DER IRAKISCHE VERSÖHNUNGSAUSSCHUSS ZU BESUCH IM SÜDTIROLER LANDTAG Eine Delegation aus 16 Parlamentariern, dem Verkehrsminister, dem Minister für Wissenschaft und Technologien und dem Minister für nationale Versöhnung wird sich am 24. Juni mit den Südtiroler Landtagsabgeordneten über die Südtiroler Erfahrung mit Autonomie und Minderheitenschutz austauschen. Der erste parlamentarische Ausschuss für die nationale Versöhnung im Irak wird vom 22. bis zum 24. Juni in Bozen verweilen: Ziel dieses Besuchs ist ein Meinungsund Erfahrungsaustausch mit den Institutionen der Autonomen Provinz, insbesondere mit dem Südtiroler Landtag über die Themen Autonomie, Föderalismus und Minderheitenschutz. Das Treffen im Landtag wird am Vormittag des 23. Juni stattfinden (ab 12 Uhr dürfen Kamerateams und Fotographen im Landtagssaal Aufnahmen machen): in der anschließenden Pressekonferenz, die für 12.30 Uhr im Repräsentationssaal des Landtags geplant ist, werden der Landtagspräsident Mauro Minniti, die Fraktionsvorsitzenden und die irakischen Gäste der Presse davon berichten. Am Vorabend einer hitzigen politischen Debatte im Irak über den Abzug der USamerikanischen Truppen bis Jahresende und in Anbetracht der schwerwiegenden politischen und sozioökonomischen Spannungen, die den Irak belasten, ist das Treffen in Südtirol ein Schlüsselereignis, um aus erster Hand, von den ranghöchsten Vertretern des Landes, von den Schwierigkeiten im Irak zu erfahren. Trotz der politischen Spannungen, die die arabisch-kurdischen Beziehungen angesichts der im Kurdistan, im Irak aber auch in der gesamten Nahostregion stattfindenden Umwälzungen belasten, zeugen die 16 Parlamentarier des Ausschusses für nationale Versöhnung und die drei Minister, die sie begleiten, von einem starken Willen, ihre gemeinsame Vision der Versöhnung zu verwirklichen. Es ist dieselbe Vision, die dem am 1. November 2010 in Bagdad unterzeichneten Aktionsplan entspringt: Dieser hat den parlamentarischen Ausschuss ins Leben gerufen, den ersten seiner Art in der arabischen Welt. Die Delegation wird von Antonella Caruso begleitet, die seit 2008 das Projekt "Dialog zur nationalen Versöhnung", das von der Generaldirektion für das Mittelmeer und dem Nahost (DGMM) des italienischen Außenministeriums unterstützt wird, vorantreibt und leitet. "In der arabischen Welt beginnen Feindschaften zwischen Stämmen und ethnische und religiöse Spannungen zu schwelen, die auch im Irak die Stabilität schwer belastet haben und teilweise immer noch problematisch sind", so Frau Dr. Caruso. "Die irakische Lektion und die Südtiroler Erfahrung in puncto Autonomie und Minderheitenschutz werden dazu beitragen, die Herausforderung von komplexer werdenden und verwobenen Gesellschaften zu verstehen". DAS PROJEKT "DIALOG ZUR NATIONALEN VERSÖHNUNG IM IRAK" Das Projekt "Dialog zur nationalen Versöhnung im Irak" ist aus der Zusammenarbeit mit der US-amerikanischen NGO IISD (International Institute for Sustained Dialogue) entstanden, die vom früheren Botschafter Hal Saunders und von Randa Slim geleitet und aktiv von bekannten Persönlichkeiten wie Richard Murphy und Edward Dorn unterstützt wird. Im Jahre 2004 beteiligt IISD Frau Dr. Antonella Caruso am Dialog mit dem gemäßigten Islam, also mit den Anführern der Muslimbruderschaft (Ägypten, Jordanien, Palästina und Syrien) und der laizistischen Opposition ebendieser Länder. Die Ausweitung dieses Dialogs auf die islamischen schiitischen Parteien des Irak und den Vertretern der Vereinigung der muslimischen Ulama bereitet den Weg für ein auf den Irak fokussiertes Dialogprojekt, der damals noch von einem Bürgerkrieg gebeutelt war (2006). Der von Randa Slim mitgeleitete und vom Außenministerium über dem IPALMO (Institut für die Beziehungen zwischen Italien und den Ländern Afrikas, Lateinamerika, Nahost und Fernost) finanzierte Dialog zur nationalen Versöhnung im Irak wurde von 2007 bis 2008 im Libanon und in Jordanien geführt. Dabei wurden Vertreter der politischen Kräfte des Iraks, ehemalige und in Syrien und Jordanien lebende Baathisten, Stammesführer und religiöse Vertreter an einem Tisch versammelt. mit dem Ziel, zu einer gemeinsamen Vision der Versöhnung zu gelangen. Im Zuge des Dialogs einigte man sich auf eine erste Agenda der Versöhnung, kam aber aufgrund der Heterogenität und der Komplexität der Teilnehmer, der unterschiedlichen Zielsetzungen der einzelnen politischen und sozialen Kräfte und den logistischen Schwierigkeiten bei der Organisation des Dialogs im benachbarten Land nicht voran. Nach dem Austritt von IISD übernahm Antonella Caruso die gesamte Leitung. Sie brachte den Dialog nach Bagdad und fokussierte ihn auf die politische Versöhnung, die die erste Bedingung für jegliche friedensstiftende Maßnahme vor Ort ist. Der Dialog, der der Führung der im Parlament vertretenen Parteien beschränkt ist, fand in immer kürzeren Abständen statt (alle 6-7 Wochen), wobei im Vorfeld bilaterale Absprachen stattfanden, die Caruso jeden Monat in Bagdad im Hotel Al-Rashid, in Privathäusern und an Regierungs- und Parlamentssitzen leitete. Das politische Klima war zum Zerreißen gespannt: Das US-amerikanische Heer übermittelte der Regierung Maliki, die zögerte, die Sahawat miteinzubeziehen, das entsprechende Dossier. Dem folgten militärische Aktionen gegen die Mahdi-Miliz, das Kräftemessen mit den Pashmerga, der Abschluss des Abkommens über die Militärstützpunkte im Irak, genannt Status of Forces Agreement (SOFA), die Wahlen in den USA usw. Parlament und Regierung sprachen nur mehr im Rahmen dieses Dialogs miteinander. Dasselbe galt für die Islamische Partei, Sadristen und Fadhila, die zwar an in der Regierung saßen, aber Opposition spielten. Trotz der vorherrschenden politischen Instabilität und der schwierigen Sicherheitsbedingungen versammelten sich die 16 irakischen Parlamentarier und Regierungsvertreter weiterhin unter der Leitung dieser italienischen Frau, die Gast der italienischen Botschaft war und von den Carabinieri des Tuscania-Regiments Begleitschutz bekam, die Agenden der Treffen vorbereitete und trotz Bombenangriffen die Sitzungstermine festlegte. Das Außenministerium hielt seinerseits weiterhin an der Finanzierung fest, obwohl die Ergebnisse des Dialogs auf sich warten ließen. Am 1. November 2010, inmitten eines politischen Stillstandes nach den Wahlen im März 2010, unterzeichneten die Vertreter des Dialogs den Aktionsplan der Versöhnung und definierten, nach der Aufzählung der Fragestellungen, die dieser im Wege stehen, im Detail die Maßnahmen, die im parlamentarischen Rahmen umzusetzen, zu unterstützen und zu ergänzen sind. Dabei geht es darum, das Gesetz über die Entbaahtisierung (Accountability and Justice Law) und jenes über die Generalamnestie zu überarbeiten, das Gesetz über den Zivildienst anzuwenden und die unabhängige Menschenrechtskommission einzurichten, das Dossier über die Sahwat abzuschließen, der Parteienfinanzierung durch das Ausland den Riegel vorzuschieben, die Opfer des vorherigen Regimes sowie von Gewalt und Terrorismus zu entschädigen und die ehemaligen Baahtisten, die keine Verbrechen begangen haben, in das neue politische Ordnung einzugliedern. Die Vertreter verpflichteten sich ihrerseits, einen parlamentarischen Ausschuss für die nationale Versöhnung zu bilden und sich Gedanken über ein neues Versöhnungsgesetz zu machen, welches gegebenenfalls die Einrichtung einer unabhängigen Versöhnungskommission in Betracht zieht. Im März 2011 wurde dieser Ausschuss im Zuge eines Treffens des Dialogs im Hause von Ala Talabani, einem Mitglied des Präsidiums der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) und Nichte des Präsidenten Jalal Talabani, ins Leben gerufen. Sieben Gründungsmitglieder des Ausschusses sitzen nun als Minister in der neuen Regierung, setzen sich aber weiterhin für eine Stärkung des Ausschusses ein. Der Ausschuss stattete sich mit einer Satzung aus. Ala Talabani wurde zur ersten Präsidenten gewählt (die Präsidentschaft rotiert alle 6 Monate). Ihr Stellvertreter ist Muhammad Salman, der einflussreiche Sahwa-Berater von Maliki und neugewählter Abgeordneter der Dawa-Partei. Der Ausschuss verfügt über drei Unterausschüsse: Beziehungen zur Regierung, zur Zivilgesellschaft und zu den internationalen Organisationen und der Presse. Am 10. Mai 2011 wurde der Ausschuss im Parlament förmlich anerkannt, in Anwesenheit des Parlamentssprechers Usama al-Nujayfi und 5 Ministern: Muhammad Allawi (Kommunikation), Muhammad al-Darraji (Wohnbau), Hadi al-Amiri (Verkehr), Abd el-Karim al-Samarra'i (Wissenschaft und Technologie), Amir al-Khuza'i (nationale Versöhnung); allesamt Gründungsmitglieder des Ausschusses. Diese werden auch an der anschließenden Pressekonferenz teilnehmen. Nujayfi stellt dem Ausschuss die gesamte logistische und finanzielle Unterstützung zur Verfügung. Auf diese wichtige Etappe folgt das Treffen des Ausschusses den Institutionen der Südtiroler Autonomie in Bozen, bei dem die Themen Autonomie, Föderalismus, Minderheitenschutz usw. im Mittelpunkt stehen werden. Die Besucher werden vom 21. bis zum 24. Juni in Südtirol verweilen.