INTERPRETEN Cham ileon sein Diana Damrau entdeckt im Liszt-Jahr eine wenig bekannte Seite des Komponisten. Denn der Sch6pfer brillanter Klavierwerke und Sinfonischer Dichtungen widmete sich auch dem Kunstlied.Torben Schmidt traf die Sopranistin nach einem Konzert in M0nchen - nat0rlich mit Liszt-Liedern. F rau dieDamrau, Liszt-Lieder warenimmer schon ein Traum yon Ihnen? Wenn man sich im Studium mit Liedrepertoire besch ftigt, kommt man auch mit Liszt-Liedern in BerOhrung. Und dann merkt man, oh mein Gott, ist das schwer! Und dann denkt man: Vielleicht kann ich das ja real irgendwann singen - so ging es mir zumindest. Auf den Konzertbiihnen h6rt man diese Lieder nicht beson ders h iufig. Es scheint, sie sind nicht sehr beliebt. Diese Lieder sind yon Meisterhand ftir Meister geschrieben. Als Student kann man zwar versuchen, sie zu singen. Aber sie verlangen nach einem reifen KOnstler, der sein Instrument absolut im Griffhat und den ganzen Kosmos des ktinstleri schen Ausdrucks beherrscht. Ich singe diese Stficke, well '- ich finde, dass sie es wert sind, geh6r t zu werden. Man kann sie als Interpret so servieren, dass die Leute ei nen Zugang bekommen. Viele Stficke der CD erschienen von 1843 bis 1844 in zwei Liedbanden mit dem Titel ,,Gesammelte Lieder". Liszt beabsichtigte nie einen feststehenden Zyklus, und auch Sie haben eine ganz eigene Reihenfolge festgelegt. Ja, wir wollten die CD nach unse rein Gusto gestalten und nicht nach musikwissenschaftlichen (3ber legungen oder gar numerisch. Ich habe das Programm so gew ihlt, dass man eine kleine Geschichte mit den Liedern erz ihlt. So kann man den Zuh6rer auf eine wunder bare Reise mitnehmen. Heit und kalt, leise und laut, innig und dramatisch! Liszt selbst hat viele Fassungen nochmals iiberarbeitet. Haben Sie fiir die CD ausschlie lich mit diesen sp/iteren Fassungen gearbeitet? Nein, Helmut Deutsch und ich haben uns verschiedene ibrigens nicht so einfach, an Fassungen angesehen. Es ist 26 JM 11/11 \ \ LISZT LIED[ R DLANA DAMIIAU tlELMUT DEUISGII , )j/ d - a% s ; Aktuelle CD = P Liszt, Lieder; mit Helmut Deutsch (2011); Virgin/EMI CD 50999 0709282 4 diese ganzen unterschiedlichen Fassungen zu kommen. Letztendlich haben wir die Stticke und Fassungen ausgesucht, die for uns am besten passen, und dann gemeinsam eine musi Nicht nur musikalisch, sondern auch sprachlich. Die Lieder auf der CD sind in Italienisch, Franz6sisch und Deutsch- ein Schlaraffenland! kalisch geeignete Reihenfolge festgelegt. Liszt beschrieb in einem Brief seine friiheren Versionen als ,,zu aufgebliiht sentimental und h iufig vollgepfropft in der Begleitung" Wie ist Ihre Einschiitzung? Lieder auf Das Lied,,Freudvoll und leidvoll" interpretie ren wir auf der CD in zwei Fassungen, in der yon 1844 und yon 1860. Die sp tere Fassung ist eher abgekl rt. In der anderen Version sport man die sen Sturm und Drang, eine grofle Aufwallung yon GefOhlen. Da ist auch viel los im Klavierpar t. Wissen Sie, wie Liszt zu seiner Tedtauswahl gekommen ist? Man nimmt ja an, er habe sie nach seiner pers6nlichen Ge ftihlslage gewiihlt. Italienisch, Franz6sisch und Deutsch - ein Schlaraffenland! W/ire es kiinstlerisch reizvoll, eine CD mit allen Fassungen zu produzieren? Ich glaube nicht, dass alle es wert waren. Es sind ja manch mal nut wenige Takte, die sich unterscheiden, die eingescho ben sind oder fehlen. Manchmal ist das Vorspiel anders, dann wieder das Nachspiel. Was unsere CD betrifft, haben Helmut Deutsch und ich versucht, die Rosinen rauszupicken und m6g lichst interessant zu gestalten. Bei Liszt ist man gezwungen, Das glaube ich auch, aber es bleibt Spekula tion. Dieser Mensch ist eine Welt ftir sich, eine schillernde Pers6nlichkeit, ein Superstar und durch seine Reisen ein echter Europ ier. Deswegen war er vermutlich auch vom Denken und vom Ho rizont her welter als an&re seiner Zeitgenossen. Brigitte Fassbaender sagte einmal, dass Inhrunst die richtige Herangehensweise ist, um Liszt-Lieder zu inter pretieren. Hat sie Recht damit? Inbrtinstig insofern, dass man alle Antennen ausf hrt. Es muss eine angepasste und sehr aufmerksame Inbrunst sein. Bei ,,Ober alien Gipfeln ist Ruh" zum Beispiel entsteht dieses Schweben, da ist kein Brennen. Man muss mit Inbrunst auch den zarten Geftihlen und Stimmungen begegnen und nicht ausnahmslos schwelgen. Chameleon zu sein und sich dem jeweiligen Sti ck anzupassen. Sind Sie da mit Ihrem Liedbegleiter Helmut Deutsch einig? Liszt als Liedkomponist Franz Liszt hat knapp 90 Lieder komponiert. Literarische und prosaische Texte aus insgesamt sechs Sprachen waren Vor lage. 64 davon sind in deutscher Sprache entstanden. Die meisten Lieder hat Liszt in seiner ersten Schaffensperiode von Jberarbeitete er spLiter eigenhandig, da ibm die frfihen Lieder ,,meistens zu aufge bl iht sentimental, und hgtufig zu vollgepfropft ih der Beglei tung', erschienen, wie er in einem Brief aus den 1850er Jah ren dem Pianisten und Komponisten Joseph Dessauer gesteht. FOr einige Lieder existieren gar drei Fassungen. Die ,,Tre So net i di Petrarca" geh6ren zu den berLihmtesten Werken des Komponisten, insbesondere ihre Klavierfassung. 1846 erschie nen sie in ihrer endg(iltigen Fassung, eine sp itere Fassung ist yon 1864. Liszts Liedschaffen gilt als umstritlen, fiJr vide pas sen die StfJcke nicht in die Reihe des deutschen Kunstlieds von Komponisten wie Schubert, Schumann und Brahms. Einig ist man sich fiber ihre vision ire Kraft und neue Ausrichtung ffr das sp itere Liedschaffen, etwa das von Richard Strauss. 1839-1849 komponiert. Viele davon Helmut Deutsch und ich, das funktioniert ganz wunderbar! Es entsteht immer etwas ganz Besonderes mit ihm. P16tzlich spielt er eine Phrase ein bisschen anders, und ich spore sofort, dass sich ganz unerwartet noch etwas Neues auftut. Ich passe reich sofort an, und dann entwickelt sich alles automatisch welter und iberrascht uns beide. Es ist ein st indiges Mitgehen, Fordern und Geben. Gab es nie eine Distanz zu den Liszt-Liedern? Distanz ist eigentlich immer da. Wit kennen ja diese Kom ponisten gar nicht. Man kann sicher viel lesen, aber im Grogen und Ganzen sind es ftir uns unerreichbare PersOnlichkeiten. Ich versuche jedoch immer, eine gr6fltmOgliche Nahe zum Komponisten zu schaffen, mir zu verdeutlichen, in welcher Epoche und unter welchen Umst/inden sie gelebt haben. Es ist auch ein Versuch, sich in das Denken und die Moralitit hinein zuversetzen, weil unsere heutige Welt so verschieden ist. Aber im Lied geht es ja haupts ichlich immer um Gefiihle, und die haben sich nicht ver indert. [] 11/11 FONO FORUM i 27