Gurre-Lieder Arnold Schönberg So 15.05. — 11:00 Kuppelsaal des HCC Waldemar Stephen Gould — Tenor Tove Anja Kampe — Sopran Waldtaube Wiebke Lehmkuhl — Alt Bauer Boaz Daniel — Bass Klaus-Narr Wolfgang Ablinger-Sperrhacke — Tenor Sprecher Thomas Quasthoff Hannoversche Chöre Bachchor Hannover / Norddeutscher Figuralchor — Leitung Jörg Straube Capella St. Crucis Hannover / Collegium Vocale Hannover — Leitung Florian Lohmann Johannes-Brahms-Chor Hannover / Mädchenchor Hannover — Leitung Gudrun Schröfel Junges Vokalensemble Hannover — Leitung Klaus-Jürgen Etzold Kammerchor Hannover — Leitung Stephan Doormann Knabenchor Hannover — Leitung Jörg Breiding NDR Radiophilharmonie Orchester der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover (Einstudierung durch Musiker der NDR Radiophilharmonie und Lehrende der HMTMH) Dirigent Ingo Metzmacher Musikalische Assistenz Peter Leipold Produktionsleitung Lisa Magdalena Mayer Inspizienz Heidrun Eberl Tickets für die Gurre-Lieder berechtigen zum einmaligen Eintritt zur Klang- und Lichtinszenierung Finsternis1816 am 15./16.05. — ab 22:00 im Großen Garten Herrenhausen. Gurre-Lieder für Soli, Chöre und Orchester (1900 bis 1911) von Arnold Schönberg Text Jens Peter Jacobsen / Übersetzung Robert Franz Arnold I. Teil Orchester-Vorspiel Nun dämpft die Dämm‘rung jeden Ton — Waldemar O, wenn des Mondes Strahlen leise gleiten — Tove Roß! Mein Roß! Was schleichst du so träg! — Waldemar Sterne jubeln, das Meer, es leuchtet — Tove So tanzen die Engel vor Gottes Thron nicht — Waldemar Nun sag ich dir zum ersten Mal — Tove Es ist Mitternachtszeit — Waldemar Du sendest mir einen Liebesblick — Tove Du wunderliche Tove! — Waldemar Orchester-Zwischenspiel Tauben von Gurre! Sorge quält mich — Stimme der Waldtaube Pause II. Teil Herrgott, weißt du, was du tatest — Waldemar III. Teil: Die Wilde Jagd Erwacht, König Waldemars Mannen wert! — Waldemar Deckel des Sarges klappert und klappt — Bauer Gegrüsst, o König, an Gurre-Seestrand! — Waldemars Mannen Mit Toves Stimme flüstert der Wald — Waldemar Ein seltsamer Vogel ist so‘n Aal — Klaus Narr Du strenger Richter droben — Waldemar Der Hahn erhebt den Kopf zur Kraht — Waldemars Mannen Des Sommerwindes wilde Jagd (Melodram) Orchester-Vorspiel Eine Produktion der KunstFestSpiele Herrenhausen und des Norddeutschen Rundfunks, NDR Radiophilharmonie in Zusammenarbeit mit der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover und hannoverschen Chören Das Konzert wird vom NDR aufgezeichnet. Sendung am 30.06 — 20:00, NDR Kultur Herrn Gänsefuß, Frau Gänsekraut — Sprecher Seht die Sonne — Gemischter Chor Dauer ca. 2 h 10 min / Pause ca. 20 min Uraufführung 23. Februar 1913, Wien Verlagsrechte bei Universal Edition, Wien Arnold Schönbergs Gurre-Lieder Der Dirigent Michael Gielen hat einmal das besondere Charakteristikum der Komposition von Schönbergs GurreLiedern als polyphone Konstruktion eines wuchernden und lianenhaften Jugendstils beschrieben, der eben nicht in parfümiertem Wohlklang aufgeht. Diese Konstruktion ist das Kennzeichen des radikal modernen Schönberg – selbst in seinem romantischsten Werk. Und von ihr ausgehend könnte man sich eine historische Linie denken, die bis in die Mikropolyphonie von Ligetis Klangkompositionen der frühen 60er Jahre des 20. Jahrhunderts reicht. Der beiläufig-knappe Titel der GurreLieder, einer der gewaltigsten Partituren der Musikgeschichte, ist ein Überbleibsel aus der Frühzeit seiner Entstehungsgeschichte: Schönberg hatte sich mit einem Zyklus von Liedern für Sopran, Tenor und Klavier an einem Wiener Kompositionswettbewerb beteiligen wollen, entschied sich aber nach einer Beratung mit seinem Kompositionslehrer Zemlinsky gegen eine Teilnahme zugunsten der Ausarbeitung seines Liederkreises für eine Besetzung, die mehr als das Hundertfache an Personal beansprucht und deren Realisierung damit in utopische Bereiche entrückte. Über die Daten und Umstände der Entstehung ist die Nachwelt durch einen Brief Schönbergs an seinen Schüler Alban Berg gut informiert: „Im März 1900 habe ich den ersten und zweiten Teil und vieles aus dem dritten Teil komponiert. Darauf lange Pause, ausgefüllt mit Operetteninstrumentation. März 1901 Rest vollendet. Dann Instrumentation im August 1901 begonnen (wieder durch andere Arbeiten verhindert, denn ich bin ja immer am Komponieren verhindert worden). In Berlin Mitte 1902 fortgesetzt. Dann große Unterbrechung wegen Operetteninstrumentationen. 1903 zuletzt daran gearbeitet und fertiggestellt bis zirka Seite 118. Daraufhin liegengelassen und ganz aufgegeben! Wieder aufgenommen Juli 1910. Alles instrumentiert bis auf den Schlusschor, den vollendet in Zehlendorf 1911.“ In den folgenden Briefzeilen weist Schönberg auch auf die Stilunterschiede zwischen den um die Jahrhundertwende und den eine Dekade später erfolgten Instrumentationen hin und auf einige wenige bei der Fertigstellung „korrigierte Stellen“, deren Korrekturen ihm mehr Mühe gemacht hätten, als seinerzeit die ganze Komposition. Den Text der Gurre-Lieder hatte er der Novelle ‚Ein Kaktus blüht‘ des dänischen Schriftstellers, Botanikers und Darwinisten Jens Peter Jacobsen (1847 bis 1885) entnommen, dessen Roman ‚Niels Lyhne‘ als „Bibel des Atheismus“ galt. Die Novelle bildet die Rahmenhandlung für eine Sammlung von Versen und Kurzgeschichten. In einer der Episoden ist die lyrische Rede von Gurre, einem Schloss, nicht weit von Helsingör, dem Schauplatz von Shakespeares ‚Hamlet‘. Die Handlung geht auf eine mittelalterliche Legende um einen der Dänenkönige namens Waldemar (Volmer) zurück, die Liebe zu seiner schönen Mätresse Tove Lille (Kleine Taube) und die Eifersucht der Königin Helvig. Dieser Sagenkern wurde im Laufe der Jahrhunderte mit anderen Legenden jütländisch-seeländischer Herkunft angereichert und zu einem dänischen Nationalmythos. Der österreichisch-israelische Schriftsteller Max Brod, Janácek-Propagandist und Retter von Kafkas Werk, hat anlässlich einer Prager Aufführung der Gurre-Lieder eine beeindruckte und beeindruckende Rezension verfasst, inklusive einer etwas „wagnerisierenden“ Inhaltsskizze: „König Waldemar liebt ein schönes Mädchen, Tove, die Taube, die er in seiner Burg Gurre verborgen hält. Der erste Teil schildert Waldemars liebessehnsüchtigen Ritt nach Gurre, die zu mystischer Todessehnsucht gesteigerte heidnische Lebensfreude des Paares. Tristan und Isolde fallen einander in die Arme. Doch der weibliche ‚König Marke‘, Waldemars Gemahlin, verzichtet nicht und lässt Tove töten. Die Stimme einer Waldtaube besingt ihr Begräbnis, bei dem der König selbst den Sarg der Geliebten trägt. Zweiter Teil: König Waldemar hadert mit Gott, der ihm sein Liebstes geraubt … Dritter Teil: Waldemar mit seinen Mannen steigt aus dem Grabe, hetzt sie als wilde Jagd durch das Land … Fürchterliche Gotteslästerung des Königs wechselt mit der Ironie seines Hofnarren, der zu ihm so ungefähr steht wie Waldemar zu Gott. Dann sinkt der ganze Spuk wieder ins Grab zurück. Der Schluss ist ein Naturhymnus. ‚Des Sommerwindes wilde Jagd‘. Wie der König seine Tove, sucht der Sommersturm die verlorenen Blüten des Frühlings, hebt sich aber schließlich empor zum gewaltigen Preisgesang auf die ewig neubelebende Pracht der großen Sonne. Mit einem Sonnenaufgang schließt das Werk, das mit einer Abenddämmerung begonnen hatte.“ Auf den stark pantheistischen Zug dieser finalen Erlösung hat auch der Dirigent Leopold Stokowski hingewiesen: „Jeden Morgen nach Sonnenaufgang erkannte Waldemar die erneuernden Kräfte der Natur und fühlte Toves Liebe in der sichtbaren Schönheit von Farbe und Form in der Natur.“ Eine Wendung vom OrchesterliederZyklus in Richtung zum Oratorium nimmt das Stück zu Beginn des dritten Teils, wenn die Sängerinnen der Tove und der Waldtaube den Schauplatz verlassen und drei männliche Solisten mit den Chören das Podium betreten haben. Zur tragischen Liebesgeschichte tritt das Makabre und Groteske: die zähneklappernde Angst des Bauern vor der nächtlichen „wilden Jagd“ und der verzweifelt komische Gesang des Klaus-Narr, des ehemaligen Hofnarren Waldemars, der den Gespensterritt der Untoten wider Willen mitmachen muss und noch auf des „Himmels Gnaden“ hofft. Der Sprecher dann, dessen Rezitation im Melodram eine Vorstudie zum „Pierrot lunaire“ und anderen Sprechgesängen in Schönbergs Oeuvre ist, ruft zur freundlicheren „wilden Jagd“ auf: zu der des Sommerwindes. Sie mündet in den prächtigsten Sonnenaufgang der westeuropäischen Musikhistorie, der demonstrativ die „Und-es-ward-Licht“-Tonart zitiert: das gänzlich vorzeichenlose, sozusagen „weiße“ C-Dur. Schönbergs Wiederaufnahme des zwischenzeitlich ganz aufgegebenen Projekts der Gurre-Lieder hat möglicherweise ähnliche biographische Hintergründe wie die Komposition seines fis-Moll-Quartetts, wie auch ‚Erwartung‘ und ‚Die Glückliche Hand‘: nämlich die Affäre um seine Ehefrau Mathilde und den Maler Richard Gerstl, der sich nach der Rückkehr Mathildes zu Schönberg, 25-jährig, das Leben nahm. Liebe, Tod, Eifersucht und das „Rätsel Weib“ sind schließlich auch Hauptthemen der Gurre-Lieder. Kein Wort des Staunens reicht an die Souveränität heran, mit welcher der 26-jährige Schönberg, der trotz seiner Stunden bei Zemlinsky im Wesentlichen Autodidakt war, das Vokabular der Spätestromantik samt „Seelenvibrationen“ und „Nervenkontrapunktik“ beherrscht, mit welchem Raffinement er das Fin-desiècle Klang werden lässt, welch kammermusikalische Subtilitäten er dem Riesenorchester abgewinnt. Natürlich haben die Beurteiler das große Vorbild gleich entdeckt: Richard Wagner. Der Kritiker Richard Specht sprach von der in Stolz und Pracht aufflammenden Tonsprache eines Künstlers, den Wagner das Reden gelehrt hat. Doch in der Entwicklung und Verarbeitung der Themen und in der formalen Gesamtanlage ging Schönberg schon in den Gurre-Liedern weit über die Durchführungstechnik Wagners und seiner eigenen Zeitgenossen hinaus. Schon hier zeigt sich Schönberg als Genie motivisch-thematischer Kombinatorik. Die Verflechtung und Verarbeitung der zahlreichen Leitmotive des Stücks ist so dicht und reichhaltig, dass Alban Berg die schriftliche Einführung und Analyse, die er im Auftrag der Universal Edition anfertigte, zu einem 100-seitigen Buch geriet. Beim analytischen Blick auf das Orchesterzwischenspiel vor dem Gesang der Waldtaube etwa – Berg nennt es eine Art Durchführung des I. Teils – stößt man auf nicht weniger als neun Leitthemen, die in kontrapunktischer Verdichtung dem Höhepunkt zusteuern: dem liebes- und todessüchtigen ToveThema, mit dem sie zuvor den mächtig verschönenden Tod besungen hatte. Dirigent der Uraufführung im Wiener Großen Musikvereins-Saal am 23. Februar 1913 war Franz Schreker, zu dem der stets schnell beleidigte Schönberg ein gereiztes Verhältnis hatte – schon, weil er selbst gerne dirigiert hätte. Überhaupt stand er dem Unternehmen skeptisch gegenüber, denn: Eine gute Aufführung konnte das nach seiner Ansicht ohnehin nicht werden. Bloß 10 Proben mit dem schlechten Tonkünstler-Orchester! Aus diesem „schlechten Orchester“ wurden immerhin die Wiener Symphoniker, die bis heute auf die Uraufführung der Gurre-Lieder stolz sind. Das Konzert wurde Schönbergs größter Publikumserfolg. Die Ohren- und Augenzeugen berichten von „Jubel“, „Ergriffenheit“, „Jauchzen“, von „tränennassen Gesichtern“ und einem Lorbeerkranz für den Komponisten. Richard Specht traf auf „ein paar junge Leute“, die „mit schamglühenden Wangen … gestanden“, sie hätten Hausschlüssel mitgebracht, um die jüngste Verlautbarung des „Kakophonisten“ auszupfeifen, seien aber nun eines Besseren belehrt. Dieser Kredit war, wie es Schönberg schon während des Beifalls schwante, schnell verspielt. Einige Wochen später kamen die Hausschlüssel wieder zum Einsatz. Julius Korngold, Hanslick-Nachfolger als Wiener Kritikerpapst und Protektor seines komponierenden Wundersohnes Erich Wolfgang, kommentierte die Aufführung originell und bissig mit dem Jacobsen’schen Novellen Titel: „Ein Kaktus blüht“ und meinte mit dem Kaktus natürlich den „stacheligen“ Schönberg. Dessen Schüler Anton Webern rang noch einen Tag nach der Uraufführung brieflich um Fassung: „Welch ein Moment meines Lebens! Unvergesslich! Ich kann es nicht sagen, welchen unermesslichen Eindruck Dein überherrliches Werk auf mich gemacht hat … Die Empfindung dieses brausenden Klanges regt mich auf zum Vergehen. Wie eine Naturgewalt sondergleichen … Dass ich den Augenblick erleben durfte, da die Mitmenschen schrankenlos vielleicht zum ersten Mal so Deine Größe begriffen …“ KunstFestSpiele Herrenhausen Herrenhäuser Gärten / Herrenhäuser Straße 4 D-30419 Hannover Telefon + 49 (0)511 / 168-33811 Email [email protected] www.kunstfestspiele.de www.facebook.com/kunstfestspieleherrenhausen www.twitter.com/kunstfestspiele www.vimeo.com/kunstfestspiele Wenn Sie das Programmbuch 2017 der KunstFestSpiele Herrenhausen im Januar postalisch erhalten möchten, senden Sie bitte eine Email mit Ihrer Adresse an: [email protected] Künstlerbiografien und weitere Informationen unter www.kunstfestspiele.de/kuenstler Textnachweis Rainer Peters, gekürzt in: CD-booklet zu Arnold Schönberg Gurre-Lieder, SWR Symphonieorchester, Leitung: Michael Gielen, SWRMusic 2006, mit freundlicher Genehmigung des Autors. Redaktion Stephan Buchberger Intendanz Ingo Metzmacher Förderer Rainer Peters Kulturpartner Die KunstFestSpiele Herrenhausen sind eine Veranstaltung der