SCHOLA GREGORIANA PRAGENSIS Programme „Maiestas Dei“ Mittelalterliche Polyphonie im Werk von Petrus Wilhelmi de Grudencz Majestät Gottes P. W. de Grudencz: Moteto Veni vere — Pneuma — Paraclito — Dator P. W. de Grudencz: Kyrie Fons bonitatis Gloria in excelsis Deo P. W. de Grudencz: Bohu svému, Králi nebeskému Gottes Geburt Introitus Puer natus est Anonymus (vor 1500): Cantio Nobis est natus hodie P. W. de Grudencz: Moteto Pán Ježíš narozený — Tři králové — Zdávna prorokové Lectio evangelii Factum est cum baptizaretur P. W. de Grudencz: Moteto Preconia etroclyta Maria, Königin und Helferin Antiphona Nigra sum P. W. de Grudencz: Presidiorum erogatrix P. W. de Grudencz: Prelustri elucencia Tractus Laus tibi Christe filio P. W. de Grudencz: Plaude euge Theotocos Die Heiligen vor der Majestät Gottes Guillaume Dufay: Hymnus Urbs beata Jerusalem Heilige Dorothea Antiphona Nil territa supplicio P. W. de Grudencz: Moteto Prefulcitam expolitam Heiliger Martinus P. W. de Grudencz: Moteto Presulis eminenciam Sequentia Sacerdotem Christi Martinum P. W. de Grudencz: Rotulum Presulem ephebeatum Worte zum Programm Die Geschichte der geistlichen Musik des Mittelalters ist nicht durch konkrete Namen eingesäumt, wie es in den neueren Zeiten ist. Es bedeutet allerdings nicht, dass das Mittelalter solche Persönlichkeiten nicht hatte. In dieser Zeitepoche war der Zweck dieses Musikschaffens vor allem Gottesdienst und Liturgie. Deshalb sind die gregorianischen Gesänge bis auf Ausnahmen anonym, die Gesichter der Gestalter sind ganz bewusst unter den Kapuzen der Mönchkutten versteckt. Die Persönlichkeit des Komponisten tritt erst mit der Entwicklung der Mehrstimmigkeit ausgeprägter in Vordergrund. Die Namen wie Perotinus, Landini, Machaut tauchen plötzlich aus der Anonymität als Meilensteine der Musikentwicklung auf. In unserem mitteleuropäischen Milieu erscheinen die Erwähnungen über Musikgestalter erst zur Neige des Mittelalters. Selten ist es jedoch möglich auf so ein eindeutiges Zeugnis von Autorschaft zu stützen, wie es im Falle von Petrus Wilhelmi de Grudencz ist. Diese ausgeprägte Erscheinung an der Grenze des Mittelalters und Renaissance verewigte sich nämlich auf eine originelle Weise in seinen Kompositionen, durch den sog. Akrostich: die ersten Buchstaben der Wörter des Textes stellen den Namen Petrus zusammen, in einer Motette finden wir seinen chiffrierten Namen in Ganzheit. Dieser Typ der Unterschrift bildete allerdings keine Garantie, dass der Name Petrus Wilhelmi de Grudencz für immer in der Tradition der Musikgeschichte verweilt. Zum Unterschied von seinem Werk, das mindestens aus den tschechischen und schlesischen Chören noch am Anfang des 17. Jahrhunderts klang, geriet der Name des Autors mit der Zeit in Vergessenheit. Es war nötig bis in die 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zu warten, als es dem Musikologen Jaromír Černý gelang die versteckte Unterschrift Peters in seinen Kompositionen aufzulösen. Es begann so eine merkwürdige Detektivgeschichte, in der das Leben und Werk einer der bedeutendsten komponistischen Persönlichkeit des 15. Jahrhunderts entdeckt wurde. Wir führen in Kürze die wichtigsten biographischen Angaben. Petrus Wilhelmi de Grudencz wurde im Jahre 1392 in Gridziac (in der Nähe des polnischen Torun) geboren, studierte an der Universität in Krakow, wo er im Jahre 1430 den Magistergradus erreichte. In den 40er Jahren des 15. Jahrhunderts trat er in den Dienst vom Kaiser Friedrich III. In Zusammenhang mit dem Kaiserhof wurde er zum Friderici imperatoris cappelanus — d.h. Kaplan des Kaisers Friedrich III., was auch die musikalische Tätigkeit beinhalten könnte. Im Jahre 1452 kann man seinen Aufenthalt in Rom nachweisen, wohin er höchstwahrscheinlich wieder als Mitglied kaiserlicher Begleitung pilgerte. Dann verliert sich Peters Spur in den Archivalien. Zwei seiner Kompositionen können seinen Lebenslauf interessant auffüllen. Es ist einmal der Text des Liedes Pontifices ecclesarium (leider ohne Notenschrift überliefert), die zur Unterstützung des Baselkonzils (1431–1449) auffordert. Es entstand höchstwahrscheinlich auf Bestellung einer der Leitpersönlichkeiten des Konzils. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich Petrus in der Nähe dieser bedeutsamen kirchlichen Verhandlung bewegte, wo während der Gottesdienste nicht nur eine von den Neuheiten der zeitgenössischen polyphonischen Produktion erklang. Eine weitere Spur für die Lokalisierung seiner Wirkung am Ende seines Lebens könnte die Motette Probitate-Ploditando sein. Der Text dieser Motette macht einen gewissen Andreas Ritter lächerlich, den traurig berühmten Sohn des Schulrektors des polnischen Grünen Berg (ca. 60-70er Jahre des 15. Jahrhunderts). Wenn wir voraussetzen, dass Petrus des Ritters Grobheit persönlich traf, würde es bedeuten, dass er in einem fortgeschrittenen Alter in das Land zurückkehrte, in dem er geboren wurde. Ein Rätsel stellt die Beziehung von Petrus Wilhelmi zu den tschechischen Ländern dar. Obwohl wir keinen historischen Nachweis von Petrus Aufenthalt in Tschechien haben, sind mehr als zwei Drittel seines Werkes gerade in den tschechischen Quellen erfasst. Wir können vermuten, dass Petrus während seines unterschiedlichen Kreuzens durch Mitteleuropa auch in unsere Gegend geriet und das hiesige Musikrepertoir bedeutsam bereicherte. Wie könnten wir das Werk von Petrus Wilhelmi de Grudencz am besten charakterisieren? Er ist bestimmt eine Persönlichkeit an der Grenze von zwei Epochen — mit bestimmter Übertreibung könnte man sagen: „seine Beine sind noch im Mittelalter, aber der Kopf ist schon in der Renaissance“. Ein Ausgangspunkt für sein Schaffen ist die mittelalterliche Mehrstimmigkeit des zentralen Europa, die bei Petrus von einer merkwürdigen Eigenart beseelt ist und innoviert von Elementen der zeitgenössischen Polyphonie. Eine Reihe der Kompositionen erinnert durch melodischen Wohlklang an das frühe Werk von Guillame Dufay. Ab und zu fesselt Petrus durch einen überraschenden Witz, wie z.B. im St. Martinus Lied Presulis eminenciam, wo das lautmalerische „Schnattern“ an das traditionelle Gericht am Martins-Feiertag der St. Martinus — Gans erinnert. Aus dem formellen Gesichtspunkt finden wir im Werk von Petrus Wilhelmi insbesondere mehrstimmige Lieder und mittelalterliche Motetten, wo jede Stimme ihren eigenen unterschiedlichen Text hat. Eine Besonderheit ist das Rotulum Presulem ephebeatum, das als einzige durchgehende Melodie notiert ist und als vierstimmiger Kanon gesungen wird. Petrus Kompositionen klangen natürlich nicht „in der Luftleere“, sie wurden als Bestandteil des zeitgenössischen Repertoires integriert. Diesen Rahmen spiegelt auch die Gestaltung des Programms wieder, wo neben den Kompositionen von Petrus Wilhelmi auch die choralen Gesänge des späten Mittelalters erklingen und ein Musterstück aus dem Schaffen seines Zeitgenossen Guillaume Dufay. Auch wenn Petrus Wilhelmi lange Jahre im Schatten der kaiserlichen Majestät Friedrich III. lebte, war er gleichzeitig ein Kleriker und sein Schaffen zielte eindeutig zu den höchsten Werten: zur Majestät Gottes. DAS LITURGISCHE JAHR IM GREGORIANISCHEN CHORAL Prozession: Antiphona Adorate Dominum/Ps. 28 (Verneiget Euch dem Herrn…) Adventszeit (liturgische Farbe violett) Cantio Angelus ad virginem (Ein Engel gesandt zur Jungfrau…) Lectio Isaiae Prophetae (Lesung aus dem Propheten Jesaja…) Communio Ecce virgo (Siehe, eine Jungfrau…) Weihnachtszeit (liturgische Farbe weiß) Antiphona Hodie Christus natus est (Heut ist geboren Christus…) Moteto Congaudemus — En lux inmensa / Radujme se vespolek (Freut Euch alle insgemein…) Fastenzeit (liturgische Farbe violett) Psalmus 50 Miserere mei Deus (Gott, sei mir gnädig…) Graduale Miserere mei Palmsonntag und Karfreitag (liturgische Farbe rot) Antiphona Hosanna filio David (Hosianna Davids Sohn…) Hymnus Gloria Iaus (Dir sei Ruhm, Preis und Ehre…) Lectio Oratio Jeremiae Prophetae (Lesung aus dem Propheten Jeremias…) Responsorium Tenebrae factae sunt (Kam die Zeit der Finsternis…) Osterzeit (liturgische Farbe weiß) Exsultet (Jubelt, Ihr himmlischen Heerscharen…) Introitus Ressurexi (Ich bin auferstanden und bei Dir alle Tage…) Alleluia Pascha nostrum (Unser Osterlamm, Christus, wurde geopfert…) Lectio Actuum Apostolorum (Lesung aus der Apostelgeschichte…) Introites Viri Galilaei (Ihr Männer von Galiläa, was schaut Ihr auf zum Himmel…) Moteto Veni Sancte Spiritus - Da gaudiorum premia - Veni Sancte Spiritus Zeit nach Pfingsten (liturgische Farbe grün) Antiphona Speret Israel / Psalm 130 (Hoffe, Israel, auf den Herrn…) Graduale Unam petii (Um eines habe ich den Herrn gebeten…) Antiphona Montes Gelboe (Die Berge von Gilboa…) Abschluß Christus vincit (Christus siegt…) Geleitwort zum Programm Der liturgische, d. h. der gottesdienstliche Text hat seine Zuhörer immer als gesungener Text angesprochen. Aus der elementaren Rezitation des Textes auf einem Ton und wahrscheinlich auch bis zu einem gewissen Maße aus der „improvisierenden“ Praxis hat sich innerhalb des ersten Jahrtausends der christlichen Epoche ein Repertoire herausgebildet, in dem ein einzigartiges Gleichgewicht zwischen Ästhetik und Funktionalität herrscht: der gregorianische Choral. Dieser einstimmige Gesang ist etwas mehr als nur den Gottesdienst begleitende Musik, wie dies bei einigen Kompositionen aus späterer Zeit der Fall ist. Genauso wie der Priester festlich gekleidet vor den Altar tritt, ist der Choral das Festtagsgewand des liturgischen Wortes. Es entsteht eine einzigartige Verbindung von Musik und Wort — der gregorianische Choral — eines der charakteristischen Elemente für die christliche Tradition des Abendlandes. In den Jahren 1995/96 strahlte der Tschechische Rundfunk einen Zyklus aus, der es sich zum Ziel gesetzt hatte, in wöchentlichen Intervallen das gregorianische Repertoire der einzelnen liturgischen Zeitabschnitte vorzustellen. Das Ensemble Schola Gregoriana Pragensis hat sich in bedeutendem Maße an der Zusammenstellung der musikalischen Beispiele für diesen Zyklus beteiligt. Das heutige Programm kann man als eine Art Resümee dieser langjährigen Arbeit für den Tschechischen Rundfunk betrachten. Im Laufe des heutigen Abends möchten wir versuchen, Ihnen in einer Kurzfassung die Schwerpunkte dieses unglaublich ausgefeilten Organismus, wie es das liturgische Jahr ist, näherzubringen. Der Block adventlicher Gesänge wird mit einem geistlichen Lied eröffnet, welches für die böhmische Tradition adventlicher, d. h. rorater Gesänge typisch ist. Eine der charakteristischsten Figuren der Adventszeit ist der Prophet Jesaja, in dessen Buch eine Reihe von Weissagungen hinsichtlich der Ankunft des Messias zu finden ist. Eine solche Prophezeiung klingt auch in der Lesung an, die in einer milanesischen Weise vorgetragen wird: „Siehe, eine Jungfrau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel (d. h. „Gott mit uns“).“ Aus dem weihnachtlichen Repertoire kommt zuerst die jubelnde Antiphona Hodie Christus natus est aus der Christvesper zu Gehör, im Anschluß daran erklingt ein Beispiel für die mitteleuropäische Polyphonie aus böhmischen Quellen: es handelt sich um die zweistimmige Motette Congaudemus — En lux inmensa / Radujme se vespolek, vorgetragen zuerst mit dem lateinischen, dann mit dem tschechischen Text. Das Moment der Buße in der Fastenzeit charakterisiert der erste Vers des Bußverses aus Psalm 50: Miserere mei, Deus - Gott, sei mir gnädig. Diese Worten erklingen zuerst in der einfachen Psalmrezitation, danach wiederum in der melodiereichen Form einer Aschermittwochsgraduale. Die Heilige Woche beginnt mit dem Palmsonntag - dem Tage von Jesu triumphaler Ankunft in Jerusalem. In zwei Prozessionsgesängen dieses Tages erklingen die Rufe der ihn begrüßenden Menge: „Hosanna filio David“ - „Hosianna dem Sohn Davids!“ Die Klagelieder des Propheten Jeremias und das nachfolgende Responsorium gehört zur Karfreitagsliturgie. Die Osterfreude verkünden die Lobgesänge Exsultet vom Karsamstag, einem der Höhepunkte der liturgischen Lyrik. Die Lesung aus der Apostelgeschichte und das Introitus Viri Galilaei beschreiben den Augenblick von Jesu Himmelfahrt. Das Ende dieses Blockes bildet die dreistimmige Motette böhmischer Herkunft mit Pfingstthematik. Zu den Gesängen in der Zeit nach Pfingsten zählt die sehr expressive Antiphona Montes Gelboe. In ihrem Text erklingt Davids Klagegesang über die Toten Saul und Jonatan, die in der Schlacht in den Bergen von Gilboa den Tod fanden. Die Abschlußlitanei Christus vincit stellt Christus als absoluten Herrscher über die Zeit in den Mittelpunkt des Lebens. DIE BÖHMISCHEN HEILIGEN IM HIMMLISCHEN JERUSALEM I. Das himmlische Jerusalem Hymnus Urbs Ierusalem Graduale Laetatus sum Geleitwort zum Programm Den Gregorianischen Choral kann man als einen sehr breiten Begriff verstehen: das gesamte Repertoire der liturgischen Einstimmigkeit, das eine Periode von beinahe II. Die böhmischen Heiligen Tausend Jahren einnimmt. Die Basis ist Offizium des heiligen Adalbertus (Vojtěch), während der Regierungszeit Pippin III. gelegt, Bischofs von Prag d. h. annähernd in der 2. Hälfte des Invitatorium Hodie exultandum 8. Jahrhundert, wo sich das Kernrepertoire der Hymnus Martir Dei gregorianischen Melodien stabilisiert. Seit Lectio I.: Homilia Beati Augustini dieser Zeit durchquert der gregorianische Responsorium Alme presul et beate Choral verschiedene Stiländerungen, neue Lectio II.: Homilia Beati Augustini musikalische (und literarische) Formen treten Responsorium O presul Christi ins Spiel, es entstehen Repertoires, die nur einer bestimmten Region oder Diözese Offizium der heiligen Ludmila, Märtyrerin angehören und auch die aus der Karolingerzeit Antiphon Laudes canens Davidicas geerbten Melodien werden nach den neuen Antiphon Sic Hester in regia ästhetischen Kriterien transformiert. Hymnus Lux vera lucis radium In diesem Programm konzentrieren wir uns auf dieses relativ spätes Repertoire — Offizium des heiligen Prokopius, Abtes von Sázava Offizien der böhmischen Heiligen — das mit Antiphon Letare Bohemia einigen Gesängen des sogen. alten Fonds Hymnus Confessor Dei lucidus (»vieux fonds«) des gregorianischen Chorals aus der Zeit der Karolinger eingerahmt wird (I. Fest des heiligen Wenzel, Herzog und Märtyrer Teil: Das himmlische Jerusalem, Antiphon Cantio Svatý Václave Salve Regina). Kyrie Fons bonitatis Der erste Gesang ist der Hymnus Urbs Sequenz Salve pater optime Ierusalem aus dem 8. Jahrhundert, der in Lectio Sancti Evangelii Si quis vult (Lc 9, 23 - 27) poetischer Form eine Vision der Heiligen Stadt — tonus solemnis verfasst. Das Graduale Laetatus sum schöpft Hymnus Dies venit victorie seinen Text aus dem Psalm 121. Er drückt die Cantio Wenceslao duci claro Freude der Alttestamentarischen Pilger aus, die in Jerusalem ankommen. III. Maria, Königin der Heiligen In dem zweiten Teil des Konzertes Petrus Wilhelmi de Grudencz: Prelustri elucencia konzentrieren wir uns bereits auf das eigene Alleluia Ave benedicta / Tropus O Maria celi via tschechische Repertoire. Aus dem Offizium des Antiphon Salve Regina hl. Adalbertus (Vojtěch), des zweiten Bischof von Prag († 997), hören wir einen Auszug aus der Matutin. Dieser nächtliche Gottesdienst beginnt immer mit dem sogen. Invitatorium — einer Einladung zum Gebet. Die einfache Melodie der Antiphon Hodie exultandum alterniert mit den Versen des 94. Psalmes Venite exultemus. Ein fester Bestandteil der Matutin sind ebenfalls Lesungen — in unserem Fall eine Homilie des heiligen Augustinus. Auf jede Lesung folgt — wie eine Arie nach einem Rezitativ — ein Responsorium, eine melodisch entwickelte Form des gregorianischen Repertoires. Aus dem Adalbertus-Offizium können wir die Responsorien Alme presul und O presul Christi hören. Die Antiphonen Laudes canens und Sic Hester gehören zum Reimoffizium der heiligen Ludmila, der Gemahlin des ersten christlichen Herzogs von Böhmen und Großmutter des heiligen Wenzel. Es handelt sich um eine poetische Komposition, wahrscheinlich aus dem 13. Jahrhundert. Die Hymne Lux vera bietet ein interessantes Beispiel der Verbindung des gregorianischen Chorals mit der frühen Polyphonie; die einstimmige Melodie alterniert strophenweise mit einer mehrstimmigen Version. Im ähnlichen Geiste ist auch das Offizium des heiligen Prokopius konzipiert — alle texte sind ebenfalls gereimt. Eine interessante und sehr dynamische Komposition ist die aus gesangtechnischer Sicht anspruchsvolle Antiphon Letare Bohemia. Die Hymne Confessor Dei bezeugt das Entfernen von der Ursprünglichen gregorianischen Modalität. Seine Melodie erinnert an die neuzeitliche Dur-Tonalität. Der folgende Teil, der dem heiligen Herzog Wenzel († 929) gewidmet ist, beginnt mit dem ältesten Kirchenlied in tschechischer Sprache: dem Choral Svatý Václave. Er wird in das XIII. Jahrhundert datiert, aber — entsprechend einer Bemerkung des Chronikars Beneš Krabice z Weitmile, der diesen Gesang als »cantio ab olim cantari consueta« beschreibt — könnte seine Komposition noch weiter zurückreichen. Mit den nachfolgenden Stücken kommen wir bis an die Grenzen dessen, was wir noch »gregorianischer Choral« nennen können. Im Kyrie wechselt das einstimmige Melisma mit einem zweistimmigen Tropus ab. Die Rheimsequenz Salve pater optime mit seinem Refrain »Wenceslae« repräsentiert ebenfalls eine späte Form der liturgischen Monodie. Die cantio Wenceslao duci claro enthält bereits Elemente eines regelmäßigen »mensurierten« Rythmus. Der letzte Teil des Programmes ist Gesängen mit Marienthematik gewidmet. Im 14. Jahrhundert erlebte ganz Europa eine neue Welle der Marienfrömmigkeit, die sehr stark auch in den böhmischen Ländern zum Ausdruck kam. Zu den großen Marienverehrern gehörte u. A. auch der Kaiser Karl IV. und der Prager Erzbischof Ernst von Pardubice. Die Popularität des Marienkultes gab auch den Impuls zu einer intensiven Kreativität im Bereich der geistlichen Musik. Das zweistimmige Cantio Prelustri elucencia stellt ein Beispiel aus dem Werk eines unlängst entdeckten Komponisten dar: Petrus Wilhelmi de Grudencz. Dieser hervorragende Autor polnischen Ursprungs weilte in Böhmen annähernd in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Als Abschluss des Konzertes erklingt die Antiphon Salve Regina, einer der berühmtesten Marientexte. Die Anzahl seiner Vertonungen wird wohl bis heute die Hundert erreicht haben. Hier wird dieser Text mit seiner ältesten Melodie im I. Modus gesungen. ROSA MYSTICA Marienverehrung in Böhmen im Mittelalter . I. Das Repertoire der ältesten Mariengesänge Hymnus Ave maris stella Offertorium Ave Maria Responsoriale Psalmodie Eructavit (Ps. 44) Responsorium Sancta et immaculata Lectio Isaiae prophetae (ambrosianischer Lectionston) Graduale Audi filia Antiphon Salve Regina II. Mariengesänge aus böhmischen Quellen des 14. und 15. Jahrhunderts Moteto Voce cordis — Pulchre Sion filia Officium Presentationis Beatae Marie Virginis Hymnus O Dei sapiencia Lectio Inter omnes Responsorium Mirabile Deus comercium Cantio Ave gloriosa Officium Visitationis Beatae Marie Virginis (Johannes von Jenstein) Exclamavit Elisabeth / Ps. 111 Beatus vir Antiphonen zur ersten Vesper: Exurgens autem Maria / Ps. 109 Dixit Dominus Exclamavit Elisabeth / Ps. 111 Beatus vir Lectio Magnificat anima mea Dominum Alleluia Ave stillans melle Petrus Wilhelmi de Grudencz: Prelustri elucencia Cantio Genitricem Dei cordialiter Alleluia Ave benedicta / Tropus O Maria celi via Cantio Gaude quam magnificat Anonymus: Ave Regina celorum Geleitwort zum Programm Es gibt nur wenige Gebiete des christlichen Kultes, die sich durch so ein reiches und charakteristisches Repertoire rühmen können, wie der Kult der heiligen Jungfrau Maria. Die Marienthematik, die auch das heutige Programm vereint, bietet uns eine ausgezeichnete Möglichkeit, das ganze Spektrum der verschiedenen Formen kennenzulernen, von den »klassischen« Gesängen des gregorianischen Chorals aus der Karolingerzeit bis zu geistlichen Liedern und mehrstimmigen Kompositionen des späten Mittelalters. Der erste Teil des Konzertes ist dem ältesten Repertoire, dem sogen. »alten Fond« (franz. »vieux fonds«) gewidmet. Am Anfang erklingt der äußerst dynamische Hymnus Ave maris stella. Danach folgt das aus kompositorischer Sicht einzigartige Offertorium Ave Maria mit dem Text der Verkündigung: »Gegrüßt seist Du Maria voll der Gnaden, der Herr ist mit dir« Die Mehrzahl der Texte der Marienmessgesänge — der sogen. Proprien — schöpft aus dem Psalm Eructavit cor meum. Hier können wir ihn in der Form einer responsorialen Psalmodie anhören: auf jeden durch den Solisten vorgetragenen Psalmvers antwortet der Chor durch die Aklamation »Alleluia«. Das Responsorium Sancta et immaculata gehört zu der Weihnachts-Matutin, dem nächtlichen Gottesdienst dieses Festes. Seine intim wirkende Melodie meditiert über das Mysterium der Menschwerdung Gottes. Nach der Lesung aus dem Propheten Isaias folgt — wie eine Arie nach einem Rezitativ — das Graduale Audi filia. Dieser mit vitaler Melodik überströmende Gesang stellt auch beträchtliche stimmtechnische Ansprüche an die Interpreten. Den Abschluß dieses Teiles bildet einer der berühmtesten Marientexte, das Salve Regina, »Sei gegrüßt Königin«. Die Anzahl seiner Vertonungen hat bestimmt die Hundert überschritten. Hier erklingt jedoch die erste und älteste Melodie, die zu diesem Text gehört. Im 14. Jahrhundert erlebte ganz Europa eine neue Welle der Marienfrömmigkeit, die sehr stark auch in den böhmischen Ländern zum Ausdruck kam. Zu den großen Marienverehrern gehörte u. A. auch der Kaiser Karl IV. und der Prager Erzbischof Ernst von Pardubice. Die Popularität des Marienkultes gab auch den Impuls zu einer intensiven Kreativität im Bereich der geistlichen Musik. Der zweite Teil des Konzertes ist Gesängen aus dieser Epoche gewidmet. Die zweistimmige Motette Voce cordis — Pulchre Sion filia ist ein Beispiel aus der Mitteleuropäischen Motettenproduktion. Jede der zwei Stimmen hat seinen eigenen Text. Im 14. Jahrhundert entstehen neue Marienfeste und im Zusammenhang damit auch ein dazugehörendes liturgisches Repertoire. Das erste Beispiel aus diesem Repertorium sind die Gesänge des Offiziums der Presentation der Hl. Jungfrau Maria im Tempel (das Offizium ist französischen Ursprungs, hier benützen wir jedoch die Version, die sich in den böhmischen Quellen befindet). An diesen späten Kompositionen können wir die Evolution der gregorianischen Modalität beobachten, die sich allmählich von seiner ursprünglichen Form entfernt. Zum Beispiel der Hymnus O Dei sapiencia läßt das Streben zur neuzeitlichen Dur -Tonalität fühlen. Zu den populären Formen dieser Epoche in Böhmen gehören ebenfals geistliche Lieder (Cantiones). Ihre Tradition setzt sich in manchen Fällen sogar in der heutigen Liturgiepraxis fort. Hier erklingen drei von diesen Liedern: Ave gloriosa, Genitricem Dei und Gaude quam magnificat. Von anderen Choralmelodien unterscheiden sie sich vor allem durch ihren regelmäßigen »mensurierten« Rhythmus. Eine der wichtigsten schöpferischen Persönlichkeiten Böhmens im 14. Jahrhundert ist ohne Zweifel der Prager Erzbischof Johannes von Jenstein. Ihm wird auch die Verfassung des Offiziums Mariä Heimsuchung zugeschrieben. (Das Fest Mariä Heimsuchung wurde von Johannes von Jenstein persönlich im Jahre 1386 für die Prager Diözese eingeführt.) Zwei Antiphonen aus der Vesper beschreiben das Ereignis Mariä Heimsuchung mit dem Text des Lukas-Evangeliums. Die Lesung Magnificat aus dem Evangelium, die mit einem besonderen festlichen Lektionston gesungen wird, gehört zur Messe desselben Festes. Sehr bemerkenswert ist ebenfalls das Alleluia Ave stillans melle mit einer interessanten »frygischen« Färbung. Das zweistimmige Cantio Prelustri elucencia stellt ein Beispiel aus dem Werk eines unlängst entdeckten Komponisten dar: Petrus Wilhelmi de Grudencz. Dieser hervorragende Autor polnischen Ursprungs weilte in Böhmen annähernd in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Die geistlichen Lieder, von denen hier bereits die Rede war, kommen auch als »Tropen« vor, d. h. als Einschiebsel oder Zugaben zu anderen Choralgesängen. Auf diese Weise sind zwei Strophen des Cantio O Maria celi via in den Alleluiavers Ave benedicta Maria einkomponiert. Zum Abschluß des Konzertes erklingt das dreistimmige Ave Regina celorum, das sich relativ häufig in den böhmischen Quellen befindet. Diese Komposition widerspiegelt bereits den Kompositionsstil der mehrstimmigen Musik im 15. Jahrhundert. CODEX FRANUS Kantional des Johannes Franus und seine Zeit Kirchweihfest Introitus Terribilis est locus (Ehrfurchtgebietend ist dieser Ort und erweckt Gottesfurcht. Hier ist nichts anderes als das Haus Gottes und die Pforte des Himmels…) Kyrie eleison (Herr, erbarme dich. Christe, erbarme dich. Herr, erbarme dich.) Petrus Wilhelmi de Grudencz: Moteto Jacob scalam — Pax eterna — Terribilis (Jakob sah eine Leiter mit Engeln, die daran hinauf und hinabstiegen…) Zacheus arboris (Zachäus stieg auf einen Baum, um Jesum, den himmlischen Gast, zu sehen…) Advent- und Weihnachtszeit „Antiphona ante Rorate“ Ista est speciosa (Dieses ist die wunderliche…) Introitus Rorate celi (Tauet, Himmel, den Gerechten…) Insignis infantule (Erhabenes Kind…) Cantio Angelus ad virginem (Ein Engel ward zur Jungfrau gesendet…) Kyrie eleison (sogen. „Záviš–Kyrie“ / cantio Ave trinitatis cubile (Sei gegrüßt, Wohnstätte der heiligen Dreifaltigkeit…) Cantio Sanctissima mitissima (Heiliger und milder Stern des Meeres…) Sequentia Mittit ad virginem / cantio Ave yerarchia (Er sendet zur Jungfrau… / Seid gegrüßt, heilige Heerscharen…) Cantio In hoc festo Domino (An diesem Fest laßt uns alle dem Herrn ein Lied singen…) Prosa Grates nunc omnes / Nobis est natus hodie (Nun laßt uns alle dankbar sein… / Heute ward uns geboren…) Moteto Unde gaudent — Eya Dei iherarchia — Nostra iocunda curia (Deshalb freuen sich die Engel und die Erzengel…) Ostern Kyrie Paschale (Herr, erbarme dich. Christe, erbarme dich. Herr, erbarme dich.) Cantio Surrexit Cristus hodie (Heute ist Christ erstanden…) Sanctus / tropus Deus Pater iudex (Heilig… / Gott, Vater, gerechter Richter…) Sampsonis honestissima (Simsons ehrenvollste Prophezeiung…) Lectio Epistolae beati Pauli Apostoli ad Colossenses Moteto Cristus surrexit vinctos — Chorus nove — Cristus surrexit mala (Christ ist erstanden und führte die Gefesselten aus dem Kerker…) Fronleichnam Sequentia Ave caro Cristi (Sei gegrüßt, Leib Christi…) Credo (Ich glaube an einen Gott…) Petrus Wilhelmi de Grudencz: Moteto Panis ecce — Panis ewus — Pange exul — Patribus veteribus — Tantum ergo (Siehe, das Brot der Engel…) Geleitwort zum Programm Stellen wir uns die Stadt Königgrätz (Hradec Králové) an der Scheide des 15. und 16. Jahrhunderts vor. Als einer der angesehensten Männer der Stadt galt damals Johannes Franus, ein vermögender Tuchmachermeister und — ähnlich wie die meisten Königgrätzer Bürger — ein Anhänger des gemäßigten Flügels der Hussiten. Schon gegen Ende des Jahrhunderts wurde er städtischer Schöffe und übte später sogar die Funktion des Bürgermeisters, d.h. des höchsten städtischen Amtträgers aus. Franus’ Vermächtnis besteht jedoch nicht nur in den kurzen Erwähnungen seiner öffentlichen Tätigkeit, die in den städtischen Annalen erhalten sind. »Am 8. November des Jahres 1505 nach dem Tage der Menschwerdung Christi, am fünften Tage danach, da der grausame, frostige Saturnus im Zeichen des Löwen mit dem zürnenden Mars zusammenkommt, bestellte ein fleißiger Mann, Herr Johannes, mit Beinamen Franus, Bürger der Stadt Königgrätz, dessen Handwerk die Tuchmacherkunst war, in seinem Eifer auf eigene Kosten für 50 Schopf Prager Groschen für die Kirche des Heiligen Geistes dieses Buch, welches wahrlich ein denkwürdiges und großartiges Werk ist«. Diese Eintragung ist im lateinischen Original direkt auf einem Blatt des betreffenden Manuskripts zu lesen. Die lobenden Worte über dieses Werk sind keinesfalls übertrieben. Einiges deutet allein schon die äußere Beschreibung des Buches an: der Kodex hat das Ausmaß von 66 x 43 cm, sein Gewicht beträgt mehrere zehn Kilo, er enthält 367 Blatt und ist reich illuminiert. Von höchstem Wert für den Musiker ist jedoch der musikalische Inhalt der Quelle, der die Verschiedenartigkeit und Vielfältigkeit der geistlichen Musik jener Zeit bezeugt. Das Repertoire, welches auch bei dem heutigen Konzert erklingen wird, kann im Grunde in drei Gruppen eingegliedert werden: der erste Teil ist dem einstimmigen Gregorianischen Choral gewidmet. Die zweite formale Kategorie bilden meist einstimmige, zeitweise auch mehrstimmige geistliche Lieder (lat. »cantiones«). Diese Lieder können selbständig gesungen werden, können jedoch in einigen Fällen auch als Einschübe oder als Zusätze funktionieren. In das gregorianische Kyrie eleison wurden zum Beispiel zwei Strophen des Liedes Ave trinitatis cubile einkomponiert. Die dritte Gruppe des Repertoires besteht in mehrstimmigen Kompositionen — z.B. Motetten — in denen jede Stimme ihren eigenen Text hat (Jacob scalam — Pax eterna — Terribilis, Unde gaudent — Eya Dei iherarchia — Nostra iocunda curia, etc.) Interessant ist, daß wir bei zwei in diesem Programm angeführten Motetten auch den Namen des Autors kennen. Es handelt sich um Petrus Wilhelmi de Grudencz, einen herausragenden Autor polnischer Herkunft, der in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts offenbar in Böhmen lebte. Im ungemein reichhaltigen Material des Franusschen Kantionals haben wir uns auf vier liturgische Themen hin orientiert: als Eingang in den geheiligten Raum des Gottesdienstes erklingen am Anfang Gesänge zum Fest der Kirchweihe. Es folgen die zwei »Hauptpfeiler« des Kirchenjahres — das Repertoire der Advent- und Weihnachtszeit und das Repertoire der Osterzeit. Der letzte Programmteil gehört dem Fronleichnamfest, dessen Hauptthema die Verehrung der Eucharistie (verwandelte Hostie) ist. Diese Verehrung war von höchster Wichtigkeit, nicht nur für die Kalistiner, sondern für die gesamte christliche Welt. Zum Schluß möge noch einmal der Schreiber des Manuskripts zu Worte kommen, der schon im oben zitierten Text den Impuls zur Entstehung des großartigen Franus-Buches darlegt: »Der stärkste Anlaß ging von dem Bestreben aus, es mögen darin der unsterbliche Gott und alle seine Heiligen gepriesen und verherrlicht werden. Er selbst (d.h. Franus) vermochte zum Heil seiner Seele durch nichts mehr beizutragen, als durch dieses vorzügliche und ruhmvolle Werk«. „ANTICA E MODERNA“ Gregorianischer Choral und die „Suita liturgica“ von Petr Eben Geleitwort I. Gregorianischer Choral Das heutige Konzert will zwei Musikgebiete vorstellen, die sich gleichzeitig fern und nahe Antiphon Hosanna filio David stehen. Sie sind durch ihre gemeinsame Funktion Hymnus Gloria laus verbunden: den Gesang beim christlichen Graduale Unam petii Gottesdienst. Lesung Oratio Ieremiae Prophetae Die erste Hälfte des Programmes ist dem Responsorium Tenebrae factae sunt gregorianischen Choral gewidmet. Anfangs hören Antiphon Speret Israel / wir zwei Prozessionsgesänge —Hosanna filio David Psalm 130 Domine non est exaltatum und Gloria laus — aus der Palmsonntagsliturgie. Alleluia Pascha nostrum Die Lesung Oratio Ieremiae Prophetae, in der Jeremias die Verwüstung Jerusalems beweint, Hymnus Lux vera lucis radium gehört in die Matutin — den nächtlichen Lesung Homilia beati Augustini Gottensdienst — des Karfreitags. Aus dem selben Responsorium Alme presul Gottesdienst kommt ebenfalls das Responsorium Sequenz Salve Pater optime Tenebrae. Nach der Antiphon Speret Israel, die die Motette Unde gaudent - Eya Dei iherarchia schlichte Rezitation des Psalmes „Domine non est - Nostra iocunda curia / Anjelé radost jměli exaltatum“ einrahmt, erklingt reicher Osteriubel - Eja panna počala - Nyní všickni im Alleluia Pascha nostrum. Die letzten fünf Stücke gehören zur späteren II. Petr Eben: Suita Liturgica Schicht des gregorianischen Chorals, wo sich Einstimmigkeit mit Mehrstimmigkeit verbindet. 1. Passionssonntag Zugleich ist es auch ein Beispiel der eigenen Introitus: Schaffe mir recht Böhmischen Produktion auf dem Gebiet des Graduale und Tractus: Rette mich, o Herr liturgischen Gesanges. Die ersten vier Gesänge Offertorium: Dich, o Herr, will ich preisen dieses Abschnittes sind den Böhmischen Heiligen gewidmet: der hl. Ludmila, dem hl. Adalbertus 2. Hl. Theresia vom Kinde Jesu und dem hl. Wenzel. Als Abschluss der ersten Introitus: Komm vom Libanon Programmhälfte erklingt eine dreistimmige Offertorium: Hochpreiset meine Seele den Motette Unde gaudent — Eya Dei iherarchia — Herrn Nostra iocunda curia, wo der lateinische Text tonmalerisch Musikinstrumente imitiert, z. B. 3. Vierter Fastensonntag Trompeten und Pauken. Dieselbe Melodie können Introitus: Freue dich, Jerusalem wir dann auch in einer tschechischen Textfassung Fest Allerheiligen hören. Offertorium: Der Gerechten Seelen Die Suita Liturgica entstand als Auswahl von den Liturgischen Gesängen von Petr Eben, zu welcher 4. Christi Himmelfahrt er konzertante Orgelzwischenspiele beifügte. Introitus: Ihr Männer von Galiläa Zu den Liturgischen Gesängen sagt der Autor Alleluia: Unter Jubel ist Gott aufgefahren folgendes: Communio: Singet Psalmen dem Herrn „Ich schrieb sie in den Jahren 1955-1960 jeweils aktuell als Proprien zu den verschiedenen Sonnund Feiertagen. Noch vor dem II. vatikanischen Konzil war es uns daran gelegen, besonders zur Zeit des totalitären Regimes, den Gläubigen während der Messe die Texte in tschechischer Sprache zu präsentieren. Bei der Vertonung merkte ich die großen Kontraste der Atmosphäre verschiedener Feiertage und bemühte mich, sie musikalisch auszudrücken. Inspiriert war ich — wie bei vielen anderen Werken — von der Melodie und Rhytmik des gregorianischen Chorals; die Melodien sind allerdings im Sinne des moderneren Stils manchmal stark chromatisiert.“ „ACH, HOMO FRAGILIS“ Geistliche Lyrik im spätmittelalterlichen Böhmen I. Die Buße Leich Ach homo perpende fragilis (Ach, ewig schwacher Mensch …) Antiphon Media vita (Inmitten des Lebens sind wir im Tod...) Rondellus Gentis mens labilis (Geschlecht unstäten Gemüts…) Leich Audi tellus (Höre O Erde, Höre du endloser Meeresabgrund…) Litanei Aufer a nobis (Nimm von uns, Herr, alle unsere Sünden…) Petrus Wilhelmi de Grudencz: O felicem genitricem / Bohu svému králi nebeskému (Gott, seinem himmlischen König…) II. Maria, Zuflucht der Sünder Cantio Ave spes et salus (Sei gegrüßt, Hoffnung und Rettung der Schwachen…) Alleluia Salve virga florens (Sei gegrüßt, Aaronsstab, der du erblüht bist…) Petrus Wilhelmi de Grudencz: Presidiorum erogatrix (Fürbitterin des Schutzes, Beschützerin aller Dinge…) Leich Angelus ad virginem subintrans (Der Engel trat in das verschlossene Gemach der Jungfrau ein...) Gloria Spiritus et alme (Ehre sei Gott in der Höhe…) Leich Ave non Eve meritum / Cantio Digna laude (Sei gegrüßt, die du so angesprochen warst…) Cantio Ab archanis oritur (Geheimnisvoll geht er hervor, geführt durch Gottes Macht…) Leich Ó Maria, matko milostivá (O Maria, barmherzige Mutter...) III. Rückkehr zur Buße Responsorium Afflicti pro peccatis (Zerknirscht durch unsere Sünden…) Leich Vanitas vanitatum (Eitelkeit der Eitelkeiten und alles ist Eitelkeit…) Motette Homo luge – Homo miserabilis – Brumans est mors (Flehe, Mensch, fliehe und entweiche der Sterblichkeit……) Leich Fletus et stridor dentium (Jammer und Zähneknirschen ohne Ende…) Cantio O quantum sollicitor (O, wie bin ich um die Fülle besorgt...) Petrus Wilhelmi de Grudencz (?): Kyrie Fons bonitatis (Herr, Quelle der Güte...) Leich Ach homo perpende fragilis (Ach, ewig schwacher Mensch …) Geleitwort Seit dem Anfang der Neuzeit setzt sich allmählich die Konzeption des Menschen als Mittelpunkt des Weltalls durch. Der Mensch fühlt sich immer mehr als Herr der Schöpfung und seine Selbstverwirklichung orientiert sich fast ausschließlich auf die menschliche (bzw. weltliche) Sphäre. Das Mittelalter hatte in dieser Hinsicht von seinem „Menschtum“ mehr Abstand. Man erlebte tief die Schwäche der menschlichen Natur, deren Überwindung ohne Gottes Hilfe nicht denkbar war. Für den mittelalterlichen Menschen führt der Weg zur Überwindung über das Bewusstwerden und Gestehen seiner Fehler, d. h. durch die Buße. Gerade der Akt der Buße ist die Antwort auf das Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeiten und ist gleichzeitig auch die Methode, durch welche ein Fortschritt im geistlichen Leben erzielt werden kann. Bereits seit den ältesten Zeiten existiert ein umfangreiches Repertoire, das der Buße gewidmet ist – vor allem unter den liturgischen Gesängen der Fastenzeit. Das Interesse an dieser Thematik steigt aber beträchtlich im ausgehenden Mittelalter. Vielleicht sind es gerade die Epochen des Umbruchs – wenn die Alte Ordnung der Dinge im gewissen Sinne aufgelöst wird und die Ankunft einer neuen sich ankündigt – , wo die Vergänglichkeit alles Weltlichen akzentuiert wird, wobei sich auch eine gute Portion von Melancholie bemerkbar macht. In dieser Zeit – ungefähr ab dem Ende des 14. Jahrhunderts – entstehen in Böhmen Gesänge mit poetischen Texten, die Liedern ähneln und die man zusammenfassend in die formale Kategorie „Leich“ einreihen kann (franz. lai). Ihr Platz in der damaligen Aufführungspraxis ist nicht völlig klar. Man konnte sie offenbar als Tropen (Hinzufügungen) zu älteren Choralgesängen benützen; sie konnten sicherlich auch selbständig aufgeführt werden, vielleicht sogar außerhalb der Liturgie bei Gelegenheiten gemeinschaftlicher Art. Aus der Sicht des Textes ist für dieses Repertoire eine außergewöhnliche Expressivität der dichterischen Sprache charakteristisch, mit vielen naturalistisch-apokalyptischen Bildern. In einigen Fällen könnte man sogar von einer Art musikalisch-literarischem „Totentanz“ sprechen – als Analogie zu den zahlreichen Gestaltungen dieses Themas in der Bildenden Kunst (Fletus et stridor dentium). Aus musikalischer Sicht bilden diese Gesänge eine ziemlich heterogene Gruppe. Einige von ihnen haben eine strophische Form (Ach homo fragilis, Ave spes et salus), bei anderen überwiegen lange „rhapsodische“ Linien, die sich frei mit der traditionellen Choralmelodik auseinandersetzen. Die Quellen aus der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts enthalten auch eine Gruppe von Gesängen, die mit dem Namen eines gewissen Záviš verbunden sind. Der Verfasser konnte bisher nicht eindeutig identifiziert werden, wenn auch verschiedene Hypothesen vorgeschlagen wurden. Musikalisch zeichnet sich dieser Umkreis von Gesängen durch eine spezifische „frygische“ Melodik des E-Modus in Kombination mit DreiklangsPassagen aus. In unserem Programm gehört zur Záviš-Gruppe z. B. der Leich Ach homo perpende fragilis oder Angelus ad virginem subintrans. Neben den Bitten an Gott um Erlösung und Vergebung richten sich die Gebete vor allem an die Jungfrau Maria, deren Kult im späten Mittelalter besonders lebendig war. Aus dieser Konstellation geht auch die dramaturgische Gliederung des Konzertes hervor. Nach dem ersten Teil, der der Buße gewidmet ist, folgen Gesänge an die Jungfrau Maria, als der Hauptfürbitterin für die durch die Sünde betroffene Menschheit. Die Rückkehr zur Buße im dritten Teil des Konzertes ist kein Ausdruck von Pessimismus, sondern des Bewusstseins des menschlichen Lebensweges, zu welchem auch die ununterbrochene Auseinandersetzung mit der eigenen Fragilität gehört. Der Abschluss in Form des dreistimmigen Kyrie Fons bonitatis zusammen mit der Reprise des Leiches Ach homo fragilis vom Anfang des Programms drückt die Hoffnung aus, dass der Mensch nicht allein mit seiner Unzulänglichkeit bleibt, und dass ihm durch die Buße der Weg zum inneren Wachstum offen steht. PASSIO DOMINI Gregorianische Gesänge der Karwoche Ambrosianische Litanie Divinae pacis Antiphon Zelus domus tuae Antiphon Media vita in morte sumus Passio Domini nostri Iesu Christi secundum Lucam 22;1-6 »In illo tempore: Appropinquabat dies festus azymorum...« Antiphon Alieni insurrexerunt Passio Domini nostri Iesu Christi secundum Lucam 22;7-8,14,17-23 »Venit autem dies azymorum, in qua necesse erat occidi pascha...« Responsorium Vinea mea Passio Domini nostri Iesu Christi secundum Lucam 22;31-34,39-42 »Ait autem Dominus: Simon, Simon, ecce satanas expectivit vos...« Communio Pater, si non potest Passio Domini nostri Iesu Christi secundum Lucam 22;43-48,52-65 »Aparuit autem illi Angelus de caelo confortans eum...« Responsorium O vos omnes Passio Domini nostri Iesu Christi secundum Lucam 22;66-71, 23;1-4,14,16-21,24 »Et ut factus est dies, convenerunt seniores plebis...« Improperia Popule meus Passio Domini nostri Iesu Christi secundum Lucam 23;32-48 »Ducebantur autem et alii duo nequam cum eo...« Responsorium Velum templi Passio Domini nostri Iesu Christi secundum Lucam 23;50-53 »Et ecce vir nomine Ioseph, qui erat decurio, vir bonus et iustus...« Responsorium Tenebrae factae sunt DER LITURGISCHE GESANG DES MITTELALTERS Der Gregorianische Choral von den Anfängen bis zur frühen Mehrstimmigkeit Das vorgregorianische liturgische Repertoire die ambrosianische Tradition: Gloria Ambrosianum (Ehre sei Gott in der Höhe…) Lectio Epistolae Beati Pauli Apostoli (Lesung aus dem Brief des Apostel Paulus…) Responsorium Lucerna pedibus (Dein Wort ist das Licht meiner Schritte…) die altspanische Tradition: Pater noster — Hispanicum (Vater unser…) die alströmische Tradition: Alleluia In exitu Israel (Als Israel aus Ägypten zog…) die gallikanische Tradition: Antiphona Coeperunt omnes turbae (Die Mengen lobten Gott…) Der gregorianische Choral Alleluia Pascha nostrum (Christus, unser Osterlamm, ist geopfert…) Antiphona Speret Israel / Psalmus 130 (Israel, hoffe auf den Herrn…) Kyrie Rex virginum (Kyrie, König der Jungfrauen…) Graduale Unam petii (Eines bitte ich vom Herrn…) Hymnus Ave maris stella (Sei gegrüßt, Meeresstern…) Antiphona Montes Gelboe (Die Berge Gelboe…) Spätmittelalterliche liturgische Gesänge Credo (Ich glaube an einen Gott…) Responsorium O presul Christi (Bischof Gottes, Adalbert…) Lectio Ad decus ecclesie (Zur Ehre der Kirche lesen wir heute die Worte der Apokalypse…) Responsorium Alme presul (Heiliger Bischof Adalbertus…) Cantio Surrexit Cristus hodie (Heut ist Christus auferstanden…) Alleluia Ave benedicta / tropus O Maria celi via (Sei gegrüßt, gesegnete Jungfrau Maria…) Cantio Genitricem Dei (Die Mutte Gottes lobe ich in Ewigkeit…) Moteto Unde gaudent - Eia Dei ierarchia - Nostra iocunda curia (Deshalb freuen sich die Engel…) „MAIESTAS DEI“ Mittelalterliche Polyphonie im Werk von Petrus Wilhelmi de Grudencz Majestät Gottes P. W. de Grudencz: Moteto Veni vere — Pneuma — Paraclito — Dator P. W. de Grudencz: Kyrie Fons bonitatis Gloria in excelsis Deo P. W. de Grudencz: Bohu svému, Králi nebeskému Gottes Geburt Introitus Puer natus est Anonymus (vor 1500): Cantio Nobis est natus hodie P. W. de Grudencz: Moteto Pán Ježíš narozený — Tři králové — Zdávna prorokové Lectio evangelii Factum est cum baptizaretur P. W. de Grudencz: Moteto Preconia etroclyta Maria, Königin und Helferin Antiphona Nigra sum P. W. de Grudencz: Presidiorum erogatrix P. W. de Grudencz: Prelustri elucencia Tractus Laus tibi Christe filio P. W. de Grudencz: Plaude euge Theotocos Die Heiligen vor der Majestät Gottes Guillaume Dufay: Hymnus Urbs beata Jerusalem Heilige Dorothea Antiphona Nil territa supplicio P. W. de Grudencz: Moteto Prefulcitam expolitam Heiliger Martinus P. W. de Grudencz: Moteto Presulis eminenciam Sequentia Sacerdotem Christi Martinum P. W. de Grudencz: Rotulum Presulem ephebeatum Geleitwort zum Programm Die Geschichte der geistlichen Musik des Mittelalters ist nicht durch konkrete Namen eingesäumt, wie es in den neueren Zeiten ist. Es bedeutet allerdings nicht, dass das Mittelalter solche Persönlichkeiten nicht hatte. In dieser Zeitepoche war der Zweck dieses Musikschaffens vor allem Gottesdienst und Liturgie. Deshalb sind die gregorianischen Gesänge bis auf Ausnahmen anonym, die Gesichter der Gestalter sind ganz bewusst unter den Kapuzen der Mönchkutten versteckt. Die Persönlichkeit des Komponisten tritt erst mit der Entwicklung der Mehrstimmigkeit ausgeprägter in Vordergrund. Die Namen wie Perotinus, Landini, Machaut tauchen plötzlich aus der Anonymität als Meilensteine der Musikentwicklung auf. In unserem mitteleuropäischen Milieu erscheinen die Erwähnungen über Musikgestalter erst zur Neige des Mittelalters. Selten ist es jedoch möglich auf so ein eindeutiges Zeugnis von Autorschaft zu stützen, wie es im Falle von Petrus Wilhelmi de Grudencz ist. Diese ausgeprägte Erscheinung an der Grenze des Mittelalters und Renaissance verewigte sich nämlich auf eine originelle Weise in seinen Kompositionen, durch den sog. Akrostich: die ersten Buchstaben der Wörter des Textes stellen den Namen Petrus zusammen, in einer Motette finden wir seinen chiffrierten Namen in Ganzheit. Dieser Typ der Unterschrift bildete allerdings keine Garantie, dass der Name Petrus Wilhelmi de Grudencz für immer in der Tradition der Musikgeschichte verweilt. Zum Unterschied von seinem Werk, das mindestens aus den tschechischen und schlesischen Chören noch am Anfang des 17. Jahrhunderts klang, geriet der Name des Autors mit der Zeit in Vergessenheit. Es war nötig bis in die 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zu warten, als es dem Musikologen Jaromír Černý gelang die versteckte Unterschrift Peters in seinen Kompositionen aufzulösen. Es begann so eine merkwürdige Detektivgeschichte, in der das Leben und Werk einer der bedeutendsten komponistischen Persönlichkeit des 15. Jahrhunderts entdeckt wurde. Wir führen in Kürze die wichtigsten biographischen Angaben. Petrus Wilhelmi de Grudencz wurde im Jahre 1392 in Gridziac (in der Nähe des polnischen Torun) geboren, studierte an der Universität in Krakow, wo er im Jahre 1430 den Magistergradus erreichte. In den 40er Jahren des 15. Jahrhunderts trat er in den Dienst vom Kaiser Friedrich III. In Zusammenhang mit dem Kaiserhof wurde er zum Friderici imperatoris cappelanus — d.h. Kaplan des Kaisers Friedrich III., was auch die musikalische Tätigkeit beinhalten könnte. Im Jahre 1452 kann man seinen Aufenthalt in Rom nachweisen, wohin er höchstwahrscheinlich wieder als Mitglied kaiserlicher Begleitung pilgerte. Dann verliert sich Peters Spur in den Archivalien. Zwei seiner Kompositionen können seinen Lebenslauf interessant auffüllen. Es ist einmal der Text des Liedes Pontifices ecclesarium (leider ohne Notenschrift überliefert), die zur Unterstützung des Baselkonzils (1431–1449) auffordert. Es entstand höchstwahrscheinlich auf Bestellung einer der Leitpersönlichkeiten des Konzils. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich Petrus in der Nähe dieser bedeutsamen kirchlichen Verhandlung bewegte, wo während der Gottesdienste nicht nur eine von den Neuheiten der zeitgenössischen polyphonischen Produktion erklang. Eine weitere Spur für die Lokalisierung seiner Wirkung am Ende seines Lebens könnte die Motette Probitate-Ploditando sein. Der Text dieser Motette macht einen gewissen Andreas Ritter lächerlich, den traurig berühmten Sohn des Schulrektors des polnischen Grünen Berg (ca. 60-70er Jahre des 15. Jahrhunderts). Wenn wir voraussetzen, dass Petrus des Ritters Grobheit persönlich traf, würde es bedeuten, dass er in einem fortgeschrittenen Alter in das Land zurückkehrte, in dem er geboren wurde. Ein Rätsel stellt die Beziehung von Petrus Wilhelmi zu den tschechischen Ländern dar. Obwohl wir keinen historischen Nachweis von Petrus Aufenthalt in Tschechien haben, sind mehr als zwei Drittel seines Werkes gerade in den tschechischen Quellen erfasst. Wir können vermuten, dass Petrus während seines unterschiedlichen Kreuzens durch Mitteleuropa auch in unsere Gegend geriet und das hiesige Musikrepertoir bedeutsam bereicherte. Wie könnten wir das Werk von Petrus Wilhelmi de Grudencz am besten charakterisieren? Er ist bestimmt eine Persönlichkeit an der Grenze von zwei Epochen — mit bestimmter Übertreibung könnte man sagen: „seine Beine sind noch im Mittelalter, aber der Kopf ist schon in der Renaissance“. Ein Ausgangspunkt für sein Schaffen ist die mittelalterliche Mehrstimmigkeit des zentralen Europa, die bei Petrus von einer merkwürdigen Eigenart beseelt ist und innoviert von Elementen der zeitgenössischen Polyphonie. Eine Reihe der Kompositionen erinnert durch melodischen Wohlklang an das frühe Werk von Guillame Dufay. Ab und zu fesselt Petrus durch einen überraschenden Witz, wie z.B. im St. Martinus Lied Presulis eminenciam, wo das lautmalerische „Schnattern“ an das traditionelle Gericht am MartinsFeiertag der St. Martinus — Gans erinnert. Aus dem formellen Gesichtspunkt finden wir im Werk von Petrus Wilhelmi insbesondere mehrstimmige Lieder und mittelalterliche Motetten, wo jede Stimme ihren eigenen unterschiedlichen Text hat. Eine Besonderheit ist das Rotulum Presulem ephebeatum, das als einzige durchgehende Melodie notiert ist und als vierstimmiger Kanon gesungen wird. Petrus Kompositionen klangen natürlich nicht „in der Luftleere“, sie wurden als Bestandteil des zeitgenössischen Repertoires integriert. Diesen Rahmen spiegelt auch die Gestaltung des Programms wieder, wo neben den Kompositionen von Petrus Wilhelmi auch die choralen Gesänge des späten Mittelalters erklingen und ein Musterstück aus dem Schaffen seines Zeitgenossen Guillaume Dufay. Auch wenn Petrus Wilhelmi lange Jahre im Schatten der kaiserlichen Majestät Friedrich III. lebte, war er gleichzeitig ein Kleriker und sein Schaffen zielte eindeutig zu den höchsten Werten: zur Majestät Gottes. „MISSA DE BEATA VIRGINE“ Ad processionem: Cantio Plebs Domini Hymnus Ave maris Geleitwort zum Programm In heutiger Zeit scheint es keine Überraschung zu sein, dass fast alle großen Introitus Salve sancta parens Komponisten Messen komponierten. Auf den Konzerten und bei festlichen Gottesdiensten Guillaume de Machaut: Kyrie klingen oft die monumentalen Messen Haydns, Guillaume de Machaut: Gloria Mozarts, Schuberts und einer Reihe anderer Autoren. Eine Verbindung von festen Messetexten Lectio Epistolae (Ordinarien) in einem Zyklus versteht sich jedoch Graduale Benedicta et venerabilis nicht selbstverständlich, es ist Ergebnis einer sehr Alleluia Virga Iesse floruit langen Entwicklung auf dem Gebiet der Musik und Sequentia Ave virgo singularis Liturgie. Im frühen Mittelalter existierte eine solche Lectio Sancti Evangelii Konzeption überhaupt nicht; jeder Teil des Offertorium Felix namque es Messeordinariums — Kyrie, Gloria, usw. — wurde Prefatio im Rahmen der Messe als ein selbstständiges Guillaume de Machaut: Sanctus Gebilde ohne enge gegenseitige Beziehungen wahrgenommen. Pater noster Der erste Schöpfer, der mit der Idee kam den Zyklus der fünf (bzw. sechs) Teile des Guillaume de Machaut: Agnus Dei Messeordinariums in einer geschlossenen Form zu Communio Beata viscera vertonen, war ein Musikgenie des 14. Jahrhunderts Cantio Ave mater Salvatoris Guillaume de Machaut. Dieser vielseitige Künstler — prächtiger Dichter und Komponist — gewann Guillaume de Machaut: Ite missa est bereits während seines Lebens seinen Antiphona Salve Regina ungewöhnlichen Ruhm. Die Höhe seiner Anerkennung, die ihm zuteil wurde, beweist auch das Epitaph, das nach seinem Tode Eustache Deschamps schrieb. Guillaume de Machaut wurde um das Jahr 1300 in Reims oder in der unmittelbaren Nähe geboren. Für die tschechische Geschichte ist das Jahr 1323 sehr wichtig, als seine Lebenswallfahrt plötzlich in Zusammenhang mit tschechischen Ländern geriet: Machaut trat nämlich in den Dienst des tschechischen Königs Johann von Luxemburg und in diesem Dienste verblieb er fast bis zum Tode Johanns in der Schlacht bei Crécy im Jahre 1346. Guillaume de Machaut begleitete den König auf vielen Reisen und blieb mit ihm auch in Prag. Leider muss man konstatieren, dass seine Anwesenheit im Prager Musikleben des 14. Jahrhunderts keine greifbare Spur hinterließ. Vielleicht blieb neben den Staatspflichten kein Raum mehr zum Musizieren. Es scheint auch, dass der Schwerpunkt seines Schaffens in den Zeitraum nach dem Jahre 1340 fällt, als er — obwohl er noch gelegentlich die Aufgaben des tschechischen Königs erfüllte — überwiegend als Kanoniker der Kathedrale in Reims tätig war. An Johann von Luxemburg erinnert sich jedoch Machaut bis zum Ende seines Lebens und preist ihn in einer Reihe seiner Gedichte als einen der tapfersten und freigebigsten Herrscher seiner Zeit. Das Werk Guillaume de Machauts ist umfangreich und beinhaltet neben dem geistlichen Schaffen auch zahlreiche weltliche Kompositionen. Als seine bekannteste Komposition bleibt wahrscheinlich Missa Notre Dame, die zu ihrer Zeit eine Reihe origineller Lösungen brachte. Man diskutiert immer darüber, zu welcher Gelegenheit sie eigentlich entstanden ist. Nach neuesten Forschungen scheint es sehr wahrscheinlich zu sein, dass Machauts Vertonung der Messeteile für die Votive Messe der Jungfrau Maria bestimmt wurde, die samstags in der Seitenkapelle der Reimser Kathedrale gedient wurde. Nach dem Epitaph, dass in dieser Kapelle notiert wurde, sollte auch das Totengebet für Guillame de Machaut und seinem Bruder Johann, gleichfalls Kanoniker der Kathedrale in Reims, Bestandteil der samstäglichen Marienmesse sein. Gerade die Gottesdienste an den Seitenaltären waren dann auch immer öfter Raum für verschiedene musikalische Neuheiten und Experimente, die in der offiziellen Liturgie des Domkapitels nicht besonders akzeptiert wurden. Die heutige Durchführung geht aus dieser Konzeption heraus und bringt eine Rekonstruktion der stella Votiven Marienmesse, so wie sie in der Reimser Kapelle Rouelle am Ende des 14. Jahrhunderts hätte klingen können (Credo, das außer Sonntag und Feiertage keinen Pflichtbestandteil der Messe bildet, ist ausgelassen). Die Choralgesänge veränderlicher Messteile gehen aus den zeitgemäßen Quellen aus Nordfrankreich (Rouen, Bibl. Mun. 250; Reims, Bibl. Mun. 264) hervor. Das Konzert wird durch einen der berühmtesten Marientexte Salve Regina abgeschlossen. Die Anzahl seiner Vertonung erreichte bis zum heutigen Tag bestimmt eine dreistellige Zahl; hier hören wir jedoch die erste und älteste Melodie, zu der dieser Text gehört.