dem Kaiserpurpur. Dies ist für die
Epoche typisch und bildet einen Kontrast zu den Soldatenkaisern im 3. Jh.
n. Chr., als andauernd ambitionierte Heerführer Kaiser werden wollten (siehe
das Kapitel über Zenobia).
Aspars Wahl fiel auf Marcian, der sich als Offizier in der Garde hochgedient
hatte, angefangen mit dem Rang des Protectors (den auch Abinnaeus bekleidet hatte). Damit zeigte sich, wer die Macht hatte: Aspar machte einen seiner
eigenen Untergebenen zum Kaiser.
Auch in die Kirchenpolitik war Aspar verwickelt. So nutzte er auf Bitten von
Bischof Theodoret seinen Einfluss, um Marcian 451 n. Chr. zur Einberufung
des Konzils von Chalcedon zu bewegen. Die Beschlüsse von Chalcedon sind
bis heute Grundlage der größten christlichen Konfessionen (Orthodoxe, Katholiken und Protestanten). Eine Ironie der Kirchengeschichte: Aspar selbst
war Arianer, wie auch die meisten christianisierten Germanen zu dieser Zeit;
sie folgten noch der Lehre des Arius, die inzwischen als häretisch galt. Sogar
der Papst im fernen Rom wandte sich wegen kirchlicher Angelegenheiten an
Aspar.
Nach sieben Jahren starb Marcian, und Aspars Einfluss bewies sich erneut:
Wieder wurde ein Offizier seiner Wahl zum Kaiser ernannt; diesmal war
es Leo, der vom Balkan kam und thrakische Wurzeln hatte. Anthemius, der
Schwiegersohn Marcians, hatte sich selbst Hoffnungen auf die Nachfolge
gemacht, er wurde von Aspar aber gezielt übergangen. Leo wurde, als erster
Kaiser überhaupt, vom Patriarchen von Byzanz mit einem Diadem bekrönt.
Er stiftete damit eine Tradition der Herrscherkrönung durch Geistliche, die
später auch in Westeuropa Fuß fasste, nämlich mit der Kaiserkrönung Karls
des Großen durch den Papst im Jahr 800.
Wenn Aspar jedoch geglaubt haben mochte, Leo werde genauso fügsam
sein wie vor ihm Marcian, so war das eine ernste Fehlkalkulation. Der neue
Kaiser legt Wert darauf, keine Marionette in den Händen des Generalissimus
zu sein. Doch Aspar ist weiterhin eine Macht, die man nicht leicht abservieren kann: Hinter ihm steht nicht nur die gotische Garnison der Hauptstadt,
sondern er hat auch enge Beziehungen zu den freien Goten auf dem Balkan.
Deren König Theoderich Strabo (nicht identisch mit Theoderich dem Großen)
ist ein Neffe von Aspars dritter Frau.
Leos Strategie ist, den Einfluss der Barbaren durch andere Barbaren zu neutralisieren. Seine Wahl fällt auf die Isaurier, ein kriegerisches und zu Zeiten
auch rebellisches Volk aus dem Südosten der heutigen Türkei, und vor allem
auf deren starken Mann, der sich Zeno nennt. Ähnlich wie Goten und andere
Barbaren bildeten die Isaurier große Gefolgschaften um einzelne Warlords,
sie spielten seit den 440er-Jahren in Konstantinopel eine zunehmend wichtiAspar: Barbarische Machtkämpfe
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ge Rolle. Leo stützte sich auf sie und stellte aus ihnen sogar eine neue Truppe
der Palastwache auf, die excubitores.
Zeno kam 466 n. Chr. nach Byzanz, und bald schon erfolgte der erste Schlag
gegen Aspar und seine Sippe: Ardabur Iunior, Aspars ältester Sohn und Heermeister für den Orient (er war 447 n. Chr. auch schon Konsul gewesen), wurde von ihm der hochverräterischen Beziehungen zu Persien angeklagt und
deshalb aus dem Amt entfernt. Leo belohnte 467 n. Chr. den eifrigen Zeno
sogar damit, dass er ihm seine ältere Tochter Ariadne zur Frau gab. Deutlicher
ließ sich die Kampfansage an Aspar kaum formulieren.
Allerdings wird der finale Showdown wegen anderer Ereignisse zunächst
aufgeschoben: Leo lässt sich auf Kriegszüge gegen die Vandalen und gegen
die Goten in Pannonien ein, die alle im Debakel enden. Aspar hatte sich ausdrücklich gegen diese Abenteuer ausgesprochen, und so könnte man meinen,
dass nun sein Stern wieder emporsteigt, als sich seine Klugheit erwiesen hat.
Es gibt aber auch die Auffassung, dass Leo ihn einfach zum Sündenbock gemacht hat, dessen angebliche Fehler die Feldzüge so ungünstig enden ließen.
Damit ist auch nicht recht klar, was vom nächsten Akt des Dramas zu halten ist: Zeno wurde 469 n. Chr. aus Byzanz vertrieben, Aspars zweiter Sohn
(von dreien) namens Patricius wurde von Leo mit dem Caesartitel geehrt und
mit seiner jüngeren Tochter Leontia zumindest verlobt, wenn nicht verheiratet (die Quellen erlauben keine Festlegung). Wollte Leo wirklich Aspar auf
diese Weise an sich binden und dessen Sohn zum eigenen Nachfolger machen? Oder geschah das nur auf Aspars Druck, der noch einmal seine Macht
demonstrierte?
Vermutlich war aber nun für Leo der Zeitpunkt gekommen, sich des Problems Aspar endgültig entledigen zu wollen. Ihm half dabei auch die Stimmung in der Hauptstadt: Aspar und seine Söhne waren Arianer, und das löste
Widerstand in kirchlichen Kreisen, aber auch beim Volk aus. Dass die gotischen Soldaten allesamt arianische Häretiker waren, war nicht schön, aber
tolerierbar – etwas anderes war jedoch die Aussicht, dass so jemand in die
kaiserliche Familie einheiratete! Das religiöse Bekenntnis war zu dieser Zeit
weit eher ein Reizthema als die ethnische Herkunft.
Und praktischerweise war Aspars Rivale Zeno ein Orthodoxer, ein makellos Rechtgläubiger. Er tauchte jetzt wieder aus der Versenkung auf, um gemeinsam mit Leo und anderen den finalen Mordplan gegen Aspar und seinen
Clan ins Werk zu setzen. Ausgeführt wurde der Anschlag 471 n. Chr. bei einem
abendlichen Festessen (eine ziemlich vorhersehbare und dennoch immer
wieder erfolgreiche Methode, wie wir auch im folgenden Kapitel sehen werden). Lediglich Aspars jüngster Sohn Ermanarich überlebte mit Sicherheit;
er war zum Zeitpunkt des Massakers nicht anwesend. Auch Aspars Frau hat
man verschont. Ob aber einer der beiden älteren Söhne, Ardabur Iunior und
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Patricius, die beide an dem Bankett teilgenommen hatten, mit dem Leben
davonkam, lässt sich nach den Quellen nicht genau sagen. Leo erwarb durch
diese Tat jedenfalls den Beinamen „der Schlächter“.
Obwohl Aspars gotischer Anhang auf den Mord mit offener Revolte reagierte, war Zenos Position nun unangefochtenen. Bei Leos Tod im Jahr 474
n. Chr. wurde dessen Enkel, Zenos siebenjähriger Sohn, als Leo II. neuer Kaiser.
Der Knabe starb aber schon bald, Nachfolger wurde sein eigener Vater. Allerdings war Zeno nicht erfolgreich darin, eine isaurische Dynastie zu begründen: Bei seinem Tod 491 n. Chr. wird seinem Bruder Longinus die Nachfolge
verwehrt, und der neue Kaiser Anastasius stellt die Weichen für eine Zukunft,
in der keine Warlords mit barbarischen Gefolgschaften mehr das Reich und
den Kaiser dominieren.
Mit dem ehrgeizigen Plan, eine eigene kaiserliche Dynastie zu begründen,
war schon Aspar gescheitert. Nachdem seine Familie aber für rund 50 Jahre
eine dominierende Rolle in der Reichspolitik gespielt hatte, lassen sich seine
Nachfahren auch noch in den kommenden Generationen in der römischen
Geschichte aufspüren. Einer davon war sein Urenkel Flavius Areobindus Dagalaifus, der Enkel von Ardabur Iunior. Er heiratete Anicia Iuliana, Tochter des
weströmischen Kaisers Olybrius und mütterlicherseits auch Nachfahrin von
Theodosius I. und Valentinian III. Dagalaifus selbst wurde 512 n. Chr. die östliche Kaiserwürde angeboten, was jedoch eine Revolte gegen den noch regierenden Anastasius bedeutet hätte und was er daher dankend ablehnte.
Interessant ist seine Verbindung mit Anicia Iuliana auch, weil die Anicii eine
der ganz wenigen Senatorenfamilien sind, die sich kontinuierlich von der
Republik bis in die Spätantike verfolgen lassen. Schon Cicero war mit einem
Gaius Anicius befreundet.
Die Kontinuität von Aspars Sippe erstreckt sich sogar bis ins letzte Kapitel
dieses Buches: Da wird ein weiterer Areobindus, vielleicht Sohn oder Enkel
des Areobindus Dagalaifus, zumindest einen Kurzauftritt haben.
Literatur: DEMANDT 1986, LENSKI 1999, MATHISEN 2006, MATHISEN 2009, SNEE 1998,
WOLFRAM 1990
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Artabanes: Der armenische 007
Das letzte Kurzporträt in diesem Buch zeigt noch einmal eine schillernde,
multikulturelle Existenz: Artabanes war Armenier, entstammte der alten
parthischen Königsdynastie, war römischer Feldherr und Experte für raffinierte Intrigen und Geheimoperationen. Die Zeit, in der wir uns befinden,
ist das 6. Jh. n. Chr. Wir sprechen von der spätrömischen Epoche, auch gerne
vom Byzantinischen Reich und byzantinischer Epoche – was damals niemandem eingefallen wäre, unsere „Byzantiner“ haben sich selbst immer als Römer bezeichnet.
Armenien war immer schon Kulturbrücke, aber auch Zankapfel zwischen
der römischen und der iranischen Welt gewesen (Abb. 26). Kleinarmenien,
westlich des Euphrats, gehörte schon früh zu Rom; Großarmenien war jahrhundertelang autonom gewesen – was man so autonom nennt, wenn zwei
Großmächte um die Vorherrschaft über ein Königreich streiten, zuerst Römer
und Parther, dann Römer und Sassaniden. Die parthische Arsakidendynastie
war 224 n. Chr. von den Sassaniden verjagt worden (wir haben im Kapitel
über Diphilianus davon gehört); etliche Angehörige des arsakidischen Hoch-
Abb. 26: Das zerklüftete Terrain des Armenischen Hochlandes hat den Großmächten Rom/
Byzanz und Persien jahrhundertelang den Zugriff erschwert und das Autonomiestreben der
Armenier begünstigt.
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adels hatten sich deshalb nach Großarmenien abgesetzt. Im Jahr 387 n. Chr.
hatten die beiden Großmächte das Königreich geteilt; Rom hatte seine Hälfte
rasch dem Imperium angegliedert, seit dem 5. Jh. n. Chr. war der andere Teil
Armeniens eine Provinz des persischen Sassanidenreichs.
Unser Artabanes heißt auf armenisch Artavan Arshakuni und ist also auch
ein Spross der Arsakiden. Seine Karriere macht er unter Justinian I. – als Artabanes die historische Bühne betritt, kämpft er allerdings zuerst einmal gegen diesen Kaiser.
Justinian hatte 527 n. Chr. die Herrschaft angetreten; zu dieser Zeit tobte wieder einmal ein Krieg gegen Persien. Fünf Jahre später kommt ein Friedensvertrag zustande – ein „ewiger Friede“ soll es nach dem Willen der Vertragsparteien sein (wir kommen darauf zurück). Diese Ruhe an der Ostgrenze
nutzt Justinian für ein ambitioniertes Programm zur Rückeroberung ehemals
römischer Gebiete im Westen, ausgeführt von Belisar, seinem fähigsten General: 533–534 n. Chr. wird Nordafrika von den Vandalen zurückerobert, die
dort seit einem Jahrhundert ein eigenes Königreich hatten; 535 n. Chr. wird
Sizilien den Ostgoten abgenommen und 536 n. Chr. startet mit Belisars Landung im ostgotisch regierten Italien die Rückeroberung des alten Kernlandes
des Imperiums.
Aus verschiedenen Gründen erweist sich der Krieg gegen die Ostgoten allerdings als wesentlich schwieriger als jener gegen die Vandalen. In dieser
Situation, als starke militärische Kräfte des Imperiums im Westen gebunden
sind, kommt es 538 n. Chr. im römischen Armenien zur Revolte. Ursache war
wohl vor allem Justinians Bestreben, die relative Autonomie zu beseitigen,
die dieses Gebiet lange gehabt hatte, und mit Besteuerung und römischen
Garnisonen das römische Armenien anderen Provinzen gleichzustellen.
Inwieweit die Maßnahmen Justinians für die Masse der Armenier Auswirkungen hatten, ist schwer abzuschätzen. Es waren speziell die Privilegien des
Adels, die er in Gefahr brachte. So ergibt sich aus dem Bericht bei Prokopius
auch nicht das Bild eines Volksaufstandes: Getragen wurde die Revolte von
den Aristokraten samt kriegerischem Anhang. Diese Männer waren bereits
in die römische Armee integriert gewesen. Es handelt sich also einerseits um
einen Aufstand mit nationalen Zügen, andererseits aber um eine Meuterei
innerhalb der Armee.
Prokopius von Caesaraea ist die wichtigste Quelle für das Zeitalter Justinians, und durch seine Tätigkeit im Stab Belisars hat er viele Entwicklungen
aus nächster Nähe verfolgen können. Trotzdem ist Prokopius mit Vorsicht zu
genießen, schon wegen seiner Abneigung gegen Justinian und besonders
gegen Kaiserin Theodora. Auch die Marotte antiker Historiker, den Akteuren
frei erfundene Reden in den Mund zu legen, ist bei ihm ziemlich ausgeprägt.
Und er hatte ein Faible für Duelle zwischen heroischen Einzelkämpfern. Diese
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gewissermaßen homerische Sicht macht es nicht gerade leicht, komplexe militärische Geschehnisse aus seinen Schilderungen zu rekonstruieren.
So erfahren wir z. B., dass Artabanes den General Sittas getötet hat, den
Justinian mit einem Heer zur Niederschlagung der Armenierrevolte geschickt hatte. Prokopius behauptet, dass die beiden sich rein zufällig auf dem
Schlachtfeld begegnet sind. Doch es scheint, dass Artabanes mit seiner Einheit gezielt auf Sittas angesetzt worden war, um das gegnerische Heer zu
enthaupten. Das Fanal für den Aufstand war zuvor die Ermordung von Acacius gewesen, selbst gebürtiger Armenier und von Justinian als Statthalter eingesetzt. Auch dieser Mordanschlag auf Acacius war von Artabanes ins Werk
gesetzt worden; dass diese Art von Operationen eine Spezialität von ihm war,
wird sich später noch bestätigen.
Nach dem Tod des Sittas und der Niederlage seines Heeres sendet Justinian einen weiteren General, Bouzes, der umsichtiger agiert. Er bietet Verhandlungen und eine gütliche Einigung an. Der Einzige, der sich darauf einlässt,
ist ausgerechnet Johannes, der Vater von Artabanes. Er vertraut auf seine alte
Kameradschaft mit Bouzes – dieses Detail ist einer der Belege für das Vorleben der armenischen Rädelsführer als römische Offiziere.
Bouzes jedoch erweist sich nicht als Offizier und Gentleman, sein Angebot
ist eine tödliche Falle, der Johannes zum Opfer fällt. Artabanes und die übrigen armenischen Adligen setzen sich daraufhin nach Persien ab, Hoffnung
auf einen Sieg haben sie nicht mehr und 539 n. Chr. endet so die Revolte.
Der persische König bricht seinerseits den ewigen Frieden mit Rom nach
nur acht Jahren. Angeblich, weil er durch die armenischen Exilanten aufgestachelt wurde (so Prokopius), tatsächlich wohl eher, weil natürlich auch er
bemerkt hatte, dass die meisten Truppen des Kaisers im Westen gebunden
waren. Die Anführer der Armenier kehren jedoch bereits 540 n. Chr. wieder
auf römisches Gebiet zurück, komplett desillusioniert von der Politik des
Shahs: Völlig überraschend hatte sich herausgestellt, dass die östliche Großmacht ebenso wenig daran interessiert war wie die westliche, ein unabhängiges Armenien in alter Größe wieder auferstehen zu lassen.
Justinian empfing die Heimkehrer huldvoll und ließ sie in römischen Diensten auch weiterhin das tun, was sie am besten konnten: kämpfen. Für Artabanes kam wenige Jahre später die Gelegenheit, in Nordafrika seine besonderen Talente einzusetzen.
Nach der Rückeroberung war die Region nicht wirklich zu Ruhe gekommen:
Vandalen, Römer und Berber kämpften gegeneinander, auch verschiedene
Berberfürsten untereinander, vor allem aber kaisertreue Einheiten gegen römische Meuterer, und das alles in rasch wechselnden Konstellationen. Wir
überspringen die Details, nur so viel: Der meuternde General Gontharis hatte
Areobindus, den Oberbefehlshaber der römischen Truppen, 546 n. Chr. mit
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einem Versöhnungsangebot in eine Falle gelockt und ihn nach einem festlichen Abendessen erschlagen lassen (die Methode Rhaskuporis’, die wir schon
aus dem Kapitel über Tryphaena kennen).
Als Artabanes in Nordafrika eintrifft, nimmt er zunächst Kontakt zu den
loyalen Truppen auf, aber trotzdem schafft er es, sich Gontharis als Parteigänger anzudienen und so in seine Umgebung zu gelangen. Den Plan zur
Beseitigung von Gontharis entwickelt er mit einem rein armenischen Team,
das möglichst klein ist, um die Geheimhaltung zu gewähren: nur sein Neffe
Gregorios und einige Leibwächter gehören dazu. Der Ort dieses Anschlages
soll, wenig originell, ein festliches Abendessen sein. Prokopius beschreibt
ein klassisches triclinium mit drei Speisesofas – es ist faszinierend, wie dieses Kernelement römischer Lebensart hier immer noch in Funktion ist, genau wie sechs Jahrhunderte zuvor etwa bei Caesar, Cicero und deren Zeitgenossen.
Waffen zum abendlichen Diner mitzubringen, war nicht das Problem: Es
war üblich, dass hochrangige Offiziere von eigenen Leibwächtern begleitet
wurden. Damit war auch klar, wie Gontharis sterben würde. Das Problem
war vielmehr, hinterher nicht von einer Überzahl von Gontharis’ Anhängern
selbst erschlagen zu werden.
Die Lösung bestand darin, sich mit einer größeren Zahl eigener Leute in
den Palast in Karthago zu begeben, von denen die meisten jedoch nicht in
den Plan eingeweiht waren und so auch nichts versehentlich verraten konnten. Sie hatten Order, die Wachen im Palast mit Spiel und Spaß abzulenken.
Drinnen im Speisesaal warten die Verschwörer, bis Gontharis ausreichend
betrunken ist, und schreiten dann zu Tat. Den ersten Streich führt einer der
Begleiter des Artabanes, der Gontharis am Kopf trifft; Artabanes führt den
zweiten, tödlichen Stoß. Es kommt zum Kampf gegen Gontharis’ Anhänger, die übrigen Armenier stürmen in den Raum und gemeinsam wird bald
der letzte Widerstand niedergekämpft. Die Masse von Gontharis’ Leuten
jedoch, die nicht in das dramatische Geschehen involviert waren, tritt sofort auf Artabanes’ Seite über, als sie von den Ereignissen hören – sie stellten ursprünglich das Gefolge des Areobindus und weinen dem Putschisten
keine Träne nach. Und so starb Gontharis, nur 36 Tage nach seinem Mord
an Areobindus, wie Prokopius mit Genugtuung festhält. Die anschließende
Säuberungsaktion unter Gontharis’ Anhängern in der ganzen Stadt würde
heutigen Normen von Rechtsstaatlichkeit sicher nicht genügen, war aber aus
Sicht von Artabanes offensichtlich unerlässlich.
Justinian ernannte ihn nach dieser erfolgreichen Operation zum Oberbefehlshaber (magister militum) der Truppen in Afrika und beließ ihn auf dem
Posten des Statthalters, bis er abgelöst wurde. Bei seiner Rückkehr nach
Konstantinopel wurde er von jubelnden Menschenmengen empfangen und
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vom Kaiser mit weiteren Ehren überhäuft: Artabanes wurde nun Kommandant der Truppen in der Hauptstadt und Befehlshaber über alle Verbündeten
(foederati), zudem erhielt er die Ehre des Konsulats.
Und doch, scheint es, war Artabanes unzufrieden – so sehr, dass er sich
548 n. Chr. in eine Verschwörung gegen den Kaiser hineinziehen ließ! Jedenfalls, wenn wir Prokopius glauben wollen, ist die ganze Angelegenheit etwas
undurchsichtig. Das beginnt mit der angeblichen Ursache für Artabanes’
Unmut: Nach seinem Coup in Nordafrika hatte er gehofft, Praeiecta zu heiraten, die Witwe des Areobindus und Nichte Justinians. Diese Heirat hätte
also einen Aufstieg in die kaiserliche Familie bedeutet. Justinian wäre einem
solchen Schritt vielleicht nicht abgeneigt gewesen, und in jedem Fall war
auch Praeiecta durchaus an dieser Heirat mit dem gefeierten und stattlichen
Kriegshelden interessiert.
Blieb nur ein Problem: Artabanes war schon verheiratet, auch wenn er seine Frau seit Jahren kaum gesehen hatte. Vorsorglich hatte er sich schon von
ihr getrennt, um freie Bahn für Praeiecta zu haben – doch die Verschmähte
nutzte ihre Bekanntschaft mit der Kaiserin. Und auf Theodoras Intervention
hin musste Artabanes die Heiratspläne beerdigen und zu seiner ersten Frau
zurückkehren. Ob das allerdings Grund genug war, sich auf das Abenteuer
eines Mordkomplotts einzulassen, sei dahingestellt.
Treibende Kraft war jedenfalls ein anderer armenischer Aristokrat und Verwandter von Artabanes namens Arsakes, der wohl einen handfesteren Grund
für Groll gegen den Kaiser hatte: Ihn hatte man bei hochverräterischen Geheimverhandlungen mit dem persischen Schah ertappt und daraufhin öffentlich ausgepeitscht. Der Plan von Arsakes und Artabanes: Justinian sollte
ermordet werden, neuer Kaiser würde Germanus, sein Neffe. Diese Idee wurde zunächst Justinus unterbreitet, dem ältesten Sohn von Germanus. Doch
obwohl man Justinus ausführlich bearbeitete, ihm vor allem die schändliche
Zurücksetzung seines Vaters am Hof Justinians vorhielt, wollte Justinus von
diesem Vorhaben nichts wissen.
Er weihte seinen Vater ein, der nun vor der schweren Wahl stand, Justinian das Komplott sofort anzuzeigen oder aber die Sache mit Schweigen zu
übergehen – beides konnte sich gleichermaßen als gefährlich erweisen. Germanus versicherte sich der Hilfe mehrerer unverdächtiger Personen: Marcellus, Kommandant der Palastwache sowie der Rechtsgelehrte Leontius, dazu
noch zwei weitere Offiziere. Ihre Gegenintrige sah vor, dass die Verschwörer dazu gebracht werden sollten, noch einmal vor Zeugen den ganzen Plan
auszuplaudern, woraus auch klar werden sollte, dass Germanus und Justinus nicht zu den Urhebern des Komplotts gehörten. Arsakes ließ sich nicht
darauf ein, vielleicht witterte er die Falle, doch ein weiterer Mitverschwörer
namens Chanaranges (auch ein Armenier) erwies sich als Plaudertasche und
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enthüllte alle Details vor Germanus, während Leontius hinter einem Vorhang
lauschte. In der anschließenden Gerichtsverhandlung vor Senat und Kaiser
wurden denn auch, nach einigem Hin und Her, Germanus und sein Sohn voll
rehabilitiert.
Artabanes’ Part in der ganze Affäre bleibt seltsam unscharf: Weder scheint
er eine führende Rolle zu spielen, noch ist wirklich einleuchtend, warum er
sich diesem Unternehmen anschließen wollte. Und grundsätzlich bleibt die
Merkwürdigkeit, dass Justinian kinderlos war – Germanus war sowieso als
Thronfolger vorgesehen, warum die Verschwörer glauben konnten, ihn für
das potenziell suizidale Unternehmen zu gewinnen, ist unklar. Das Strafgericht des Kaisers fällt jedenfalls milde aus: Für Artabanes und die Mitverschwörer wird lediglich ehrenvoller Arrest in den Räumen des Palastes verfügt.
Die Nachsicht Justinians, die schon nach der Revolte von 538/539 n. Chr.
auffiel, ist auch hier erkennbar. Und wie damals dürfte ein Mix aus verschiedenen Motiven eine Rolle gespielt haben: Justinian war es ernst damit, als
dezidiert christlicher Herrscher zu regieren, und demonstrative Vergebung
passt zu diesem Ideal. Es können aber auch pragmatische Erwägungen hineingespielt haben – die nächste Gelegenheit, von den Talenten des Artabanes
Gebrauch zu machen, ließ auch nicht lange auf sich warten.
Im Jahr 550 n. Chr. hatte nämlich der ostgotische König Totila Sizilien zurückerobert; die befestigten Plätze konnte er nicht einnehmen, aber das Land
war seinen Verwüstungen schutzlos ausgeliefert. Artabanes, der Mann für
besondere Einsätze, löste 551 n. Chr. den unfähigen Liberius ab und ging die
Goten mit solcher Heftigkeit an, dass ihre Garnisonen in kurzer Zeit kapitulierten. Von da an blieb Sizilien oströmisch, bis zur Invasion der Araber im
9. Jh.
Für die späten 550er-Jahre haben wir keine Nachrichten über Artabanes
mehr, vielleicht ist er bei einer waghalsigen Aktion ums Leben gekommen,
vielleicht hat er sich ganz banal zur Ruhe gesetzt. Die Armenier jedenfalls
spielen in der weiteren byzantinischen Geschichte noch eine wichtige Rolle.
Als mit dem Verlust Ägyptens, Nordafrikas und anderer Gebiete das oströmische Reich immer mehr auf Kleinasien und Anatolien reduziert war, waren
Griechen und Armenier die beiden wichtigsten ethnischen Gruppen, die gemeinsam die Fahne einer römischen Identität hochhielten.
Doch bereits während des Gotenkrieges bekundete eine andere, aufstrebende Macht ihren Willen, bei den Großen mitzuspielen: die Franken, nominell Verbündete Ostroms gegen die Goten – allerdings recht schwierige Verbündete, die selbst Ansprüche auf Italien erhoben. Die Frankenkönige gingen
auf fränkische Offiziere in römischen Diensten zurück, die sich in den Wirren
der Spätantike selbstständig gemacht hatten. Als erster Germanenherrscher
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überhaupt trat König Chlodwig um das Jahr 500 n. Chr. zum Christentum in
seiner römisch-katholischen Form über. Damit war die historische Marschroute vorgegeben, Chlodwig hatte sich religionspolitisch auf eine Stufe mit
dem Kaiser in Byzanz gestellt, und die Franken sahen sich überhaupt wie kein
anderer Nachfolgestaat des westlichen Reichsteils in der Kontinuität Roms.
Und noch einige Jahrhunderte später ließ ein Nachfolger Chlodwigs namens
Karl selbstbewusst das weströmische Kaisertum wieder auferstehen – aber
das ist schon wieder eine andere Geschichte …
Literatur: AYVAZYAN 2012, CAMERON et al. 2001, CHARANIS 1963, CUMBERLAND JACOBSEN 2009,
KRUSE 2013, LEPPIN 2011, LEPPIN et al. 2012, WHATLEY 2009
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