Studienrat Dr. Hermann Rubarth Von der Konzentration im Unterricht der Oberstufe Anschaulichkeit des Unterrichts wird an allen Schulen gefordert, und verhältnismäßig leicht ist diese Forderung auch bei uns in der Unter- und Mittelstufe zu erfüllen. In der Mathematik kann der Raum gemessen werden, in der Musik können die in bestimmten Abständen aufgestellten Schüler die Tonleiter und ihre verschiedenen Tonschritte lebendig machen; in den Sprachen und im Deutschunterricht steht das Bild, die Beschreibung vor dem Begriff. Die Verdeutlichung und Einprägung eines Stoffes wird erst dort schwierig, wo eben diese Veranschaulichung zu einem Umweg wird, der mehr Zeit in Anspruch nimmt, als dem Gegenstand der Überlegung gewidmet werden kann. Zudem lassen die höhere Mathematik und die begrifflichen Konzeptionen philosophischer Denker eine Veranschaulichung überhaupt nicht mehr zu. Da gilt es nun, Verständnis und vertiefte Schau dadurch zu ermöglichen, dass dem Schüler schon Bekanntes als Hilfe, als Orientierungspunkt beigegeben oder der Unterrichtsstoff von sich aus so gegliedert wird, dass die Zusammenfassung ein geschlossenes Bild des Gegenstandes liefert. Ideal wäre sicher ein Gesamtunterricht, bei dem alle Fächer ein Thema, einen Gegenstand aus ihrer speziellen Sicht heraus angehen; aber gerade das ist auf der Oberstufe der Höheren Schule nicht durchzuführen, da die Richtlinien im Anliegen der einzelnen Disziplinen verschiedene Absichten und Wege aufzeigen und die Schüler auf Grund des in den einzelnen Fächern verschiedenen Ausbildungsstandes nicht in der Lage sind, ein und denselben Gegenstand auf gleicher Ebene zu erörtern. So ist sicher die mathematische und physikalische Entwicklung des 18. Jahrhunderts Voraussetzung für die fachlichen Übungen in der Prima, während die geistigen Strömungen erst jetzt in den Deutsch-, Musikund Sprachunterricht hineinspielen; auch der Kunstunterricht wird diese Zeit kaum als Schwerpunkt behandeln. Eine Ordnung des Unterrichtsstoffes nach den oben aufgezeigten Gesichtspunkten würde Vor- und Rückschritt, zugleich Beschleunigung wie auch Verzögerung im Unterrichtsfortgang bedeuten. Der Gesamtunterricht wird damit als Unterrichtsprinzip für die Oberstufe fragwürdig. Auch die „Konzentration" will Prinzip sein, sowohl in der Forderung der Raffung und Schwerpunktbildung im fachgebundenen Stoff als auch in der Verbindung einzelner Fächer zur Erhellung eines Gegenstandes. Beispiele mögen das Gesagte erhellen: Im Deutschunterricht wird mit Schillers „Don Carlos" das Zeitalter Philipps II. heraufbeschworen, nicht weil die Historie zum Verständnis und zur Erläuterung der Dichtung notwendig ist, sondern um das Besondere des Schillerschen Kunstwerks herauszuheben. Der Geschichtsunterricht sollte zur gleichen Zeit diesen historischen Abschnitt behandeln, so dass der Deutschunterricht nicht Tatsachen erörtern muss, die der Besprechung des Kunstwerks wesenhaft entgegenstehen, jedoch zur Klärung der Situation in der Dichtung beitragen. In engem motivischen Zusammenhang mit dem Thema stehen Dostojewskijs „Großinquisitor", Bergengruens „Großtyrann und das Gericht", Stefan Andres „El Greco malt den Großinquisitor" und — die Problematik erweiternd — Reinhold Schneiders „Philipp II." und „Las Casas vor Karl V.". Die Schüler lesen damit in sinnvollem Vergleich Werke der Gegenwart neben dem unvergänglichen Gut deutscher Literatur, jedoch nicht, um das Werk am anderen zu messen, sondern um Sinn, Bedeutung und Wert der künstlerischen Aussage in ihrer Verschiedenartigkeit zu erfahren. Solch vertiefendes Eindringen in eine Problematik erfordert Zeit, die bei hohen Anforderungen nie zur Verfügung steht; daraus resultiert die Überlegung, ob das Verweilen hier ein schnelleres Fortschreiten dort rechtfertigt. Die Fächer Deutsch und Musik können leicht in ihrem Anliegen verbunden werden, sei es, dass ein dichterischer Text von mehreren Komponisten verschiedene Ausdeutung erfährt und damit ein Wandel des Dichter-Bildes deutlich wird, sei es, dass eine Durchnahme des Nibelungenstoffes in mittelhochdeutscher Form, in Hebbels Trilogie und Ibsens „Nordischer Heerfahrt" durch die Behandlung von Wagners „Ring" gekrönt wird. Diese Vertiefung zwischen künstlerischen Fächern scheint nicht ungewöhnlich, denn Hindemiths Sinfonische Suite „Mathis der Maler" wird auch auf der Oberstufe erst im Zusammenhang mit Bildern von M. Grünewalds „Isenheimer Altar" zu größerer Wirkung führen können; aber auch die gemeinsame Arbeit beim Mathematik-, Physik- und Musikunterricht leuchtet dort ein, wo es um die Akustik in Berechnung, Versuch und schließlich um eine Auswertung im musikalischen Kunstwerk geht. Im Deutschen .konzentriert' sich normalerweise der Unterricht; von hier aus wird Ausschau gehalten zur Historie, die während der Darstellung des Geschichtsablaufs auch die Entwicklung der Naturwissenschaften mit umgreift, aber erst bei philosophischen Erörterungen wird eine enge Verbindung von geistes- und naturwissenschaftlichem Denken erfolgen können; die künstlerischen Fächer werden immer wieder von sich aus Kontakt zur deutschen Dichtung suchen, um die gemeinsamen Anliegen der Künste herauszustellen. Die Verbindung zu den Sprachen ist nicht so selbstverständlich gegeben, wie es den Anschein haben könnte. Die lateinische Dichtung beeinflusste die deutsche sehr; die Schüler beherrschen jedoch die Sprache selten so weit, dass Vergleiche im normalen Unterricht möglich sind. Das in Untertertia beginnende Französisch wird selbst in der Oberstufe bei der Lektüre dichterischer Ganzschriften die Übersetzung, jedoch nicht immer eine künstlerische Betrachtungsweise in den Vordergrund stellen. Das Englische nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als von je her ein Shakespearesches Drama auch im Deutschunterricht gelesen wurde. Die Werke aus dem englischen Sprachbereich scheinen uns — nicht zuletzt wegen des großen Einflusses Shakespeares auf die deutsche Literatur — leichter verständlich, so dass sie auch in ihrer künstlerischen Gestaltung eher erfasst werden können. Die Behandlung Lessings und seiner Schriften ermöglicht eine Konzentration dieser Fächer im Deutschen. Seine Stellung zur französischen Dichtung, die bis dahin der deutschen Vorbild war, kann verdeutlicht werden an Corneilles „Cid", der im Französischen gelesen wird. In der Hamburger Dramaturgie stellt Lessing Shakespeare den Franzosen gegenüber, indem er die Dichtungen beider Nationen an den Forderungen des Aristoteles misst. Die Verbindung zur Antike ist geschaffen und damit sinnvoller Anlass gegeben, den Einfluss antiker Schriften und Dichter auf die europäische Dichtung des 18. Jahrhunderts aufzuzeigen und den Schülern nach einem Hinweis auf die Bedeutung der Naturwissenschaften in der Zeit eine Welt zu zeigen, in der sinnträchtige historische und künstlerische Ereignisse ein Weltbild gestalteten. Es mag nach diesen Überlegungen wünschenswert sein, den gesamten Unterricht zu konzentrieren; das kann jedoch nur mit einer Einschränkung geschehen. Konzentration bedeutet zugleich unterrichtlichen Höhepunkt; einer müsste sich an den anderen reihen, während die Grundlagen, die erst eine Koordinierung der verschiedenen Fächer und ihrer Ergebnisse wünschenswert machen, zu kurz kämen. Echte Konzentration setzt doppelte Arbeit voraus; sie will nicht etwa nur diesem oder jenem Schüler den Überblick erleichtern, sie will die Ergebnisse verschiedener Bemühungen aufgipfeln und jedes Fach aus seiner Isolierung lösen und in einen historischen oder gegenwärtigen Lebensraum führen. Ein solches Tun fordert von den Schülern und den beteiligten Lehrern an vorbereitender und durchführender Arbeit besonderes Mühen, das dem hohen Erlebnis des Erreichten angemessen ist.